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Full text of "Die Litteratur des neunzehnten Jahrhunderts in ihren Hauptströmungen"

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^te Sitteratur 



beg neun^el^nteti '^a^r^uttbertg» 



^itn^er jßanli. 



S)te ßittetattir 



t»eö neuttäe'^ttten ^o^r^uitbert^ 



tn 



ipren ^auptffrömungen 



bargeftellt . 



bon 



(öeotg [jßtonbeB. 



gftinfter ©and* 

SDic romantifd^c ©d^ulc in ^tanfrctd^. 



* . • % 




SSerlag öon Seit & Somp. 

1883. 






• ' .-. ^0? jRcc^t J)ct ^rauSgabc t)on Überlegungen Vorbehalten. 



• • •• • , 






i>nuf »on Vie^ger & aBittig in Seipiig. 



/ 



1692 



3 n l| a 1 1. 



Seite 

S)er <)oIttifd^e ^intcrgrunb 3 

S)ic Generation bon 1830 . 11 

S)cr SiömantiSmu^ '. 21 

etiarleS Silobter 40 

SRüdblide. Srembe ^Inregungcn (@§Q!ef^)eare, @cott, S3t)ron, ©oetl^e, 

©offmann) 54 

Sflüdblide. Snlönbtfd^e Slnregungen (^nbt^ ß^enierj 72 

be SBign^^^ $oeften unb ©ugo'§morgenIänbifcf)e ®ebicf)te 88 

©ugo unb SRuffet 97 

SKuffet unb ©eorge @anb 113 

5llfreb bc SRuffet 130 

George ©anb 143 

SBaljac 175 

Sei)Ie 228 

SRerimcc 270 

S5e^Ie unb 2Rerintee 279 

SKerintee , 294 

ÜÄerinicc unb Oautter 319 

%f^, Oautter 326 

@ainte=S3eube 351 

©atnte=S3eut)e unb hit moberne Äriti! 374 

S)a§ SDranta: Sßttet, S)unia§ 388 

S)a8 3)rama: be Sßignl), ©ugo, ^onfarb 398 

^te fojiatljolttifd^e Qbeenbenjegung unb hk ^oefte (@atnt=@inion, ^terre 

Serouy, SamennaiS — Santartine, George @anb, ©ugo) .... 409 

3)te Öbcrfel^enen unb Sßergeffenen 437 

©(^luft , , 458 



ivi62541 



Die romantij^i^e Sd)nle in ^ankttl^. 



©ranbeä, fiittcrotutßcitö. beS 19. gaftrö. V. 



* 






I. 

* 

3n bcn Salären 1824—48 bringt ^^anfrcid^ eine große unb 
betüunbemngStüürbige Sitteratur l^erüor* 3lad) ben Umtoäljungen 
ber SReboIution, ben biegen be§ Saiferreid^eS nnb ber (Srfd^öpfung 
toäl^renb ber ^Regierung Subtoigg XVIII. loar eine 3ugenb auf* 
getüad^fen, bie fid^ mit f eltner Seibenfci^aft ber fo lange öemad^- 
läffigten l^öl^eren ©eiftesfultur ttJibmete. SBäl^renb ber SReöoIution^* 
itii unb ber 5Wa))oIeonifci^en ^iege l^atten bie jungen g^anjöjen 
Slnbere§ ju tl^un gel^abt, atö bie Sitteratur unb bie fünfte il^reö 
Sanbeg ju erneuern; bie 6eften ^äfte be^ SSoße§ toaren in bie 
Kanäle ber 5ßoIiti!, beS Solbatentü^fen^ ober ber Slbminiftration 
l^ineingeleitet Sorben. 9iun tourbe eine große ©untme geiftiger 
^qft, bie lange gebunben getoefen, frei. 

2)ag 3^üalt€r ber 9fiet)oIution unb be^ 3ulifönigtümg läßt fid^ 
atö ba§ entfd^eibenbe Sluftreten ber 6ürgerlid^en ©efellfd^aft auf ber 
l^iftorifd^en 93ül^ne bejeidjnen. SBäl^renb ber SReftauration . fängt bie 
inbuftrielte 5ßeriobe ber ©efd^id^te an. 2)ie^ berul^t, toa^ %xant^ 
xtiä) Betrifft, barauf, baß bie neue SSerteilung be§ 9iationaI- 
öermögenö, toeld^e bie 9tet)oIution üollfül^rt l^atte unb bie ju t)er== 
teibigen 9la^)oIeon^ öfonomifd^e SRiffion getoefen toar, je^t i^re 
i^xüä)tt ju tragen Begann. 2)er ®en)er6ef(eiß unb ber SSerfel^r 
toaren frei getoorben, SDlonopoIe unb 5ßriöilegien gefallen, bk pax^ 
jeHierten Äird^en* unb Äloftergüter, bie jerftüdelten unb öffentlid^ 
öerfauften äRajorate unb (Smigrantengüter njaren. einer öielfad^en 
SSerteilung unterworfen njorben, unb bemjufolge fing ba§ befreite, 
Wf^Ö getoorbene Kapital an, ba^ iriebrab ber ©efeltfd^aft unb 



Hie rotnantifdie i^dittle in itankrrtd). 



baburd^ bcr öorJ^errfd^enbe SBunfd^ jebeg ©injclnen ju toerbcn, 
yiad) bcr 3uIireöoIution erfe|t altmäl^Iicl^ bic ©elbmad^t bie 8lbetö= 
l^ejci:f(fiaft unb.ma($t: Jja§ Königtum fid^ untcrt^an, 2)cr 9tcid^c 

läp ftü^ m tfcn ÄSeföftonb erl^cben, cmirbt ftd^ 5ßatr§reci^te unb 

• * • ■ ■ 

.4eÄi^«^i':&utä:8ie jB/rfaftung immer mel^r bit monardbifcfic @taat§^ 
form ju feinem S3eften, @o tpirb bie Sagb nad) bem ®elbe, ber 
Äam^jf um§ ®elb, bie SSertoenbung be§ ®elbe^ ju großen inbu= ' 
ftrieöen unb faufmännifd^en Unternel^mungen ber öorl^errfd^enbe 
fojiale 3^9 ^^ 3^it, unb biefe 5ßrofa, bie gegen bie revolutionäre 
unb friegerifd^e Segeifterung be^ vorigen ^^to^^wt^ f o ftarf aB= 
ftid^t, fd^redft in auffaöenber SBeife bie S)id^ter unb Äünftler öon 
bem Seben unb S^reiben ber 3^i*9^^<^ff^^ jurücf unb trägt ba^ 
irrige bei, ber 5ßoefie biefeg ^.^italter^ il^r romantif d^eö , b, 1^. ber 
umgebenben SQSirflid^feit entfrembeteS ©epräge ju geben. 9Äan 
fud^te unb f anb 5ßoefie in ber SSorjeit unb ber g^embe, ober man 
fd^uf, ungeftört burd^ bie unmittelbaren Umgebungen, erträumte 
gelben unb Sbeale. 9lur ein einziger ber um ba§ Sal^r 1830 
auftaudienben 2)id^ter, einer ber größten; Saljac, fül^Ite fid^ nid^t 
t)on bem 3^i*^W^i^ abgeftoßen, fönbern mad^te unerfd^rorfen bie 
neugeborene ^apitalmad^t, ben neuen SSel^errfd^er ber Seelen, ba^ 
®elb, jum gelben einer großen @<)opöe; bie übrigen Mnftler ber 
3eit entfernten fid^, toie fd^arf fie aud^ felbft mand^mal il^ren Sßor^ 
teil in§ Sluge faßten , in il^ren ©d^toärmereien unb $oefien f o 
viel toie möglid^ bon ber neuen SBirHid^feit 

S)a§ ©ecennium öor unb nad^ 1830, ba§ litterartfdi unb 
fünftlerifd^ ber merftoürbigfte unb frud^tbarfte 3^itraum ift, tt)ar, 
politifd^ betrad^tet, eine glanj^ unb farblofe Qtit @^ gnUJpiert 
fid^ um bie Sulireöolution, aber biefe bilbet, fo ju fagen, nur einen 
93Iutf(erfen in aßt bem ®rau, 

2)ie erfte §älfte be§ 2)ecenniumg, bie SRegierung^jeit ^arfö X., 
ift ba^ Qtiialkx ber flerifalen Sleaftion, Unter ßarl X. bejeid^nen 
bie brei äRinifterien SSillele, SRartignac unb ^olignac nidjt fotool^t 



Her polttift^e ilititergtunb» 



brei ©tabicn, aU öiclmel^r brei öcrjci^iebcnc %tmpi bcr 9ficaftion: 
Slttcgro, Slnb&nte iinb SlKegro fariofo. Unter bem SÄinifterium 
SStMe erretd^ten bie Sefuiten eine faft uneingefd^ränfte 9Kacl|t 
3)ie Älöfter würben lieber errid^tet; man jd^uf ©efe^e öon toaf)x^ 
l^aft mittelaüerlid^'er Strenge toiber (Sotte^Iäfterung, ©nttoei^ung^n 
be§ ^ütxtaQt^ ünb ber Äird^e (j, 83. Xobegftrafe für Sird^enraub); 
bie SluSteilung öon 2KmofengeIbem gefd^a^ nur gegen SSorjeigen 
t)on B^i^piff^^ beS 93eid^tt?ater§; enblid^ tüurbe 1827 ein $reJ5* 
gejefe borgelegt, ba§ bie 95eftimmung l^atte, alle ©egner ber fird^^ 
lid^en Sntereffen ä^iwt öoHftänbigen ©d^toeigen ju bringen, ba^ 
jebodi bie 9iegierung, burd^ ben SJSiberftanb ber 5ßair^fammer ge* 
jtt)ungen, jnrärfjiel^en mu§te. 2)ie 9iationaIgarbe foßte aufgelöft, 
bie ßenfur tt)iebererrid^tet toerben; ha^ Sßinifterium l^atte aber in 
ber Äömmer bie SÄeJ^rjal^I gegen fid^ unb trat im Saläre 1828 
jurüd. 2luf ben aKju rüdfid^tölofen ^Ierilali^mu§ folgte unter 
SRartignac ein Sßinifterium ber Sonjef fionen , ba^ bem Sefuiten* 
regiment einige fd^toadie ©fimme ju fe^en öerfudjte; e§ erreid^te 
aber nid^tö, ba ber ^önig bei ber erften 9lieberlage, bie ba§ 
3Riniftermm in ber Kammer erlitt, bie ©elegenl^eit ergriff, e§ ju 
öerabfd^ieben unb ^^olignac, ben frül^eren ®efanbten in Sonbon, 
toeld^er ber äJiann nad^ feinem §erjen toar, mit ber SSilbung be^ 
neuen SÄinifterium^ ju betrauen. 5ßoIignac glaubte an ba§ Äönig* 
tum afö ben ©d^atten ®otteg auf (Srben, glaubte (unb iourbe 
butd^ SSifionen in feinem ®Iau6en geftärft), göttlid^e ©enbung er= 
l^alten ju l^aben," bem Königtum feinen frül^eren ®Ianj jurüdf* 
jugeben. 2)ie äiegierung tourbe aber fo unpo^)uIär, ba§ bie ein* 
jige friegerifd^e Xl^at ber Qtitf bie ©roberung 2Hgierg, t)om SSoHe 
falt aufgenommen unb öon ber ftarfen D^jpofition gerabeju mit 
2;rauer begrübt tourbe. SK§ bie Sluftöfung ber Kammer, tro^ ber 
Hirtenbriefe ber 95ifd^öfe unb ber ^jerfönlid^en ©inmifd^ung be^ 
Königs in ben SBal^Ifantpf, jur SSiebertoal^t ber D<)^?ofition fül^rte, 
fo gefd^al^ ber @taat§ftreid^, ®ie ^ataftropl^e, bie breitägige 



Stragettfc^lac^ folgte, lutb ba§ SJ^nifterhun bmrbe t)on ben äßeQen 
ber So(f S6etoegiutg , bie. ^ron lUtb ^omgel^aiiS mit ftc^ rtffen, 
fortgcfpult 

Dbtool^I bie erfte §älfte be§ 25ecemiimn^ bergeftolt politifc^ 
ein 3^tt^ ^ äufeerftcn Sieaftion »ar, fo l^otte fte boc^ fojial 
unb geiftig ein ganj anbereS (Gepräge. 

3unä(^ft erjeugte ber ®rurf fettji ben Strang nad) grei^cit. 
®er Surgerftanb, ber jule^t bnrc^ ba§ ^otifer ^oletariat unb 
bie ftubentifd^e 3ugenb baS ^önigS^anS ftürjte, ^otte ftd^ tocü^renb 
beS ganzen Qtiixaum^ in fteigenber Unjufrieben^eit befunben. 3)ie 
Jolgc mar unter anberm, ba§ bie fc^öne üitteratur, bie öon Stnfang 
an parallel mit ber ^egierungöpolitil ber ^iftorifd^en Sleaftion 
gegen baö ad^tje^nte Sa^r^unbert Slu^brucf gegeben unb bie al§ 
©t^ttJärmerei für Satl^oIiji§mu§, Königtum unb SKittelalter be^ 
gönnen l^atte, ungefähr jur 3^^tf ^o G^ateaubrianb anS bem 
äRinifterium SSittele gefto^en njurbe, i^ren ß^arafter Don ®runb 
an^ ju üeränbem anfing. 3lu§erbem l^atte aber baö geiftige Seben 
in ben pc^ften Äreifen, bie ben Sion unb ben Stil ber fd^onen 
fiitteratur beftimmten, nur in ganj femer SJejiel^ung ju J^er pofi- 
tifd^en Steaftion geftanben. ®ie Sleftauration toar ja, öon einer 
Seite gefe^en, eine 9iad^blüte be§ ad^tjel^nten Sal^r^nbertö im 
neunjel^nten: ba^ ßtitaütt ber Humanität in bemjenigen ber Sn= 
buftrie; S5on bem gepuberten ^ofe ging pfifd^e ©itte, üon htu 
©alonö be§ alten Slbefö bie freiere ©enftoeife in religiöfen uftb 
moralifd^en fragen au^, bie ber ©tolj be^ öorfgen Sal^rJ^unbert^ 
gemefen toar. @§ galt in biefen Greifen aU nationale Überliefe* 
rung, fiitteratur unb S^unft mit öielfeitiger Silbung unb toeit«: 
gel^enben S^mpatl^ien entgegenjufommen. ©ine nac^fid^tige @fe|)fi§ 
in religiöfer, eine geniale Ungebunbenl^eit unb feinfül^Ienbe S^oleranj 
in fittlid^er ^infid^t, ba^ tvax bie 2ltmof|)l^äre, in ber bk gute 
©efeßfd^aft atmete unb bk fie um fid^ verbreitete, unb feine fonnte 
für eine in ftarfem SBad^^tum fid^ befinbenbe j^oetifd^e SBegetation 



IDet |)olitifä)e Ijitttergtuttb. 



günftiger unb befrud^tenber- fein. SBäl^renb ber S)ru(f bcr Stcaftion 
in ^jolitifd^en ©ingen freien ©inn erjeugte, geftottete bie Silbung 
ber tonangeknben '©efeßfd^aft ber jungen ßitteratur offenen 9taum 
für freie ©nipfinbungg* unb SJentoeife aufeerl^att ber ^olitif unb 
erforberte nur geinl^eit unb SBoKenbung ber gorm. Sie »ar atfo 
imftanbe, einer beginnenben geiftigen Setoegung aufg glüdEIic^fte 
freie SH^^ i^ 9^^^^ ^^^^f ^^^ ^^^ Snglänber fagen, ju ftarten. 

®ie Sutib^naftie »urbe gegrünbet, bag breifdrbige Sürger^ 
lönigtum errid^tet, Subtnig ?ßl^ili<)p auf ben franjöftfd^en 2;i^ron 
ennjorintriguiert, fd^wierig gefteHt atö König bon ©naben ber 
9iet)oIution. 

©cl^on in bem erften Suftrum feiner ^Regierung offenbarten 
fic^ bie entf c^eibenben ©igentüntlic^f eiten feinet 9tegimentö. Sinmal 
ber .9KangeI an Haltung nac^ aufeen l^in, unt)ermeiblid^ für eine 
Äönig^mad^t, bie fid^ au^fd^Iiefelid^ auf ben tool^E^abenben SRittet 
ftanb ftü|te* S)er borfic^tige unb friebliebenbe König bereitete 

• 

granfeeid^ eine Demütigung nac^ ber anberen. 3m 3ntereffe be^ 
aaSettfrieben^ fc^Iug er be,n X^ron au^, ben bie Belgier feinem 
ättjeiten ©ol^ne anboten, unb au^ bemfelben ©runbe tte§ er Öftere 
rcid^ ungeftört bie itatienif c^en 9tet)otutionen unterbrüdEen , bie t)on 
bem franjöfifd^en SSoHe mit 9ted^t ate S^öd^ter ber 3uIiret)oIution 
o^fö^f^^fet mürben* @r toar aufeer ftanbe, bie Unterbriidfung be§ 
potnifd^en Slufftanbeö unb bie Übergabe SBarfd^au^, bk in 
granfreic^ eine förmlid^e SBoH^trauer l^erborrief, ju O^inbem. 
2)a§ Sanb öerlor aU Orofemad^t mit jebem. Siage mel^r an 
Slnfel^en unb ©etoid^t ^ierju !am, bafe e§ nad^ innen ber 
9flegierung in ebenfo l^ol^em ®rabe an SBürbe fel^Ite. ®ie un- 
aufl^örlid^en ®elbforberungen be^ König^l^aufeg , bie tjon ben 
Kammern faft immer abgemiefen tourben, mad^ten ben ^^einlic^ften 
Sinbrud 

Subtoig 5ßl^ilipp mar einen 3lugenblidf |)0|)ulär getoejen, mar 
afö ber ©otbat t)on SBalm^ unb ^tma^ppt^, ber ßoi Citoyen, al§ 



8 Die romatttifi^e 3d)ttle in irankteid). 



öormaligcr berbannter ©d^ullel^rcr, ben fiafa^cttc felbft „bk 6efte 
Siepublif" genannt l^atte, mit SrtDartungen unb ©^mpatl^ien ht^ 
grillt toorbcn- Slber er l^atte bie ®a6e nid^t, ftd^ bie aSoIfögunft 
ju erl^alten, tt)ie eifrig er fid^ aud^ anfangt barum bemül^te. @r 
toar ein begabter, befonber^ ein Hugcr SKann, Sr filierte ein 
fd^öneg gamilienleben, toax l^änSlid^ unb orbnung^Iiebenb* ©eine 
Söl^ne befud^ten bie offentlid^en ©deuten. @r felbft ging täglid^, 
ol^ne SSegleiter, im bürgerlid^en Siod, ben berül^mten Siegenf d^irm 
in ber ^anb, bnxä) bie ©trafen bon ^ari^, immer bereit, ein 
„^oci) bem Äönig!" mit einem freunblid^en SBort ober einem l^änbe^ 
bmdf JU betol^nen. Slber bie fleinbürgerlic^en 2;ugenben, bie er an 
beu2;ag legte, finb nic^t bie, meldte bie grau jofen an igren^err* 
fd^ern lieben. 3)ag SBort „SBir tooHen einen Äönig l^aben, ber ju 
^ferbe fi|t", ba§ feiner 3«it bem 5ßobagriften Subtoig XVIII. ent^ 
gegengefi^Ieubert tourbe, bejeii^net ba^ ©efül^I, ba§ beitrug, ßubtoig 
"^^iiipp JU fturjen. 

Unb toenn er ju $ßferbe fa§, nal^m er fid^.nid^t gut axk^, 3llö 
er im 3uni 1832 nad^ einem ber unjä^ligen ^utfd^e in $ßariä ben 
Setagerung^juftanb erflärt l^atte unb über 50,000 SRationoIgarbiften 
unb 2inientru))pen, bie auf ben 93ouIet)arb§ ®palm bitbeten, Sieöue 
l^ielt, ritt ber Äönig nic^t in ber SÄitte ber ©trajse, fonbern an 
ber redeten Seite, n)o bie Slationalgarben ftanben, unb ben ganjen' 
SBeg entlang tag er feitttJärt^ öom $ßferbe l^erabgebeugt, um fo 
t)ieten toie möglid^ bie §anb jU brüdEen; ate er jmei ©tunben f^^ätcr 
begfetten SBege^ jurüdf eierte , ritt er an ber linfen ©eite, too er 
mit ben ßinientrup))en bagfelbe SÄanöber fortfe^te. ®abei läd^efte 
er beftänbig ; ber breiedßge §ut, ber i^m tief in bie ©tirne gebrüdft 
fa§, gab i^m ein unglüdEIid^e^ Sluöfel^en. @r bat gleid^f am mit 
ben Singen um SBerjeil^ung, ba^ er fie alte in Selagerung^* 
juftanb erflärt l^atte. SBetd^ ein 3lnblidf für eine erregbare, ))^an= 
tafiereid^e S3et)ölferung! für eine Seöölferung, bereu ältere^ ®e* 
fd^led^t 9lapoteon 8ona|)arte „mit feinem marmornen ©äfargefi^te. 



Der polittf^e 3l|tnter$tttttb. 9 



feinen unbettjegten Singen nnb feinen unnahbaren ^errfc^erl^änben" 
l^atte t)or6eireiten feigen, ^ 

%xo^ ber ^^apularitätöjagb be§ Äönig^ war ber ©d^Innb 
ätoifd^en feinem ^of nnb bem SSolfe nid^t tneniger tief, atö er 
jtpifd^en biefem unb bem. patriard^alifd^en Königtum ber Steftau^ 
rotion^jeit getoefen tnar* S)er alte Abel l^ielt fid^ entfernt t)on 
bem neuen ^ofe unb bie ©tänbe fonberten fid^ öon einanber ab; 
bie ®runbBefi|er fallen mit Untoillen nnb ^a§, tnie bie Sörfen* 
fürften bie SRad^t an *fid^ riffen; Segitimiften unb bürgerlid^e £)ptu 
maten , 5ßpfitifer unb Äünftler l^örten auf mit einanber ju öer* 
feieren* S)ie (Salons ber Sleftauratidn^jeit fd^toffen fic^ einer nad^ 

m 

htm anbereu- ®amit öerfd^toanb aud^ bie ariftofrotifd^e ^eiterfeit 
unb SRatürfid^feit. Sh^^^^ ^^^ ^^^ ölten Sl^gime tDurben bie ele=^ 
gante ©rofeejiftenj, bie grajiöfe griöolität, ,,bie burd^ 2lnmut ge^ 
milberte ß'ebl^aftigfeit unb ÄedEl^eit" ber öomel^men S)ame begraben. 
Sin il^re ©teile trat in ben reichen Söanfierfreifen, bie baö Königs* 
l^auS ^protegierte unb bie ber Äron^^rinj t)or feiner SBermäl^tung 
befuc^te, ber englifc^e @))ort unb ba§ Älubtoefen, vereint mit einer 
|)lum^en Steigung ju materiellen ®enüffen unb gefd^madElofem 
2npx^.? ®er Sönig ttjar urfprünglid^ SBoltairianer getnefen unb 
f)aitt in feinen gamitienöerbinbungen jum ?ßroteftanti^mu§ geneigt; 
aber beforgt für feinen Xl^ron toie er toax, fd^lug er fd^neU um, 
bemütigte fic^ (übrigen^ öergeblid^), um ben @c^u| ber ©eifttic^feit 
JU getoinnen, unb balb tnurbe ber Sion be^ ^ofe^ beöot ®ie 
^eud^elei, toeld^e bie öornel^me, reaftionäre Sitteratur gef örbert l^atte, 
fing an, fid^ in ber Sourgeoifie ju verbreiten; „ber Unglaube be= 
gann ttjenigften§ bei grauen für eine ®efd^madElofigfeil ju gelten,'' 
S)ie Sitten erl^ielten ein mel^r englifd^eg ©e^jräge, würben äufeerlid^ 



* {^in ^vi^hxud bon ^cinrid^ ^Int, ber aU Sufd^aucr ber 6cenc bct= 
njol^ttte, fic gcfd^ilbcrt unb ben SBergleid^ angefteUt l^at. ^einrid^ ^cine: 
(Bäntmtlid^e 3B?rfc. VIII, @. 325. 

^ ^illebranb: ©efd^id^tc granfrcid^g. n, @. 20ff, 



10 



IHt mmatifdie ^dfalf in fmaktrüli. 



ftrenger, iimerlic^ ro^er. Sa§ Urteil ber @efellf(^aft tourbe bm 
^nftgriffen be§ SKiQionarS gegenüber tolerant unb ben SSerirrungen 
beS toeibfu^ iperjenS gegenüber p^arifäifc^. ^^bourg 3t ^onor^, 
ba§ JinanjOiertel, gab ben Jon an. 

$ein äBunber, ba% ber Stegenfc^irm batb ba^ Symbol biefe^ 
Königtums unb ba§ äBort Juste-milieo, baS Subtoig. $^Ui^p ein^ 
mal ntc^t o^ne ^tn^ett t)on ber entjnfc^Iagenben 93a^n gebrauch 
^atte, ber Spi|name für aße§ Sc^toac^e, Unenergifc^e, für eine 
SRac^t ol^ne ©lanj unb SBürbe toarb. 

%a)]m toir alfo unter SSorfte^enbem ba§ SJecennünn öon 1830 
in^ 2fuge, fo erfennen totr leicht, ba§ e^, äft^etifc^ beobad^tet, troft* 
Io§ erfc^etnen nm§te. 



IL 



3luf biefent ^lintergrunbe t)on ®rou in ®rau, geBitbet au§ bcn 
^ttcn bcr 9leftauration§jeit unb . ben ©d^irmen be§ Sulifönigtumg, 
in biefer ©efeEfd^aft, mo bie Sci(}italtttac^t, ftarf tt)ie ^erfulc^, 
fd^on neugeboren, fd^on in ber SBiege bie ganje äußere 9iomantif 
beg Sei&en§ erftidft l^atte, auf. biefer Sü^ne, über meldte ein un^ 
fid^tbarer ginger mit grauen SSuc^ftaben ba^ SBort „Juste-milieu" 
gefd^riebenj^atte, tritt je^t eine ftammenbe, leuc^tenbe, ^^oltembe, 
bie Seibenfd^aft unb ba^ Scharlachrote anbetenbe Sitteratur 'l^eröor, 
SlHe Sebittgungen ttjaren ja Vereint, um bie bid^terifc^en unb fünfte 
lerifd^en Sfiegungen julltger unrul^iger ®emüter mit ©eioalt in ro- 
mantifd^e (Schwärmerei, in glül^enbe SBerad^tung ber öffentlid^en 
äJieinung, in bie SBergötterung ber ungeregelten Seibenfd^aft unb 
ber ungebunbenen (Genialität l^injutreiben. 

©er.^afe gegen ben Sourgeoi^ tourbe, toie in ©eutfd^Ianb ein 
SKenfd^enatter frül^er ber ^eg^ruf gegen ben 5ßl^ilifter, ba§ ge:= 
meinfdme gelbgefd^rei. Slber toäl^renb bag SBort 5ßl^ilifter ben 
©ebanfen an bie DfenedEe unb bie 5ßfeife l^eröorruft, f^^ielt Sour^ 
geoig auf bie abfolute ^errfd^aft ber öfonomifc^en 3ntereffen an* 
S)urd^ ben naturgemäßen ®egenf a| jur 9iü|lid^!eit?Ie^re unb jur 
5ßIutofratie em:pfing . bie geiftige (Strömung, in b€n fd^on entpor^ 
gefommenen ünb nod^ mel^r in ben feimenben S^atenten eine 
©d^toenfung in bie |)rinji|)ielle D^3|)öfition gegen -aüe^ Seftel^enbe 
unb ©etoo^nl^eitgmößige l^inein unb jugleid^ eine heftige* görberung^ 
2)ie ^Religion ber ßunft, ber greil^eit in ber ^nft, ergriff |)Iö|«« 



12 X)ie romantifäie Sd^le in iraitktet4|. 



üd) aüt §crjen, ®ie Äimft war ba§ ^öc^ftc, ba§ ©tnjige, bag 
ßic^t unb btc 'flammt, i^rc ©d^önl^cit unb ^^n^cit aUcin gab 
bcm Sc6cn S93ert. 

3)ie jungen Scutc l^atten in il^rer Äinb^cit öon bcn großen 
SJcgcbcn^cttcn ber Sftcöolution gehört, ba^ ^aifcrtum erlebt unb 
tparen ©ö^ne ber gelben ober ber Dpf er, 3$re äRütter Ratten fie 
in einer genjaltig betoegten ßdt jtoifd^en jtpei ©c^Iac^ten empfangen, 
unb ber Äanonenbonner ^atte il^r ©intreten in bic S33elt begrübt 
@o gefc^a^ e^, ba^ für bie angel^enben Sänger ber 2)i(^tung unb 
ber 9RaIerei e§ bamafe nur jujeierlei Slrten öon äRenf d^n gab, 
bie f(ammenben unb bie grauen. (Sie träumten öon einer Äunft, 
bie ba^ S3(ut, btn $ur|)ur, ba^ ßid^t, bie Senjegung, bie Äül^nl^eit 
vertreten fottte, fie üerfd^mäl^ten aufö 2;ieffte bie bi^l^erige forrefte 
unb farblofe Sitteratur unb Äunft. • %üt^ um fie l^er in ber jeit- 
genöffifc^en SBeft fd^ien i^nen un^joetifd^, utititarifd^, genieöerlaffen; 
fie tooQten biefer ©egenmart il^rc ®eringfci^ä|ung jeigen unb feier- 
ten il^r ben SiüdEen, um fo nad^brüdlid^ toie möglitJ^ i^re 83ett)un* 
•berung beg ®enie§ unb il^ren §a§ gegen bie •Kegel, bie Sinförmig^^ 
feit unb bie ©piepürgerlid^feit an ben Za% ju legen, ®enn aß bie 
bürgerlid^e ©efeKfd^aft bie SRad^t ergriff, toar jum erftenmal in 
ber SSäeltgefd^id^te bie ©^jiepürgerlid^feit eine äRad^t geworben. 

SSon bcm ©tanbpunfte unferer S^age gefeiten, fd^einf eg, afö 
ob bie 3ugenb bamafö jünger getoefen, afö bie 3ugenb getoö^uKd^ 
ju fein pflegt, reid^er, frifd^er, glül^enber, afe ob fie mel^r -geuer 
in bem Stute gel^abt f)abt ^ä) benfe mir eg fo, ba% ba^ junge 
&t\d)kä)t, tpeld^e^ toäl^renb ber Siebolution ben fojialen unb poIi== 
tifd^en 3^P^^^ granfreid^g umgeftaltet l^atte unb in biefem 93eruf 
aufging, unb ba§ toä^renb be^ ^aifertum^ auf allen ©d^tad^t:« 
felbem in granfreic^. Stauen, ^eutfd^Ianb, 9lu§Ianb, Stg^pten 
fein Seben auf ^ Spiel gefegt ^atte, je^t mit berfelben S3egeifterung 
unb ßeibenfd^aft fid^ auf Sitteratur, 5ßoefie unb bie bilbenben Äünfte 
tparf: Slud^ bort toaren Umtoäljungen au^juüben, ©iege unb Sanb 



Die (Senetation oon 1830. 13 



ju getoinncn. SBäl^rcttb bcr JReöolutton f)attt bie ^nQtvh für %xtu 
l^cit \mb ©Ictd^l^cit gefd^tüämtt, unter SRdpolcon bcn ^tcg^rul^m 
angebetet, jefet vergötterte fte bie Äitnft 

3um erftenmal toirb in granfreid^ bo§ SBort ^nft, t)on ber 
fd^önen Sitteratur gebrandet, eine ftel^enbe SSejeid^nung. 3n bem 
ad^tjel^nten Sa^rl^unbert l^atte bie Sitt^ratur geftrebt, fid^ afö ?ßl^iIo* 
fopl^ie ju formen unb ju geftatten, unb biefe ^Benennung fa^te toeit 
mel^r in fid^, alö man l^utjutage unter bem SRamen ^ßl^itofopl^ie 
öerftel^t 3e|t ftrebte bie ganje Sitteratur nad^ ber SBürbe unb 
bem 9lamen ber* Sunft 

®ieg berul^te bar auf, bafe bie abftrafte unb räfonnierenbe 
©eiftegric^tung, bie jur Qtit beg ^affiji?mu§ in bem S)en!en »ie 
in bem ©d^affen l^ert^ortritt, im neuen Söl^rl^unbert langf am einer 
SBorliebe für bie Äonfeetion, für ba^ ©innßd^^Slnfd^aufid^e getoid^en 
toar. S)iefe neue SSorliebe berul^te aber tiefer toieber barauf, ba§ 
man bie SRatur, bie primitive, unbetoufete, öottMmlid^ef nod^ nid^t 
jiöilifierte 9?atur, btm jiöilifierten ®eifte§Ieben öorjog* SBe^toegen? 
SBeil ein naturtoiffenfd^aftlid^ unb l^iftorifd^ gefinnteö 3^itatter 
einem rationaliftifd^en gefolgt toax. 9Ran münfd^te nid^t 5ß]^iIofopl^ 
ju ^eifeen, benn man fal^ e§ für etnja^ ^ö^ereö an, ein urfprüng* 
lid^eg SRaturell ju l^aben, aU ein bett)u|ter Genfer ju fein* 3Kan 
öcrfd^mäl^te bie |)oetifd^e Siteratur be§ vorigen, \a fogar beö fieb== 
jel^nten 3ö^tl^unbert§, meil fie rationett toar, blutlos unb gefd^madf^^ 
öott, in ^inblid auf ©itte unb 9tegel gemad^t, nic^t getoorben unb 
gett)a(^fen erfd^ien* 

6g öerftanb fid^ t)on felbft, bafe ein (Sefd^Ied^t, loeld^e^ ben 
fjelbjug nad^ 9tu§Ianb l^inter fid^ l^atte, fid^ nic^t befonber^ für 
bie feit ben 3^iten SubtoigS XV. uuDeränberte (£tiquette be^ fran= 
jöfif^en 2;rauerfpiel§ ju intereffieren öermod^te; aber an unb für 
fid^ fd^on mufete ber 3ugenb bie neue Sluffaffung ber ?ßoefie 
?lbfd^eu gegen Sftegetn unb afabemifd^e ®runbfä|e einflößen- S)enn 
toie fonnte bie ^unft als 5ßrobuft eines unbetou§ten, öon gel^eimnife^ 



14 Bif T— «rtff^f S^mle m fmkrrt^ 

* 

wüm 9tatitrgefe|en be^errfc^ten ^cxt}odnia%ai» äitBoren Siegeln 
luüeiivuiien fcnt: 

Sitte Semegitttg; bte an bie Stettaiffotice eritmert, ^e bit 
@etttüter gepacft. Se toox, ois ob bie Saft bie tum atmete, «etmo^ 
Seroitfc^enbe^ ^otte. 3tt jener langen 3^, nw^renb ^rottfrdc^ 
geiftig ftiU ftanb, Rotten bie großen 9!ac^6art)öIIer, '^^eutf(^ imb 
(Sngloitber/ eS meit überholt, eilten Sorf|mtng in ber 93efreiimg 
oon aüen, ^ennnettben ^robitionen getoottnen. SKon touBte eS, 
ntan fn^Ite eS mit Demütigung, nnb biefes @efü^( gab bem neuen 
fittnftent^ufta^muS einen Stadfd. ®(eic^jeitig famen bie fremben 
jeitgenofitfc^ ober älteren, aber b\äf)Gc .imbefannten SBerfe über 
bie @renjen tntb ret)o(tierten bie iuttgen @emäter. SRon (aS 
S^efpeare nnb SBalter Scott, 939ron§ „Gorfar"' tntb „Sara* in 
Uberfe|ungen; man tierfd^lang @oet^ „SEkrt^er'' nnb ^offmannS 
„^^antaften". 

Uttb auf einmal fünften bte $f(^er ber oerfc^iebenen Mnfie 
fic^ afö 93ruber. 5Jie SRufücr infpiriertcn fi(^ .an fremben unb 
inlonbifc^ ^oefien. S^id^ter, toic §ugo, ©airtier, 3Ränm&, 33orcI, 
oerftanben ju jeic^nen unb ju malen. 9Ran (a§ @ebi(^ in ben 
?ttclicr§ ber äRalet unb Silb^aucr; ber junge Schüler in ber 35?erf = 
ftatt be§ SJetacroip ober bt§ Xft)6ria fummte bei feiner Staffelei eine 
93aQabe uon SSidor $ugo. ©injelne ber großen fremben Dichter, 
toie Scott unb SB^ron, beeinffuffen auf einmal bie Dichter (§ugo, 
Samartine, 9Kuffct), bie SKufiler (SBerfioj, ^alüot), %äkim S)aoib), 
unb bie SKaler (S^elaaoij, Xelaroc^e, %tt) Sc^cffcr)'. S)ie .fiünftler 
ftrebtcn il^r eigene^ ®ebict ju überfc^reiten, um fid^ einer Sc^tocfter^ 
fünft JU nöi^em. S)ie äßufil loirb bei SBertioj unb gÄicicn 5)aoib 
malenb, ^rogrammmufif ; bie SKalerfunft nähert fic§ biöloeilen ber 
SKuftration üon ^oefie. ^auptfäd^fid^ ift e§ aber bie Sßafcrei, 
toeld^e bie anberen Mnftc, bcfonberö bie 5ßocfie, unb jtoar ju 
i^rem SBeften, beeinflußt ®er Sicbenbe bat nid)i mel^r toie ju 
Slacineg ^üi bie ^amt feinet ^ergen^, ^, feine glamme ju frönen", 



Die (üenecation oon 1830. 15 



man forbertc |)oettfd^e SBilbcr, bie fid^ malen liefen nnb für boö 
^luge nid^t reiner Slöbfinn maren, 

3n ben toenigen Salären t)on 1829 U^ 1831 fteöt ©elacroij 
feine berül^mten ©emälbe „®er Sifd^of öon ßüttid^" unb „S)ie' 
grei^eit auf ber Jöarrif abe'^ m^, tmtdt Sluber im Dpernl^aug 
einen ©türm mit ber „Stummen öon ?ßortici'', erringt SRe^erbeer 
einen ebenfo großen ©rfolg mit „^Robert te S)iable", tt)irb SSictor 
|)ugo§ „^emani" jumerften 3Äat im X^eotre fran^aig aufgefül^rt 
unb mad^t ®uma^' „Slnton^" auf einer, anberen Saline jum erften 
3Äat fjurore. ©leid^jeitig entftanben |)ugo. in ber ?ßoefie, ©elacroij 
•in ber äRalerfunft, ©aöib b'Slngerg in ber 83ilbl^auerfunft, Serlioj 
in ber SWufü, @ainte^93eut)e unb lautier in ber ^itif, gr^b^ric 
ßemattre unb SRarie ©orbal in ber ©d^aufpidfunft, unb in ber 
au^übenben -SÄufüfunft bie jmei bämonifd^en SBirtuofen ßl^opin unb 
Si^jt SlEe toie Siner t)erfänben fie ba^ Söangelium ber SJiatur 
unb ber Seibenfc^aft, unb ring§ um fie ^erum ftel^en junge äRänner, 
bie i^nft unb 5ßo*efie auf nal^öermanbte SBeife auffaffen unb pflegen. 

Sene ©eifter ttjufeten e§ nid^t immer, bafe fie bor benSlugen 
ber 3laä)todt -eine natürlid^e Oruppe bilben tnürben. SSiele ber 
größten unter il^nen fügten fid^ il^r ßefien lang einanber fremb 
unb meinten, in öerfd^iebenem ©eifte, fogar in entgegengefe^ter 
Stid^tung ju arbeiten, @ie l^atten nid^t ganj Unred^t, benn bie 
ßJrunbabmeic^ungen unter il^nen fönnen ftar! fein* Slber bod^ 
üerbinben gemeinfame SBorjüge, SSorurteite, S^dt unb ^el^Ier fie 
ju einem ©an^en. Unb tüeit l^äufiger, al§ eg fonft bie Siegel ift, 
fül^ften bie, ttjeld^e bie Setrad^tung äufammenjuf äffen- geneigt ift, 
fic^ fd^on bei il^ren Sebjeiten innig ju einanber gebogen, unb öiele 
ber. Seften legten frül^ i^re |)änbe in bie |)änbe ber Slnberen unb 
bilbeten einen Sunb* ©el^t man ben Sßerbinbungggliebern nad^, fo 
finbet man ein Sanb, ba§ ben gaujen Srei^ jufammenl^ält 

SBenn man J^eutjutafle, fo öiele Sa^re banad^, im trocEenen 
ütterarl^iftorifd^en Sinne bie SBorte fagt: „Sie bitbeten eine Sd^ule," 



16 9ie romaiitif^e ^dinie in frankreid). 



fo fteUt man ftc^'g feiten ^htlönglic^ (ebenbig Dor %igen, n?ag e^ 
f)ti^i, ba^ in fiitteratur ober Äunft eine ©d^nle fic^ bilbet. d^ 
liegt ein ge^eimniööoUer Qanhct in einer fold^eii ©tiftnng, 3n 
ber Siegel gel^t eg fo ju: ein einjelner l^eröorragenber ®eift, ber 
lange nnBett>u^t ober ^aI6ben?u§t, jnle^t (emu^t fic^ t)on 93or^ 
urteilen jur filarl^eit bnrc^gelämpft nnb burd^ beffen (Sefic^t^frei^, 
ate 3lUe^ vorbereitet »ar, ber 93U| ber Genialität gejurft f)ai, 
\ptiä)t, wie §ügo in einer SJorrebe auf .einigen ^ofafeiten, ober 
tt)ie Slnbere in einem ®ebic§t, einer Siebe, ®eban!en au«, bie nie 
früher fo gebadet unb ^efagt n)urben,.bie öieBeic^t nur l^albtoeg« 
toa^r ober noc^ unbeutlid^ finb, bie aber bie fonberbare ©igenfd^aft 
befi|en, bie l^errfd^enben Sntereffen unb ©iteßeiten töblid^ ju öer« 
Ie|en, unb äugleid^ einem neuen ©efd^fec^t toie fiorftöne, ttne eine 
2:ottftil^nl^eit, toie eine fiofung in bie D^ren Hingen* • 

« 

Ä'aum finb biefe SSorte auSgefprod^en, fo folgt mit erftaunlid^er 
©c^ne.Higfeit toie ba§ (SebeH einer ^mit bie taufenbjfingige Slnt^ 
toort ber älteren ©eneration. Unb bann — bann fommt erft @iner, 
bann nod^ @iner, bann ein 3)ritter ju bem gfirfpred^er ber neuen 
JRid^tung unb jeigt il^m, ba^ ba^ S93ort, ba« er au^gefprod^en l^at, 
in il^m ^leifc^ unb S3Iut geworben ift ®ie, ttjeld^e nod^ fürjlici^ 
einanber ebenfo unbelannt waren, wie fie jeber für fid^ nod^ ber 
SBelt unbefannt finb, unb bie in il^rer SfoUertl^eit fid^ unglürflid^ 
fül^Iten, bie treffen ftc^ unb fpüren mit einer eigentümlid^en 85e* 
friebigung, ba§ fie fid^ berftel^en, bafe fie biefelbe @|)rad^e fpred^en, 
bie fonft unter ben 3^it9^ttöff^^ niemanb fprid^t. Sie finb fe^r 
jung, unb bod^ l^at jeber fd^on feinen ßeben^in^att, ber 6ine feine 
teuer erlauften ®enüffe, ber Slnbere feine abl^ärtenben Seiben, 
jeber fommt mit feiner ©ntrüftung, feinem S^rgeij, feinen S9ebürf* 
niffen unb Hoffnungen, unb au« biefem Scben^ftoff l^at jeber fein 
3Äa§ oon • Sutl^ufiaSmu« gefd^ö|)ft, 

S)a« eigentümlid^ graujöfifd^e bei ber Stiftung ber romantifd^en 
©d^ule ift jebod^ jweifad^: erften« ber ^ang unbegrenjt ju xfooU 



Die (Senetation oon 1830. 17 



ttcren, alten Sbcen unb formen, jingeerbtcr SÄoral uttb ©itte, 
jcgKd^cr Überlieferung einen ))rinjipiellen Ärteg ju erflären, ba^ 
ift ber öerönberungSfüd^tige revolutionäre %xki ber Siaffe — bann 
bag S5ebürfni§, fid^ in biefer D^3|)ofition eine 3lrt S)i^jip(in auf^ 
jutegen, fic^ um einen gül^rer ju fd^aren unb fogar in einer« rein 
geiftigen, nur auf inbiöibuelle Slrt ju betreibenben Slngelegenl^eit 
toie ber ^nft fid^ faft militärifc^ ju affociieren» 

Eod^ ba^ ©d^önfte bei biefer ^^ftaHifierung junger, fünft- 
(erifc^ angelegter ©eifter ju einer Sd^ule ttjar bie @d^eu, bie Sl^r^ 
furd^t, bie fie tro^ aller Äanterabfd^aft öor einanber liegten» 3eber 
toar bem 2lnberen ein SBenerabiCe, 33iefer Qvlq ift nic^t fpejififd^ 
franjöfifc^, er ift ntenfd^Iic^. 3unge |)robuftit)e ©eifter betrachten 
einanber atö etioaS SBunberboHeg, au§ bem immer neue Überrafd^* 
ungen beborftel^en fönnen, S)ie innere SBer!ftatt beg ©inen ift \a 
bem Slrtberen ein mit fieben Siegeln öerfd^loffeneS 95ud^. (£r loei^ 
ntd^t, toeld^eg SSerf ba^ näd^fte 9Ra( au§ biefer SSerfftatt ^ert)or^ 
gelten mirb, al^nt nid^t, meldte ©enüffe er üon bem Slnbeten ju 
crttjarten f)at Sie ad^ten an einanber etioaS, ba^ il^nen ^ö^er 
ftel^t atö bie 5ßerfönlid^feit unb ber in ber Sfiegel nod^ unenttoidEelte 
ßl^arafter: ba^ Talent, mit meld^em fie i^rer (Sottl^eit, ber Äunft, 
gegenüberftel^en, 

•Selten l^atte jebod^ biefe gegenfeitige SSere^rung junger unb 
reiner ®emüter — bie in SSerfaH^^^erioben il^re ^arifatur in ber 
bered^n^nben gegenfeitigen Semunberung l^at -- fo ba^ ®epräge 
öon romantifd^er Sd^toärmerei toie bei ber Generation öon 1830, 
gpft alle poetifd^en ©rjeugniffe jener 3rft bcnjeifen, ba^ ba^ junge 
©efd^led^t fid^ in btn ©efül^len ber gteunbfd^aft unb Srüberfd^aft einen 
SRaufd^ getrunfen l^atte. ®ie ©ebid^te §ugo§ an ßamartine, S5ou^ 
langer, ©ainte^Seuöe, S)at)ib- b'Slngerg — bie ©ebid^te ©autierg 
an §ugo, 3el^an bu ©eigneur, 5ßetrug 58orel — bie Oebid^te 
SRuffetg an Samartine, Sßobier u* f, xo., bie üon @ainte==83eut)e an 
• faft alle Äor^^pl^äen ber ©d^ule, bie Slrtüel t)on x^vau be ®irarbin, 

©ranbe», Smeraturge^c^. be8 19. 3a^^. V. 2 



18 IHt r— rtif^e SWt ia fraakccUi. 



bie Sebifotiimen 93a(jacd fntb Sl^ugjmt einer mtfru^tigen Setmm^ 
bening, bte ben fpnu^tDdrtCic^ 9{eib ber ^oetcn nvSft mtf^^ 
tommett (te^ 

Sie üer^errfu^ten fic^ tric^ nur, fk ^fen etnonba. Smile 
Se^ompd jetgt ^ngo ben 93eg jur poetifc^. äSe^onblnng beS 
fpanifc^ Slonutncero; (Sknttier fc^retbt bad fc^one 34tIi|Kinfonett in 
93a(jac$ ^Un grand homme de proTince ä Färis^ unb ^ilft i^ 
feine t^eatraßfc^en 8toffe brontotifieren; Sointe^JBeuöe lieft bic 
SKanuftri^ burc^ für (Seorge Scmb; fie unb äXuffet laffen ju 
einem gegebenen S^^^^ ^^ Snfpirationen fid^ an einonber ent== 
junben; ^OUximit enbüd^ t)erbinbet bie 9iea(iften 93e^(e unb Sitet 
mit bem eigentlich romontifc^ Säger. 

Xie furje 3^^, »o fie aBe fic^ begegnen, ift bie SÜitcjeit ber 
poetifd^en fiiteratur. iKic^t t)iele So^re f))äter ru^t 9lobier in feinem 
örabe, §ugo fi^t aus gronfreic^ öertniefen, auf Serfe^, 2)uraa§ 
treibt litterarifc^e Snbuftrie, @ainte==Seut)e unb ®autter »erben in 
ben ftreiS ber ^rinjeffin SRat^ilbe l^ineingeffoc^ten, 9Ririm& pro= 
fibiert bei ben 2iebe§§öfen ber Äaiferin ©ugöiie, SRuffet brütet cin= 
fam über ba§ ^bfint^glaS gebeugt unb George @anb f)ai fid^ nad^ 
Siol^ant jurfidgejogen. 

Seber für fic^ ging in reiferen Sauren ntat Sßerbinbungen ein 
unb entttJirfelte ftd^ baburd^, aber baö M^nfte unb grifd^efte, menn 
aud^ nic^t immer ba^ geinfte unb ©d^önfte, leifteten fie }u ber 
3eit, ba fie fid^ SRuc 9iotre 3)ame bc§ 6l^amp§ in jenem $aufe 
trafen, tt)o ^vlqo unb feine junge fd^öne x^xan mit i^ren 2000 
granc^ ?ßenfion §au§ l^ielten, ober in ber ®ad^ftube betrug Sorefö, 
tt)o ber fpanifd^e §emani^9KanteI be§ SBirteg bie S93anb mit einer 
©üjje t)on ^it)itia unb einer Sopie nad^ ®iorgione tl^eilte, unb too 
bie jungen Stomantücr fid^ ^alb ftel^nb, l^alb l^odEenb öerfammeftcn, 
benn ju bequemem @ife toar ber $Ia| ju eng. 

S)iefe jungen SRönner fül^Iten ftd^ ate SSertoanbte, SJerfc^toorcnc, 
unb fo erl^ieüen i^re SBerfe ein gemeinfame^ Slroma, einen 2)uft 



Die (Keneratioti tjoti 1830, 19 

tote ben, ttjeld^cn eble SBeine ^abcn, bie auö einem 3al^re ftammen, 
tDO bie S93eitterttte befonber^ öorjügüd^ geriet Unb mit biefem 
SBouquet t)Ott 1830 läfet fic^ öießeid^t fein* anbereö in unferem 
Sal^rl^unbert öergleid^en. 

äKatt fud^te unb begel^rte in allen ^nften SJruc^ mit ber 
Sonöention. 3)ie innere i^iammt foHte bie mufifalifd^en formen 
buri^gtül^en nnb befreien, bie Sinien unb Konturen öerjel^ren unb 
ia^ ®emälbe jur fJ^^^^^f^^P^^onie geftaften, enblid^ bie ®ic^t!unft 
verjüngen. 9Ran fuc^te unb begel^rte in aßen ^nften garbe, 
Seibenfd^aft unb Stil; bie garbe fo energifc^, ba| ber genialfte 
SRaler be§ Qtitaikx^, ©elacroif, bie 3^^ttung über fie öerfäumte; 
bie Seibenfd^aft fo ^eftig, bafe fi^rif unb S)rama (Sefal^r liefen, in 
lieber unb ^am))f fid^ ju verlieren; ben Stil mit einer fo abfo- 
tuten ^nftbegeifterung, bafe bei einjelnen ber Süngeren, toie ben 
beiben ®egenfä|en SÄ^rimfe unb Oautier, bie poetifd^e Humanität 
in lauter @til aufging. 

3Kan fud^te unb öer^enlid^te überaK bo§ ^ßrimitioe, ba§ Un- 
bettjufete, ba§ SSoIf gtümlid^e. SBir finb 9t^etoren getoef en ! rief man 
au§; toir ^aben nie bag Urf|)rüngfid^e unb ba^ Unlogifd^e begriffen, 
nie bm Sarbaren, nie ba^ §?oIf, nie ba^ Äinb, nie ba^ SBeib, nie 
ben ®id^ter öerftanben! 

grül^er l^atte ba^ SSoI! in ber ^oefie nur ben |)intergrunb 
gebilbet. 3n SSictor §ugo§ Dramen htttat ber tiefem^finbenbe, 
jomfd^naubenbe ^ßfebejer bie 83ül^ne. grül^er l^atte ber Sarbar toie 
ein g^anjofe be^ ad^tjel^nten Sal^rl^unbertg gef^^rod^en, Wiximk 
fteHte in Kolomba^ ©eftalt barbarifd^e ©efül^Ie in il^rer nait)en 
SBilbl^eit unb grifd^e bar. 83ei 9tacine (in Sltl^aüe) l^atte ba§ Äinb 
wie ein aRiniatur== ©rtoad^fener gefprod^en; 9lobier legte mit finb== 
lid^em ^erjen ben Äinbem unfd^ulbige SBorte in ben 9Runb. 
grül^er mar in franjöfifd^er 5ßoefie bie grau meiften^ betonet unb 
räfonnierenb toie ein 9Rann gemefen. @o bei SorneiEe, SRofiere 
unb SSoItaire, ßomeiEe l^atte ber 2;ugenb, ßr^biUon fils bem 



20 ^P romantifdie $d^vlt in irankteiiii. 



Saftcr gel^ulbigt, aber Siugcnb unb fiaftcr loarcn beibc bctoufet unb 
txtooxbtn. ®eorgc @anb fteHtc bagcgen ben angeborenen Slbel unb 
bie urfprünglid^e ®üte ebler grauenl^erjen bar. SJiabame be ©taet 
l^atte in „©orinna" ben überlegenen ®eift ber ^xan afö grofee^ 
fiegreid^eg Sialent öerl^enlid^t. ©eorge @anb fd^ilberte in ,,ßäia" 
ba^ toeiblid^e ®enie atö mächtige Sibylle, ^taä) ber alten 2luf= 
faffung ttjar ber ©id^ter (toie SRacine unb SRoIiere) ein ^ofmann, 
(tt)ie aSoItaire unb S3eaumarc^ai§) ein SBeltmann, ober (toie Safon= 
taine) ein guter ßer-l gett)efen. Sefet tourbe er ba^ au^gefto^cne 
©tieffinb ber Oefeßfd^aft, ber ^ol^epriefter ber SReufd^^eit, oft arm 
unb überfeinen, aber mit bem ®itm an ber Stirn unb ber gtamme 
ber S^ri! auf ber 3ii^9^; ^^^ l^rie^ il^n in feinen Siebem ate 
ben l^irten ber 3JöIfer, unb be SBign^ fteHte i^n in „©tello" unb 
„Sl^atterton" atö ba^ fubfime Äinb bar, ' bag lieber öor junger 
ftirbt, atö ba§ e^ burd^ getoöl^nfidne 3lrl6eit feine 9Rufe emiebrigt, 
ba^ aber nod^ im 2;obe bie SÄeufd^l^eit fegnet, bie e§ gu fpät erlennt 



III. 

3)cr SRomanti^mug toax t)on Stnfang an ein lofaler 93efrciung§== 
fricg. 2Ran fd^toärmtc für ba^ SKittelaÜcr, tocId^cS öon bem ad)U 
jel^ntcn ^al^rl^unbcrt in bcn 93ann bcr Äultur crHärt toorbcn ttjar, 
unb für bic ©id^ter bc^ fcd^^äcl^ntcn Sal^rl^unbcrtö , 9ionfarb, 
bu ScHa^ u. f, tt)., ttjcld^c bag ftaffifd^c ^^italtcr Subtoigg XIV. 
t)crbröngt l^atte» 2tn @teßc bcffcn, toaS frül^er bcn ©tolj be§ fran^ 
jöftfd^cn ©d^riftftclfcrg au^gcmad^t l^atte: ba§ SBetou^tfcin, ein 
^ronjofe ju fein, trat nun, in einer natürlid^en 9ieaftion, eine 
tiefgreifenbe Oeringfd^ä^ung ber nationalen S)icl^tung unb il^rer 
Älaffifer, ®in nid^t gerabe öerftänbiger ©turmlauf gegen 9iacine 
fanb ftatt. 9Kan befinierte bie flaffifd^e Sitteratur afe Sitteratur 
für bie ©d^utflaffen. SSictor .^ugo, bem e§ bod^ fonft nid^t an 
Jlationalftülä fel^Ite, rief in ber SSorrebe j'u feinen ,, Orientalen" 
an^: „®ie anberen SSöffer fagen: |)omer, 2)ante, ©l^afefpeare. SBir 
fagen: »oileau," Sn 93et|Ieg SKunb toar ba^ SBort „franjöfifd^" 
faft ein ©d^impfnjort; er -toollte nid^t franjöfifd^ fein, liebte unb 
öertjerrlid^te nur Italien unb forberte, ba% man auf feinen ®rab= 
ftein, obfd^on bie§ eine Untoal^rl^eit, ju feinem SRamen ba^ SBort 
„SKitanefe" fe^en fotte, Stauen unb Spanien toaren überl^aupt 
für bie angel^enben 3tomantifer bie getobten ßänber. 

®ö l^atte ben 9Kännern ber erfterbenben flaffifd^en Sitteratur 
in granfreid^ an SBIid für' ba§. grembe unb bie SSorjeit gefel^It; 
afö Slaffifer l^atte man feinen etl^nograpl^ifd^en unb feinen gefd^id^t* 
fidlen Sinn. SJian toar jute^t in Slbftraftion unb Äonüenienj fo 



22 Sie mumttfdie Sdfaüt ta fntmkxttili. 

todt gefornmen, ba§ bie ^ßerfonen etneS 'DromaS tote bte i^iguren ente§ 
Sdfaäj^pitl^ iffxt beftimmte SloHe ju t^ertreten intb in üorgefc^riebener 
SBeife ft(^ ju betoegen ^attett (£§ gab einen fiönig, einen S^^ronnen, 
eine ^rii^efftn, einen SSerfc^lDorenen ober SSertrouten int allgemeinen. 
Cb bie Königin, bie i^en @ema^( getötet ^atte, eenrironriS, Slt)^ 
tomneftra, So^anna wn yitaptl ober SKaria Stuart ^ie^, ob ber 
®efe|geber SRinoö ober ^eter ber ©ro^e ober 6ronm>eQ genannt 
nmrbe, i^re SBorte unb ipanbümgen, ©ebanfen nnb ©efü^Ie toaren 
innner biefelben. 6in junger S^id^ter, ber au§ ber fpanifd^en ®t- 
)dfidftt Unat @toff entlehnt ^atte unb bem bie ßenfur @^tt)ierig* 
feiten bereitete, fanb ben Stu^loeg, mit einem ^^berftric^ bie ^caä>^ 
(ung au§ fSaxctUma nad) 93ab^ton, unb auS bem fec^Sje^nten 
Sal^r^unbert in bie Qtü ber Sfinbflut jU öerlegen, ba „Babylone" 
fi(^ auf biefdben SBorte reimte unb bicfelbe Sübengal^I l^atte, mie 
,fi3ice\on&\ fo ba§ in ben fc^önften Siraben faft nid^t^ ju änbem 
ttjar.^ ®er ?lbtoec^fcIung teiDen Iic§ ein anberer 2)id^ter in einer 
Jragobie ,,6oIumbu§'' bie SBül^ne ba§ Serberf eine§ Sd^iffeg in 
immer neuen Umgebungen barfteÖen, unb — bie Siegel ber Sinl^eit 
bc§ Sftaumeg ttjar gerettet 

35te franjöfifc^c Slomantif toar nun ein SanH)f gegen bie 
tl^öric^te flaffifc^e S3etrad^tung einer gettJtffcn Stnjal^I grojjcr @d^rift= 
fteHer atö bicibenber ,,3Rufter", gegen baS uned^tc Slntififieren, bie 
ftcife SBcl^anbtung ber SKefanbriner, ba^ Sod^ ber Sirabition, ha^ 
ganje c^ineftf d^e gormctocfen, au§ ttjcld^em ber franjöfifd^e ©efd^madE 
toä^renb be§ Saifcrrcid^cö jufammengefc|t ttjar. ®cr ipoftraucr ber 
regulären 2^ragöbtc fteHtc fie bie tragifd^c SBilbl^eit ©l^afefpearc^ 
gegenüber/ SBic frütjcr Scffing unb ©d^legcl in ©cutfd^Ianb, Eole- 
ribge unb. Äeat§ in (Snglanb, f od^t man gegen ba^ SRijsöerftänbni^ 
ber Slriftotelifd^cn Seigre üon ben brei (Sinl^citen, gegen bie auf ber 
Sül^ne etDtge gamific Slgamemnottg unb gegen ba^ langtoeilige unb 



* ®uijot: Shakespeare et son temps. 6. 294. 



Der Homantlemiw. 23 



einförmige 3Robemifiercn .unb ©aHificren aller S^itaÜtx unb SSötfer, 
9Kon fül^Ite, baj3 man in einem SSorurteil üerftrirft genjefen, too- 
nad^ ein 9Kenfd^ ol^ne toeitcre^ ein 9Kenfcl^ unb ber 9Kenfci^ im 
allgemeinen mel^r ober toeniger ein g^anjofe toäre, 9Ran fal^ ba^ 
3rrtümtid^e biefer Slnfid^t ein» ®ö gäbe feine ÜÄenfd^l^eit im a{lge=^ 
meinen ju fd^ilbem» @§ gäbe 9iaffen unb Stämme, SSößer unb 
Slane. 9iod^ weniger fei ber granjofe ber Uniüerfatmenfd^. @^ 
gette; aus fid^ ^erauSjugel^en, um bie ÜÄeufd^entoelt ju üerftel^en 
unb barjufteHen» 9Kit biefer ßofung toar ber ©tofe ju ber ganjen 
Sunft, ^iti! unb ©efd^id^tfd^reibung granfreid^S in biefem ^af)x^ 
l^unbert gegeben» 

3u ber Qtxtf tüo ba§ fd^arfe Söronseprofit äK^rimfe'S auS ber 
®ruppe ber 9iomanti!er l^erüortaud^t, toirb bie ßofung: fiofalfarbe! 
au§gef))rod^en, unb unter ber ßofalfarbe üerftanb man aß' ba^ btn 
fremben SSöflerfd^aften , ben fernen SditUf ben unbefannten ^lU 
maten ©igentümtid^e, baS big je^t nod^ nid^t, ober bod^ nur hti 
ben SSorläufem ber 9iomanti!er, toie ©aint=5ßierre unb ßl^ateau^ 
brianb, in franjöfifd^er $ßoefie ju SBorte gefommen toar» ®ie fenti^ 
mentalen Surfen, bie man in bem vorigen Sa^rl^unbert gejeid^net 
^atte, ftagten über Stmor, ber „^unbertmcü me^r 2^ürfe" fei afö fie» 
®er inbifd^e ^ßarial^ in bem 2)rama 2)elat)igne§ toar nur ba^ ab* 
ftrafte ©^mbol einer unterbrüdften Slaffe» äWan fing je^t an, bie 
fremben naiüeren fiitteraturen ju betounbem unb ba^ barbarifd^fte 
SSoIfglieb über bie ben 9fiegetn entfpred^enbfte 2^ragöbie ju fe^en. 

Unb je^t üerfud^te man, baS 5ßublifum für biefen neuen &t^ 
fid^tgpunft JU erjielien. äWan fd^rieb nid^t, um bem ^ßublifum ju 
gefallen; unb ba§ ift eS, toaS ben 93üd^ern biefer 5ßeriobe il^ren 
SBert giebt 2)enn ba^ ftetjt feft: fobalb ber ©d^riftfteHer nid^t 
ju ben tiefften ©d^id^ten ber menfd^üd^en Seele l^inuntergeftiegen 
ift, fein SBerf nid^t rüdfid^tSloS ju fd^reiben getoagt, fonbern fein 
^ubUfum um 9lat gefragt, fid^ nad^ btn SSorurteilen, ber Untoiffen* 
^eit, ber Untoal^r^aftigfeit feinet ^ßublifumS gerid^tet ^at, fo !anu 



24 Ilie roinantif(i)e ^(i)uie in iFtanhteid). 



er iic l^öd^ftc Slncrfcnnung bei feinen S^^Ö^i^^^ff^^ gefnnben l^aben — 
unb er j^at fie in ber Siegel gefunben —, fann Sorbeeren unb ®otb 
gewonnen l^aben — für bie ßitteroturgefd^id^te bleibt fein SBer! 
mxtlo^. Slöe jene 5ßrobnfte einer SSemunftel^e beö ©d^riftftetter^ 
mit bem 5ßubtifum finb ein 9Kenfd^enaIter fpäter falt toie Seid^en, 
Sie entj^ielten feine toirffid^e (Summe öon Sebenöfraft, nur gurd^t^ 
famfeit einem 5ßub(ifum gegenüber, ba§ längft au^geftorben ift, 
unb 93erüdffid^tigung üon Slnfprüd^en, bit längft üerftummt finb. 
Sebe§ nod^ fo toenig gelefene 93ud^ bagegen, in toetdöem • ber SSer* 
f äff er ol^ne 9?ebenrüdffid^ten fo gefprod^en, toie er fül^Ite, unb fo 
gematt f)at, toie er ^af), ift unb bleibt eine inl^attfd^toere Urfunbe. 
9Kan fage nid^t, ba^ biefe SSerurteilung ber t)on bem $ßubfihim 
beftimmten S)id^tung fid^ mit ber 9iad^toeifung be^ entfd^eibcnben 
©inftuffeg ber fojioten Umgebung auf ben ©d^riftfteHer nid^t der* 
einigen lä^t. S)er ©d^riftfteßer fann fid^ ganj getoi^ nid^t au^er- 

l^alb feinet 3^itoÖ^^^ ftetten. Slber bie 3^i^f^ö^i^^9 if* ^^^^ 
einfad^, fie ift boppett; e^ giebt l^ier einen Dber- unb Unterftrom. 
9?ur t)on bem erfteren fid^ treiben ju taffen; ift ©d^toäd^e unb 
füfirt ing SSerberben. 9Kit anberen SBorten: e§ giebt ju jeber 3rit 
l^errfd^enbe unb bettebte 3been unb formen, bie nid^ts finb.al^ 
bie längft gejogenen, nad^ unb nad^ öerfnöd^erten 9iefuttate frül^erer 
Reiten, unb e^ giebt eine ganj anbere Staffe öon Sntpulfen, bie 
nod^ nid^t gorm getoonnen l^aben, aber in ber fiuf t liegen, unb bie 
öon itn begabteften ©d^riftftettern einer ^poä)t afe bie ju giel^enben 
Siefuttate empfunben toerben. S)iefe finb eg, bie ba^ öereinigenbe 
©lement ber Söeftrebungen bilben. 

Sm Saläre 1827 gaftierten engtifd^e ©d^aufpieler in 5ßariS, 
unb jum erftenmat fallen bie granjofen bie 9Keiftem)erfe ©l^afe* 
fpeareg „SJönigSear", ,,aKacbet]^", „Dtfieöo", ,,^amlet" bettjunbernö^ 
toert aufgefül^rt. Unter bem (Sinbrudf biefer St^eaterabenbe fd^rieb 
SSictor |)ugo feine SSorrebe ju „©romttjed", bie al^ ba§ $ßrogramm 
ber neuen Öitteratur aufgefaßt tourbe. 



Die Homantiket. 25 



35er poetifd^e grei^eitsfrtcg begann mit einem ©turmlauf gegen 
bie ttaffifd^^franjöfifd^e Xragöbie, ben fd^toäd^ften unb ant meiften 
aufgefegten ?ßunft ber litterären 2^rabitionen. %vix ben, ber bie* 
Eingriffe Seffingg, SBill^elm ©d^tegete unb ber englifd^en Slomantif^r 
auf bie Slutorität berfetten fennt, bietet ba§ äWanifeft SSictor ^ugoö 
toenig 9ieue§, @g njar ja aber natürtidiertoeife eine öerbienftlid^e 
§anblung, biefen ^anipf auf granfreid^g eigenem ®runb unb SBoben 
ju fül^ren. 

83etrad^tet man jebod^ biefe SSorrebe nid^t gefd^id^tlid^, fo tuerben 
bie ^aftanftrengungen, bie gemad^t tourben, um ju betoeifen, toie 
unnatärlid^ bie 95efd^rän!ung ber bramatifd^en ^anblung auf eine 
unb biefelbe ©äulenl^alle unb eine Stxi öon öierunbjtoanjig ©tunben 
fei, btm Sefer unferer Sage faft fo unintereffant fd^einen toie bie 
befäm|)ften Slbfurbitäten; man barf aber nid^t üergeffen, ba^ bie 
Slutorität 93oiIeau§ in gi^anfreid^ nod^ unerfd^üttert baftanb, 

SBeit gröfeereg pf^d^otogifd^eS 3ntereffe bieten bie 5ßartien bar, 
njo §ugo feine perföntid^e 5ßoetif enttt)idett, obgteid^ er fo fel^r 
S)id^ter unb fo toenig S)en!er ift, ba§ er nur feiten einen befrie* 
bigenben Setoei^ fül^rt, 

®g gift für il^n, bit abftrafte, antififierenbe SRid^tung in ber 
Sragöbte ju befäntpfen. @r tl^ut bie^ fonberbar genug im 9iamen 
be^ Sl^riftentumg unb fraft einer großen toeltgefd^id^tlid^en Über* 
fid^t, bie f^ftematifci^ eben fo falfd^ ift, toie irgenb eine feinet 
Seitgenoffen ©ouftn, an ben'fie erinnert» 6r fonbert brei gro^e 
5|Jerioben: bie primitive, n)0 bie ?ßoefie l^rifd^ toar; biejenige ber 
antifen ©iüififation, too bie 5ßoefie epifd^ toar, unb biejenige beg 
ßl^riftentumö — bie 5ßeriobe be^ ®rama§.. 3)a§ für bie ^oefie 
ber d^rifttid^en Q^it, toeld^e mit ber mobemen 3^^ inbentifijiert 
toirb, (Sigentümlid^e foll folgenbe^ fein: biefe S)id^tung§art, ineld^e 
öon ber Sleligion gelernt l^at, ba% ber 9Kenfd^ au§ jtoei 93eftanb:= 
teilen, Körper unb ©eele, auö einem tierifd^en unb einem geiftigen 
SSefen beftel^e, nimmt üon nun an bie beiben üorlier einanber. 



26 Ilie tomantifdie 3ii)ttie in itankteid). 



au§f d^Iicfecttbcn (SIctncittc, ba^ ©r^abcnc, bag ber Seele, ba^ ®roteS!e, 
ba^ bem . Äörper cntfprid^t, in ein unb ba^fettc SBerf anf» S)te 
Xragöbie brandet alfo nid^t immer feieriid^ jn fein, fie borf ftd^. 
jnm 2)rama erttjeitem- 

SRel^men toxx nun toeniger ?Rürffici^t auf ba§, toai ipugo fagt, 
atö barauf, toa^ er eigentfid^ fagen toitt, fo ift ber Äem biefer 
jiemUd^ tl^örid^ten Slu^einanberfe^ung ein naturatiftifd^er ^roteft 
gegen baS abftraft ©d^öne atö einjigen ober b^d^ eigentlid^cn 
©egenftanb ber ^nfi S)er Sinn ift: SBir tooßen bie Äonöenienj 
üerlaffen, toir tooHen nid^t öerpflid^tet fein, an^ ber emften 5ßoefie 
aUeö ber ^öxptxtotlt Slngeljörenbe ju entfernen. SRan f))ürt e§ an 
feinen SBeifpielen. Der 9iid^ter foö fagen bürfen: 3^^^ ^^be öcr^ 
urteilt — unb nun ju Xifd^e! 2)ie Königin ©lifabet^ barf flud^en 
unb fiatein reben. ©romtoeH barf fagen: „^d) ^abe ba^ Parlament 
in meinem @ad unb ben Äönig in meiner Safd^e." Säfar barf 
in bem S^riumpl^tnagen gurd^t ^aben, umgetoorfen ju toerben. Unb 
er nennt htn @a^ 9?apo(eon^: ,,SSon bem ©rl^abenen jum fiäd^er^ 
üd^en ift nur ein ©d^ritt", ba^ Slngftgefd^rei, toeld^eg in einer 
©umme ba^ S)rama unb ba^ fieben entl)ält 

@o ejaftiert ber 2lu§brud aud^ ift, ber ©inn ift einfad^: @r 
l^ebt ben äftl^etifd^en SBert beg Unfd^önen l^eröor. Unb in öieten 
Slu^brüdfen, baib fo, ba^ ba^ ©d^öne bie gorm nur in il^ren 
einfac^ften SSerl^ältniffen atö abfolute Symmetrie umfajjt, toogegen 
ba§ |)ä§fid^e ®tkb einer öiel größeren |)armonie fei, bie ju über* 
fd^auen ttjir nid^t vermögen; balb fo, bafe ba^ ©d^öne arm fei, nur 
einen einjigen X^pu^, toä^renb ba^ |)äfelid^e taufenb l^abe u. f. tt). 

2)ie fie^re mürbe t)on ben Gegnern burd^ bie gormel: „Le laid 
c'est le beau" parobiert unb mit ben ©intoenbungen be!ämpft, bie 
l^eutjutage gegen ben ejtremen 9iaturali§mu^ geftenb gemad^t toerben. 

SBar benn biefer franjöfifd^e 9iotnantijigmu§ nid^t einfad^ ein 
leidet üerfappter 9?aturali^mu§? 3Ba§ ^ugo im 9?amen beö jungen 
©efd^Ied^tg forberte, toar ja bod^ nur 9?atur, toal^rl^eitögetreue 



Die Howantiket. 27 



SBiebcrgabe, SofatfarBc unb l^tftorifd^e %axit. ®corge ©anb ift 
ja nur bic Xod^ter StouffcauS, bc^ SSerfünbcr^ cinc§ Siaturcöan^ 
geliutng; Wliximit unb ©tenbl^at ftnb i)aii brutale, l^affitocgö 
elegante SRaturanfieter; 93atjac toirb ^eutjutage fogar atö ^anpt ber 
naturatiftifd^en ©d^ule üerel^rt, 

2)ie Stnttoort ift nid^t fd^iDer, |)ugog Sofung »ar jtoar 9iatur 
unb SBal^rlieit, tva^ er fud^te toar aber jugleid^ unb öor Slttem 
Äontrafttt)irfung , malerijd^er (Segenfa^, 2lntitl)efe auf ber ®runb== 
tage beö mittelatterlid^en S)uali§mu^ üon Seib unb ©eele unb einer 
bualiftifd^en SRomantif, ,,®er ©atamanber öerfc^önert bie Unbine, 
ber ®nom bie ©^Ip^ibe/' fagt er, @r toünfd^te SRaturtüal^rl^eit, 
aber meinte fte burd^ 3ttfcinimenätoingen ber öu^erften ©nbpunfte 
beg 9?atfirtid^en erringen ju fönnen; er brad^te ba^ Xier unb bie 
©d^önl^eit, Duafimobo unb S^meralba in einem SBerfe, ©ourti^ 
fanentum unb reine Siebe, bie 9Korbfud^t Sucretia S8orgia§ unb 
järtlid^e^ äWuttergefül^t in einem ^erjen jufammen, ®ie Statur 
tüax xfyxi — ed^t romantifd^ —- ber gro§e Slriel-ßaüban, bie 
Summe einer übermenfd^üd^en Sbealität unb eines unnatürüd^ 
tierifd^en 3Befen§, bie ©umme jtoeier Unnatur tid^feiten. ®S toar 
ber 9taturbegriff ber beutfd^=norbifd^en 9fiomantif, ber bod^ bei ^ugo 
aßmö^Iid^ bem großartigen 5ßantl^eiSmu§ toid^, ber feinen entfd^ei^ 
benben SluSbrudf in bem fd^önen unb tieffinnigen ©ebid^t „fie ©at^re" 
in ber ,,2egenbe ber Sal^rl^unberte" fanb, 

Slber bief e ^Bereinigung öon ßiebe jur 9?atur unb üon ©d^toärmerei 
für ba§ Unnatürtid^e läßt fid^ toeit l^inein in bie je^t erblül^enbe 
fiitteratur öerfotgen, Sitte btefe ©d^riftftetter greifen bie 9latur, 
3Ba§ fie aber unter ben SRamen beg (Setoöl^ntid^en, beS Sltttägtid^en, 
beS 5ßrof aif d^en , beS nur SBirflid^en fd^mätjen unb fliel^en, baS ift 
eben bie einfädle, nal^e Uegenbe SRatur, SRur bie romantifd^e ift 
i^nen lieb. SluS bem Sanbe ber l^arten SBirflid^feit entfliegt (Seorge 
@anb in ha^ 3teid^ ber fd^önen Sräume; Sl^eopl^ite ®autier in 
baS 9fieid^ ber fc^önen Äunft. ®eorge ©anb ließ in ,,2ilia", 



28 I^ie romantifdie Sdiule in irankteiil). 

SBaljac in „^m ©oriot" bcn ibcatcn ober allmächtigen ©aleeren- 
fflaöen bie ©efeUfd^aft rid^ten; ja SBaljac fd^ricb pl^antaftifd^c 
Segenben in §offmann§ Slrt* Unb toie [ie in il^ren ©eftalten baS 
&twöi)nlid)tf einfad^ SRatürüd^e fc^euen, fo nod^ toeit mel^r in bem 
fprad^Iid^en Slu^brud (S§ entoidelte fid^ eine ^jompöfe Sft^etorif, 
toeld^e biejenige ber Kaffifd^en ä^üen toeit hinter fid^ liejs- 9Kan 
ftedte ebenfo gern bem ©nbftantiö toie bem gelben einen geberbufd^ 
an ben ^nt SKalenbe, fd^toärmerifc^e .Slbjeftiüe, bie in ü6er^ 
fd^toängüd^er Saf)i toie 3utoeIen in ben ^ofaftil eingefügt tpurben, 
eröffneten jeben Stngenbtidf eine unenblid^e 5ßerf))eftit)e, Snfofem 
fann man fagen, ba§ bie 3)iftion toie bie 3beale biefer Sugenb 
romantifd^ toaren» Slber aud^ nur infofem» 

Sei ^ugo, bem Stifter ber ©d^ule, toar biefe ^oppdlkit jur 
Statur unb Unnatur burd^ eine inbiüibuelle ©igentfimlid^feit bebingt. 
©ein 9luge tvav barauf angelegt, Äontrafte ju feigen unb ju finben, 
fein ®eift fo geartet, ha% er in ber rl^etorifd^en Slntitl^efe feine 
©runbform l^atte, ©d^on in feinem im Knabenalter gefd^riebenen 
äWelobrama „Snej be ©aftro" finbet man, ttjie fpäter in feinem 
,,9)iarie Subor" auf ber einen ©eite ber SBül^ne ben 2^ron, auf 
ber anbem ha^ ©d^afptt — SJionard^ unb- ©d^arfrid^ter einanber 
Slngefid^t ju Slngefid^t gegenüber, Äurj beüor bie SSorrebe ju 
,,6romtDeII" gefd^rieben tourbe, fpajierte |)ugo, toie feine grau 
erjäl^It, l^äufig auf einem ber äußeren 93ouIet)arb§ , 93outet)arb 
9Kontparnaffe. „S)em Äirc^l^ofe gegenüber. Iiatten bamal^ ©eiltänjer 
unb (äauÄer i^re SBaradfe aufgefd^Iagen, ^ ®iefe Slntitl^efe öon 
9Karftfd^reierei unb 93egräbni§ beftörfte il^n in feiner 3bee öon 
einer Slrt ' ©d^aufpiet, in toeld^em bie ©ftreme fid^ berül^rten, unb 
bort toar e^, ba§ bet britte Slft üon „SJiarion be Sorme" i^m 
einfiel, too ber forgentjode unb öergeblid^e SSerfuc^ beg 9Karqui§ 
t)on 9?angig, feinen 93ruberfol^n t)om ©d^afotte ju retten, ba^ 
®egenftü(f ju ben iJ^a^en be§ |)of narren bilbet," Sn ber SSorrebe 
äu ©romtoett l^eifet e^ ebenfo bejeid^nenb, too |)ugo bie 9lottt)enbig^ 



J)ie Uotnontiket. 29 



feit tjcrfid^t, bic |)anblung in il^rcr ttjal^rcn Sofaütöt bar juftetteti : 
„©otttc bcr ®td^ter toagcn, 9iijjto anber^too ermotbcn ju (offen 
ate in ber Sammer SJiaria ©tnart^ ♦ . . . ober ßarl I. unb '2nb= 
toig XVI. anber^too l^injurid^ten, afö an jenen tranrigen 5ßtä|en, 
öon ttjo ans man SB]^ite=|)a{l nnb bic Suilerien fielet, ate fei il^r 
©d^afott an^erfel^en getüefen, ba§> ©egenftndf il^rer ^ßaläfte ju 
bitben/' ®er Did^ter fielet, feinen Sel^anptnngen jnm %xoi^, bie 
äußere Umgebung nid^t öerftänbnigüoö an» ®r fielet fie nid^t fo, 
löie fie bie ©nttoidfelung ber menfd^Iid^en ©eete becinffuffen; er 
nimmt fie nur aU Symbole ber ©d^idffatötoanblungen, ftellt fie 
loie Kliffen eine^ SKelobramaS gegen einanber auf. 

(Senau betrad^tet — toa^ ergiebt fid^ l^ierau^? Sine ©igen* 
tilmlid^feit, bie big ju einem gettjiffen ®rabe für gro^e (Gruppen 
t)on SBerfen be§ franjöfifd^en 9lomanti§mu§ beftimmenb ift, unb 
bie fid^ am fürjeften fo augbrüden lä^t: ®er 9lomantigmu§ auf 
franjöfifd^em ©runb unb 93oben ift, tro| feiner üielen gemeinfam 
europäifd^en romantifd^en Elemente, in üielen 3?unften eine Maffifd^e 
®rfd^einung, ein (£rjeugni§ Kaffifd^^franjöfifd^er Sfil^etorif. 

(£g gilt jebod^ t)or allem feftjufteKen, toa^ man mit ben SBor^ 
ten ,,flaffifd^" unb ,,romantifd^" meint. S)er ®ebraud^ ber S33orte 
toedjfelt fonberbar. Slfö ba§ S33ort „romantifd^" in 2)eutfd^Ianb 
auffam, l^atte e§ urfprünglid^ einen äl^nlid^en @inn toie ,,romanifd^"; 
bie SRomantüer fc^toärmten für romanifc^en Äat^oIiji§mu§, roma= 
nifd^e ©d^nörfel unb Soncetti, Sonette unb Sanjonen unb für ben 
großen romanifd^en S)id^tergeniu§ , Salberon, ben fie entbedEten. 
2tt§ bk fRomanti! ein SRenfd^enalter fpäter granfreid^ erreid^te, 
bebeutete ba^ SBort „romantifd^" faft ba^ @ntgegengefe|te, ben 
beutfd^^englifd^en ©eift im ®egenfa^ jum gried^ifd^4ateinifd^=roma= 
nifd^en, ba^ germantfd^^angetfäc^fifd^e ©epräge. 3)ieg berul^te ein^ 
fad^ barauf, ba^ ba^ grembe üBerl^aupt romantifd^ toirft. (£in 
SSoIf mit einl^eitlid^er fiultur, tt)ie bie alten ^eöenen, erl)ält eine 
Haffifd^e Sunft unb 5ßoefte; fobalb aber ein SSoIf üon feiner tultur 



30 I)i( tomantifäie ^4)uie in itankretd). 

au^ eine anbete entbedft, bie il^m fremb unb abenteuerUd^ üorfommt, 
fo tptrb biefe Äuttur ü)m romanttfd^ erfd^einen, b. f). fie tt)irft tuie 
eine burd^ ein farbige^ ©tag gefel^ene (Segenb. 2)ie Slomantifer 
in granfreid^ fd^ä^ten il^re nationalen SSorjüge, bie Slarl^eit, bie 
SSerftanbe^bnrd^fid^tigfeit il^rer Sitteratnr gering unb priefen ©oetl^c 
unb ©l^afefpeare, ttjeti fie nid^t toie 9iacine (unb jum Xl^eil 6or= 
neide) ba§ SJienfd^enteben in feine abftraften (Stemente fonberten, 
nid^t ifoüerte unb fimplifiäierte ©efül^Ie barftettten, bie brantatifd^e 
Stntitl^efen bilbeten, fonbem ba§ fieben en bloc, in. feinem ganjen 
^ontplef auf bie 93ü]^ne ttjarfen. Sie »otltten biefem großen S3ei^ 
fpiel folgen, 

Slber toag gefd^al^? 3)ie SBirftid^feit beö Seben§ tourbe unter 
il^ren §änben (bei fiamartine, be SSign^, ®eorge @anb, ©ainte^ 
93eut)e u. f. to.) aufg neue anat^firt; bei SSictor |)ugo unb Sttcjan= 
ber ®unta§ bitbeten, toie in ber Maffifd^en Sragöbie, bie ©ytreme 
f^mmetrifd^e Äontrafte. Drbnung, 9Ka§, ariftofratifd^e g^ini^cit 
eine burd^fid^tige unb bitbtofe Sprad^e beftimmte bei 9iobier, Söe^Ie, 
äJJ^rimte, ganj toie bei ben Slaffüern be^ ad^tjel^nten Sal^rl^unbert^, 
bie poetifd^e gorm. 

2)ie teid^te, freie, tuftige 5ßl^antafie, bie atle ©egenfä^e ber 
poetifd^en ©rfinbung bermifd^t, bie SBirftid^e^ unb Unmöglid^e^, 
yiai)t^ unb i5^nte§, ©egentoart unb grauet Slltertum burd^ einanber 
tjorfül^rt, bie 93Iumen after S33eltgegenben in ein Söouquet binbet, 
®ötttid^e§ unb SRenfd^tic^e^, üotfötümtid^e Segenben unb tieffinnige 
SWtegorien ju einem f^mbolifd^en ©anjen bereinigt, biefe eigentlid^ 
romantifd^e 5ßoefie tüar il^nen berttjeigert, S)en J^anj ber @tfen 
fallen fie nie unb l^örteti nie bie jarte SJietobie il^rer Steigen. Sie 
toaren ßateiner, fie f ül^tten toie Sateiner, fie bid^teten toie Sateiner ; 
unb tper lateinifd^ fagt, ber fagt flaffifd^. 

3?erfte]^t man atfo unter 3tomantit,n)ie man ju t^un pftegt, einen 
Überfd^u^ be§ Snliatt^ über bie gorm , einen üon regelmäßigen 
formen unbelierrfd^ten 3n^att (toie bei Sean 5ßaul unb SiedE , ja 



Die Hotnantihet. 31 



tote bei ©l^afefpearc unb (äoctl^c, toic in bem ,,@ommernaci^tgtraum" 
unb im jtoeitcn Zi)dl üon „S^uft"), fo finb otte bic franjöfifd^en 
SRomantifcr Slaffifer. äKfotmte, (Sautier, ®eorge ©anb, Samara 
tine, SRobier, fie alle finb in biefem ©inne Haffif d^ ; ja f ogar SSictor 
§ugo tft Haffifd^» ®a§ romantifd^e S)rama ^ugoS toar abftra* 
l^ierenb, regelmäjsig georbnet, überfd^aulid^, rl^etorifd^ toie eine %xa^ 
göbie öon SorneiHe. 

Unb inbem id^ bief en SRanten nenne, . mad^t mein (Sebanf e un== 
toillfürti(§ nnb noüoenbig ben Übergang öon bem ©epräge be^ 
3eitalter§ ju bemjenigen ber klaffe» 3n |)ugo, ber Someide ju 
befämpfen fd^eint, lebt ßorneiöe toieber auf. 

2)urd^ ben franjöfifd^en SSoßSd^arafter gelten öiele Äbern, 
eine Slber be^ ^^eifetö, be^ ©d^erjeg unb beg Spottet, bie Sinie 
ajiontaigne — Sagontaine — SRoIiere — äRatliurin 3ifgnier — 
5ßierre Söa^Ie u. f. to., eine vollblütig gaUifd^e : fRabelai^ — S)iberot 
— SSaljac, unb unter anberem aud^ eine Slber beg ^elbenmute^ unb 
ber 83egeifterung ; bie ift e§, toeld^e bei ßomeide fo reid^üd^ ftrömt 
unb toeld^e bei §ugo toieber ^erüorbrid^t. SJian öergletd^e bie 
ganje patl^etifd^e Haltung |)ugog mit berjenigen anberer S)id^ter, 
unb man toirb !aum in ber SBeltlitteratur jemanb finben, an ben 
feine ©ranbejja lebl^after erinnert, al^ an ben alten Sorneitte, 6^ 
finbet fid^ ettoa^ @))anifd^e^ in ber franjöfifd^en 9il^etori! bei il^nen 
beiben ; lateinif d^e SRaff enjüge finb il^nen gemeinf am. Qu ©omeiUeö 
3eit toar bie fpanifd^e Siteratur bie l^errfd^enbe in ©uropa, unb 
ha^ 3)rama, bem EorneiHe feinen Siul^m öerbanft, ift ,,®ib", in 
bem ein f^janifd^er Stoff in fpanifd^em Reifte bel^anbelt ift. -^ugo, 
ber feine Sünbl^eit in Spanien oerbrad^te, l^atte tiefe ©inbrüde oon 
SSotf unb Sanb empfangen, unb bag ^rarna, mit toeld^em er burd^^ 
brang, ift „^emani", fpanifd^ burd^ ben Stoff unb ben an ^aU 
beron erinnernben Sultuö ber (£^re. SBa^ in beiben S)ramen ge== 
lel^rt unb getrieben toirb, ift ber reine |)eroi^mug ; fie finb Sd^ulen 
für gelben. 9iid^t ha^ 9Kenfd^enIeben in feiner Sltlf eitigf eit , fon* 



32 ^ii toinantif(i)e i4)ttle in itankteid). 



bern bag l^croifd^c äWcnfd^ennjcfcn ift Bei ©omcille bargefteöt; bei 
|)ugo nur burd^ bie 9Kenfcl^cnnatur in il^rcr toilbcn fieibenfd^aftticl^* 
feit f^mmetrifd^ öerüottftönbigt, 

aSerfen toiv einen 93tid auf biefe^ S)rama ,,§emani", ba§ ju 
bem großen ©ntfd^eibung^fampf jtoifd^en ber (Generation üon 1830 
unb ber älteren 2lnla§ gab» S)ie anderen Umftänbe bei ber erften 
Stuffül^rung finb oft erjä^tt toorben: bafe gegen ba^ nod^ ungefpielte 
2)rama 3ntrigue auf 3ntrigue gefd^miebet mürbe; ba§ Slnl^änger 
ber atten Sd^ule toö^renb ber 5ßrobe an btn ^pren l^ord^ten unb 
nod^ betjor „^emani" gefpiett toar, eine 5ßarobie . auf fül^ren liefen; 
ba§ ber SDid^ter mit ber ßenfur um fein Btää SSerö für SBerg 
fämpfen mu^te unb bie eine QdU nt^txQcx, t^örid^ter unb fd^Ied^ter 
Äönig!" ju einer ganjen Sorrefponbenj Stntafe gab; ba^ cnblid^ 
@d^aufpieler unb Sd^aufpielerinnen gteid^ feinblid^ gefinnt ttjaren, 
fo bal3 nur (Sinjelne mit gutem SBitlten an i^re 9ioHe gingen. 83e* 
f anntlid^ ^atte ^ugo auf bie be^alilte Staque SSerjid^t geleiftet unb 
fid^ an il^rer ©tette 300 5ßlä|e für bie brei erften Slbenbe au^^* 
bebungen, 3)ie S^reueften unter feinen betreuen, junge SJiänner, 
bie nad^ eigenem ®eftänbni§, in ber unreinen Stbfid^t, ben guten 
95iirger ju ärgern, il^re Städ^te bamit öerbrad^ten, „^^ lebe SSictor 
§ugo!" an bie Bogengänge ber 9lue Siüoli ju fd^reiben, toarben 
bie jungen äWaler, Slrd^iteften, 5ßoeten, Sitbl^auer, SÄufifer, 95ud^== 
brudfer, bie nad^ i^rer i^nen üon ^ugo gegebenen unb ben SSiUet^ 
aufgeftempetten Det)ife„|)ierro" (®ifen) bereit ioaren, bem^J^inbe un^ 
erf d^ütterlid^ ju ftel^en. Sei bem Slufgel^en beg SBoyl^ang^ brad^ . ber 
(Sturm lo§ unb jeben Slbenb, tt)o ba§ BiM aufgefül^rt tourbe, 
toar im Xtjeater ein fold^er |)öllenlärm, ba§ e^ nur mit Wtnfjt 
ju @nbe gefpielt iourbe. §unbert Slbenbe nad^ einanber Jourbe 
,,^ernani" auggejifd^t, unb t)on jungen ©nt^ufiaften, bie nid^t mübe 
rtjurben, um il)re^ §äuptfing§ toitten jeben Slbenb biefelben S?erfe 
JU tjören unb ju applaubieren, Qdk für 3^il^ Ö^Ö^tt ben ^a^, bie 
aSut, bie Übermad^t ber ©egner öerteibigt unb ftürmifd^ jum Siege 



Die Hotnantiktr. 33 



gcfül^rt. @^ fd^eint eine geringe ©ad^e, unb bod) ^at man nur in 
5ranlrei(§ einen fold^en Äorp^geift ol^ne äußere Äor^j^öerbinbung, 
eine fotd^e Uneigennü^igfeit unb Srgebenl^eit für bk ©ad^e unb bie 
Sl^re eine^ 21'nberen gefunben* 

®ie ®egner mieteten Sogen unb tiefen fie mit 95ebad^t leer 
ftel^en, bamit bie Leitungen mitteilen fönnten, ia^ fie teer ftanben; 
einige feierten ber SBül^ne ben 9iüdEen, anbere fd^nitten üerätüeifelte 
©efid^ter, atö ob fie bie fiangen)eite be^ ©tüd^ nid^t ertragen 
fönnten, vertieften fid^ in 3^itiing§{efen , fd^tugen Sogentpren auf 
unb ju, erl^oben ein ^ol^ngetäd^ter, fd^rieen, jifd^ten berart, ba§ 
eine entfd^Ioffene SSerteibigung nottoenbig toar. 

@g giebt in „|)emani" fein ®t\ixf)l, ba^ nid^t jum S3erften 
gefpannt ift, Der §elb ift genial unb ebel, n)ie man fid^ bei 
jtoanjig Solaren ©enialität unb ©betmut benft. @r ift fo genial, 
ba^ er atö 9fiäuber^äuptling kU, unb er öerad^tet in bem @rabe 
fd^Iau ju l^anbeln, ba^ er au§ lauter ©eelenl^o^eit jeben Slugenblid 
bie untjerftänbigften |)anblungen begebt, fid^ fettft verrät, feinen 
J^obfeinb entfd^tü^jfen läjst- @r übt al§ |)äuptting eine unbebingte 
^errfd^aft über anbere 9Känner aug, bod^ einjig unb allein burd^ 
feinen SRut, n)ie e^ fd^eint; benn alle feine ^anblungen finb naiv Joie 
bie eineö ^inbe^, (£r ift |)ugoS Äarl SRoor, @r itbmttt romantifd^ 
ben ^ieg gegen bie ©efeUfd^aft, er ift ber i^^^^^^i^^^^f ci^ ^ ^^^ 
vom ©d^idffat gejeid^net, feinen verJ^ängni^votten S33eg ge^en muf* 

Slber biefer» poütifd^e unb ibeale 93anbit, ber an ber @pi|e 
einer treuen unb begeifterten S3anbe ftel^t — er erinnert jugleid^ 
an btn Did^ter felbft, ber in ber Sitteratur vogelfrei toar, toie jener 
im ßeben, unb ber 5ßarquet unb ©aUerie an eine ©d^aar junger 
3Känner verteilt l^atte, bereu Slu^felien unb ^oftüme faum toeniger 
irregulär toaren, atö bie feinet Stäuber^aufenS. grau ^ugo be=« 
fd^reibt bie 3iif^öuerfd^aar, bie fid^ auf |)ugo§ ©inlabung ben 
erften Slbenb einfanb, ate „eine 93anbe toilber unb fonberbarer 
SBefen, mit SSoKbart unb langen paaren, auf jeglid^e SBeife, nur 

©tanbc«, Sittcratutgeft^. be8 19. SJa^t^. V. 3 



34 I)te totnantifd)e ^(i)ule in iranhteid). 



nid^t md) bcr SKobc gcfteibet, meldte fpanifd^c 9KäntcI ju tooKcnen 
Saden, Siobe^pierrc^aBcftcn ju Sarettcn auS §cinrid^§ HL 3^* 
trugen, unb bic mitten in 5ßariS bei J^eKIid^tem läge burd^ il^re 
SBefleibung unb ÄopfbebedEung bie öerfd^iebenften ga^rl^unberte unb 
fiänber re^jräfentierten." 3^r ganati§mu^ für |)ugo toax reid^ßd^ 
fo gro§ ft)ie berjenige ber 9iäubcr für |)ernani, @ie tou^ten, ba^ 
man in einem anonymen ^Briefe §ugo mit bem 2^obe gebrol^t l^atte, 
,,tt)enn er fein fd^mu^ige^ ©tüdf nid^t jurüdfnelime" , unb fo un^ 
toal^rfd^einlid^ e^ aud^ toar, ba% bie S)ro]^ung bud^ftäbtid^ auf^ 
juf äffen fei, begleiteten ätoei üon il^nen il^n jeben Slbenb ju unb 
t)on bem %f)takXr tro^bem er unb fte an ben entgegengefe^ten 
(Snben üon 5ßarig mol^nten. 

Unter ben ^ßapieren ^ugo^ aug jener Qdt finbet fid^ ein 
j^übfd^eg bittet t)on bem SÄaler ©gartet, ba^ bie Stimmung ber 
jungen Seute bofumentiert: 

„SSier meiner 3anitfd^aren bieten mir il^re Slrme an, id^ lege 
fie S^nen ju %vi^m unb bitte ©ie um öier 5ßlä|e für l^eute %bmb, 
njenn e^ nid^t ju fpät ift, 3d^ bürge für meine SÄannen* (S§ 
finb ßeute, bie gern bie Söpfe abfd^nitten, um i>k 5ßerüde gu er= 
obem» Sd^ ermuntere fie, in biefen ebfen (Sefül^Ien ju bel^arren, 
unb laffe fie nid^t gelten, ol^ne il^nen meinen üäterlid^en ©egen ge= 
geben ju ^aben. Sie fnieen — id^ ftrede meine ^änbe au§ unb 
fage: 3unge ßeute! ®ott bepte @ud^. ®ie ©ad^e ift gut, tl^ut 
Sure $ßf(ic^t! ©ie ftel^en auf unb id^ füge l^inju: Unb je^t, ^nber, 
pa^t gut duf SSictor ^ugo; benn ber liebe Herrgott ift jtoar ein 
guter äWann, aber er l^at fo öiel ju tl^un, ba^ unfer greunb üor 
aßem auf un§ red^nen mvi% (Seilet benn unb mad^t bem, njeld^em 
Sl^r bienet, feine ©d^anbe, Slmen. 

St|r mit Seib unb ©eete ergebener 

e^arlet." 

SSon einer fo fd^märmerifd^en Stnl^änglid^feit getragen, im 
ßdntpfe mit einem fo fanatifd^en SBiberftanbe ftürmte i>k roman^ 



Die Homontikcr. 35 



tifd^c Äunft bte crfte, fcinbtid^e ©d^anje unb gctpann il^rcn crftcn, 
cntfd^cibenbcti @icg. 

®icfe 3ünglinge ^örtcn üon ber SBül^ne il^rcn eigenen Sro| 
unb Unab^ängigfetotrieb , il^ren SRut unb il^rc Eingebung, il^rc 
ibeale unb erotifd^e ©el^nfud^t einige %önt pl^er geftimmt, unb 
il^re §erjen fd^motjen bei bem, tna§ fie prten, 

@^ toar ja im 5^^^^^ 1830, fünf üRonate öor ber Suli:= 
reöolution» g^anfreid^ UJar toie bie (Sänge be§ SSerfaiHer ®arten§ 
reguliert, t)on ©reifen regiert, bie feine anberen jungen äKänner be= 
fd^ü^ten afe bie, tneld^e in ber ©d^ule tateinifd^e Serfe jur aSott== 
fomntcnl^eit gefd^rieben unb fid^ fpftter burd^ untabetl^afte ^oxxdi^ 
l^eit ju Ämtern unb ©tetltungen toürbig gemad^t l^atten» 3)a fa^en 
fie forreft, tnol^Igefleibet unb rafiert, mit il^ren 93inben unb 3Sater= 
mörbem. 

Unb nun afö ©egenf a^ ju bief er Sugenb in bem ^arfett, (£iner 
mit paaren, bie bi§ jum ®ürtel l^erabl^ingen , @iner mit einem 
SRuben^l^ut unb btoJBen ^nben, ßiner in einer Sadfe üon ^ell= 
rotem Ätla^. @ie l^a^ten baö gro§e bürgerlid^e ^ßl^ilifterium, tote 
^emani bie 2^^rannei Äartö V, I)aJ3t @ie fül^Iten fid^; aud^ fie 
toaren freie 9iäuber in ben Sergen, arm, ftolj, Siner mit re^jubü- 
fanif(^en Sträumen im ^erjen, bie meiften mit einem toal^ren Kultus 
ber SJunft; ba ftanben fie, faft lauter ©enieg, 83aljac, SSerlioj, 
©autier, ©erarb be 9ieroaI, 5ßetru§ Sorel, $ßr foult unb majsen 
mit ben Singen il^re ©egner oon berfelben ©eneration, S)aö fül^Iten 
fie, fie toenigften^ toaren nid^t ©tettenjäger, nid^t protegierte 95ettler, 
toie jene anberen. ®ie toaren ia^ ©efd^Ied^t, ba^ toenige 9Konate 
nad^l^er bie Sniireöotution, mad^te unb in ben näd^ftfotgenben jel^n 
3al^ren granfreid^ eine fiitteratur unb Sunft erften 9iangeg gab. 

@o fallen fie ben gelben ^ernani an. Unb maS fallen fie 
in ber anberen |)auptgeftaft, in S!önig Äarl V*? ©r ift anfangt 
obiög. Die Siebe beg falten, fingen |)errfd^er^ ju S)onna @ol 
toibert ben 3iif<^öuer an, toeil er e^ nid^t oerfd^mäl^t, rol^e ©eftjalt 



36 I'ic tomantifdie ^ci)ule in itanktetd). 

anjutoenben, um bic (Seticbtc ju erobern, Slber ber S)tcl^ter f)at 
e§ öerftanben, il^n fteigen ju laffen. SBir fül^ften ftetö beftimmter, 
toie ein großer ®l^rgetj feine SBruft erfüllt. 

@§ toar ber SRiefenmonoIog ^arfö V. an ber ©ruft beg großen 
^axl^, ber jenen erften Slbenb ba§ ©d^idfal beg S)rantag entfd^ieb, 
unb biefer unenblid^ lange, oft fritifierte unb öerfpottete SRonoIog 
ift in SBirftid^feit bag SBer! eineg jungen äReifterg. (£§ ift, felbft 
tt)enn man eö nid^t toüßte, leidet ju feigen, toie unl^iftorifd^ biefer 
SKonoIog ift, tt)ie unmöglid^ Äart V. fo beulen fonnte. ®r ift 
aber intereffant burd^ bie Streue, mit toeld^er er bie politifd^en (Se* 
banfen unb S^räume ber breifeiger Saläre abfpiegett unb burd^ ben 
politifd^en 35üdf, ber fid^ in il^m öerrät. ®§ ift biefe ?lrt öon 
l^iftorifd^^politifd^em ®enieblidf, ber unö bei ben S)id^tem mand^mal in 
(Srftaunenfe^t; ber einunbjnjanjigjäl^rige ©dritter l^at i^nin „gie^co", 
SD?an l^öre bie ©d^ilberung, bie ßarIo§ öon ®uro:pa giebt: ©in 
®ebäube mit jtoei SRenfd^en auf feinen 3i^^^^f ä^^^ erforenen 
^äu:pttingen , benen jeber geborene Äönig fid^ untertt)erfen mufe, 
bem Saifer unb bem ^a:pft. gaft ade Staaten finb erblid^ unb 
bie ^errfd^ermad^t infofern bem Qu^aü preisgegeben, aber baS SSoß 
^at burd^ bie SBal)! bisweilen feinen ^apft ober feinen Siaifer unb 
ba§ (Sleid^getoid^t ift n^ieber l^ergefteUt S)ie ^rfürften in il^rem 
®oIbftoff, bie ^arbinäle in il^rem ©d^arlad^ finb bie äWittel, bereu 
®ott fid^ bebient, um ben SBöHern ju l^elfen. 

„SRag eine 3bee, bie öon bem SebürfniS ber 3^* em^jfangen 
ift, einen 2;ag ba§ ßid^t feigen, fo toäd^ft fie, mifd^t fid^ in SlUeg 
l^inein, n^irb SDZenfd^, ergreift bie |)erjen» äWand^ ein gürft fnebeft 
fie unb tritt fie mit güfeen; mag fie aber eine§ 2;ag§ Eintritt in 
ben Siurfürftenrat ober ba§ Äonftaöe erhalten, fo fe^en bie Äönige^ 
plö^Iid^ bie Sbee, bie fürjlid^ ©flaöin toar, l^od^ über il^ren fönig- 
lid^en Häuptern fid^ erl^eben, mit ber SBeltfugel in ber |)anb ober 
ber breifad^en ^one um bie ©tirn; fie tritt auf i^re Statfen, fie 
toifd^t il^re ©anbalen ab an il^ren köpfen.'' 



Die Homantiker. 37 



®eU)t§ tft Sari V. ntd^t bcr §errfd^er, an bcn bcr S)td^tcr 
l^ier gebadet l^at; er badete augenfd^einlid^ an einen in ber ^^t il^nt 
naiver ftel^enben Äaifer, SRa^JoIeon, ton bent ^ugo eben furj 
juöor in ber Dbe an bie SBenbömefänle gef daneben l^atte, feine 
©poren toögen bie ©aribalen Sarfö be^ ©ro^en auf. SRan barf 
nid^t öergeffen, ba§ bie toä^renb ber 9ieftauration unb be^ 3uli= 
föntgtumS in ber ßitteratur epibemifd^e ©d^toämterei für SRa^oIeon 
nid^t el6en SBonaparti^muö bebeutete, faft nur ba^ Stiä)m, ba§ 
man jur Dppofttion gel^örte, n^ar. S)er 9lapoIeon, ben man öer* 
götterte, toar nid^t ber S)ef|)ot granfreid^^, fonbem ber Demütiger 
ber Könige unb ber Äönigömad^t. S)er Saifer tt)urbe im ®egen* 
fa^ ju ben Königen aU bag perfonifijierte SSoI! betrad^tet unb be§== 
l^alb l^örte j|ene§ junge ®efd^Ied^t nid^t ol^ne (Srregung ber ®e^ 
müter bie ©teile beö ÜKonoIogg, too Äarl aufruft: 

,,3^r Könige! fel^t l^inab! ba ift ba§ SBoIf, einDjean, ber oft 
einen Sl^ron jerftört, ein @:piegel, in n^eld^em ein Sönig feiten fein 
SBilb öerfd^önert fielet" 

@§ finb, tt)ie man fielet, revolutionäre, rein moberne 9iemini§* 
jenjen unb ©leid^niffe, bie jeben SlugenblidE bag ®emüt Äarte V. 
burd^freujem ®r reift ber ®ruft gegenüber ju einem 9SoIfö!aifer 
ber 5lrt, öon n^eld^er bie neuere Qtit fo oft geträumt l^at, unb bie 
i^eftigen Seibenfd^aften feiner ©eele »erben burd^ bie ©el^nfud^t ge* 
läutert, ungel^eure Slufgaben ju löfen unb unerprte 2;^aten ju 
öoHbringen* ®r, ber juerft fo ttef unter §emani unb 2)onna @oI 
ju ftel^en fd^ien, enbigt aU Äaifer bamit, jü entfagen unb ju 
fd^onen, unb mit einem ©daläge n^erben bie beiben ßiebenben neben 
i^m Hein unb unbebeutenb in il^rem ®Iüdf. 

SD?it ^er §anb auf *ber Söruft fagt er ftiH ju fid^ felbft: 

„@o erlifd^ benn, bu mein flammenbeg ^erj! 

Sa§ ben Sopf l^errfd^en, ben bu immer ftörteft! 

S)eine Gebieterinnen, beine ©eliebten, ad^ ! ba§ finb öon je^t an 

55eutfd^Ianb unb Spanien unb glanbem." 



38 ^^t romatittf^e 34uie in icankreiit). 



Utib mit eitlem SBIicf ouf ba^ SReid^Sbanner fügt er l^inju: „S)er 
Saifer ift feinem SJegleiter, bem Slbler, äJ^nlid^; an ber ©teile be§ 
^erjett^ j^at er ein SBappenfri^ilb/' 

(Sine fold^e Sleplif fd^Iug in jene el^rgeijige Sugenb ein, S)a§ 
S)rama beg (Sl^rgeijeg, bie Iragöbie beö (SJ^rgeijeS ergriff fie ebenfo 
ftar! tüie baS ©d^anfpiel be§ Unabl^ängigfeitg!am|)fe§. Sie mußten 
atö ^nftler, ate ®eifter, bafe ber männlid^e, anf gro^e Skk unb 
j^iftorifd^e Stufgaben gerid^tete SBitte nur baburd^ fid^ ba# Seben 
erl^ält, ba§ er mit ben feinften ©efül^Ien unb ®enäffen, ber fein^ 
ften ©el^nfud^t ber Seele genöl^rt toirb, bie auf bem Stltar be§ 
3toedfeg geopfert »erben unb in %iammm aufgellen — unb fo 
würbe aud^ SarIo§ öerftanben, 

^oä) ber fünfte 2lft mar burd^ feinen rein Iijrifd^en Kl^arafter, 
burd^ ben SBed^felgefang jn^ifd^en ben beiben ßiebenben, ba§ Sutoel 
beg @tüdEe§, §ier fam bie Siebe ju SBorte, toie bie romantifd^e 
Sugenb fie bargefteltt ju feigen toünfd^te. Seine ®atanterie tt)ie 
im ad^tjel^nten Sal^rl^unbert , fein ferapl^ifd^e^ ®efül^I tüit bei 
Samartine, eine Seibenfd^aft , bie jugteid^ erl^aben unb tigerartig 
toilb toar. 

®iefeg ©efpräd^ auf ber ©d^toeHe ber SBrautfammer , toetd^e 
bie ßiebenben nie betreten »erben ; biefe 3Rifd^ung öon allem ®nt^ 
fe|en ber SBemid^tung unb t)on einem ®Iüdf, bag fo gro§, fo ernft 
ift, ba^ e§, toie ^emani fagt, Söronjel^erjen erforbert, um fid^ 
l^ineingraben ju fönnen ; biefe ©innlid^feit, bie in ü^r f o feufd^ unb 
mufüalifd^, in il^m fo rein unb gtül^enb, in 95eiben feiig ift; biefe 
überirbifd^e ©d^njärmerei bei S)onna @oI, unb bieg 95ebürfnig, bie 
SSorjeit über bem ^rieben beS Slugenblidfg ju öergeffen, bei ^ernani 
— bag toar SRomantü, n)ie bie Sugenb öon bamafö fie forberte 
unb fie mit bonnembem SöeifaU begrüßte, 

„^emani" ift afe 2)rama l^öd^ft unöoEfommen, eg ift ein 
I^rifd^^rl^etorifd^eö SBerf mit öiel Überfipannti^eit Slber e8 l^at 
ben SSorjug, ber ber entfd^eibenbe ift: eine SJienfd^enfeele, bie 



Die Hotnantiker. 39 



fclbftänbtg unb bcbcutcnb toar, f)at fid^ l^ier rüdftd^tölo^ au^ge* 
fprod^cn- ®g ift ntöglid^ , aug einem fotd^en 2Ber!e einen toefent* 
liefen leil ber ^f^d^otogie feinet SBerfaffer^ ^erjuteiten, 3Bir 
^a6en ^kx feine 3been über greil^eit unb SRad^t, über Sl^re unb 
^ol^eit, über Siebe unb lob- 2)ag SBer! enthält ferner nid^t nur 
SSictor ^ugo unb ein ©tütf ©pönien t)on 1519, fonbem bie jeit=^ 
genöffifd^e junge (Generation unb ein grofeeö ©tüdE granfreid^ t)on 
1830, ^emani ift in einer ®ffenj franjöfifd^e Sugenb au§ ber 
3eit ber 3uIiret)oIution , ein Söilb öon granfreid^, bog, in einem 
romantifd^en ßid^t gefeiten, fid^ ju einem getröumten unb gebid^teten 
SBeftbilbe erweitert. SBertieft man fid^ nun — ftatt in ein einjefneg 
aSerf — in eine gauje ßitteratur, fo fielet man auf biefe SBeife 
©d^aren öon ©timmung^bilbem , ©ebanfenbilbem , 5ßorträt§ unb 
SBeftbitbem an bem Sluge öorbeigteiten, ÜRan !ann fie gegen 
einanber l^alten, unterfuc^en, inwiefern fie fid^ becfen — fo fteUt 
man juöörberft ben Kl^arafter be^ QdtaUtx^ feft; man fann fie 
bann borbeijie^en taffen, toie fie fid^ ^iftorifd^ folgen, um burd^ 
bie SSerfd^iebenl^eiten , bie jtoifd^en il^nen fid^ finben, bem ®efe^ 
ä^rer SSeränberung nad^jufpüren — fo fielet man gleid^fam bie 
5ßfeilc fliegen, n^eld^e ben ßauf ber geiftigen Strömungen bejeid^nen. 



IV. 

SSon 1824 an gab eS tu einem entlegenen ©tabtteil öon ^arte, 
ganj branden beim Slrfenal, einen befd^eibenen ©alon, genannt bie 
Keinen 2^uiterien — nämlid^ bie Initerien ber romantifd^en ©d^ule, 
n)0 bamatö §ngo, ®umag, ßamartine, @ainte=93ent)e, ÜKnffet nnb 
be SSign^ faft jeben Sonntag einanber trafen. 2)er SBirt toar ein 
ÜKann, ber bem SHter nad^ ber öorl^ergel^enben ©eneration ange* 
l^örte (er toar 1780 geboren), ber aber bnrd^ feine ®eifte§ri(^tnng 
ber anbred^enben Sitteratnr vorgegriffen l^atte nnb fie barnm fofort 
nnb o^ne Sebenfen unter feine gittid^e nal^m. @§ toax Ki^arleg 
SRobier* 

9(te Sinb erlebt SRobier in 93efan?on unb ©trapurg in 
näd^fter SRäl)e bie ©d^redEen^jeit; ate Sängfing fd^reibt er ®ebid^te 
gegen SRaipoIeon, n)irb eine 3^itt^^9 i^ ©efängnis^ gel^alten unb 
al^ SBerbäd^tiger öerfolgt — bunte Sd^idEfale befrud^ten feine ^^ait^ 
tafie. SRit 18 Salären ^at er bereite aU ^l^ilologe ein ßejifon 
über bie fraujöfifd^en onomatopöetifd^en SBörter unb ate 9?atur== 
forfd^er ein SBer! über bie gü^I^örner unb |)örorgane ber Snfeften 
l^erauggegeben — fprad^Iid^e ©tubien geben il^m ^errfd^aft über 
bie gorm unb ^laturftubien öffnen feine Singen für ba§ SBerborgene 
unb ba§ kleine» Seine erften bid^terifd^en SBerfud^e, namentlid^ 
fein 9toman „2)er ÜKater t)on ©aljburg", eine ber frü^eften fran* 
jöfifd^en SBertl^eriaben; gehören ber ®ru:ppe t)on ©d^riften an, benen 
id^ ben SRamen „Smigrantentitteratur" gab, unb bie in granfreic^ 
eine 3(rt Slomantif t)or ber SRomantif, ba§ l^eip: öor ber großen 



Ct)arle0 Hobiet. 41 



romantifd^cn ©d^ule, bie ftc öorlabet unb öerfünbigt, Bejcid^nen; 
boä) t)on bcn SSerfaffem jener Sudler ift ®^arle§ SRobier ber ein* 
jige, ber nid^t nur mit bem näd^ften ®efd^Ied^t weiterlebte, fonbem 
aud^ gleid^jeitig mit il^m fd^rieb; er allein toax imftanbe, ^anb 
in |)anb mit il^m ju arbeiten, ©ein Seben toar bi^l^er ein anwerft 
ttjed^f eIt)oIIe§ ; er mar aUeg möglid^e getoefen: erft ©migrant im 
Suragebirge, bann Siebafteur eine§ SÖIatte^ in 3Itt|rien, unb mar 
nun jufe|t Sibliotl^efar in ^ari§.^ 

9?obier§ auffattenbfte @igentümlid^!eit atö ^id^ter ift bie, ba§ er 
beftänbig \>tn SBetoegungen ber franjöfifd^en Sitteratur um jel^n bi§ 
jttjaujig Scii^re t)orau§ ift. ©ein 9toman „Sean ©bogar" — eine 
JRäubergcfd^id^te, bie eine Slrt öon itl^rifd^em Äarl SRoor fd^ilbert — 
ben er 1812 in Stl^rien entnjarf unb 1818 l^erau^gab, ift, obfd^on 
an unb für fid^ jiemlid^ unnjal^rfd^einlid^ unb unintereffant, baburd^ 
mcrfnjürbig, ba§ ber ©id^ter ^ier fo lange öor ^roubl^on, fo lange 
t)or bem Stuftreten be^ mobemen Kommunismus in ®uro:pa feinem 
gelben einjelne öon beffen fd^lagenbften ©opl^iSmen in ben SDiunb 
gelegt l^at. Sean ©bogar fd^reibt: 

„®er S)iebfta]^I ber 9(rmen öan ben Sieid^en tt)ürbe, ttjenn man 
jum Urfprung beS (Sefeltfd^aftSsuftanbeS jurüdginge, nur baS red^t* 
^äfeigc ä^^ö^^^ftötten eines ©tüdeS ©über ober eines ©tüdfeS 
SBrot aus ben §änben beS S)iebeS in bie beS Sefto^Ienen fein." 

„®ebt mir eine Kraft, bie ben SRamen bcS ©efe^eS aujunel^men 
»agt, unb id^ toitl eud^ ben ©iebftal^I jeigen, ber ben Siamen ©igen:* 
tum annimmt." 

„SBaS ift baS für ein ®efe|, baS ©runbgefe^ genannt n^irb 
unb ben SRamen unb baS 3^iti^^^ ^^'^ ©leid^l^eit an feiner ©tirn 
trägt? 3ft es baS agrarifd^e ®efe^? $«ein, eS ift ber »erlauf S- 
fontraft, ber, öerfa^t öon Sntriguanten unb Parteigängern, ein 
SSoB ben Sleid^en überanttnortet." 

* SiJobierg Sugenb unb feine frül^eren 2Ber!e ftnb befprod^en in „2)ie 
(Smtgrantcnlitteratin;". 



42 Ute rontanttfd)e 3diule in itankreid). 



„S)ic gret^cit tft fein fo fcitner ©d^a^: fic finbct ftd^ in bcr 
§anb bcg ©tarfen unb in bcm SBcntd bc§ SReid^cn. S)n bift |)crr 
über mein ®cfb. 3cl^ bin ^crr über bcin ficbcn* ®icb ntir baö 
®c(b, fo belauft bn bag Sebcn," 

Scan Sbogar ift, toie man fielet, fein getoö^nlid^cr, fonbcrn 
ein p^itofopl^ifd^er Strafeenränber. ®er am meiften reaüftif^e 3^9 
an feiner ©eftalt ift, ba§ er gofbne Dl^rringe trägt, nnb felbft 
biefen S^i ^ötte gran 9^obier bei einem |)aare weggenommen. 
Siobier rid^tete fid^ in ber SRegel btinbling^ nad^ bem ®efd^mac! 
unb ben SBünfd^en feiner grau; ttjenn er bemungead^tet einmal jum 
Slnfrul^r neigte unb fid^ bann barauf berief, toie nad^giebig er fonft 
immer fei, fo pflegte SRabame 9lobier ju fagen: „SSergife nid^t, ba^ 
bu mir niemate 3ean @bogar§ Ohrringe opfern n^ottteft." 9Ran 
behauptete, ba§ bie titterarifd^en (Streitigfeiten in biefer S^e fi(^ 
auf biefen Qm^t befd^ränften. 

2)iefer Meine SRoman, ber fd^on in SBergeffenl^eit geratl^en ttjar, 
ai^ 9?apofeon§ 3Äemoiren erfd^ienen unb bart^aten, bafe ber taifer 
il^n mit auf @t. ^elena gehabt unb mit Sntereffe gelefen l^atte, 
fd^reibt fid^ öon ?lobier§ Übergangjeit l^er, tf)' er nod^ feine eigent^ 
lid^e eigentümfid^feit enttoidfelt ^atte. 2)iefe trat erft ungefäl^r um 
jene Qtit l^eröor, alö bie eigentlid^e romantifd^e ©d^ule fic^ bifbete. 
(£r ftanb f o ju fagen in ber offenen J^ilr ber ßitteratur unb 
betoillfommnete fie bort, ©eine Seurteitung bon SSictor ^ugo^ 
^abenroman: „Han d'Islande" ift ein fleineS SKeiftertoer! t)on 
Sritif, entgegenfommen, ftimpat^ifd^em SSerftänbniö unb ®eifteg- 
überfegen^eit, unb biefe Sefpred^ung toar e§, toeld^e ba§ innige 
SSerl^ältnig jmifd^en ben ^id^tern l^eröorrief. S)ie ©l^arafterifti! 
§ugo§ ift fo fd^Iagenb gegeben, ba^ berjenige, mefd^er fie ^eutjutage 
tieft, glauben !önnte, ber SSerfaffer berfetben f)aht aü! bie fpäteren 
3lrbeiten §ugog gefannt; unb e§ gel^örte ettna^ baju, fie au^ 
„Han dlsiande" ju a^nen. 

®ie ©rjäl^Iungen, bie ?lobier nun fd^rieb, toaren öon einem 



iJJ)orle0 Hobier. 43 



3tctj unb einer Slnntut, bte in ber franjöfifd^en Sitteratur einjig 
baftel^en. @ie jeid^neten fid^ burd^ eine mimofenl^afte ©enfibititöt 
au§. @ie bel^anbeln meiften^ bie erften erotifd^en Siegungen öon 
Änaben^ unb ÜKäbd^en^erjen; e^ meilt über i^nen gleid^fam ber 
erfte frifd^e Sau t)ont 3Äorgen be2 Seelenleben^; fie erinnern an 
ben aBaIb6x)ben im grül^Iing. ÜRan ift befanntlid^ bigmeifen in 
SSerlegenl^eit, in ber franjöfifd^en ßitteratur SßJerfe öon einigem 
SBert ju finbem, bie fid^ jur ßeftüre für ganj junge SKäbd^en 
em:pfel^Ien laffen ~ bie fraujöfifd^e ßitteratur ift ja glüdflid^em)eife 
nid^t in erfter ßinie für biefe lieben^njürbigften aller Sefer be== 
red^net — ©rsäl^Iungen toie SRobier^ „S^^refe Slubert" ober bie 
SKoüellen, bie ben Sitel „Souvenirs de Jeunesse" führen, bitten 
Stu^nal^men, ^öd^ften^ barf man öietleid^t fürd^ten, ben jungen 
Seferinnen ptatonifd^e ©rillen in ben ^opf ju fe^en; benn biefe 
Sudler finb ebenfo fd^mad^tenb xdvt !eufd^; n)o( ift bie Siebe l^ier 
nur erft eine faum burd^ ba^ ©efd^Ied^t beeinflußte fjreunbfd^aft, 
aber fie nimmt ben Keinen äWenfd^en ööUig in 93efd^Iag. S)a§ 2ln* 
jiel^enbe in bem ©efül^föleben, bag l^ier gefd^ilbert tt)irb, berul^t 
barauf, ba§ nod^ feine ©rfal^rung ben ®inn mißtrauifd^ gemad^t 
l^at, unb bafe fein falfd^er ober ed^ter ©tolj \i^^ §erj l^inbert, fid^ 
JU Verraten. S)a alten Stoöeßen ettoa^ ©elbfter lebtet, ÄHnb^eit§== 
erinnerungen ju ®runbe liegen, bilben bie ©d^redfen ber 9iet)o== 
lution^jeit ben ftänbigen, metand^olifd^en ^intergrunb, n)äl^renb 
auönal^mgfog Trennung ober ber 2:ob ber ßiebenben ben ©d^Iuß 
l^erbeifül^rt. 

©ine. finbtid^e ©enfibitität ift bie ®runblage öon Siobierg 
Kl^arafter* ©ein gauje^ ^^txi l^inburd^ bfieb er ein großem, un= 
erfal^reneg Äinb mit einer mäbd^enl^aften SBerfd^fimtl^eit nid^t nur 
gegenüber bem Unreinen, fonbern felfift im SSer^äftni^ jum ©taub- 
punft ber (£rtt)ad&fenen. 

?luf biefer naiüen grifd^e be^ (Sefül^fö erl^ebt fid^ toie eine 
ättjeite ©tage eine ganj eigentümtid^e ©d^toärmerei. 



44 l'te raiita]tiir4e Sdpüt ts froskretili. 

Stobier 6efa§ efate f o lofe unb totrre (StfaibungSgobe, bajs man 
i^ für eine Seute fteter Xraumgefi<^te ober ^Qncntationen l^ätte 
polten tonnen; er ^atte bie gefä^rlid^e Stgenfd^aft, bie einem ge^ 
miffen %t^^ üon 2)icl^ter9eiftem gemeinfam ift: ba§ er foft niemals 
bie SBa^r^eit fprei^en fonnte. SKan txm^tt oft nid^t beftimmt — 
uvb er fettft toar ^xd) ebenfo toenig borüber flar — ob bag, toaS 
er erjä^Ite, SBal^rl^eit ober 5)ii^tung fei S)er @cl^erj f)aü ja bit 
SRitte jtoifd^en beiben, Sein SKann in fjranfreid^ galt für untere 
^aftenber aU er; feiner nal^m e§ »eniger übel auf, n^enn man il^m 
jagte, man glaube !ein äBort t)on bem, toa^ er erjäl^Ie. 

?(uf einer Steife, bie Siobier mit feiner fjrau, gemeinfd^aftü^ 
mit §ugo unb fjrau ipugo, nad^ ©übfranfreid^ mod^te, famen fie 
ju einem SBirt§l^au§ im ©töbtd^en ©ffonne, too fie frül^ftürfen 
ttjoüten. ipier ttjar eS, ttjo man fiefurqueS ergriffen l^atte, ber 1796 
atö SRörbcr l^ingerid^tet tourbe, unb beffen Unfd^ulb fid^ fpater 
ertoieS. 9?obier, ber il^n gelaunt l^atte, ober »enigfteng fo fagte, 
fprad^ t)on ii^m mit einer ®emüt§betoegung, bie ben Stugen beiber 
®amen Il^räuen entlorfte, unb bie Stimmung jum grüJ^ftüdE toax 
üerborben. 6r getoal^rt fjrau §ugog feud^t fc^immemben SBüdE 
unb fagt: „Sie ttjiffen, SRabame, ba§ man nid^t immer fidler ift, 
ber SSatcr feinet ÄinbeS ju fein, aber l^örten @ie, ba§ man mit* 
unter nid^t einmal gewi^ ift, bie SlÄutter ju fein?" — ,,SBo^er 
l^aben @ie ba^?** fragt fie. — „SSon bem SBitlarb ba brinnen." 
(3m 9fiebenjimmer ftanb ein SBiltarb.) SRan bat um eine ©r- 
ftärung, unb mit ftie^enber 3^^Ö^ erjäl^Itc SRobier, ba^ gtoei Sa^re 
öorl^er ein SBagen öoU Slmmen, toeld^e öon ^ariS mit Sinbem 
famen, bie auf bem Sanbe aufgewogen »erben foöten, §aft an 
biefer ©teile mad^te. Um il^r ^rül^ftüdE gemütlid^ ju berjel^ren, 
Ratten bie Slmmen bie Äinber aufs Söillarb gelegt 2)od^ toäl^renb 
fie im ®aftjimmer fa^en, maren gul^rleute in bie SBirtSftube ge:= 
fommen, bie fpielen tooöten, l^atten bie Äinber toeggel^oben unb fte 
burd^einanber auf bie SBanf gelegt Site bie Slmmen jurücHamen, 



Cl)arie0 Hobler. 45 



tooren fic in größter SBeriegenl^eit, toie ftc tl^re ©äuglingc crfenncn 
foHtcn; alle toarcn neugeboren unb glid^en einanber. Snblid^ nal^m 
iebe, nad^bem fie ftd^ be^ redeten ©efd^Ied^tö öerftd^ert l^atte, etne^ 
oug bent Raufen — unb nun gab eg in granfeeid^ ein l^atbe^ 
©c^ocf SKütter, bie ^l^nlid^feit' mit einem geliebten Oatten unb mit 
fid^ felbft in einem milbfremben ^nbe fanben. 

„SBeld^' eine ©efd^id^te!" fagte grau S^lobier. „SSar benn bie 
SBäfd^e nid^t gejeid^net?" 

„aSenn 3^r nad^ ber SBal^rfd^eintid^feit fragt, finbet Si^r niemate 
bie SBaJ^rl^eit," onttt)ortete 9lobier unöerblüfft, jufrieben mit ber 
l^eröorgebrad^ten SBirfung. 

<£r felbft fragte niemafe nad^ ber SBal^rfd^einlid^feit Sl^re 
SBelt njar nid^t bie feine, (Sr (ebte in ber SBelt ber ßegenben, ber 
pl^antaftif d^^l^umoriftifd^en ÜRärd^en unb ber (Seiftergef d^id^ten, SBenn 
eine gee überl^aupt jematö an ber SBiege eineg ©terbtid^en geftan- 
ben, fo ftanb fie an berjenigen (Sl^arleg SRobier^, unb er glaubte 
fein ganjeg ßeben l^inburd^ an biefe gee, er fd^toärmte für fie, tt)ie 
fie um ii^n fd^toärmte unb fid^ in Sltleg l^ineinmifd^te, toa§ er fd^rieb. 
Unb toar er aud^ bürgerlid^ unb irbifd^ mit feiner %xan öerl^eiratet, 
fo bebeutet ba^ in ibeeßem ©inne nic^t mel^r, atö ba§ S)ante mit 
®emma ©onati öermäl^ft toar; feine ttjirflid^e 93raut unb 95eatrice,. 
bag toar bie gee 95elfiö, bie öormatige Königin öon ©aba, bie er 
(unb nad^ il^m ®erarb be SWeröat) fo oft befungen f)ai. 

3)ie SBelt, ttjorin er lebte, ift bie, mo Dberon unb 2;itania 
ii^re romantifd^en 2;änje auffül^ren, tt)o bie löne au^ laufenb unb 
eine 9?ad^t in Slrietö l^immlifd^eg Drd^efter l^ineinKingen, too 5ßuf 
fid^ fein (Slfenbett in einer 9iofenfno§pe bereitet, toäl^renb aW bie 
Blumen ftärfer buften in ber linben ©ommernad^t. @g ift eine 
SBeÜ, in ber alle giguren au^ btm großen, toad^en ßeben öor* 
fommen, aber grote^f öergrö^ert ober öerKeinert, je nad^ bem 
gaffung^öermögen beg Sinbe^ unb bem Sebürfni^ be§ 5ß]^antaften, 

^ier ift, fagt SWobier felbft irgenbtoo, Db^ffeu^, ber toeit«- 



46 IHe mumni^ $^ßU ta jfnakmä. 



gereifte, aber er ift pfammeiigeic^ntinpft pm Heinen S^önntlmg, 
betien ungeheure Steife barin bend^t, bog er aber bot SRUcJ^imer 
idfioimmt; ffkt ift Ztifcüo, ber fc^recflic^ gnmcmiid r ba-, aber fein 
idfioaxyt 93art ift blau geioorben; er ^ ftc^ in bot entfe^Iii^en 
Slitter 93(anbart Mioanbeü; ^ier ift ^igaro, ber gctixinbte ©efell, 
ber ben Some^men fo fed unter bie %igen tritt, nur ift er jum 
Itater tOngeUHntbeft, aber ber geftief e(te Sater ift, toenn au<^ toeniger 
unter^altenb, pf^d^ologifc^ foft ebenfo intereffant n>ie er. 

Seiner üon f^anfrei^S Si^riftfteQem in ber ronumtifd^en 
^ßeriobe fte^t in einem beutß^eren Sennanbtfc^aftSüer^ältniS ju 
ber beutft^engßfc^ Stontontif als 92obier. äSer i^n mdft fennt, 
ma^, um fid^ eine SSorfteQung üon i^ ju bilben, fi<^ äBatter 
Scotts S^ufgefc^ic^ten unb ^offmann^ K^ne ^^antajtcn ins ®e^ 
bäc^tniö rufen, ^od) fetbfttjerftanbUc^ ift bamit 9iobicr§ 6igen=^ 
art nic^t bejetd^nct. 55iefe befte^t barin, ba% bei i^m bie SDar* 
ftettung be§ romantifd^en Stoffel nid^t felbft romantifc^ ift — 
fie ift im ©egentrit ftreng attifd^, Maffifc^ einfad^, ol^ne befonbre 
garbe, o^ne irgentoelc^e Seibenfd^aft, o^ne einen Sd^Icier öon 
(£binburgl^§ 9iebeln tt)ie bei 8cott, ober öon SBerRnö 3BeinfeIlerbunft 
toit bei ^offmann. Seine ©igcntümfid^feit atö ©tißft ift bie, ba% 
toäl^renb ringö um il^n bie jungen 9flomantifer bie Bpxad)t öer* 
finnfid^ten unb bie Sbee burd^ ba^ S3ilb öerbrängten, er feine 
toübeften romantifd^en (Einfälle in ber Haren, einfad^en 8prad^e 
^a^cate unb SBoffuets nieberfd^rieb. SBaö für ein eifriger SScrfed^ter 
ber neuen 3ttd^tung in ber ßitteratur SRobier aud^ mar — in 
ftififtifd^er ^inftd^t öerbtieb er fonferöatiö unb brüdfte bie 5ß]^an^ 
taftif be§ neunje^nten Sa^r^unbertg in ber ftrengen, burd^fid^tigen 
aSeife au§, bie bem ftebenjel^nten eigen toar. ^l^n U^ jum Sianbe 
beö SBaJ^nfinng in feinen ®inf alten, ift er üorfid^tig unb Kar in 
ber gorm. ®ine SKärd^enbid^tung öon il^m gleid^t, tote 5ßro§per 
SKfeimfe e§ treffenb. au§brüdte, ,,bem Iraum eine^ ©f^tfien, t)on 
einem altgried^ifd^en ©id^ter erjäl^It," 



(Slt)arle0 Hobler. 47 



©eine „Ines de la Sierras" ift eine ©eiftergefd^id^te, bie öor 
anbeten berartigen bie öottenbete ©d^önl^eit be^ ©toffe^ öorang 
f)at S)er ©inbrud öon Kranen, ben bie unerflärlid^e ©rfd^cinnng 
erttjerft, ift gemifd^t mit ber Slngiel^nnggfraft, toeld^e bie rül^renbe 
®rajie berfeffien an^üfit; ba^ einmütige nnb ba^ ©d^retflid^e in ber 
gel^eimnigöoöen ©eftalt Ines de la Sierras neutralifieren fid^ itvax 
nid^t; a6er Beibe^ int SJerein toixtt mit einer eigentümlid^en ÜRad^t, 
nnb biefe SSereinignng ift üBerl^anpt baö ©el^eimnig öon ben ©ffeften 
biefeö ©id^terg. SRnr fd^abe, bafe 9Jobier bie fd^öne ©rjä^Inng 
bnrd^ einen ffeinlid^en nnb nntoa^rfd^einlid^en ©d^Infe öerborben 
^at, ber ba§ ©efpenft rationaliftifd^ toegbetoeift. SRid^t bie üor 
300 3al^ren ermorbete jnnge 2^änjerin ift e^, bte nm ÜRitternad^t 
in bcm oben ©d^Iofe umgel^t, fonbem eine jnnge, lebenbige ©panierin, 
bie jnfäßig benfetten Flamen filiert, nnb bie bnrd^ eine Kombination 
ber a6,entenerlid^ften nnb nnglanblid^ften Umftänbe fid^ tanjenb nnb 
toeifegeHeibet im ©d^Ioffe jeigt 3n biefem Sln§tt)eg ftedft ein ed^ter 
lateinifd^er 9iationaIi§mng, aber er ift, fo ^n fagen, nnr pro forma 
angebrad^t ©ine ©rjal^Inng toie „Ines de la Sierras" ben^eift im 
übrigen gerabe anf § ©entlid^fte ben poetif d^en gortjd^ritt ber bamatigen 
3eit in SSergleid^ mit bem ad^tjelinten Soi^tl^unbert, toeld^' festeres 
f ogar in ber 5ßoefie bem Unnatürlid^en fo f einb n^ar, bafe SSoItaire fid^ 
für einen reformatorifd^en SBagel^atö l^ielt, afö er in feiner „©emi^^ 
ramig" ba^ Iftd^erlid^e ®efpenft beg SWnn^ bei J^eHIid^tem Sage ein 
paor Sllejanbriner bnrd^ ein 2;i^eaterfprad^rol^r l^inangmfen Iie§. 

SSon SRobierg pl^antaftifd^en Srjäl^Inngen fd^eint „La f6e aux 
miettes" mir bie öorjügtid^fte. ©etoife ift fie ju lang nnb breit, 
ben'n man lieft nid^t ol^ne ©d^toierigfeit ein in toilben Slrabeöfen- 
fid^ fd^tängelnbeg ^ßl^antafieftüd, ba^ 120 ©eiten in Dnartf ormat 
einnimmt; gteid^too^I fül^It man fid^ bnrd^ gro^e 5ßartien gefpannt 
unb gefeffelt. S)er SRal^men biefer ©efd^id^te ift folgenber: ein 
armer, gutmütiger ©emütöfranfer erjä^It ba^ äWärd^en feinet SebenS; 
bo^ beffen abentenerlid^er Snl^alt bringt nn§ ben 9ial^men gang 



48 2)i( totnantifd)e Bci)ule in itankreid). ^ 

in SBcrgcffenl^cit Slöe ©alten be^ ÜRcnfd^cnlebeng fommcn l^ier 
tottb unb fd^riö jum Siöncn. ®« ift, ate ob ba§ Äcbcn fettft an 
ung öorübcrjögc, a6cr toix feigen 5ltte§ t)on ber ücrfcl^rtcn Seite, 
öon bem ungemöl^nltd^en, ttjenn aud^ ntd^t unbered^ttgten ©taub* 
punft beg Xxanm^, ber SBifton, ber gieberpl^antafte, 

3n ®ranöiöe in ber 9?omianbte kbt ber el^rfame 3tet«t^nnann 
aRid^el, gut unb einfältig t)on ^erjen. 3n ber ©tabt »ol^nt eine 
Heine alte 3^^^Si^f i^ä^fic^ unb öerrunjeft, toetd^e bie Überbleibfel 
öom grül^brot ber ©d^uffinber fammeft unb barum „bie SBrofamen* 
fee" genannt tnirb, ©d^on öor öier, fünf 3al^rl^unberten toarb fie 
bort in ber ©tabt gefeiten, tt)o fie gauj in berfetben SBeife kiit. 
Sntmer öon 3^W ju S^^ taud^te fie tt)ieber auf. S^r l^ilft ber 
junge SRann mit Meinen ©umnten aug, unb fie unterftü|t il^n jum 
Sntgelt mit allerlei toeifen SRatfd^ tagen, rebet ftetg, atö ob fie 
fterblid^ in il^n oerliebt fei, unb bittet il^n, i^r bie (Sl^e ju öer* 
fpred^en, bamit er auf biefe SBeife einmal ttjieber ju feinem ®elb 
!omme. ©ie fd^enft i^m il^r 93ilb, ein magifd^e^ SBitb, ba^ xf)x 
burd^aug nid^t gteid^t, fonbem bie gee 93etfi§ oorftetit, biefelbe, 
bie in alter Qtit Königin oon ©aba mar unb bie ben n^eifen 
©alomon fo fel^r (iebte, Sn bieg 95i(b einer fd^önen, magifd^ 
ftral^Ienben, oerlodfenben g^auengeftaft öerliebt ber Süngling fid^; 
n)o er im Seben ge^t unb ftel^t, begegnet il^m il^r SRame, unb toiti 
er reifen, fo ^ei^t fetbft ba^ ©d^iff „bie Königin öon ©aba." 
@r manbelt uml^er in Iräumen bon feiner SJelfig befangen, toie 
n)ir aöe in Sräumen n)anbeln: unfre Kl^imäre, unfer Sbeal, unfre 
fije Sbee fd^eint ebenfo btn Slnberen nur ^iottl^eit 

Unfd^ulbig be§ SRorbeg angesagt, ber in einem SBirt§l^au§ 
unb in bemfelben 3^^^^^ begangen n^urbe, in meld^em er fd^ßef, 
n)irb ber arme ÜKid^el jum Sobe verurteilt ®r folt gel^ängt toerben 
unb n)irb unter bem Sollten be§ ^öbete jum ©algen gefül^rt. S)a 
üerfünbigt man il^m, ba^, nad^ einem alten SBraud^, einem jum 
%obt SSerbammten ba^ ßeben gefd^enft ttjirb, faU§ ein junget 



(Etiatiee Hobiet. 49 



graucujimmcr ftd^ ä6cr i^n erbarmt unb t^n jum SKanne nel^men 
toxU, Unb ftel^! ba ift goß^^Strlfree, bo^ luftige, ^übfci^e ÜKäbd^en, 
ba^ il^m immer gut toax; fie nähert fid^ bem ©d^afott, fie toiU fein 
Seben retten. ®od^ er bebenft fid^, Slud^ er l^at ^oiit)^&xxl^tz 
tjon §erjen gern, fie ift gut unb fd^ön; aber er liebt fie nid^t, liebt 
nur ®ine, gtül^t ^eimfid^ für fein nie gefel^eneg 3beal, bie ^ee 
35e(!ig. Särtfit^ unb banfbar blidft er goHti an, n^ägt 5ßro unb 
Kontra, unb — bittet fid^ au^, gel^ängt jn n^erben* S)icg Über== 
(egen mit bem ©tridE um ben ^atö, bieg „93effer gut gel^ängt ate 
f^kd^t öerl^eiratet", toie @]^afef:peare e^ au^brüdtt,^ ift l^ier mit einem 
liebtid^en §umor burd^flod^ten, mit einer naiöen unb ibeaten ßeben§^ 
pl^itofop^ie, bie man nid^t fo leidet öergi^t, benn in Slugenbfidfen 
judEte fie jebem SRann einmal burd^S §im. 

3Äid^eI ^äü fd^on ben ^ate l^in — ba fommt unter Särm unb 
(Sefd^rei bie SBrofamenfee l^erangeftürjt, fämtlid^e ©affenjungen ber 
@tabt im ©efolge, um ben Söen^ei^ für bie Unfd^ulb be^ SSer=* 
urteilten beijubringen, @r l^eiratet fie au§ S)anf barfeit; bod^ faum 
l^at in ber 93rautnad^t bie %^nxt fid^ l^ermetifd^ jn^ifd^en i^m unb 
feiner fteinalten ©emal^fin gefd^Ioffen, afö Söelfiö im Srautfd^teier 
feinem Sager nal^t 

„Sld^, 93elfi§, id^ bin öerl^eiratet ; id^ bin ber SJiann öon ber 
Srofamenfee/' 

„3d^ bin bie 95rofamenfee/' 

tf'äd) nein, ba^ ift unmögtid^, bu bift \a faft eben fo gro§ 
toit id^/' 

„S)a§ fommt baöon, ba§ id^ mid^ ftredfe." 

„Slber bie§ iprad^tüolle gotbne ßoden^aar, bag über beine 
©d^ultem ftrömt, SeHig? ®ag ^ai bie ^ee ni^i" 

„SRein, benn ba§ jeig' id^ nur meinem äWann." 



^ Many a good hanging prevents a bad marriage. 

(„What you wül." I, 5.) 
©tonbcS, ßittcratitrgcid). beS 19. SJa^r^. V. 4 



50 Bie romantifdie 3d|ttU in frankceuli. 

„W)tx bic jtoci großen öorftcJ^cnben S^^^ ^^ 5^^ ^ S5cIK§, 
bie finb' id^ jtüifc^cn beincn frifd^cn, buftigeti Sippen nid^t" 

„D, baö ift ein fiupg, ber \iä) nur für baöÄIter fc^tcft." 

„Unb bicfc foft tötenbc ©eligfeit, bie nric^ an beiner ©eite 
erfaßt, 93effi§ ? S)ie fü^If ic^ bei ber gec nie.'' 

„Sa§ bid^ ba§ nii^t tüunbem", tautet bie lad^enbe Antwort, 
„benn bei ber SRad^t finb aQe Äa^en grau." 

Unb fo ift fein fieben bei 2;ag unb Siad^t jttjifc^en ber toeifen, 
alten gee unb ber fd^önen, iungen Königin t)on @aba geteilt, big 
er enbßc^ bie fingenbe SHraunennmrjel finbet unb, bem Srrenl^aüfe 
entfc^tüpft, unter i^rem ®efang in ben §immel ber g^e unb feiner 
S3effi§ fteigt. 

9lid^t njal^r, bie§ ift SBal^nnji^? aber ein njunbcrbar feelen^ 
öoller SBal^ntoi^. SBaö ift biefe ^tt, n^eld^e Srofanien fanunelt? — 
Sft fie bie SBei^l^eit, ift fie bie SRefignation nnb ^flid^terffittung? 
Sft fie bie unöergängüd^e ©ebulb, bie jum ®enie wirb? Sft fie 
bie Jreue, bie fid^ in ba^ &iM toanbelt, weld^e^ il^r Sol^n ift? 
©ie ift tool ein wenig öon bem Stilen unb !ann gerabe barum f^d^ 
ju Sugenb unb ©d^önl^eit unb fetiger Suft öerwanbeln. Ungcföl^r 
fo ift e^ gebid^tet ober geträumt. 

SBo fid^ 9iobier auf ber ^öl^e feinet ©d^affen^ befinbet, l^at 
feine ®inbitbung§fraft einen au^getaff eueren, übermütigeren ©d^toung; 
fie begnügt fid^ nid^t bamit, ben Snl^atJ regellos buri^einanber ju 
werfen, fie ftellt il^n in einer gefpräd^ig==barorfen, ber ©ad^e fetbft 
fpottenben gorm bar. ^ein g^anjofe fommt bem, wag bie @ng* 
tauber unb bie S)eutfd^en „^umor'' nennen, fo nal^e wie SRobier. 
3uweiten ift er wie befeffen öon pl^antaftifd^em SÄutwillen. 9lid^t 
genug, ba^ er in feiner ©rjöl^tung bie SBett ber gewöl^ntic^en SSor* 
ftellungen auf ben Äopf fteltt; er fpiett fogar mit htm SSerl^ättnig, 
in wetd^em er fetbft ju feiner ©rjöi^tung ftellt, fpöttelt über bie 
3eitgenoff en , lä^t taufenb ?lnbeutungen falten, pl^itofopl^iert über 
bie SItuftonen beg ©afeing, ?lQeg burc^ bie bto^e gorm ber 3Rit= 



<Et)atle0 Uobier. 51 



tctiung. ©cffift bic 93u^brucfcrlunft nimmt er ju $ilfc, um bag 
5ßl^antaftifd^c rcd^t l^crüortrctcn ju laffcn, ober um bic abfofutc 
^crrfd^aft feiner ©ubjeftiöitöt über ben ©toff bcutlid^er nad^ju* 
ttjeifen unb gleid^fam in feinem einzigen fünfte — nid^t einmal in 
bem ]^anbtt)erfömä§ig unb burd^ SRafd^inen l^ergefteHten SRebium — 
irgenb eine Äu^erü^feit ftel^en ju taffen, tüorin nid^t bie fouöeräne 
5ßerfönlid^feit beg ©rjäl^ferö il^re Saune geftenb mad^t @r l^atte 
eine ganje 93u^brudEerei nötig, um feine berül^mte ©rjäl^Iung ,,S)er 
Äönig t)on 93ö]^men unb feine fieben ©d^Iöffer" l^erau^gebcn ju 
fönnen. ®r befiel^It — unb bie 93ud^ftaben njerben fo lang, ba^ 
fie bie ganje Seite bebedEen; er gebeut — unb fie njerben tüiujig 
Kein; er lä^t feine Stimme erfd^aUen — unb fie erl^eben fid^ öoll 
Slngft; er toixb fd^ttjermütig — unb fie faßen f^räg um; fie njerben 
JU Sttuftrationen, bie nid^t öom Xejrt getrennt toerben fönnen; 
©ruppen öon lateinifd^en unb gotifd^en Settern tned^feln mit ein* 
anber ab, je nad^ ber Stimmung; mand^mal ftel^en fie auf bem 
Sopf, fo ba^ man ba^ S3ud^ umtoenben mu§, um toeiter lefen ju 
fönnen; mand^mal lel^nen fie fid^ fo genau an ben Xejrt an, ba^ 
ein ^inuntergel^en jur Xreppe folgenberma^en gebrudEt ftel^t: 

2)ana^ 

unfer 
^db 
gans 
niebergef dalagen 

bie 

l^inunter. 

@g ift intereffant in SRobierS , öon feiner Xod^ter öerfa^ten 

95iogra^)]^ie btn tl^atfäd^üd^en Elementen nad^jufpüren, toonad^ er 

feine pl^antaftifd^en ©rjäl^Iungen geformt l^at. 9lur feiten liegt 

tote bei „Ines de la Sierras" tttoa^ SBirfli^eg, eine Sanbfd^aft ober 



52 I^« romontifdic Sdjule in frankretd). 



ein afteg @ci^fo|, bcm (Srbtd^teten ju ®runbe. 9?obter ftubicrte bie 
betreff cnbcn ßofafitäten auf einem Stu^flug, ben er 1827 mit feiner 
iJamiUe naä) Spanien mad^te, SRitunter ift ber Slu§gang#punft 
eine @age; eine fold^e liegt j. S- „Trilby** ju ©runbe unb e§ ift 
bejeid^nenb, ba§ biefe Sage 9iobier öon bem franjöfifd^cn Über= 
fefeer SBafter ©cottg unb S5t|ron«, ^xä)üt, erjä^It toirb. 2)ie Sbee 
ju „Smarra" be!am 9iobier, afö er feinen 5ßortier in ^ari§, einen 
alten Snöaliben, ber ju franf tüar, um anberö al§ in einem ©tui^Ie 
fi^enb ju fd^Iafen, öon feinem Sllpbrürfen unb feinen Sraum^^ 
gefid^ten erjäl^Ien l^örte. 2)ag SRobeH ju ber ,,95rofamenfee" toar 
eine alte äRagb, bie ju SRobier^ ^inbl^eit^erinnerungen an^ bem 
Söaterl^aug gel^örte unb bie feinen 60iä]^rigen SSater toie einen 
leid^tfinnigen Süngling jU bel^anbetn pflegte. ®ie alte 2)enife 6e* 
l^auptete, ba^^ beöor fie in bieg $aug gefommen, fte bei einem 
äRonfieur b'Slmboife, ©ouöemeur öon Sl^dteau^Jl^ierrti, gebient 
l^obe; unb ba fie, toenn fie auf bieg Kapitel ju reben fam, in il^re 
eignen (Sriebniffe Erinnerungen ber n)unberbarften 83egeBenl^eiten 
unb längft vergangener Sitten l^ineinöermengte, fteHte man bes 
©pa^eg l^alber SJiad^forf^ungen noc^ jenem merftoürbigen ®out)er== 
neur an. 2)ie ftäbtifd^en Slrd^iöe n)iefen nad^, ba% nur ein einziger 
®out)emeur biefeg Jlameng ejiftiert l^abe, ber atf bereite im 3al^re 
1557 geftorben fei. 9Äan fieljt, njie aug biefem broKigen @ad^t)er= 
l^alt bie ©rjäl^Iung öon ber gee fic^ bilbete. ®ag unbebeutenbfte 
fattifd^e Element, eine Sanbf^aft, eine Sage, ein %xanm, eine ßüge, 
ein ©täubd^en genügte für 3iobier, um baraug feine gee unb il^ren 
^offtaat JU bilben. 

2)er liebengnjürbige, geiftreid^e SÄann, beffen §aug eine 9iei^e 
t)on Salären Ijinburd^ ber ©ammelp ta^ für bie 1830 auftaud^enbe 
titterarifd^e Generation toar, unb ben jeber Slnfänger, jebeg junge, 
latent auffud^te, um 5ßrote!tion ju finben unb mögtid^ertoeife bie 
SSergünftigung ju erlangen, ber augertefenen ©efeßfc^aft, bie ftd^ 
Sonntag Slbenbg im §aufe einfanb, eine SSaKabe ober ein $rofa^ 



Ci)atU0 Hoblet. 53 



ftüd öoricfcn ju bürfcn, öcrtrttt bag ©ftrent bcr romantifd^en ?ß]^an= 
tafteret in bcr franjöfif^cn Stttcratur bcr bamaligen Qtxt 2)ag 
^ßj^antafttfd^^übematürli^c, tvüä)t^ ba§ (Srunbtoefcn bcr 9tomantt! 
in ^tnt\ä)i(mb an^mad^tc, bilbct in granfrcid^ nur bcn einen i^rer 
5ßoIe ober rid^tiger: e§ ift ein einjelneg ©lement in ber franjöfifd^en 
Siomantif, bei einigen il^rer berü^mteften 9tepräfentanten ein 
f d^toad^e§ unb untergeorbnete^, bei anberen ein ftärf er l^eröortretenbeg, 
aber l^ier tüie bort ein fonftanteg ßlemcni ®§ fomntt gleid^ üon 
?Cnfang an bei SSictor $ugo in feinen ^ejenfabbatl^^^Sallaben junt 
3lugbrucl^, eg tritt fräftig ju 2;age in feiner großen ,,ßegenbc bcr 
3a]^rl^unberte", bod^ l^iftorifd^ aufgefaßt, inbem bie Segenbe l^ier 
nur naiöe ©cfd^id^tc ift; e§ flimmert fetbft bei bem ftreng ratio* 
neuen SR^rimfe l^eröor, l^alb verborgen in „La Venus d'IUe", 
flarer in „La Vision de Charles XL" unb „Les ämes du purgatoire"; 
eg beJ^errfd^t ate l^atb ferapl^ifd^e, ^alb tt)oUüftig blutige ©d^njür* 
merei ßamartine^ „La.chute d'un ange"; eg erfüßt Quinet^ pan* 
tl^eiftifd^^nebtt^ten „Sll^agöeru^"; e^ finbet fid^ bei George @anb 
fd^on in „öonfuelo" unb mit bem Stfter in bcn fd^önen SWärd^en 
ein, bie fie für il^re @nfel nieberf d^reibt ; eä befd^dftigt felbft ben 
plaftifd^en lautier in ben jal^Irei^en 9iot)eUen, bei benen er. fid^ 
t)on §offmann infpirieren l&^t, unb eg frönt aU ©toebenborgfd^er 
@^)iritigmug Saljac^ grofee^ naturaliftif^eö SBcrf „La Comödie 
humaine" mit einem SRoman toie „@^ra^)l^itu§*@^ra^)l^ita/' 2)od^ 
bei deinem l^at e§ bie naiöc Urfprünglid^feit unb bie frifd^e, bid^* 
terif^e Äraft toie bd SJiobier* 



V. 

2)cr neue bid^tcrifd^c unb fünftlcrifd^c ^urd^bwai) f)aüt frcmbc 
unb mlftnbifd^c dueßen. ®ie (Stntoirfung öom 3lu§Ianb l^cr ift 
bic auffälligftc. 

SBic fd^on crtüdl^nt, eignete bag junge ©efd^tcd^t ftd^ ba^ 
grembe, ba^, oBgteid^ alt, fid^ bt^l^er in granfreid^ nid^t Singang 
t)erfd^afft l^atte, fotoie bag, tüag nun bie ©egentüart bur^ feine 9ieu* 
l^eit feffelte, auf einmal an unb naiint e^ mit einem ©ifer auf, 
beffen ®rö^e bem Unterfd^ieb gleid^ fam,, in toetd^em bie neue 
©rfd^einung fi^ öon ber fteifen Üteget ber frül^eren Sitteratur ab* 
jeid^nete. SSor ben Stugen ber jungen ©d^ule bitbete fid^ ein 
garbenglanj, tnorin aUe garben fi^ in einer getoiffen übereinftim== 
menben SBeife brad^en. ®ie ©tral^len, bie ^inbur^brangen, öer* 
änberten jugleid^ bie garbe. 

Soor aßen anberen toar @]^a!ef:peareg 9iame frül^jeitig im äRunbe 
ber 9tomantifer bie entfd^eibenbe Sofung getoorben. St* SB, S^teget 
l^atte ©l^afefpeare bie 83al|n gebrod^en; benn in feinen berül^mten 
SBortefungen über bramatifd^e ^nft unb Sitteratur, bie aud^ in 
franjöfifd^er Überfe^ung erfd^ienen, toar er ber erfte getnefen, ber il^n 
öerl^errlid^te unb erftärte, ®er granjofe äRercier, ,,ber 5ßropI|et be§ 
JRomanti^mug", ftimmte mit Seibenfc^aft in biefen 2on ein, ^itit^ 
main unb fpäter ®uijot fotgten berfetben ©pur; SJiad^alimungen 
unb Überfe^ungen, te^tere getreuer at§ biejenigen frül^erer Sal^r- 
l^unberte, trugen ha^ ilire baju bei, ben Flamen unb bk Äunft be§ 
großen 93riten poputär ju mad^en, ^oä) ju 93eginn ber jtüauäiger 



HudibUcke. itembe ^ntegungen. 55 



Saläre tüar man fo n?cit jurücf, ba§ cngtifd^c ©d^aufpiclcr, bic int 
Xl^catcr 5ßortc=@amt=ÜKartin @^a!cfpcare jn fpielcn ücrfnd^ten; mit 
bcm SRnfe empfangen tünrben: „©pred^t franjöfifd^! ^lieber mit 
©l^afefpeare! @r njar einer öon S33eIIington§ Stbjutanten!"^ 2)o^ 
toir l^aben gefe^en, ba^ il^ren SRad^foIgern nur tüenige 3a]^re fpäter 
eine glänjenbe Slufna^me ju teil ttjurbe. Sn bie ^^if^enjeit faßt 
unter anberm Se^Ieä l^artnärfiger ßampf, um ©l^afefpeare bie 
fd^utbige Stnertennung ju öerfd^affen, unb bie |)erauggabe beg 
S3Iatteg le Globe, bag anfangt breimal njöd^entlid^ , barnad^ ate 
XageBIatt atö bag Drgan be§ jüngeren ©efd^Ied^tg tüirfte unb unter 
bem Seiftanb öon beffen öorjüglid^ften Säften bm t^übiu^ für 
bie neuen 5ßrinjipien au^erorbentlid^* tüd^tig leitete. 

Söe^te, ber tro| feiner 5ßarabojie einer ber Harften unb ori* 
gineüften Äöpfe ber 3^^ ^% hxMt feine 93ett)unberung für @l^a!e= 
fpeare entfd^ieben au§, ol^ne fid^ be§l^al& eine^ ÜRangefö an 5ßietät 
für ^Racine fd^ulbig ju mad^en, ben er atö ©l^afefpeare^ ®egenbilb 
auffteHt. @r tneift nad^, ba^ bie ÜRomente öottftänbiger SUufion, 
bie fic^ toä^renb einer Xl^eateröorfteüung einfinben fönnen unb 
foßen, bei Sl^afefpeare l^äufiger finb ate bei Jftacine, unb ba§ ba^ 
eigentlid^e SJergnügen bei einem tragifd^en ©d^aufpiet öon biefen 
furjen SHufion^momenten unb ber Setnegung, tneld^e fie in i^ren 
SnterüaUen im ^emüt be^ S^^6)antx^ l^interlaffen, abl^änge. SBa^ 
l^auptfäd^Iid^ ba§ ©ntftel^en ber SHufion l^inbert, ift bie SBetüunbe^ 
rung, tneld^e bie fd^önen SSerfe einer Xragöbie erregen. ÜKan mu^ 
fic^ bie grage !tar mad^en: SBag ift bie Stuf gäbe für ben brama== 
tifd^en ©id^ter, fd^öne @nÜt)idEeIungen in tool^niingenben ißerfen ju 
geben ober menf^Iid^e SRegungen tüa^r ju malen? — Unb er 
gel^t in feiner Seanttoortung biefer g^age njeiter at^ fpäterl^in bie 
romantif^e 2;ragöbie unter SJictor §ugo unb Sllejanber ®uma§ 
fic^ betpegte, inbem er ben SSerg ate gorm für baö tragifd^e 



^ Stendhal, „Racine et Shakespeare^^ 6. 215. 



56 I^te romantifibe Bettle in Jhanknl^» 



S)rama abfolut öcmirft. @o6aIb bic 2;ragöbic il^re SBirtung barin 
fud^t, ein genaue^ ®cmölbc bcr ©cmütöbctoegung ju geben, mu^ 
fie, nad^ feiner Slnfid^t, üor allem bar auf l^inarbeitcn, ©ebanfen 
unb ©efül^Ie mit größter Slarl^eit augjubrücf en» ^oä) biefe ^Iar== 
l^eit tüirb burd^ ben SSerg beeinträd^tigt. 93e^Ie ffil^rt SKacbetl^^ 
SBorte gegenüber SBanquo^ ©d^atten, ber auf feinem $ß(a|e fi|t, 
an: „the table is füll", unb bel^auptet, ba^ "Sttim unb Sl^^t^mu^ 
}ur ©d^önl^eit einer fold^en ©teUe nid^t§ j^insutl^un fönnen. Slugcn* 
fd^einlid^ cntfprad^ fpäter SSitet, unb nid^t |)ugo, biefem feinem 
bramatifd^en SbeaL 

SSe^Ie rät feinem, ©l^afefpeare no^jual^men» SBa§ man an i^m 
nad^alimen foQ, ift nur feine gäl^igfeit, bie SBeft, inmitten tpeld^er 
er lebte, ju ftubieren, feine fiiinft, ben 3^Ü9^^off^ i^^^ 5lrt Xra* 
göbie JU geben, beren fie beburften; benn aud^ nun, 1820, lebe 
ba^ 99ebärfni^ nad^ einer beftimmten Strt üon bramatifd^em ©d^au* 
fpicl, felbft n^enn bie 3^i^ ^^^ 2)id^ter^, eingefd^üd^ert burdt) ben 
großen SRuf eine^ SRacine, ni^t ttjage, bieg öon il^m jU forbem. 
?lur wenn man fein ^^itolter ftubiert unb il^m Genüge leiftet, fei 
man in SBal^rl^eit romantifd^, 2)enn „ber Slomantijigmug" fei bie 
Äunft, ber S33elt biejenigen litterarifd^en SBerfe jU fd^enfen, bie, 
nad^ bem gegentnärtigen B^^ft^^i^ i^^^^ Stnfd^auungen unb &ttoof)n^ 
l^eiten, il^r ba§ gröfetmöglid^e aSergniigen ju getoäl^ren vermögen, 
tDä^renb ber ÄtaffijiMug ben Seuten eine Sitteratur barbicte, bie 
il^ren Urahnen ben gröfetmöglid^en ®enu§ bereite. Siacine toax 
ju feiner 3^it romantifd^, ©Iiafefpeare fei romantif^, erftenö tneü 
er ben ©nglänbem öon 1590 bie blutigen ©ntfd^eibungen, toeld^e 
bie Sürgerfeiege mit fi^ fülirten, barfteUte, femer toeit er eine 
JReil^e meifterlid^er, big ing feinfte abfd^attierter SBilber gegeben l^abe, 
t)on ben garten ^Regungen beg ^erjeng an big jum SBefen ber getpal* 
tigen Seibenf d^aften. S)ie romantif d^e Ji^eorie beftel^e f omit nid^t barin, 
©nglanb ober 2)eutfd^Ianb nad^jual^men, fonbern barin, ba^ jebeg 
aSoI! feine il^m eigentümlid^e, bem nationalen S^arafter entfpred^enbe 



Hütkbliike. ittmbe ^Integungeti. 57 

Sittctatur l^abc, glcid^toie toir SlUe Kleiber tragen, btc un^ angepaßt 
unb für jcbcn eigene gefertigt finb* — SBic man fic^t, tft für 
a3et|Ic bie 9tontanttf faft ganj gfeid^bebeutcnb mit bcm 33cgriff 
mobernc Äunfi ©igcntümlid^ für beh oBcncrtoäl^ntcn cingcttjurjciten 
§ang beä romantifc^cn Sl^arafterg jur Älaffijität ift feine toieber* 
l^olte Söel^auptnng, ba^ man ,,romantifcl^" in ^infilitf auf bie 
Sbeen fein muffe, benn bie^ fei ,,bie f^orberung be^ Sal^rl^unbert^", 
bagegen muffe man ftaffifc^ in ber Slu^brud^toeife, ber ©prad^form 
nnb ben 9tebenjenbungen bleiben; benn bie ©prad^e fei Überlief e^^ 
rung unb barum fo gut tük unöeränberlid^. ÜKan foKe fi^ be= 
ftreben, tnie 5ßagcal, SBoftoire unb ßa 93ru^ere ju f^reiben.^ 

3n öerfd^iebenen SBarianten formulieren bie bebeutenbften ÜRit* 
arbeitet be§ „(Slobe" bie 2)efinition üdu htm fid^ öortoärtg fäm* 
pfenben Sftomanti^mu^ in Übereinftimmung mit einanber, foie 
aud^ mit SBe^Ie. Qu ber ßeit, ba §ugo nod^ föniglid^ gefinnt, 
d^riftlic^ unb fonferüatiö tpar, tnar „le Globe'* bereite reöotutionär, 
pl^ttofopl^ifd^ unb liberal ®er erfte, ber im ,,(ätobe" baran ging, 
ba^ Programm be§ Jftomantigmu^ ju geben, tnar Sl^ier^, ber, n)ie eg 
in ber 9fiegel bei einem litterarif d^en ober f ünftlerif d^en ©urd^brud^ 
gefd^iel^t, fogfeid^ bie SBorte 9iatur unb SSSal^rl^eit afö ßofung 
auffteHtc. 6r befämpft in ber bitbenben Äunft ba^ afabemifd^e, 
ba^ ftimmetrifc^e, forbert in ber bramatifd^en 5ßoefie bie l^iftorifd^e 
SBal^rl^eit, ungefäl^r ba^felbe, toag man fpäter unter Sofalfarbe 
öerftanb» ©uöergier be §auranne beftimmt in einem Strtüet „Über 
ba^ 9lomantif^e" ben Älaffigiömu^ aU ^Routine, ben 9flomanti§mu§ 
atö ^eil^eit, nämlid^ afö greilieit für bie öerfd^iebenartigften 
$;atente .(§ugo unb Se^Ie, SÄaujoni unb SRobier), fic^ in i^rer 
gonjen @igentümlid^!eit ju entfalten. SSä^renb Slmpere ben SÜaffi* 
ji^mui atö ?lad^a^mung, ben 9iomanti§mu# aU Originalität befi* 
niert, t)erfud^t ein Stnon^mu§ (aller S33a]^rfd^einlid^!eit nad^ @i§* 



^ ,,Racine et Shakespeare". @. 115, 117, 218 5lnmcrlung. 



58 9^^ tomantifdie 34)ule in itankteid). 

ntonbi) eine ftrengere ©epnition ju geben, inbent er Bemerft, ba§ 
bag SBort JRomanttämug nid^t gebtibet tüorben fei, um bie titte^ 
rarifd^en SBerfe ju bejeid^nen, toorin irgenb eine ®efellfci^aft il^ren 
Slnfcl^auungen Sluöbrucf gab, fonbem ba^ e^ nur biejenige Sitteratur 
in fid^ begreift, bie ein treuem Silb ber mobernen Siöili^ 
fation giebt ®a biefe, feiner Über jeugung nad^, in il^rem SBefen 
fpiritualiftifd^ ift, fö fei ber 9tontanti^mu§ afö ber @pirituaü§uiu§ 
in ber Sitteratur ju befinieren, ÜKit jugenbüd^er ©etpattfamfeit 
unb in breifteren Slu^brüdEen tritt ber fpätere SSerfaffer ber „93arri* 
faben", ber jnjanäigjäl^rige SJitet, auf, inbent er ba^ SBcfen be§ 
9tontanti§um^ beftimmt. @g bebeute fd^Iid^tn^eg Unabl^ängigfeit in 
^nftangetegenl^eiten, inbiöibueße greil^eit in ber Sitteratur. „2)er 
JRomantigmug ift", fagte er, „ber ^ßroteftanti^nmg in ber Sitteratur 
unb Äunft;" unb augenfc^einlid^ benft er babei au^fd^Iiefefid^ an 
ba§ So^rei^en öon einer ^pcipftfid^en Slutorität 2)er Jftomanti^mu^, 
föl^rt er fort, ift tüeber eine litterarifd^e 2)oftrin nod^ eine 5ßartei=* 
fad^e, fonbem bag ®efe^ ber S^otn^enbigfeit, ber SSeränbcrung, be^ 
gortf^rittg : „3n jtoanjig Salären njtrb ba§ ganje SSoß romantifd^ 
gefinnt fein; id^ fage ba§ gauje SSoß, benn bie Sefuiten jöl^fen 
nic^t junt SSo«/' 

@§ befielet, toie ber Sefer fie^t, faum ein 9luance=Unterfd^ieb 
jtüifd^en biefen 2)efinitionen unb berjenigen, ju toetc^er SBictor §ugo 
getaugte: „®er 9flomanti^mu^ ift ber Siberali§ntu§ in ber Sit== 
teratur"; unb man toirb fi^ nid^t munbem, bafe ber „®Iobe" bie 
SJorrebe ju „©romtoetf" mit bem Slu^brudE begrüßte: „S)ie 85e* 
toegung I|at nun fogar §errn §ugo erfaßt." 3n SBirllid^f eit 
braute er il^r üon feiner Seite nid^t t)iel mel^r atö ben @ieg.^ 

SRäd^ft ©l^afefpeare toar S33alter Scott ber engtifd^e ©id^ter, 
beffen @influ§ toenn nid^t am tiefften, fo bod^ am beutüd^ften toar. 
@r harnte fid^ ben 3Beg über bie ©renje l^ier toie überaß. S)er 



1 man öergrd^e Stl^. Siefitig: „Le Globe de 1824 k 1830" passim. 



llü(kbU(ke. £ttvxbt ^nteoiungen. ^Q 



gro^c ©c^ottc Iiattc fd^on früher in ©eutfd^Ianb, Stalten unb 
2)äncmar! SBctüunberer gefunbcn, bie, befeclt öon einem lebenbigen 
SRationalgefül^I unb mit öolf^tümüd^en unb ftttlid^en 3bealen öor 
Slugen, b'en 2;on feiner SRomane anfd^Ingen» ®ie S33aöerIet|^?Romane 
begannen fd^on 1814 ju erfd^einen, bereite 1815 toerben fie öon 
£a SKotte gouqu^ in gemtanifd^^^junferlid^er 9tid^tung nad^geal^mt, 
1825—26 erfd^einen 9Äanjoni§ „^romeffi ©pofi", 1826 beginnt 
ber ®äne Sngemann jum 99eften eine§ finblid^en 5RationaIgefäI|fö 
unb nid^t tüeniger ünblid^en 9flo^aIi§mug bie |)erauggabe feiner 
romanttfd^=]^iftorifd^en @rjäl|lungen, in benen ber ®eift SBatter 
©cott§ fid^ tüunberü^ mit bem @til giefoleg mifd^t* 83einal^ fofort 
nad^ il^rem ©rfd^einen mad^ten bie 3Bat)erIet|^9tomane in ber Über* 
fe^urig gro|e§ @IM in granfreid^. Scotts 9iame toax fo populär, 
ba§ im Slnfang ber jtüanjiger Saläre bie 2;i^eaterbireftoren bie 
S)ic^ter aufforberten, nad^ feinen ^Romanen ©d^aufpiete ju „arran== 
gieren". 2)ag mißlungene ®rama „ömilia" öon bem 2)id^ter au^ 
ber Übergangszeit ©oumet Joar eine fold^e Bearbeitung nad^ 3Bafter 
Scott. S)a§ junge romantifd^e ©ef^Ied^t fül^fte fid^ übrigen^ am 
meiften öon benjenigen ©igenfd^aften ber 9tomane angejogen, bie 
man in ben proteftantifd^en Säubern nid^t am l^öd^ften gefd^ä^t 
l^atte: bem matoifd^ befd^reibenben Xatent unb bem mittetaüerlid^en 
2on. SBafter ©cott gefiel in g^anfeeid^, toeil man bei il^m eine 
rcid^e SluStoal^t öon ^amifd^en unb Sogen, ein buntem Äoftüm 
unb bie romantifd^e Strd^iteftur alter 93urgen fanb. ©eine nüd^teme 
ßcbenSanfd^auung, feine proteftantifd^e ©ittli^feit, bie il^m in 
2)eutfd^Ianb unb im Jiorben Sefer getoann, überfal^ ober mip.iHigte 
man. 95e^Ie toar ber erfte, ber fd^arfe feitifd^e ©infpra^e gegen 
©cott erl^ob. @r propl^ejeilite il^m, tro^ be§ augenbfidfli^en SärmS, 
ben man um feinen ?iamen mad^te, nur einen für jJoä^renben Skl^m ; 
benn nad^ feiner SÄeinung beftanb ©cotts ZaUnt mt^x in ber 
gäl^igfeit/ bie ßleibung ber Seute ju fd^ilbem unb ilire ©efid^tSjüge 
ju malen, afö barin, il^r ©efül^töleben njieberjugeben unb un§ il^re 



60 Die romantifibe d^uU in irankteiiii. 



Sctbcnfd^aftcn ju jeigcn, ®etot^ fänne unb foBc bic ^nft nictnate 
btc Siatur ^i^fl fö^ 3w9 ttad^malcn; fie bleibe immer eine fd^öne 
Untoa^rl^eit; bod^ SBalter Scott l^alte fid^ gar ju toenig an bie 
SBal^rl^eit; feine leibenfd^aftlid^en 5ßerfonen fd^einen fid^ Vor fid^ 
fettft JU fd^ämen, fie entbehren ber ©id^erl^eit unb bcr S)reiftigfeit, 
fie l^aben aüjutoenig natürlid^e 3öge. 3i^i^ ^^^b begann man 
benn aud^, Scott oorjutoerfen, toa^ Saljac fpäter oft gegen ii^n 
geftenb mad^t, ba§ er bie grauen unb il^re Seibenfd^aften nic^t gu 
fc^ilbem Derftel^e ober jebenfall^ nid^t ttjagte, biefe Seibenfd^aften 
mit il^rer SBonne, Cinai unb SBu^e inmitten einer ®efellfd^aft ju 
fd^itbcm, bie ein übertriebene^ (SJetoid^t auf Utterarifd^e Sl^rbarfeit 
legte. ^ ©iejenigen feiner Siomane, bie in ber mobemen Qüt fpielten, 
mad^ten feinen ©inbrurf; man l^ielt ftd^ an „Söan^oe", „Quentin 
©urtoarb", ,,bie fd^öne SRaib t)on 5ßert^" unb einige onbre. SBa^ 
man befonberg an htm fremben ©id^ter fd^ä|te, toar, ba§ er bie 
beiben früheren g^^"^^ ^^^ großem Jftoman^ — bie erjäl^Ienbe, 
bereu ßapitetüberfd^riften förmlid^e Slu^jüge toaren unb in tt^eld^er 
ber ©rjäl^Ier immer ben Äopf l^eröorftredte, unb bie 93riefform, bie 
aße Sonffifte unb Seibenfd^aften jtoifd^en ein „%i)mxtx g^eunb!'' 
unb ein ,,3^r ergebner ..." einjtoangte — bur^ ben bialogifierten 
bramatifd^en JRoman erfefete. 2)ie größten 2;alente unter ben jungen 
franjöfif^en 2)id^tern offenbaren feinen Sinffufe. derjenige unter 
il^nen, ber in moralifd^er §infid^t ©ngtanb am näd^ften ftanb, 
Sttfreb be SSignti, fd^rieb feinen Sloman ®inq^3Rarg, ber unter 
Sftid^etieu fpieft, ein unterl^aftenbeg, bod^ je^t öeraltetcg SBerf, n^orin 
ber ©egenfa^ öon gut unb böfe aUe anberen Oegenfä^e öerbunfeß 
unb tüorin ber mangetnbe SSIidE für aiid^dieug ®röfee atö Staate* 
mann auffaßenb ift Scotts aöfeitige Sl^arafteriftif öermi^t man 
im l^öd^ften (Srabe; an il^re SteKe ift ein I^rifd^e^ ©lement getreten: 



^ (Stelle SBc^Ic: Racine et Shakespeare, @. 249, bie eignen SSorte 
SBoIgacg in bcr SSorrebe ju „La Com^die humaine" unb hk Äußerungen feineS 
^Iter=@go, ^Daniel b'Slrtl^e^, in „Les illusions perdues**. 



Hütkblidie. itembe ^ntegimgen. 61 

btc SBerl^crrltcl^ung einer jugenblid^ unbefonnenen 9titterlici^!cit, ber 
altfransöfifd^en S3tat)our» (Slei^jeitig mit be SBign^ lie^ ^ßro^per 
Wttximit ben großen ©d^otten auf fid^ cinJoirfen unb öerfa^te 
unter biefem Sinflufe feine ^Sl^ronif unter Äarl IX. ^Regierung", 
eine üRofaif leben^toal^rer Situationen, ein SBerf, beffen (Seifte^^ 
rid^tung nod^ toeiter entfernt öon ber Scotts liegt. SÄ^rimfe fud^t 
in ber ©ef^id^te bie ftarfen unb genjaltigen ßeibenfd^aften um il^rer 
felbft mEen auf, nur mit bem franjöfifd^^romantifd^en Jiebenjnjcd, 
bie ©i^iepürger burd^ bie unöerl^ol^Iene ©d^ilberung aufjureijen; 
feine ßl^arafterjeid^nung ift meifterl^aft fd^arf unb fnapp, bie S)ar== 
fteüung faft, unter bem 2ro^ gegen aUe moralifd^e ^onöenienj 
au^gefül^rt. 

@§ ift befannt, ba^ Sllejanber ®umag fpäterl^in in öielen leidsten, 
unterl^aftenben 9tomanen — 5. 83. in „2)ie brei 3Jiu§!etiere" — 
auf feine SBeife fic^ Scotts ^arbenreid^tum unb l^iftorifd^en Stil 
aneignete. SBeniger befannt ift bagegen, ba§ 'öaljac, ber SSegrünber 
beg mobemen franjöfifd^en Jftomang, ganj tt)ie be SSignti unb 
äJi^rim^e fid^ öon bem in ber ©efd^id^te be§ 9flomang ©pod^e 
mad^enben fremben SReifter angezogen fül^Ite. @r tüoHte in feine 
©pur treten, ol^ne ein bIo|er Jiad^al^mer ju fein. @r glaubte, in 
bem befd^reibenben ®enre, toel^e^ bie Slomantif öon neuem ju 
©l^ren brad^te, red^t tnol^I mit ©cott tüetteifem ju fönnen, unb 
traute fid^ bie gäl^igfeit ju, bem S)iatog ein ganj anbreg Seben ju 
geben. 83ei S33alter ©cott fanb fi^ nur ein grauenttipug ; in 
granfreic^ toürbe berjenige, ber fid^ barauf toerfe, l^iftorifd^e 
ätomane ju öerf äffen, bie gtänjenben Safter unb bunten ©itten 
be§ S!at]^oIiji§mu§ ben bunfeln ©eftalten be^ talöiniömu« in ber 
leibenfd^aftlid^ften 5ßeriobe ber f ranjöfifd^en ©efd^id^te einanber gegen* 
überfteöen fönnen. Sluf biefe SBeife toax er gegen ®införmig!eit 
gefid^ert. ©nblid^ fa^te er, beffen ®eift ftet^ über atiefenJoerfen 
brütete, ben Pan, Jeben ^^to^it^ ^^^ ^^^^ ^^^ ®ro|en bi§ auf 
bie ®egenn)art in einem ober melireren 9lomanen barjuftellen, bie 



■ 

62 ^^ romantifdie 34|ttle in /rankteti^. 

eine jufammcnl^ängcnbc Scttc bilbcn foHtcn; c^ toar eine ä^tid^e' 
Sbee tpie bie, tpeld^e fpäter ^re^tag in feinem SBerf „S)ie 3Ü^nen" 
in 93cjic^ung auf S)eutfd^Ianb öertoirHid^te, Sin ®Iieb biefer Sctte 
foKte ber erfte Jftottian fein, ben 93aljac mit feinem eignem Siamcn 
l^erau^gab, „Seö ©l^ouan^", tüorin bie Siämpfe in ber SSenbfe gut 
tReöoIution^jeit gefd^ilbert toerben, unb ber 1829 erfd^ien, juft in 
iemf elften Sol^r toie ,,ßinq-3Kar^" unb „Chronique du regne de 
Charles IX." Slnbre Srud^ftäde be^ geplanten großen SBerfeS finb 
iie t)iel fpäter J^erau^gegeBenen Sucher „Sur Catherine Medicis" 
unb „Mäitre Cornelius", ein 9toman, in toetd^em 93atjac, in bireftem 
^ettftreit mit SBafter Scott, Subtüig XL, bem ber frembe 2)i^ter, 
feiner Sluffaffung nad^, Unred^t getl^an, eine $au|)trolIe fpielen 
lä^t ®iefe 33üd^er, bie an unb für fid^ betrad^tet einen getoiffen 
SJert l^aben unt lebenbige, grünblid^e Gl^arafterftubien entl^aften, 
jeigen bod^, ba% n^enn 33aljac feinen 5ßtan, bie SBorjeit in^ Se6en 
ju rufen, ou^gefül^rt l^ätte, feine 93ebeutung in ber Sitteratur== 
gef^i^te beg Sal^rl^unbertg eine ganj untergeorbnete getoefen 
jein toürbe; man l^ätte il^n einfad^ ju SBafter ©cottö ©d^ütem 

%nä) bei SBictor §ugo riefen bie ©cottfd^en SSorbilber ben 
^unfd^ l^eröor, einen großen l^iftorifd^en Jftoman ju öerfaffen, @r 
befd^Io^, bemfetben afö SRittelpunft bie afte Äatl^ebralfird^e öon 
1ßari§ ju geben, bereu Übertünd^ung il^n mit ©d^redEen erfüQt l^atte, 
unb für bereu l^iftorif d^ ^ monumentale^ SBefen er eine äl^nlid^e 
©d^tt)ärmerei liegte, toie ®oetl^e f einer jeit für ben ©tra^urger 
HRünfter unb Delilenf^Iäger für bie 2)omfird^e öon Jftoegfitbe, 
Saut be§ ^ontraft^ mit einem 93ud^l^änbfer foßte biefer je^t fo 
ierül^mte Sloman im Stpril 1829 abgeliefert toerben; |)ugo öer^ 
mochte ben ßontraft nid^t einjul^aften, befam juerft eine grift öon 
fünf ÜKonaten, bann eine toeitere big jum 1. ©ejember 1830 gegen 
99ejal^tung einer ©träfe öon 1000 grc§. tüöd^enttid^ , tocnn ber 
SRoman bi§ bal^in nid^t fertig fei. Stm 27. Suli l^atte er feine 



Hückblidie. irembe Anregungen. 63 

aSorarbcttcn tu Drbnung unb begann mit ber Jitcberfd^rift; Xag§ 
barauf brad^ bie Sutircöolution au§ ; |)ugo§ §au§ toar bcm ^gcl^ 
regen auggefe^t, bei bem Umjug in eine anbre SSol^nung ging ba^ 
^nä) mit aß' feinen Stufäeid^nungen jum JRoman öerloren. (£r 
befam eine Joeitere grift öon brei SRonaten, lie^ fid^ bal^eim auf 
unbeftimmte Qüt Verleugnen, fperrte feine fd^tnarjen Kleiber ein, 
um nid^t auSgel^en ju f önnen, fc^tilpfte in feine Slrbeit^jadEe, taufte 
fid^ eine ^tafd^e Stinte unb arbeitete, ol^ne irgenb einen 93efud^ ju 
mad^en ober ju em^jfangen, U^ jum 14, ganuar 1831, tDv bie 
$;intenflafd^e leer unb ber 9toman fertig njar. SRur ein einjige^ 
9RaI njöl^renb biefer Q^ii f)aüt er fid^ eine 3^^ft^^ii^ng gegönnt, 
ba^ toar, afö er ausging, um bie SJiinifter ßarl^ X. verurteilen ju 
feigen; bod^ um feinen SBorfa^ nid^t untreu ju njerben, l^atte er an 
biefem Sag feine S3ürgermiIij=Uniform angejogen. 

©d^on t)on frül^efter Sugenb an l^atte |)ugo einen tiefen @in== 
brudE bon 3BaIter Scott empfangen. Sn einer S3efpre^ung von 
„Ouentin ©urtoarb", bie er mit 21 3cil^ren fd^reibt, äußert er bie 
l^öd^fte Setüunberung für ©cottg Iiiftorifc^en ©inn, fittlid^en ©ruft 
unb beffen bramatifd^e gorm. ©leid^tool^I finbet fid^ ein ©a§ barin, 
tt)oburd^ er gleid^fam ben ©d^ritt angiebt, um -ben er fetbft bie 
^nft toeiterfüliren ju fönnen l^offt* ®erfelbe tautet: „SRad^ SBalter 
©cottg malerifd^en aber profaifd^en Jftoman erübrigt e§ nod^, eine 
anbere Slrt von 9toman ju fd^affen, bie unferer SÄeinung nad^ 
fd^öner unb boUenbetet fein Joirb. ®ag ift ber SRoman, ber ®rama 
unb @po^ in (Sinem ift, ber njol^I materifd^, aber jugteid^ poetifd^, 
tool^t njirfüd^, aber jugleid^ ibeal, njol^t toal^r, aber jugleid^ gro| ift 
unb ber SBalter ©cott unb §omer in fid^ begreift/' ®ie testen 
SBorte, bie in ed^t ^ugofd^er SBeife, burd^ il^re Übertreibung bie 
SBirlung öerberben, bürfen un§ nid^t l^inbem, im Haren 95Iidf 
be§ jungen ©d^riftfteEer§ für bag, Joa^ er fetbft einmal im Sloman* 
fad^ ju teiften imftanbe fei, anjuerfennen. @r fd^eint gefül^tt ju 
l^aben, ba§ feine 9tomane gro^e ©ebid^te in 5ßrofa fein Joürben, 



64 Ilte tomantifiiie Bi^nit in itankretdi* 



cl^cr gro^c malcrifd^c Segenben ate Silber aug ber SBirfüd^fcit, 
tt)te bie Scotts. 

„Notre Dame de Paris", ttjeld^e^ S33erf ben Qtotd ^atte, ein 
S3ilb öon bem Seben unb ben Sitten jn 5ßarig im 15. 3al^tl^unbert 
ju geben, ift baö ^ßrobuft einer großartigen ard^tteftonifc^en 5ßl^an* 
tafie. ^ugoä $ang jum SÄäd^tigen unb Äoloffalen f)at f)itt einen 
paffenben (äegenftanb gefunbcn. (£r befeeft biefe Äird^e, füQt fte 
mit bem §au^e feinet ®eifte§, fo baß fie ein lebenbigeg SBefen 
tt)irb; unb toie man au^ einem einjelnen S33ir6eIfnoc^en oft eine gange 
2;iergeftalt fonftruieren !ann, fo befd^toört fein |)im, inbem eö Don 
jener fiird^e feinen ,2lugganggpunft nimmt, ba^ ganje umliegenbe 
5ßarig herauf, baä tängft öerfci^tt)unben ift 2)ie ^^^ft^nbe be§ 
©lauften^ unb Stberglauben^ , ber Sitten unb ^nfte, ber ®efe|e 
unb be^ ^erjen^ in jener alten 3^it \i^^ i^ breiten, fräftigen Sügen 
gemalt, ol^ne befonbere Sd^örfe, aber mit jener Slrt SÄagie, bie 
übern)ältigt 2)ie ÜRenfd^engeftalten ftnb geniale ©runbriffc ju 
Sliarafteren, im Stil ber ©popöe, in ^alb übernatürlicher ®röße 
ausgefül^rt» SBalter Scotts el^rbare unb bürgerüd^e äRenfd^Iid^feit 
ift burd^ einen farbentrunfnen Äünfttergeift, fein frommet (Semüt 
burd^ Seibenfd^aftlid^feit im großen Stile erfe^t, bie, o^ne geftillt 
JU toerben, auf bie eiferne, blinbe SRotnjenbigfeit l^inbeutet, auf jene 
ava^xY], bie in bie SBanb ber Äird^e geriet ift unb un^ SlQe, ben 
3igeuner toie ben 5ßriefter, bie Sd^önl^eit n)ie bag 2;ier, 5ßpbu§ 
tüit Ouaftmobo, ^al^rl^unbert für 3al^rl^unbert unter il^ren el^emen 
dritten jermatmt 

3lo(i) ftärfer ate SBalter Scott ergriff 99^ron. 2)a^ heftige 
©lement öon ßeibenfd^aft in feinen ©ebid^ten, ba§ im ^lif^mmen^* 
^ang mit ben Unregelmäßigfeiten feinet ßeben^ ftanb; S^ilbe 
^arolb unb nod^ mel^r Sara, bie öom ^^^ger beg Sd^idffate ge* 
jeid^nete 5ßerfönlid^!eit, bie, in geJ^einrni^öoEer S^n^ermut brütenb, 
il^ren Stolj uub il^re dual öon Sanb ju Sanb fd^Ieppt; biefer 
Xtipug in feinen S^ronf^en gormen, p^antaftifd^ vergrößert burc^ 



Uüdibiidie. ftetnbe ^ntegungnt. 65 

aß ba^, tüa^ öon ÜK^tl^cn unb ©erüd^tcn an ' bcm ScBcn bc^ ^iä)^ 
tcrg ttcBtc: bte§ toax c^, itja^ bie Sugcnb, bte §ugo gctpcctt ober 
um fid^ gefd^art Iiattc, kjauBertc. Sl^rcr tüenigc tüaren bic Sriti* 
fd^cn, bic tüic Se^tc — übrigen^ ein großer Sctounbrcr 99^rong 
— beJ^auptetett , ba§ er ,,afö SJcrf affer öon regelmäßigen, töblid^ 
tangtt)eiltgen Xragöbien" burd^au^ ntd^t ber Häuptling ber 9toman* 
tüer fei» Unmittelbar nad^ Sarong %obt l^atte fd^on bie gange 
§orbe ber franjöfifc^en nnbebeutenben 5ßoeten fid^ über ik beiben 
S^emata ©ried^enlanb unb Sorb 33^ron l^ergemac^t unb ba^ ganje 
3al^r l^inburd^ fortgefal^ren, biefelben mit fo öiel @tfer ju befingen 
unb mit fo tnenig f^äl^igfeit, bie ©igentümlid^feit beg SSerftorbenen 
ju üerftel^en unb ju d^arafterifieren, ba^ @ainte==93eut)e im ®Iobe 
gegen 3Ki|braud^ ber S33orte: S^ron, greil^eit, 2irauerl^^mne u, bgL 
5ßroteft einlegen mußte* ©otool §ugo njie Samartine i^atten bei 
ber Jiad^rid^t t)on 99^ron§ 2:ob i^ren ©efül^Ien für il^n SluöbrudE 
gegeben, erfterer in einem Slrtüel, le^terer in einem ®ebid^t. 
Seibe legten ju jener 3^it 6^i ^^^ ©d^itberung öon SS^rong ©id^ter- 
perf önlid^feit ba^ ^auptgetüid^t auf feinen ©feptiji^mu^ unb ^effimig* 
mu§; feiner öon il^nen fd^eint einen tieferen SinbrudE öon S^ron^ 
äRanne^ttjerfen empfangen ju l^aben; bie frifd^e, beißenbe, politif^^ 
religiöfe Satire in ®on 3uan blieb 1824 überl^ört unb unöer* 
ftanben, fotnol^I öon il^nen tüie öon fo öielen Slnberen. ®od^ toä^renb 
^^ugo öor allem bemül^t ift, ben ®egenfa^ jtoifd^en ber ^oefie 
SB^rong unb ber beg 18, Sal^rl^unbert^ nad^äuJoeifen — „ber 
Unterfd^ieb jtt)ifd^en bem Sod^en S3t|ron# unb SBoftaire^ ift ber, 
baß SSoItaire nid^t gelitten Iiatte" — ift 85^ron für ben toeic^Iid^en 
unb l^atbtoegg gläubigen Samartine nod^ ber gefaöene ©nget. 
ßamartineg „fünfter ®efang öon ®I|iIbe ^arolb", Joorin er bie 
SB^ronfd^en 2!öne an^uf dalagen beftrebt ift, jeigt, innjiefem er bie 
^l^nlid^feit jtoifd^en ftd^ unb bem englifd^en fiorb ju finben ^ianitt, 
nämlic^ in ber romantifd^ l^eroifd^en 5ßerfönfid^!eit. (Sr benü^t 
Sarong 9Ka§fe, um l^inter berfelben bem 3^^if^f ^^^ ^^^ ret)olu= 

«tanbc«, ßittctatittgcf(^. bcs 19. 3a^t^. V. 5 



66 X'te tomantif4ie $^v\t in irankreid). 

ttönären ©^m^otl^icn ?(uSbru(f ju geben, bie nur fd^iüad^ in feinen 
:poetifd^en äRebitationen oufbli^en, bie er aber balb in feinem eignen 
Flamen augf:precl^en follte. Übrigen^ locfte ttjal^rfd^einlid^ bie ®r* 
innerung an S3^ron fotool^l.il^n njie ^ugo nad^ bent Orient; le^terer 
begnügte fid^ mit bid^terifd^en ^al^rten; Samartine fe|te eine gro|* 
artige Süeife in ©jene, ju totlä)tt er fid^ mit fürftüd^er 5ßrad^t au§* 
rüftete» ßamartine n^ie ^ugo empfingen inbe^ öon a3^rt)n§ Ie|ten 
SBerfen, njie aud^ bon feinen legten 2]^aten unb feinem Xobe einen 
tiefwirfenben :poIitifd^en ©inbrudf» 

@:puren S3^ronfd^en ©influffe^ finben fid^ genug bei ber SKel^r* 
jal^I ber in jener ßtxt bebütierenben S)id^ter; bod^ toar bk Drigi* 
naütät biefeg • jungen :probuftit)en ®efd^Ied^t§ fo bebeutenb^ ha^ 
SS^rong ä^^iff^^^^tt, bie aU anftedfenbe§ Seifpiel überall ju üer* 
fül^ren twifete unb Siad^al^mung unb Slffeftation in fo mand^e Sit* 
teratur augfäete, öon biefen ®eiftem ab:praBte, 9iur (Siner mar 
unter il^nen, in beffen Dl^ren gerabe biefe S^ronfd^en 2;öne tok 
®rü§e t)on einem üernjanbten ®eifte Hangen, unb bieg njar, eigenttjüm* 
lid^ genug, ber elegantefte unb ariftofratifd^fte unter i^nen unb ber 
au§ge))rägtefte 5ßarifer t)on il^nen alljufammen: Sttfreb be SRuffet 
®ie meiften öon biefen ^erborragenben Snbibibuatitäten finb au§er* 
l^alb 5ßarig geboren: SSictor §ugo unb 9iobier in Sefan^on, (Seorge 
©anb in Serr^, Saljac in Xourg, (Sautier in %axht^, Samennai^ 
in ber Bretagne, @ainte*S8eut)e in S3ouIogne^fur*3Ker; unb biefe 
bringen, . jeber auf feine SBeife, einen fräftigen gonb t)on ^robin* 
äiali^mug mit, ber fid^ bon SS^ronfd^em @influj3 nid^t burd^bringen 
l&% obgleid^ man il^n — übrigen^ in äufeerft berfd^iebenen formen 
— bei ®eorge ©anb unb %^ Oautier berf))ürt. SKWmfe, ber in 
5ßari§ geboren ift, tourbe frül^jeitig aHäuftarf abgefül^tt, um bon 
Sarong ))oetifd^em StatureH beeinflußt ju toerben, er bjurbe jumeift 
au§ jtoeiter §anb, burd^ ©tenb^al bon bem Siegatiben in feinem 
SBefen angezogen. 2)od^ in feinem f:|)iegelt fid^ Sö^ron fo ftar toie 
in jenem bleid^en, fd^lanfen $ßainfer ^inb, ba§ all bie ©d^toad^l^eit 



Htiikbluke. irembe ^Inregungen. 67 

Httb att bie au^crlcfcnc Slnmut bcfifet, bic fid^ bei öomd^mcn ®e* 
fc^Icd^tem in bcn legten ®rben borfinbcn, jnit benen bcr Stamm 
auäftirbt» SS^ron .iüar al§ cd^tcr ©nglänbcr im Slnfang feinet Sluf- 
tretend ©piritualift gcmefcn, geiftig unb meland^olifd^; baö Sinnet* 
leben nimmt nur einen geringen 5ßfo| in hm $ßoefien feiner Sugenb 
ein. ®rft in feinem SWanne^alter, nad^bem er Stauen befud^te unb 
fic^ in ben romanifd^en Säubern nieberüe^, toixb feine ©id^tung, 
toie bie ®oet^eg in SSenebig, fenfueQ unb fred^ unb berb. Um- 
gefe^rt bei SKuffet: er nimmt in feiner 3ugenb jene Slrt t)on bru* 
tafem SReati^mug, ber juttjeüen in S8^ron§ fpäterer 5ßoefie l^eröor^^ 
tritt jum Slu^gang^punft unb wirb nad^ unb nad^ mel^r geiftig in 
feiner 5ßoefie. Sluf feiner §ö^e ift er, fotoo^I aU Söeobad^ter tt)ie 
aud^ alg ©rotifer, feiner alg Sö^ron, feine ©id^tung ift bon einer 
ra:()l^aeßfd^en ©d^ön^eit, bie Sö^ron n)eber erreid^t nod^ fud^t. @r 
ift ber franjöfifd^e, fd^rtjäd^ere, anmutigere Sö^ron, n)ie ^eine ber 
beutfd^e, Heinere, mutttjittigere, rtjifeigere 93^ron, rt)ie 5ßaIuban=9Wüner 
ber bänifd^e, fatirifd^e, ortl^oboje, lo^al^conferöatiöe S^ron ift» 
SWuffet leibet rtjie ein Süngüng, flagt toit ein SBeib; er ift, njie 
ber Söitbl^auer Slugufte 5ßr^auft il^n einmal nannte, „gräulein 
SB^ron'^ 

©l^ette^, beffen Slame erft biet f:|)äter nad^ granfreid^ brang, 
blieb biefer Generation gänjlid^ unbefannt» SBa§ bie ©eefd^ule be^ 
trifft, fo n)ar Sainte^^Söeube, tüeld^er frül^jeitig in bie englifd^e 
©prad^e eingetneilit unb ber fritifd^fte ®eift t)on atten njar, ber 
eiujige, ber ben SBertl^ biefer -naturliebenben unb nad^ SBirflid^feit 
trad^tenben ©d^ule fül^tte, ber fid^ etttja^ t)on il^rem SBefen aneig* 
nete unb bemül^t tüar, fie burd^ einzelne Überfe^ungen po))utär ju 
mad^en, 93rijeuE, ber ©id^ter ber ^Bretagne, erinnert an bie ©d^ule, 
oljne fie jebod^ gefannt ju l^aben. . 

* SBon S)eutfd^Ianb au§ n)ar ber (£influ§ rtjeniger ftarf afö bon 
ßnglanb, unb biefem Sanbe gegenüber ift bie freie Sel^anblung ber 
SinbrüdEe nod^ leidster nad^n)eigbar» SRan fal^ ©eutfd^Ianb über^^ 



68 9u tmnoittiffiic Sifoit tu fnmktttd). 

f Rottet üon ben ofien teutonif^eit Si^en; um feine Cuellen unb 
gififfe f^webtcn 6Ifen, btc toetBen Gkioätiber im taufrifd^en (Srafe 
nac^fc^Ieifenb; in feinen ©crgen tDO^nte bas ®nomenöoIf, unb auf 
ben ®it)fcln berfetten Rieften bic ^ejcn i^rcn Sabbat^. ©eutfc^Ianb 
toax baS Sanb ber SBoIpurgiSnad^^träume. 93on ©oet^eS äßerfen 
ttmrbe nur ein einjige^ öiel gelefen, nämli^ SBert^er, in toeld^etn 
ber ejaltierte ?tu§bnnf ber Seibcnfc^aft ' ^inri§. SBert^er erfd^ien 
inie ein 9ttni, totü man i^n — ber bod) fo bicl älter toar afö 
fftcni — burc^ bie 9len^^®eftalt fennen lernte; unb bicfe %n' 
fc^auung^toeife beraubte i^n feiner '^xa6)t unb näherte il^n bem 
ß^übe-^arolb'l^pu^. S)ie 5^9^^ ^^^ 5^f^ naf)m einen 2)rucf in 
gleicher Siid^tung an; bicfe mäd^tige ©eftalt, bie ganj @un):|)a im= 
ponierte, toar htn granjofen boßfommen fremb unb tpurbe nie nad^ 
i^rcm SSkfen aufgefa^. "Die fraujöfifc^e ^oefie l^atte fic^ niemafö 
um bie Sämpfe unb Seiben be^ gorfd^ergeiftc§ gebre^t Unb biefer 
beutfd^e S)oftor, ber naiö genug ift, ben 3;eufel in einem 5ßubel ju 
feigen, fentimental genug, refigiöfc ©effi^fe auf äRargaretJ^aö ©d^ttjette 
gu ^egcn, unb bod^ gctniffenlo^ genug, bic SSerfül^rte .ju öeriaffen 
unb i^rcn Söruber im unel^rlid^en ä^eifom^jfe ju töten, toar öicl 
ju unfranjöfifd^, um berftanben ju toerben. SBa§ für ©intoenbungcn 
STOönner ber ttaffifd^en Bd)nk gegen ©oetJ^eö gauft rid^teten, erbeut 
au^ ben SSerteibigunggartifeüi. ,,SBie üicle 9Kenfd^en", Reifet eg 
in einem Slrtifel öon ®ut)ergier be ^ourannc, „mad^t nit^t fd^on 
bie bIoJ3e SSorfteHung bon einem 5ßaft mit bem 3;eufcl gefül^ßo^ 
für bic ©d^önl^eiten bicfe^ SReiftertoerf cg ! @ie begreifen nid^t, bajs 
man eine fold^e Untoal^rfd^einlid^Ieit ungerügt l^ingel^cn faffen fann, 
unb bod^ fallen fie, o^ne bie geringfte ©intocnbung, feit i^rer 
Sugenbjcit, toie Agamemnon feine lod^ter opfert, um günftigen 
gal^ttoinb gu befommen!" 3ln ben flaffifd^en Slberglauben toar 
man getoöl^nt, aber bon bem mittclalterlid^cn fül^Ite man fid^ tfbge* 
fto§en. ®ro§ toar aud^ bie 3ctiÖI i^erer, bie ©oetl^eg SBerfe, ol^ne 
fie JU lefen, ate unjibilifierte 5ßoefie öertoarfen. 2)er ftupibe Stn^ 



greifet ber Siomantifer,/ ber Sefrctär ber franjöfifd^cn Slfabemie, 
?luger, btad^te nod^ im Saläre 1825 bie SRitgücber ber SHabemie 
jum Säd^etn burd^ einen Slugfall gegen bie 9iomantifer, „biefe 
Sieb^aber ber fd^önen SRatur, bie gerne ben "Sipoüo t)on Selüebcre 
mit einer ungcl^eucrlid^en Statue be^ J^eiügen Sl^riftopl^oruS öer^ 
taufd^ten unb mit größtem SSergnügen 5ßl^äbra unb Spl^igenie für 
gauft unb ®ö| üon Serlid^ingen bal^ingäben", inbem er festere 
Jitel mit burle^fer Setbnung tüie barbarifd^e Sßamen auöfprad^. 
S)ie 93ettmnberung ber Slomantifer für gauft toar inbe§, toie fd^on 
angebeutet, unfrud^tbar* Dbtool^I ®^rarb be 9iert)al ben erften 2^eil 
beg großen 2)rama jur ^öd^ften ^i^f^i^^^J^'^^tt be^ alten ®oet^e 
fiberjefete, unb obnjol^I ©etacroif ' Oemätbe bon gauft unb SÄepl^ifto:* 
p^tk^, bie burd^ bie ßuft reiten, ebenfalls bie Söetounberung beg 
alten 2)id^ter§ unb ^enner^ erregte, lä^t fid^ in ber franjöfifd^en 
Sitteratur jener 3^it ^^^ ^p&xüä) (njie bei öuinet) ber @inftu§ üon 
©oetl^eg Söuft nad^njetfen, 

SBietüol^I eg f d^einen f önnte, ba§ ©dritter burd^ feine SBerül^rung^- 
punfte mit SRouffeau unb feine blül^enbe bramatifd^e 9il^etorif ben 
^anjofen teid^ter jugänglid^ iüar ate ®oetl^e, fo fd^Iug er bod^ nur 
in geringem ®rabe bei bem jüngeren ©efd^Ied^te burd^, SKte feine 
bramatifd^en SBerfe tüurben jtüar bearbeitet unb aufgefül^rt, aber 
bie^ gefd^al^ unmittelbar beüor bie eigenttid^e romontifd^e Sd^ute 
fid^ bilbete; unb bie l^albromantifd^en ©id^ter ber Übergang^))eriobe, 
bie, je nad^ ßuft unb Saune, feine Stüde ju regulären S^ragöbien 
im l^errfd^cnben (Sefd^madf jüftu|ten, betpfufd^ten feine SBerle, anftatt 
bag SSerftänbni^ für biefetben ju erfd^Iiefeen, Sluig ber „3ungfrau t)on 
Orleans" unb aug „S)on ßarlo^" fabrijierte Soumet eine „Seanne 
b'ärc" unb eine „Süfabetl^ üon f^anfreid^;" „gie^co" tpurbe öon 
Slncelot bearbeitet unb mifel^anbett, „SBaöenftein" bon ßiabiereg; 
ober toeber bie ßlaffifer nod^ bie SRomantifer fül^ften eine SSefrie* 
bigung bon bem SRefuItat, unb felbft ber ftrenge 95e^Ie, ber fid^ 
hoä) beftrebte, ju ben Dueöen ju gelten, urteilt, baj3 ©dritter in ju 



70 l'it comaatifdic Sdjnle in frankteüb. 

^ol^cm ®rabc bcm altfranjöfift^cn ©cfc^inaff gcl^ulbigt ^abe, atö ba§ 
er. feinen SonbSleujtcn, bie 3;ragöbie, tüie il^rc Sitten fie berfongten, 
l^ötte geben fönncn. ^fir Sc^ißerö toirflic^e ®rö&e mangelt il^nt 
öoUftSnbig ber SBfitf ; er toax ongenfc^einlic^ beS ©entfd^en biet ju 
njeriig mäd^tig, nm „SBallenftein" öerftel^en unb genießen jn fönnen, 
unb im übrigen Iie§ er \xd), toie f o mand^e änbre unter ben Snngeren, 
bei feinen Sobprcifungen in fo l^ol^em ®rabe burc^ bie SRürffid^t 
auf ba§ leiten, tnag bie filaffifer am meiften ärgern fonnte, ba§ 
er SBemerg „Sutl^er" afö baSjenige neuere 55rama preift, ba§ 
©l^afefpeare am näd^ften fommt, unb ben SSerfaffer be§ ©tficfe^ 
einen bei toeitem größeren S)id^ter nennt afö Sc^ißer* 

?[uJ3er (Soetl^e mad^te unter allen gleid^jeitigen 2)id^tem S)eutfd^^ 
lanbö nur @. Sl^. 31. §offmann einen tieferen SinbrudE* 3a, für 
bie graujofen tüurbe ^offmann ber S)eutfd^e par ejceHence. liedE 
toar JU unbeftimmt, SßoüaliS ju gel^eimniSboK, afö ba§ fie in 
granfreid^ ein 5ßublihim toie j. S3. in S)änemarf l^ätten finben 
fönncn; bod^ ^offmann üerbanb mit bem unbered^enbar ^ßl^an- 
taftifd^en, ba^ für bie ^ranjofen ein boQftänbig .ncueö :poetifd^e§ 
(Stemcnt tuar, bie fd^arfc Sid^erl^eit in ben Konturen, bie il^nen 
jufagte, unb bie an il^ren Sanb^mann, ben ßotl^ringer ßaHot, 
erinnerte, ^offmannö fünftlerifd^er 9Rutl^, ber bie dapviu big jum 
äuJ3erften burd^jufül^ren njagt, geujann fie il^m. (Sr^tüar grell, er 
fd^eute nid^t bie ftärfften SBirlungen unb njar in aß' feiner ßüget 
lofigfeit fleinlid^ genau, tt)ie eine bilblid^e 2)arftettung ber SScr* 
fud^ungen be§ l^eiligen Slntoniug, öon Sreugl^el ober lenier^ au§* 
gefül^rt; er fam, im ®egenfa| ju SRoöali^, ben granjofen burd^ 
feinen S3erüner Slationalfemug entgegen, ber fo öerttjanbt mit bem 
franjöfifd^en ift; e§ toar eine Slrt t)on aSerftanbc^metl^obe felbft in 
feiner Joßl^eit 5^arum l^atte er allein unter aßen beutfd^en S)id^tem 
SJlad^fotger, faft fönnte man fagen ©d^üler, in granfreid^. ©d^on 
Sl^arleg SRobier berriet, toie toir fallen, fid^ ftarl beeinflußt burd^ 
^offmanng 5ß^antafieftüdfe; fpäter ift ®^rarb be SJlerbal nod^ in 



Hückblitke. irembe S^ntegungen. 71 

tocit l^ö^crem ®rabe biefem ©influfe untcmorfcn, unb er jcigt \iä) 
bcutUd^ in Oauticrg 3lot)zUtn. @o originell lefetgcnannter 2)id^tcr 
übcrl^aupt aud^ ift, fo ftanb et, ber faum ein beutfd^eg SBort fonnte, 
bod^ in üerfd^iebenen ^erioben feinet Seben^ unter beutfd^em ffiinflu^. 
SBie feine Sugenbnobetten („Romans et Contes") an §offmann 
erinnern, fo erinnert bietet in feinen „Emaux et Camees" an 
^einrid^ §eine. Slufeerbem l^atte ®oetl^eg SBeftöftlid^er 2)iöan il^m 
in ungen)öl^nlid^eni Orabe inH)oniert. SBa^ il^n am nteiften bei 
©oetl^e anjog, toar bie fünftlerifd^e Unanfed^tbarfeit, bie in ben 
fpätercn Seben^jlal^ren be§ 3)id^ter§ l^cröortrat 



VI. 

@g mvtn inbe^ nid^t bie ©inbrüdfe öom Stu^Ianb, bie am 
mciftcn ju bcr großen poctijd^en SRenaiffancc beitrugen; nein, e^ 
mar bie SBieberauffinbung, bie ©ntbedung einer nationalen ®rö§e, 
beren SJorl^anbenfein niemanb geal^nt l^atte, SBie burd^ ben 93eginn 
ber neuen Qüt, afe bie erften Statuen aug ber @rbe gegraben 
njurben, bie fie fo lange verborgen l^atte, ber @to§ jum italienifd^en 
§umani^mug gegeben njar, fo tonxbt ber Sbtftofe ju einer gänj=- 
lid^en ))oetifd^en 9ieüoIution in granfreid^ t)om Saläre 1819 an 
gegeben, afe Slnbri S^^nierg ^ßoefien aufgefunben, gefammelt unb 
l^erau^gegeben tourben. @^ fiel njie ®iS)nppzn öon ben Singen ber 
3eitgenoffen, ate biefe feelenboQen jonifd^en ®ebid^te öoQe 26 Saläre 
nad^ beut 2;obe il^re^ ©änger§ an§ ßid^t gejogen tüurben; aW bie 
poetifd^en Slbgötter aug ber ßaiferjeit, S)elille unb aH' bk ^oeten 
ber naturbefd^reibenben ße^rgebid^te, fielen auf i^r Slngefid^t unb 
brad^en in ©tüdfe. ©in grül^üng^l^aud^ t)on bem alten §ella§, 
bem njirHid^en, eigentlid^en ®ried^enlanb , brang nad^ granfreid^ 
unb befrud^tete bie Sltmofpl^äre, S)er Sllejanbriner, ber int ac^t= 
jel^nten Sal^rl^unbert fo fd^Iaffe unb fraftlofe, im fiebjel^nten Sal^r- 
l^unbert fo fteife unb f^mmetrifd^e SSer§, offenbarte gel^eimni^bolte 
Harmonien, eine feine, gefd^meibige geftigfeit, einen fül^nen unb 
finnüd^en Sleij unb, ba bie ©äfur nid^t mel^r regelmäßig nad^ bem 
fed^ften guße fiel, ©ebanfen* unb 35etgabfa| nid^t me^r ftet§ ju^ 
fammentrafen, eine SJiannigfattigfeit, bie niemanb fid^ l^ätte träumen 
laffen. S)ie 3been unb Oefü^Ie toaren mobem, bod^ ber ®eift, in 



ÜMbitcke. Sniänbtf4)e Anregungen. 78 

tDctd^em fte fünftlerifd^ bargeftcöt iüarcit, toar antit 3n btefer 
SRifd^ung toar ba§ knjegenbe ^rinjip berborgen, ba§ eine gänje 
pocttfd^c ©üolutiott bcrfettcn Slrt l^erüorrufen fonnte, xok biejcnige, 

• 

meldte SRonfarb im fed^jcl^nten Sal^rl^unbcrt burd^ einen äl^nlid^en 
8lu^gang§pnn!t angebal^nt unb ing SBerf gefe|t l^atte. 3n biefcr 
$oefie begegneten fid^ ber ®eift ber nenen Qtit unb ber beg 2llter= 
tum§, bod^ l^atten [ie fid^ eine ättf^^^^^h^^ft ft^^itob öon bem 
SBege gegeben, auf tüeld^em bie antife unb mobeme 5ßoefie im ß^iU 
alter ßubnjigg XIV. einanber gefud^t. S)er 9iame Slnbr^ ßl^^nier 
öerbunfelte mit feinem reinen ®Ianj aW bie anberen 9iamen ber 
bigl^er gepriefenen ^oeten» 6in ®eift n^ar au^ bem ®rabe erftanben 
mit ben ©tral^Ien be§ Oenie^ um feine @tim unb mit ber 9Äär^ 
t^rerglorte um fein §aupt unb toieg bem jungen ®efd^Ied^t ben 
SBcg nad^ bem getobten ßanb ber neuen 5ßoefie» 

Slnbr^ äRarie be Sl^feier, geboren in ßonftantinopet (®alata) 
1761, ttjar ber Sol^n einer fd^önen geiftreid^en unb tebl^aften ©ried^in 
— il^r 2Räbd[)enname rtjar ©anti ß'§oma!a,^ ©ein Sßater toar 
ber franjöfifd^e SonfuI in ber 2;ürfei, ein l^erüorragenber ©etel^rter. 
©d^on afö ganj fleineg Sinb fam Slnbr^ nad^ granfreid^ unb 
tourbe in einer fd^önen ®egenb bei ßangueboc erjogen. . (Sr 
berga^ feine 3Rutterf:|)rad^e; bod^ afö er in ber ©d^ule ju 5ßari§ 
anfing, fie bon neuem ju lernen, fa^te er fte fo bel^enb, ba| er fie 
mit fed^jel^n Salären boßftänbig bel^errfd^te unb fid^ ganj in i^re 
Sitteratur üertiefte, @r toar in i^r ööHig fo ^eimifd^ toie in ber 
feinet SSaterlanbeg, 9Äit jtoanjig Salären trat er in bie Slrmee al§ 
„abiiger Äabett" (Cadet gentühomme) , eine Slrt UnterKeutenant, 
lag mit feinem Slegiment in ©trapurg in ®amifon unb benü^te 
feine greijeit ju p^ilotogifd^en ©tubien; bod^ ber nüd^teme Umgang 
mit ben Dfpjieren, ba^ ®amifon§teben, bag ben ®eift el^er er^ 
fdftaffte ate anregte, nagte an i^m; fd^on nad^ SJerlauf eine§ l^alben 



^ ^^ierS »ar ein (£tt!el (Xod^terfol^tt) il^rer ©d^tDefter. 



74 X'it tomantifihe ddiule in itankretd). 

gal^rc^ feierte er nad^ 5ßari^ jurütf ; unb ba fid^ um bicfe Qtit eine 
Sranfl^cit in i^m ju cnttoicfctn begann, beren Rettung ein ftrenge^ 
unb rul^ige^ fieben erforberte, nal^m er feinen Slbfd^ieb, S)oc^ 

• 

biötifd^e ©ntl^aftfamfeit unb Unt^ätigfeit pa^tm nur fd^ted^t für 
einen 3üng(ing, ber mit allen fieibenfd^aften einer lebl^aften Sugenb 
ben rtjiffenfd^aftlid^en unb fünftferifd^en §ang eine§ genialen, raft== 
(ofen ®eifte§ berbanb. ®r unternal^m mit greunben eine jtoei* 
jäl^rige SReife nad^ ber @d^tt)eij unb Stauen mit einem langen 
Slufentl^alt in SRom. SReue Sranfl^eitäanfätte, bie il^n in 9leapd 
ereilten, berl^inberten il^n, ©ried^enlanb , ba^ eigentlid^e 3^^^ ^^^ 
SReife unb feiner Sel^nfud^t, ju erreid^en, 2lfe er anfangt 1785 
nad^ ^ari^ jurüdffe^rte, fanb er im ^aufe feiner ©Itern bie befte 
(Sefellfd^aft öon ^arig öerfammelt; l^ier lernte er ben S)id^tcr 
Se S3run, ben äRaler 2)at)ib, ben ßl^emifer fiaüoifier fennen, au^er- 
bem nod^ eine 9ieil^c bon Diplomaten unb Dbrigfeit^perfonen, beren 
SRamen bie Sieüolution 6e!annt mad^en foKte; er l^atte au^erl^aft 
be§ öäterlid^en $aufe§ feinen eignen intimen Ärei§ öon l^od^begabten 
jungen (Sbetleuten, unb enbüd^ fud^te er, ber in biefen Sugenbjal^rcn 
feine Qdt gleid^mäfeig jtüifd^en ©tubien unb ^^^ftreuungen teilte, 
bie leid^ttebigfte unb freiefte ©efeßfd^aft ber bamaligen 3^^* ^^^fr 
bie au^ großen ^enen (bem §erjog öon SJiontmorenc^, bem gürften 
bon Sjartori^f^ u. f. tü^f bornel^men 2)amen (ber ^erjogin öon 
9Äaiai, ber gürftin bon (Stjalai^ u. f. to.), Mnftlem, Dichtem, 
Sd^riftftedem (rtjie Seaumard^aig, SWercier u. f. tb,) unb enblid^ 
an^ jungen, fd^önen Sourtifanen (ben bon Slnbr^ befungenen ®I^* 
cere, 9lofe, SlmÄie) beftanb — eine bunte ©efellfd^aft, bereu ßeben 
unb treiben 9iäif be la Kretonne befd^rieben l^at, unb bie unter 
bem gaUbeil aufatmete. Qu biefem ^^itpunft mad^te Slnbr^ ©l^^nier 
überbieg bie Sefanittfd^aft eine^ SÄanne^, ben gleid^e ßiebe jur 
grei^eit unb gleid^er §afe gegen jebe^ Sd^redEen^regiment äugen* 
blicfli^ JU feinem greunbe mad^te, bie be§ italienifd^en 2)id^ter§ 
Sltfieri, ber, begleitet bon ber ®räfin bon SWban^, fid^ juft bamafö 



Küikbliike. Snltinbiff^e ^Inngungen. 75 

in $ßartö cinfanb; unb gteid^jcttig ternte er bic grau fcnncn, bie' 
er unter bem 9iamen ßanriHa in ja^Ireid^en Oebid^ten befang, prieg 
unb anflagte, bie ®eüebte feiner Sugenb, SKabame be Sonneuit, 
an bie il^n eine ftürmifd^e unb langtüäl^renbe ßeibenfd^aft banb^ 
3Rit bierunbjtoanjig Salären l^at Slnbr^ oft auf i^rent fianbgut 
ju il^ren gilben gebtiet, totnn fie jur §arfe eine SRomanje au^ 
bamaliger Qdi bon ber Siebe ©d^mad^ten unb SBonne fang. 

Stti Saläre 1787 tourbe er junt ©efanbtfd^aft^attad^^ in ßonbon 
ernannt, tt?o er fid^ tt)egen feiner 3foIiertl§eit unb Slb^ängigfeit in 
l^ol^eni ®rabe unglüdEKd^ fül^Ite; er erlebte bort ben Slu^brud^ ber 
SReöoIution, ber il^n eteftrifierte, unb feierte, öoll reid^er ^i^h^^ft^^^ 
l^offnungen, nad^ $ßari^ jurüdE. S)ag 93en:)iifetfein feiner S)id^ter^ 
%aU toax fd^on frül^er in il^nt ernjad^t; nun begann er größere 
bid^terifd^e Äont))ofitionen ^öd^ft berfd^iebener Slrt, bod^ äße ftreng 
antif im @til, anjutegen unb au^jufül^ren. ©d^on frül)er l^atte bie 
fraujöfifd^e ßitteratur jnjeimal jur Slntife jurü(f gegriffen: ha^ erfte 
SRal ju 9lonfarb^ Qtit, atö man ba^ SWtertum mit bem bunten 
glitter ber italienifd^en Slenaiffance au^ftattete; ba^ anbere Wlat ju 
ber 3eit SRacine^; afö man bag 2ßtertum mit §ofgepränge unb Sere== 
monieö au^rüftete* 2lnbr^ Sl^ötier, in beffen Slbem ed^t gried^ifd^e^ 
93Iut fIo§, ber feine SKutterfprad^e toie franjöfifd^ Ia§ unb' fd^rieb 
unb ber, üießeid^t ber einzige im ganjen ßanb, ba§ atte §eßa§ totbtv 
bmä) lateinifd^e S3riKen nod^ burd^ ben ^ßuberftaub ber $ßerrüden 
beg 17. Sal^rl^unbertg fa^, fprengte ol^ne Slnftrengung, naib tt)ie 
ein junger SlpoQo, bk Sluffaffung bon ber Slnäfe unb baburd^ aud^ 
bie bom 3Befen ber ^oefie, bie ring^ um il^n l^errfd^te. @r ber=' 
ftanb, ba§ bie S)id^ter Oried^entanbg bie SSoIfefprad^e gerebet unb 
gefd^riebcn Ratten, unb ba^ i^re auf ©etbftbefd^ränfung berul^enbe 
gormboßfommenl^eit ettoa§ ©runbberfd^iebene^ bon bem 'Sit^pdt 
für toißfürlid^e, l^erfömmlid^e SSerbote fei. (gr bejeid^net im Sßer* 
^ältnig jum @til be§ ad^tjel^nten Sal^rl^unbertg eine ä^nlid^e 9iea!tion 
unb ©meuerung in ber ^oefie n)ie ^^l^ortoalbfen in ber 93ilb^auer^ 



76 5Die romanttf4)e. 5(l)ttlc In Jtanktetdi. 

!unft; er toax gleid^toie S^J^ortoatbfcn in jal^Ireid^en (Sinjelrt^eiten 
ein 9iad^a^mcr unb Söenü^cr bcr Slntife; aber er übertrifft il^n an 
©efül^föbetüegung, an finnlid^er SBämie unb an ^aÜ)o^, 

SBor 1789 jeigt Slnbr^ Sl^^nier fid^ in feinen ©ebid^ten t)or^ 
nel^mtid^ al^ ©rotifer mit einem Slnftrid^ bon ©enfuati^mu^ , ate 
(SIegifer unb Sb^Qenbid^ter, ©ein poetifd^e^ toie menfd^Iid^eg SBefen 
enttüitfette fid^, afe bie franjöfi|d^e 9iet)oIution auöbrad^ unb bie 
Suft mit i^rem 3)onner erfüttte, (Sr tüar in bem pl^itofopl^ifd^en 
®eift erjogen, ber nad^ SSoItaire^ SSirfen in ber ©eifte^ariftofratie 
l^errfd^te; er ^atte bie ©efül^Ie geteilt, njetd^e au^gejeid^nete grau* 
jofen ittüOQtUf bie @ad^e ber amerifanifd^en g^eiftaaten ju üer^^ 
fed^ten; nun begrüßte er mit ber reinften 93egeifterung bie neue 
Stra ber greil^eit, bie ju erleben er fid^ fo lange gefel^nt. @r* 
fa^te bie grei^eit atö bie unbebingte S)enf= unb SRefigion^freil^eit 
auf. .^inlängüd^ belel^rt burd^ ,,bie ad^tjel^n Sa^rl^unberte, tüeld^e 
tl^eologifd^e 2^or^eiten mit^ Stut gefärbt l^atten; ol^ne Sld^tung für 
einen 5ßriefterftanb, toetd^em Sefenntni^ er aud^ angel^öre," über- 
jeugt, ba^ bie SJiitglieber j|ebe§ fold^en ©tanbeö ,Jid^ gegen ba^ 
@lnd unb bie SRul^e ber SJienfd^l^eit öerfd^tüoreu l^aben," toill er 
„bag befpotifd^e unb tl^eofratifd^e 3od^ jcrbred^en." @r tpar un* 
erfal^ren unb ebelmütig genug, um bag ^i^ftönbebringen biefe§ 
SRefuftateg für mögüd^ ju galten ol^ne 93rud^ mit ber ftrengen S5ot^ 
mä^igfeit ber ®efe|e» 

3m erften 3al^re nad^ ber SReöotution toibmete er nod^ ber 
^oefie feine meifte 3^^* ®^ ^^tte eine borübergel^enbe ßiebe ju 
einer jungen fd^önen S)ame gefaxt, SJiabame ©ou^ b'Slrc^, bie 
er in einer befannten ®Iegie öerl^errüd^te; aber balb brängte bie 
^ßotitif atte anberen 93efd^äftigungen unb ßeibenfd^aften in ben 
^intergrunb* 3m 3al^re 1792 rid^tete Slnbr^, ber ba§ beborfte^enbe 
Sd^redfen^regiment al^nte, in einem ^^itong^artifel einen l^eftigen 
Eingriff gegen bie 3afobiner, Sltö fein jüngerer S3ruber, ber be* 
fannte S)id^ter ber Sleöolution^jeit, 9}iarie^3ofep^ ^^nm, ber eine 



HttikbUike. Sttlänbif4)e Slnregungen. 77 

SioHe im Söfobincrflub spielte, fid^ öcrpftid^tct füllte, feine S3unbe§^ 
genoffen ju berteibigen, nal^m Slnbr^ mit ftoljer SRücffid^tötofigfett 
ben l^ingetüorfenen ^anbfd^u^ auf. Qmax glüdfte e^ ben gi^unben 
ber Söriiber, bie feinbtid^e $ßoIemif jtoifd^en il^nen ju einem rafd^en 
?lbfd^tufe JU bringen, inbeg bauerte bie Spannung nod^ eine jeit^ 
taug fort, g^l^er njaren fie ftet^ innig öerbunben gen)efen; bod^ 
für Slnbr^, toie für bie 9iömer be§ Slltertumg, mußten bk 95anbe 
beg Stuten reiben, too e^ eine politifd^e 3bee galt. S3eim Slu^- 
brud^ ber SReöoIution l^atte fein Söruber i^m bie Iragöbie „93rutu§ 
unb Saffiug" bebijiert; Slnbr^ erflärte fid^ in feiner ©rtoiberung 
auf biefe 3^^i9^^^9 ^i* ^^^ Slaiüetät ber bamatigen Qüt übergeugt 
baöon, ba^ ber grofee S8rutu§ fid^ gerabe fo au^gebrüdft l^abe toie 
in biefem S)rama; er nannte bie gelben be^ ©tüdEeä „ebte SRörber, 
gro^e S^rannentöter, toeld^e t)on ben Sßielf:|)red^ern ber ®egenn)art 
nid^t mel^r berftanben toerben/' !urj — er l^atte fid^ für ben Äönigg* 
morb, njo biefer nottt^enbig fei, auggef))rod^en. Slber ber ^rojefe 
gegen ßubtoig XVI. erregte feine öoHe Snbignation; er beantragte, 
bem ^önig bei feiner SJerteibigung beijuftel^en; er fd^rieb eine Sleil^e 
SSerteibigung^eingaben für il^n; unb Slnbr^ Sl^toier ttjar e^ aud^, • 
ber, at§ ba^ lobe^urteil gefaßt toar, bie geber für Subrtjig führte 
unb ben fd^önen, rtjürbigen S3rief fd^rieb, in njeld^em ber ßönig 
bie SRationalöerfammlung um bie ©rtaubni^ erfud^t, ttjegen feinet 
Urteile an§ SSoIf ju appellieren. (S§ ift (n)ie Söecq be gouquiere^ 
bemerft l^at) bejeid^nenb, ba^ brei üon (Suropa^ l^erborragenbften S)id^^ 
tem: Slnbre ©l^enier, ©d^iüer unb Sltfieri, njeld^e alle in gleid^em 
®rabe ®egner be§ alten Slbfoluti^mug toaren, unb toeld^e alle bie 
9iet)oIttMon mit S3egeifterung begrübt l^atten, 1792 ben 5ßlan faxten, 
Sönig Subtoig ju berteibigen. SRarie^Sofepl^ Sl^^nier toar ein 
meniger bebeutenber, leid^terer ©eift, ber gerne mit bem Strome 
fd^toanrai unb fid^ ber reid^Iid^en ^Popularität freute, bie fein Talent, 
ba^ genau jum B^ttgeift pa^te, il^m einbrad^te. Slnbr^ befa§ einen 
9Rut, ber bei gegebenem Slnlafe fid^ ju tro|igem ©tolj fteigem 



78 ^^t tomantir(i)e dd)ttle in itanktei(t|. 

fonnte, unb er toax aug jenem SKetaQ, aug bem bie ©efd^id^te 
SRärt^rer formt. S)ie offenbare (Sefal^r mad^tc i^n nur nod^ 
fül^ner in feinen Eingriffen gegen bie SRad^tl^aber, bie in feinen 
Singen fjranfreid^ entel^rten, @r öeröffentüd^te unter feinem tollen 
9iamen eine l^ol^nfprubclnbc Dbc in SSerantaffung beg 5^fte§, ba^ 
bie 3a!obiner ben amneftiertcn ©olbaten beg 9legimente§ Sl^&teau== 
öieu^ gaben, bie mit Süed^t ate niebrige SScrbred^er jur ©alccre 
verurteilt njorben toaren. Unb atö SRarat crmorbet toax, aU 
44000 Slltärc für ben ^^greunb be« Sßolfeä" errichtet »urben, 
fül^lte unter granfreid^ä ©id^tern ?lnbr^ Sl^toier allein fid^ an== 
getrieben, ©l^arlotte ßorba^ ju befingen. S)amate njar bieg eine 
mutigere ^anblung alg fpäterl^in. 

„D l^errlid^eö SKäbd^en! ®ried^enlanb. njürbe beinen SÄut ht^ 
tt)unbem, SKarmorblodf um SRarmorblodf öon bcr 3nfel 5ßarog toö* 
gel^auen l^aben, um bcine SSilbfäute neben ber be^ ^armobiog unb 
Slriftogeiton ju errid^ten, unb Sl^öre njürbcn an beinem ®rabe in 
l^eitiger SSegeifterung bie Sßemefig gepriefen l^aben, bie langfam 
tt)altenbe (Söttin, toeld^e bie 836fen mitten in i^rer SRad^t ereilt. 
• 2)od^ granfreid^ beugt ben §afö unter bag gattbeil unb l^ält 
^cbenffcfte für ba§ gefd^lad^tete Ungeheuer." 

2)er Slufentl^alt in 5ßari^ njar feit btm %obt beg Äönig^ für 
Slnbr^ unmöglid^ gcttjorben. Sein S3mber fud^te einen ä^ff^^t^* 
ort für il^n in einem entlegenen ^öu^d^en in SJerfaiHe^. §ier leite 
er eine ^^ülang in ruhiger ©infamfeit, arbeitete an feinem groj^en 
(Sebid^t „^ermeg", .mit bem er fid^ fd^on feit jel^n Salären befd^äf- 
tigt l^atte, ol^ne njeiter al§ jur Slu^füi^rung einiger furjen SSrud^* 
ftüdfe JU f ommen unb f d^rieb an gann^ (SWabame Saurenfc Secout* 
.teuj), eine junge, in ber 9iäl^e tool^nl^afte 2)ame, feine legten 
ßiebeggebid^te, bie ben Stempel eineg in 3lnbr^ Sl^feierg $ßoefien 
neuen ®efül^tö tragen: bie SKeland^olie ber nid^t finnlid^en Siebe. 
2)er feltene Slbel unb Siebreij einc§ au^gejeid^neten toeiblid^en 
SBefeng teilte fid^ biefen toe^mütigen, feufd^en Sßerfcn mit. 2)od^ 



Mtkbliike« Jnlanbifdie Anregungen. 79 

bicfer ftittc Slufent^att in SScrfaillcg tvax in Slnbri ß^^nierg Sebcn 
nur bic hirjc ©titte üor bem Drfan. 

Seine S3eftrebungen, bie Slrreftation einer ©ante ju öer^inbem, 
tooju ba§ rebolutionäre ©omit^ 33efel^I erteilt J^atte, brad^ten il^n 
felbft inp ®efängni§. Sn ©aint^ßajare njanbte er bie 3^it i^^^Jii 
an, feine SKanuffripte burd^jufe^en unb l^ier fd^rieb er einige feiner 
fc^önften ®ebid^te im größten ©til, tok bie jtnei berühmten an bie 
|)erjogin t)on gleur^, geb. Soign^ („La jeune Captive" unb jene^, 
ha^ in aßen Slu^gaben ben unrid^tigen S^itel „Mademoiselle de 
Coigny" fü^rt), fotoie bag betounberung^tnürbige gragment, ba^ 
beginnt: „Comme un dernier rayon." @r tourbe t)or btm SRebo* 
lution^tribunal aU ,,5einb beg SSoIfö'' angeflagt unb junt S^obe 
öerurteitt, totii er „gegen bie greil^eit unb jur SSerteibigung ber 
S^rannei gefd^rieben/' %aQ^ juöor l^atte er fotgenbe SSerfe gebid^tet: 

,,SBie ein te|ter Sonnenftral^I, ein le^ter Suft^aud^ . einen 
fdfönen Sag, ber ju ®nbe gel^t, belebt, fo ftimm' id^ am gufee be§ 
©d^afottg nod^ meine ßeier; üieüeid^t fomnit bie SReil^e balb an 
mid^; öießeid^t toirb, ti)' bie ©tunbe i^re abgemeffenen fed^jig 
©d^ritte auf ber blanlen g^^d^e ber ©d^eibe jurüdEgetegt l^at, ber 
©d^taf beö ®rabe§ meine Slugenliber fd^Iiej^en. SSieüeid^t toirb, 
t^' bie Ie|te §älfte be§ SSerfeg, ben id^ nun beginne, nieber* 
gefd^rieben ift, ber ©enbbote be^ 2!obeg, ber fd^toarje SBerber bon 
©d^atten für bie Untertnelt, biefe langen, bunletn Sorribore mit 
meinem SRamen füHen " 

Slm Slbenb be^ 7, 2:^ermibor 1794, am 2:age öor SRobe^^ 
t)ierre§ ©turj, n)eld^er, einen 2^ag frül^er eingetroffen, il^n gerettet 
l^aben njürbe, beftieg Slnbr^ ß^feier ba§ ©d^afott. SSloä) auf bem 
Sarren foll. er bem SRaler 9ioud^er, ber gemeinfam mit i^m ben 
2ob erlitt, mißmutig geanttt)ortet l^aben J „3ld^! id^ l^abe nid^tg für 
bie Slad^tnelt getl^an" ; bod^ nad^anberen Slu^fagen, foß er auf bem 
©d^afott fid^ auf bie ©tim gef dalagen ^aben mit ben SBorten: 
„Pourtant j'avais quelque chose lä!"i 



80 IHt tonumtifdif 3d|itlt In iraaJuriili. 

CbQkiif bie ^rofa^Strtifel Snbri &^äiier§ imgetDÖ^nlic^e %Vi\^ 
merffamfeit emecft Ratten, fogar im 9(uS(a]tb — SBielanb tö^t i|n 
grüßen, ber fiönig don $o(en fenbet i^m eine S^renmeboiDe — 
geno^ er boc^ bei Sebjeiten feinen ^ic^temi^nL @r ^atte nt(|t 
me^r q(S jmei feiner @ebic^te t)erdffentli^t: bie ^^ntne an ^aüib, 
hervorgerufen burc^ bie ejene im ^aOfym^t, unb bie ironif(|e 
^^mne auf ba§ Stegiment 6^ateQUt)ieu|[; unb t>on hon Sulttog 
1794 an, afö fein :^aüpt vom Shnnpfe getrennt tnurbe, voax fem 
9tame t)ergeffen unb bie Erinnerung an i^n entfc^munben. 

^a begab e^ fic^ eineg Siige^ im So^re 1819, ba§ ^rifcr 
93u^^änbler, bie im ^Begriffe ftanben, SRarie^^Sofejjl^ K^äiicr^ 
je^t gänjüc^ veraltete, branmtifc^e äSerfe ^erauSjugeben, baS %t^ 
gebot erhielten, ben legten Sanb mit einer Seilage ,,@kbic§te eine§ 
unbefannten S8rubcr§ von ß^ötier" ausjuffiffen. Sie erfuc^en ben 
befannten £itteraten ^nri be Sotouc^e biefe SBerfe bun^sufei^en, unb 
betroffen don i^rer Sc^ön^eit begann biefer äRann nun, nad^ vm^ 
teren ^anbfc^riften 3tnbrÖ 9?ac^frage ju galten- So brad^te er 
na^ unb na^ ein alteS ^cfc^en, ein f leinet gelbeS ^eft umS 
anbere an^ fiid^t, üeranftaltete mit Sorfit^t unb ©efd^macf eine 
Su^ma^I unb betoirfte burc^ feine Stuegabe eine 9let)otution be^ 
poetif c^en Senmßtfeinö in feinem Saterlanb. 2tnbr^ ß^ier^ SRame 
flog ringS burd^S fianb, bie ^ugenb in ben ^ooinjen nic^t toeniger 
aU bie öon $ariS begeifterte fid^ für bie neue poetifc^e Offenbarung 
(man (efe bie Sd^ilberung biefe^ (Snt^ufiaSmuS in SaljacS Sbman 
„Les deux poetes*', ber bie ©inleitung bilbet ju ^osions perdues"). 

2^er längft öcrftorbene ^it^ter mat^te nic^t nur afl' bie Siß, 
bie im testen 9){enf^ena(ter gefc^rieben uiorben ttiar, veraltet unb 
umnöglid^, fonbem ft^tug in ibealem Sinne felbft fiamartineS um 
gefa^r gleid^jeitig herausgegebene erfte „^oetifc^e SRebitationen" 
rein aus bem gelbe. 2^enn biefe $pefie ging nic^t wie jene fiomar^ 
tines in ben 3Bo(fen ober fiber ben SBoIfen vor fic^, fonbem auf 
ber ©rbe; fie mar rein obne fromm, feelenvofl o^ne empftubforn 



Hüdiblidie. Manbtfd)e Anregungen. 81 



ju fein; fte l^attc feine 83eäiel^ung ju bem Unenblid^en unb Slbftraften, 
fie tüax ol^ne SW^ftijigmug lüie and) ol^ne 3rreIigiofttät. 

3n Slnbr^ 6l^^nter§ erften SBerfen trat ein l^eibnifd^er Süng* 
fing l^ertjor, ber an Slpoßo unb Slrtemiö unb in^befonbere an 
3lp^robite glaubt, unb ftanb burd^ einen S^^^^ ^^^ Stifter ber fera^ 
pl^ifc^en ©d^ule öon Slngefid^t jU Slngefid^t gegenüber, feine^meg^ fpiri^^ 
tuafiftifd^ tt)ie er, fonbem epifuräifd^ im antifen Sinne be^ SBorteö. 
5)ie erften grauen, bie er befang, toaren feine geiftreid^en unb 
fd^mac^brüftigen Slöiren, lüie jene Samartineg, fonbem lüarmblütig 
fiiebenbe ober junge, fd^öne Sourtifanen au^ benS^agen SubioigXVL; 
nur tourbe feine ©innlid^feit nie loottüftig, nod^ nieniger friöol im 
Stile ber Qtxt ®ie Orgie trat, loenn er fie fd^ilberte (tt)ie in ber 
28. ®Iegie), tüie ein SSa^relief au§ ©ried^enlanb^ ältefter Qdi i)tx- 
t)or. S)a^ junge SBeib mit bem aufgelöften §aar niar mit einer 
Äeufd^l^eit be^ Stifö au§gefül^rt, tt)ie eine tanjenbe gried^ifd^e 
äRänabe, unb bei ber nüd^ternen Äforl^eit ber ®arftellung öerioan^ 
bette fid^ baö J^rinfgelage ju einem atl^enienfifd^en SBacc^anal in 
parifd^em äRarmor. ®ie^ ganje Seben trug ba^ ®e^)räge reiner 
Sd^önfieit unb ebler ©infad^l^eit. 3eneg ^äfelic^e, ba§ §ugo fpäter 
in bie Stirif einfül^ren" foßte, unb beffen 3lnjiel^ung^fraft Samartine 
ju einem gegebenen 3^i^t'ii^ft ^W ^^^^ miberftanb, fefjlte l^ier fo 
boKftänbig, tt)ie Stnbad^t unb SJK^ftif. 

Slber aud^ ber SKann, ttiie er au§ Slnbre Sl^^nier^ SWanne^^ 
SBerfen unb ^gragmenten 'ipxaä), bilbet einen lebl^aften ®egenfa| 
ju ber ß^rif, bie 1819 93egeifterung ertoedte. SDie grauen, bie er 
in unöergefefid^en ®ebic^ten öerl^err lichte, roaitn ^elbinnen ober 
jum Sobe Sßerurteilte auö ber Sleöolution^jeit. ®g loar ein männ^ 
lid^eg ^aÜ)o^ in feinen Samben, ba^ jeneö ber altgried^ifc^en 3am= 
benbic^ter jurüdftief, unb in ben SSruc^ftüdEen feinet großen ®e= 
bid^te^ „^ermeg" fanben fic^ Stu^brüde für eine Seben^anfd^auung, 
bie burc^ il^re antife SBoIirl^eitgliebe unb i^ren loiffenfd^afttic^en 
Smft ben fc^ärfften ®egenfa^ ju ber romantifd^en unb ^)l^antafti^ 

»ranbes, Sittetaturflcf(^. be* 19..3a^t^. V. 6 



82 3Ptf tomantifdje 5d)iile in itatiktcid). 



fd^cn ©d^toärmcrei bei ßamorttne bitbet. gür Slnbrf finb bic 
Sterne nid^t SBIumen auf ber ^immetetoicfe, fie finb fd^fic^toeg 
SBelten, bie im ©tront be^ Sti^er^ rollen, er nennt „i^r ©etoic^t, 
il^re gotmen, i^re (Sntfemung öon einanber" unb bie ®efe^e i^rer 
Slnjiel^ungöfraft, beren SBirfung er in feiner eignen Seele fpürt. 
S)ie Sßorfel^ung fpric^t nic^t burd^ fie ju ben äRenfd^en l^erab, ba§ 
(3tUt fteigt nid^t öon ben SKenfd^en ju il^nen empor, fonbern bie 
S3etrad^tung gipfelt in einem mäd^tigen Sinbrudf öon ber Sinl^eit 
unb ben geregelten ©efe^en be? SBeltatte^, 

Slnbr^ ei^^nierg ?ßoefie, bie fo öielfäftig ber be^ 19. ^a^x^ 
l^unbertö vorgreift — benn fie ift entfd^ieben I^rifc^, unb bo§ 18. 
3al)rl|unbert brachte in granfreic^ außer i^m feinen einjigen S^rifer 
l^eröor — verleugnet bod^ nic^t ben Sinflufe öon ben jioei leitenben 
©eiftem be§ ^a^rl^unbert^: Slouffeau unb Sßoltaire. SSon SRouffeau 
ftammt ba^ ^b^öifc^e bei Sl^toier, feine §irtenf jenen, bie gttjar 
mand^e^ öon Jil^eofrit entlehnt, aber au^ biefer Ouelle bod^ nur 
gefd^öpft l^aben, toeil JRouffeau auf ben 9laturjuftanb äurüdfgeioiefen 
l^atte; öon SJoItaire ftammt bie ßeibenfd^aft für bie Uniüerfalität, bie 
Slnbr^ bettjog, feine Snfpiration bei SJiettJton ju fud^en unb mit 
ißucretiug in einem ßel^rgebid^t über bie Statur gu toetteifern. 

SSor altem jeboc^ finb e§ rein fünftlerifc^e, jum Seil fogar 
rein tec^nifc^e SBorjüge, ttjoburc^ 3lnbr6 ßl^^nier fo befreienb unb 
emeuemb auf bie ^ßoefie beö nad^näc^ften ®efd^Iec^te§ einniirfte. 
®er Sllefanbriner tüar in feinen ®ebid^ten nic^t mel^r berjenige 
9iacine§; er ttjar burc^ ©urd^fc^neiben unb Enjambements ein öiel 
gefd^meibigerer, freierer, mannigfaltigerer SSerS geioorben; Säfuren 
unb Übergänge toaren in feinen bitl^tirambifd^en 5ßoefien mit nod^ 
mei^r überrafc^enber ^ieul^eit angettjanbt, unb ba§ Siefuftat toax 
eine biSl^er unbefannte I^rifd^e Seibenfc^aft unb I^rifd^er ging. 
SBoI)( fanben fid^ bei Samartine SJerfud^e feiner metrifc^en Sieformen, 
aber gleid^fam unbeiou^t unb oi^ne bie 93eftimmtl|eit unb ^^räcifion 
in ber ^^rm, bie bei ßl^^nier bie Sugenb entjütfte. Slöe ©iejenigen. 



Hüdiblidie. Snlänbtfd)e ^nreQUit^en. 83 



bie auf eine beftimmte unb plaftifd^e gorm 2Bert ju legen öer= 
ftanben, fd^iüoren ju feinem SJiamen. Sie teiften untoittfürfid^ bie 
Scöriftfteöer ber bamaligen Stii in jmei ®rm)^)en, eine, bie öon 
grau t)on @tael abftammte, ber öielfprec^enben, öielfd^reibenben 
Sm^jroöifatrije, bie, ol^ne fonberlid^e Sefümmerung für bie S)urci^= 
bifbung beg ©angen, in (Sinjel^eiten einen SBirbel öon 3been unb 
SBorten öerfd^menbete, unb bie je^t ftd^ bilbenbe Schule, bie, mit 
?lnbr^ ßl^^nier afö SJorbilb, bie ftrengfte fünftlerifd^e ®ett)iffen= 
Ijaftigfeit aU xf)v ^rinji|) aufftettte. 

3u bem rein formellen gortfd^ritt in 3lnbr^ ©l^^nier^ ^oefien 
fam ein großer gortfc^ritt in ber ^axhtntvkbtxqabt. 3Ran l^atte 
big^er im SSerfe ha^ unbeftimmt abftrafte, überfinnlic^e ober empfinb= 
fame SBort bem fonfreten, finnlic^en unb malerifc^en 3lugbrud t)or== 
gejogen; man ijoitt j. 99. gefagt „ber §immel in feinem 3oni"; 
?lnbre Kl^fnier fd^rieb: „ein fc^njarjer, umioöffter ^immel"; man 
l^atte gef einrieben: „feine gittger", 2lnbr6 ßl^^nier jog öor ju fagen: 
„n)eiße, lange ginger". Unb ju biefer finnlid^en ^lar^eit in geioiffen 
Scjeic^nungen unb 93efd)reibungen fam bie (Sinfülirung eineö neuen 
ßlair^oböcur im Stu^brud, nebft SBorten unb SBenbungen, bie burd^ 
ettt)a§ 9iätfel^afteg ober ©e^eimni^öoße^ ober ^ß^antaftifd^eö t^W^Iic^ 
neue Sluöftc^ten auf einen tvdtm (Bpidvanm eröffnete. 

SSa§ man, mel^r öon einem menfd^Iid^en a(§ t)on einem 
fünftlerifd^en ©efic^t^punft , in biefer fc^önen ^^oefie öermifet, ift 
ber Stu§brud für ben |)erfönlid^en ©d^merj. ®iefe ©ic^tung ift 
tro^ i]^re§ geuer^ unb ilireö franjöfifc^en SBefenö ju abgemeffen, 
JU attifd^. ®a§ |)äBIic^e ift jU f^ftematifd^ au^gef c^Ioffen , unb 
ju bem ^ä^Iid^en, bem ©d^mu^igen jäl^fte ber ©ic^ter ec^t griec^ifd) 
feine ^jrbaten Seiben, feine perfönlid^e Sorge unb SKeland^oüe. 
Sßur burc^ einige ^ßrofa^^Slufjeic^nungen unb 93riefe erfahren tt)ir 
j. 93., n)ie fel^r er feinerjeit unter feiner Slbl^ängigfeit in Sonbou 
fitt. @r mad^t biefem Seiben nic^t Suft in feiner ^ßoefie. 9Benn 
er fic^ früher l^ie unb ba öon feiner 3lrmut]^ unb bem il^m auf^ 

6* 



84 X)te romantifd)e dd)uie in irankreid). 



erfegten S^^^Q gebrüdft fül^fte, fo gab er btefem ©efül^I nur auf 
Umtoegen Slu^brucf in (Sebid^ten toit ba^ Sb^ß ,,®ie greil^eit" in 
2]^eofritö äRanier, tt)o ber §irt feine glöte jerbric^t, ben Xanj unb 
©efang ber SRäbd^en fliel^t, jeben %xo\t t)ertt)ünfci^t, toeil er ein 
©Haöe ift SRur in biefer SBeife umfd^rieben, geftattete S^^nier 
feinem Äummer, burd^ feine ©id^tung l^eröorjubred^en. ^ 

@g ift unmöglid^, einen Segriff t)on ber SRatur ber ?ßoefien 
Slnbr^ S^öiier^ burd^ eine Überfe^ung ju geben, nod^ tt)emger 
burc^ ein bIo§e^ ^Referat in ^rofa. ®pxa(i)hxn% Sßer^funft, ©prad^^ 
färbe gelten verloren. SBenn aber gfeid^tool^I eine eigentümlid^e 
©d^önl^eit jurüdfbfeibt, fann ber Sefer auf ben SBert be^ Driginofö 
fd^Iiefeen. Um ein 83eif^)iel ju bringen, xoiU id) in gebrängter 
gaffung ba^ ©ebid^t „®er !ran!e Süngling" tt)iebergeben, ba§, toit 
2ine§ bei Sl^^nier, mit faft nic^t^ gemad^t ift^ unb baö man bod^ 
nie öergifet. @^ erinnert in feiner Sompofition an bie britte ©cene 
beö erften S(fteg öon Siacine^ „^ßl^ebre", bie ein femeg SBorbüb 
getpefen ju fein fd^eint, 

„Slpotto, bu rettenber ®ott, bu ®ott be§ Seben^ unb ber 
l^eilfamen ?ßf(anjen, f)abt SKitfeib mit meinem @o^n, meinem 
einzigen S^inbe, unb mit einer trauemben SRutter, bie nur für i^n 
febte unb ilin nun fterben felien foü! ®u junger ®otjt, fomm feiner 
Sugenb gu §ü(fe! ©tiöe ba^ brennenbe gi^ber, ba^ fein fd^ulbfreie^ 
Seben in feiner 83Iüte öerjel^rt, unb id^ tt)iß mit biefen alten §änben 
meine Dn%fd^afe ju güfeen beiner ©tatue aufhängen unb jeben 
©ommer einen n)ei^en ©tier auf beinem 3l(tar o|)fern. 

Unb bu, mein ©o^n, bift bu beftänbig o^ne SBarmJ^erjigfeit? 
bift bu unerbittlich, ttiillft bu nid^t fprec^en? ©eit brei Sagen l^aft 



* 3Benn ©aintesSeuöe in feinem SBergleid^ gwifd^cn Slnbre (Sl^cnier unb 
9Kat]^urin Ofi^gnicr ba§ ©ebid^t „2)ie gtei^eit" auf bie Seit nad^ bem Slufcnt^ 
l^alte in Sonbon gurücffül^rt, fo beruht bit^ auf einem d^ronologifd^en Srrtum. 
S)ie Untoal^rfc^einiicftfeit, bofe Slnbre öor 1790 in i!onbon mar, fjai 33ccq be 
fJouquiereS nad^gcmiefen. 



Hudibiidie. Jnianbifd)e Anregungen. 85 



bu nid^tö gegeffen, brei 9läcl^te nid^t gcfd^Iafcn. Ätnb, lüiüft bu 
bcnn ftcrben?. ©ott bcinc tüei^^aarige Söhtttcr einfam auf bcr ®rbe 
jurüdblciben, foK [te bcine Slugcn fc^üe^cn unb beine Slfd^c mit 
ber beiite^ SJaterö bereinigen? S^rid^, mein @oI|n, lüeld^^ ein 
©d^merj öerjel^rt bic^? ®ie ©orgc, bie man verbirgt, ift am 
l^ärteftcn ju tragen. ' 

ÜRütter,. ßebe lüo^I! 3d^ fterbe, bu ^aft feinen @o^n mel^r. 
Sine brennenbe, vergiftete SBunbe öerjelirt mic^; id^ atme nur mit 
ÜRü^e; i^ ttjiü ni^t fpred^en. Seb' inolil! . . . . 2)aS 99ette 
peinigt mid^, bie S)ede brücft mid^; Stilen befd^mert unb ermübet 
mic^. §ilf mir! id^ fterbe, D, »enbe mic^ nad^ ber anberen Seite! 
id^ öergel^e, mefd^e Dual! 

Unb t)ergeben§ reicht fie it|m einen |)eiltran!, ben ein tl^effa== 
lifc^eö SBeib mit ^^i^^^^^^f*^^ bereitete. ®od^ er beginnt ju 
fprec^en. ®r entfinnt fid^ ber Ufer beö Sr^mont^o^, ber §aine 
mit i^rem Saubtt)erf, be§ frifä^en SBinbl^aud^eö , ber ba? SBaffer, 
bag 2aub unb bie galten be^ Sinnengett)anbe^ über ber jungen 
Sßruft ber äRäbd^en fic^ lieben Iie§ ; er erinnert fid^ an bie @d^ön^ 
^eit {)er leidsten, ianjcnbcn äRäbd^cn, enblic^ an ein göttlid^eö 
Slntfi^. ®r'f^)ri(^t öertoirrt: biefe Strme, biefe 99Iumen, biefeö 
§aar, biefe nadten gü^e, fo meife unb fo fd^ön geformt! id^ foK 
fie niemals mieberf el^en ! ®r ]kf)i ein junges SKäbd^en öor fid^, 
bie mit Idngfamen ©d^ritten nad^ bem ®rab ilirer Söhttter ^el^t; 
er l^ört il^re liebliche Stimme; er fragt fid^, ob fie aud^ fein ®rab 
befuc^en n)irb. 

Unb bie SKutter erfährt, ba§ l^offnungglofe Siebe il^ren @o^n 
franf gemad^t: ®od^ fag' mir, mein @o^n, »aS für eine Jungfrau 
iff §, bie bu an ben Ufern beS ©r^mantl^oS fal^ft? ®u bift ja reic^ 
unb bu bift ja fd^ön, ober bu toarft eS, el^e ber ®ram bie jungen 
Sßlumen beiner SBangen tt)eß mad^te. 3ft eS Sglaia, ober bie junge 
3rene mit ben langen, lid^ten %kd)ttn, ober foßt' eS bie ftolje 
©c^önl^eit feitt, bereu Flamen ic^ täglid^ toieberl^olen l^öre, auf bie 



86 I^ie romantifdie Sd)ule in irankretd). 



Ott' bie fd^önen jungen ÜRäbd^en eiferfüd^tig finb, unb bic, mic man 
fagt, aÄütter unb ©attinncn nie oline Slngft in ben Xcntpeln unb 
bei ben 'i^t^tm fe^en? @otttc eö ®apl^ne fein? 

D ©Otter, f)aü ein, SÄuttef,- fd^tüeige! @ie ift ftolj, unbeugfam 
lüie bie Unfterbfid^en, fc^ön unb furd^tbor, Jiaufenb Stebl^aber 
l^aben fie angebetet unb fie öergeben^ geliebt; gleid^ il^nen ttjürbe 
auc^ id^ l^oc^mütig öerfd^mäl^t Sorben fein. ?iein„ Ia§ fie nie 
erfal^ren .... 

Unb boc^! £imi unb Job! äReine teure ÜÄutter! 2)u 
fiel^ft, in nielc^em Kammer id^ ju Orunbe gelie. ®e]^' unb finbe 
fie! ®eine QüQt, beine Saläre totxbtn fie öietteid^t an il^re ÜÄutter 
erinnern. SJiimm biefen Äorb unb unfre fc^önften "S^iiitjtt, nimm 
unfern @rog öon (Slfenbein, nimm unfere Dntiffd^ale au§ Storint^; 
nimm meine jungen SitQtn, nimm mein |)erj, nimm mein Seben, 
leg' att bie^ i^r ju ^äfeen; fag' i^r, xotv xd) bin; ba§ id^ fterbe, 
ba^ bu feinen ©o^n mel^r ^aben ujirft; fatte bem aften SKann ju 
gü^en, feufje, ittt unb rufe (Sötter, J^empel, Slftäre unb ©öttinnen 
im SJiamen be§ |)immete unb be§ ü)?eere§ an — unb fel^rft bu 
l^eim, o^ne iliren @inn gebeugt ju ^aben: bann leb' tt)oI|I, ÜRutter! 
bann ift mein Seben ju ®nbe. 

@ie bebedEt feine bleiche ©time mit Süffen unb Sl^ränen unb 
eilt fort, jitternb öor %VLvd)t unb' Sllter. ®od^ balb fommt fie 
atemlos jurüdE, fd^on öon ferne prt man i^re Stimme: 3Wein 
Sol^n, mein teurer ©o^n! S)u bleibft am Seben. @ie fe|t fid^ 
an fein Sager. Unb i^r folgt läd^elnb ber alte ÜÄann, unb 
mit i^m fommt bie junge Sc^önl^eit, errötenb, mit gefenfter 
©tirne, unb »irft einen 99Iicf auf ba§ Sager. S)er Unglücf* 
lid^e jittert, toie öon ©innen; er toiU fein |)aupt unter ber S)edfe 
öerbergen. 

„greunb," fagt fie, „feit brei J^agen faf) man bid^ bei feinem 
geft. SBa§ ^aft bu öor? SBarum n)ittft bu fterben? 25u bift franf. 
SRan fagt mir , bafe ic^ bic^ I)eilen f ann. Sebe unb la^ un^ 



Uütkblttke. Jnlanbifdje ^nregungtn. 87 

i -I ■ ■ ■ ■ .. . — ■.■■ - ..■■■ . , — 

jufammen eine gamilie au^mad^en ; Ia§ meinen SSater einen ©ol^n, 
beine ÜJintter eine 2;od^ter ^aben!" 

@^ ift unmöglich , einer leibcnf d^aftüd^en Situation eine ein=» 
fadere, effeftfreiere Söfung ju geben. 

Sine ©runblage biefer 3lrt ttjar e^, toeld^e bie neue romantifc^e 
«Sd^ule tjorfanb, um tüeiter barauf ju bauen: bie ebclfte Sinfac^l^eit 
in ber ©prad^e, bie 9lid^tigfeit ber 3^ic^^i^^9f ^^^^ gried^ifc^e 
9tl^t|tl^mif . in aÜen Übergängen, bie fd^önen Sinien beö 83a§refief, 
ungemifd^te garben unb ftrenge g^^^- 



VII. 

®cr 2)icl^tcr, bcr am frül^eftcn Sl^^nicr§ Sintüirfung öcrröt 
mar einer öon ben fünftlerifd^ fül^nften ©eiftern ber ©d^ule, einer 
i^rer urf^)rün9ltc^en ^ü^rer, SHfreb be Sign^, ate I^rifd^er 
^iä)Ux ein aReifter ol^ne 5^^L Seufc^, Aar, rein unb ftreng, mic 
fie ift, f)ai feine ?ßoe[ie etioag an fid^, tt)a§ baö SBilb öon bem 
Segeln eineö Sd^mane^, öom ®Ianj be^ Slfenbein^, ber SReinl^eit 
be§ ^ermelin^, anf aßen Si^jpen ^eröorrief, bie eine SBejeic^nnng 
bafür fud^ten. @r i)ai bie ftrenge Sunft, bie nüd^teme "^^axht, ba^ 
^appt nnb Ungefnd^te, ba§ aud^ ßl^^nier d^arlfterifiert. Singen^ 
fd^einlid^ fürd^tete er, man fönne biefe (Sigenfd^aften einem @inftu§ 
EI|toier§ jnfd^reiben. ®enn obgleich er feine Oebic^tfanrailung oor 
1819 l^eran^gegeben, f)ai er boc^ in einer f|)äteren Sln^gabe feiner 
(Sebid^te eine Slngal^I berjenigen, bie am beutüd^ften ba^ Gepräge 
t)on Slnbr^ Sl^toier^ ®inftn§ jn l^aben fd^einen, mit einem früheren 
3)atnm öerfel^en, ba§ fogar big ju 1815 jurüdgel^t. ®od^ felbft 
abgefe^en baöon, ba^ einjelne ®ebid^te öon Slnbr^ fd^n bamate in 

Sl^ateanbrianbö „Le g^nie du Christianisme" nnb aU Slnl^ang ju 

* 

9Kittet)09eg ^ßoefien öeröffentüd^t waren, fprid^t ade SBa^rfc^einlid^- 
feit bafür, ba§ . Stifreb be SJign^ tro^ feinet im übrigen f o ftrengen 
Sl^arafterg (ganj tt)ie in ©änemarf @d^ad ©taffelbt, bei feiner fonft 
l^eröortretenben ©l^arafterreinl^eit) feine Oebic^te öorbatiert l^abc, um 
fid^ einen i^m nid^t gebül^renben Sd^ein unbebingter Originalität ju 
geben; benn bie einjelnen ^ßoefien, bie er öor feiner erften ©ebid^t* 
fammlung öeröffentüd^te, finb »eit geringer ate biejenigen, toeld^e 



be lligni)0 ^oejien itnb 1^ugo0 motnienlänbtfd)e (Üiebtdjt^. 89 



bic frül^efte (unb eine bei tDeitem frütiere) ^ai)xt^a^^ tragen, ja fo 
öiel unbebeutenber, ba^ er fie fogar fpäter üon feinen gefantmelten 
©ebid^ten au§fc^Io§. Slnbr^ be &)inkx^ ®influ§ auf bc SSignti 
ift fomit unbeftreitbar; er- ^at öiet öon bcr ©igentümlid^feit be§ 
fpät entbcdten SKeifter^ in ftd^ aufgenommen, inbem er fic^ jugleic^ 
öon bem ^ettenifc^en 3lrc^ai^muö freimad^te, ber l^emmenb auf beffen 
freien g^i^Ö tt)irfte. ®ag (Sebic^t „®ie ®r^abe", ba§ er mit ber 
S(nmerfung „Sb^ße in XI)eofrit§ äJianier" bejeid^nete, ift in SBirf= 
fid^feit eine SbtjIIe in ber ÜÄcfnier S^^nier^. SBa§ be Sßign^ am 
fd^ärfften öon Sl^^nier atö It)rifc^e Snbiöibualität unterf d^eibet , ift 
ber unbebingte Spiritualismus unb ba§ ftolje, ftoifd^e ©efül^I beS 
3lIIeinfte]^en§, ®r seic^nete fein Sbealbilb in Oebid^ten tt)ie „Mo'ise", 
„La colere de Samson" unb „La mort du loup". (£r ift gauj er 
felbft in ÜÄofe§' fd^merslid^em Sluöruf: 

Seigneur, j'ai vecu puissant et solitaire, 
Laissez moi m^endormir du somipeil de la terre! 

3c^ glaube, bie ßlage feinet tief t)ertt)unbeten ©etbftgefü^te in 
©amfonS 3^^ ^k^^ ®alilas galfd^^eit ju pren. (Seine ©alila 
l^iefe äRarie S)ort)aI, bie grojae Sc^aufpielerin.) dreimal fd^on Iiat 
er i^r hergeben; bennod^ jcigt fie fic^ mel^r befc^ämt atö öeriüunbert 
barüber, gleid^jeitig fid^ entbedft unb t)crgeben ju fe^en: 

Cat la bont^ de THomme est forte et sa douceur 
♦ ficrase, en l'absolvant, l'^tre faible et menteur. 

Unb id^ lefe jugleic^ feinen @toici§muS unb eine SSerteibigung 
feiner Unprobuftiöität IierauS auS ben SSSorten im (Sebid^t öotn' 
SBoIfe, ber ftirbt, o^ne einen Schrei- au^äufto^en: 

A voir ce que Ton fut sur terre et ce qu'on laisse, 
Seul le silence est grand; tout le reste est faiblesse. 

9Rag immerl^in titoa^ erätt)ungene Steifl^eit in . biefer feiner 
Haftung fein, fo l^at er biefetbe boc^ aus ©tolj angenommen, auS 
geiftigem 2tbe(, in bem SebürfniS, ber Steinl^eit unb Strenge feiner 
©efinnung ein ©enfmat in feinen SJerfen ju fe^en» 



90 2)it romantifdie Sdiule in irankteid). 

®er S)i(^ter, ber bie tocfentlid^e SBeitcrentoidelung öon S^inier§ 
I^fd^cm ©til untcmalim, toar a(ö ®eift ganj öcrfd^iebcnartig fo* 
tool^I t)on il|m lüic öon bc SJign^, fd^iüettcnb bcraufc^t t)on @etbft== 
üertrauen. SSictor §ugo ftanb in bcr glüdElid^en S^^^f ^^ ^^^ 
äRorgcnröte fcitte breiunbjlüaujig 3ci^rc umftra^ftc. @r f)ai in 
einem ©ebid^t (A Mademoiselle J. in „Les chants du Cr6puscule" 
bie @iegeggett)i§l^eit, mit ber er ate I^rifd^er ©id^ter in^ Sebcn 
I|inau§ trat, felbft gefd^ilbert: 

v,®amal§ fogte id^ ju ben Sternen: „£) mein @tem, bu birgft 
bid^ öergebenö Ilinter einem ©d^feier, id^ totx^ »ol^I, ba§ bu bort 
oben ftra^Ift;" unb jum %ln^\t: „®u bift ber Slulim; aber iitf), 
id) fomme, unb jeber meiner 3^age ift eine SBeße beineö Strome^." 
3(^ fagte ium SBalbe: „S)u buuMer SBatb! gleic^ bir ^ab' id^ 
SKefobien unb Stimmen o^ne S^%" ^^^ W^ Slbfer: „Siel^ meine 
Stirne!" unb ben leeren Sed^ern rief id^ ju: „^d) bin öoü öon 
brennenben Sbeen, in benen bie Seelen fid^ berauf d^en foöen.". . . 
Unb njö^renb ic^ auf aße^ um mic^ l^er laufd^te, trunfen üon 
99Iumenbuft unb Harmonien, ^örte id^ ben ©efang ber ganjen 

?iatur in bem Slufrul^r unb lumult meiner Sinne S)ie 

®rbe rief mir ju: ®id^ter! unb ber§immel anttoortete üon oben: 
5ßrop^et! ®e^, fprit^r feiere unb fegne! ^nüt bie Urne mit 
beinen mäd^tigen ©ebanfen, gie^e fie auö über Xf)äkv unb 
Serge, gie^e fie in^ ?ieft ber Sd^toalbe unb in ben §otft be^ 
mierg!" 

SBictor |)ugo bemäd^tigte fic^ jeneö Sßerfeg, ben 3lnbr6 ß^toier 
gefc^affen, biefeg burc^fid^tigen Organa ber reinen Sd^önl^eit, unb 
unter feinfo 93el)anblung ftral^Ite berfetbe in aßen Siegenbogenfarben. 
Seltfamerioeife toax e§ biegmal tt)ieber (Sriec^enlanb, njo^er bie 
Snfpiration fam, aber bie^mal ba^ neue ©ried^enlanb. Unter bem 
Sinbrudf be^ griec^ifd^en greil^eit^friege^ begann §ugo feine „35ie 
Orientalen". ®od^ mt öerfc^ieben bie Sprad^bel^anblung ! 2)ie 
SBorte malten; fie leuchteten, „öergolbet öon einem Sonnenftra^l" 



be lligitt)0 ^oeüen unb ijugos tnorgenlänbifdie (Sebidite. 91 



toie bie fc^öne 3übin in ben ©cbic^tcn; bie SBortc fongcn, al^ 
Rotten fie ein l^eintüd^eg Slccom^jagnemcnt t)on türfifc^er äRufif. 

@g tüar ©oet^e, ber ben Orient bid^tcrifc^ entbedt l^attc. ®ocl^ 
bic§ 9KorgenIanb in „SBcftöfttic^er ®it)an" toax ber ^^ffi^^^^^i^t 
beg ©reifet. ®r erfaßte bag Sinlienbc, ba^ SSefd^auenbe in ber 
orientalifd^en Seben^betrad^tung nnb ftod^t bentfc^e Sieber l^inein. 
9Jürfert, ber gro^e @t)rac^!ün[t(cr, folgte fpäter biefer @pnr. ^ad) 
®oet^e§ Orient tarn jener DeI|Ienfd^täger§ in „3Mabbin". ®g tt)ar ber 
Orient be§ Äinbe^, be^ ÜJiärc^enbud^eg, an§ laufenb nnb eine ^iac^t, 
^alb t)erfifd^ nnb l^alb !openI|agenif c^. @^ toar ber J^ranm öon ©eiftern, 
bie in £anH)en nnb JRinge gebannt, t)on diamanten unb ©apl^iren, 
gleid^ fc^effetoeife gemeffen — bie unumfd^ränfte |)errli(^feit ber 
^^antafie, Sitten grup^)iert um ein paar unöergänglid^e poetifd^e 
S^pen. ®ann folgte S^rpn^ Orient — eine gro^e 2)e!oration für 
bie Seibenfd^aft in il^rer 9ftü(fficl^t§Iofigfeit unb Sd^ioermut. Stber 
§ugog Orient toax nod^ etnia^ gauj anbereö: & loor ba^ bunte, 
barbarifd^c SKorgenfanb in ber gerne, ha^ äanb beö Sic^te^ unb 
ber gorben, 

Sultane unb ÜÄuftiö, ©ertoifc^e unb Saufen, §etman§ unb 
SIe|)^ten — Uebfid^e klänge in feinen Dliren, lieblid^e Silber öor 
feinem 3(uge! ®ie Qtit gteid^gültig — SWtertum ober 3Kitte(a(ter 
ober ©egentoart; bie 8iaffe gleid^gültig , ^ebräifc^, maurifd^ ober 
türfifd^; ber Ort gfeid^güttig, Sobom unb ©omorrl^a, ©ranaba, 
Sßaöarino; ber (Staube gleid^gültig: „5Riemanb", Reifet e§ in ber 
SJorrebe, „j^at ba^ Siedet, ben ®ic^ter ju fragen, -ob er an ®ott 
ober an ©ötter, an 5ßIuto ober an Satan ober an 3lxä)t^ glaube/' 
@r mill malen. ®r ift befeffen t)on einem ®eniug, ber i^m nic^t 
Slul^e läfet, bi^ ber Orient, mt er i^n fül|lt, auf bem ^a^)iere ftel^t. 

SBie !am er baju? — (Sin forgföltige^ Stubium feiner mor* 
genlänbifc^en ®ebid^te belel^rte mid^ barüber, Sie entftanben ja 
nidjt in ber Orbnung, in todd)tx fie in ber Sammlung auf ein== 
anber folgen. S)a^ juerft gefd^riebene Stüdf ift 9?r. 23 „S)ie 



92 Die tomantifd)e ^d)ule in ^Frankretd). 



eroberte ©tabt" (öom Saläre 1824); bann folgen in ben Salären 1826 
unb 1827 anbere ÖJebid^te, njcld^e ©toffe auö bem greil^eit^fricge 
bel^anbeln, nnb erft 1828 l^ot bie ^l^antafie beö ©id^ter^ ernftlid^ 
83Int getrunfen. ®er ©efid^tgfreiö ern)eitert ftd^, all bie ©lementc, 
bie bnrd^ nal^e ober ferne Sbeenöerbinbung fid^ nm ben Sürfenfrieg 
fr^ftallifieren, fommen l^inju. 

Setrod^ten tt)ir bag Keine ©ebid^t „^k eroberte @tabt", ba§ ber 
©emüt^beioegung über ®ried^enlanbg SKart^rium entfprang, fo ift 
bie Übereinftimmung mit bem 3lu^gang§|)unft ber franjöfifd^=roman 
tifc^en äWalerfnnft auffaCenb, 3m Sa^re 1824 ^atte Sugene 2)ela^ 
croif fein berii^mte^ ©emätbe „"Die ^iieberme^elung auf (BUof 
auggefteßt, biefe ©c^redfen^fjene, fo gänjlid^ bar ber l^ergebrad^ten 
poetifd^en (Serec^tigfeit, fo tief gefül^It, fo frei unb fräftig gemäß, 
fo flammenb in garbenglut. (Sin 3al^r banac^ fd^reibt ^ugo feine 
fteine Dichtung. @ie fd^eint ber untertl^änige SBerid^t eineö treuen 
©flauen, mit über ber S3ruft gefreujten ^änben vorgetragen: 

„D ^önig! Dag %tntx öerjel^rt unb leud^tet, toie bu befa^tft; 

e§ erftidt ben ©d^rei ber Seöötferung; SBeiber unb SKänner, 

SSäter unb ©öl^ne faöen unter bem ©d^n)ert; bie Slaben umfreifeit 
bie ©tabt Die ÜÄütter f tagten, bie Jungfrauen »jitterten, »einten 
unb n)urben gefc^änbet; toir banben fie aufö 5ßferb unb ließen fic 
aug ben 3^ften f(^Ie|)pen, noc^ lebenb, aber braun unb blau üon 

©dalägen unb Siebfofungen Die fteinen Äinber Iiaben mir an 

ben ©teinen jerfc^mettert; biejenigen, bie nod^ leben, befommen 
il^ren Sleft, Dein SJoIf, o ^önig, fußt ben ©taub unter ben @an^ 
baten, bie ein Oolbring um beinen ebeln ^n^ ^ält." 

Die§ ift ber aöererfte 2;on, i>tn §ugo in biefen ®ebid^ten an-- 
fd^Iägt; er ift fc^arf unb greH, aber fo ganj gut ift ba^ Oebic^t 
nic^t, benn e§ ift nid^t burd^au^ ma^r. ©o l^at jener* ©flaöe nid^t 
gefprod^en; man fü^It in bem 9{ap|)ort bie ^jerfönlid^e 3nbignation 
beg Did^terg burd^. Die ®ebid^te, bie nun fotgen, „Die Häupter 
auf bem ©erail", „@ntl^ufia§mu§" unb „Jlaöarino" tragen äußer^ 



I 



tt Vi^nr^B Ipotjitn unb i^ugos motgenlänbifdie (Sebid)te. 98 

lid^ 3^W9^i^ ^ött ^^^ urft)ränglid^cn, neugried^ifc^cn Snfpiration, 
, au§ ber „2)ic Orientalen" I)ert)orgingen. 2)0(^ nun mac^t ber 
Did^ter einen großen fünftlerifd^en gortfd^ritt, er fd^tüingt fid^ ^n^ 
über auf ben @tanb^)unft ber lürfen, bid^tet fid^ in il^ren Sinn 
hinein. 

,,2)er ^mmer beg ^ßafc^a" ift ber erfte, ^ali ironifd^e SSer== 
fud^. ®ertoifd^e unb Sombarbiere, Dbaliöfen unb ©Kaöen, alle 
fud^en, 3ebe§ öon feinem ©efid^tgpunft au^, ju ergrünben; ttjaö 
m^ bie Urfad^e fein mag, bafe ber 5ßafd^a ftumm unb träumenb 
mit naffen Slugen in feinem Stlk fi^t Slber ber ®runb ift nic^t 
ber, ben fie vermuten, lüeber ba§ bie g^öoritin untreu, nod^ ba§ 
ein ^aupt im ©adE beö ^tUai) fel^It. ?iein, fein Siebüng^tiger au^ 
Shibien ift tobt. — ®ie^ ift öorläufig nur ein Slnlauf. ©er ®id^ter 
ift nod^ nid^t gang über fic^ felbft l^inau^, nod^ nid^t ganj au§er= 
^alb feinet SBefen^ afö ^ßriöatperfönlic^feit; man ^piivt i^n .in 
einem fd^wad^en Spott, ber ba§ 83itb ftört unb auflöft. ©ann 
folgt ba§ ®ebic^t „S^ürfifd^er ÜJiarfc^", unb loir finb ganj im 
Drient 

2)ie meifterlid^en ©tropl^en finb in ben Siefrain eingefaßt: 
„äWein S)oI(^ trieft öon geronnenem 93Iut unb meine Sljt ^ängt an 
meinem ©atteßnopf;" boc^ fonft ift ber Snl^alt nid^t tt)i(b, er ift 
emft, tjoll t)on türfifc^er 5ßietät, ber ©ebanfengang ööllig beftimmt 
burd^ einen Sl^rbegriff, ber nic^t toeniger ma^gebenb ift, toenn er 
aud^ anberer 2lrt ift, afe ber unfrige. 

2)er SJiarfd^ beginnt: „3(^ liebe nur ben ed^ten ©ofbaten, 
Selialö ©c^redfen. ©ein toeiter Xurban mac^t feine ©tirne boppelt 
ftreng, (£r fü^t el^rerbietig ben 93art feinet SSater^ unb liebt tok 
ein ©ol^n feinen alten ©äbeL" %txmx ^eigt e^: „S)er, ttjeld^er 
gerne mit SBeibem fc^ioä^t; ber, toelc^cr bei einem Xrinfgelage bie 
Stammtafel eine§ fd^önen Stoff eg nid^t nennen !ann; ber, tväd)tv. 
auf feibenen ®it)anen ru^t, öor ber ©onne bange ift, ber lefen 
fann unb aug ©frupel alt ben St|pernn)ein ben Sl^riften überlädt 



94 Die romantifd)e Sdiule in irankreid). 



— ber ift ein feiger §unb unb fein ©olbat: il|n fielet man nic^ 
mate, tt)enn bie Bä)la^t loögel^t, aufgerid^tet in ben breiten ©tcig- 
bügeln, mit bem ©äbel in ber §anb fein ?ßferb in ben biegten 
®d)toavm l^ineinf^)omen." §ier ift nid^t^ mei^r öon einer grie^i^ 
fd^en Stimmung ober einer eurot)äifd^en 3ronie über türKfd^e 
^Barbarei; l^ier ift ber S)id^ter ganj unb gar S)ramatifer genjorben 
innerhalb beg türfifd^en ©ebieteö, l^ier ift bie toaf)xf)Ci^k SrutaKtät 
in ber ßofalfarbe, bie fein norbifd^er ®id^ter bei fold^en ©toffen je 
erreid^te; l^ier ift bie redete männlid^e 83arfd^l^eit im Ion. 

2)ieö ift nid^t ®efül^fe^)oefie, e§ finb löne in S)ur, unb ein 
2)ur=ftlang ge^t burd^ aöe biefe ©ebid^te, felbft ttjo ba^ ^tib unb 
bie Siebe i^re SRIi^t^men in biefe ȟben unb raul^en eingefd^Iungen 
l^aben. @^ finb graufame, l^erjlofe gi^auengeftalten, ttiie bie jfibifc^e 
©ultanin, bie immer neue Äö^)fe i^rer Jlebenbul^Ierinnen forbert, 
unb eö finb feine unb mufif auf d^e ©oatöd^ter, ttjie jene ® ef angene, 
„La captive", bie fid^ l^eim nad^ i^rem Sanbe fe^nt, aber boc^ ein 
genjiffeg 93el|agen babei fül^It, ben Slidf über @mt|rna§ geen^aläfte 
l^ingleiten ju laffen unb Sommer unb SBinter, bei Sage unb toenn 
ber SBoHmonb auf§ ÜJieer fd^eint, bie laue Suft be^ Oriente einju- 
atmen. §ier finbet fid^ eine fo reijenbe g^auengeftalt toie jene, 
bie in „®a§ Sebeniol^I ber arabifd^en äBirtin" auftritt: bie ßiebe, 
bie barin ju SBorte fommt, ift »ermutig in bem ©efül^I, nid^t ®t^ 
toiberung ju finben, unterbrütft unb feufd^; e^ ift eine SRifc^ung 
öon fd^mefterlic^er gürforge, finblid^em Slberglauben unb unter^ 
lüürfiger Slnbetung, bie fid^ mit eblem Stolj unb t)Iaftifc^er 2ln== 
mut offenbart. 

SSon bem Slugenblid an, afö ber S)id^ter fid^ öon bem Sager 
ber ©ried^en bemjenigen ber ®egner jutoaubte, läfet er feiner ^ß^an^ 
tafie freien Sauf. Sßon ben 83ilbem türfifd^er ®raufamfeit gleitet 
fie über jur Sluömalung türfifd^en Slberglauben^ (Les Djinns — 
ein metrifd^e§ SBunber, tt)o ia^ §erannal^en ber tt)ilben 3agb, i^r 
§inbonnem über bie §äupter ber fd^redEgelä^mten SSemo^ner unb 



be DigniiB Ißotfitn unb %u%osi morgenlänbifd^e (8»ebid)te. 95 



ii)x alfmäl^Iic^eg Sntfcrnen burd^ ba^ lengfame ©feigen be§ ©ebid^tee 
öon ber stüeifilbigen big jur äel^nfitbigen ^ixop^t unb bann tokbtx 
burd^ baö 3iii^ö^P^^^^ i^^ jlüeiftibigen ©tropl^e gemalt n)irb). 
Som tfirfifd^en Serail ^Seben gleitet bie Sinbilbung^fraft ju bcm 
Zeltlager ber freien SBebuinen in ber SBüfte; öon ber SBüfte, »ie 
fie l^eutjutage ift, ju ber SBüfte, ttjie fie n)ar, afö 83ona:parte fie 
mit ben @c^n)ingen feiner Slbter überfc^attete. 

Ungeheuere ^^äd^en öon @anb unb SBaffer, bie Drbnung unb 
S8en)egung großer 2nH)^)enmaffen, bie Slrd^iteftur ganger ©täbte, i^re 
Belagerung unb bie ©tumtläufc bagegen geigen fic^ öor ^ugo^ ®id^^ 
terauge, unb burd^ eine na^eliegenbe 3been^Slffojiation entftel^t in 
einem gegebenen SlugenblidE ba^ S3ilb riefiger Untergang^fsenen au§ 
ber biblifd^en Sßorjeit. ®ort fanb |)ugo ben ^rad^töoöften, feiner 
5ßerfönlid^fcit am meiften öernjanbten Stoff, ©eine 5ßl|antafie mar 
ftetg öomelimlic^ auf bas Ungel^euere angelegt; 5ßegafug ift in buc^- 
ftäblic^em ©inne immer ein fc^öneg SRonftrum; aber fein ^ßegafu^ 
ift eg in geiftigem ©inne. 

®r fd^reibt. ba§ Oebic^t „®er g^uerrcgen öom |)immel", ba^ 
erfte ber ©ammlung, ber (Sntftel^ung nad^ ba§ le^te, SBir feigen 
bag fc^toarje, fürc^terlid^e ®eiüöH über ben ^immd jagen. SBo{)er 
fommt eö? SBo^in gel|t eö? 9licmanb tüeife e^. @§ fä^rt über 
bag 3Äecr unb fragt ben §errn, ob e^ bie ^^iit ^it feinem geuer 
ttuötrodfnen fott. ?iein, anttt)ortet ber §err, unb unter feinem 
Sltem verfolgt e^ feine SSal^n. Über ben lieblid^en (Solf beg mittel 
länbifc^en SReere^, über Stgtiptenö blonbeS ^omlanb gleitet bie 
SBoIfe, aber ber §err giebt i^r nod^ fein 3^i<^^^f ftiöäuftel^en. Über 
bie SBüfte fliegt fie, über bie SRuinen beö alten SBab^Ion. ©ie 
fragt: Sft eö ^ier? 2)od^ fie mu§ loeiter fort, ©o erreicht fie jur 
Slad^tjeit ben ßtmti) über ben jn)ei ©(^n)efterftäbten ©obom unb 
©omorrl^a, tt)o Slöe^ unter ©c^ioelgerei, in ®enu§ unb SBoöuft 
eingefc^Iummert ifi Unb auf ben Söin! be^ §errn jerrei^t bie 
SBoIfe unb öffnet i^ren ^^^mmenfc^Iunb. (Sin ©c^auer faßt ^er= 



96 9i( romantifibe ^diule in itankteid). 



ntcber: %nnkn, ©d^njcf clftröme , geuerregen, 6t^ Sld^ot unb 5ßor^ 
pl^^r unb 2l6göttcr unb SKarmorriefen toit SSad^g fd^meljcn unb 
btc iJtttmmcn allcg Scbenbigc in ben |)äufcm unb ouf ben Strafen 
untjüngeln unb öcrbrcnncn. ®a ftrecft gegen SKorgen bie alte 
atutne öon 85abel i^r ^anpt übtx ben 93ergrücfen l^eröor, um ben 
B(i)ln^ btefeg S^aufpiete gu genießen. 8ie fennt eö; ani) fie 
l^at einmal bie Siebe, mld)t jüd^tigt, empfunben. 

2)ieg ift, tt)ie gefagt, feine 9)?o(I*^oefte, unb 93efd^ulbigungen 
ber fiälte blieben nid^t au«, fo ungered^tfertigt fie auc^ toaren; 
aber aü bieg ift gefd^aut, all bieg ift gemalt mit einem ?ßinfel, 
erinnemb an jene lanne, bie §eine aug SRoTOegeng SBälbern reiben 
unb in beg Sttna glü^enben Sd^funb tauten moüte, um bamit 
ben 9lamen feiner beliebten an bie biinffe ^immeföbed e ju fd^reiben. 
S)iefe ,,DrientaIen" mürben bag 5ßrotot^p für bie romantifd^e ß^rif. 
3)er 2)id^ter »agte l^ier, ba^ Sc^merjlid)fte, ja bag ^äßlid^e, Snt^ 
fe^Iic^e anjufaffen (to östvov, toit bie ©ried^en fugten) unb eg in 
feine S^rif aufjunel^men in bem SSertrauen, baß feine bic^terifd^e 
firaft wol^I imftanbe fei, bieg ?tlle» mit ^oefie ju bur^bringen, 
an biefe Sd^atten bur^fid^tig erfte^en unb aö biefe bunfeln $|Sun!te 
in einem poetifd^en Si(^tmeer aufgellen ju laffen. ®r f^rieb ein= 
mal ein ©ebic^t über ben ©rbbaß, ba^ )i6) auf biefe feine S^ri! 
antt)enben läßt; er fd^ilbert ben bürren, fteinigen, färgüd^en ®rb^ 
boben, ber nur tt)iberftrebenb bem 9)ienfc^en 83rot gibt; l^ier glü^enbe 
SaSüften, bort oben ^olar=(Sig; >2täbtc, meiere bie brei Sungfrauen 
Sarm^erjigfeit, grieben, SJertrauen ^önberingenb öerlaffen; hm Job, 
ein ©efpenft o^ne Stugen, ba^ gerne bie 33eften guerft l^inrafft; Söieere, 
wo Sd^iffe nad^tg ju ®runbe ge^en, Sauber, tt)o ber firieg brüllenb 
feine gadeln fd^tt^ingt unb 9?ölferfd^aften rafenb fic^ auf einanber 
ftürgen, unb — fc^Iiefet er — all bieg ift ein etem am §immeL 



VIII. 

■ 

Äaum l^attc §ugo ,,3!)ic Orientalen" öoKenbet, afe er eine 
©ebid^tfommtung begonn, tt)etci^e ben öoüftänbigften ®egenfa| ju 
i^nen bilbet. „®ie ^erbftbtätter" (Les feuilles d'automne) er- 
obcrten ber S^ri! ein neueg ©rbreid^, einen Umfrei^, ber ebenfo 
perjöntid^ toax, toie jener ber „Orientalen" unperfönltd^ getoefen. 

§ugo n)or, erft jtüanjig Saläre aft, fd^on öermäl^It @r fül^rte 
ba§ SJiäbd^en, bo§ er liebte, Slbete g^^^ci^^^r ^^i^r ^i^f ®runb ber 
unbebeutenben Summe, bie il^m im f elben Saläre t)on ßubnjig XVIII. 
atö jäl^rüd^e ^enfion betüiüigt Sorben tüot; bie äRitgift, bie feine 
t^rau il^m jubrad^te/ beftanb in 2000 granc^. S)a§ junge 5ßaar 
fül^rte olfo ein fpärtid^eö ßeben in ben Salären, bie berfloffen, bi§ 
§ugo§ %tbtx — ungefäl^r nad^bem bie $ernani^@d^tod^t gen^onnen 
tt)ar — begann, ^unberttaufenbe einzubringen, bie batb ju 
3KilIionen antoud^fen; aber in bem bürftigen $eim tno^nte ba^ 
(Stücf, unb atö §ugo, fünfunbjtüanjig 3a^re alt, atö :t)oetifd^er 
SReboIutionär auftrat, tnar er längft gamilienöater mit einer @(^aar 
ffeiner ©d^reil^älfe um fid^. 

®ie ^erbftblätter brad^ten ©ebanfen unb Silber auiS feiner 
§äu§tid^feit. @§ n^aren ©rinnerungen au§ feiner föinber jeit unb 
dn teure SSerftorbene, ©rinnerungen an bie ^ärtlid^feit feiner 
SRutter, an bie friegerifi^e ©rfd^einung be§ SSater^, an SRapoIeon, 
ben er in feiner Äinb^eit an ber Seite be§ Sßater^ gefe^en. (Sr 
erfc^Iie^t fein §erj bor nal^eftel^enben greunben, beid^tet il^nen feine 
Srfinjermut unb feine S^^if^f i^^ter bem garten Äantpf be§ Sebeng. 

» r a n b e 8 , ßitteraturgett^. be« 19. ^a^r^. V. 7 



98 2^i( tomatttifd)e 3d}uU in /ranktetd). 



eiitjclnc, unöcrglci^K^c ßiebc^gcbtc^te. Qx finbet feine erften 
Siebe^briefe »icber unb lieft fie mit SBe^mut, inbem er bie ent= 
fd^tounbene %xi'\d)t ber crften Sugenb öcrmifet (Sr befiitgt fein 
junget S33eib, fie, ju ber er gefagt: „Smmer!" unb bie il^m geant= 
toortet: ^^Überatt!" 6r malt bie $ßoefie feinet |)aufe§. ®ie§ h)ar 
eine Seite be§ Seben^, wel^e bie größten Sinter ber SBett faft 
ade liegen getaffen l^otten. @l^a!efpeore l^attc feine |)äu§Iic^feit, 
unb fein 9?erl^ältni§ ju feiner grau ift faum ber -Sefprec^ung toert. 
©deiner unb ©oet^e f ^rieben nur tt)enige (Sebid^te an i^re fjrauen 
unb feinet über i^r J^äu^Iic^e^ fieben; toa^ SB^ron für paffenb 
fanb, ber SBelt bon biefen SSerl^ältniffen mitzuteilen, loar nur tt)enig 
erbaulid^. De^Ienfd^Iäger, beffen perfönli^e unb litterarifd^e @tel= 
lung im übrigen fo biele $ßaralleten mit berjenigen §ugo§ barbietet, 
l^atte nic^t red^t öermoc^t, biefe Seben^fp^äre jur ^oefie ju ergeben; 
fein 9?er^ältni§ ju feiner ©attin ift in ben (Sebid^ten mel^r cl^rlid^ 
afö burd^aug ritterlid^ unb in SBejiel^ung auf feine Sinber jcigen 
feine SBerfe einen Slnflug t)on SSatereiteßeit; er fprid^t barin bon 
i^nen ungefähr f o, mie f önigli^e $ßerf onen in öffentlid^en Slufeerungen 
bon ben übrigen fpred^en; man fül)tt, ba^ er fie afö SBefen be= 
trai^tet, bereu SBol^Ifa^rt Sitten am ^ergen liegen mufe» SSictor 
|)ugo l^at eg berftanben, fi^ öon foI(^en @d^tt)äd^en freijul^alten. 

S)urd^ |)ugo§ (Sebic^te jiel^t fid^, ou^geftattet mit ber l^öd^ften 
Sd^önl^eit, ba§ SBilb ber jungen SKutter, gefolgt ton il^ren öier 
Sinbem, öon benen ba§ fleinfte nod^ mit unfid^eren ©^ritten 
trippelt 

„SBenn bu je einer grau begegneft, bereu ©time rein, bereu 
®ang rul^ig ift, ieren Singen milbe finb, bie i^re fiinber an ber 
^anb fül^rt unb, tt)enn fie einen armen 33ettter auf i^rem SBege 
trifft, ein Sllmofen in ba§ ^änbd^en be§ flcinften Sinbe^ legt .... 
ober — loenn fic^ ©d^mä^reben über einen 9iamen ergießen, unb 
bu fie^ft ein SBeib ftumm'unb 'jioeifelnb jul^ören unb l^örft fie 
fagen: Sa^t un^ mit unferm Urteil loarten! tt)en bon un^ fönnte 



J^ugo uttb muffet. 99 



man nid^t t)erfeumben! £), totx bu aud^ fcieft, fcgne fte! Sic ifte, 
bie Sd^toefter meiner Seele, meine Hoffnung, mein ©d^a^, meine 

Unb ferner Kingt burd^ biefe (Sebid^te ein Summen unb ein 
Äßngen tt)ie t)on ^nberjubet unb SSogetgejtoitfd^er. ®a? Äinb 
jpringt in bie Stube — unb bie finfterfte Stirne, felbft bie böfeften 
©efid^ter Hären fid^ ouf; ba§ Äinb mifd^t feine f^r.agen in ba§ 
ernfte ®efpräd^ unb unter ßäd^etn f)&lt man plöi^tid^ inne; e^ öffnet 
feine junge Seele alten SinbrüdEen unb bietet g^embeh unb Söe- 
fannten bo^ SÖiäufd^en jum Äufe. 

,,ßa§t bie Äinber bleiben!- jagt fie nid^t au§ bem Slrbeit^jimmer 
beg S)id^ter§, ta^t fie nur lai^en unb fingen unb if)ren finblid^en 
Särm einmifd^en in ben iS^or ber innern Stimmen, ttjäl^renb ber 
Sd^rcibenbe an feinem ^ufte träumt. S^r $aud^ jagt bie bunten 
Seifenblafen feiner träume nid^t in bie glud^t. ©laubt il^r, mir 
toirb bange, n)enn id^ mitten unter meinen ®efi(^ten bon SBIut unb 
Sranb biefe tid^ten fööpfd^en an mir öorbeigleiten fel^e, ober baf^ 
bie aSerfe n)ie ein SJogetfd^njarm bor fpielenben Äinbem bie gfud^t 
ergreifen? 9iein, nein! Äein 93ilb njirb burd^ fie berfi^eud^t. S)as 
golbene morgenlänbifd^e ©ebid^t breitet in il^rer 9?ä^e nod^ reid^er 
feine gemalten unb jifetierten SBIumen au§, bie SBaHabe toirb 
frifd^er, bie beflügelten Stropl^en ber Dbe fteigen mit nod^ feuri^ 
gerem Sltemjug jum ^i'mmeL" 

®ine traurige ^Begebenheit gob bem ©id^ter in feinen reiferen 
3af)ren aSerantaff ung , fid^ ju jener früheren 3^it i^ Greife feiner 
kleinen jurüdjunjenben: ber plö^Iid^e Sob feiner älteften Soi^ter 
im Sal^e 1843, 3m gebruar be^felben 3a^re§ ^atte fie fid^ ber* 
mäl^Ü; im September berunglücEte fie bei einer Äal^nfal^rt auf ber 
©eine. 3j^r 9Wann, 6l^arle§ SJacqu^rie, ftürjte fid^ il^r nad^, unb 
ba alle SSerfud^c, fie ju retten, fid^ atö bergeblii^ ernjiefen, fud^te 
unb fdnb aud^ er ben Job in ben SBeÜen. 35ie ganje ®ruppe bon 
®ebic^ten, bie in „Les Contemplations" mit bem SBerfe eingeleitet 



100 I^te rotnantlfdje Sdjule in ^^rankteid). 



fitib: „£), iä) toar tüte bon ©innen im erften Slugenblid!'' muffen 
im 3iifö^^^«^ö«9 ^it ^^^ ^erBftblättem gelefen tt)erben. 

§ier fommen Keine ©cenen bor, .bie in aSV il^rer ©infad^l^eit 
ebenfo trcffli^ gemaft tnic tief em^jfnnben finb: 

,;©ic ^atte in frül^er Äinb^eit bie (Senjo^n^eit, jeben aRorgcn 
ein njenig in meine ©tu6e l^ereinjufommen. ^i) tüaxtttt auf fie, 
inie man auf einen ©onnenftral^I l^offt. @ie trat l^erein unb fagte: 
®uten SKorgen, SBäterd^en ! nal^m meine ^eber, f d^Iug meine S5ü^er 
auf, fe^te fid^ an mein 93ett, n^arf meine 5ßapiere burd^einanber 
unb ladete — unb ptö^tid^ UJar fie babon, tt)k ein Sßogel fortfliegt. 
®ann nal^m id^, ettoa^ toeniger müb' in meinem ^op\t, meine 
unterbro(^ene Slrbeit n)ieber bor; unb toäl^renb iä) fd^rieb, fanb ic^ 
oft in meinen SRanuffripten n)unberti(^e Slrabe^fen, bie fie gejeid^tiet, 
unb mand^ n)ei§e§ 93Iatt, ba§ fie jerfnittert l^atte, unb — id^ tpeife 
nid^t, tüie e§ juging — auf fold^' ein berfnitterte^ S3Iatt famen 
oft meine fd^önften SSerfe ju fte^en." 

©0 ungefünftelt ift bie ©arftetfung, ba§ feftft in ber 5ßrofa= 
Überfefeung etn^a^ bon ber eigentümlid^en 5ßoefie benjal^rt ift. Dber 
man tefe. folgenbe SBrud^ftüdfe: 

,,2lte fie nod^ ganj Mein n)ar unb il^re jüngere ©d^tt)efter ein 
njinjige^ ^inb,-l^örte id^ auf beut ßanb, tüo toir n^ol^nten, fie 
morgend immer ganj fadste unter meinem f^^J^f*^^ fpielen. Sie 
tief im 2;au l^erum, ol^ne ßärm ju mad^en/ au§ SBeforgni^, mi(| 
ju toetfen, unb id^ — n^agte n\(i)t, ba§ genfter ju öffnen, au^ 
S3eforgni§, fie ju berfd^eud^en. — Sl^re SBrüber ladeten, ber äRorgen 
ttjar rein unb Har, Slffe^ fang. unter bem frifd^en Saubbad^, meine 
gamitie mit ber SRatur unb bie Sßögel [um bie SBette mit meinen 
ßinbem. 3d^ l^uftete, eg n^urbe ftiü unb feierlid^, unb fie ftieg 
mit fteinen ©d^ritten bie Sreppe l^inauf ju mir unb fagte mit einer 
fel^r njid^tigen äRiene: 3d^ l^ie^ bie Äinber brunten bleiben . . . . 
9lbenb§ fagte fie afö bie Stltefte: Sßater, !omm, n)ir bringen bir 
einen ^tni^i; erjagt' ung eine ©efd^id^te — gelt? unb id^ fa^ aDe 



3gttgo unb JKuffet. - - ^ , 10.1 



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biefc :t)arabtcftfcl^ctt 93ü(Je öor ©TOartung'-firal^fen.- •@i>Jtiftcte:id^ 
benn äRorb unb 93tut6äber an, mad^te bie ^djatttxi art'ber'^eifc 
ju |)elben meiner Siomane, unb beftänbig ladeten biefe biet un^ 
fd^ulbigen ©efid^ter, tote man in jenem Sllter lad^t, toenn man l^ört, 
toie grofee, ungel^euer bumme Siiefen bon Keinen, ungeheuer Hugen 
3ft)ergen üBettüunben werben; unb toäl^renb, i^ erjäl^tte, fa§ bie 
9Kutter träumenb unb fal^ ju, tt)ie- fie il^r l^eHe^ ©eläd^ter auf^^ 
f dringen, unb ber ©ro^bater, ber in feinem SBinfel fafe, rid^tete 
jutoeilen ben SBIidE nad^ i^nen ^in, unb iä) feffift fal^ burd^ bie 
bunKe ©d^eifte ein StüdE ^immel fid^ öffnen." 

®urd^ ba§ SlBenbgebet be^ Äinbe§, ia^ berül^mte „&tUt für 
Slße", nid^t nur für SSater unb SRutter, fonbem aud^ für bie 
Slrmen, bie SSerlaffenen, bie ©d^Ied^ten, erweitert ber Segriff pon 
ber gamitie ftc^ jur ganzen grossen SJienfd^enfamilie. $ier in 
„Les feuilles d'automne" f)at bie SKenfd^Iid^feit, toie in ,,S)ie Drien- 
taten" bie Unmenfd^tic^feit, il^ren poetifd^en SlugbrucE gefunben, 

SBenn ber S)id^ter allein fi|t unb feine 5ßl^antafie über bie 
fd^iefe @bene beö S^raume^ l^ingleiten t&^t, fo benft er juerft an 
feine Sieben, fie^t feine g^eunbe, einen :nad^ bem anberen, bann 
feine naiveren unb ferneren Sefännten, banad^ aud^ bie Unbefannten, 
enblid^ bie gange SRenfd^l^eit unb lebenbe toie au^geftorbene ©täbte 
famt il^rer 93et)ötterung, bt§ fein 93Ii(f fid^ verliert im |)inau^ftarren . 
über bag boppefte SJieer ber Qtit unb beg Staume^, be§ ©nblofen 
unb beg Sobentofen — be§ ©nbtofen, ba§ etoig l^inabrollt in 
ha^ Sobentofe. 3ene^ Unenbtid^e, ba^ §ugo^ großer SSorgänger, 
Slnbr^ (S.f)inkx, berfd^mäl^te, jene^ retigiöfe ©efül^t, ba§ \iä) bei 
biefem, bem ^nbe be^ ad^tje^nten 3al^rf)unbert§, nid^t regte, tritt, 
geläutert t)om Slberglauben ber Sieaftion^jeit, bei |)ugo bon neuem 
in feine 9led^te. 

®er ®i(^ter befteigt eine Slnl^ö^e be8 Sträubet unb prt bon 
ba au§ eine boppelte SÄufü: eine t)om 9Äeer unb eine bom ßanbe* 
Sebe aSeHe ^at i^r SRurmeln, jeber einjetne SJienfd^ feine Stimme, 



103 ,'. r . .3Di£;r(tjnantifdje SdjuU In ^Frankrcld). 



4ewtt- @^«fäey; feinetj^©Arei: unb bte Stimmen bcr SJcenfd^en unb 

' bVr'SSeUen öcrfd^mefjen ^üfammen ju jn^ei ungeheuren, ergreif enben 

e^ören: bem ©ejang ber 5Ratur unb ber Ätage ber 3Äenjci^f)eit. 

§ier tritt un^ bie Unenbtii^feit ni(^t mel^r otö ba§ bto| 9Kon== 
ftröfe entgegen, n^ie fie ^ie mh ba in „S)ie Orientalen" erfd^eint, 
fonbem mie ein SKeer, n)o ju fd^eitem e§ natürlid^ unb {nai) 
ijeoparbis befanntem 2lugfpmc^) füfe für ben ©ebanfen ift. 

®ie ©ebid^tf ammlung, bie nun folgte, „Le chants du cr6puscule" 
(^ämmerüng^Iieber) ift, öerfd^ieben t)on ben vorausgegangenen, 
nid^t mel^r bem l^äuSlid^en Seben getoibmet, fonbem übernjiegenb 
potitifd^, @ie fü^rt, fo ju fagen, ein Sagebud^ über bie ^jolitifd^en 
95egeben^eiten ber legten Saläre. Sefannttid^ erlitt SSictor ^ugo^ 
potitifd^e Überjeugung t)iele SJiobififationen — er begann bamit, 
bem legitimen Königtum ju l^ulbigen, unb enbete bamit, an bie 
fojiate aiepubti! ju glauben — boä) n^ie ftar! feine ©nttoirfelung 
getoefen, niematö fel^Üe il^r bie S^onfequenj. 9?on feiner SKutter, 
einer toarml^erjigen 93retagnerin , toar er in tegitimiftifd^em ®eift 
erjogen, .bon feinem SSater, einem ©enerat unter bem ^aiferrei^ 
in bonapartiftifd^er 9iid^tung beeinflußt n^orben, unb bal^er riil^rt 
e§, baß ber UItra=9iot|atiSmug feiner erften Sugenb fd^neU bon ber 
95ett)unberung für 9?apoIeon abgelöft tourbe, ber im Sauf ber 
. 3al^re eine m^tl^ifi^e ©eftaft gen^orben toar. 9Son 1830 an ift 
SSictor §ugo ein 2lnl^änger ber ^i^hti^f^^^^pi^'&tt^; i^ SSorbereitung 
l^ierju ftü^te er ba§ fonftitutionette Königtum, ja, Keß ftd^ fogar 
t)on Soui§ 5ßi^ittpp jum 5ßair t)on granfreid^ ernennen unb na^m 
fpäter bie §ilfe be§ gönigg an, af§ man auf ®runb einer feiner* 
seit t)ieIbefprod^enen Siebe^gefd^id^te il^n au§ ber ^ßairöfamnier 
au^ftoßen UJoHte* Qn bem ^^itp^^^r ^^i ^^^ ^^^ ftel^en, fann 
er junäd^ft atö fotiat oppofitioneü bejeid^net toerben. Seine ®e* 
bid^te berl^errlid^en bie Sutitage unb il^re SJiärt^rer unb'äu|em 
©ntrüftung über bie SBeigerung ber S)e:putierten!ammer, 9?apo* 
leon^ Seid^e nad^^ granfreid^ jurütfjufü^ren — ein SSorfd^fag, 



lugo unb llurfei 108 



gegen ben ba§ ^önig^^au^ ntd^t§ einjutoenben l^otte, unb ber 
f))äterl^tn, mt ftefannt, t)on bem ^rinjen t)on SoinbiUc öemirftid^t 
njurbe. 2)a^ ©ebid^t gegen 2)eu|, toeld^er bte ^erjogin bon 85errQ 
für (Selb an bte 9fiegierung ßubn^ig 5ß^itippg auslieferte (A rhomme 
qui a livre une femme) , trifft jcbod^ inbireft nid^t nur 3;^ierg, 
fonbem ben'^önig fetbft 

Übrigens ift bieS eine nid^t auf potitifd^e, fonbem auf fojiate 
S^mpatl^ien begrünbete Dppofition. ®ie ©nttäufd^ungen beS ^o* 
letariatS über bie geringe SluSbeute, n^etd^e bie 3utiret)oIutian i^m 
gebrad^t, ber bum:t)fe §a§ gegen bie SBol^C^abenben, ber in ben 
3Kaffen gäl^rtc, fommt befonberS in bem ©ebid^t „Sur le bal de 
rhötel de ville" ju SBorte, baS jeneS meiftertid^e 83ilb bon ber 
tüeibtid^en @traj3enbet)ölferung giebt, bie, fd^ön gefd^müdt, l^atbnadt 
ebenfo .tuie bie S)anien, njeld^e jum Sali fommen, ,,mit 93lumen 
im |)aar, ben @d^mu^ ber ©offen an if)ren güfeen unb ben $aj3 
im ^crjen," fid^ als ^i^t^^i^^^ ^wi bie f)eranfal^renben SBagen 
fammelt* 

Unbeftimmte Slngft unb Unrul^e, mal^nenbe SBorte an bie 
Könige ©uropaS, fid^ bei Qtittn ^reunbe unter bem SSolfc ju er* 
»erben, berraten, ba^ ber S)id^ter bie §anb am ^ulS ber 

3u ujeld^' tebenbiger Söcjiel^ung jur 3^^^ bk ©id^tung $ugo? 
ftanb, fietoeift fein Umftanb beffer als ber, ba| baS Sulifönigtum 
bie Sluffül^rung feiner J)ramen ebenfo l^artnädig verbot, toie bie 
SReftauration eS getl^an, 3^^^ ^^r ^ernani jur Sluffül^rung ge=« 
langt, njeit Äarl X. benjenigen, bie il^n angingen, baS @tü(f ju 
verbieten, UJi^ig gcanttoortet l^atte, tt)aS baS Sweater betreffe, fo fei 
fein $la| unter ben ^^tf^^^^^^; ^i^ ^^^ i^^t^ anberen* S)cnnod^ 
berbot er, tro^ :t)erfönli(^er SSorliebe für §ugo, „Marion de Lorme", 
»eil man fürd^tete, bie ©d^ilberung t)on bem SScrl^ältniS ßub= 
»igS XnL JU 9fiid^elieu fönne als $ol^n auf ben t)on ber ®eift= 
lid^feit abl)ängigcn Äönig gebeutet toerben. @S ift einer ber 



104 ^it romantifdie 3d|ttle tu /rankretd). 

fd^önftcn 3^9^ i^ §^oS ©cfc^id^tc, bafe er nad^ Äarfe X. @tiu^ 
t)iele Saläre l^inburd^ felbft ba^ äSerbot aufredet erl^ieft, um ju )}er^ 
^inbent, ba^ man bie Suffül^rung al^ ^etnonftrotion gegen ben 
geftärjteit äRonarc^en auflege, an beffen Siecht er a(S Sün^^ 
fing geglaubt, unb beffen Unglütf er feinerfeitö fd^onen ttJoDtc. 
3ebod^ ju biefem fretoilKgen Serbot fam nun öon 8eite ber Suß= 
regierung ein ungefe^fid^eg, ber ^oteft gegen bie äufffil^rung bc§ 
3)rama§ ,iLe roi s'amuse". 3n feiner SJerteibigung^rebe »ö^renb 
be^ ^rojeffed fagte $ugo bie bei^enben SEBorte: 

„^u^ S3onaf>arte toar ^efpot, aber er benahm fid^ in onberer 
äBeife. @r t)erfd^mä^te bie äJorfic^tömagregeln, toomit man ^eut^ 
jutage unfere 3r^ei^^iten, eine nad^ ber anberen, forteöfamotiert. 
&r na^m aOed auf einmal unb mit ganzer ^nb; ber 2btot l^at 
nid^t Sitt unb %rau(^ be§ ^ud^fe^. damals, meine innren, mx 
e^ grojs. äRan fagte: an bem unb bem ^ge toiQ ic^ meinen 
Sinjug in bie ^u^tftabt l^alten, unb man ^ielt feinen ßinjug auf 
Sag unb Stunbe, toit man gefugt äRan fe|te ein ^önig^l^aus 
ab burd^ ein S)efret im äRoniteur. äRan lieg Könige aQer @orten 
in ben SSorjimmem fi|en unb einanber brängem £Kitte man Suft 
ju einer Säule, fo ließ man ben fiaifer öon Cfterrei(^ bie Sronjc 
baju liefent SRan orbnete — ganj gemife ein bischen toiflfüriic^ — 
bie 3(^aufpie(t)er^öltniffe am Theatre firan^ais, aber baS 9teglentent 
UKir au^ SKo^fau batiert. ^ama(d toar eS gro§, )e|t ift ed Hein.'' 

£ie$ ift in @runbjägen ^ugoS poetif(^=po(itif(^e ^^pftognomie 
JU %ifang ber breiBiger Sa^re. Seine Haltung toar bie einel 
güftrer? unb ^op^eten. 

Unterteilen arbeiteten feine fängeren ^remibe ringS um i^n 
6er iid) jur ^ru^mt^eit empor. @e toar, als ob £>ugo^ ^rfön^ 
liibfeit unb fein ^Km$ bie ^oefte loeiterpflanje. ^ft aUe, bie bort 
oerfebrten, offenbarten ftc^ nacb unb nad^ aU Rotten, ^ugo ioi 
;uu>eUen 2ointe=53euoe, ein paar Serie ber3uiagen, unb loenn biefem 
oon oOen Seiten jugeie^t n^uri^ enticblog er ftd^, nad^bem er ber 



2|ugo uttb Httffet. 105 



fleinen ßeopolbtnc unb bem Meinen ßl^arlot etngefd^ärft, n^ö^tenb 
feines SSottragö tüd^tig ©peftafel ju mad^en, einige feiner fd^önen 
unb manierierten ©ebid^te jum beften jn geben* §ugo§ ©^tüager, 
$aut goud^er, fül^rte ben ftebenjel^njäl^rigen Sllfreb bc SÄuffet in§ 
§au§ ein. ©ineg SÄorgen^ befud^te er ©ainte^^SBeutje ouf feiner 
^ad^fammer, toetfte i^n unb fogte »erlegen läd^elnb gu il^m: „^nä) 
iä) mad^e SBerfe." 

S)ie SSerfe, bie er mad^te, finb njeltberül^mt genjorben, 
gragt man in ^ranfreid^ einen ßaien, einen 3Rann aug bem 
SSoße, einen Slrbeiter, ober unter ben ©d^riftfteHern einen 9ioman* 
tifer ober einen 5ßamaffien: SBer ift g^anfreid^g größter ©id^ter 
in ber 9leujeit? fo tt)irb er unjtoeifell^aft anttoorten: Sßictor $ugo. 
gragt man l^ingegen einen SÄann au^ izm l^öl^eren S8ürger= ober 
Seamtenftanb, einen ©etel^rten, einen SBeltmann ober ein SKitglieb 
ber jungen naturaliftifd^en ©d^ule, fragt man enblid^ bie ©amen, 
fo ift bie SBal^rfd^einfid^feit bafür gro|, bafs fie anttoorten: SKfreb 
be äRuffet. SBorauf beruht biefe Uneinig!eit unb toag bebeutet fie? 
SKfreb be SÄuffet bebütierte im 3anuar 1830, neunjel^n Saläre 
alt, mit „Contes d'Espagne et d'Italie": einer ®ntppe @ujet§ bon 
ffanbalöfer Unanftänbigfeit, ©toffe, bereu ©injelnl^eiten fid^ faum 
n)iebererjäl^Ien laffen. Sn ben größeren SJompofitionen (S)on 5ßaej, 
^ortia :c) 95etrug über ^Betrug: grauen, bie i^re SÄänner belügen, 
©eliebte, bie. il^re ßiebl^aber l^interge^en, ßieb^ber, bie i^re 2)ame 
Slnberen abtreten; ©räfinnen, bie nid^t§ mel^r bon il^rem Sieb* 
l^aber toiffen, afö ba^ er il^ren alten SÄann erbold^t l^at — 
brutale ©enüffe, bie man mit bem ©egen erfämpft, eine fed^= 
jel^njäl^rige ©innfid^feit , bie toeber ©d^am nod^ 9fiü(Jfid^ten 
lennt, eine greifenl^afte SSerberbt^eit, n^eld^e Siebe^tränfe ju §ilfe 
nimmt unb äBoHuft in ba§ 9töd^etn be§ %obt^ mifd^t — bar== 
unter eine 9fieil^e ®efänge, bie gunfen t)on üeibenfd^aft, SBilb* 
^eit unb Übermut fprül^en. ©l^afefpeare^ beibe ©rftlingänjerfe 
finb nid^t finnlid^er at§ biefe ©ebid^te, unb babei ift bie geurigfeit 



106 5Dtc romantifd)e 5d)ttle in /rankteidj. 



I^icr äuglcid^ raffiniert unb au^gdaffcn, ©aju ein unouf^örlid^e^ 
3urf d^auftctten t)on Ungf au6en unb 3(t^eignm^ , boS f eltf am üon 
unben)U§ten ©ingcftänbniffcn ber @d^tt)aci^l^cit unb einer l^ier unb 
ba auftaud^enben Sel^nfud^t nad^ ber Sird^e unb beut ^euje abftic^t 

Sil« @d^o be§ 93ud^e§ erfolgte einiget Slrgemig unb biet S5e^ 
geifterung. @in 3;etl ber Sugenb ftufete unb tnurbe aufmer!fam. 
35ie^ Xoax eine Siomantif ganj neuer Slrt, eine freiere, meniger boftri^ 
näre afe jene SBictor $ugo§* $ier traf man einen nod^ fd^ärferen 
%xty% gegen bie Siegeln ber Ätaffifer über SBer^bau unb ©til, aber 
biefer 3;ro^ n)ar muttniüig unb nn|ig, nid^t martiafifd^ \o\t ber^ 
jenige $ugog. ©in ©lement, bag §ugo gänjtid^ fel^Ite, jebod^ ha^ 
am meiften franjöfifc^e ©lement bon aßen, ba^ man in ber ©prad^e 
be§ Sanbe§ „@fprit" nennt, belebte ^ier bie 5ßoIemif, ®iefe fpot* 
tenbe, atte^ in^ tä^erlid^c jiel^enbe Siomanti! erquidftc ndd^ ber feier== 
fidien, patl^etifd^en Slrt SSictor §ugo§. Slud^ l^ier toaren e^ Spanien 
unb Stauen, bie borgefü^rt töurben; aud^ l^ier fanben fid^ mittet 
altertid^e S)eforationen, 35egenftö§e unb ©erenaben, aber aß' bie§ 
gefiel nod^ einmal fo gut mit biefem 3^f^fe ^^^ Übermut, mit 
biefer fpottenben f^^inl^eit, biefem @f eptiji^mu^ , ber faum an ba§ 
glaubte, xoa^ er fetbft erjä^tte, ^a n^ar j. S8. jene berüd^tigte, 
über at(e SJiafeen unanftänbige 93aÜabe an ben SKonb, bie burd^ 
il^ren ©trop^enbau bie filaffifer unb jugleic^ nid^t weniger bie 
9iomantifer burd^ i^r refpefttnibrige^ SBer^äftniö ju i^rem ®egen- 
ftanb — bem Siebfing ber 9fiomanti! — l^eraugforberte, eine 
95aÜabe, bie il^re eigene gorm parobierte, Vixä^ beren ©id^ter auf 
ben §änben ju gelten unb nad^ aüen Seiten ^Purjelbäume ju 
fd^fagen fd^ien* 

§ugo l^atte buri^ feine l^elbenl^afte Haltung unb feine Stiefen^ 
fd^ritte S^rfurd^t geboten; feine mäi^tige fR^etori! rief el^rerbietige 
S8en)unberung l^erüor; biefe ungtaubfid^e ©rajie in ber g^^ttl^^it 
hingegen, biefe geniale Unöerfd^ämtl^eit in ber Schelmerei tt)irfte 
befreienb unb jugleid^ padenb. @g n)ar jene^ Verteufelt Unn^iber^ 



lugo unb muffet. 107 



ftel^tid^c bartn, töorübcr bie %xaum bie Beften Dttd^ter finb unb in 
biefem x^aüt e§ and) toaren. @r jprad^ bon ben grauen, unauf^ 
^örttd^ t)on ben grauen, unb ntd^t mt §ugo in feiner frül^jeitigen 
Sieife mit el^etid^er Sreue, mit ritterlid^er 3ärtlid^!eit, mit romon^ 
tifc^er Galanterie — nein, im (Segenteil, mit einer Seibenfd^aft, 
einem $a^, einer Erbitterung unb einer Siaferei, bie »errieten, ba^ 
er fie jugleid^ t)erad^tete unb anbetete, btx| er burd^ fie leiben 
mujste bi^ ju töitbem Sluffd^rei, unb ba§ er fid^ burd^ ftürmifd^e 
9ln!Iagen unb f|)rubetnben @pott räd^te. 

Äeine Steife, feine ©efunbl^eit, feine fittlid^e ©d^önl^eit, aber 
eine Sugenb, bie fod^enb überfd^äumte, eine unerprte Sntenfität 
be§ 2eben§, bie fid^ nid^t beffer befd^reiben täfet, at§ man bie ^od^^ 
rote gatbe jenem 83ünben ju befd^reiben öermod^te, ber antnjor^ 
tete: ©ie erinnert atfo an ba§ ©d^mettern einer %xompttt. Unb 
in biefen SSerfen tnar etoag t)on l^od^roter garbe unb bon gan^ 
farenflang* ®a§ bie ©d^önl^eit in ber ^nft unfterbüd^ ift, ba§ 
ift gett)i§* Slber e§ giebt ettt)a§, ba§ in ber Ä^unft nod^ unfterb^ 
lid^er ift: ba^ Seben, Diefe erften ©ebid^te lebten, — ®ann 
folgten feine gereiften unb fd^önen SQSerfe, unb bie Solide erweiterten 
fid^ für feine SBorjüge, @r felbft l^at in bem (Sebic^t „Apr5s une 
lecture" feine ^öetif bargefteÜt ©ie lautete fo: 

„S)er, njenn bie erftidfte Srifc au^ ber Siefe ber SBälber feufjt, 
nid^t ben 3;rieb fü^tt, l^inau^jugel^en , aüein, njol^in ber SBeg il^n 
fü^rt, eine ober bie anbere SRelobic fummenb, nod^ tüal^nfinniger 
afe Dpl^elta getoefen mit bem SioSmarinfranä im $aar, npd^ me^r 
fd^toinbelig afö ein 5ßage, ber in eine gee verliebt ift unb auf 
feinem jcrfnüüten §ut ba^ 3;amburin fd^tägt 

2)er in fold^en l^ei|.en 9?äd^ten, wo felbft ber SJenu^ftem bor 
Siebe erbteid^en toiÜ, nid^t auf feine bloßen gü|c fprang, ol^ne felbft 
ju tt)iffen, njarum, ber nid^t laufen, beten, ftrömenbe 2;i^ränen n^einen 
unb feine ^änbe bor htm Unenblid^en falten mujste, ba§ ^erj boH 
3KitIeib mit unbefannten Dualen . . , , 






108 3D{e romantifdic 5djule in 4?tankreid). 

2)en ta|t fd^mieren unb öerbeffem, fo lang eö ifim beliebt, 
ta^t xi)n reimen na^ $erjen§tuft, la^t il^n ba^ güttergolb bei 
Slntitl^efc auf feine Sappen ftiden unb jute^t ftotj nad^ bem pre 
Sad^aife getragen n^erben mit ben S)ummföpfen bcr ganjen SBelt 
atö Seid^engefotge: @iri großer SKann, tomn man tpiH; aber ein 
©id^ter? 9?ein, unb abermals nein!" 

3n bem Slu^fall gegen jene, bie fid^ mit Slntitl^efen fd^mürfen, 
tpirb SSictor §ugo unb feiner ©d^ule ein ^ith öerfefet, unb hierin 
offenbart fid^ bag Überlegen^eit^gefü^t be§ reinen ß^rifer^ gegen- 
über bem genialen Sil^etorifer; im Überftrömen beg ©ebid^te^ ift 
eine ©d^tnärmerei, eine 83egeifterung für 5(Joefie unb ein bid^* 
terifd^e« ©elbftgefül^t, ba^ an ®oetl^eg „SBanbererg ©turmüeb" 
erinnert. 

Unb njä^renb aRuffet ftd^ nun atö ajJann unb föünftler ent* 
njidfette, offenbarte er mel^r unb mel^r SSorjüge, tt)eld^e biejenigen 
SBictor §ugo^ überftral^tten. @r eroberte bie Sefetoelt burd^ feine 
tiefe SÄenfd^tid^feit. ®r geftanb feine ©d^toäd^en unb geinter ein; 
SBictor $ugo fül^Ite fid^ t)erpflid^tet, unfel^tbar ju fein. äJtuffet mx 
nid^t ber tt)unbert)oÜe SSer^Hinftter toie $ugo, -er bermod^te nid^t, 
ttjie biefer, ba§ SÄetaH ber ©prad^e auf einem Slmbo^ jured^^ 
jul^ämmem unb bie 3utt)e(en be^ SBorte^ in ®otb ju f äffen. 6r 
fd^rieb nad^Iäfftg, reimte ungefäl^r, nod^ fd^Ied^ter aU $etne; aber 
er toar niemals Sil^etor, ftet^ 3Renfd^. greube unb dual tüaren 
bei il^m t)on einer SQSal^r^eit, bie ett)ig fd^ien. SBarf man eine^ 
feiner ©ebid^te auf einen Raufen fold^er bon anbcren SSerfaffem, 
fo toirfte e^ tt)ie ©d^eibeniaffer, 2lÜe§ uml^er tourbe berjel^rt tt)ie 
Rapier, öerbunftete tt)te bto^e SBorte — bie^ allein blieb unb 
brannte unb flang in feiner fd^neibenben äöal^rl^eit n)ie ber ©d^rei 
aug einer 9Äenfd^nbruft. 

SSorin lag e^ al^bann, ba^ nid^t er, fonbem $ugo ber 
93el^errfd^er ber Sitteratur unb ber gül^rcr ber jungen ©d^ule 
tourbe? 



ijugo nnb Huffrt. 109 



@§ lag boran, bajs mon auf il^n bie SQSortc be§ oben cttiertcn 
f ei^ttjärmcrif d^eti uttb f pöttif d^en ©cbid^te^ umgcf cl^rt autotnbtn Umt : 
„^i(i)Ux, ganj Qt\ox% aber ein großer SRann? 9itemate, in aller 
3ett!" 

Sei §ugo fanb fid^ politifd^ unb religiös, tro| ber öerfd^ie^ 
benen ©tanbpunfte, bie er im Saufe feinet langen fieben§ einnahm, 
eine gett)iffe 'ununterbrod^ene ßinie, eine (SnttnidelungSnomt, unb t)or 
allem eine nie öerfagenbe SBürbe. SBie er in feiner ^oefie ben 
^äu^tid^en §erb l^od^l^ält, fo befeftigt er immermel^r feine Über= 
jeugnngen t)on ©efeüfd^aft unb ©taat 

SUtuffet beginnt mit einer l^od^gefpannten Überlegenl^eit, er ftettt 
ben äu^erften Unglauben unb ben äu^erften politifd^en Snbifferen^ 
tiSmug jur @d^au. hinter biefem Unglauben unb biefer ®teid^* 
gültigfeit fd^immert inbeS balb eine unmännlid^e ©d^njad^l^eit l^er== 
t)or, bie fiä^ aümäl^Iid^ ööüig offenbart 

9Äan lefe feine ma^fierten ©elbftbefenntniffe in „Confessions 
d'un enfant du siMe'*, @r ift ju einem unglüdftid^en ^^itpi^^W 
geboren; aüe§ toax tot S)ie 3^^ 9?apoIeon§ toax vorüber, unb 
red^t, a(§ ob e§ feinen 9fiul^m au^erl^alb be§ Äaiferreid^eS geben 
fönne, l^eifet e§, ba§ bie Qtxt ber @l^ren borbei toax. S)er ©taube 
toax erlof d^en ; e§ gab nid^t mel^r jtoei ©tüdEe f d^n^arjen ^oljeg in 
Äreuje^form, tt)ot)or man feine §änbe falten fonnte; unb al^ ob 
biejenigen, bie fid^ nid^t an bie fatl^olifd^e ©^mbolif gebunben 
füllten, be^^alb fein §erj uub fein ©eelenteben l^ätten, mxb bie§ 
fo umfd^rieben: bie ©eele n^ar tot. gemer toirb erjäl^It, baj3 
einige, bie einfallen, ba§ bie 3^^* ^^^ 9iul^me§ t)orüber, t)om 
SRebnerftul^I oerfünbigten, bie greil^eit fei nod^ ettoa§ fd^önere^ afe 
ber 9iui^, unb ba^ ba§ §erj ber Sugenb bei biefen SBorten fd^Iug 
toie in einer fernen, furd^tbaren ©rinnerung. „®od^/'* l^eifet eg, 
„al§ bie jungen Seute l^eimgingen, nad^bem fie bieg gel^ört, bje^ 
gegneten fie einem 3^0 ^i^ ^^^^ Äorbf argen, bie man gum Sird^= 
^of trug; eg toaren bie Seid^en oon brei jungen SKännem, bie 



110 35te totnanttfthe 5(^ule In itankteldj. 



attju laut über gi^cil^eit gcjprod^cn Rotten" — unb glci^ als 
obbie SSetjttjetflung bcr 93ta[icrtl^cit bic ctnäige ßel^rc fei, bie 
ein SRann au§ bem 2!ob' fold^cr ÜRärt^rer jicl^cn !anit, l^eifet 
c^, ba§ bei bicfem Stnbtid ein fettfame^ Säd^eln il)re ßippen 
fräufette, unb !opfü6cr ftürjen fie fid^ in bie tüal^nfinnigften 2tu§== 
fd^meifungen. 

^aä) bicfem ©runbtl^ema l^at SKuffet eine JReil^e feiner t)or= 
jüglid^ften 3Kanne^tt)pen gefd^affen, felbft bie geniale (Seftalt Soren= 
. jaccio. 3n feiner Sugenb bitbete er bie berül^mtefte feiner t^pifd^en 
giguren, SioKa, banad^. 

3n feinem (Sebid^t tritt ba^ Unfic^ere unb ©d^tüanfenbe, \>a% 
SDäei6if(^e in SKfreb be äRuffet^ Seben^anfd^auung f^ärfer l^eröor 
aU in „giotta". 

®en ©inteitungSabfd^nitt eröffnet ber befannte ©efang ber 
©el^nfud^t nad^ bem gried^ifd^en Slltertum mit feiner teben^öoHeti 
(Sd^önl^eit unb nad^ bem d^rifttid^en Slltertum mit feinem reinen 
2luff(^tüung unb frifi^en ©tauben, ai^ bie el^rtöürbigen ^at^ebraten 
t)on ^ötn unb Stra^urg, al§ ?iotre ®ame unb @t. 5ßeter fromm 
in il^ren . ©teinrödfen fnieten unb bie gro^e Drget ber SSöIfer in 
ba^ ^ofiannal^ ber Sal^rfiunberte einftimmte, 

35ann fotgt ber nod^ berül^mtere 5ßaffu§: 

„D Sl^riftu^! id^ gel^öre nid^t ju benen, tt)etd^e ha^ ®ebet in 
beine ftummen S^empet jiefit. Slufred^t fte^ id^ in beiner gemeil^ten 
^atle; benn id^ gtaube nid^t, o Sl^riftug, an bein l^eitige^ SBort. 
3d^ bin ju fpät in einer ju atten SBett geboren. ®oIgatl^a§ 9?ägel 
fönnen bid^ faum mel^r am ^euje l^atten; beine l^immtifd^e Seid^e 
ift JU ©taub jerf alten. Slber geftatte mir, bem n^enigft leid^t^ 
gläubigen Äinbe biefeg ungläubigen 3al^rl^unbertg ; biefen ©taub 
mit SBe^tnut ju füffen!" 

9iun folgt bie ©rjäl^tung: 3acqueg Biotin ttiar ber au^- 
f(^n)eifenbfte junge SRann in bem au^fd^tpeifenben 5ßari§. @r t)er== 
ad^tete atle§ unb alle: ,,9?iemat§ liegte ein Slbam^fol^n eine tiefere 



35ugo unb- muffet. 111 



SScrad^tung gegen SSoH unb Könige." dtoüa ^at nur ein geringe^ 
SSermögen, aber großen $ang jum SBoPeben unb Supg, ®ie 
©etoo^nl^eit, njetd^e für bie anberen ba§ l^atbe Seben au^mad^t, 
efeö i^n an. ®arum nimmt er bie Heine (Srbfd^aft, bie il^m fein 
SSater l^intertie^, berteilt fie in brei 93eutel unb bringt jebe^ Sal^r 
ein ®rittteil feinet SSermögen^ mit fd^Ied^te'n SBeibem unb in aKer- 
l^anb S^orl^eit burd^, ol^ne ein ®el^eimni§ baraug ju mad^en, ba^ 
er fid^ eine Sauget bor ben Äopf fd^ie^en njilt, njenn ba^ le^te 
3a]^r borbei ift 

Unb !raft feiner jnjeiunbjttjanjig Saläre nennt äRuffet feinen 
SioIIa gre^, unerfd^rodfen, el^rfid^ uitb ftolj, ©eine Siebe jur grei== 
l^eit — unb unter grei^eit berftel^t äRuffet bie Unabl^ängigfeit öon 
jeber Sil^ätigfeit, jjeber SebenSaufgabe, jeber ^ftid^t — ibealifiert il^n 
in bm Singen be§ ®id^terg. 

9htn fd^iibert er bie 9iad^t bon 9toKa§ ©elbftmorb iit bem 
berüd^tigten §aufe, bie SSorbereitungen ju ber Drgie, ba§ fed^je^n== 
iöl)rige SRäbd^en, njeld^eg bon ber eignen äJJutter ^ingebrad^t n^irb; 
unb ber S)id^ter beginnt feinen J^rauergefang über bie tiefe Sor= 
xvofiion ber OefeUfd^aft, über bie äRutter, bie il^r Äinb berfauft, 
über bie Slrmut, njeld^e jur ^pplerin ttjirb, über bie bittig ge- 
faufte Strenge unb bie gel^eud^eüe J^ugenb ber glüdEIid^er gefteßten 
grauen* 

Unb nun folgt bie berül^mtefte ©teile in bem (Sebid^t, bie 
?(poftro^)l^e an SSoItaire: 

„©d^täfft bn bergnügt, o SSoItaire, unb fpielt bein l^ä^Iic^e^ 
Säd^eln nod^ um beine fleifd^Iofen üipptn? 3Jlan fagt,.beine Qdt 
fei ju toeit jurüdf gettjefen, um bid^ ju berftel^en. Unfer Sal^r^ 
l^unbert mufe bir gefallen, greue bid^, beine 3^^* ift gefommen. 
über un§ äufammengeftürjt ift er, ber ungel^eure Sau, ben bu %aQ 
unb Sflad^t untergrubft in ben ad^tjig Salären, ba bu bem 2^ob ben 
|)of mad^teft Siröfte bid^! (£r, ber je^t l^ier aufatmen njirb, 
l)at bid^ gelefen!" 



112 Die tomantifdie 34uie in /rankteU||. 



aSag f)at aSottairc mit bcm lobe bicfcg jämmerlid^cn 9Ser* 
fc^tocnbcr^ ju t^un? Sft bcr grofec 2lrbciter öcranttoortfi^ für 
bcn Scttftmorb biefc^ faulcnjcnbcn SBüftfing^? Sft bic§ bie 
SEBcÖ, tote SSoItatrc fic fid^ träumte, biefe SBett öon finnlofen 
SSage^ätfen unb wiHenlofen SEBeibcm? SSoItaire, beffen 333efen 
Serftanb toax, beffen §änbe nur bon ^utoerfd^ttjärge verunreinigt 
ttjaren, unb beffen fieben ein »ißen^ftarfer Äampf für ba§ Si^t 
gettjefen? @r foH fd^ufb fein an biefem (SIenb? Unb »arum? 

SBeil er feinen, bogmatifd^eh ®Iauben ^atte, 

Sltfo SDiangel an bogmatifd^em ©tauben ift eg, tt)a§ dioüa 
jum aSortoanb bient, tt)ie ein lier ju leben unb toie ein SBube ju 
fterben* 3Ran fielet, ttja^ nad^ SSertouf njeniger 3al^re au§ bem 
^eraugforbemben Zxo^, »omit ber ®id^ter auftrat, gettjorben ift. 
®er Zxo^ f)at fic^ in l^altung^Iofen S^^^H ^iiffl^löft, bie Ser* 
leugnung ift jur l^offnung^Iofen SBerättjeiflung gettjorben. 

aSie gefunb unb fräftig, ttjie in fid^ abgefc^loffen nimmt nic^t 
§ugo^ rul^gere |)aftung fid^ bagegen au^! 3^^^ ^^^ ^^^ ^ 
unb noc^ fpäter (in bem Oebid^t Regard jete dans ime maasarde, 
1839) fid^ mit leibenfd^aftlid^er Ungerec^tigfeit gegen SSoItaire au§* 
gefprod^en, aber er l^at il^n feit bamatö immer beffer unb tiefer 
öerftanben, big er jule^t feine ©rbfd^aft angetreten ^at 3Ran Der* 
fte^t nun, ba^ er tro^ aKebem fortfuhr, bie gentrale Stellung in 
ber franjöfifd^en Sitteratur einjune^men. 

9iid^t ba§ feinfte unb au^erlefenfte poetifd^e S^alent ift eg, ia^ 
bie Seitung in ber Sitteratur be]^au^)tet ©ie fäHt nid^t bem 2;alent 
ju, fonbem ber ganjen ^erfönlid^feit derjenige, ber ju einem 
gegebenen 3cit<>un!te ba^ |)erj ber S^i in feiner SSnift pod^en 
fül^It, bie ®eban!en ber 3^it ^^ f^ine 3nteßigenj aufnimmt unb 
ben feften SBiUen l^at, ber Sitteratur ben Stempel öon biefen feineu 
unb beg Qtitalttx^ ©efü^Ien unb Sbeen aufjubrüdfen — ber ift 
ber geborene unb ber bleibenbe gü^rer. 



IX. 

(Sinigc toenige Saläre tiefer in bie ©reisiger l^inein — unb 
mon-fann fagen, ba§ bie öon §ugo unb feinen greunben geleitete 
titterarifd^e 9teboIution gefiegt ^atte, aber fo, ttjie man geiftig ju 
fiegen pflegt (Sine öerfd^ttjinbenbe SDiinberjal^I öon granfreic^S 
gebilbetften Scannern unb öerftänbigften grauen fal^ ein, ba^ ber 
Äampf abgetl^an, ba§ bie Sragöbie tot, ba§ bie ariftotelifd^en 
Siegeln äRi^öerftänbniffe ttjuren, bafe bie 3cit ber ÜbergangStatente 
üorbei, ba§ Kafimir ©elaöigne erfd^öpft ttjar, unb ba^ nur bie 
©eneration bon 1830 ttju^te, toa^ fie in ber Sitteratur tooük. 
S)er Umfianb, ba§ eine ganj paradefe Settjegung in ber SKalerei, 
SBUbl^auerfunft unb SKuft! begonnen l^atte, jeigte il^nen Harer a(^ 
irgenb ettt)a^ anbere^, toie tief unb untoiberfiel^Iid^ bie SSeränberung 
toar. S)od^ biejenigen, »eld^e bie§ einfallen, n^aren, toie gejagt, 
nur eine geringe 3Jlinberjal^L 3)ie alte, fteife ßitteratur au§ ber 
3eit beg fiaiferreid^eg l^atte aUeg für fid^, wa^ eg in granfreid^ 
an alter ©etool^n^eit, an Slngft öor Sleuerungen, an I)umm^eit unb 
äRifegunft gab ; bie ganje of fijieße SBeft toar für fie, bie ganje 5ßreff e 
mit SluSnal^me eines einjigen S^ageblatteS, beg Journal des Debats, 
enbtid^ aud^ bie 3Rad)t: alle ©teilen, Sntter, ^enfionen ttjurben 
ouSfcfiliefelic^ an SDiänner öon ber alten @d)ule »ergeben, unb ba^ 
burc^ tourbe baS aufttjad^fenbe ®efd^led)t auf alle Slrten üer^ 
fuc^t unb üerfül^rt. ^ierju fani, bafe nad^ ber erften großen 
®eifte§anftrengung einige (Srmübung unb (Srfd)öpfung in beut 
jungen Sager eingetreten tvar. 9Kan toax jung, man l^atte erttjartet, 
e§ bebürfe nur eines einjigen ©turmlaufeS gegen bie alte Sd^anje 

»Tottbe«, ßüteraturgeft^. be8 19. 3a^r^. V. 8 



114 I'it tomantifdie ^diuiein irankteid). 

bc^ SSorurtcite, um. fie ju erobern; nun \cä) man öoß ©nttäufä^ung, 
ba§ bie Zxiüppt banad^ fid^ jnjar in bejimiertem 3^ftonb, aber 
immer nod^ am gufee be^ ©turmobjefteg befanb, toie juöor; man 
öerlor bie Oebulb unb bie fiampfluft 3n einen l^artnädigen 
Sampf , ber ©ntbel^rung f orberte unb SBunben unb Starben ein- 
brad^te, ptte man fid^ bereitwillig gefunben, bod^ unter ber 93e* 
bingung, ba^ er ju einem rafd^en ©ieg fü^re, ju einem efta* 
tanttn S^riumpl^, jU einer 2lnerfennung unter ?ßofaunenfd^aII. Slber 
biefer Streit, ber fic^ in§ Unenblid^e l^inaugjog, ber jäl^e @|)ott 
feiten^ ber ®egner, il^r rul^ige^ Se^aupten aßer eihflu^reid^en 
5ßofitionen, fotpol^t im S3ereid^ ber fiitteratur afö aud^ in- bem ber 
Äunft, il^r fortbauember @ntl^ufia§mug für ba§ Überlebte, mad^te bie 
junge @d^aar bebenflid^. 3Ran fragte fid^ felbft, ob man nid^t in 
jugenblid^er |)eftigfeit ju weit gegangen fei, ob nid^t ®tvat SRajeftot 
ba^ ^ubKfum gleic^wol^I Siedet ^abe, ober bod^ .toenigften^ teitoeifc 
9ied^t; man begann, für fein J^alent um (Sntfd^ulbigung ju bitten, unb 
fud^te burd^ (Sntgegenfommen unb SlbfaH bie SSergebung be^ ^ubli* 
fum^ JU erlangen. 3Ran 30g fid^ öon ben g^eunben jurüdf, um 
Zutritt in biefen ober jenen öomel^men ©efeKfd^aftSfreig ju er- 
l^alten. @iner unb ber Slnbere badete an bie Slfabemie unb ging 
baran, fein Sluf treten fo einjurid^ten, ba^ er fid^ nid^t bie SKög* 
lid^feit berfd^erjte, nod^ in jüngeren Salären 3Ritgtieb ju toerben. 
©in ^)f9d^oIogifd^e§ SKotiü eblerer 9?atur trug bei, bie ®rup})c 
aufjulöfen, nämlic^ bag ©elbftänbigfeit^gefül^t ber ©d^riftfteHer. * 
SRan l^atte fie öon Slnfang an burd^ aKju enge 93anbe jufammen* 
galten njoden; man l^atte fid^ nid^t bamit begnügt, eine 5Rid^tung 
unb ein fünftlerifd^eg ^rinjip anjugeben, fonbem ®ogmen ju for* 
mutieren gefuc^t, unb biejenigen,- toeld^e fie aufgefteHt, loaren 
®id^ter, ebenfo einseitige tt)ie geniale ®eifter; nid^t Genfer mit 
einem weiten, unbefangenen S3Ii(f. SBie gef eilig, im SSergleid^ ju 
bem germanifd^en, ber romanifc^e SSolföfd^tag überl^aupt aud^ ift, fo 
lonnte bod^ unter fold^en S3ebingungen eine Slffojiation im engeren 



Huffct unb iSeotge 5anb. 115 



©inne nicmote in feiner fd^önen Sitteratur ftattfinben. äßänner 
ber SBiffenfd^aft fönnen fid^ über eine SJletl^obe einigen, aber bie 
Sunft erforbert bie öoHftänbige, unbebingte greil^eit ber 5ßerfön* 
lid^feit; nur »enn ber bid^terifd^ ©d^affenbe ganj er fetbft i[t, nid^t 
jutn bcften einer ©efamtl^eit auf irgenb etoa^, unb fei e^ bie 
geringfte feiner toertt^oden ®igentümlid)feiten, SSerjid^t leiftet, öer* 
mag er ba^ SSortrefflid^fte l^eröorjubringen , ba^ er ber SBelt ju 
bieten l^at (Sin abfoluter Snbiöibuali^mu^ ift aderbing^ un= 
möglid^ in ber Äunft; e^ bilben fid^, bettju^t ober unbettjufet, frei= 
lüiHig ober unfreitüittig, immer ©d^ulen; unb ebenfo ttjie e§ getoi^ 
ift, bafe ba^ Snbiüibuum (Srlaubni^ ^aben mu§, fic^ frei au^ju* 
fprec^en, ebenfo fidler ift e§, bafe ba§ Snbiöibuum nur in ber fünftte== 
rifd^en Kontinuität, nur getragen unb geftü^t öon einer fünftlerifd^en 
Srabition ober öon öerttjanbten Oeiftern, großen SSorgängem ober 
3eitgenoffen, ba§ §öd^fte ju erreid^en öermag, Slber too bie 
©d^ufe ein einjelne^ anerfannte^ Dberl^aupt l^at, ba gilt e§, bafe 
biefe^ auc^ öerftel^e, g^eil^eit ttjalten ju laffen; eö mu^ atteg 
geftatten mit Sluönal^me bon S^aratterlofigfeit unb ©tülofigfeit, 
5)od^ g^eil^rit i^ geben, baju ttjar ein (Sieift öon |)ugog Slrt 
nid^t imftanbe; unb bie fanatifd^en unter feinen näd^ften 9ln= 
l^ängem faxten bie ®runbfä^e feiner ©d^ule nod^ enger auf afe 
er felbft« 3m SSerlauf ganj ttjeniger Saläre prägten fid^ bie l^er* 
borragenbften 3nbiöibualitäten ber jungen ®ru^)pe ftärfer aug, al§ 
e§ üorau^jufel^en toar, fo lange fie nod^ im ©ntftel^en toaren; unb 
ha^ Slugeinanberge^en öerfd^iebener ausgeprägter 3nbit)ibualitäten 
fam bem alten flaffifd^en Sager ju ®ute* 

9iod^ ein 3Roment ttjirfte auftöfenb. unb jerf^Iittemb. ®ie 
Sulireöolution trieb eine gauje Slnjal^I üon ben Sannerfül^rem 
unb SSortäntpfem ber Sugenb öon bem litterarifd^en fiager ]^in= 
über in bie ^olitif. (£§ ift in biefer ^infid^t bejeid^nenb, ba§ baS 
Slatt „Le Globe" im 3al^re 1830 aufl^örte ein litterarifd^eg Drgan 
ju fein unb in bie §änbe ber @aint^@imoniften überging» ©eine 

8» 



116 Sie romantifdie 3diule in itankreidi. 



Stifter unb toic^ttgften SDiitarbciter , 3Ränner toic ®uijot, Sl^icr^, 
aSiUcmain, SBttet, ttjurbcn ^arlament^mitglicbcr, SBcamte ober 
2Ktntfter. Unb ba in ber mobemen 3^^ bie ?ßoIitif toeit mel^r 
ate bie fiitteratur einen Planten befannt mad^t, torftc fie feftft 
I)icl^tcr ju i^ren Stebnerftül^Ien. fi^rifcr tt)ie §ugo unb Samartine 
toanbten ftd^ unter bem Sulifönigtum ber ^olitif ju. 2)ie in ber 
fiitteratur jurütfftel^enben ©d^riftfteßer fül^Iten fid^ gleid^fatn öon 
ben in bk ^oliti! eingetretenen überflügelt, grämten, fid^ l^ier unb 
ba über bie Serül^mtl^eit jener unb ärgerten fid^ ju^eilen, feigen ju 
ntüffen, ttjie jene baö, toa^ il^nen fettft il^r ein unb aße§ mar, 
bie fiitteratur, nur afö einen Slu^toeg betrad^teten, eben gut genug, 
um im Slotfaß ergriffen ju »erben. 

Sin l^arter @to§ für ben romantifd^en ^ei§ njar e§, aU 
(Sainte*S3eut)e, ber aßjeit fantpfbereite, aHjeit entl^ufiaftifd^e ^erolb 
ber ©d^ule, au^ $ugo^ ©enerafftab fd^ieb. ®§ fd^eint,' ate ob er 
bei ber njunberlid^en SWifd^ung öon ®emut unb Unab^ängigfeit§* 
brang, bie feiner 9?atur eigen ttjar, lange fd^on bie untertoürfige 
Haltung bereut l^abe, bie er |)ugo gegenüber eingenommen, unb 
aU ob er nur mit föJiberftreben eg fortgefe^t, für ben ©l^ef ber 
©d^ule ba^ Siäud^erfafe ju fd^toingen. ®r ärgerte fid^ über bie 
ftarfe I)ofi§ bon SBeil^raud^, bie ju ertoarten ober ju forbem ^ugo 
jur ®mo^nf)txt gettjorben toar, unb toax bod^ jU fd^toad^, il^in 
feinen J^ribut öorjuentl^alten, Überbie^ njar e§ weniger bie @d^tt)är= 
merei für §ugo, al§ bie für be^ I)id^ter^ junge grau, toeld^e 
il^n innerl^atb be^ 3öuberringe§ f efil^ielt. 2lt§ e^ im 5ßrit)atleben 
jum S3rud^ jttjifd^en i^m unb bem ^ugofd^en §aufe tarn, toox 
biefer S3rud^ für @ainte*=95eut)e ba§ Signal ju einem üoßftönbigen 
Umfd^tag aud^ in feinen litterarifd^en S^mpat^ien für ben S)id^ter 
bon „S)ie Orientalen ". (Sr ttjar nad^ feiner gaujen Einlage fo be* 
fd^affen, ba^ er @d)ulen, ©^fteme, ©emeinben, ?ßarteien nie afö 
titoa^ anbereS betrad^tete aU ^ötefö, in n^elc^e er ein^ unb auöjog 
unb tt)o er niematö feine Soff er ganj au^padfte; er ttjar ferner 



Büffet unb (Sieotge 5anb. 117 



gegen ba^, tt)a§ er fürjlic^ toerlaffen, immer jur Satire ober ju §ol^n 
geneigt; barum gab er öon nnn an nur nod^ eine fd^arfe unb t)dr== 
jugSweife ^erabfe^enbe ^itif über |)ugog SBerfe ab* 

Sllfreb be äJJuffet gefiel eg, nod^ frül^cr feinen Slbfalt funb 
ju geben. Sin fo überlegener unb feiner (Seift toie ber feinige 
fonnte nid^t blinb fein für bag Sefd^ränfte unb UnüptBommene in ben 
Jl^eorien ber ^ugofd^en ©d^ule, nod^ toeniger für. bie ftnbifd^e 2lrt, 
lüomit biefelben t)on einigen |)ei§fpomen auf bie @pi|e getrieben 
lüurben, Site SJluffet jum erftenmal feine ©ebid^te bei §ugo^ in 
einem Är?ig öon jungen 9iomanti!ern öorla^, tüaxtn e^ nur jn^ei 
©teßen, bie Slpplau^ fanben. ®ie erfte njar biejlenige in „3)on 
5|5aeä", too eg l^ei^t: „S3rüber! rief dn^ ber j^txnt ein gelb unb 
blauer 2)ragoner, ber im |)cu fd^Iafenb gelegen" — ,,gelb unb 
blau," bag jünbete, ba^ toar, toa^ man j^axht im ©til nannte — 
bie anbere ©teÜe njar an^ „Le lever", njo öon ben gägerburfc^en 
gefagt loirb: „Unb auf i^ren grünen Strmeln fal^ man bie fd^ttjarjen 
Sü|e ber gaßen." 

S)ief^^ elementar SKalerifd^e toar ben jungen ^^i^örern lieber 
afö aUe Slu^brüd^e öon ®efü^I, Seibenfd^aft unb (Seift. 2)enn 
burd^ f pld^e Qn^t unterf d^ieb man fid^ öon htn SKännem ber alten 
©^ule, benen einjig bag toid^tig ttjar, ba§ man ttjiff e, ttjag gef c^al^ ; 
um bie ®etaite ber Stu^erlid^feiten fümmerten fie fid^ nidl^t. S)afe 
bie fid^tbare SBelt für 3Jluffet ejiftierte, bieg toar ben jungen 
äRännem bie §au)3tfad^e; aber il^m !onnte fie bag nid^t fein, beffen 
©tärfe in ganj anberen fingen lag, unb ber niemate ben 5Drang 
füllte, mit §ugo ober Si^^opl^ile ©autier ju riöalifieren, 

9Jiuffet ttjar näd^ftbem öor allem ein junger Slriftofrat, SBelt* 
mann unb ^anbt), ber Jeine (Sl^re baVein fe|te, ßitteratur nur ate 
^fi|igen ßcttöertreib ju betrad^ten. Sangi^aarige Sitteraten mit 
(Salabreferl^üten taugten il^m nid^t ate Sameraben. 

©ein SSerl^ättnig. jum ^ublifum ttjar öon 5lnfang an etttja^ 
unfid^er gettjefen; er fiatte üerfud^t, eg in Staunen ju fe^en unb 



118 Sit romantifdie ^d)ttie In irankretdi. 

eg jU nccfcTt. 9?un tarn c§ il^m mit größtem SBol^Itoodcn entgegen, 
bereit, iJ^m aUe^ ju »ergeben — felbft bte SaHabe an ben 2JJonb — 
njenn er nnr ein onbereg ©efid^t jeigen njoße; unb eifrig, feine 
@e(bftänbrgfeit jn betoeifen, inbifferent gegenüber ben 5ßarteien, 
enblid^ Ifaffifd^ ongelegt, geifte^bertoanbt mit 3Ratl^nrin SRfgnier 
nnb aJiariöanf, tt)ie er tüat, gab er bi^ ju einem getoiffen ®rabe 
ber nnbetüitfeten 5ßreffion nad^. @r gewann bie 9?eignng ber Sefe= 
ttjelt, inbem er mit l^umoriftifd^er ®feic^gültigfeit Don feinen eigenen 
friegerifd^en S^l^aten nnb benen feiner Sam^)fgenoffen f^)rad^. 3n 
bem ®ebic^t „^iap^aü ober bie gel^eimen ©cbanfen eine^ franäö== 
fifd^en Sbelmanne^" erffärt er fid^ be^ 8treite§ miibt; er l^abe, 
fagt er, in beiben feinblid^en Sägern gefäntpft, fid^ l^nnbert Starben 
gel^olt, bie il^m ein e^rn)ürbige§ Slnfe^en öerleil^en, nnb er — ber 
einnnbjnjanjigiä^rige — fe|e fid^ nnn al§ erfd^öpfter SSeteran auf 
feine jerborftene J^rommeL ^Racine unb @^a!efpeare begegnen fid^ 
auf feinem 2^ifd^ unb fallen l^ier in @d^laf neben 93oileau,' ber 
beiben »ergeben f)at 3n einem anberen ©ebid^t fd^reibt er: ,,3n 
unferen Sagen ejiftiert bie Äunft nid)t mel^r, niemanb glaubt an 
fie. Unf ere Sitteratur l^at l^unberttauf enb ®rünbe, bon ®rtrunfcnen, , 
öon Joten unb öon elenben ge^en ju fp.ifed^en. @ie ift felbft eine 
Seid^e, bie toxv galüanifieren. @ie tl^ut il^r SBerf, inbem fie un^ 
®imen fd^ilbert . , , . fie ift felbft eine, unb itoax bie aller= 
berfommenfte, bie fid^ jemals mit Satben unb ©d^minfe über^^ 
tünd^te." tiefer SluSfaH, ber augenfd^einlid^ gegen bie au§^ 
fd^toeifenbe 5ß^antafie in btn .^^robuftionen ber §9^)erromantif 
gerid^tet ift, toar fo jjugenblid^ rüdffid^tglog , ba§ bie gange jeit^ 
genöffifd^e ®id^tung fid^ baburd^ getroffen fül^len fonnte, Slud^ 
toar eg tool nid^t ganj jufäÖig, ba^ bieg .in.bemfelben Saläre ge== 
fd^rieben n)urbe, al§ „Maxion de Lorme" erfd^ien, bieg ^rama, 
bag bei allen feinen 3Jlängeln fo !eufd^, fo fpiritualiftifd^ in feinem 
(Sebanfengang unb jfo d^riftlid^ in feinem ®eift ift, bag aber un^ 
leugbar eine Sourtifane jur |)elbin l^at. 3^9^^^ äußerte äRuffet 



muffet unb ®eorge 5anb. 1 1 9 



fid^ mit ftet^ fteigenbcr Slaftertl^eit ü6er bie 3beale bcr Sugenb, 
gaft aKe bie ©id^ter ber iungen ©d^ule l^attcn, mit §ugo an ber 
@pi^e, für bag fämpfenbe ©ried^enlanb Partei genommen; SHfreb 
be SWuffet f einrieb fofett öon feinem 3Äarbocl^e, ba§ er „me^r öon 
ber Pforte unb ©nitan 3Ra^mub l^ielt, afö öon bem Brauen l^eße* 
nifd^en SSoIf, ba§ mit feinem SSInt ben reinen SÄarmor üon 5ßarog 
befubelt/" 

S33a^ tüar bie Urfad^e biefer ®leic^gültig!eit nnb biefeg 
et|ni§mu§? 

Qu l^eifee^ S3Iut, ein jn leibenfd^afttic^e^ ^erj unb ju frül^e 

Säufd^nngen* ©ein SSertrauen, jn ben äJJenfc^en l^atte fd)on in 

feiner frül^eften 3ugenb einen nnl^eilbaren ?Hi^ erlitten, unb btm 

3Ri§trauen entfprang Sitterfeit unb ®rotI. (S§ ift faum möglic^> 

feine üeräiueifelte Seben^betrad^tung auf eine beftimmte einjelne S3e=^ 

geben^eit äurüdEjufü^ren, öon ber fie gerabeju ^erftammen tonnte* 

Slber er felbft glaubte, il^ren Urfprung nad^toeifen ju !önnen. @r 

toar, tt)ie er unter mand^erlei gormen anbeutet, in feiner erften 

Sugenb öon einer (beliebten unb öon einem fjreunb betrogen 

ttjorben, @^ ift loal^rfd^einlid^, ba§ er bei feinem aufrid^tigen unb 

toal^r^eit^Iiebenben ©^arafter fid^ öon biefem ©d^merj tief getroffen 

fül^Ite; boc^ ^at er o^ne 3^^if^^f loäl^renb bie SBunbe nod^ frifd^ 

toar, baö poetifc^e aSergrö§erung§gIa§ genommen unb feinen Kummer 

bic^terifd^ »erarbeitet. ©§ mx 3Kobe, einen fiiebe^gram jn ^aben, 

über 'ben man fid^ ju tröffen tt)u§te« Unb bod^ l^at SUiuffet mel^r 

gelitten, afe fo mand^er glauben toirb, ber feine au^gelaffenen 

Sugenbgebid^te lieft Slber um. fid^ nid^t fo ;tt)eid^ ju jeigen, tpie 

er njar, um nid^t jum ©egenftanb be^ ©potteg für bie S^nüer ju 

lüerben, affeftierte er nun felbft eine jeitfang bie äu^erfte ^ärte 

unb tälte. ©otd^ ein fünftlid^er ©t)ni^mu§ toirft peintid^ n)ie 

iebc Slffeftation, 2iaine fd^rieb über $0?uffet eine be!annte 2lb^ 

^anblung, toorin er eine ebenfo fd^öne loie blinbe SSorfiebe für 

ben ©egenftanb berfelben an hm S^ag legt; fie futminiert in bzm 



1 20 I't^ romantifd^e 3d)ttle In f rankreid). 

Slu^ruf: „Celui-la au moins n'a jamais menti!" SBenn man for* 
eierte Überlegenl^eit unb ^erjen^fäfte ju bem Untoo^ien jä^It, 
!ann man jene ^n^erung !anm fo ol^ne tueitere^ nnterfd^reiben. 

SSalb aber f oUte in bcm ßeben be§ öertt^öl^nten Snnglingg ein 
SBenbe^junft eintreten. 

Stm 15. Slngnft 1833 ftanb Sllfreb be äRnffetg „BoUa" in ber 
bamafe nenbegrünbeten „Revue de deux Mondes". SBenfge 2^age 
nad^^er gab ber SRebaftenr biefer ^^itf^^ft, ber ©d^toeijer SBuIoj, 
feinen 3Äitarbeitern ein 3Rittageffen in ber befannten ^aIai§*9io^aI= 
9ieftanration Aux Trois Fröres Proven9aux. ®ie (Säfte ttjaren iai)h 
xdä); eg befanb fid^ nnter il^nen nnr eine einzige S)ame. 2)er 
SBirt bat SKfreb be äJJnffet, fie jn 2:ifd^e ju filieren — nnb biefer 
tüurbe äßabame Oeorge ©anb öorgefteltt. 

@g njar ein fd^öne^ ^aar. @r fd^Ianf nnb fein, blonb, mit 
bnnHen Singen nnb bem fc^arfen, ^)ferbeartigen ^rofil, fie brünett, 
mit üppigen, geinetiten fd^marjen paaren, mit ber fd^önen ein* 
förmigen Dlijoenfarbe, bk anf ben SBangen in ein fd^toad^e^ Söronje^* 
rot überging, mit großen, bnnKen, mäd^tigen Singen — Slrme unb 
§änbe üon öoltenbeter SBei^e nnb ©d^önl^eit. 6^ fc^ien eine SBelt 
l^inter il^rer Stirn jn liegen, nnb boä) ttjar fie jnng nnb fd^ön unb 
fdlineigfam njie eine 5^an, bie nid^t baranf Slnfpmd^ mad^t, für 
geiftreic^ jn gelten. 3l^r Slnjng ttjar einfad^, bod^ etmaS p^an* 
taftifd^: über bem SIeib trng fie eine golbgeftidöe türfifd^e Sade, 
in i^rem ®ürtel ftedfte ein ®oId^. 

@§ njnrbe mir 1870 in ^ari§ üon einem ber bamate nod^ 
lebenben 2ieilnel^mer an jenem SWiftageffen gefagt, ba§ e§ ein tt)o^I* 
beredineter ?ßlan be§ ©efd^äf t^manne^ 93nIoj ttjar, ber Sllf reb be SRuff et 
unb ©eorge @anb jufammenfül^rte, (Sr l^atte im borau^ feinen 
93e!annten gefagt: Sie foKen jufammenfi^en; alte grauen pflegen 
fic^ in il^n, alle 3Jlänner fid^ pflic^tfd^utbigft in fie ju öergaffen; fie 
tperben fid^ natürlid^ in einanber öertieben unb — njeld^e SÄanuf fripte 
toirb eg bann nid^t für bie fReöue geben! (£r rieb fidl^ bie §änbe* 



JKuffet unb «eorge 5attb, 121 

®^ »arcTt jnjei ^ßerfönlid^feiten pd^ft unglcid^er Slrt, bie l^ier 
ttebeneiitanbcr am %i\ä)t ?ßla| naJ^men» ®ie eiitjige ^[l^nlid^feit 
jtüifd^en t^nen toar tüol^I i^r Sd^riftfteHertum. 

Sl^r SSefen toax eine frud^tbare, mütterüd^e Statur, Sl^re 
geefe tpar gefunb, felbft in il^rcit reöolutionärctt SluSbrüd^en gefunb, 
unb befa^ ein gettJtffe^ Oleid^gcnjid^t be§ Sicid^tum^* Sl^r ©d^taf 
tüar gut, unb fie fonttte i^r ßcben nad^ SSeliebett cinrid^teit; fic öer* 
trug e§, jjal^raug jal^rcin ganje SRäd^te l^inburd^ ju arbeiten unb fid^ 
mit einem langen äßorgenfd^taf ju begnügen, ben fie fommanbieren 
fonnte unb öon bem fie geftärft ernjad^te. Seine große Seibenfd^aft, 
feine 9tet)oIution§ibee njar burd^ ba§ ®emüt beg neunjel^nten 3al^r== 

l^unbertg gegangen, toeld^er biefe grau nid)t in il^rer Seele SRaum 

• 

gegeben l^atte, unb fie l^atte babei il^re grifd^e, i^re innere SRul^e 
unb il^re ©elbftbel^errfc^ung betoal^rt, Sie öermoc^te e^, auf* 
ttierffam unb gelaffen fed^§ ©tunben in einem Qn%t ju fd^reiben; 
fie l^atte eine fold^e ®abe, fid^ ju fammetn, baß fie ttJä^renb be§ 
©efpräd^g unb beä fiad^enS einer ganjen OefeUfc^aft i^re Xräume 
Qufjujcid^nen öermodl^te, unb gletd^ bamac^, toenn fie am Seben ber 
Umgebung teünal^m, faß fie läd^elnb unb njortfarg, aUeg auffangenb 
unb öerftel^enb, bie SSorte, bie ba fielen, auffaugenb, loie ein 
©d^toamm bie SBaffertropfen. 

Unb nun er ! @r befaß in nod^ l^öl^erem- ®rabe ba^ Sünftler* 
tenH)erament ©eine Slrbeit »ar ein gieber, fein ©c^Iaf toax unrul^ig, 
feine J^riebe unb Seibenfd^aften njaren unbe^errfc^t. SBenn er eine 
3bee empfing, faß er nid^t gleid^ i^r ftumm unb fpl^^njartig über 
berfelben brütenb — nein, er gitterte übermäftigt, „mel^r fd^toinblig 
ate ein ^age, ber in eine gee öerli^bt ift," mie eg in feinem ®e* 
bid^tc „Aprfes une lecture" l^eißt Unb ging e§ bann jur Slug* 
fül^rung, fo lüar er immer geneigt, bie geber toegjumerfen; bie 
SSorfteßungen brängten fid^, fud^ten Slu^brudf, ein rafenbeg §erj* 
Köpfen folgte, unb bie geringfte SSerfud^ung feiten^ feiner Um= 
gebung, eine ©inlabung ju einer Slbenbgefeßfc^aft mit greunben 



122 IJie romantlfdje 5d)ule in iFrankreld). 

unb fd^önen gi^auen, ber SSorfd^teg einer Sanbpartie genügte, um 
il^n ber 2lr6eit entfliel^en ju loffen, mie ntan einem g^inbe ou§ 
bem SSege ge^t. 

@ie ,, [triefte" i^re Slomane, er fc^rieb feine SSerle in citier 
furjen, brennenben, fetigen (Sfftafe, bie om folgenben 2^age l^cmfig 
einem (£!el an bem ®efc^riebenen tt)id^, (£r f anb e^ fd^fec^t unb 
mod^te eg bod^ nic^t umfd^reiben, benn er fal^ feine geber fo fd^ecl 
an, n^ie ber OaleerenfKaüe fein Slnber* ' Xxo^ aW feinet Sugeui)^ 
Übermutes ttjanb er fid^ njie in einer ftetigen Dual, unb bie Urfa(|c 
ttjar bie, bafe in feinem fd^mäd^tigen Körper ein Sliefe öon einem 
S^nftler fic^ eingefd^toffen fanb, ber ttjeit tiefer unb gettjattfamer 
füllte, ttjeit mel^r unb fc^neHer lebte, aU ba^ äWenfd^eniDefen, in 
meld^em er öer!örpert ttjar, ju ertragen öermod^te. SBenn fid^ be»=^ 
n^egen ber S)id^ter in atterl^anb Slu^fd^toeifungen ftürjte, fo beruhte 
bieg am meiften auf einem 93ebürfniffe, ha§ innere Seiben ju k^ 
täuben, ha^ bie (Genialität in il^m ttjar, 

aSie er ha fa|, jtoeiunbjtoansig Saläre alt, ber öerjörtclte 
@ol^tt feiner abeligen ©Item, bei i^nen ttjo^nenb,, öon ber forg* 
famen Siebe eine§ 93ruber§ geftü^t, l^atte er, ein Sünb, ba^ ni^t^ 
afö einige Siebe^abenteuer erlebt, bie ©rfal^rung, ba§ SKi^trauen, 
bie Sitterfeit unb bie 3Kenfd^ent)erad)tung eineg öierjigjäl^rigen 
äJJanneg; unb ido feine (Srfa^rung Südfen l^atte, fußte er biefelbcn 
mit angenommener ®teid^gültig!eit unb mit 6^ni§mu§ au§. SBie fie 
ba fa§, biefe grau mit gürften^ unb 93o^eme^S3Iut in il^ren Slbem, 
bie ©nfelin be§ 3Rori^ üon ©ad^fen, ad^tunbjnjanjig Saläre aß, 
ernftefte Sd^idEfale l^inter fid^, lo^geriffen öon gamilie unb |)eint, 
il^reg iBermögen^ beraubt, l^erbergenb mit bem einen il^rer Sinber 
in enger 5ßarifer äJJanfarbe, öon feinem männlidien SSerttJanblen 
geftü^t unb fomit auf SlBal^Iöermanbtfd^aften angen^iefen, fie, bie ein 
litterarifd^eg ßis^itnerleben führte, in SWännerfleibung ausging, 
einen SWanne^namen trug unb toie ein 3Kann unter 3Jlännern i^te 
Zigarre raud)te — tt)ar fie in ber 2iiefe il^rer @eele nait), leiben^ 



Huffet unb iSeorge Sonb. 123 



fd^aftölog, cnt^ufiaftifd^, gut unb für oßc« 9lcue fo entpfängüd^, 
Qtö l^ätte fie mä)i^ bcfonbercg erlebt unb tpärc nie enttäufd^t tt)orben. 

®r, ber in feiner ^nft fo urfprüngltcf) , in feinem ßeben fo 
planlos, toax ote ®eift in mancher §infid^t fpiepürgerlid^, borniert. 
SBir 3Ränner ttjerben e§ leicfit! SBie foKte er eg nid^t geworben 
fein, ber, in glütftid^en SScrl^ältniffen geboren, in ariftofratifc^en 
Greifen aufgeioad^fen, frül^ bag Sad^en fürd^ten unb bie ^onüenieuj 
refpeftieren gelernt l^atte? 

@ie bagegen, bie in fpejieH ted^nifd^er ^infid^t nid^t^ 9iet)o== 
futionäreS l^at, fonbern in il^rer ^nft ben eingefd^Iogenen SBegen 
folgte, tt)ar -gciftig faft ein SSunber. Sie I)otte feine S3omiertl^eit, 
loor t)on feinem SSorurteit befd^rönft grauen, bie öon il^rem 
©d^icffale baju gebrad^t ttjurben, an bie S^eb^f droben ber (SefcK* 
fd^aft ju rül^ren unb bem Urteil berfelben in bie Singen ju fel^en^ 
ol^ne felbft bie Stugen nieberf dalagen ju muffen, ttjerben biötoeilen 
in einem l^öl^eren ®rabe aU bie SDiänner geiftig frei, eben njeil fie 
biefe greil^eit teurer erfqufen. Sie fal^ originell unb prüfenb alle^ 
an, ttjog jeglid^e ©ad^e in ber §anb unb gab il^r gcrabe ba^ @e=^ 
loitfit, ba§ fie öertiente. . 

@r ttjar il^r an Silbung überlegen. I)iefer exaltierte Äünftler 
befafe einen unbeftec^lic^en SRanne^öerftanb, fd^arf unb gefd^meibig 
toie eine ®ama§cener^S!linge, ber jebe fReben^art, auf bie er ftie^, 
jerteilte, jebe S3lafe beg ®ebanfen§ ober ber @pracf)e f piekte, big 
fie barft. 

Sie ate 5^au bagegen n^ar geneigt, ba§ §erj juerft unb am 
lauteften reben ju laffen. (Sine fd^öne unb fc^n)ärmerifd^e Seigre, 
eine eble Utopie bejauberte fie, unb fie l^atte atö SBeib ba^ S3e* 
bürfnig, ju bienen. Sie fud^te in il^ter Sugenb immer mit bem 
Slitfc eine fjal^ne, bie t)on 3Jlännern mit großen, tapferen ^erjen 
getragen n^erbe, um bann unter biefer ga^ne ju fämpfen. Sl^r 
®f|rgeij toax nic^t ber, atö gefeierte äRufe ber feinen SBelt Äonjerte 
JU geben; fie ttJoUte aU S^od^ter be^ SRegimente^ bie 2^rommel 



124 I'te romantiff^e idjuU in fcankttii^. 

rüi^ren. @o aber tarn fic tpcgcn il^rcg SKangcte an SScrftanbc^- 
bilbung baju, unHaren Äöpfcn afe ^rop^ctcn ju l^ulbigcn, fo iu= 
Ic^t baju, in bcm guten unb ßnfifc^cn ^ierre ßerouf, einem 
5ß^iIofop]^en unb ®ojiaIiften, ju htm fie öiefe Sa^re ^inburc^ me 
eine %oä)ttt ju i^rem SJater emporfd^aute, ben bal^nbred^enben 
Slpoftel ber neuen Qdt ju feigen. 2)hiffet l^atte baS Überlegen^eit^- 
gefu^I be^ ariftohatifd^en ®eifte^ biefen ^ropl^eten gegenüber, bie 
nic^t jtoanjig lesbare 5ßrofafeiten ju fd^reiben bermoc^ten; fie ba* 
gegen fie| fid^ öon bem |)ange biefer SÄänner ju nad^brürflid^em 
unb falbung^öoltem Vortrage unb ju begeifterter ^eMamatiöu 
anpedfen. 

(Snblid^: fie toar il^m afö Äünfticrin unterlegen, obtoo^I fie, 
menfd^Iid& genommen, größer, geredeter, ftärfer toax afö er, Si^rem 
Äünfttergeifte fel^tte bie plö^Iid^ l^inreifeenbe ^aft be§ Sßanne^, 
jene^ „So folt e^ fein", ba§ feine Orünbe angiebt. SBenn fie 
beibe ein (Semälbe betrad^teten, fünfte er, o^ne befonberen @inn 
für SRaterei ju ^aben, mit @inem Schlage bie SSorjuge beg 93ilbeg 
unb bie l^errfd^enben @igenfcf)aften be^ 3RaIer§, unb brüdöe fie mit 
jttjei 3Borten au^. S^r ®eift öertiefte. fid^ burc^ irgenb einen 
fonberbaren Unüoeg langfam unb uml^ertappenb in ba§ ®emätbe, 
unb ber Stugbrud il^rer (£ntpfinbung mar l^äufig enöneber unbe* 
ftimmt ober ^)araboE. ©eine SnteKigenj ttjar fd^arf, nerbö^, bie 
il^rige ftrömenb, einer uniöerfeHen ©^ntpatl^ie jugeneigt SBenn fie 
äufammen eine Dper l^örten, ttjurbe er öon btm Slu^brud^e loal^rer 
unb perfönlid^er ßeibenfd^aft,. öon bem ganj Snbiöibueflen, fie ba^^ 
gegen üom ©^orgefange, üon bem gemeinfam 3Renfd^Iid^en ergriffen. 
®§ fd^ien faft einer Oemeinfd^aft öon ©eiftem ju bebürfen, um 
il^ren ®eift in Setoegung ju fe^en. 

^en Sudlern, bie fie gefd^rieben l^atte, fel^Öe bk ©ebrängt^eit. 
SBäl^renb jeber @a|, ber öon feinen 2i^)pen f^)rang, einer geprägten 
gotbenen 3Rünje mit cifelierten SRänbern gtic^, toar il^r Stil big 
jur SBeitfd^meifigfeit toortreid^. ^a^ erfte, toa^ 3)hiffet unmifffür^^ 



Hüffet unb (Äieotge 5anb. 125 



fid^ tl^at, ate ein (Sjcntptar bcr „3nbiana".n^m in bie §änbe fiel, 
iDar, mit einem SBIeiftift jtoanjig bi^ brei^ig überflüffige Wbj|eftit>e 
ouf ben erften Seiten auSjnmerjen, ®a^ (£Eem^)Iar fam fpöter 
®eorge @anb öor Singen, nnb man fagt, bal^ fie fid^ njeniger ban!* 
bar atö gereijt fül^fte* 

®eorge @anb l^atte nngeföl^r ein l^alBe^ ^a^x öor bem erften 
3ufammentreffen mit 3Rnffet eine genjiffe (Sd^en öor ber 93e!annt:= 
fd^aft mit il^m empfnnben» Sie l^atte jnerft @ainte*Sent)e erfnd^t, 
il^n bei il^r einjnfül^ren; bann aber l^ei^t e§ in ber 9?ad^fd^rift 
eineg il^rer ©riefe an^ bem SÄärj 1833: „%üt^ tt)o^I ernjogen, 
tpünfd^e id^ nid^t, bal^ Sie Sllfreb be SRnffet bei mir einfül^ren, 
®r ift in l^ol^em ®rabe ©anb^, njir mürben für einanber nid^t 
paffen, unb id^ l^atte mel^r 9?eügierbe atö eigentlid^e^ 3ntereffe il^n 
jn feigen, @g ift jeboc^ nnöorfid^tig, jebe SWengierbe befriebigen jn 
tooKen." 3Äan fpürt iit biefen SBorten tttoa^ mie Unm^e ober 
a§nung§üoKe gi^rd^t 

SKfreb be aWnffet feinerfeitg l^atte, toie aße ©d^riftftetler, eine 
gettJtffe SSoreingenommenl^eit gegen Sd^riftftetterinnen.. ®er SWame 
SBlanftrumpf ift biefen ®amen getoife öon einem männlid^en Kollegen 
gegeben toorben* Slber tro| aßebem läfet bie gro^e Slnsiel^ung, bie 
eine überlegene ttjeiblid^e SnteKigenj anf ben inteßigenten SKann 
ausübt, fid^ nid^t leugnen. 2)ag ©ntjütfen, meld^e^ immer ba§ 
tiefe, gegenfeitige SSerftänbni^ ber Oeifter begleitet, njurbe l^ier burd^ 
eine ptö^tid^ erftel^enbe leibenfd^afttid^e Siebe t)erb0^)pelt. 

aaScnn man gefd^id^tfid^ bii^fe^ SSer^ättnig betrad^tet, faßt e§ in 
bie Singen, ttjie ftar! eg öon bem B^^geift geprägt ift. @§ ttjnrbe 
in bem an bie S^arneöateftimmungen ber Slenaiffancegeit erinnernben 
poetifd&en Slaufd^ eingegangen, ber fic^ tüäl^renb ber §errfd)aft be§ 
SRomantiSmnS ber Gemüter in granheid^ bemäd^tigt ^atte. Äünftler^ 
naturen, beren erfte ?ßflid^t eg immer ift, innerhalb be§ Oebiete^ 
i^rer Ännft mit ber ererbten SJonöenienj ju bred^en, empfinben ju 
jeber Qtii bie SSerfudl^ung, aud^ in fojialer §infid^t ba§ §er!ömm== 



126 ^i( romaitttfdie 3d)ule in irankretd). 

lid^c ju überfc^reitcn; <a6cr bic ©eneration öon 1830 tpar in il^rer 
'Oppofition gegen ba^ SlUtäglid^e jugenbUd^er unb naiber atö irgenb 
eine frül^ere ober fpätere in granfreid^ in ben festen Sal^rl^unberten. 
3n aßen Siinftlern fteden ^igcuner ober Äinber; bie Äünftler jener 
3eit gaben bem ^ifl^i^"^^ ^^^ ^^^ Äinbe in i^rer ©eele freien 
Spielraum. 83ejeid^nenb ift e^, ba§ ba^ erfte, toorauf biefe beiben 
augerforenen SBefen verfallen, fobalb fie fic^ gefunben l^aben unb 
bie erfte, brennenbe ©Hidföefftafe i^nen auf juatmen geftattet, * ift, fic^ 
t)or einanber jU berHeiben unb in SSerfleibung il^re 93efannten jum 
beften ju ^aben. 9K^ 5ßaul be SRuffet (S3ruber be§ S)id^ter^) jum 
erftenmale öon bem jungen ?ßaare ju Slbenb eingeloben toirb, trifft 
. er SWfreb gepubert unb aU 3Rarqjti^ be§ öorigen 3al^rl^unberts 
au^ftaffiert, ®eorge Sanb in aufgerafftem SIeib mit ftfd^beinemein 
Unterrodf unb Sd^minfpftäfterd^en. 9lfö ®eorge @anb bie erfte 
SRittag^gefeUfd^aft nad^ il^rer 83efanntfd^aft mit SÄuffet giebt, toartet 
Stifreb, aU junge, normannifd^e SBonne öerfleibet, unerfannt bei 
Jifd^e auf; bamit ber ©l^rengaft, ber pl^ilofop^ifd^e ?ßrofeffor Ser^ 
minier, einen toürbigen ?ßartner i)aht, toirb ©ebureau, ber unoer^ 
gleid^Iid^e ?ßierrot öom gunambute^tl^eater, btu niemanb au^erl^att 
ber 93ü]^ne gefeiten f)attt, eingelaben, unb ben (Säften atö notabler 
SReifenber, atö einftu^reid^e^ SRitgfieb beg englifd^en Unterlaufen 
tJorgefteHt. Um il^m unb Serminier jugleid^ 2lnla§ ju geben, i^re 
Äenntniffe an ben Xag ju legen, bringt man bie Siebe auf ^ßolitif. 
®od^ bergeben^ nennt man Flamen ttjie 9iobert 5ßeel, Sorb 
@tanlet| n. f. to,; ber frembe Diplomat beobad^tet ^artnädKge^ 
@tillfd^tt)eigen ober antttjortet nur einfilbig. ®nbfid^ gebraucht 
jemanb bie SBenbung: „ba^ europäifd^e ®feid^gett)ic^t". ®er ®ng^ 
länber bittet um^ SBort. „SBoHen @ie toiffen," fagt er, „wie ic^ 
unter ben gegentoärtigen ernften politifd^en SSerl^ältniffen in @ng* 
lanb unb auf bem Kontinent ba^ europäifd^e ©leid^getoic^t auf^ 
faffe? — So." Unb ber Diplomat ttjirft feinen Xeöer in bie 
^öl^^, fo bafe er fid^ in ber ßuft fd^toingt, fängt i^n bann mit 



Muffet utib (George 5attb. 127 

- 

SSirtuofität auf ber SKefferfpifee ouf unb Iö§t xf)n beftänbig tüirbeln, 
ol^Ttc fein Oleid^gelüid^t ju gefäl^rben, — . Sti^t nidE)t fold^ Keiner 
3ug biefe SSerbinbung jttjifd^en SDluffet unb ©eorge @anb in einem 
eigentümücl^en ©d^imnter öon 3ugenb unb 9lait)etät? .@§ fällt ein 
©tral^I t)on bem @timmung§Ieben ber 9ienaiffancejeit barauf, unb 
ntan fül^lt red^t tt)oi)i, bafe man fid^ in bem franjöftfd^en Sloman* 
tiömug ber brei^iger Saläre befinbet. 

®ag vertraute SSerl^ältnig jn^ifd^en SMfreb be SÄuffet unb 
©eorge @anb I)at feine öulgare Seite, bie tiinlänglid^ au^genü^t 
tDorben ift, unb bie id^ ni^t berühren mag. Seber toei^, ba§ fie 
gemeinfd^aftli^ eine 9ieife- nad^ Stauen unternahmen, ba§ er fie 
mit ©iferfu^t, fie i^n mit ber ungetnöl^nten SJontrotte über fein 
S^un unb SCreiben plagte, ftirj, ba§ il^r ä^f^^^^^I^^^^ ^W 
glüdfli^ ttjar, ba| er tnä^renb feiner ^anf^eit öon ii)x getäufd^t 
tpurbe unb ba^ er in ber unglüdli^ften ®emüt§t>erfaffung Stauen 
allein öertie^. 

Slber ha^ SBerl^ältni^ ^at nod^ eine anbere unb intereffantere 
Seite, bie äft^etif^-pftid^ologifd^e. SDie ßitteraturgefd^id^te fennt 
Serbinbungen genug jttjifd^en Ijod^begabten SRännem unb ^^rauen; 
n)a§ iebod^ in biefem i^dät neu unb au|ergett)ö^nlid^ ift, ba§ 
ift bieg: 

@in männtid^er ®eniu§ l^öd^ften 9iange§, ber fd^on ein ©tüd 
feiner fünftlerif^en Saufbatin l^inter fi^ tiat unb bo^ no^ ganj 
jung ift — ein toeiblid^er ®eniu§, fo öoHftänbig, fq bebeutenb, 
ba^ nie früher in ber SBettgefd^i^te ein SBeib fid^ in bem SBefifee 
einer fo reid^en, fd^öpferifd^en Staft gejeigt ^atte, beeinfluffen 
einanber njäl^renb ber ©jaltation ber ßiebe. 

Unfere ^ßf^d^ologie ift nod^ fo tt)eit jurüd, ba^ ber Unter* 
fd^ieb jtoifd^en männlid^er unb ttjeiblid^er ©inbilbung^fraft !aum 
ftubiert toerben !ann, öiel ttjeniger toei§ man, vok fie auf einanber. 
eintoirlen* S^^ erftenmale in ber mobernen ßiöilifation begegnen 
fid^ l^ier ber männlid^e unb ber toeiblid^e ©i^tergeift, jebg für 



128 Bie totnantifdje idjule in iranktetd). 

• 

ftc^ jur l^öd^ften Sd^ön^cit angelegt 9?ie juöor toax ba§ ®jcpm^ 
ment in fo großem Stile t)or utiferen Slugen gemad^t »orben. (5^ 
ift ber 3lbam ber Äunft unb bie @t)a ber Äunft, bie fid^ eitianbcr 
nähern unb ben Slpfel öom 93aum ber ©rfenntni^ teilen. 35ann 
folgt ber glud^, ba§ ^eißt ber S3mcl^, fte trennen ftd^ unb gelten 
ein jebeS feinen SBeg. 3(ber nid^t ai^ biefelben. ®ie SBerfe, bie 
fie t)on jefet an l^eröorbringen, Iial^en nic^t benfelben ßl^arafter tt)ie 
bie, tneld^e fie fd^ufen, beüor fie fid^ getroffen l^atten. 

@r öerlä^t fie, jerriffen, öerjU^eifelt, betroffen, mit einer großen 
neuen Slnflage gegen ba^ tvtxUiä)t ©efd^led^t in feiner Seele, bop^ 

ptli baöon überjeugt: ^^alfd^^eit! bein 9?ante ift SBeib. 

« 

@ie öerldßt i^n, öielfad^ belegt: anfangt ^atbttjegg getröftet, 
bann jerriffen big in bie 3;iefe il^re§ SBefen^, aber.balb frol^, an^ 
einer ßrifig l^eraug ju fein, bie i^re ruhige, fd^affenbe 5Ratur öer* 
ftintmte, mit einem neuen ©efü^le ber Überlegentieit be§ SBeibeg 
über ben SÄann, boppett überjeugt: ©d^njäd^e! bein SSlamt ift 3Rann. 

®r öerläjst fie mit einem neuen UntoiHen gegen atte B6)to&t^ 
mereien unb 5ßl^itantropien unb Utopien, mel^r ate je überjeugt, 
baB bie Äunft bem ftünftler am fei Slber boc^ ift bie 93e- 
rü^rung mit biefer großen grauenfeete für itin nid^t unfrud^tbar 
geujefen. S^erft mad^J ber ©d^merj i^n ttjal^r; er ftreift feinen 
affeftierten K^ni^mug ab; er mvb nie mel^r eine gemad^te §ärte 
unb Mik jur @d^au fteßen. SDann mad^t ber ©influß, ben bie 
Dffenl^eit unb.®üte i^reg SBefen^ ausübte, il^r @d^tt)ärmen für 
3beale, fid^ in ben SBerfen gettenb, hk er je^t erf (feinen läfet, in 
ber republifanifd^en 83egeifterung ßorenjaccio^ , in bem tiefen ®e^ 
fü^I^leben Slnbrea bei ©arto^, öießeid^t fogar in bem 5ßroteft, ben 
SWuffet gegen %^m^' 5ßre§gefe^e fd^teubert. 

@ie üerlö^t il^n, überzeugter atö je öon ber ©ngl^erjigfeit unb 
.bem ©goi^mug ber SJiänner, geneigter aU Je, fid^ allgemeinen 
Sbeen ^injugeben. Sie ujibmet in „Horace" bem @aint=8imo* 
ni^mug i^r Stalent; fie fd^reibt, um ben (Sojiali^mug ju tjer^err* 



Httffet unb (Seotge 5>attb. 129 



lid^cn, „Le compagnon du Tour de France", f einreibt cnblid^ im 
Saläre 1848 für bie proüiforifd^c Siegierung bie SBuIIeting an ba^ 
SSotf. Slber ni^töbeftonjeniget öoHenbcte erft bie S3erül^ning mit 
biefem geprägten, formfeften ®enie i^re reine unb floffifd^e Äunft^ 
form, ©ie lernte bie gorm lieben, ba§ ©d^öne um feiner felbft 
tüiHen fuc^en. Unb njenn man bon i^r gefagt ^at, ba§ i^re Säfee 
„t)on Seonarbo gejeid^net unb üon SDlojart in 3Rufif gefegt finb" 
(ein SBort be§ jüngeren 2)umag), fo ^ätte man l^injufügen fönnen, 
ba§ bit Stitif 3llfreb be 9Äuffet3 i^re»|)anb gefeitet unb i^r D^r 
gebilbet f)at 

^aci) il^rer 3;rennung finb 83eibe gereifte Huftier. ®r ift 
bon je|t an ber 2)id^ter mit bem brennenben §erjen, fie bie ©ib^Ee 
mit ber ^Ji^o^^^^tifd^en SBerebtfamfeit 

3n ben ©d^Iunb, ber fid^ jäl^ jnjifd^en i^nen öffnete, ttjarf fie 
i^re Unreife, il^re 2!iraben, il^re ©efd^madEIofigfeiten, il^ren SÄänner- 
anjug, fortl^in ganj SBeib, ganj 9latur, 

3n biefelbe 2^iefe berfenfte er fein ®on Suan^^oftüm^ feinen 
^eraugforbemben Übermut, feine SSetounberung für „RoUa", feinen 
Snabentro^, unb tt)ar bon jefet an ganj 9Äann, ganj ®eift» . 



»tanbeS, Sttteratutflejd). be8 19. Qafftfi. V. 9 



X. 

2tlfreb be SKuffet tourbc ftcbenunbbicrjig Saläre alt, aber mit 
3lu§na^me öon brei reijenben Keinen Dramen unb einigen @e^ 
btd^ten fäKt feine ganje ?ßrobnftion in bie ßeit öor feinem beginnen^ 
ben SKanne^alter. 3n ben fed^^ Solaren nad^ bem Srud^ mit ®eorgc 
@anb, bi§ er bie 2)rei§ig erreid^t, fd^reibt unb öeröffentlid^t er bie 
ganje Sieil^e feiner bett)unbemnggtt)ürbigen Slrbeiten. 

SSon Oeorge @anb betrogen, nimmt bie Suft, beim 93etrug 
ju bernjeilen, famt ber angenommenen 33Iafiert^eit immer mel^r 
bei il^m ah. 9Äan fpürt in feinen SBerfen, ja fd^on in ber 93efd^affen^ 
l^eit ber ©toffe, bie er toäl^It, ben perfönttd^en ^antpf be§ S)id^tcr§, 
bie lafterl^afte 9Äa§fe übjulegen unb felbft öon ber Slujiel^unggfraft 
be§ Safter^ -fid^ ju befreien. 2)ie erfte gro|e Äontpofition, bie 
er nad^ feiner §eim!et)r öon Italien au^fü^rt unb tooju ber Slufcnt^ 
l^alt in Italien i^m bie 3bee gegeben, ift ba^ ®rama „ßorenjaccio". 
2lu§ bemfelben ©efd^Ied^t ftammen ßorenjo öon äRebici^ unb fein 
SSetter, ber tierif d^ ^ grauf ame unb tooHüftige ^erjog öon ^^orenj, 
Sllefanber. ßorenjo ift urfprünglid^ eine reine unb tl^atfräftige 
9iatur. S^ü^jeitig trägt er fi^ mit bem ©ntfd^Iufe, nad^ 93rutu^' 
Seifpiel bie SBelt öon einem 3;5rannen ju befreien. Um fein ^iel 
ju erreid^en, giebt er fid^ ben Slnfd^ein eine§ l^erjlofen Sibertin, 
mad^t er fid^ ju 3llefanber§ ®efät)rten, ju feinem aBerfjeug, 9Ser^ 
gnügung^rat unb Kuppler. SBie ^amki \iä) toQ [teilte., j^at er 
bie 9ioIIe eineö feigen, erbärmlid^en SüftlingS angenommen, um 
fein Dpfer fidler ju mad^en unb fi^ bemfelben ju bemäd^tigen. 



^Ifreb be JttufTet. 131 



^oä) btc SBerf leibung , in bie er fein n^atire^ SBefen ^üßt, Hebt 
an i^m feft tt)ie ein 9ieffu§l^emb; aömäl^Iid^ ift er faft aü ba^ 
toirflid^ geworben, tt)ag er bod^ nnr fd^einen tooßte; gegen feinen 
SBiöen i)at er bk SSerberbni^, bie er fetbft in ber Sltmofpl^äre 
be^ $ofeg nnb ber ©tabt berbreiten Ijalf, eingefogen; er fü^tt 
®fel t)or fid^ felbft, n^enn er fein Seben betrod^tet. Slber bennoc^ 
ift er üerfannt: benn burd^ bie ©d^Ied^tigfeit nnb bie öerfteüte of)n^ 
mäd^tige ^J^^Ö^^i^ tiinburd^ üerfotgt er nnberrüdft feinen '?ßtau, im 
redeten 3lngenbli(f SHejanber jn ermorben nnb bk 9lepnblif jn er== 
rid^ten. 

@r tt)irb öon SJienfd^enöerad^tnng öerjel^rt: er berad^tet ben 
dürften, ttjeil berfelbe ein SBüftüng nnb Slntl^nnb ift; ba^ 9SoH, 
tüeil e^ fid^ bon einem fold^en gürften regieren lä^t nnb tt)eil e§ 
i^m felbft, bem gürftenbiener, geftattet, nnangefod^ten nnb nngeftraft 
bnr^ bie ©trafen bon glorenj jn gelten; *bie 9iepnblifaner enblid^, 
tt)eit fie o^ne 2]^atfraft nnb otine politifd^en 93IidE finb. ©ein Jranm 
ift, fid^ bon ber Unfauberfeit eine§ ganjen Seben^ jn reinigen bnrd^ 
eine einzige Sl^at, eine grofee nnb entfd^eibenbe — ben gürftenmorb; 
nnb ber®id^ter läßt il^n anf biefe Slrt fid^ läutern: ßorenjo toirft fein 
angenommene^ SBefen bon fid^, rid^tet nnb ftraft \ük ein 9iad^eengel. 
ÜRuffetg politifd^er 5ßeffimi§mn§ offenbart fid^ in bem, toa^ nun folgt: 
Sorenjaccio erntet feinen anberen ßol^n für feine ©roßt^at afö ben, 
bon ber ^anb eine^ 3Jiend^e(mörber^ ju fallen, ber ben ^xd^ ^thtn 
toiH, tvdä)tx auf feinen Äopf gefegt ift; bie republüanifd^en Jö^i^^^ 
bon %ioxmi finb ju ftumpf nnb unpraftif^, bie iBeböIferung felbft 
ift ju tief gefunfen, um aug bem äJiorb bt§ |)erjog§ SSorteil jiel^en 
ju fönnen; fie läßt fid^ rul^ig bon bem näd)ften 3;5rannen über- 
rumpeln. 3ln ber ©eringfd^ä^ung ber Slepubtifaner, bie ^in= 
burd^ fd^immert, l^aben fidler ©inbrüde bon 1830 iljren 2tnteiL 
äKuffet l^atte ja felbft einmal eine 9iebolution, tt)eld^e auf bie 
SRepubli! I^inlenfte, in ba^ monar^ifd^e gal^rttjaffer einlaufen feigen. 
3n feinem ©tüd finb inbe§ bie SRepublifaner in ein ungünftigere^ 



1-32 't^ tomantif^e ^d^uit in itanktetd). 



Sid^t gefteßt, atö fie öcrbienen. Sorenjaccio teilt il^ttcn am Slbenb 
öor bem SWorbc gonj beftimmt Züq unb ©tunbe mit, n^ann er bcn 
l^erjog töten Will; aber lärm man iJ^nen öerbenfen, toenn fie !cine 
Vorbereitungen treffen? Da berjenige, ber bon bcr Strafe tiefe 
gro^e 9^euigfeit in il^re Käufer ruft, fein anbercr ift aU ber Un^ 
jertrennlic^e be§ |)erjogg, fein SRitfc^uIbiger, fein Hofnarr — toa^ 
SBunber, ba^ fie bie Sld^feln jurfen unb fid^ nid^t öom gicde 
rül^ren! äJian fül^It au^ SRuffetg Ungered^tigfeit in biefem 5ßunfte 
perfönlid^e ©timmungen ^eraug, bit über baö ©tüdf l^inauS beuten. 
2)od^ bie §aut)tfad^e für i^n toar bie 2)arfteßung öon Soreuäo^ 
ßl^arafter mit bem eblen Oepräge unter ber abfc^redfenben blafierten 
SÄa^fe. Sorenjo l^at ein ibealeg ©lement in feiner ©eele, beffen 
er fid^ nic^t fd^ämt; er ftrebt entpor, er glaubt an bie öerföl^nenbe 
SRad^t ber %i)at 2)a3, tt)ag il^n im S^obe läutert, ift nid^t hjie 
SRoIIag reiner Äu§ ein S^f^^ör fonbem'eine ^anblung, bie \i)m 
mä^renb feiner ganjen 3ugenb öorfd^toebte. 

3n „Le chandelier" befinben mv un^ no^ in fel^r berberbter 
©efeUfd^aft, aber bon biefem ^intergrunb l^ebt fid^ afö ^au^tftgur 
ber junge ©d^reiber gortunio ab mit feiner tiefen, grenjenfofen 
Siebe ju Jacqueline. ®r njirb bon il^r unb il^rem ©eßebten .mig^ 
brandet, er mu§ aU ©d^ilb unb 2)edfmantel für bereu fc^mu^igeg 
ßiebeSeinberftänbnig bienen; er burd^fd^aut ba§ Spiel unb liebt 
gleid^tüol^l, ja ift boHfommen bereit, ftd^ in ben fid^ren %ob fenben 
JU laffen, um bie ^ä^lid^e SJerbinbung ber Oetiebten mit einem 
Slnberen ju bedfen" ©iefer 5ßage l^at bie ®ntf(^loffen^eit unb btn 
2Jiut eine^ gelben, unb bie Sieinl^eit feinet SBefen^ »irft fo ftarf, 
ba| fie Jacqueline rül^rt unb gen^innt, ja fie beftimmt, fic^ bon 
Slabarod^e ab^ unb i^m jujutoenben. ®r ift ba§ Jbeal eine§ 
jugenblid^en ßiebl^aber^. 

Dctabe in „Les caprices de Marianne" ift ein leid^tfinniger 
unb in mand^er Sejiel^ung berberbter Süngling, ber einer emft* 
lid^en Siebe nid^t fö^ig ift, ber, um ein SBeib ju erobern, nid^t fo 



3llfreb be KlufTet. 136 



öiel 3^it barauf ju öertoenben ber 9ÄüI)e tüert finbet, al§ er brandet, 
um ba§ Siegel bon einer i^lafd^e füblänbifd^en SBcin^ ju löfen; aber 
er befi^t ein ©efü^I, in n^et^em er naib unb gläubig ift toie ein 
Änobe, unb bieg ift biegreunbfd^aft: er liebt feinen greunb, ben jungen 
ßoelio, fo unbebingt, i>a% er bereit ift, für il^n ju fterben ober 
feinen S;ob ju röd^en, unb fo treu, ba§ er ber 2)ame, toeld^e 
ßoelio öergebeng anbetet, il^re ®unft öor bie gü§e ttjirft. @o 
ffeptifd^ Dctaöe aud^ ben grauen gegenüber ift, fo böHig ge^t er 
in feiner g^eunbfd^aft auf: er ift ein Sbeal öon einem greunbe, 
®en ©egenfa^ bon il^m bilbet ©oelio, in toeld^em SÄuffet, ba er 
in biefent 2)rama feine eigene 5ßerfönlid^feit teilt, bk anbere Seite 
feinet 2Befen§ fd^ilbert, ßoelio ift ber jugenblid^e Siebl^aber, beffen 
Siebe tauter anbetenbe^ ©d^ma^ten ift, ein 93ege^ren, fo fd^toer- 
mutig in feiner ®Iut, bd§ er ben S^ob l^erbeijurufen fc^eint, toenn 
e§ nid^t befriebigt toirb» ©in 9limbug bon @l^a!efpearefc^er Slo- 
mantif umfd^ttjebt fein ^aupt; feine SRebe ift SJiufü, feine 2!räume 
^oefie* ®r fd^itbert fid^ in ben SBorten: „äJiir fel^ft ©emüt^rul^e 
unb bie ftitte Unbefümmertl^cit, toeld^e ba^ ßeben ju einem ©piegel 
mad^t, toorin alle ©egenftänbe nur tt)äl)renb eineg SlugenblidEe^ er^ 
fd^einen unb tt)ieber bergel^en» ©d^ulben finb für mid^ eine ®e* 
n)iffenSlaft. Siebe, aug ber il^r 3lnberen einen 3^itbertreib mad^t, 
bringt mein ganjeg SBefen in Slufru^r." 

3Ran merft an biefen SKanneögeftaften, n)ie SÄuffet ate 2)id^ter 
gereift ift @r ftrebt nid^t mel^r banad^, nur bie überfc^äumenben 
5;riebe ber 3ugenb ober bag toilbe ©piel ber Seibenfd^aften mit 
aW il^ren folgen bon Süge, 93etrug unb ©enjalttl^ätigfeit ju fd^ilbem; 
er toeift lange unb mit SSorliebe bei bem unf^ulbigen, tiefen ^efül^f, 
bem bie ©d^ulb nur infolge äußerer SSerl^ältniffe innettjol^nt — bei 
ber Siebe, bie in il^rem SBefen rein unb nur n^egen il^reg 93md^eg 
mit ber ©efeöfd^aft^orbnung berbred^erifd^ ift, bei ber greunbfd^aft, 
bie in i^rem Äem l^eroifd^e Eingebung ift, felbft ba njo fie in 
ber • nid^t^ttjürbigen gorm bon Äup^jlerberebtfamfeit auftritt, !urj 



134 Sie romantifdie Sitfule in itankrtiit). 



Bei greunbfd^aft unb fiiefic in i^rer 9icin^eit, bei ben Seben^- 
gemalten, meiere mon aU bie ibealen ju bejeic^nen ^jflegt 

Unb njie ber SÄanneSt^pu^ bei SJiuffet immer mel^r geläutert 
mirb, fo gefc^iel^t e§ aUmäl^tid^ aud) mit bem toeiblid^cn Ztjpul 
SJon Slnfang an fc^ttjanften feine granengeftalten jtoif d^en 2)aIUa unb 
®t)a. ®o(i^ fein fteigenber ^ang, ba§ geifttg ©d^öne nnb fittli^ Steine 
bar juftellen , fül^rt il^n aud^ hti ben meibßd^en giguren ju einem 
immer mel^r l^eröortretenben Sbealifieren. @g ift fd^on bejeid^nenb, 
ba^ bie grauengeftaft, bie er unmittelbar nad^ bem befinitiöen 
83mc^ mit George @anb (1835) borfül^rt unb ju toelc^er biefe teü^ 
n)eife ate äRobcQ gebient, 3Jlabamt ?ßierfon in ,^La confession d'im 
enfant du si^cle", eine in ^ol^em ®rabe ibealifierte SBiebergabe 
t)on bem 5RatureIl be^ Criginatö ift. Seine 9ioöeIIen, öon benen 
tpenigftenS brei: „Emmeline", „Frederic et Benerette" unb „Le 
fils du Titien"' ju ben beften gcl^ören, n^enn fie nid^t bie beften 
finb, bie unfer Sa^r^unbert aufjutt)eifen ^at, berraten immer beut* 
lieber bag ©treben be^ ®id^ter§, bie Siebe unb burc^ fie bie tüeibüc^en 
S^araftere ju ibealifieren unb ju ber^errlid^en. ©r nimmt j. S. bie 
5ß^t)fiognomie öon einer ober ber anberen Beinen ©rifette, bie er 
fannte — ein gutmütige^, leid^tfinnigeg, ja leid^tfertige^ muntre^ 
©efd^öpf ; er giebt biefer ©eftaft einen jungfräufic^en Sieij, ben fie 
längft öcrtoren, unb fd^afft aug i^r eine SJiimi 5ßinfon, ober er 
formt ba§ junge SBeib fo feelenboll, fo naib in allen feinen ^^^ 
griffen unb gel^ttritten, fo n^a^r unb feinfü^lenb in feiner Sluö* 
brurfgtoeife unb fo einfad^ in feinem Sterben toit jene Scnerette, 
bereu legten 83rief wenige ol^ne Sl^ränen gelefen l^aben. i^üx il^n afö 
©rotifer ift ßiebe eine fold^' unumfd^ränfte SJiad^t, ba^ er fogar 
bie Shxnft il^r unterorbnet. ßiebenber unb ©etiebter ju fein, bie^ 
gilt jule^t in feinen Singen fo biel me^r al§ Äünftler ju fein, ba% 
nad^ feiner SSorfteHung üon bem ^beulen, bie Äunft im ©runbe 
einer ©injigen getoeil^t unb au^fd^lie^lid^ jugeeignet fein follte: 
ber einjig ©eliebtcn. 3n ber SRobeße „ lijian^ @ol^n " »irb. ber 



Mixtb be Muffet. 135 



§clb, eine Begabte Äünftlernatur, auf ber 93a^n ber Stugfd^njeifungen 
gel^emmt bnxä) bie ßiebe ju einer l^od^^ergigen grau; er be^ 
toeift feinen banfbaren Sinn baburd^, ba§ er nur ein einjige^ 93ilb 
malen tüiü, für ba§ er atte feine Gräfte fammelt unb ba§ allein 
feinen 9iamen auf bie yia(i)totli bringen foU — näntlid^ ba§ 5ßor^ 
trat ber ©etiebten» S^r ju ß^ren f treibt er ein Sonett, tporin 
er bie ©d^öril^eit unb bie reine Seele ber ©rfornen preift, e§ au§== 
f^jrid^t, ujarum er nientat^ eine Slnbere mit feinem 5ßinfel t)er^err== 
lid^en n)itt, erflärt, ba^, ujie fd^ön aud^ il^r 83ilb fei, e^ bodö nid^t 
einen einzigen ^u§ öon bem Original auftoiege. — Slber öon aKen 
Sloöeßen SKuffet^ ift fi^er „Emmeline" bie feinfte, @g ift eine 
fteine (Srjä^Iung, mtä)t auf bem erften ebleren, bod^ furj njäl^renben 
Siebe0t)erl^äItni§ beruht, t>a^ SJiuffet nad^ bem 39rud^ mit ®eorge 
@anb burd^Iebte, unb ba^ in allem SBefentfid^en bemjenigen in 
ber ^oöeHe glid^: Sin junger SJiann üerliebt fid^ leibenfd^aftlid^ 
in eine junge, üerl^eiratete ®ame, bereu einnel^menbeg SBefen mit 
ben jarteften ^^^t^ben, bod^ auf ©runb ber forgfältigften 9iatur= 
Beobachtung gemalt ift — nur Xurgenjeto^ buftigfte grauen^ 
geftalten geben in ber neueren ßitteratur einen Segriff üon biefer 
Äunft, aber fie finb geiftiger, toeniger real, mit einem verliebteren 
S3ti(f gefe^en unb mit geringerer fünftlerifd^er Äül^nl^eit bargeftettt 
SRad^bem er fie lange beoba^tet, ol^ne Hoffnung i^r Sntereffe ju 
ertoedfen, getoinnt er enblid^ i^re Gegenliebe, unb fie giebt fid^ i^m 
^in» ^piö^Ii^ ujerben fie für immer gefd^ieben, fie, tt)eil fie ju 
toa^r^eit^liebenb ift, um il^ren SWann gu betrügen, unb er, tt)ei( 
er ju jartfü^Ienb ift, aU t>a% er fid^ nid^t lieber entfernte, nad^== 
hm. bie SSertiältniffe einmal fo gegeben finb, Sn biefer 9iot)elIe 
fommt ein ®ebid^t öor, ba^ ber junge Siebenbe feiner 2)ame 
JU lefen giebt, unb ba§ mir bie SBIüte von SKuffet^ ©rotif 
au§ ber jttjeiten 5ßeriobe feiner ©i^tfunft ju fein fd^eint, @g 
rebet bie ©pra^e beg ibealen ®efü^I§. ©g ift bag berühmte 
®ebid^t: „Si je vous disais, pourtant, que je vous aime." 



136 I'ie romatitlfdjt 5d)ttle In irankreiilj. 

Sllfrcb bc äJiuffct f)ai faum eine feelenöoQere ©tropl^e gefd^rieben 
aU biefe: 

J'aime, et je sais r^pondre avec indiffiSrence; 
J'aime, et rien ne le dit, j*aime, et seul je le sais; 
Et mon secret m'est eher et ch^re ma souffrance; 
Et j*ai fait le serment d^aimer sans ^sperance; 
Mais non pas sans bonheur — je vous vois, c'est assez. 

©leid^jeitig mit biefen anmutigen, gleid^fam auf SBIumenblättern 
gefd^riebenen 5Rot)eKen öerfa^t SJiuffet einjelne fteine 2)ramen, tt)orin 
bie Siebe al§ bie ernfte, entfe^lidE)e Mad)t bargeftettt ift, mit ber 
[id^ nid^t fd^erjen lä^t, afö ba^ ^^euer, mit bem man ntd^t fpielen 
barf, alg ber eleftrifd^e gunfe, ber tötet — unb anbere, tüorin fein 
SBi^ unb fein SBeltton in bem feelenüoHen, gefü^töbenjegten &ttütk 
be§ @tite§ glänzen. ^ SSon biefen ©d^aufpielen ift „Un caprice" 
ba^ am meiften abgerunbete unb ba^, tüeld^eS ben fprubelnbften 
®iaIog l^at. Sn feiner öon SKuffetö Äomöbien ober ^rombes 
ift bie äußere unb innere ^5*^1^^ f^ öolHommen; unb ber 5Jlame 
„Un caprice" befinbet fid^ mit Siedet unter ben 2^iteln ber SBerfe, bie 
auf feinem ßeid^enftein auf bem 5ßere=ßad^aife eingegraben finb. 3n 
biefem @tüdE beugt fid^ bie unftete erotifd^e Saune, bie SBerliebt^eit 
be§ SlugenbUd^, unter bie Qnä)i be§ ©^eftanbeg, 2)er SRann ift 
ift Ijier friüol unb ttjenig juberläffig, bie grauen, tüetd^e äufammen^ 
fialten, ^aben hdbt ba§ ^erj auf bem redeten gledEe, unb bie eine 
t)on i^nen befi^t überbie^ eine bejaubernbe ariftofratifd^e ®eifte§* 
überlegentieii SKabame be S^r^ ift ^ßariferin. Seiner 1^at biejen 
%t)pn^ mit fold^er Originalität gejeid^net tüie SÄuffet; tiier tuar er 



^ ©eine 0teifc nad^ Stalten mit ®eorge @anb toäl^rt öom |>erbft 1833 
big 'äpxii 1834. (£r fd^rcibt in biefem Sal^r: „On ne badine pas avec 
Tampur" unb „Lorenzaccio"; 1835 „Barberine" (faft fein unbebeutenbftc§ 
©d^aufpiel), „Le Chandelier", „Confession d'un enfant du siecle", unb 
„La nuit de mai"; 1836 „Emmeline" unb „II ne faut jurer de rien"; 

1837 „Un Caprice", „Le deux maitresses" unb „Fr^deric et Benerette"; 

1838 „Le fils du Titien". „II faut qu'une porte soit ouverte ou ferm^e" 
ift im 3a]§re 1845, „Bettine" 1851, „Carmosine" 1852 gefd^rieben. 



J 



3llfreb be JHuffet. 137 



auf feiner ^ö^e, ©anj SBeftbame, aber anä) ganj SBciB/ 2)a§ 
©d^öne an biefer ©eftalt ift, .baf man in il^r auS ber ^öd^ften 
Verfeinerung bc^ ©alonleben^ bie unberfälfd^te, frifd^e, njal^re 
Statur burd^bliden fieljt, 9iatur, tro^ aW ber fd^inunemben unb 
ffinnnernben ©eiftreid^tieit unb aü! ber ju frühen unb ettoag leben^^ 
müben (Srfal^rung, 5Ratur felbft in ber SBerfteüung, 5Ratur felbft in 
ber Keinen ^omöbie; SÄabame be S^r^ ift af§ SBeib ©ci^aufpiekrin 
genug, um agieren ju fönnen* 91^, fagt ©oetl^e irgenbttjo in 
feinen ^Briefen, tok tüaf)x ift eg, ba^ nid^t^ merteürbig ift aU 
ba§ 5Ratürßd^e, nid^tS gro§ afe ba§ SRatürlid^e, nid^t^ fd^ön 
afö ba^ Syiatürlid^e unb nid^t§ :c :c :c aU ba^ 9latürlid^e! 
Sei SKuffetg 5ßariferin ift in ber ^nft be^ überlegenen unb iiber^ 
mutigen ®efettfd^aft§tone§ bie 9iatur betpal^rt. „Un caprice" l^at 
eine moralifd^e Sbee. 2)od^ toätirenb öiele 2)id^ter bie Siebe ate 
ettüag fteinartig gefte§ unb ©olibe^ fd^itbem, ba§ man greifen, 
jal^relang l^integen unb immer in bemfelben 3^ft^^^ tt)ieberfinben 
fann, ift fie für SJiuffet, felbft ttjenn er am fittlid^ften ift, beftänbig 
nur .bie feinfte unb aUerftärffte, boä) barum aud^ bie flü^tigfte 
©ffenj bc§ £eben§. Sie fann töten, njötirenb fie i^re boße ^raft 
l^at, aber fie !ann aud^ öerbunften. 

3n feinen legten ©^aufpielen tjer^errli^te SKuffet mit 9Sor^ 
liebe bie 2^reue unb ßtiarafterreinl^eit ber grau, an ttjeld^e Xugenben 
er glaubte, o^ne fie felbft gefunben ju ^aben. . Qiiüax f)aitt er 
fd^on in „Barberine" nad^ einer alten ©age ba^ Sbeal einer treuen 
©attin im ©tile bon ©tiafefpeare^ 3mogen gejeid^net; bod^ ba^ 
©tüdE toax unintereffant 6r fd^Iie^t aU SDramatifer mit jwei 
öollenbet ^errlid^en grauengeftaltcn. Sn bem Keinen 9Jieiftertt)erf 
„Bettine" l^at er eine ber für btn S^arafterjeid^ner fd^n^ierigften 
Slufgaben fpielenb leicht unb öottftänbig gelöft öettine tritt 
auf, unb faum tiat fie brei ober t)ier 3ÄaI gefprod^en, fo füllten toir, 
ba§ bie§ eine fräftige, !ü^ne, tieffül^Ienbe unb großbenfenbe grauen* 
natur ift, ja mel^r alg ba§ : ein Oenie, eine Sünftlerift, eine 2;rium* 



138 5« romantifAe 5djule in itankrtid). 



p^atorin, getool^nt, fid^ il^rer Umgebung geiftig überlegen ju füllen 
unb feine Süicfftd^t auf fleinlid^e Sonöenienj ju nel^men. ©g ift 
il^r |)ocl^jeitgmorgen. ©ingenb betritt fte bk 93ül^ne, einen Slaum, 
n)o ber 9iotar toartet, gel^t bireft auf biefen ju unb rebet i^n ju 
feiner SBertounberung mit®u an: „W), bift bu ba, 9lotar? Sieber 
9iotar, lieber greunb, ^aft bu beine Schreibereien bei bir?" Seine 
2tmt§tt)ürbe ejiftiert für fie fo toenig, ba^ fie fein S3ebenfen trägt, 
t)or if)m xf)vt ^od^jeit^freube feigen ju laffen. 2)ie muntere ®ütc 
il^rer 5Ratur ftrömt bei htm geringften 3lnla§ über» . ©ie ift ni(|t 
fpirituell toie eine SBeltbame, fonbern frei, gro^, t>ertraufici^ toie 
eine toa^re Äünftlerin, unb bie ec^te SÄenfd^Iic^feit i^reg SBefen^ 
^ebt fid^ nod^ fd^öner ai öon bem ^intergrunb ber fittlid^en Sluf^ 
gelöft^eit, bie il^r faöer, anfpruc^^öotter ^Bräutigam re^}räfentiert. 
®ag fd^öne fleine Drama ,,6armofine", bem eine StoöeHe m 
Boccaccio ju ®runbe liegt, betoeift, toie bie ftärffte unb ^eifeefte 
Siebe unb SSerel^rung, toeld^e äu§er(id^e SBerl^ältniffe öon i^rem 
©egenftanb trennen, burd^ großmütige ®üte unb gürforge geseilt 
werben fönnen. ©armofine ift tin einfad^e^ 39ürgermäbd^en, ba§ ben 
^önig ?ßebro üon 2tragonien mit einer l^offnung^fofen, öerje^ren* 
ben Seibenfd^aft liebt; toegen biefeg ®efül^I§ tt)itl fie il^rem treuen 
unb trauemben Slnbeter 5ßebritto bie ^anb nid^t reid^en, fie »iff 
f^toeigen unb fterben. SDod^ ber ®efpie(e il^rer ^inb^eit, ber 
©änger SRin^ccio, berrät aug 9ÄitIeib bem ^önig unb ber Königin 
il^re Siebe; unb toeit entfernt ju jümen, gel^t bie Königin un^ 
erfannt ju i^r unb linbert aömä^lid^ 6armofine'§ Dual hnxij 
fd^toefterlid^e unb föniglid^e SBorte, inbem fie i^r erflärt, ba^ eine 
fol^e Siebe, fo tief unb groß, ju fd^ön fei, um aus bem §erjen 
ausgerottet jU toerben. 2)ie fiönigin felbft tooHe fie unter i|re 
©l^renbamen aufnehmen unb itir baburd^ ©elegenl^eit geben, ben 
Sönig jeben 2^ag ju feigen; benn eine fold^e Siebe toirft üerebetab, 
bk in bem Stuffd^toung ber ©eele jum ©r^abenen berul^t ß^ 
felbft, ßarmofine, toiQ bid^ lehren," fagt fie, „ba^ tnan lieben 



3llfreb be lluffet. 139 



fann, ol^ne ju leiben, njenn man liebt, o^ne barüber ju erröten; 
nur ©d^am unb ©etoiffen^biffe öerurfa^en Kummer; 2^raurigfeit 
ift nur beg ©d^ulbigen Soo§, unb beine ©ebanfen finb getnt^ nid^t 
fd^ulbig." Sitebann fommt ber Äönig unter bem SSortoanb, i^ren 
Sater befud^en ju tootten, unb fagt in ©egentnart ber Königin 
ju i^r: . 

„3^r alfo feib eg, l^olbeä gräulein, ba§, n^ie toir l^ören, 
franf unb in ©efal^r ift? @uer 2tntli| fielet ntd^t banac^ aug. . . 
3l^r gittert, jd^eint mir — mad^' ic^ @ud^ bange?" 

„SRein, ©ire." 

„?iun, fo gebt mir ®ure ^anb. SBa^ bebeutet bieg, mein 
fd^öneg ^inb? 3I)r, jung unb gef^affen, Slnbrer ^erjen ju er* 
freuen, ^f)x ia^t ben ©d^merj ©etoalt über 6ud^ gen)innen? SBtr 
bitten ®ud^, S^r möget an^ ßiebe ju unS 9Rut f äffen unb bafür 
beforgt fein, ba^ 3^r rafd^ gereift tüerbet." 

„©ire, meine aüjugeringe Staft eine aHjugrofee dual ju 
ertragen ift bie Urfad^e meiner Seiben. 2)a Sl^r mid^ beÄagen 
tonntet, toirb mid^ (Sott bielleid^t baöon befreien." 

„©d^öne ßarmofine, id^ toiti aU Äönig unb ate greunb 
fpred^en. S)ie große Siebe, bie 'Sl^r für un^ lieget, ^at @ud^ bie 
^öd^fte S^re in unfrer ©efinnung ertoorben, unb bie ®l^re, bie 
tüir @ud^ jum ©ntgelt ertoeifen njoQten, ift bie, mit eigner ^anb 
@utf| ben ®atten jU geben, ben toir für @ud^ ertoä^Iten, unb ben 
anjune^men mir ®ud^ bitten. Unb barum ttjoQen toir un^ (Suren 
SRitter nennen unb in unfern S^oumieren ®ure ®et)ife unb 6ure 
färben tragen, ol^ne un§ bafür etttjag Slnbreg öon @ud^ au^* 
jubitten ai^ einen einjigen Äu§." 

2)ie Königin ju (Sarmofine: „II|u' e§, mein Äinb, id^ bin 
nid^t eiferfüd^tig." 

„©ire, .bie Königin ^at für mid^ geantttjortet." 

3n toelc^er SBelt ge^t fold^eg bor? 3n toetd^er SBelt ^at bie 
fiuft, bie man einatmet, eine fold^e Siein^eit? SBo gebeult eine 



140 ^it romantifdie 3it)ule in itankreid). 



fold^e 9icd^tjc^affen^eit, wo bcft^t bic ßiefie biefc S)cmut bei aller 
®Iut unb jugleid^ biefe |)o^cit, uttb tüo begegnet fte einer fold^en 
9iitterlic^feit unb Irene; too ift fie fo frei öon (Siferfud^t bei einer 
fo unenblid^en. ©fite? SBo finbet fid^ ein fold^er Äönig? too eine 
fol^e Königin? 

SDie Slnttnort ntu§ ol^ne ©d^toanfen tonten: 3m ßanbc be^ 
3beafe, nirgenbg fonft. 2ln biefen ^ften lanbet ber übermütige, 
ctinifd^e SÄuffet jnlefet ate ©id^ter, aU 9Kenfd^ bagegen weit ab öon 
biefem ©tranb. 6r ging in ©elbftbetänbnng ju ®mnbe, 2)ie 
3ügettoftgfeit, ba^ Ungeregelte in feinem SBefen gereid^te i^m jum 
Unglürf, SBä^renb er in feinen ?ßoeften immer geiftiger unb immer 
fittli^er tt)urbe, öerfonf er aU 9Äenfd^ immer tiefer in niebrigc 
3lugfd^tneifungen, (£r berlor frü^ bie |)errfd^aft über fid^ felbft; 
eine Qtxt lang fd^ttjang er fid^ bnrd^ bie ®id^tfunft über ben SSer* 
faß feinet Sebenö empor; julefet tonnten aud^ biefe @d^tt)ingen i^n 
nid^t metir erl^eben. 

@r ^atte biel üom Sniifönigtum gel^offt, er l^atte öon ober 
unter bemfelben einen funftliebenben §of, -eine.freifinnige ^ßolitö, 
eine ©menung ber nationalen 6^re unb ba^ 9lufblü^en ber fd^önen 
Sitteratnr ern^artet. SJian fann ftd^ beulen, n:)ie bitter er enttäufd^t 
ttjurbe. @§ njäre nid^t unmöglid^ genjefen, ba^ ein |)of mit Ieben= 
bigem @inn für 5ßoefie unb fd^öne fünfte, njeld^er SKfreb be 3Ruffet 
in feinen Äreig gejogen, einen ujo^lt^ätigen 6inftu§ auf i^n geübt, 
il^n gejtoungen l^aben toürbe, auf Slnftanb ju l^aften, unb feine 
©enüffe, j|a fogar feine Slu^fd^tt^eifungen verfeinert l^ätte, ^od) 
ßubtoig 5ßt)ilipp, biefer im übrigen fo gefd^liffene unb gebilbete 
grieben^^äRonard^, l^atte nur ttjenig Sinn für 5ßoefie unb ttjenig 6in= 
blid in bereu Sffiefen* @r verftanb e^ ebenfo ttjenig 2tlfreb be 2Ruffet 
toie aSictor §ugo für fid^ ju gett)innen* SJiuffet, ber ein ©c^ut 
famerab feinet ©ol^ne^ gerbinanb t)on Drtean^ toar, ^atte im 
Sa^re 1836 in SSeranlaffung öon SJieunier'g 3lttentat auf ben 
Äönig ein ©onett gefd^rieben. @^ tt)ar ungebrudft, aber ber ^erjog 



3llfreb be IKttffci 141 



t)on Drieanö, beut eö ju (Sefid^t gefommen, unb ber e^ bortreffltd^ 
fanb, tooßte e^ abfolut ©einer SKajeftät öorlefen. ^er S!önig er= 
fu^r nid^t einmal, t)on toent e^ war; benn el^e ber Sefer ju ®nbe ge= 
langt mar, tt)ar er f o Beleibigt barüber, ba| ber S)id^ter fid^ erbreiftete, 
t^n JU bu^en, ba| er fein SJBort ntel^r l^ören tt)oßte. Um bie 
Äränfung gutjumad^en, ertDtrfte ber ^erjog für Sllfreb be SKuffet 
eine ©inlabung ju ben SiuilerienbäHen* Sin bem S^age feiner Sßor^ 
ftellung Bei §ofe, fal^ er ju feiner SSertDunberung ßubtoig 5ß^ilipp 
bireft auf fid^ jngel^en unb l^örte il^n mit einem Säd^eln 
unb einer SKiene, bie il^n angenel^m üBerrafd^te, fagen: „@ie fommen 
gerabe^tt)egg t)on 3oinöiIle, id^ freue mid^, @te ju feigen." Sttfreb 
fae SKuffet U)ar ju fel^r SJBeltmann, um ©rftaunen ju öerraten. ®r 
üerBeugte fid^ tief unb grüBefte barüBer nad^, tt)a§ bie SJBorte be^* 
Äönig^ Bebeuten !önnten. 2)a entfann er fid^, ba^ bie gt^ntilie 
äRuffet in 3oinöiIle einen tt)eitläufigen SSerttjanbten l^atte, ber j^ov\U 
infpeftor auf ben ^onbomänen toax. 2)er Äönig, ber fein ®e* 
bäd^tni^ nid^t mit litterarifd^en SRamen |)Iagte, fannte auf'g ^aar 
bie SRamen atV S)erer, bie Bei feinen Domänen angefteßt tDaren. 
@If Saläre nad^ einanber fal^ er jjeben SBinter mit berfelBen ^xtnbt 
ba§ ®efid^t feinet öermeintlid^en 5orftinf|)eftor§ tt)ieber, ful^r fort, 
t^m ein Säd^'eln unb SRidEen ju fpenben, ba^ mand^en ^ofmann 
öor SJleib erBIeid^en mad^te, unb ba§ für bie. ©l^renBe^eigung galt, 
toeld^e er ber fd^önw Sitteratur joHte — bod^ fo öiel ift aug* 
gemad^t, Subtt)ig ?Bl^iIip|) al^nte niemals, ba^ unter feiner 3fiegierung 
ein großer 2)id^ter leBte, ber benfelBen SRamen trug tt)ie fein gorft^ 
tnf^jeftor, 

®in ^Regiment, fo glanjlo^ tt)ie bagjjenige 2ubtt)ig 5ßl^ili:p:p'g, 
mu^te für SKuffet ein Oreuel fein, ©eine friegerifd^e Slntn^ort 
auf SedEefg „SRl^einlieb" mit il^rem ftoljen unb toilben ^o^n beutet 
auf I^rifd^e SDiöglid^feiten Bei il^m l^in, bie fid^ unter anberen po^ 
litifd^en Sebingungen entfalten Ratten !önnen. %xn füllte er fid^ 
barauf Befd^ränft, ber 2)id^ter ber Sugenb unb ber SieBe ju fein; 



142 I)ie tomanttf(t)e Sdiule in iranhtetd). 



unb dU bie 3ugenb fci^tt)anb, l^atte er feine ÜRittel jur 
emeuung» ©eine Xugenben nid^t tpeniger at^ feine ßafter ftürjtcn 
il^n inö SSerberBen: ftolj unb bornel^m, tt)ie er tt)ar, f)attt er feine 
@:pur in* fid^ öon jenem ©l^rgeij, ber geiftige Dfonomie mit fic^ 
fül^rt, feine @:pur bon jener 6rtt)erB§Iuft, bie jum gleite jtüingt, 
nid^tg öon beut unterorbnenben (Sgoiömu^, ber ben ©d^riftftetter 
baju bringt, fein 3d^ für ba^ $mertt)id^tigfte in ber S33eft ju l^ate. 
6r burd^ftümtte ba^ Seben mit einer fold^en Segierbe unb |)aft, 
bafe er mit öierjig Salären mübe tt)ar tt)ie ein ©iebenäigiöl^riger, 
ol^ne be^l^alb rul^ig unb tt)eife getnorben ju fein, ©eine frfi^^ 
jeitige för:perlid^e 6rfd^ö:pfung fül^rte bie geiftige mit fid^. @r §atte 
aud^ nid^tg üon bem ibealen ©goi^mu^, ttjeld^er ben ©d^riftfteller 
antreibt, ganj für feine ^nft jU leben, feinen ^Junten öon bcm 
focialen ober :poIitifd|en ©inn, tt)eld^er bem fd^affenben @eift 
^flid^ten gegen Slnbere auferlegt; er tt)ar in bem ®rabe aupcr 
©taube, fid^ felbft ju bel^errfd^en, .ba§ bie augenblidEIid^e 8er= 
fud^ung für il^n unn:)iberfte]^Iid^ tt)ar; unbebingt tenbenglo^, m er 
al^ 2)id^ter tt)ar, blieb er aud^ al3 SKenfd^ bößig ätoedflo^; er 
l^atte nid^tg, ha^ er förbem ober burdife^en, nid^tö, bag er um 
jeben 5ßrei§ gefagt l^aben ttjoßte; unb er toax eine ju unlenffame, 
ju n:)enig contem|)(atit)e SRatur, afö ba§ ©elbftenttüidflung im 
©oet^efd^en ©inne il^m ba^ Qkl l^ätte fein fönnen, ba^ alle Jen* 
btuitn erfe^te. Site er 1857 ftarb, l^atte er fd|on mel^rere 3a|re 
feine SRufe überlebt. 



XI. 

,,^6) glaube" fagt (Seorge @anb in bcr ©inleitung ju „La 
mare au diable", „ba^ bie SRiffion ber ^nft eine ÜRiffion be§ 
©efül^Ieg unb ber ßieBe ift, unb baj3 -in unferen S^agen ber 3lontan 
bie 5ßarabeln unb ^ahtln ber finblid^en Qdtm erfe^en foßte. S)a§ 
3iel be^ Äünftler^ foHte fein, Siebe ju ben (Segenftänben, bie er 
jd^itbert, ju ertoederi, unb iä) nteine^teite tt)ürbe if)m feinen SSor^ 
löurf *ntaci^en, tüenn er fie ein tüenig üerfd^önte. S)ie Äunft ift 
nid^t ein ©tubiunt ber gegebenen SBirflid^feit, fonbem ein ©ud^en 
nac^ ber ibealen SBal^rl^eit" — SJBag bie reife g^au l^ier aü 
Summe il^rer Sftl^etif au§f:prid^t, l^at i^r fd^on feit i^rer Sugenb 
üorgefd^n^ebt @ie l^atte ben S3eruf beg ©d^riftfteller^ nie anber§ 
aufgefaßt afö gleid^ ber- ©rliebung jU bem ^öd^ften, tt)a^ ber Sßenf d| 
erreid^en fann, ober beffer aU ein ®m:porfd^n:)ingen ber Seele über 
bie UnöoÖfommenl^eit beg (SefeHfd^aftöIeben^, um il^r einen ttjeiteren 
©efid^töfcei^ unb baburd^, toenn fie toieber jur ®rbe jurücEfel^re, 
überlegene ^aft ju geben, bie Sßorurteile, bie Snftitutionen , bie 
©emütörol^eit unb ^erjen^l^ärte ju befäntpfen, tüoxan^ aW jene 
UnöoHfommenl^eit entfprang. 

3n ber ©inleitung ju „Le compagnon du Tour de France" 
fagt fie: „©eit tüann ift ber 9loman benn gejtt)ungen, nur ein ®e= 
mälbe üon bem ju fein, tt)a^ ift, üon ber l^arten, falten SJBirflid^^ 
feit, n:)ie fie bie SÄenfd^en unb SSerl^ältniffe ber (Segenmart bar= 
bieten? 3d^ toti^ red^t gut, bafe er e§ fein fann; unb S3aljac, ein 
SReifter, bor bem id^ mid^ ftetg beugte, l^at „La comedie humaine" 



144 * Die romantiftbe 3d)ule in irankrei4). 



gefd^riebcn. $lbcr obfd^on id^ burd^ greunbfc^aft^banbc mit bicfem 
berül^mtcn Wlamt öcrbunben toax , betrad^tctc id^ bod^ ba^ mcnf d^^ 
fid^e ®cfd^tdE öon einem ganj anbeten ©tanb^unft, nnb id^ erinnere 
mid^, ju i^m gejagt ju l^aben: Sie fd^reiben ,,S)ie menfc^Itd^e 
Eontöbic." 2)er litel ift befd^eiben. Sie fönnten ebenfo gut fagcn 
f,hci% ^xamoi** ober „bie. Iragöbie ber SKenfd^^eit/' — „3a/' ant= 
iDortete er mir/ „unb @ie 3i^rerfeit§ fd^reiben ba^ (Spo^ ber SJienfd^* 
^eit." — ;,S)er Sitel/' tpenbete id^ ein, ,,tt)ürbe im ©egenteit gu 
erl^aben fein. 2)od^ möd^te id^ gerne ba§ menfd^tid^c ^irtengcbid^t, 
ben menfd^Iid^en ?Roman ober bie menfd^lid^e S)id^tung im aB^ 
gemeinen fd^reiben. Äurj unb gut, ©ie tnollen unb fönnen ben 
SKenfd^en malen, \t)k er fid^ öor Sl^ren Singen jeigt. 3Bo^n Stber 
id^ fül^Ie mid^ berufen, ba^ gu malen, t)on bem id^ glaube, ba§ c§ 
fo fein foH." Unb ha mir nid|t mit einanber fonfurrierten, erfannte 
balb 3eber bon unö ba^ Siedet be§ Slnbem an." 

2)iefe Stufeerung erfd^ien afö $ßroteft gegen bie Sefd^utbigung, 
ben nieberen (Sefellfd^aftgflaffen burd^ ©d^önmalerei fd^meid^etn ju 
n:)oKen; ba^er il^re jugef:pi^tc gorm, bal^er ber boftrinäre 2tu^^ 
brud, ben Oeorge ©anb bem 3beali^mug il^rer SRatur gtebt 
®en)i§ xoax (Seorge ©anb öon Slnfang big ju ®nbe burd^ unb 
burd^ Sbealiftin; aber bennod^ mar e§ feine^toegg bie ßuft, 
bie äßenfd^en ju fd^ilbem, tt)ie „fie fein foJDlen", tneld^c il^r bie 
ßtp:pen öffnete, fonbem bielmel^r ber Srieb, jU fd^itbem, toa^ bie 
SWenfd^en fein fönnten, menn bie Oefeßfd^aft nid^t il^r geiftigeg 
aSad^^tum ^emmte, fie öerberbte unb i^r ®Iüdf üemid^tete; unb 
bie 3fiepräfentanten ber „(Sefellfd^aft" mürben barum ol^ne Schonung 
preisgegeben. Oeorge ©anb moHte urfprüngüd^ ein Silb geben 
oon bem Seben, tnie eS ift, bon ber SBirKid^feit, W fie erlebt unb 
6eobad|tet l^atte; nur entf|)rang baS, maS fie malte, ber SBeft* 
anfi^auung be§ meiblid^en ®nt^ufia§mu§. S)aS ©egment, meld^e^ 
fie fa^, mar ein ©tüdfd^en (Srbe mit ^immel barüber. 3l^r ©d^arf* 
blidE mar ber ©d^arfbüd eines 2t)riferS. 



(Seorge 3anb. 145 



3cne§ 3^itoft^^ ^^^ ^on einer ungel^euren ^robuftiöität» 
SSictor ^ugo, Saljac, SHejanber S)uma^ beröffentlid^ten ein SBerf 
mä) bem anbeten* 83ei bent testeten artete bie titterarifdie S^ätig== 
feit fd^Iielglid^ in eine fömtlid^e S3nd^fa6rifation au^; er gab öier 
big fünf Siomane "gteid^jeitig l^eraug unb lieferte unter Seil^itfe jal^I^ 
reid^er SKitarbeiter jäl^rlici^ eine ftattlid^e Steige üon Sudlern. Slud^ 
Oeorge ©anb'g 5ßrobuftiongtrieb tnar auj^erorberitlid^» Sl^re fämtßd^en 
aSerfe mad^en ungefäl^r 110 enggebrudfte 33änbe au^.' (Sg fann 
feine fRcbe baöon fein, eine Überfid^t bon alten ju bringen. SBag id^ 
beabfic^tige, ift nur, bie ^au:ptpunfte au^ ben bebeutenbften SSSerlen, 
fott)ie bie Sbeenftrömungen, ujetdie burd^ biefelben — ate bteibenbe 
Slugbeute ber 83üd^er, felbft tvtnn il^re ©injelnl^eiten öergeffen finb — 
^inburd^gel^en, l^eröorjul^eben. 

• ®ie Seben^öerl^ältniffe, ujeld^e l^inter ber erften ®ruppe bon 
Oeorge ©anb^ Siöntanen liegen, finb befannt @ie tt)urbe 1804 
geboren- grül^ berlor fie il^ren SSater; eine leibenfd^aftlid^e unb 
unvernünftige SÄutter unb eine feine, öerftänbige (Srofentutter toaren 
i^t geblieben. S^re Sugeubjal^re brad^te fie auf beut ®ute SRol^ant 
in 83err^ ju. §ier tummelte fie fid^ in frifd^er ßuft; fie liebte bie 
freie 9?atur unb üerfel^rte mit Sauemfinbem mie mit il^reggleid^en. 
Sie tt)ar bemofratifd^, aber be^l^alb nid^t ujeniger romantifd^ angelegt. 
äSie Sl^ateaubrianb in feiner frühen Sugenb fid^ ba^ S3ilb eineg ibeal 
fd^önen SBeibeg fd^uf, bon bem er ftetg träumte, fo formte fid^ (Seorge 
@anb in il^ren frül^eften 5ß^antafien ba^ Silbniö eine§ gelben, bem 
fie einen Slttar öon Stein unb SJioog in einer ©de i^reg ©artend 
errid^tete unb bem fie mit einer ü:p:pigen ©rfinbungggabe jal^Ireid^e 
(Sro^tl^aten beilegte. Slfö fie mit brcijel^n Salären nad^ $ßarig in 
ein fifofter gebradit tnurbe, um bort erjogen ju toerben, öermijgte fie 
anfangt fdimerjlid^ il^r freiet Sanbleben, bann tt)arf fie fi(^ eine 
3eit lang mit g^uereifer unb ©d^ujärmerei ber.Siettgion in bie 
Slrme. tiefer Sluffd^toung iDurbe nod^ t)or i^rer Siüdfel^r nad^ 
SRo^ant öon bem Sntereffe für ©d^aufpielfunft unb |)oetifd^e 

SBranbe», Sitterotutfleft^. beS 19. ga^t^. V. 10 



146 f^it tomanttfd)e Bd)ttU in irankret4). 

■ -T 

• 

©tubien abgelöft Sltö ertood^fcncg jungcö SJiäbd^cn lieft fie in 
länblid^er Umgebung gum erftcn SJiale 3fiouffeau unb fü^ft fic^ bat)on 
fo getroffen, tt)ie e§ bcr ^aü ift, tt)enn man fein eignet SSefen ))Iö|== 
lid^ üor fid^ felbft erfd^toffen fielet. Sie tnirb 9louffeau'§ ©d^ülerin, 
fie l^ört niemafö auf, e§ ju fein, ©ein 9iaturfinn unb SRato 
fultug/ fein S)ei^mu^, fein (Staube an bie (Sleid^l^eit unb feine 
Siebe ju berfelben, feine tro^ige Haftung gegenüber ber fogenannten 
ciöilifierteit (Sefetlfd^aft entfprac^en il^ren eigenften Steigungen unb 
antictpierten gleidifam ©efül^Ie, bie aud^ in i^rer @eele fd^Iummerten. 
S)ie SBerfe öon @]^afef:peare, St)ron, S^ateaubridnb riffen fie §in 
unb entrüdften fie il^rer Umgebung f o , ' baj3 fie fid^ tro| berf etten 
bereinfamt fül^Ite; ba entftanb in il^r jene abftrafte SDieland^ottc, 
tt)eld^e in jungen, leibenfd^aftlid^en Seelen ber ©d^toermut über bie 
tt)ir!Iid^en Siäufd^ungen öorau^jugel^en pffegt. ®aj3 ha^ foId^ertDcife 
enöüidfelte junge SBefen — fräftig, überlegen, reid^ unb in feinem 
©ud^en unfelbftänbig — in bem 3iif^tnmenleben mit einem einjelnen 
SRann, unb ftünb' er burd^ ©l^arafter unb Einlagen nod^ fo l^od^ über 
i^r, niemate Oenüge l^ätte finben lönnen, ift unjtt)eif ell^aft. @ie n)urbe 
im Saläre 1822 mit einem ^erm 5Dubeöant üermäljft, einem ganj 
gettJöl^nlid^en Sanbjunfer, tt)eber fd^Ied^ter nod^ beffer afö bie SKe^r^ 
'idt)l feine^gleid^en. 6r toax xo^- unb l^i^ig, gänslid^ au^er ©taube, 
feine 5^au ju üerftel^en; aber er l^ätte augenfd^einlid^ ein öiel 
befferer ®l^emann fein biirfen, ol^ne- ba% bie^ bem unt)ermeib== 
Kd^en Aufgang ein anbere^ .Gepräge gegeben l^aben mürbe. Stor 
bie erften brei Saläre bief er ®]^e gingen ol^ne Unrul^e unb 3«^^^' 
niffe l^in. ©d^on bon 1825 an fd^eint ®eorge ©anb i^ren äRonn 
üöHig überfeinen unb, bei bem lebl^aften ^ang il^rer SJiatur ju 
©^mpatl^ien, greunbfd^aft^öerbinbungen mit anberen SKännem ge^ 
fd^Ioffen JU l^aben, ba fie fid^ in il^rem. §aufe gefränft unb geiftig 
mi^l^anbelt füllte, ^err 2)ubet)ant, ber (Seemann genug mar, um 
über bie geiftige Unabl^ängigfeit feiner grau aufgebrad^t ju »erben, 
tt)ie er jugleid^ eine biet ju unbebeutenbe ^ßerfönlid^feit tt)ar, um 



deotgc 5ant). ' -147 



9Ju^en aug ber geiftigcn Unfeftftänbigfett ju äiel^cn, ipcld^e jene 
ba^tn Brad^te, einen %n^xn unb SBegmeifer ju fud^^n, fa^te fogar 
i^re unfd^ulbigften ©tintpatl^ieh aU 5ßffid^tü6ertretung auf, 3ebeg 
^efül^I ber (Semeinfantfeit jtüifd^en ben ©Regatten löfte ftd| att^ 
ml^Iici^ unter -nnaufljörfii^en e^eüd^en S^if^^ ^^'^ 9iei6ereien auf, 
@e{6ft bte beiben S^inber, bie ilinen geboren tonthtn, tonnten ba^ 
Ißdar nid^t jufammenl^alten; 1831 jog (Seorge @anb aßetn nai^ 5ßari3. 
©urd^. ben fpäter gefül^rten ©d^eibung^projels, toie aurfi burd^ 
George ©anbg S)orref:ponbenj gewinnt man einen l^inlänglid^en 
©inblid in bie (Sefd^id^te biefer (Sl^e. 3d^ Iiabe in ber Gazette des 
Tribunaux (30. ^uü, 1. unb 19. Sluguft 1836, 28. 3uni, 
12. 3EuIi 1837) bie aböofatorifd^en Sitten beiber 5ßarteien gefunben.- 
@g n?aren furditbare, fd^mäl^tid^e SlnMagen, n^eld^e bie geniale grau 
ftd^ öon bem Slbbofaten il^re^ Sßanneg gefaKen laffen ntu|te. 83alb 
in einer fditoarjen ©ammetjade, über meldte il^re fd^önen ^aare 
l^erabfieleU; balb, nad| ber bantaligen Sßobe, einen geblümten (Bifatol 
um bie ©djultern, l^örte ©eorge @anb, ol^ne eine SÄiene ju öerjiel^en, 
bie t)on §erm 2)ubet)ant foufflierten SlnKagen an, ujeld^e beffen 
Slböofat il^r inö ©efid^t fd^Ieuberte. ®r befd^ulbigte fie, fd^on brei 
Saläre, Beöor fie il^re ©l^e eingegangen, eine berbred^erifd^e Seiben= 
fd^aft für einen anberen SÄann gefaj^t unb b'erfelben nad^gegeben 
p Iiaben. „^tvv 5Dubet)ant erful^r balb, ba^ er bon 5Der, n^eld^e 
er anbetete (!), öerraten fei, mar aber ebelmütig genug, ju öergeben." 
©er Slböofat la^ einen Ic^ngen SBrief t)or, ben ©eorge @anb an il^ren ' 
SRann gefd^rieben, toorin fie ein <Seftänbni§ ablegte, fid^ öerfdiiebene 
gel^Ier t)ortt)arf unb ba§ SÄi^öerl^ältni^ jtoifd^en il^nen Seiben üon 
einer SSerfd^iebenlieit ber Sliaraftere ableitete, meldte ®üte unb 
Sieben§tt)ürbigfeit bon feiner Seite nid^t au§fd^IoJ3, Sitter Sogif 
jutoiber ttjufete ber 3lbt)o!at au^ biefem 93rief eine ©etbftanflage . 
njegen Untreue ju bebucieren, ©r.entnjidfelte femer, mt bie ©J^e- 
gatten öon 1825—28 in einer freitoittigen Trennung gelebt, tt)ie 
SRabame ©ubeöant felbft, nad^bem fie 1831 il^ren SÄann öertaffen, 

10* 



148 I)te romantifdje Bdjute in irankreid). 



um „ein ßünftlcrlcfecn " ju fül^rcn, einen frieblid^en SSrieftticd^fel 
mit il^m unterl^alten unb 300 grancS jäl^rlici^ öon il^m empfangen 
^atte, ((Sr ermähnte nid^t, bafe fie i^m 500000 granc« afö SRitgift 
jugebrad^t) Qu Slnfang 1835 l^atten bic ©l^egatten enblid^ unter 
fid^ ein Übereinfommen ba^in getroffen, bie ^inbcr-unb baö SSer= 
mögen ju teilen unb einanber öolte g^eil^eit einjuräumen — afö 
®eorge ©anb |)Iö^Iid^, nod^ bebor bie Übereinfunft in ^aft treten 
foßte, bief elbe brad^ unb um ©d^eibung nad^fudite. (3n ber 3toifc^cn^ 
jeit ^atte nämlid^ ^err S)ubet)ant au§ Slnlafe eine^ Streitet um 
ben ©o^n fie fc^tagen tooKen, ja, in Oegenmart t)on S^W^ f^^" 
®ett)e]^r ergriffen unb auf fie angelegt,) 2;to^ ber fd^arfen Sc^ 
grünbung il^reö (Sefud^eg ttjurbe ba^felbe, mt ber äbbofat erflärte, 
abgefd^Iagen. 2)od^ nun ujar bic SRei^e ju Hagen an ^tm 
2)ubet)ant; er leugnete 3Uteg, toa^ ii)m t)orgett)orfcn tourbe, unb 
rid^tete bic ^ärteften 83efd^ulbigungen gegen feine (Sattin; er 6e^ 
i)avipittt, bafe "biejenige, meldte fo unmoratifc^e ©d^riften, tt)ie bie 
ilirigen feien, öerfafet l^abe, unn^ürbig fei, feine Äinber gu erjiel^en; 
er befd^ulbigte fie, in „aW bie infamften ®e^eimniffe ber 3(ug^ 
fd^tt)eifungen" eingetDcil^t ju fein. 8luf ®runb biefe§, nad^ ber 
aWeinung be§ Slböofaten öoHberec^tigten 3lngriffe§ fei e^, ia^ 
.(Seorge ©anb nun t)on neuem um ©d^eibung nad^fud^e, unb feine 
Siebe fulminiert in bem Slu^ruf: 㨤 ift alfo 3^re Slnfd^auung, 
SRabame, bafe eine grau, menn fie toill, bie ^älfte eine^ SJermögen^ 
burd^bringen , ha^ Seben il^re^ @tmaf)U mit ®ram erfüllen fann, 
unb ttjcnn fie Suft fül^Ü, fid^ nod^ freier ben jügenofeften Slu^* 
fd^njeifungen ju übertaffen, ba^ einfädle unb bequeme 9KitteI jur 
SSerfügung l^at, i^n t)or htm Siid^terftul^t anjugreifen, inbem fie 
il^m eine obiöfe §anblunggtt)eife anbid^tet!" 

@g muj3 l^art für bie ftolje g^au gen^efen fein, afö beobad^tcte 
^uJ^örerintüäl^renb ber 83efublung i^reg ?lamen§ unb il^re^2eben§ 
bajufi^en; e§ fann il^r faum bie $ßein gelinbert l^aben, ba^ fie 
unmittelbar banadi öerna^m, n)ie i^r Slböofat unb greunb, SKic^el 



(Seorge Janb. 149 



be SBourge^, fie al^ ®ente prte§, tüte er burd^ SSorlefen ftiliftifd^ 
ntertoürbiger 5ßroben aug il^ren 95riefen großen ©inbrurf mad^te, unb 
n)ie er aße bie ©d^eltttjorte famt ben brutalen ^anblungen aufjäl^Ite, 
beren fid^ il^r SÄantr gegen fie f d^ulbig gemad^t l^atte. aSol^I toax fie 
getool^nt, t)on ben Sournaliften il^re fRomane al§ ebenfo üiele fd^am^ 
lofe SSerteibigung^artüel für bie Unfittlid^feit au^fd^reien ju l^ören; 
boä) einen ungenjol^nten ©inbrud ntu^te eg auf fie machen, i^r 
^ßriöatleben in biefer SBeife gefd^ilbert ju feigen. . 2)ie öffentlid^e 
SSer^anblung, mit ber il^re @]^e fd^Iofe, giebt inbe§ gleidifam einen 
"Stnähüä auf biefe felbft unb baburd^ ben ©d^Iüffel, bie 3n== 
btgnation ju üerftel^en, bie il^ren erften 3lu§brud in „Snbiana", 
„SSalentine", «SÖia" unb ,,3acque§" finbet 

35iefe Sudler bieten l^eutjutage nur geringe^ Kinftlerifd^e^ ^n- 

« 

tereffe: bie Sl^arafteräeid^nung ift in il^rem abftraften Sbeali^mu^ 
fd^toad^, bie ^anblung unujal^rfd^einlidi tt)ie in ,,3nbiana", ober 
untDirMid^ tüie in ,,Saia" unb „Sacqueö";. ber SSortrag ift tro^ 
ber öoHftänbigen Harmonie be^ ©titeö überfpannt unb bef lamatorifd^, 
in 95riefen unb Sßonplogen näl^ert er fid^ ber gorm I^rifd^er 5ßre== 
bigten, Unb boi) f dalägt au§ biefen Sugenbromanen eine 'flammt 
empor, bie nod^ l^eutigen Sageg leud^tet unb ertt)ärmt; unb bod^ 
l^aben biefe Sudler Jone angef (plagen , beren @d^o erft fpät oer^ 
ftummen tnirb. Sie Hingen tt)ieber t)on Älageliebern unb ^iegg^ 
gefd^rei; unb ttjol^in fie bringen, filieren fie (Sefül^tefeime unb @t^ 
banfenfpröj3linge mit fid^, beren Xrieb nur bie ©egenn^art l^emmen 
fonnte, bie aber in ber 3^^'^^^!^ fi^ ^it einer Üppigfeit entfalten 
unb ausbreiten n^erben, t)on ttjeld^er n)ir unS nur eine fd^tt)ad^e 
SSorfteHung ju bilben Vermögen. 

„3nbiana" ift ber erfte 9lu§brud^ öon 33itter!eit* unb ©d^merg 

in bem reid^en, jungen ^erjen. 2)a§ junge SBeib ift lauter feelen* 

t)ofle, abelige geinl^eit, il^r 3Rann, Dberft 2)elmare, ein tixoa^ quU 

mutigerer |)err 2)ubet)ant; Snbiana'S tiebreid^er unb entl^ufiaftifd^er 

. Sinn ftüd^tet üermunbet t).om (Satten ju bem beliebten, S)ie Dri= 



150 I)ie romanttfd)e Bd)uU in ^Trankteid). 



ginalität be§ 83ud|c^ berul^t auf bcr ©l^araftcrjeici^nung btcjc^ 
ße^tercn. 2)enn il^nt ift fogar ber ®tmai)l Bei totikm öoräujictien. 
9flat|mott ift ber junge normale granjofe unter ber Sieftauratton, 
mt bie ©efeUfd^aft i^n ^erangebilbet: gefüMöaß unb bercd^nenb, 
lieBe^franf unb egoiftifd^, jo .ganj aufgel^enb in ber 3fiütfftci^t auf 
bie öffentlid^e 3Äeinung unb ba^ ®efeUfd|aft§urteiI, ba§ er au§ 
einem ^artl^crjigen SRenfd^en ein ^erjlofer, au^ einem unjuüerläffigen 
ein erbärmlid^er njirb unb ä^Ie^t l^inter feiner glänjenben ©d^ate 
t)on ©igenfd^aften unb Satenten in feiner ganjen feid^ten -SRittel* 
mä^igfeit jum Sßorfd^ein fommt. ®Ieid^ in biefem erften SBerf 
treten mehrere männtid^e §au|)tt^:pen bei ®eorge @anb auf: bie 
gröBere SRatur, bie burd^ bie 3Äad|t, meldte bie (SefeUfd^aft il^r in 
bie §anb giebt, brutal mürbe, unb bie fd^njäd^ere SRatur, toeld^e 
angeborne ^altlofigfeit unb ba^ getüol^nte Siüdffid^tnel^men auf 
ba^ (Sefetlfd^aft^urteil uujuberläffig unb feige mad^ten. ®eorge 
@anb beginnt alfo t)on Slnfang an, nad^ tpeiblid^er Slrt, mit einem 
ftarfen SBIofefteßen. beg männlid^en ©goi^mug. Site ®egenfa| baöon 
filiert fie aföbann fd^on l^ier il^r SRanne^ibealein, in bem SReferbe^ 
ßiebl^aber, bem anfd^einenb :p^Iegmatifd^en, aber in SJBirHid^feit 
glülienben 9lat:pt|/ ber, n)ort!arg n)ie fie felbft, für bie oberffäc^* 
tid^e Seobad^tung fteif unb falt (tüie ®eorge (Banb), lauter ©elbft- 
aufo:pferung, ©belmut unb treue Siebe ift — eine ®eftalt, bie ju 
variieren fie in Salären nid^tmübe tüurbe. 2)iefetbe toirb in „Säia" 
ju bem überlegenen, fd^toergeprüften Srenmor, bem Oaleerenfftoöen, 
ber bie (SefeKfd^aft mit ftoifd^er 9lul)e öerurteilt; in ,,3cicqueg" jur 
^auiJtperf on , tt)eld^e mit faft übermenfd^tid^er ©eifte^l^ol^eit fi(^ 
tötet, um ber Sßerbinbung feiner jungen ®attin mit einem Slnberen 
nid^t im SBegc ju ftel^en; in „ß^one Sioni" ju bem rul^igen, männ=^* 
lid^en 2)on Slleo, ber fid^ ol^ne (Sd^toanfen erbietet, bie arme 
Suliette ju l^eiraten, toeld^e ein faft magifd^er ä^^^er an btn 
bobenlofen @d|lingel S^one — biefeg männlid^e Seitenftüdf ju 
SKanon ßeöcaut — feffelt; in „Le secretaire intime" ift biefe ©e- . 



(Keorge Sanb. 151 



ftalt bcr unanfel^nttd^e S)eutfci^e SRaj, mit jetner naiöen ®utmüttg== 
feit unb feiner |)oetifci^en Segeifterung, ber J^eintlid^e (Satte ber 
^ürftin, toeld^er Sllle l^utbigen; in „Elle et lui" tft fie ber ©nglänber 
^^almer, tütlä)tx a(§ (Segenfa^ ju bem genialen, au^fd^njeifenben 
5|Jariferfinb Saurent aufgefteltt ift; in „Le demier amour" tritt 
fie unter btm Flamen ©^toeftre at^ eine fd^tüäd^ere SBieber^otung. 
öon 3acqueS auf. 

SlHe. biefe (Seftalten l^aben btn nid^t feltenen %t^Ux ber Sbeale, 
ia^ fie gl^if^ ^^^ ®tot entfiel^ren. 3^^ ®^f<^fe ift bie 9la^mon= 
^igur, toeld^e bie SBelt, ben ®efeIIfci^aft^egoi§mu§, bie ©itelfeit unb 
ß^arafterfd^njöd^e f^ntbolifiert, ein burd^ unb burd^ gauj anber^ 
geglüdfter Zt)pu^, @d^on in ,,Snbiana" befi^t 9lat)mon eine 
träftigere 9leatität aU bie übrigen ©eftalten, eine üiel beftinnntere 
Sofa^ unb äritfarbe; ©eorge @anb leitet bie Unitiännlid^!eit feinet 
Sl^arafter^ bon „htm öerfö^nlii^en, nad^giebigen ^ang" be§ 3^ü^ 
altera ab (^ap. X); fie bejeid^net il^re Qtit aU bie @:pod^e ,,beg 
ftiUfd^toeigenben SSorbeJ^alteö" ; fie jeigt, njie 9la^nton, tvdd)tx bie 
politifd^e SKä^igung öerfid^t, fid^ einbilbet, blofe n^eil er o^ne pp^ 
litifi^e Seibenfi^aft, fei er aud^ ol^ne |)oIitifd^e§ Sntereffe unb ftel^e 
beg^alb über ben Ißarteien, toaf)xtnb er öon ber ©efettfd^aft, miefie 
ift, JU öiel SSorteil l^at, al§ ba| er fie anberg tüünfd^te. (£r ift 
„nid^t unbanfbar genug gegen^ bie SSorfel^ung, um it|r ba^ Unglüdt 
ber Slnberen öorjunjerfen." Slber aud^ bie jal^Ireid^en SRad^f olger 
biefer ®eftatt in ©eorge @anb'§ 3fiomanen öerraten ein feinet, 
tief einge^enbeg ©tubium ber S33irMid^!eit, um gleid^ mit bem 2)id^ter 
©tätio in „SÄia" ju beginnen unb bem Siebl^aber Dctaüe banad^ in 
„3acque^" — faft nur ffijjierte, fd^n^ad^e Sl^araftere, mit benen bie 
Seibenfd^aft gangbatt f:pielt — big ju ben mit dielen inbibibüeHen 
Bügen auggeftatteten®eftalten: bem füblid^ leid^tfertigen jungen ©änger 
Slnjoletoin ,,SonfueIo", bem franü^af t nerööfen, verfeinert egoiftifd^en 
gürften Sarol (Sl^o|)in) in ,,£ucretia gtoriani" unb bem unftäten unb 
^altlofen jungen SKaler Saurent (Sllfreb be SIÄuffet) in „Elle et lui." 



152 Die romantifdie 3d)ule in /rankcei4). 



,,3nbiana" cnbtgt bamit, bcn rüdEfid^tötofen ©gotemuS be^ 
männtid^cn ©cfd^tcd^te^ in bcn ®cfe^cn bcr (ScfcHfd^aft ju finbcn, 
felbft in bcr ^Religion, tt)clci^c bic SKänncr klaren, @ic l^aben in 
i^rem 95ilbe ®ott jum SRannc gcmad^t. Snbiana fd^reibt an i^ren 
j^cud^lerifc^cnfiieb^abcr: „^^ bicne nid^t bcntfctben ®otte, bem bu 
bicnft; bcr ntcinigc ift cbicr unb bcffcr. 2)cin (Sott ift bcrjemgc 
bcr aWänncr, ein SRann unb ein Äönig, bcr '(Srunb unb bic ®tü|e 
bc^ ntännlid^cn ®cf d^(cd|tc§ ; meiner aber ift bcr ©ott be§ %% 
bcr 8d^ö:pfcr unb ©rl^altcr aller SBcfcn. ©uer ®ott l^at Slßc^ nur 
für @ud^ l^cröorgebrad^t, bcr meine l^at alte Slrten für cinanbcr 
gcfd^affcn." 3n biefen SBorten liegt eine boppcItc§3ebeutung: eine 
fül^nc ^iti! bcr ©cfcHfd^aft^orbnung, tt)e(d^c ha^ SBcib bem SKanne 
untcrorbnet unb juglcid^ ein unfd^ulbiger, jugcnblid^ t)crtrauen§* 
öoHcr S)ci§mug itnb Dptimi^muö. SSenigc 3al^rc fpäter fd^üefet 
fic ,,Saia" mit einem Slu^brud^ t)on tnilb öcrjtneifclnbcm 5ßcffiini^^ 
ntug, 3n il^rer Sobe^ftunbc fagt bic §clbin: ,,3ld^, bic SBcrjttjet^ 
lung l^crrfd^t unb ba^ Seiben, unb Klagerufe ftrömen aug atten 
5ßoren bcr @d|ö|)fung. S)ie SBogen tnäljcn fid^ fcufjenb an ben 
©tranb, unb bcr SBinb ftöl^nt unb tocint burd^ bcn SSalb. 2(De 
biefc Säume, tt)ctd|c, jur 6rbc niebergebeugt, fid^ nur erl^ebcn, m 
toon neuem bcr 5ßcitfd^e bc§ ©türmet ju erliegen, leiben eine 
fd^redlid^c SRarter. Sa, c§ giebt ein cinjige^ unglüdlid^cg, uner-- 
mcfelid^cS unb furd^tbarc^ StUtncfcn, unb bic SJBeft, ujcld^e wir 
fennen, öermag nid^t e§ ju umfaffen. SölübcraH ift cö unfid^tbar 
jugegen, feine Stimme füllt bcn SBcItraum mit einem ctnigen 
©d^tud^jen, ®efangen in unenbfid^em 9fiaumc, ujo cg fid^ bewegt 
unb tummelt, fül^It eg ^aupt'nnh ©c^uftern bon ben ©d^rante 
beg ^immefö toie bcr ®rbc gehemmt, unb e^ lann biefelbeu nic^t 
übcTtnihbcn; cg n)irb gebrüdEt, ge:peinigt, jermalmt, öcrflud^t unb 
gc]^aj3t t)on allem. SBie nennt fid^ biefcö SJBcfcn, unb wo§er 
fommt cö? ♦ . . . ©inige ^aben cg 5ßrometl^eu^ genannt, anbere 
©atan, id^ nenne c§ ©el^nfud^t — id^, bic ©ib^Uc, bic troftlofe 



(Seocge 5anb. * • 153 



©ib^Ite, xä) nenne eS ben ®eift ber entfd^tounbencn Seiten . . , . 
id^, bie jerbrod^ene ßeier, ba^ ftuntnte 3nftrument, beffen 2;öne bie 
Se^tlebenben ntd^t öerftel^en, aber in beffen 3nnern bie l^imntlifci^e 
|)armonie jufammengebrängt ift; id^, bie ^riefterin beö Sobeg, unb 
id^ fül^Ie tool^I, ba^ id^ einft 5ßt|t^ia tt)ar, fd^on bamafö gett)eint, 
fd^on bantafö gef:prod^en l^abe, aber id^ erinnere midi be^ l^eilenben 
SBorteS nid^t mel^r! , , . D SBal^rl^eit, SBa^rl^eit! nm bid^ ju 
finben, ftieg id^ l^inunter in bie Slbgrünbe — ein S3IidE l^inab 
»ürbe bie bel^erjteften 3Äänner öor (Sntfefeen jum ©d^njinbeln ge* 
Brad^t ^aben .... bod^, o SBal^rl^eit, bn l^aft bid^ nid^t geoffen* 
Bart, feit gcl^ntanfenb Sauren fud^' id) bid^ üergeben^. 3^^^^^^!^^^ 
Saläre öemal^nt id^ afö einjige Slnttoort anf meine qnatooHen 
fragen ba^ üerjtneifelte Sd^Ind^jen ber ol^nmäd^tigen ©el^nfnd^t, 
ia^ über biefe öerflud^te Srbe l^intönt .... Seit jel^ntanfenb 
Salären ruf id^ l^inau^ in ba§ Unenblidie: SBal^rl^eit! SBal^rtieit! 
unb in aW ber 3^^ lautete bie Slntmort: ©el^nfud^t! Sel^nfud^t! 
Unglüdlid^e @ibt)fi(e, ftumme ^ß^tl^ia, jerfd^eHe beine ©tirn an ben 
Pfeilern beiner ^ö^Ie unb mifd^e bein 83fut, ba^ raud^t in 9fiaferei, 
mit bcm falten ©d^aum be§ SKeere^ ! " 

Sn einer Su^erung njie biefe gipfelt bie feeleriöoHe SÄeland^oIie 
jener Sugenbial^rc. 3iifö^^^^9^f^fe^ ^^^ ^^ P^ njiebergab (im 
Original ift fie fed^^mal tänger), öerleil^t fie (Seorge Sanb'g jugenb* 
fidlem ©ettftgefül^I, toie e^ fid^ attmäl^Iid^ entnjidelte, einen I^rifc^ 
öoßenbeten S(u§brudE. 2lfö fie ,,3nbiana" fd^rieb, toax njeber i^r 
iiberlegenl^eitggefül^I nod^ il^r $ßeffimigmng fo auggebilbet. Sie 
t)erfa§te bie bcfd^eibene ©rjäl^Iung afö mitleibige SJBortfü^rerin für 
bie D|)fer ber ®efeIlfd^aft§orbnung, jebod^ ol^ne bie Slbfid^t, einen 
Angriff gegen berert Snftitutionen ju rid^ten, nid^t einmal gegen 
bie ^i)tf afö beren Slngreiferin-fie t)on Slnfang an geftem:pelt tpurbe. 
©ie ^pxicS)t augenfd^einlid^ reine SBa^rl^eit, toenn fie (in ber ^ox^ 
rebe, 1842) fagt, ba% fie nod^ lange, nad^bem fie bieg SSornjort 
ju ,,3nbiana" gefdirieben, unter bem @influ§ eineg 9lefteg t)on 



154 • 5Die romantlfd)e 5d)ttlc in ^^rankreid). 



©j^rfiird^t für bie beftel^enbe ©efeUfd^aft fic^ beftrebte, ba^ unlö§== 
üc^e ^Problem ju löfcn, toeld^eg haxin befielet, ein üRittel au^finbig 
ju machen, um ba^ @iüd unb bie SBürbe ber t)on ber OcfeQf d^aft 
unterbrüdten Snbiöibuen mit bem Slufred^tl^alten unb Setoa^ren 
biefer felben ©efeltfcl^aft ju berföl^nen. @ie ift gleid^faQg in 
il^rem Siedet, njcnn [ie il^rem Briefe an 9iifarb (bem legten in 
„Lettres d'un voyageur") bel^au:ptet, nur bie ©l^emänner, nid^t aber 
bie @^e atö (Sefeltfd^aft^einrid^tung, angegriffen ju l^aben. ©ie 
trat ja aud^ ate ©rjäl^ter unb $ßf^d|oIog, nid^t aU 9lcformator 
auf. §ier tt)ie in ,,SßaIentine" toaren e§ bie SJBärmc unb ber I^rifc^e 
ging ber Sugenb, bereu fd^tt)ärmerifd^e @igenfd^aften unb begeifterte 
5(5rotefte, tva^ btn Snl^alt be§ 3fioman^ au^mac^te ; e^ njaren lauter 
©eelengefd^id^ten, nur tt)enig t)on ^erfonen l^anbelnb; aber bennod^ 
ujar in bem SBefen ber (Sefü^te, in il^rem gauj unfriöolen unb 
tro^bem ber ©efellfd^aft tt)iberftreitenben ©^arafter, unb ttod^ mel^r 
in htn eingeftreuten Steftefionen ettüa^, ba^ bie alte JDrbnung er- 
fd^ütterte: ©^ toax be^^alb gerabe nid^t lauter I^orl^eit, toenn 
öon feiten be§ Seftel^enben biefe S3üd|er unb il^re SSerfafferin jum 
®egenftanb brutaler Singriffe gemad^t »urbeu- ÜKan al^nte, ba§ 
biefe ®efü]^le nnb Oebanfen frül^er ober f:päter bie " ®efe|e ber 
©efettfc^aft felbft umformen müßten. @ie l^aben bereite bcmt 
begonnen unb ujerben e^ jeben Sag mel^r tl^un. 

Sogar ber Sbeali^mu^ biefer SBüd^er mad^t fie in il^rem 
innerften SBefen reöolutionär. 2)enn inbem für bie SSerfafferin 
nur bie innere SBelt ejiftiert, lä^t fie biefelbe fic^ frei entfalten, 
ol^ne JRüdffic^t barauf ju nehmen, ba§ iie äußere baburd^ ge* 
fprengt toirb; unb inbem fie mit SBortiebe ejattierte ©efül^te maß 
— ober eigentlid^ nur ein einjigeg, aber unenblid^ öerfd^iebenartige^ 
(Scfü^l: bie Siebe ~ jeigt fie, toie bereu ®efe^e bie ®efe|e ber 
©efeUfd^aft unaufl^örtid^ freujen. Dbfd^on fie bie 9lotn)enbig!eit 
unb Unerfe^lid^feit ber @^e in unfern Xagen nid|t in 3^^if^t ä^^^r 
untergräbt fie bod^ ben ®laubcn an bereu ©töigfeit. SBol^l uja^r, 



(Keorge 5anb. . 155 



fie rid^tet il^ren Singriff öon Sittfang an nur gegen bie ©l^emänner; 
aber inbem fie eine ibeale x^oxbtxnuQ ftellt, ertoeift fid^ biefelbe 
unter ber gegenwärtigen ©efeUfd^aft^orbnung ate unerfüllbar. So 
ungefäl^r untergräbt in 2)änemarf fpäter Süerfegaarb ha^ ß^riften= 
tum, ha er, um bie 3Äenf(^en für baöfetbe ju begeiftem, bie ibeat 
überf:pannte gorberung für hzn ßl^riften auf ftellt. 

2)er moberne franjöfifd^e 9iaturali§mu^, toetd^er oft unter mel^r 
ober njeniger grunblofen Slnf tagen ber Smmoralität leiben mu^te, ^at 
fic^ ju räd^en gefud^t, inbem er bie 93efd^ulbigung ber Unfittlid^feit 
auf bie fd^ioärmerifdien erften SBerfe ®eorge ©anb'^ jurüdn^arf. 
SBann immer 3ola feine (Sinn^enbungen gegen btn ibealiftifd^en 
Sloman toieber^olt, üergi^t er niemals barauf aufmerffam ju mad^en, 
loelc^e ©efa^ren für gamilie unb Siefellfd^aft eg mit fidlj bringe, 
loenn ba^ 3nbit)tbuum fid^ bem angemeffenen Stammen nid^t fügen 
miß unb oeftänbig nad^ größerer feelifd^er unb geiftiger grei^eit 
brängt 3^1^ t^wt fid^ etma^ barauf ju gute, bafe er feine^teifö 
bie ungebunbene Siebe^leibenfd^aft niematö in einem fd^önen ober 
öerlodEenben ßid^te fd^ilbert, fonbern fie ftet^ in ben Sd^lamm 
^inab |)Iatfd^en läßt (£r l^ätte l^injufügen fönnen, ba^ er unb 
alle ?lad^fo1[ger au§ S3atjac^ @d^ule überhaupt niemals eine 
P^ere 9Roral braud^en, atö bie eben gang unb gebe ift,*nod^ 
jemals |)inblid auf eine anbere ©ejellfd^aft nel^men afö auf bie 
beftel^enbe. . Sie l^aben fid^ einer gen^altfamen ©elbfteinfd^ränfung 
unternjorfen, inbem fie fid^ an bie Sd^ilberung ber t)on i^nen beob^ 
ad^teten äuj^eren SBirflid^feit gebunben unb alle au§ biefer Sd^ilbe^ 
rung ju jiel^enben @d^lu§folgerungen verbannt .^aben. |)ierauf 
beruht e^, baj3 fie, bei aller ÄedEl^eit in Slu^malung t)on ©efell- 
fd^aftgöerpltniffen unb Situationen, meldte bie frühere Sitteratur 
feiten fo ju bel^anbeln toagte, ebenfo furd^tfam toie nid^t^fagenb 
afö Genfer unb 3Roraliften".finb. @ie fud^en notmenbigertoeife 

f ff * j 

i^re (Stärfe barin, beftänbig auf il^re Ubereinftimmung ntit ben 
üblid^en 3Äoralbegriffen l^ujutoeifen; fie rül^men "fid^, ha^ atö 



156 I)ie tomantifdie Bd^ult in ^Ftattkteid). 



fiaftcr ju bctrad^tcn, toa^ aUc anbrcn gleid^fallS fiafter nennen, 
unb bagegen ?lbf d^en einjnflöfecn. @ie finb nid^t ipie jene 8un== 
bcrin ®corge @anb. ^oi) tüag enblid^ ju fagen an bcr Stxt, 
iftf i^ö§ gerabe bie ,,2WoraIität" ber natnraltftifd^cn ©d^ufe il^re 
|)oett{d^e ©d^tüöd^e, nnb gerabe jene „3nimoraßtät" bie ftarfe ©ehe 
üon ®eorge @anb'§ @d^riften ift, locld^e in ber ©d^ilberung fo 
tüeit mel^r abftraft nnb mit fenfd^er finb. 3n ben anfd^einenb fo 
üern?egeneri SSüd^ern ber realiftifd^en ©d^nle lommt fein einjigcr 
@a| t)or, ber, toa^ tüal^rl^afte aSertücgenl^cit anbelangt, mit bm 
folgenben üerglid^en ttjerben fann, loeld^en ®eorgc ©anb in „§orace" 
einer ber §an|)t|)erfonen in ben 9Rnnb gelegt l^at nnb ipeld^er mit 
mnftergiltiger Süirje bie SWoratpl^ilojop^ie ber fieibenfd^aft in il^ren 
aSerfen jnfammenfajst: „3d^ gtanbe, ba§ man biejenige Siebe, 
ttjeld^e ergebt nnb nn^ bnx6) fd^öne Oefül^Ie nnb ®ebanfen ftärft, 
aU eine eble ßeibenfd^aft befinieren fann — biejenige Siebe, toelc^e 
cgoiftifd^ nnb feige mad^t nnb nng allen SÜeinlid^feiten preiggiebt, 
afö eine fd^Ied^te ßeibenfd^aft Sebe ßeibenfd^aft ift bemnad^ gefe^Iic^ 
ober öerbred^erif d^ , je nad^bem fie ba^ eine ober ba§ anbere SRe^ 
fuftat mit fid^ bringt, gleid^biel ob bie offigielle ©efeUfd^aft, »elc^e 
bod^ nid^t ba§ l^öd^fte ©erid^t ber SRenfd^l^eit ift, jnloeilen 
bie fd^Ied^te Seibenfd^aft legitimiert nnb bie gute in bie Slc^t 
erflärt." 

„ß«ia" unb „3acque§" (1833 unb 1834) bejeid^nen ben ^ö^e^- 
|)unft t)on bem 93t|ronfd^en SBeltfd^merj ber SJid^terin unb öon 
i^rem beflamatorifd^en |)ang. Sn Ziiia tooHte fie il^r Sugenbibeal üon 
ber groJ3cn, tief, bod^ nid^t finnlid^ .fü^Ienben grau geben, tüäl^renb 
fie in bereu ©d^tüefter ^uld^eria, einer itpijigen Sourtifane, bag 
©egenbilb öon il^r auffteKte. ®corge (Banb fd^ieb l^ier bie beiben 
Seiten il^reg SBefen^ unb formte Silia nad^ bem äRinerbabilbe in 
i^rer eigenen ©eele, »ä^renb ^uld^eria il^rem eigenen SSenugfuItu^ 
entfprad^; auf biefe SBeife brad^tc fie el^er grofee ffijjierte Symbole, 
afe 9Renfc^en bon gteifd^ unb 93rut ^erüor, 3n „3acque§" fafete 



(Seocge Janb. 157 



fic ba^ ®]^cftanbgprobIcm öon einer neuen ©eite an, inbem fie, bie 
in ,,3nbiana" einen brutalen, in „SSalentine" einen falten unb 
gefd^Iiffenen Seemann gefd^ilbert, benfelben l^ier mit jenen aSoII== 
fommenl^eiten au^ftattete, tpeld^e il^r afö bie* pd^ften üorfd^loebten, 
unb fein (Slütf an eben biefer Überlegenl^eit feiner SKatur ftranben 
Iie§, für bie feine jugenblid^ unbebeutenbe (Sattin nid^t auf bie 
5)auer Siebe fül^Ien fann, S)ie SJid^terin berfud^te l^ier ben @in* 
brudE il^rer eigenen Slufd^auung^loeife ju öerftärfen, inbem fie bie= 
fette bem gefränften Sl^emann in beh Sfeunb legt @r felbft ent^ 
fd^ulhigt feine Oema^Iin: „Äein menfd^Iid^eg ®efd^ö|)f fann über 
bie ßiebe gebieten, unb niemanb ift fd^ulbig, tüenn er fie fü^ft 
ober entbel^rt. SBa^ bie g^au emiebrigt, ift bie ßüge; n^a^ ben 
S^ebrud^ fonftituiert, ift nid^t bie ©tunbe, loeld^e fie bem ®e^ 
liebten gettJäl^rt, fonbern bie SRad^t, bie fie banad^ mit il^rem SRanne 
jubringt" 3acque§ fiil^It fid^ t)er|)flid^tet, ben ^la^ ju räumen: 
„Sorctan meiner ©teile toürbe ru^ig feine g^au ge|)rüge(t ^aben 
unb nidt|t errötet fein, fie bann in feine Slrme aufjunel^men, ent== 
toürbigt üon feinen ©dalägen unb feinen fiüffen, @^ giebt SWönner, 
bie ol^ne ineitereg nad^ orientatifd^er SWanier il^re treulofe ®attin 
totfc^Iagen, tüeil fie biefetbe ate gefefelid^e^ Eigentum betrad^ten. 
Slnbere f dalagen fid^ mit il^rem SKebenbul^Ier, töten ober entfernen 
il^n unb bitten afebann bie ^xan, tüeld^e fie ju lieben bel^au^)ten, 
um Mffe unb Siebfofungen, loäl^renb biefe entttjeber öoff ©d^redEen 
fid^ jurüdEjie^t ober in SSerstoeiftung fid^ l^ingiebt, ®ieg ift in 
ber el^elidtien ßiebe gemeinigüd^ bie Slrt ju l^anbeln, unb mir fommt 
e§ t)or, ate ob bie Siebe ber ©d^loeine ttjeniger niebrig unb toeniger 
grob fei atö biejenige fold^er SJienfd^en," ®iefe SBal^rl^eiten, toeld^e 
für unfere heutige gebilbete SBelt afö elementare baftel^en, maren 
t)or fünf jig Salären l^immelfd^reienbe ©o^jl^i^men, ©ie finb ba^ * 
©alj, ttjeld^e^ biefe Sugenbtoerfe frifd^ erl^ält trofe alf be§ SSer^ 
atteten in ber ©rfinbung unb alter SBeitläufigfeit in ber ermübenben 
Sriefform, 



/ 



158 50 tc tott!anttfd)c 5d)ulc tn irankreld). 



. ®ag l^cröorragcnbfte SRerfmal, wcki^eg bie Überfpauntl^eit be§ 
gtomanti^mug fid) in biefem 93ucl^c fefetc, ift bie ©ci^Iujsfataftropl^c: 
3acqueg tücife fein beffere^ aRittcI, gernanbe ju befreien, afö ben ©elbft^ 
morb , ber für fic ben* §tnf d^ein eine^ juf öKigen lobeö l^aben f od.. 
'|)iemtit finb tt)ir in bie- pure Unttjirflid^feit l^ineinberfe^t. ®oc^ im 
übrigen ift bie UntPirHid^feit in biefem 9ioman ntel^r fdjeinbar atö 
real. 3)ie moberne @(i)ute l^at gut ben Sßangel an örtlid^er 93e^ 
ftimmt^eit, an njirflid^cr SSefd^äftigung u. f. tt). nad^wcifen — bie 
5ßerfonen in ®eorge Sanb'g erften 9iomanen l^aben feine anbere 
Sefd^äftigung afö bie, ju lieben, ©od^ bie SBirffid^feit,- toeld^e 
•fid^ l^ier üorfinbet, ift eine innere, bie SBirflid^feit ber (Sefü^lc. 
9lud^ biefe I)at man in unfern S^agen beftritten. (S^ gefjört jum 
Zorif ®efä^Ie tpie bie l^ier gef d^ilberten , eine fo heftige SSerjtpeif^ 
lung über bie ÖJefellfd^aft^orbnung, eine fo leibenfd^aftlid^e erotifd^e 
3ärtlid^feit, ein fo reinem unb glül^enbe^ ^^eunbfd^aftögefül^I jttji* 
fd|en SRann unb %xa\i unnatürlid^ unb unttjirflid^ ju fiitben.^ 
Slttein man mujs bebenfen, baJ3 ®eorge @anb'§ ^erf onen fid^ l^oc^ 
über bag ©urd^fd^nittgmajs ergeben, ©ic fd^itbert überlegene 
Staturen; ja, fie l^at in biefen Sudlern eigentlid^ .nid^t^ anbreg gc* 
geben atö bie ^f^d^ologie il^rer eigenen ©efü^tötoelt. @ie* variiert 
nur unaufj^örlid^ bie Umftänbe, in ttjeld^en fie itire eigenen ©efül^fö^ 
anlagen anbritfgt, unb jie^t fo mit genialer ©elbftbeobad^tung^gabe 
unb fid^rer ^ani bie pf^d^ologifd^en ^onfequenjen. SnteVeffant ift 



^ ©rnile 3oItx fcffretbt tjon ben ^^erfoncn in „SacqucS" (Documentß 
litt^raires @. 222): „^dj fann hk ^ir!ung nid^t QUgbrüden, toeld^e folc^e giguten 
auf mid^ ma6)m: fie t)crh)irren niid^,Jie überraf(i^en*mi(i^, aI8 l^ätten fie eine 
SSctte eingegangen, auf ben ^önben ju gelten. 3cf| tjerftcl^c nichts öon t^rcn 
Etagen, nid)tS tjon i^rer emigen S3itter!eit. Über toa^ bef lagen fie fid^? loae 
ttJoHen fic? ©ie nel^nten ba§ Sebcn öon ber öerfel^rten Seite; cS ift ba^cr 
natürli(i^, baß fic nnglücflid^ finb. ©Jürfüd^ertoeife ift ba^ lieben ein bcffercS 
9Wäbd)en. SJian ftjirb immer mit il^m einig, mcnn man ®utmütigfeit genug l^at, 
fid^ in bie unangencl^mcn ©tunben ju finbcn." S^Ici jeid^net in biefcr Äari= 
!atur öon George ©anb fein cigneS 93ilb ober öielmel^r feine eigne Äarifatur; 
benn fo fpießbürgerlid^ ift er geioiß nid^t. 



(Seotge Janb. 159 



cg ju feigen, tpic in biefcn 3ugcnbn?erfen ba^ Beftänbigc Seinen, 
einen ebenbürtigen SDlanne^geift ju finben, fie bal^inf ül^rt, gleid^fam 
fid^ felbft in jtüei Oefd^Ied^tern jn berboppeln, ®o leibcnfcl^aftücl^ 
.fie and^ bie Siebe öerl^errlidit, fo ftar! fie anä) ba^ Seelenleben 
ber Tbebentenben gran nnb be^ großen Sßanne^ baöon übemättigt 
fein W§t, fo ^egen fie bod^ beibe, SacqneS foipol^l toie Zilia, ein 
grö^ere^, ibeatere^ greunbfd^aftögefü^I ju einem SBefen bt§ onbem 
©efd^Ie^tcg, ba^ fie üerfte^t 3m SSergleid^ mit biefem ©efül^I 
tiefen gegenfeitigen SSerfte^en^ fd^eint ba^ ßiebe^öerl^ältnig SÖia^ 
ju St^nip, ba^jenige 3acqne^' gn gemanbe nur eine ©d^tuäd^e 
bief er großen *®eelen, 2iüa ^at in S^renmor einen greunb , ber 
fie öerftel^t, 3acque§ eine ebenbürtige greunbin in ©^töid. @r 
tofirbe fie lieben, tpenn fie nid^t feine ^albfd^tüefter märe, ober 
öielnte^t menn er nid^t ®runb jur 93efürd^tung l^ätte, ba^ fie eg 
fei; aber mie ia^ SSerJ^äftniö ift, l^at e§ eine ©d^ön^eit in fid^, 
bie bloS erotifd^e Sejiel^ungen faum erreid^en fönnten. 3dE) ent= 
finne mid^ beutüd^, metd^' mäd^tigen ©inbrud bag SSerl^ättni^ 
itoifd^en Sacque^ unb ©^toia auf mid^ mad^te, afe id^ bag 93ud^ 
}um erften 3RaIe las. SBöl^I fal^ id^, ba§ 3acque§ big ju einem 
gemiffen ®rabe unmirflid^ ift, ©^lüia beSgleid^en, benn fie ift nur 
feine Vertraute, bie il^n berftel^t; aber, ber ibeale ©trom jmifd^en 
i^nen l^at feine SBirKid^feit unb berül^rte mid^ eleftrifd^. ®iefe 
@^It)ia ift erftanben auf ben 9iotfd^rei, meldten ber geniale ®eift 
l^inauS in bie teere SBelt* nad^ feineSgleid^en fanbte; i^re ®eftaß 
ift fidler nid^ts meiter aU bai ^oftulat beS grojsen, einfamen 
^erjenS — aber mag ift bie ^oefie anbereg! @o unboKfommen 
ber SRoman aud^ ift, bag SSerl^öttnig jmifd^en Sacqueg unb @^It)ia 
öerleil^t i^m eine fd^immembe ^oefie; eg ift afö fd^aue man über 
bie niebrige SBelt ber ßeibenfd^aften tjinein in eine. I^öl^ere, mo 
reinere, menn aud^ fonft irbifd^e ®eifter einanber lieben unb t)er^ 
ftel^en. 

giguren mie biefe iKuftrieren btn lebenbigen f5reunbfdE)aftg= 



160 I)ie rotnattttfdie Sd)uU in ^Frankreid). 



trieb, todä)tn Ocorge ©anb in jenen lagen befafe, unb meld^er fo 
ganj ber ®eift ber rontantifd^en 3ugenb war, 3^re auf bie erfte 
9fiomangrup|)e folgenben „Lettres d'un voyageur*^, bie unmittelbar 
nad^ bem Slbfd^iebe öon Sttfreb be SRuffet in SSenebig beginnen 
unb fidti über bie folgenben 3al^re erftreden, genjäl^ren einen (Sin^ 
blid in i^re greunbjd^aftgüerbinbungen unb finb überl^aupt eine^ 
üon ben S33erfen, in loetd^en bie SJid^teri'n il^r Seelenleben am offen- 
^erjigften preisgegeben, obfd^on fie fid^ l^infid^tlid^ aller iJerfönlid^en 
Slngelegenl^eiten einer 3i^riidEl^aItung beffei^igt, toeld^e bie ©arftetlimg 
für ben Uneingeroeil^ten bunf et mad^t . 2Ran folgt il^r in biefem SBerf 
t)on i^rem Qufantmenleben mit bem f d^önen, bod^ bummen itaüenifd^en 
Slrjte (Dr. 5ßageKo), um beffenttoiHen fie SRuffet o|)ferte, bi§ ju 
il^rer ©d^ttjärmerei für Süerarb (äRid^el be 95ourge§, il^r Slbb.ofat 
im ©d^eibung^pro^effe), burd^ toetd^e fie fid^ ju bem fd^önen Slomane 
„©imon" infpiriert fül^Ite. 3^i|^^" bk\m Slnfangg* unb ®nb== 
punften liegen aK' bie guten unb l^erjlid^en 5^^^^i>|cl^öft^ö^^oi= 
bungen mit g^an^oig SioHinat, 3uleg 9?iraub unb toie fie alle 
l^iejsen, mit benen (Sebanfen unb Sriefe au^jutaufd^en fie beftänbig 
fid^ gebrängt fül^ße, mit benen fie ftubierte, öon benen fie fid^ be= 
leieren lie§, * unb bie fie in bem burfd^üof en ©til be§ Siomantömu^ 
mit bem üertraulid^en ®u anfprad^ — femer alle bie ed^t fünft- 
lerifd^en Äcümerab|d^aft§t)erl^ältniffe ju granj Sifjt, Oräfin K?lgouIt, 
SDletierbeer unb üielen Slnberen, ben genialen SRännem unb ^^auen 
unter il^ren ^^i^S^^offen, 

3n feinem anberen SBerfe ift fie fo berebfam, in feinem an=^ 
bereu ftrömt i^r SSortrag in fo boCen, I^rifd^^rl^etorifd^en SBogen, 
9?irgenb§ fann man beffer atö l^ier il^ren I^rifd^en ©til ftubieren — 
jenen, toeld^er fid^ au^er^alb ber bialogifierten 5ßartien in il^ren 
9iomanen ju erfennen giebt, S)a§ SSoßtönige ift i^re ^aupteigen^ 
fd^aft ®er @til -roKt ba^in in langen, fd^önen 9il^t|tl^men, gfeid§^ 
mä^ig in feinem ©infen unb Steigen, fingenb in feinem ©d^märmen, 
^armonifd^ fogar im Slu^brudE ber SSerjioeiftung unb be^ ©elbft:» 



(George Sanb, 161 



aufgebend. ®a§ angeborene Oleid^getüid^t il^rer ©ecle f|)iegcü ftd^ 
in bem @6enniaJ3 biefer @ä^e: niemate ein ©d^rei, tin @toJ3, 
ein Stnffal^ren int Stil @r ^at ©d^mnng, er fliegt anf breiten 
gliigeln — bod^ tpeber ein @))rnng nod^ ein @tnrj* @r entbel^rt bcr 
äKelobie, aber reid^e |)arntönien bnrd^Kingen il^n; er cntbel^rt ber 
garbe, aber feine ^eid^nung ^at bie boKe ©d^önl^eit beg Sinienfpiefeg, 
9?ieniafö tnirft ®eorge @anb bnrd^ eine nngetPdl^nte ober fnl^ne 
SBorterfinbnng,, fetten ober nie bnrd^ ein anffaKenbeö SSitb. @o 
tpenig il^r SSortrag fd^reienbe löne ^at, fo toenig jeigen i^re Silber 
ftarfe ober grede garben. Sie iftroniantifd^ burd^ il^ren @ntl^n== 
\iQßmn^, bnrd^ bie SIrt, tt)ie fie fid^ mit i^rer ganzen 5ßerfönlid^!eit 
©efül^Ien l^ingiebt, toeld^e aikn SRegeln nnb jeber 9iomt trogen; 
. aber fie ift nad^ ftrengftent begriff Kafftfd^ burd^ bie 9fiegelmä^ig= 
feit i^rer ^erioben, bnrd^ bie abftrafte ©d^ön^eit ber gomt nnb 
bie 9JiäJ3igfeit im ©ebrand^ ber gärbe.^ 

®ie ©riefe an^ SSenebig nnb nod^ • mel^r biejenigen an§ ber 
3eit feit il^rer Sfiüdfnnft nad^ ^ranfreid^ jeigen Sebem, ber gn 
' lefen öerftel^t, toie gebemütigt (Seorge* @anb bnrd^ SRnffet^ SSerInft 
toar, toie f el^r e§ i^r jn $er jen ging, anf i^n öerjid^ten jn muffen, 
2)a§ SSer^ältnig ift in „Elle et lui", ber ettt)a ätoanjig 3a^re f^jäter 
gegebenen SiarfteÖnng, jnred^tgelegt* Oetoi^ gab eg 3^ite^f ^^ ^^^ 
©efü^I, t)or Sel^nfnd^t, ©dE)am ünb Änmmer öergel^en jn muffen, fie 
bnrd^brang. 3n einem SBriefe an SioDKnat an§ bem Saläre 1835 
finbe idt| einen bejeid^nenben, fo öiel id^ toeijs, big je^t überfel^enen 
^affng, ber nid^t ol^ne Slnmnt ift nnb jngleid^ ein 35ef enntnig entl^ält: 

„^'6v' eine ®efd^id^te nnb toeine! (£§ toar einmal ein großer 
tünftler 9lamen§ SBatelet, ber beffer rabierte ate irgenb ein anberer 
SKann feiner Qtxt @r ikhtt Marguerite Le Conte nnb leierte fie 



^ Scibft ber pxin^ipieUe ®egnct beg SRontantigmuS unb ©eorge ©anb'§, 
Smilc 3oItt, ift genötigt, ©eorge @anb jugugeftel^en: „L'äme romantique 
animait ses cr^ations, mais le style restait classique." Documents litt^- 
raires p. 217. 

»ranbes, ßtttcraturöcf(^. be8 19. 3a^r^. V. 11 



162 I)t( romanttfdie 3d^nit in itankreiit). 

eben fo gut ju rabteren toie er fetbft. @ie üerße§ il^ren 3Kann, il^r 
S3eft|tum, il^re §eimat, um mit SBatetet äujammen ju leben. 
®ie SBelt üerbammte bie 93eiben, aber ba fie arm unb befd^eibcn 
tparen, öerga^ man fie. SSierjig Saläre bamad^ entbedfte man in 
ber Umgebung bon ^ari^, in einem Meinen §aufe, Mouün-Joli gc^ 
nannt, einen alten Sßann, ber rabierte, unb eine alte grau, bie 
er feine SDlüKerin nannte, unb bie gleid^ il^m ä|te, beibe an bem^ 
felben Sifd^e fi|enb. ®er erfte 9Kü§iggänger, ttjeld^er biefeö 333unber 
aufjpürte, ergäl^Ite Slnberen baöon. ®ie feine SBeft ftrömte l^aufen^ 
toeife tierbei, ba^ Slu^erorbentlicl^e ju fe^en: eine Siebe^derbinbung, 
toeld^e öierjig Saläre l^inburd^ gett)äl^rt l^atte; eine Slrbeit, bie 
beftänbig mit bem gleid^en gfeijs unb bem gleid^en Sifer betrieben 
tDurbe; jtüei jd^öne ^^iHinggtalente, S)ieg madite auffeilen — 
3um &iM, benn bie SBeft tpürbe SlUe^ derborben l^aben, ftarb 
ba^ ^aar tüenige Sage barnad^ an Sllter^fd^mäcl^e. ®ag Ie|te Statt, 
todd)t^ fie rabierten, ftettte Moulin- Joli üor, SJtargueriteö §au§ .... 
Sn meinem ^ii^wter l^ängt ein ^orträt, beffen Original SHemonb 
l^ier gefeiten. @in Sal^r l^inburd^ l^at ber, tneld^er mir bieg SBiO) 
jurüdlieg, jebe ^aä)t mit mir an bem Keinen Zx\ä) gefeffen unb 

t)on berfelben Slrbeit gelebt inie id^ 93ei SCageögrauen legten 

tüir einanber unfere Slrbeit ju gegenseitiger Beurteilung üor, 
be§ Slbenb^ fpeiften tüir an bemfelben Meinen lifd^ unb f|)rad§en 
t)on ^nft, t)on (Sefül^Ien, üon ber Bi^h^^^ft- ®ie S^ft^i^ft ^^^ ^^^ 
i^x äöort gebrod^en. S3ete für mid^, Marguerite Le Conte!" 

®iefe ©teile bürfte bie einjige fein, tno George @anb ha^ 
S3efenntni§ ablegt, fie l^abe in il^rer ©igenfd^aft afö S)ic^terin 
SRuffet Sttpa^ ju berbanfen. Sd^ l^obe bereite angebeutet, bon 
toeld^er S3efd^affenl^eit fein @influ§ auf fie gett)efen ift; berfelbe xoax 
rein fritifd^, er fd^ärfte il^ren ©d^ön^eit^finn, aber beftimmenb tonnte 
5!Äuffet§ fünftlerifd^e Slrt nid^t auf fie eintoirfen. gür bire!ten 
ftiliftifd^en @influ§ blieb George @anb abfolut unentpfänglid^. 9Ra^ 
bame be®irarbing tpi^iger Slu^fprud^ über fie: „93efonberg »enn üon 



(Seütge Janb. 168 



bcn SBctfcn lDei6fid^cr ©d^riftftellcr bie 9iebc ift> fann man mit 

99uffon aufrufen: bcr @til, ba^ ift ber 9Rann", ift genau cbenfo 

falfd^ loic crgöfetid^; bcnn objd^on faft jeber üon ®corgc ©anb'g 

^Romanen butd^ fein berjd^iebcnartige^ (Se|)räge ben SBcd^fel männ= 

Kd^en (Sinftufje^ jcigt, fo crftredt fid^ bicfc ©intüirfting boä) nicmafö 

auf ben @tiL * Oeorgc ©anb madt|t ftd^ ttjieber unb loicber jum 

Drgan für Sbccn Slnbcrcr, niemals aber atimt fie eine frembe 

©d^reibtüeife nad^, S)afür loar i^r |)oetifd^eg SBefen ju felbftänbig 

unb baffir tüar fie au^erbem in p geringem ®rabe ^ünftferin. 

®ie, hk münblid^ fo iportfarge, fo langfame, ttjar, ipenn fie fd^rieb, 

eine Smpromfatrice, fie liejs bie geber über baS ^apkx fliegen, 

ol^ne SSorftubien gefammelt, pl^ne Sßorbilber ju l^aben, ol^ne ein be^ 

tt)u§teg fiinftlerifd^eS 3^^!- ®ö tbtnxQ fie jematö einen gegebenen 

©toff verarbeiten fonnte, fo tnenig öermod^te fie, eine öon Slnbercn 

begonnene, l^albau^gefül^rte ftiliftifd^e SBenbung ju überarbeiten ober 

gu bollenben — SRomente, auf benen ber rein ted^nifd^e gottfd^ritt 

in einer Äunft berul^t. |)ierin bilbet fie einen fd^arfen (Scgenfafe 

gerabe ju SJhiffet. @r toar öon Slnfang an don einem Iro^ gegen 

alle ted^nifd^en unb. fünftlerifd^en Siegeln befeeft, ber il^r gängfid^ 

f remb toar, @r berf d^Ied^terte j» 93. abfid^tUd^ bie 9ieime in • feinen 

crften (Sebid^ten, um bie Älaffifer red^t grünbtid^ ju ärgern. (®ie 

9Jiarquife in „L'Andalouse" l^ie§ in ben erften SluSgaben Amaemoni, 

toa^ franjöfifd^ einen rid^tigcn 9ieim auf bruni bilbet; in bem enb^ 

gültigen Jejrt l^ingegen erl^ielt fie im Flamen Amaßgui, »aS faum 

mel^r für einen 9ieim gelten fann.) Slfö gegen ba§ @nbe fetner 

(Sd^riftftcÖertl^ätigfeit feine ^robuftionSfraft im Slbnel^men toar, 

mad^te er in htm Meinen Suftfpiel „On ne saurait penser k tout" 

®ebrau^ öon üoöen fieben Seiten au§ ©armonteUe'g 5ßrot)erbe 

.,Le distrait"; unb felbft in feiner beften 3^i^ öerfd^mäl^te er 

nid^t, bie SBenbung irgenb einer ^eriobenform, bie er bei einem 

Slnberen dorgefunben, in feinerer SBeife gu benü^en; fo entbedEe id^ 

in ben SBerfen be§ gürften von Signe ein ftiliftifd^eS SSorbilb für 

11* 



164 Die romatttifdie Sdiule in ftankretd). 



baS frül^er angcfül^rtc fd^önc ®cbid^t „Aprös une lecture".^ S5ci 
®corgc @anb ifl e^ umnögfid^ bcrgleid^cn ju ftnbcn, 3l^r tft bic 
®abe ntd^t ücrlicl^cn, bic rollen Diamanten STnbcrer ju einem SriHant* 
fd^mud für il^re SWufe jured^t jujd^Ieifen ; im einfad^en toeigen ®e= 
loanbc, mit einer SBiejenblnme im §aar, tritt htx i^x bie 9)hjfe qnf. 
9iirgenb§ ift bie eigentümlid^e ©d^önl^eit il^reg @til^ l^er^^ 
getoinnenber afö in bem ertoäl^nten S3rief an SRoHinat $ier fd^milgt 
bei biefem loeiblid^en (SeninS ber (Seifte^reüolutionen ba§ tiefe SBer* 
ftänbniS be§ 9?atnrfinbe§ njnnberbar jufammen mit bem etoigen 
©eignen ; nnb bnrd) bie ©e^njnd^t nad^ ber SKatnr unb bem ©rang 
nad^ ®iM flingt ba^ Iranerlieb be§ liebenben ^erjenS über bie 
länfd^nngen, tpeld^e e§ Slnberen bereitete nnb bon i^nen erlitt. 
|)ier nnb in bem folgenben S3rief an Everard gen)a^rt man femer, 
mit (Seorge QanV^ politifd^er, repnblifanifd^er ®Ianbe an§ ben 
9ininen ber ßnftfd^föffer erfte^t, bie fie in il^ren erotifd^en Sngenb* 
tränmen erbante. SSon Slnfang an ift fie fd^tnad^ im ÖJIanben, ju 
fe^r t)on fid^ felbft eingenommen. SBol^I loal^r, ber arme 5ßoet 
f,^nf)tt fid^ fd^Iimm jn SJtnte nnter bem 9iegenfd^irm beS Äönig* 
tnmg"; fie bagegen intereffierte fid^ alg Did^terin für bie gorm ber 
SBeifd^en^ nnb 3aMinbIüten faft ebenfo fel^r toie für bie fojialen unb 

^ S)et gürft öon öigne fpric^t öon ben ©igenfd^aften beS cd^ten ^eger§, 
tüte SJhtffct öon bencn beg ed^ten 3)i(i^terS. @g j^cigt l^icr: „Si vous ne r^vez 
pas militaire, si vous ne d^vorez pas les livres et les plans de guerre, 
si vous ne baisez pas les pas des vieuz soldats, si vous ne pleurez pas 
au r^cit de leurs combats, si vous ne mourez pas du d^sir d'en voir et 
de honte de n'en avoir pas vu, quoique ce ne soit pas votre faute, quittez 
vite un habit que vous döshonorez. Si l'exercice mtoe dWe seule 
bataille ne vous transporte pas, si vous ne sentez pas la volonte de vous 
trouver partout, si vous ^tes distrait, si vous ne tremblez pas que la 
pluie n'emp§che votre r^giment de manoeuvrer; donnez y votre place k 
un jeune homme tel que je le veux" u. f. to. 2)ie 5(tt toie 2J^uffet ben S5au 
bcg ^rofaftileg l^ier in bic SBerSfunft überfül^rtc, öerrät feine fänftlcrifc^ 
Mentalität foft no(i^ beutlidöcr al8 eine öötttg freie ftiliftifcfte (Srfinbung e^ ju 
tl^un t)ennöcf|te. — (S§ toax ein SSinI t)on ©niile be aWontegut, ber mic^ auf 
biefc ©teile aufnterffam ntati^te; auf bie SBenü^ung ©armontelleS l^at ?ßaul 
ßinbau in feinem S5ud^ „Sllfrcb be SKuffet" l^ingetoiefcn. 



Äeorge $ant, 165 



pofitifd^cn formen, ®odt| attmäl^Iicl^ fann man crfenncn, loic bcr 
%mtt ber S5cgcifterung in il^rcr S5ruft aufflammt @ic 6eneibet 
il^rc männlid^en grcunbc um il^rcn ®Iau6cn unb um bic l^anbelnbc 
Sl^atfraft, fie, bie „nur ein 5ßoet ift, ba^ l^cifet, nur ein fci^tt)acl^cö 
tociölid^cg S33cfen". S3ci einer 9teüoIution fonntcn bie Slnberen e^ 
erftreben, bem ßiefcl^Ied^te bie greil^eit ju erobern — fie fönnte 
nid^tö ate fid^ tot [dalagen laffen, in ber Hoffnung, jum erften 2RaI 
inil^remfieben einen SRu^en geftiftet ju J^aben, Beftel^' er aud^ b(o§ 
barin, eine S3arrif abe ju errid^ten, fo l^od^ toie il^re Seid^e, Unb 
fie fd^(iej3t: 

,,S3ebarf 3emanb t)on @ud^ mein ßeben in ber ÖJegentoart ober 
3u!unft? SBenn 31^r mir 'otx\pxt6)t, mxä) in ben S)ienft einer 3bee, 
unb nid^t einer Seibenfd^aft ju ftetten, fo bin id^ toiHig, 6urem 
®ebot ju gel^ord^en. Sld^! id^ fag' eg @ud^ öoraug, id^ tauge nur 
baju, einen S3efel^I tapfer unb treu augjufü^ren, 3d^ fann l^an* 
be(n, nid^t überlegen, benn id^ toei^ nid^tg unb bin über nidt|t§ mir 
Kar. 3^ fann nur %otQt leiften, toenn id^ bie Singen fdt|Iie§e unb 
meine Dl^ren berftopfe, bamit id^ nid^t fel^e ober l^öre, toa^ mid^ 
unfid^er mad^t; id^ fann mit meinen ^^eunben marfd^ieren, tt)ie ber 
§unb, njefd^er feinen |)errn auf bem ©d^iffe fortfegeln fielet unb 
fic^ ing SBaffer ftürjt, um il^m ju folgen, bi^.er üo.r ©rmattung 
ftirbt ®a§ SWeer ift grojs, o meine greunbe! unb.id^ bin fd^tt)ad^* 
3d^ tauge nur jum ©olbaten, • aber id^ ^abe nid&t ba^ nötige 2RaJ3 
t)on fünf ^u% — ®od^ gleid^biel! ber S^^^i gel^ört (£ud^ ju. 3d^ 
bin ®uer, meif id^ ©ud^ liebe unb ad^te. 3)ie S33al^rl^eit ift nid^t 
unter ben SWenfd^en, (Sottet 9ieid^ ift nid^t üon biefer SBelt; aber 
toenn ber 9Renfd^ überhaupt ber (Sottl^eit ben ©tra^I ju entmenben 
öermag, ttjeld^er bie S33elt erleud^tet, fo l^abt ^i)x x^n geraubt, ^f)x 
Sinber be^ ^rometl^eu^, 3l^r Siebl^aber ber unbejtnungenen SBal^r^^ 
^eit unb ber unbeugfamen (Sered^tigfeit! SBo^Ian! 3Rag bie garbe 
ßureg 93anner§ ftärfer ober fd^toäd^er fein, wenn @ure ^eerfd^aren 
nur ben SBeg ber republifanifd^en 3^^^^!^ S^^^^ — ^^^^r i^ 



166 IDte tomantifdie Sit)ule in itankreid). 

9?amen 3cfu, bcr jefet nur einen einzigen tt)al)ren 8l|)ofteI auf Srben 
f)at [Samennatö]; im 9iamen aSafl^ington'g unb %xantün'^, bic 
ja nid^t 2lIIe§ t)oK6ringen fonnten unb un§ bt^f)ali ein 3Berf jur 
aSoIIfül^rung l^intertie^en ; int SRamen ©aint^Simon'g, beff en ©öl^nc 
wagen, fid^ auf ia^ erl^abene unb furd^tbare ®efeIIfd^aft§=?ßrobIeiit 
einjulaffen (Oott befd^üfee fiel); ipenn nur ba§ Oute gefd^iel^t unb 

bie, toeld^e glauben, il^ren (Stauben in SBerfen bettjeifen 

id^ bin bIo§ ein amteö ©olbatenfinb, bod^ ne^mt mid^ mit, nel^mt 
mid^ mit!" 

@^ finben fid^ faum in einer anberen Sitteratur fo reine unb 
ed^t tt)eibIidE)e Siujserungen beg @ntl^ufiaMu§. 3n ber beutfd^en 
fönnte man üietteid^t ein ©eitenftüd! baju in 93ettinaö juft in bcm- 
fe(ben 3al^re erfd^ienenen ,,93rieftt)ed^fel Ooetl^e'g mit einem ^nbc" 
finben, ber grud^t einer gleid^fattö überftrömenben Segeifterung; 
bod^ bei Settina i[t ber Slu^brud! nid^t üöHig fo ed^t njie baö ®efü^(, 
unb felbft biefeS l^at engere ®renjen, eg ift mel^r bie reine g^eube 
an ber <Sd)öni)dt Settina ift geiftreid^, il^r ©til bal^er jugefd^liffen 
unb glöuäenb; bei ®corge @anb aber geigt fid^ bie (Sröge felbft 
im 8lu§brudE für ben @ntl^ufia§mu§ ber ttjeiblid^en ©d^toad^l^eit 

@^ tpäl^rte einige Saläre, bi§ bie Stimmungen, tt)eld^e mir l^ier 
in il^r entftel^eu fallen, in S35er!en au^Hingen* SBir »erben f|)äter 
auf biefelben ju fpred^en fommen, §ier wollen toir bei ben 
ruhigeren, rein poetifd^en ©rjäl^Iungen üerloeilen, meldte bie jtoeite 
?ßeriobe il^re§ ®d^riftfteflertum§ auffüllen. 

SSon biefen ftelle id^ in fünftlerifd^er ^tnfid^t bie fleine Sloüeße 
„La Marquise" unbebingt am ^öd^ften; fie bürfte überl^aupt, rein 
fünftlerifd^ betrad^tet, ba^ SSottfommenfte fein, toa^ ®eorge @anb 
gefd^rieben l^at, ^ä) benfe mir, ba§ fie burd^ bie ©rinnerung an il^re 
gute, feine ©ro^mutter fid^ ju biefer (Srjäl^Iung infpiriert fünfte, 
©iefelbe wirft l^inreifeenb burd^ bie Bereinigung be^ ®eifte§ unb 
ber Sitten be§ ad^tjel^nten Sal^r^unbertg mit ber furd^tfamen unb 
fdE)Wärmerifdt|en Srotif be§ neunjel^nten, @§ ift bie einfädle ®e* 



(6tA%e Sanb. 167 



fd^id^tc einer öornel^men ®ame an^ ber Qüt beg alten 9iegime, 
bie fid^ öennä^ft l^at, mie man ftd^ in jener Qüt dermäl^Ite, nnb 
bie bann einen Sieö^aber nal^m, tt)ie eg bamalö ge6ränd^Iid^ 
toar. 9ton longioeift fie ftd^ junt Sterben; nid^t il^r §erj l^atte 
ben ßiebl^aber getoöl^It, bie gange gnte ©ejeUfd^aft l^atte fid^ öielniel^r 
üerfd^tüoren, il^r biefen SWann aufjnbürben. 3ung, unerfahren, 
fd^ön nnb infofem unfd^ulbig, afö fie überl^au|)t nod^ nidE)t§ öon 
ber Siebe tonnte, üerliebt fie fid^ in einen armen, l^alb t)erIom== 
menen ©d^aufpieler, ber üon ben Srettem aus il^r bie 8Serför|)e=» 
rung ebler SRännlid^feit unb 5ßoefie fd^eint. @ie fielet il^n un6e=* 
ad^tet aujserl^alb beS Jl^eaterS unb erfd^ridft über bie beränberte 
2lrt feinet Slugfe^enS; er, bem il^r 3tttereffe für il^n fein (Se= 
l^eimniö bleiben tonnte, f|)iett • einjig für fie unb tröumt nur öon 
il^r, S)ann l^aben fie jum erften unb testen Sßale in fpäter S(benb= 
^tmibt, naä) bem @dE)Iu§ ber SSorftellung, eine ^^^f^i^wienfunft, ju 
tneld^er bie SRarquife fic^ einfinbet, matt infolge eines SlberlaffeS 
om SJormittage, ber @d^auf|)ieler in feinem Sl^eatertoftüme, baS ju 
ttjed^feln er nid^t ^^it gel^abt l^atte, nod^ bel^errfdt|t üon ber Sbealität 
ber SBül^nenfäene , begeiftert, üerfd^önert, geabelt burd^ feine Siebe, 
toeld^e i^n fo ^oij über feine getoöl^nlid^e SebenSf|)^öre erl^ebt, 
@ie ift ehrbar, er öoß ©l^rfurd^t; fie ift berliebt, l^ingeriffen tt)ie 
in emer poetifd^en SKufion, er liebt il^r loirflid^eS SBefen, glü^enb, 
begel^renb, bod^ ritterlid^» 9?ad^ einem ©türme gegenfeitiger 2dh^n^ 
fd^aft enbigt bie Begegnung ol^ne anbere Siebfofung afe einen ßu§, 
ben fie il^m, ipäl^renb er üor il^r fniet, auf bie ©time brüdt, 

„9?un tool^I!" fdE)fieJ3t bie alte 3Rarquife il^re ©rjäl^Iung, 
„glauben @ie jefet, baJ3 eS im ad^tjel^nten Sal^rl^unbert nod^ eine 
lugcnb gab?" — „Sßabame," ertnibert il^r S^^^örer, „id^ l^abe 
nid^t bie geringfte Suft, baran ju jtt)eifeln; inbeS, toenn id^ tt)eniger 
gerül^rt ttjäre, fo ttjürbe id^ mir öietteid^t bie SBemerhtng erlauben, 
baJ3 eS fel^r öerftänbig bon 3l^nen toar, fidti an jenem SSormittag 
jur Slber ju laffen/' — „3i^r pluntpen 3Ränner!" ruft bie 3Äar= 



168 



Die comantifi^e ^i^itle in itonkreü^. 



quifc, „^f)v ocrftcl^t bod^ nicmate ettoaö öon bcr (Scfd^idEite be§ 
iperjcnö." 

®corge @anb ^at nid^tö ©rajiöfcrcö gcf einrieben; bic ©d^cfatcrei 
in bicfcm @cl^fu§, ttjeld^c anä) bcn ocrtoanbtcn, in glcid^em ®rabc 
anmntigcn, tieffinnigen SRoman „Seöerino" ftem|)elt, in i^rer 6r^ 
jöl^IungSineife jeboc^ fonft fetten öorfommt, ift ganj im ©eifte be^ 
ad^tje^nten 3al^rl^nnbertg. Slnd^ bie Ännftf orm l^at l^ier bie in fic§ 
abgef d^foff cne Änap|)]^eit, tt)eld^e in ber Siegel bie SSorbebingnng baffir 
ift ob m SBerf anf bie Siad^toeÖ fommen toirb. „La Marquise" ift 
gefd^affen, nm in jebe Slntl^ologie franjöfifc^er SReiftemerfe auf= 
genommen jn tütvbtn, 

3n einer ganzen Steige nnn folgenber ©d^riften fd^ilbert 
®eorge @anb bie granennatnr, toie fie fid^ biefelbe üorfteHt, tnenn 
fie nnöerborben ift: nämlid^ fenfd^, ftolj, tl^atfeäftig , empfänglich 
für bie fieibenfd^aft ber ßiebe, aber über berfelben ftel^enb nnb 
in berfelben il^re Steinl^eit betoal^renb. (Seme üerleil^t fie ber %T(m 
eine fittlid^e Übertegenl^eit über ben SWann. Dod^ ift and§ bie 
ajianne^natnr, loie fie biefelbe mit Sßorliebe bei il^ren gelben 
barfteHt, in il^rem äöefen gnt, obfd^on fie bei ben l^errfd^enben 
Stoffen burd^ bie angeborene S^rannei, loeld^e fie über bit %x(m 
nnb baö gemeine 9SoH anSübt, getrübt toirb, 

9ionffean§ Übergengnng öon ber nrf|)rüngüd^en ®üte ber 9iatur 
unb ber SJerberbtl^eit ber ÖJefeUfd^aft bilbet bic (Smnbtoge aß' 
biefer ©rjäl^Inngen. granengeftalten loie gi^^»^^^ ^ „Simon", 
(Sbmte in ,,9Kauprat", ßonfncio in bem 9ioman gfeid^en 9lamen§ 
(jn loeld^er ^abamt SSiarbot bis jn einem genjiffen ®rabe ba§ 
SJiobett getoefen ift), finb ber reine Slnöbrud für baS t^|)ifd^e jnngc 
SJiäbd^en bei (Seorge @anb* Sl^re 9iotte ift bie, bm SRann jn be^ 
geiftem, jn l^eilen ober jn erjiel^en, Sie ift ol^ne ©d^toanlen, ii^r 
SBefen ift ^eftigfeit, fie ift bie ^iefterin ber SSatertonböIiebe, ber 
grei^eit, ber Ännft ober ber äi^ißf^tion. Sßon ben genannten 
SRomanen ift „Sonfnelo" ber nmfangreid^fte nnb berül^mtefte; er 



«eorge 5a«b. 169 



beginnt mciflcrl^aft, öcriicrt fid^ a6cr gänjltd^ (toic auel^ mel^rere 
öonSaljac öcrfojstc, nid^t ju reben öon ©uma^' umfangreid^eren 
äBcrfcn) in romantifd^er ©d^toärmctei. 3n ber ^nftanfd^auung 
be^ 3^itoltcr§ lag ja eine SSer jud^ung junt ÜBerfpannten ; nid^t nur 
SSictor §ugo toax eg, ber Beftänbig auf bem Sprunge ftanb, bem 
Unfömtlid^en ju berfallen. 

9?e6en btefen S3üd^em, in loeld^en ba§ junge überlegene äKäbd^en 
atö |)elbin figuriert, [teilen einige anbere, too bie reife g^au bie 
^au^)tperfon ift unb in benen ®eorge ©anb jutoeilen i^r 
eigenes SKatureK me^r bireft bargefteHt l^at ©old^e finb „Le 
Secretaire intime", eine fd^ttjftd^ere arbeit, fotoie „Lucretia Floriani", 
eines ber mertoürbigften ©rgeugniffe il^rer %tbtx, x^nx bie nteiften 
Sefer tpirb eS fid^ tüie ein abfd^redEenbeS ober empörenbeS 
litterarifd^eS ^arabojon ausnehmen; benn eS tüxü bie ©l^rbarleit, 
ja bie ÄeufdE)l^eit einer grau aufredet erl^aften, bie, eine italienifd^e 
©d^aufpielerin unb Sd^aufpietoerfafferin, bier ^inber l^at, »eld^e 
ftd^ JU brei üerfd^iebenen SSätem befennen, Slber eS ift ein S3ud^, 
toefd^eS ha^ fd^mierige Problem, baS bie SSerfafferin fid^ ftettte, ge=^ 
löft l^at: uns einen ©inblid in eine grauennatur ju geben, bie reid^ 
unb gef unb genug ift, immer lieben ju muffen, ebel genug, nie 
l^erabgettJürbigt ju ttjerben,, unb fo fünftlerifd^ angelegt, ia^ fie 
tt^eber in einem einjigen Oefül^Ie fid^ berul^igen jEann, nod^ ba§, felbft 
unter tüieber^otten Xäufd^ungen, ber ©trom il^rer SmpfinbungS* 
fäl^igfeit üerfiegt 

@S ift ®eorge @anb geglüd^t, bieS Problem ju löfen, tpeü fie 
fd^Iid^ttoeg ben ©d^füffel nal^m, ben il^r eigenes S33efen il^r gab» 
äKel^r als einer, ber bie ©erüd^te bon htm regeHofen 2tbtn ber 
©id^terin gel^ört, öon il^ren SSerbinbungen mit SuIeS ©anbeau, 
Sllfreb be-SKuffet, SWid^el be SourgeS, gr^bWc ©l^opin unb einem 
l^alben Du|enb Slnberen, ^at fidler fid^ im ©tiKen gefragt, loie eS 
juging, baj3 fo reine, bei aßer ßeibenfd^aftUd^feit fo abelige S3üd^er 
toie bie übrigen einem fo unorbentfid^en, ja, nad^ ben allgemeinen 



170 Z)ie comanüfi^e Sd^ule in /ronkceiiti. 

■ -■■■■■-■ ■ .1 _,.___ ^ .. , — - 

93cgriffcn, fo untofirbigcn ficbcn cntfpringcn formten. ®corgc @anb 
bcfinicrt il^rc fünfttcrifc^c SSijsbcgicrbe cininat fcIBft: €§ fei il^, tocnn 
öon Kannibalen bie JRcbe gettjcfen, untoißffirlid^ bcr ®eban!e gc* 
fommen, ttjie 9Kenfcl^enf(eifd^ fd^mecfen möge. — SJiand^er mochte 
finben, ba^ bicfer ^orfc^ung^trieb feine t)oIIgüItige ©rflörung fei 
3n „fiucretia gloriani'' gab fie eine erfcl^ö|)fenbe ^f^d^ologie i^reS 
SBcfen^, toie ba^felbe im SHter öon brei^ig 3al^ren ttjar; ic^ toiß 
oerfud^en, biefe ^ßf^d^ologie oug jal^Ireid^en in bem 9toniane jcr* 
ftreut fid^ öorfinbenben ©teilen ju refonftruieren: 

„Sucretia gloriani toax — ttjer foHte eg glauben? — öon 
$Ratur fo fenfd^ tt)ie bie Seele eineö fteinen Sinbeö. 3)aö fimgt, 
id^ geftel^e eg, fel^r ttjunberlid^ öon einer %Tan, bie fo öiel unb fo 
öiele geliebt l^at. ®ö grünbet fid^ toal^rfd^einlid^ barauf, ba^ fie 
in fenfueHer Sejie^ung l^öd^ft fräftig organifiert toar, obfd^on fie 
in ben Singen berjenigen SRänner, toeld^e i^r nid^t gefielen, toie 
6ig erfd^ien. Sn ben feltenen 3tt>if d^enräumen , loo i§r |)erj frei 
toar il^r §im ol^ne Sel^nfud^t getoefen; unb l^ätte man fie ftct^ 
öon bem SlnblidEe be^ anbeten ©cfd^Ied^teö femgel^alteh, fo lourbe 
fie eine öortrefflid^e SRonne abgegeben l^aben, rul^ig unb frifd^. 35a§ 
fotl ]^ei§en, nid^t§ fonnte reiner fein afö il^re ©ebanfen, njenn fie 
allein mar; ttjenn fie aber liebte, ttjar alles, toag nid^t il^r ©eliebtcr 
ttiar, in finnlid^er . ^infid^t für fie, aU ob eg nid^t eyiftierte, leere 
ßuft, baö reine 9iidt|tg/' S)arum fagt fiucretia aud^ oon ber Siebe: 
„3d^ toeiJ3, ba^ man glaubt, fie ftamme öon ben ©innen; aber 
bie§ gilt nid^t für bie begabten grauen, S3ei il^nen ge^t eS öör* 
tt)ärt§ ©d^ritt für ©d^ritt. ©ie bemäd^tigt fid^ juerft be§ ^op^^, 
fie pod^t an bie Jl^üre ber ®inbilbung§fraft; ol^ne ben golbcnen 
©d^lüffel baju fommt fie nidt|t l^ineiu- SSenn fie fid^ jum ^erm 
über bie ^l^antafie gemadt|t, fteigt fie l^inab in unfere ©ingetoeibe, 
fd^leid^t fid^ in alle unfere triebe — unb toir lieben ben SRann, 
ber uns bel^errfd^t, toie einen ®ott, loie ein ^nb, toie einen SJruber, 
toie einen (Satten, toie aöeS, toaS ein SBeib lieben fann." 2)ie 



(Seorge 5anb. 171 



2)ici^terin erffärt, auf tüdd^e Söeife bie erotifd^e SHufton fid| ftetö 
»Ott neuem ber ©eele 2ucretta§ bemächtigen fonnte, öornel^mlid^, toie 
il^re le^te l^eftige Seibenfd^aft ju $rinj ßarol (ßl^opin gab ba§ aKo== 
bell ab) entftanb: ,,®ie Ie|te Siebe j^eint jold^en teid^en Statuten 
immer bie erfte, unb fo öiel ift gett)i§, ba^, toofern ba^ ®efül^t 
fid^ nad^ htm ®rabe ber ®egeifterung meffen Iä|t, fie nie juüor 
fo l^ei§ geliebt l^atte* ®ie SSegeifterung , tueld^e fie für anbere 
3Känner empfunben, toar nur öon furjer ®auer genjefen* 3ene 
l^atten nid^t öerftanben, biefelbe ju unterl^alten ober ju erneuern» 
®ie ßiebe l^atte eine 3^itt^^9 ^i^ Xäufd^ung überlebt; bann n)ar 
bag ©tabium be§ ©betontet, ber gürforge, beg SRitleibg, ber @r^ 
gebung, mit einem SBorte, ba^ ^iabinm be§ mütterlid^en (Sefül^fö 
eingetreten; unb e§ toai faft ein Söunber, ba§ eine Seibenfd^aft, 
ton beginn an fo unoerftänbig, fo lange leben fonnte, obfd^on bie 
SBelt, bie nur nad^ btm ©d^eine rid^tet, erftaunt unb erjümt barüber 
urteilt, biefe grau nun fo plöfelid^, fo unbebingt bred^en ju 
feigen* Sn allen bicfen Seibenfd^aften toar fie !aum ad^t S^age 
l^inburd^ gtüdEIid^ unb üerblenbet gen)efen; unb bauerte bann bie 
obfolute (Srgebung ein ober jn)ei Saläre nad^ ber Siebe, toeld^e fie 
längft als abfurb unb unn)ürbig burd^fd^aut l^atte — toar bie§ 
nid^t eine gro^e Sluf Opferung t)on äKut unb ^aft, ttjeit größer 
ofö baö Dpfer eine§ ganjen SebenS fein n)ürbe, jum 93eften eineS 
S33efen§, ba§ man be§ DpferS für ttjürbig l^ielt?" 

SBir üerftel^en, n)ie Sucretia fid^ immer tokbtx tjon fd^n^ad^en 
äRännern angezogen fül^Ite: il^r unabl^ängiger Sl^arafter im SSerein 
mit il^rem mütterlid^en Snftinft toar e§, ber bieg betoirfte. ®er 
®eban!e, befd^ü^t ju toerben^ blieb il^r unerträglid^; jebegmal 
toenn fie fid^ auf SBefen ftü^en. tooHte, bie ftärfer toaren afö 
fie f elbft, f ül^Itc fie fid^ t)on bereu Äälte jurüdEgefto^en, f o ba§ fie 
bem Glauben jugänglid^ tourbe, Siebe unb ©nergie liefen fid^ 
nur in fold^en §erjen bereinigen, bie fo üiel gelitten l^atten, toie 
il^r eigene^. 



172 I^ie tomanttfiiie ddjule in ^rankteid). 

aSätr feigen • cnbtid^ , toic ba^ Scrl^ältnig ju il^rcn Ätnbcrn — 
bcnn fiucretia ift, gleid^ ®eorge Sanb, bie ücbcüoUftc , jartßd^ftc 
SÄuttcr — auf il^r Siebe^Ieben eintpirfcn mu§ : ,,©ic fül^Itc mütter* 
üd^ für il^rc Sicbl^Qber, o^ne bcöl^alb aufjul^örcn, eine SKutter für 
il^re Ätnber gu fein; unb biefe beiben (Sefül^Ie, • bie beftänbig im 
Streite mit einanber lagen, enbeten ben Kampf ftetö mit 9Semi(|^ 
• tung ber tt)eniger l^artnädEigen Seibenfd^aft. 3mmer gemannen bic 
fiinber ben ©ieg; bie Siebl^aber aber, toeld^e, fo jU fogen, au§ ber 
großen gi^belanftält ber äi^i^if^ti^^ genommen toaxcn, ntu|tcn 
nottt)enbigertt)eif8 frül^er ober fpäter ba^injurüdff eieren." 

©nblid^ befprid^t Suoretia ba^ Ser^ältni^, in tuelc^em fie ju 
bem Urteil ftel^t, ba§ bie SBelt über il^ren <£l^arafter unb il^r Scben 
faßt, in aSäorten, bie fid^ bireft auf (Seorge ©anb antocnbtn loffcn: 
„3c^ l^abe niemals ©fanbal gefud^t; id^ fann älrgemi^ öerurfoc^t 
l^aben, aber ol^ne mein Söiffen unb SBoIIen. JRiemafö l^abe xif 
gtoei SKänner gugleid^ geliebt; niemafe f)aV id^ — aud^ nid^t in 
(Sebanfen — mel^r ate Sinem angel^ört in ber^rft, folange meine 
fieibenfd^aft bauerte. SBenn id^ il^n nid^t mel^r liebte, fb betrog ic^ 
il^n bod^ nid^t, id^ brad^ mit il^m. ®tm^ l^atte ic^ il^m eioige 
fiiebe gelobt, aber in gutem ©tauben. Sebe^ SKal, toenn id^ KeBtc, 
toax eg fo öoH unb ganj, bo§ id^ glaubte, eö fei jum erften unb 
legten SDiale in meinem Seben. @kxd)tooi)i fönnen Sie mid^ nic^t 
eine el^rbare 'grau nennen; bod^ ic^ felbft l^abe ba§ fiebere ©efü^I, 

eö ju fein 3d^ gebe mein Seben bem Urteile ber SSelt 

onl^eim, o^ne mid^ bogegen aufjule^nen, o^ne ju finben, bol fie 
in i^ren allgemeinen Siegeln Unrecht l^abe, aber aud^ o^ne ii^r ein- 
juräumen, ba§ fie. mir gegenüber SRed^t f)at"^ 

„fiucretia gloriani" bilbet fd^einbar ben fd^ärfften Äontroft jU 
ber Keinen ®ruppe t)on feinen, fd^Iid^ten Sauemerjä^tungen, toetc^e 
jiemlid^ balb auf biefen Sloman folgen unb un§ ganj hinauf, bi^ 



^ Lucretia Floriani S. 169, 67, 130, 126, 38. 



®eorge Baut. 173 



jum 3a^re 1848 füllten* Sn Sßal^rl^tt ift bcr 2lbftanb 6i§ ju „La 
mare au diable", „Fran9ois le champi", „La petite Fadette" nic^t 
fo gro|, tüte e^ fd^eint. SBa§ ®eorge @anb ju bcn ^amvn t)on 
Serr^ l^injog, jU bcn lättblid^en Sb^Ctch il^rer ^eintat, ba^ toar bod^ 
biefcfbc JRoufjcaufd^e ?laturf(^tt)ärmcret, ttjcld^e ü^rett" ^roteftcn 
gegen bie ©efeHfd^aftöorbnnng &mi(i)t nnb @d^tt)ung gegeben l^atte^ 
3]^r ©efretär, ber S)entf(^e aKüIIer^©trü6tng, einer t)on ben SSiefen, 
benen gegenüfcer fte ßncretia gforiani^ SRajinten :prafttjterte, l^atte 
fie auf 9luer6ad^^§ ©orfgefd^id^ten aufmerffam gentad^t unb gab 
baburd^ ben Slnfto§ ju einem Seil ber ©d^öpfungen , n^eld^e 
nid^t n^eniger burd^ fittlid^e Sieinl^eit atö burd^ ®efül^fgreid^tmn il^r 
ben. tneiteften ßeferfeei^ berfd^afft l^aben, SBie 2luer6ad^ burd^ ©pinoja, 
ben 2lpoftef ber ?lAtur|röntmigfeit, bie 2lnregung empfing, ber 
2)id^ter ber S3auern ju tnerben, fo fanb (Seorge ©anb fie in bem 
9iaturt)erl^errlid^er SRouffeau. ©enjijs finb il^re frangöfifd^en 93auern 
nid^t „tt)al^r" in bem Sinne, in tuefd^em biejenigen 93aljac§ in 
„Les Paysans" e§ finb; fie finb nid^t nur mit tüarmer ©^mpatl^ie 
aufgefaßt, n)ie bie feinigen mit Xebenbiger Slntipatl^ie, fonbern fie 
finb Iieben§n)ürbig unb jartfü^Ienb; fie üerl^alten fid^ jU bmmxt^ 
lid^en Sftuem, tnie S^l^e^feit^ §irten fid^ ju benen ®ried^enlanb§ 
öerl^alten» 9lid^t§beftott)eniger l^aben biefe ©rjäl^fungen einen 
SSorjug, ber au§fd^Iie§Iid^ in ber SBal^I be§ Stoffel berul^t, unb 
ben bie übrigen Siomane ber ©id^terin entbel^ren. Sie finb naiü; 
fie Befi^en bie immer, in ber f raujöfifd^en Sitteratur jebod^ boppeft 
feltne, SlnjieJ^ung^fraft ber Jlaiöetät. 2lIIe§ tüaö ©eorge @anb t>om 
Sauernfinbe, t>om Sanbmäbd^eu an fid^ l^atte; SlHeS, toa^ in il^r 
öertoanbt ift .mit bem gel^eimni^öolten SBad^^tum' ber ^ftange, mit 
ber 93rife, bie tot^t, man toeijs nid^t njol^er unb ttjol^in; alt' ba^ 
Unbetou^te, ba§ Stumme, ineld^eg in il^rem äu^gerh §ert)ortreten fo 
beutlid^ toar, db'&t in il^ren SBerfen fo brad^ lag, tt)tii e§ t)om 
5ßatl^o§ unb t)on ber S)e!Iamation t)ern)üftet njar^ offenbarte fid^ 
fjier in feiner fd^Iic^ten 5Raiöetät. 



174 



Die romantifd)e Sci)ttle in itankreid). 



„La mare au diable" (1841) ift bic 5ßcrlc unter biefen 
©orfgefd^id^tett. @ic bcjeic^net btc Kulmination bcö Sbcali^mus 
in beut franjöfifd^cn SRoman. ©corgc ©onb ^at l^ier in SBitfKc^^ 
feit gefd^rieben , tt)a§ fie in jenen frül^er jitierten S33orten afö i^x 
^Programm angab : ba^ ^irtengcbic^t beö neunje^nten Sal^rl^unbcrts. 



XII. 

Slngefid^t^ tl^rer 5ßerfon unb il^rer ©id^tung ergebt fid^ nun 
unter ben ^^ttgcnojfen ber SRann, beffcn Sunft ©eorgc ©onb 
felbft ate ben (Segenfa^ ju ber übrigen befinierte» SBäl^renb fie, 
in biefent 5ßun!te ed^t romanttfd^, ft(^ mit Untoitlen t)on ber &t\tü^ 
fd^aftSorbnung i^rer Qdt abtüanbte, ntel^r geneigt, fie ju öer== 
bammen, aU fie ju erfaffen unb ju fd^itbern, fül^Ite er fid^, toenn 
oud^ nid^t n)ol^I ju Wtnk, fo bod^ tjottftänbig bal^eim in feiner 
Umgebung unb betrad^tete faft öom erften ©d^ritt an «feine ©ene^^ 
rotion unb ba§ näc^ftüor^ergel^enbe ®ef(^Ied^t aU fein fiinftlerif(^e^ 
Eigentum, ate feine unerfd^ö:pflid^e gunbgrube. George @anb toax 
eine gro^e äRenfd^enbarfteßerin unb eine beinal^e nod^ größere 
Sanbfd^aft^malerin; fie jeid^netc bic äKenfd^l^eit, tt)ie ein fianbfd^aft^* 
maier bie ^ßflaujen* ©te fteHtc t)on bem äKcnfc^entnefen ba^ bar, 
toag fid^ im Sid^te babet unb ba§ Sid^t verträgt» ®er ®efid^t§* 
punit SBaljac^ toar ber entgegengefe|te: auf il^n pajst, n?ag in bem 
©ebid^te SSictor §ugo§ in ber ,,8egenbe ber Sal^rl^unberte" t>on 
bem ©at^r gefagt tnirb: 

II peignit l'arbre vu du cote des racines, 
Le combat meurtrier des plantes assassines. 

3n ber üppigen, frud^tbaren 5ßrot>inj Souraine, ,,bem ©arten 
granfreid^S", ber ©eburt^gegenb Siabefaig', tourbe ^onoxi be 58aljac 
an einem grül^ünggtag 1799 geboren/ eine fprubelnb reiche, öott^ 
fräftige, l^eifebtütige unb erfinberifd^e Statur. 3^9^^^^ 9^ob unb 
järtlid^, berb unb feinfül^Ienb, bei gleicher Slnlage ju al^nung^öoHen 



176 Die romaittifdje ^Idjule in ^Ftankreiii). 

Jräumen tt)ie ju l^aarfc^arfcm SBcobad^tcn, vereinte er in feinem fc|r 
jnfammengefe^ten SBefen hit gäl^igfeit, tief nnb innig ju entpfinbcn 
mit ber SBegafcnng beö genialen ©päl^erg, ben ©rnft beö gorfd^erg 
mit ber l^eiteren Saune be§ ®rjäl^Ier§, bie (Senialitat beö Sntbeto 
mit bem Jrieb be^ ^ünftlerö, bem Seobad^teten , ©efül^Iten, Srtt- 

, berften, ©rfunbenen ben narften unb fd^amlofen Stu^brutf gu geBen. 
SBie fein ?lnberer toar er gefd^affen, bie ®el^eimniffe ber ©efeUfd^aft 
unb ber SRenfd^^eit ju erraten unb au^ju^Dlaubern. 

kräftig gebaut , mittelgro^g , breitf d^ulterig , plump , mit ben 
Salären jur Seleibtl^eit neigenb, l^atte er einen fd^ttjeren, atl^Ietifd^en 
§al§, toei^ n)ie ber einer ^au, fc^toarje ^aare, fo ftraff toie ^ferbc^ 
l^aar, enblic^ ein paar Sött)enbänbigeraugen , bie n)ie jn)ei fd^toatje 
diamanten ftra^Iten, Singen, toeld^e burc^ oie üRauem fallen, m^ 
in ben Käufern t)or fid^ ging, ttjetc^e in ben ^erjen ber äßenfc^en 
lafen, tt)ie in einem offenen SBud^. ®r l^atte bie (Seftaft einc§ 

• ©if^p^ug ber Strbeit 

Slrm unb einfam !am Saljac atö Säugling nad^ 5ßari§, öon 
ber untüiberftel^Iid^en Steigung jur Sitteratur unb ber ^opung, 
fid^ einen Flamen ju ertoerben, geleitet. 5)er SSater, ber, tt)ie alle 
SSäter, eg l^öd^ft ungern fal^, ba^ ber ©ol^n, bem 9?iemanb (Senie 
nad^fagte, bie juriftifc^e Saufbal^n für bie *Iitterarifc^e aufgab, l^atte 
il^n faft gänjlid^ fid^ felbft überlaffen. @o fa| er benn in feinem 
ungemütltd^en ©ad^jimmer, öon Jiiemanb bebient, fröftetnb, in feinen 
$Iaib gen)idfelt, mit bem ^affeetopf jur einen, bem 2:intenfa§ 
jur anberen ©eite, unb fal^ über bie ®äd^er ber ungel^euren 
©tabt, bk ju fd^ilbern unb geiftig ju* erobern er au^erfel^en war. 
®ie ?lu^fid^t tnar n)eber n)eit nod^ fd^ön , moo§6en?ac^fene Qit^tl, 
halb öon ber ©onne beftral^It, balb t>om Siegen gebabet, S)o^^ 
rinnen, ©d^ornfteine unb ©d^ornfteinraud^. 3)a§ ^i^wtcr tt)ar toeber 
bel^aglid^ nod^ ^übfd^, ber falte. SBinb pfiff burd^ St^üt unb ^enfter. 
®en giiPoben ju fegen, bie Kleiber' ju Hopfen, mit größer ©por* 
famfeit bie nötigften ©infäufe ju mad^en, ba§ toaren bie Sefd^öf* 



Mjac. 177 

tigungcn, mit tocld^en bcr junge 5ßoct, ber ftc^ mit bem 5ßlatt ju 
einer gro|ett 5£ragöbie ,,6romn?eIl" trug, jeben Xag, ben ®ott gab, 
eintoeil^en mu^te. ©eine ©rl^olung tt)ar ein ©pajicrgang auf ben 
naiven Sird^l^of 5ßere Sad^aife, öon bem man 5ßari§ übcrfd^aut 

i 

SSon biefen §ö]^en l^at ber junge SSaljac, ber genjaöigcn ^aupt^^ 
ftabt, fie (tt)ie fpäter fein Siaftiguac) mit ben Stugen meffenb, bie 
trofeige SSette angeboten, bafe fie einft feinen unbefannten 9?amen ju 
nennen unb ju frönen gejtoungen tt)erben foße/ 

S)ie Xragöbie gab er balb auf; feine Segabung n)ar aüju 
mobem , allju fel^r auf ba^ ^onfrete angelegt , um fid^ mit ben 
Siegeln unb Slbftraftionen beg fränjöfifd^en Jraüerfpiefö abfinben 
ju fönnen* Slufeerbem galt el für ben jungen, auö bem öäterlid^en 
§aufe nur, fo ju fagen, t)erfuci^gn)eife entlaffenen Sinftcbler, fid^ 
möglid^ft fd^neU bie Unabl^ängigfeit ju fidlem» @r tt)arf fid^ auf 
bie SRaffenprobuftion t)on Siomanen. @r l^atte nod^ nid^tö erlebt, 
wag feinen ®üd^em @t\)ait unb tuirflid^en SBert geben fonnte, 
aber er befa§ eine rege, etoig gebärenbe (Sinbilbunggfraft, er l^atte 

genug geiejen, um ben (Srjeugniffen berfelben eine leiblid^e gorm, 

• 

toie fie für Unterl^attung^ftoffe bie getüöl^nöd^e toar, mitgeben 
JU fönnen. ©d^on im Saläre 1822 üeröffentlid^te er unter üer* 
fd^iebenen ^^feubon^men nid^t n^eniger afö fünf fold^er 9tomane; in 
ben Salären 1823—25 folgten toeitere, bie er tro^ aß' feinet 
©elbftgefül^fö ol^ne jeglid^e Überl^ebung nur t)on bem pefu* 
niären (Sefid^t^punlt auö beurteilte* ®r fd^reibt 1822 an feine 
©d^toefter: „3d^ fd^idWe bir Sirague nid^t, toeile^ einetoa^re ütte^ 

rarifd^e ©od^onnerie ift in Sean Souig toirft ®u einige red^t 

brollige ©d^erge unb eine 9lrt El^araftere finben, aber ber 5ßlan ift 
abfd^eußd^* S)ag einjige Sßerbienft biefer Sudler, Siebfte, finb bie 
taufenb ^anc§, bie fie mir einbringen; aber bie ©umme ift mir 
nur in SBed^feln auf lange ©id^t gegeben n)orben* SBirb fie bejal^ft 
toerben?" SBer ein :()aar biefer @rftfing§n?er!e SBaljacö burd^ge|)flügt 
l^at, toixb fein Urteil nid^t ju l^art finben* ©ie l^aben eine getoiffe 

»canbeS, Sitteraturgefc^* beS 19. ^ai^r^. V. 12 



178 Die romantifdie Bd^ttle in irankteti^. 

„verve", ba§ ift aü! ba^ ®utc, toa^ fid^ t)on il^ucn fagcit Iä|t 
Db bag SScrbienft, ba^ SSaljac il^r cinjigcS nennt, jentafö ein öoHeg 
nnb toirllid^eg tonrbe, ift fogar fel^r jtneifell^aft , nid^t allein toeil 
bie ©d^ilbemngen, toeld^e SBaljac in feinen Stomanen t)on SBerfegcrn 
giebt, bie mit SSeei^feln l^onorieren (man bergleid^e.Un grand homme 
de province ä Paris), eine n)emg fd^meid^ell^afte ift, fonbem toeil 
n?ir feigen, ba§ er im Saläre 1825 in SSerjtneiftnng über feine ge=^ 
brürfte Sage plö^lid^ bie 3bee erfaßt, bie litterarifd^e ^robuftion 
üorlänfig anfjugeben nnb afö SBnd^l^änbler unb SBud^bmdcr ftd^ 
fein SSrot jn öerbienen. 

®r, beffen ®el^im nnpufl^örlid^ päne jjeber Slrt ang^erfte, tarn 
anf bm Einfall, einbänbige S!taffi!er^§ln^gaben jn beranftalten, nnb . 
tüax übergengt, ba^ man mit fold^en bamate nod^ nid^t öorl^anbenen 
Sln^gaben ein gnte§ bnd^l^änblerifd^eg ©efd^äft mad^en muffe. S)iefe 
an nnb für fic^ rid^tige 3bee l^atte jeboc^ baö ©c^idEfal, ba§ aßen 
f:päteren gefd^äftlid^en ©pefniationen ©aljac^ öorbel^alten tnar, 
?lnbere jn bereid^em nnb bem Url^eber nnr Sßerinfte jn bringen. 
(Senan fo ging eg il^m j. ®., aU er 1837 in ®enna, nnter feinen 
©d^nlben jnfammenbred^enb, anfällig anf bie gbee f am, ba§ bie Siömer 
bie t)on il^nen erfd^Ioffcnen ©ilberminen anf ©arbinien id tnettem 
nid^t auSgenn^t l^ätten* @r teilte einem (Sennefen biefen (Sebanfen 
mit nnb befd^Iofe, bie @ad^e jn befolgen. 1838 nntema^m er ju 
biefem 3^edE eine fd^n?ierige nnb jeitranbenbe 3ieife nad^ berSnfel, 
nm bie ©d^ladfen ber ®ergn)erfe jn nnterfnd^en, toobei er SlHeg gang 
nad^ feiner SSermntnng tjorfanb. 2lfö er bann in 2^nrin bie Slntori^ 
fation für bie SlnSbentnng nad^fnd^te, ba geigte e^ fid^ aber, ba% jener 
(Sennefe bie 2lntorifation fd^on ertoorben l^atte nnb anf bem beften 
SBege njar, ein reid^er äRann gu »erben. ' ©etni^ toaren üiele ber in 
93algac§ (Sel^irn nnanfl^örlid^ anftand^enben praftifd^en ©pefnlationen 
d^imärifd^; aber bod^ tjerrät fid^ and^ in biefem 5ßnnft fein ®enie. 
aSie ®oetl^e fo gang unb gar eine Statur in ber Statur toar, ba§ fein 
©id^terauge M ber guf ättigen SBetrad^tung einer ^alme ba§ ©el^eimniö 



Balzac. 179 

bcr 3Rctamorpl^ofc bcr ^ßflanjc unb bei bcr jufäHigen SBetrad^tung 
cineg l^attjcrfprengten ©c^affd^äbcfö bie ©ruttblagc ber pl^ilof opj^ifd^en 
Slnatomic cntbcdftc, fo toar Saljac fo ööHtg Srftnber nnb ©ntbccfer 
im kleinen toic im ©ro^ctt, ba§ er toie bie 3nfpirierten im SKittet 
alter ein Sorgefül^I l^atte, too 9teic^tümer verborgen feien, eine fid^ 
neigenbe SBünfd^elrute in ber §anb fül^rle, bie fid^ bem ®oIbe, htm 
anonymen, nentralen |)elben feiner SBerfe, t)on felbft juneigte* grei* 
lid^ gelang e^ il^m nie, ben @ci^a| jn lieben; er toar eben ein 
tauberer, ein ©id^ter — fein (Sefd^äftgmann. 

©d^on in biefem erften i^aüt toar feine 3bee fo glütflid^, tt)ie 
fie nmfaffenb tt)ar; benn er tooUtt anf einmal ©d^riftgie^er, S5nd^:= 
brudter, Sud^l^änblcr nnb ©d^riftfteßer fein. @r fd^rieb fettft bie 
©inleitnngen jn feinen Slaffiferanggaben nnb toax für ben fd^önen 
^lan gener nnb ^iammt. SRac^bem er feine (SItem nberrebet l^atte, 
if)m einen großen Sieil il^reg* Sßermögen^ für feine ^totät anjn* 
öertranen, nad^bem eg il^m geinngen war, ©d^riftgie^erei nnb SBnd^^ 
bmderei jn grünben nnb gnte, einbänbige, ißuftrierte Sluggaben t)on 
äRoIiere nnb 2a gontaine jn bmdfen, fteHte eg fid^ l^eranö, ba§ 
bie franjöfifd^en S5nd^l^änbler toie ein äJiann gegen ben Sinbring»' 
Itng %xont machten, bnrd^ang nid^t feine Slnögaben verbreiten tooß* 
tcn nnb rnl^ig feine öfonomifd^eSJemid^tnng abniarteten, nm i^rer^ 
feilS feine 3bee anfjnnel^men nnb fmd^tbar jn ma^txL 9laä) brei 
Salären n?ar er gejtonngen,- feine Sudler afö äRafuIatnr nnb feine 
aSnd^bmdferei mit fd^toerem SSerInft jn tjerfanfen — er felbft l^at bie 
Seiben * feinet armen erfinberifd^en SSnd^brndferg ®atjib ©id^arb in 
„Eye et David" erlebt @r ging ang biefer Äriftg nid^t allein afö armer 
Sölann, f onbem mit ©d^nlben berart belaftet l^eröor, ba§ er fein gangem 
Scben l^inbnrd^ ol^ne 9taft nnb Sftnl^e fid^ bnrd^ biefen 83erg öon brütfen^ 
ben SJcrpfßd^tungen bnrc^jnarbeiten l^atte, nm fid^ Unabl^ängigfeit jn 
erf öntpf en nnb ba§ SSermögen feiner äRntter lieber l^erjnfteBen. 3)ie 
©c^ulben, jn beren 2^ilgnng er feine anbere SBaffe afö bie g^ber 
befa§, njnd^fen toie fiatt)inen, ba er lange Qdt eine SSerfd^reibnng 

12* 



180 I^ie tomaittifciie Bö^nit in icankteid). 

nur bnxä) eine anbete beden fonnte. @o mad^te er bie SBefonnt- 
fd^Qft ber tjerfd^iebenen ©pejieg ber 5ßarifer SBSud^erer, bie er in 
®o6fedf ünb ben anberen bertoaubten (Seftalten fo t^pifd^ gefd^ißcrt 
l^at, unb bie SBorte „3Reine ©d^ulben, meine (Staubiger!" iDerben 
ber ftel^enbe 9tefrain feiner Jage unb fettft ber ööHig intimen 
S3riefe, in toeld^en bag warme §erj, ba^ tiefe, innige (Sefül^fötcben 
be3 etoig gel^efeten SRanneg fid^ auf rül^renbe SSeife äußern. «®e* 
tuiffen^biffe", l^eifet eg in einem feiner 3iomane, ,,finb nid^t fo fd^tinnn 
toie ©d^ulben, benn fte fönnen ®rnen begl^alb nid^t in^ ©d^itlb^ 
gefängni^ ftedfen/' ®t lernte bagfelbe nad^ öielen Sauren ou(| 
noc^ auf für je 3^ti fennen, unb tüie oft mu^te er, um il^m ju 
entgelten, mel^rere ^i^flud^t^orte l^dben, ben Slufentl^alt toed^frfn 
unb fic^ feine Srief e unter falfd^en Slbreff en ' jufteHen laff en* 5(5oet, 
n)ie er toar, lebte er mit feinen ©d^ulben tt)ie mit einer eioigcn 
dueße ber ©emüt^erregungen, fül^Ite er täglid^ gleid^fam einen ©|)orn 
be§ glei^eg unb ber ©inbilbunggftaft, tnenn ber ®ebanfe an fie 
il^n tuedtte unb er beim frül^en @rn)ad^en fte ate ^eufd^redEen flu^ 
aßen ®dten unb über aöe SRöbel fpringen fal^. 

äKit SRiefenftaft fing er an ju arbeiten, unb arbeitete fo }n 
fagen in einem ^uge feine 3ugenb unb feine SRannegjal^re l^inbun^, 
bi^ er, fünfäig 3al^re alt, tjon Überanftrengung getötet jufannnen^' 
ftürjt, fo plö^Iid^, tt)ie ber getroffene ©tier in einer fpanifc^en 
Slrena* ®a| ba^ ©d^affen il^m fo toenig ®enul3 unb fo ganj 
Slrbeit n)urbe, berul^te barauf, ba§ ber nie it^(i)\x)&d)tt , %n^ 
feiner ®inbilbung§!raft, ber unaufl^örlid^ jum hervorbringen öon 
SBerfen brängte, tJon feiner Seid^tigfeit ber Formgebung, feiner an^ 
geborenen ober frül^ ertt)orbenen ftiliftifc^en gertigfeit unterftü|t 
tourbe. @r toar ben romantifc^en 3)id^tern in ber |)errfc^aft über 
bie ©prad^e nid^t ebenbürtig. @r üermod^te nie ein tool^Iflingenbcg 
®cbid^t JU fd^reiben (bie, n^eld^e in feinen 3lomanen t>orfommen, ftnb 
t)on anbem, tJon äWabame be (Sirarbin, %i)iopf)ik (Sautier, Sl^arle« 
be SBemarb, Saffaiß^, tjerfa|t), unb fein anberer afö er felbft war 



Baljac. 181 

■■■■■■ T ' 

bcr äutor jencg t)icItjerf|]!otteten l^tatenreic^cn SScrfeö, mit todd^cm 
fein Souig Sambert eine (Spopee über bie Sncag einleitet: 

Inca! 6 roi infortun^ et malheureux! 

®r, ber fo öiele ^jfeubon^me ^Romane gefd^rieben nnb tjertoorfen 
l^atte, beöor er überl^au))t fid^ einen Stil aneignete, beftanb ben 
l^ärteften unb l^artnädEigften Sampf, um bie franjöfifd^e 5ßrofa in 
feine äRad^t ju befommen, unb eg mar eine ber ©orgen feinet 
Sebeng, ba§ bie jungen JRomantifer, bie ^ugo folgten, il^n afö 
^nftler lange S^ii mä)i für öoÖ anfallen* ®er f einfül^Ienbe, be* 
tounbembe (Sautier n?ar ber einjige, ber il^n burc^ feine bereittt)illige 
Slnerfennung erfreute; aber nid^tg fam bem (Srftaunen 93aljac§ gleid^, 
toenn er ben iungen (Sautier ol^ne SSorbereitung ober Slnftrengung, 
ol^ne ein SBort ju üerbeffem, irgenb einen fd^önen, formoollenbeten 
Slrtifel an bem JRanbe eineö 5ßulte^ bei bem SBud^brudfer fd^reiben 
fal^; er glaubte anfangt, ba§ lautier in feinem Äopfe btn 2luf* 
fa^ fertig gehabt l^ätte, bi§ eö il^m Kar tourbe, ba^ e^ rüdE^ 
fif^tfid^ ber f:pra(^Iid^en Sel^anblung ein angeborene^ 2^alent gebe, 
ba§ i^m feilte* . SBie l^at er gearbeitet, um fid^ biefe gäl^is^^^i* i^ 
ern)erben! n)ie l^at er ®autier, aU bie plaftifd^e unb malerifd^e 
Äraft feinet ©tite il^m aufging, betounbert! (Sin fonberbarer S3e^ 
tt)ei§ bafür tä§t fic^ nod^ au§ einem fo fpäten 3a^re toie 1839 
erbringen, n?o ®aläac bei ber ©d^ilberung ber n)eiblid^en ^aupt^ 
geftalten feinet 9toman^ „Seatriy" einige itoti Saläre frül^er er- 
fd^ienene Slrtifel ®autier§ (über bie ©d^aufpielerinnen SRabemoifeHe 
®eorge§ unb Senn^ (Solon) faft ttjörtüc^ benu^t f)at^ 



Gautier. 
Les cheveux . . . scintillent et se 

contoument aux faux jours en 

mani^re de filigranes d'or 

bruni . . . 
Le nez; fin et mince, d'un con- 

tour assez aquilin et presque 

röyal ..." 



Balzac. 
Cette chevelure, au lieu d'avoir une 

couleur ind^cise, scintillait au 

jour comme des filigranes d'or 

bruMi . . . 
Ce nez d'un contour aquilin, 

mince, avec je ne sais quoi de 

royal . . . 



182 



Die tomantifd)e Jd)ttle in irankrtii^. 



2Ran fü^It, toic gern ftd^ Saljac ctoa^ t)on bem ffinftlcrifd^en 
S3Iicf unb bcr ben ungctüöl^nfic^cn unb biftinguicrten ffiorten 
®Quttcrg innctool^nenben befd^rcibenbcn Äraft ^at aneignen tooHen, 
toie bie' Sejetd^nnngen, bie er au§ feinem eigenen SBortfd^al 
l^injnfägt, fic^ gegen bie geborgten önigär unb fcf|Iaff au^nel^men. 
Huf bem gelbe ®autierg mu§te er notoenbigertoeife unterliegen. 
35ie Urfad^e babon ift bk, ba§ er auf gauj anbere SBeife fielet unb 
empfinbet (Sautier ift ein ©d^riftfteHer erften SlangeS, aber tro| 
feiner großen poetifd^cn ©igenfc^aften al§ ©id^ter Mi, biötoeifen 
arm; er ift ein au^erorbentlid^eg, ben bilbenben fünften angel^örcn^ 
beg Xafent, ba^ fiö^ in bie ^id^tfunft l^inein üerirrt l^at. Saljac 
bagegen ift atö ©d^riftfteüer ganj untergeorbnet, afö ©id^ter nimmt 
er ben l^öd^ften 9iang ein. @r fann feine ®eftalten nic^t in 
n^enigen treffenben SBorten d^arafterifieren, tueil er fie nid^t in 
einer einzelnen plaftifd^en Situation t)or fid^ fielet. Snbem bie öon 



Gautier. 

Elle ressemble k s'y m^prendre k 
une . . . Isis des bas-reliefs 
6gin6tiques . . . 

üne singularit^ remarquable du col 
de Mademoiselle Georges, c'est 
qu*au lieu de s'arrondir int^rieu- 
rement du c6t6 de la nuque, il 
forme un contour renfl6 et 
soutenu, qui lie les ^paules au 
fond de sa tete sans aucune 
sinuosite, diagnostic de temp6- 
rament athl^tique, d6velopp6 
au plus haut point chez l'hercule 
Famose. L*attache des bras 
a quelque chose de formidable . . . 
Mais ils sont tr^s-blancs, tr^s- 
purs, termin^s par un poignet 
d'une d^licatesse enfantine et 
des mains mignonnes frap- 
pdes de fossettes. 



Balzac. 

Ce visage, plus rond qu'ovale, res- 
semble k celui de quelque belle 
Isis des bas-reliefs ^gin^ti- 
ques. 

Au lieu de se creuser k la nuque 
le col de Camille forme un con- 
tour renfl6 qui lie les ^pau- 
les k la t6te sans sinuosite, 
le caract^re le plus Evident de la 
force. Ce col präsente par mo- 
ments des plis d'une magnificence 
athl^tique. L'attache des 
bras, d'un süperbe contour, 
semble appartenir k une femme 
colossale. Les bras sont vigou- 
reusement model^s, termines 
par un poignet d'une d61i- 
catesse anglaise, par des mains 
mignonnes et pleine de fos- 
settes. 



' Bolfot. 183 

feiner ^ßl^antafie gefd^affenen (Seftalten t)or feinem inneren Sluge anf= 
fteigen, fielet er niei^t nad^ unb.nad^, fonbern auf einmal il^r ganje^ 
stureres in ben üerfd^iebenften Slngügen, er überbfidt il^ren ganjen 
ßebenölauf, fd^aut fie in beii üerfd^iebenen ©tabien be§ Sebcng, er 
beobad^tet ben t>oUtn 3ieid^tum il^rer ®ett)egungen unb (Scbärben, l^ört 
ben bef onberen Slang' il^rer Stimme, unb t)or feinem inneren Dl^.re 
tönen, tt)ie öon einem Slnbem gefagt, Slntttjorten, njeld^e bie 5ßerfön== 
lid^feit fo lebenbig malen, ba^, tuenn n^ir fie l^ören, bie (Seftaft tt)ie 
tt)ir!Iid^ lebcnb auf jtuei 93eineu t)or unfern Singen fielet 9iid^t eine 
einjelne, üieöeid^t feine aber trodEene Sbeenaffojiation, j. 93. bie 
einer äginetifd^en 3fi§, iüuftriert, tuie bei (Sauticr, bie (Seftalt; 
nein, fie felbft ift t)on l^unberttaufenb unben?u|t jufammenftrömen= 
ben Sbeenaffojiationen gebilbet, reid^ n)ie bie ?iatur felbft, tuie ber 
tDirKid^e üRenfd^, ber :pl^^fioIogifd^ unb pf^d^ologifd^ burc^ eine 
eigentümlid^e äJiifd^ung unjäl^Iiger !ör:perlid^er unb geiftiger @Ie^ 
mente afö einjigeg SBefen beftel^t (£§ ift faft unnötig, SBeifpiele 
ber unüergleid^Iid^en ^aft aujufül^ren, mit ber S3aljac e§ fertig 
bringt, burd^ einen ®iaIog ober einen ®eftu§, ober aud^ nur burd^ 
©onberbarleiten beg SoftümS, ber l^äu^Iid^en ©inrid^tung u. f. b. in 
jebem gegebenen ?lugenbIidE eine ®eftalt l^ertjorjujaubem, man mülgte, 
tt)enn man e^ berfud^en toofitte, ein 93ud^ mit Zitaten fußen. ^" Slber 



* ^m um meine Slnftd^t genau ju crllärcn, füllte id^ einen S)iaIog an. 
3)ie ©ourtifone Sofe^jl^a fragt ben alten, burd^ Slu^fd^tofeifungen ööHig l^erunter- 
gefommenctt SBaron ©ulot, einen ber ©cnerale '^apoleon^, oh e§ toal^r fei, 
hai er ben Stob feinet SBruberS nnb Onlcl^ öerurfad^t, feine gamilic ruiniert 
unb ben ©taat betrogen l^abe, um hie Saunen feiner ©eliebten ^u Befriebigen. 
„Le baron inclina tristement la t^te. — Eh bien! j'aime cela! s'dcria 
Josepha^qui se leva pleine d'enthousiasme. C'est un brülage generali 
C'est Sardanapale! c'est grand! c'est complet! On est une canaille mais 
on a du coeur. Eh bien! moi j'aime mieux un mangetout passionne 
comme toi pour les femmes que ces froids banquiers sans ämes qu*on 
dit vertueux et qui minent des milliers de famüles avec leurs rails .... 
Ca n'est pas comme. toi, mon vieux, tu es un homme k passions, on te 
ferait vendre ta patrie! Aussi, vois-tu, je suis pr^te ä tout faire pour 
toi! Tu es mon p^re, tu m'as lanc6! c'est sacrd. Que te faut-il? Veux 



184 I^ie tomontifdje 3d)uU in frankteiiii. 

• 

bie ©d^toicrigf eit für Saljac lag bartn, ba§ er f el^r oft bcn SRcic^tümcm 
gegenüber, toeld^e ®ebäcl^tniö unb Intuition il^m barboten, ratloö ba* 
ftanb. ©nttt^eber brängt er aßju oiele, nur für i^n felbft gültige Sbeen- 
üerbinbungeh in jtoei SBorte jufantmen, toie toenn er öon einer un* 
fd^ulbigen grau fagt, ba§ il^re Dl^ren „©flaöinnen* unb SKutter^ 
ol^ren toaren", ober er fül^Ite fid^ öerfud^t, ben» gdnjen Snbegriff ber 
S8eobacf|tungen unb (SinfäHe, bie bei ber SSorfül^rung einer erbid^^ 
teten 5ßerföntid^feit il^m juftrömten, riad^ einanber aufjujäl^Ien; er 
bertor fid^ in einen breiten, befd^reibenben, räfonnierenben ®til, ber 
bod^ nid^tS beutlid^ mad^te, toeil in feinem (Seift, fo ju fagcn, bie ctet 
trifd^c ßettung, »oeld^e bie bic^terifd^e ^attujination mit bm Organen 
ber bid^terifd^en Serebtfamfeit t)erbinbet, mangelhaft unb jeittücife 
tt)ie unterbrod^en toar. Qt\)n^a6)t 2lrbeit mufete bann für bie öon 
il^m felbft tief empfunbene ©d^toerfätligfeit S3u§e leiften. 

S)a er nun in jenen Sagen ber Sofitaboration nie einen 9Rit 
arbeiter für feine ^Romane unb niemafö aud^ nur einen ©efretär 
l^atte, begreift man, n)eld^e Siefignation unb toeI(^e ^aftanftrengung 
noöüenbig toar, um in jtoanjtg Salären bie mel^r atö^l^unbert 
größeren unb Heineren SRomane unb Dramen ju probujieren, bie 
tjon |e|t an feinem ®el^im entfpringen. 

SQSäl^renb §ugo fd^reibt, ungefäl^r njie 9ta^)l^ael malte, öon 
einer @d^ar junger 93etounberer unb ©d^üler umgeben, lebt S5atjac 
ifoliert in feiner bi(^terifd^en SBerfftatt. ®r gönnt fid^ menig ©c^Iaf» 
^tüifd^en fieben unb a(i)t VÜ)x gel^t er ju Sett, fielet um SRitter^ 
nad^t auf unb f d^reibt in feiner toei^en ® ominif anerfutte mit einer 
golbenen ^ette atö (Sürtel, bis ber SRorgen graut, eilt bann, ha 
feine Äonftitution ber SSetoegung bebarf, felbft jur ©rudEerei, um 
ba§ ®efd^riebene abjuliefem unb bie Sorreftur ju beforgen. 6^ 
finb nid^t getoöl^nlid^e Sorrefturen» @r brandet ad^t big jel^n für 



tu cent-mille francs? On s'extermmera le temperament pour te les 
gagner// — 3Bie finb l^icr in tocnigen SSortcn bie iRebenbe unb ber togc* 
tcbetc gemalt! 



Balzac. 185 

jeben 93ogcn, eben todi bie ©id^erl^eit be§ SlugbrudEö tl^nt fel^It unb 
er nid^l gleid^ bie enbgültige gönn ju finben tüet^, tüeil juerft 
ba§ (Serippe feiner Srjäl^Iung fertig ift nnb er erft nad^ nnb nad^ 
bie Sefd^reibung nnb bie ©etaitö ber 2)iaIoge erfinbet 3)ie §älfte, 
anfangt mand^mal mel^r afö bie §älfte feinet §onorar§ , giebt 
er in ^orreftnrfoften an§, ol^ne ba^ jjemafö ba^ l^ärtefte SBebürf== 
nig i^n ben)egen fann, ein SSerf erf (feinen jn laffen, betjor eg 
i^m fo öoHenbet öorfomntt, tnie er egjn ma^en tjermag. ®r ift 
bie Sßerätneiftnng ber @e|er, aber bie Äorrettnren finb tl^nt felbft 
bie peinlid^fte Sorge. ®er erfte ©nttünrf tnirb mit großen 3^if<^^n^ 
rannten gtüifd^en ben 2lb.fä|en nnb mit mäd^tig breiten fftänbem 
gefegt, unb biefe füllen nnb überfüllen fid^ nad^ nnb nad^, bi^ ber 
ganje ^orreftnrbogen mit feinen nad^ red^t§ nnb linte/ nad^ oben 
unb nnten an^gel^enben Sftabien, Sogen, ©trid^en nnb ©ternen fid^ 
ungefäl^r toie ein genertnerf an^nimmt. ®ann fielet man n^ieber 
bie f (^tnere, nnorbentlid^ angef feibete ©eftalt mit bem tod(i)tn ind^ 
ligen ^nt nnb ben lenc^tenben Singen tjon ber ©mdEerei nad^ §anfe 
eilen, njäl^renb mand^ einer an§ bei: SRenge, ber ba^ ®enie in il^m 
ol^nt, anf fönem SSege fd^en nnb e^rfnrc^t^tJoH jnr ©eite tneid^t. 
9ieue Slrbeit^ftnnben folgen. 3^te^t fd^tiefeen nod^ tjor bem 
3)iner entttieber ein Sefnd^ bei einer fd^önen geiftüoHen ®ame ober 
eine Stajjia in Slntiqnitätenläben , um feltene äRöbel nnb alte @t- 
mälbe jn entbedEen, ben arbeitfamen Xag, nnb erft gegen Slbenb 
fud^t ber energifd^e 2lrbeiter lieber JRnl^e. 

„Söi^toeilen", erjäl^lt Xl^^opl^ile ®antier, „!am er am äRorgen 
JU mir, ftöl^nenb, erfd^ö:pft, fd^toinbelig t)on ber frifd^en Snft, n)ie 
ber ang feiner ©d^miebe entflol^ene SBnlfan, nnb liefe fid^ auf ba§ 
©opl^a fallen; fein langet ?lad^tit)ad^en l^atte il^n anSgel^nngert, 
unb er ftiefe ©arbinen mit SButter jn* einer Slrt ^ommabe, bie il^n 
an ein ge^adEteg (Serid^t anö feinem Xonr^ erinnerte nnb bie er auf 
Srob ftrid^. ®a§ toar feine ßiebtinggfpeife; er ^tte nid^t fo balb 
gegeffen, ate er mit ber Sitte, il^n in einer ©tunbe jn ttjedEen, ein* 



186 X^it tomantifd)e B^nit in irankreiii). 

fd^Iicf. D^ne mid^ um bie SBeifung ju fümmem, rcfpcftiertc id^ 
bicfen fo loo^I berbienten ©d^Iaf unb formte bafür, ba§ feiti Särm 
im |)aufc il^n ftörte. SBcnn er bann bon feftft moad^tc unb bic 
äbenbbämmerung il^rcn grauen ©d^Ieier über ben §immel breiten 
fol^, f prang er tttopox unb übetl^äufte mid^ mit ©d^impftoorten, 
nannte mid^ SSerräter, 2)ie6, üRörber; id^ fei ©d^ulb, ba§ er jel^n* 
taufenb grancä öerliere, benn load^ l^ätte er bie 3bee ju einem 
SRoman l^aben fönnen, ber il^m biefe ©umme eingebrad^t l^ätte (öon 
ber jn^eiten unb britten ?tuf(age gar nid^t ju fpred^en); id^ fei 
©d^ulb an ben fürd^terlid^ften Äataftropl^en unb Unorbnungen; ic^ 
l^ätte il^n bie berfd^iebenften ©teHbid^ein mit Sanfter^, SSerlegem, 
^eräoginnen öerf eitlen laffen; er ttJerbe an ben SSerfaHtagen in^ 
folöent fein, biefer fatate ©d^taf !ofte i^n SRiHionen — id^ tröftete 
mid^, inbem ic^ feine frifd^e 2!ouraine=garbe auf feine falzten SBangcti 
jurüdEfe^ren fal^/' 

SBenn man ein öor einigen Salären erfc^ieneneg bibliogra- 
pl^ifd^e^ SBerf,^ loeld^e^ erlaubt %aQ für %aQ bie Slrbeit SBaljac^ 
ju öerfolgen, atö Seitfaben benu|t, loenn man jugleid^ in feinen 
^Briefen beobad^tet, loie er, ol^ne fid^ jjemalö t)on ben ^erftreuuugcn 
be^ 5ßarifer ßeben^ ftören ober öon ben titterarifd^en ©etoel^rfatoen 
feiner 9ieiber unb ^ritifer erfc^redfen ju laffen, mit fefter §(inb 
©tein für Stein bie 5ß^ramibe feines ßebenSttJerfeS aufgefül^rt ^at, 
nur beforgt, biefelbe fo breit unb l^od^ h)ie möglid^ ju mad^en, be* 
fommt man 9iefpe!t öor bem üRanne unb feinem 9Rut ®er gut* 
mutige, öierfd^rötige, pottembe SBaljac ttJar fein Sitan; er ninrait 
fid^ in jener (Generation ber btn |)immel erftürmenben 2!itanen unb 
J^itaninnen toie an bie ®rbe gebunben auS, aber er gel^ört ber 
9iaffe ber ß^Kopen an; er toar ein geioaltiger, über 9iiefenfräfte 
öerfügenber SBaumeifter, unb l)er ungefc^Iad^te, l^ämmembe, ©teine 
fügenbe ß^Kop reid^te jule^t mit feinem ®ebäube eben fo l^od^, njte 



^ Charles de Lovenjoul: Histoire des oeuvres de Balzac. 1879. 



Baljac. 187 

bie großen I^rifd^en Renten SSictor §ugo unb ®corge @anb auf 
i^ren gtügeln fid^ erhoben. 

®r l^at nie an fetner erftaunltd^en ^Begabung geäh)eifelt; ein 
©elbftüertrauen , ba§ bent %aknU entfprad^, bag fid^ alg naiöe 
®to§fpreci^eret, aber nie ate Heinlid^e SiteHeit äußern !onnte, trug 
i^n burd^ bie ^af)xt ber erften Slnftrengungen l^inburd^, unb in ben 
SlugenblidEen be§ SRi^mutö, ber Entmutigung, bie in feinem ^nftler^ 
leben feilten, lourbe er, ttJie feine 95riefe al^nen laffen, t)on treuer 
l^eimlid^er Siebe getröftct unb beglüdEt^ ®ine ^^i^^i^f ^^^^^ Flamen 
er feinen greunben niemafö nannte unb t)on ber er immer nur mit 
ber ^öd^ften SSerel^rung loie t)on einem „Sngel", einer „fittlid^en 
Sonne" fprid^t, bie il^m mel^r loar „aU eine ÜKutter, mel^r atö 
eine greunbin, mel^r alg ein (Sefd^öpf bem anbem fein !ann", 
l^ielt il^n burc^ SBort unb 2!]^at, burc^ aufopfembe Eingebung in 
allen ©türmen feiner ©Eiftenj aufredet @r l^atte, fc^eint c^, fie 
fd^on 1822 fennen gelernt, unb äioölf Sa^re l^inburc^ (fie ftirbt 
1837) l^at fie, ttJie er furj t)or i^rem Sobe fd^reibt, eg öerftanben, 
„ber (SefeKigfeit, ber gamilie, ben ^flid^ten, aßen |)emmniffen beg 
$ßarifer Seben§" aötäglid^ p)tx ®tmihtn ju rauben, um fie, ol^ne ba§ 
jemanb baöon h)u§te, mit il^m ju verbringen. ^ SBaljac, ber im Soben 
immer überfd^tpengüd^ ift, mu§ fid^ in ber Siebe notujenbigertüeifc 
in ftarfen Stu^brüdfcn ergel^en; loa^ aber SBead^tung öerbient, ift 
bie l^ier bei bem fonft afö c^nifd^ unb finnlid^ öerfd^rieenen SKanne 
erfd^einenbe 3^^^^^ ber (Sefü^Ie, bie einer Slnbetung äl^nlid^e 
Setounberung unb ®anfbarfeit, Jpeld^e bie gorm ber tüal^ren Siebe 
bei i^m ift 



^ gl^t 9f?ame »at 9Äabame be SBemij. SJ^ian fel^e: Balzac, Correspon- 
dance. Lettres k Louise, I unb XXII. S)te SSriefe an feine SKuttcr, 
Sanuar 1836, unb an aJlabame ^an^fa, Dhobcr 1836, jetgcn beutli^ bafe 
bie Ungenannte, Don ber er an jene 3)anie fd^reibt, 3)labanie be S5em^ toax. 



XIII. 

Saljacg erfte^ SSorBilb ift, toie fd^on berül^rt, ein ^id^ter ge-- 
loefcn, an bcn bei il^nt gciüife niemanb gebadet f)at unb bcm er jur 
3ctt feiner 9ieifc unenblid^ fern ftel^t, nämlid^ SBalter Scott. 

@r n?ar aber ein aügn moberner Oeift, nm an bem l^iftorifc^en 
Oenre feftl^alten jn lönnen. ®r l^atte nad^ feinem entfernten So^r^ 
l^nnbert ^tivxtütf), f)attt einen ungel^enrcn @d^a^ t)on Seobad^tungen 
gefammelt nnb fud^te nntpiUfürlid^ fold^e Stoffe, loo er biefelBcn 
am leid^teften nnb beften öerioerten fonnte, ®r füllte, ol^ne fi(| 
beffen Har betonet jn fein, bafe ber Slntor be§ gefc^id^tlid^en Sloman^ 
entttjeber einfad^ bie SRobeHe, toeld^e il^m feine Umgebung barbietet, 
in atte S^oftüme fted^en, ober mit ^eloalt bie ^f^d^ologie, bie er 
ou§ Sßeobad^tung lennt, ju einem primitiveren ©tanbpunft jurötf^ 
f d^ranben muffe , ein f d^toierige^ Sj^eriment , bem jum %xo^ bie 
bid^terifd^e ©d^ilberung vergangener 3^^^^ f^P immer nur bie 
©itten ober toenigftcng bie Slnfid^ten ber ^^ügenoffen barftcHte. 6r 
toar nid^t gefd^affen, in alten ßl^ronilen mül^fame Oelel^rfamfeit ju 
fommeln, fonbem unter bem freien ^inrniel, auf bem Serrain ber 
®egenh)art, feine ©tubien ju mad^en unb ©tubienlöpfe ju gcid^ncn. 

„®ie 5ß]^5fioIogie ber ®l^e", bag erfte Stuf feigen erregenbe SSeri 
Satjocg, gab auf bag unfd^ulbige S5ud^ SBrißat-Saöarin^ „La 
Physiologie du goüt" anfpielenb ober baran anfnüpfenb, eine ^016=^ 
toegg luftige, faft loiffenfd^aftlid^e, immerl^in jebod^ brutale änal^fe 
ber gefeHigen ©inrid^tung, bie in ber fraujöfifd^en Sitteratur feit im^ 
üorbcnfüd^cn Reiten afö ^ielfd^eibe be§ aBi|e§, afö ©egenftanb ber 



gtti?ttc« .189 

ironifc^cn |)ulbigun9 unb fc^mtung^Iofen Untcrfud^ung, !urj afö 
offene aSunbe ber ©efeöfd^aft hd)anbdt iparb, unb bie l^ier aU 
tragHomifd^e fojiale SWotoenbigfeit nid^t fo fel^r an unb für fid^ 
öerteibigt, afö gegen bie berfelben brol^enben (Sefal^ren, bie auflöfen* 
ben (£Iehtente, Saunen unb Seibenfd^aften, burd^ gute 9iatfd^läge ge:= 
fd^ügt h)irb. 2)ie (£^e ifi SBaljac befonberg afö tjag ©d^tad^tfelb 
jtoeier ©goi^men intereffant; burd^ bie grenjenlofe SBeft ber @5m== 
patl^ien unb Stntipatl^ien, bie ba§ ©cbict ber (£l^e* au^mac^t, ftürjt. 
er fid^ mit ber Jftüdffid^t^Iofigfeit eines tuilben @6crS; er burd^ioül^It 
unb bcfd^nüffelt SlßeS, 3)ie franjöfifc^e ®]^e ift immer eine jiemfid^ 
äu^erlid^e Sinrid^tung getüefen; fein SBunber, ba^ S3aljac t)or il^ren 
äR^fterien feine ©l^rfurd^t l^egt. ®r fprid^t ftd^ über biefelbcn mit 
3KoIierefd^er ©erbl^eit aug;_ bod^ geigt er fic^ fd^on l^ier in biefer 
frühen ©d^rift tütit tueniger frifd^, loeit peffimiftifd^er unb loeit 
materialiftifd^er als üRoIiere. ®aS S5uc^ ift t)oß guten, loenn aud^ 
.groben SBi^eS, t)oß luftiger Slnefboten, oft reijenb burd^ ben ®egcn== 
fa^, "ben ber 5ßrofcfforen= unb S3eid^tt)ater==2;on beS jugenblid^en 
S)oftorg ber el^elid^en SBiffenfd^aft mit bem öerfftngfid^en Snl^alt 
bilbet; aber eS ift tro^ aUtbtm in erfter Sinie ein SBerf ber frül^en 
Snttäufd^ung unb ganj gen?i§ für bie grofee SReJ^rjal^I ber gt^auen 
ein loiberfic^eS SSSert SWid^tS t)on bmt, loaS in SBaljac t)on l^od^^ 
l^erjiger unb ebler ©efinnung war, ift l^ier ju SBorte gefommcn; 
nur feine ^Begabung für bie rüdffid^tSlofe Stnal^fe glänjt @S ift 
aber, ate ob bieS S3uc^, in bem bie Slber feines 2!aIeHtS fid^ öffnete, 
il^n für lange, lange 3^it ^on allem böfen S3Iut befreit l^abe* SSon 
je^t an läutert fid^ feine SBeltanfd^auung, ober rid^tiger, fie teilt fid^ 
in eine emftl^afte unb in eine fd^erjl^afte; loaS in ber „Physiologie 
du mariage" nod^ in ein unerquidEIid^eS ®anjeS jufanraiengeronnen 
toar, bie emfte Sluffaffunj beS SRenfd^enlebenS unb bie finnlid^^ 
c^nifd^e SJetrad^tung beSfelben, fonbert fid^ t)on einanber ab, loie 
2;rauer== unb ©c^aufpieL 3n bemfelben Sal^r, 1831, fd^reiBt er 
feinen erften pl^ilofopl^ifd^cn 9loman „La Peau de Chagrin", ber 



190 llit romanttft^e S^tdt in irankreii^* 

feinen SRnf afö ©id^ter Begrünbete, nnb beginnt mit „La belle Ln- 
peria'^ bie lange 9ieil^e feiner „Contes drölatiques", b*l^. eineSatitm' 
Inng 5Wot)eIIen in bem @til ber freieften „Contes" ber 9ienaiffance* 
jeit, bie mit ben SlobeHen SBoccoccio'g nnb ber Königin SWarguerite, 
mit ben Slnefboten SBrantome'g giftig t)ertnanbt nnb fprad^Iid^ m 
näd^ften t)on 9iabelaig infpiriert ift 3n mobemer gorm toürbcn 
biefe ©rjäl^Inngen platt nnb fci^mn|ig erfd^einen, bnrd^ bie tt)unbcr^ 
bare, naiö==altertümfid^e ©prad^e, bie in nod^ l^öl^erem ©robe al8 
bie ftrengfte metrifd^e gorm ben Sni^alt fiinftlerifd^ abett, ftnb biefc 
Sl^jotl^eofen beg förperlid^en Sebeng ed^te S!nnftn)erle gen)orben, l^eitcr 
tt)ie bie ©d^erje eine§ jener loeltlid^ geftnnten, fröl^Iid^en SRönd^c, 
bie in ben SSoH^Iegenben aller ßänber öerl^errüd^t »erben- 

3n einem ber meifter^aft gefd^riebenen 5ßroIoge biefer Stoöeücn^ 
famminngen erjä^ft ber SSerfaffer, ba^, atö er in bta Salären ber 
Sngenb feine Slft, ba^ ^ti%t feine (Srbfd^aft öerloren l^atte nnb fi(| 
t)öllig entblößt fanb, er loie ber §oIj^auer in bem 5ßrtiIoge ju 
htm SBnc^e feinet lieben SKeifter^ 9labelai§ jnm §immel gefd^rieen 
l^abe, in ber §offnnng, öon bem eblen |)erm bort oben erkort 
jn tüerben nnb eine anbere S(ft jn erl^alten. ®a lonrbe il^m hvaij 
SRerfnr ein ©d^reibjeng jngen?orfen, anf njeld^em bie brei 35ud^* 
ftaben „AVE" gradiert loaren* ®r brel^te nnb loenbete fo lange 
bag ^immlifd^e ®efd^en!, m er bie SBorte bon rndftnärtg „ETA« 
lag* aSag toar aber ®t)a? tt)a§ anberg afö aße granen in einer? 
Sllfo ttJar bnrd^ eine göttüd^e Stimme bem Slntor gefagt: „S)enfe 
an bie gran, bie gran mx\) beinen Sommer l^eilen, beine Sagb^ 
tafele füllen, fie ift bein ®nt, bein ©igentnm. Slöe, fei gegrüßt! 
@öa, gran!" ®ag l^ie§, eg gelte für il^n, bnrd& toße nnb am 
fante Siebe^gefd^id^ten ein Säd^eln ber öornrteifefreien Sefer ju 
getüinnen. Unb ba^ ift il^m geinngen* 9lie ^at fein @til einen 
fold^en (Slang nnb eine fold^e Segeiftemng erreid^t; Sinben^ l^at nit^t 
fül^Tfere nnb reid^ere garben nnb feine fo l^ertnlifd^e |)eiter!ett in 
feinen ©arfteHnngen breifter gannen nnb betrnnfener Sacd^antinnen. 



Balzac. 191 

SSon feinem äßetftcr ber ©prod^e loirb l^iet feine fprad^Iid^e ^nft 
übertroffen. ^ 

„La Peau de Chagrin" ift S3aljac§ erfter bid^terifd^er SSSaffen- 
gang mit ber S33irHid^!eit feinet ^dtaittx^; eg ift ein ftunteg, leb^ 
^afteg, feimenreid^eg S3ud^, bag fo ju fagen anticipanbo burc^ grofee 
eini^eitlid^e Symbole jeneg umfaffen8e S5ilb ber mobemen (Sefeßfd^aft 
ju geben berfud^t, ttjeld^eg erft bk ©efamtl^eit ber SBerfe S3aljacg 
araiäl^emb barfteHen foßte. 3n eine n?nnberbore p^antaftifd^e 8)e^ 
Icud^tnng gerüdCt erfd^einen l^ier bie ©ftrcme beg mobemen Sebeng, 
bag ©piell^oug nnb bag SBonboir ber SRobebame, bie Qtüt beö 
©efel^rten nnb ber finjug beg 9leid^en, bie fel^nfnd^tgtjotte nnb l^off- 
nungglofe Slrmnt be§ jnngen latente, bag fid^ t)on ber güße ber 
irbifd^en Oüter anggefd^Ioffen .fielet, bie Orgien ber Sonmaliften 



^ aJJan lefc j. ö. baS folgcnbc gragment einer ^\>o\txo\>i)t an bie SRufe, 
in ber grcube über bie SßoKenbung eineS neuen öünbelS SfJoöeKen gefd^rieben: 
• „2aäjciihe SDime, toenn bu immer frifd^ nnh jung bleiben ttjiüft, fo weine 
nie mel^r! S)cnfe lieber baran, fjlicgen ol§ne S5ügel ju reiten, beine d^amäleos 
ni|'(]^en dl^imären mit fd^önen SSoIfen aufzubäumen, bie ^ferbe ber SSirüid^feit 
in regenbogenfarbige ®efta(ten ju bertoanbeln, ujeld^e 3)e(fen auS farmoijtnroten 
träumen unh ftatt beS StangengebiffeS bunfclblaue 5%cl l^aben. S3ci bcm 
ßörjjer uttb bem SBIut, hti bem SRaud^fa^ unb bem ©iegcl, bei bcm S3uc^ unb 
bcm S)egen, bem Sumpcn unb bcm ®oIb, hei bem Xon unb ber fjarbc, »enn 
bu in jene @Icgien=|)ö]§Ic ^urüdlel^rft, too hie ©unud^cn garftigc grauenjimmer 
für blöbf innige ©ultane anwerben, fo flud^e id^ bir, laffe bic^ ßiebfofungcn 
unb Siebe cntbcl^rcn, laffe hi(i) . , , 

S5ruff! 3)a fi|t fie ^^c^ jn SRofe auf einem ©onnenftraT^I, bon einem 
S)utenb ©r^ä^^Iungcn begleitet, Ut oor ßad^en in luftige SJlcteore berften! @ie 
f})icgelt fid^ in il^ren ^riämen, fo berb, fo ]§od^, fo !ü]§n, fo UJibcrfinnig, toiber= 
f<)enflig, tt)iber aUeä eilenb, baß man fie feit lange unb genau fennen mug, 
um il^rem ©ircncnfd^ujanj mit ben ©ilbcrfacetten, ber hei ben SRönfen biefer 
neuen ©c^erje ^n unb i)ex »ebclt, ^u folgen. @o mal^r ®ott lebt! @ic ]§at 
fid^ l^ineingeftürät mie ein ^unbert loSgelaffcner ©djuljungen jur SBeft)eräeit 
über eine ©rombecrl^ecfc l^crföttt. ä^tni 2:eufel ber SJJagifter! 3)a8 ^u^cnb 
ift boKcnbct! 8reierabcnb! ^cr ^u mir, Äameraben!" 

(£§ ift nur biUig, 5U geftcl^en, bag e§ faum in ben fämmtlid^en 
„Contes drolatiques" ein jweite^ fo langet ^tüd giebt, ba§ ftd^ jitieren ober 
laut borlefcn liege. 



192 ^it romontift^e 34|ttU in Iranktddi. 

unb Sourtifanen, enblid^ in bcn tüciblid^en |)auptgcftaltcn bcr Äon=^ 
traft t)on SBett unb §crj. S)ie ©d^ilbemngcn finb mit Breitem 
5ßinfel gemalt; bag ©ange Beftel^t aug toenig^n an einanber gc= 
reil^ten farbenfc^ittemben S^ableauj, eg ift mel^r ?ßl^ilofop]^ie tmb 
©timbolil afö inbiöibüeHe ©eftaltung^feoft barin. ®em armen 
.jungen |)elben, ber im ©egriff fielet, ©elbftmorb ju begel^en, toirb 
t)ön einem uralten Probier ein ©tüd SfefefeH gefd^enft, tocld^c^ 
ttieber geuer nod^ @ifen jerftören fann. 3)cm SBefi^er, beffen Seien 
bon bcm ©eftonb beg g^ßeö abl^ängig loirb, fid^ert e^ bie (SrfüIIung 
jebeg SBunfd^eg, aber für jeben erfüllten SSSunfd^ toirb e§ um einige 
Sinien öerHeinert. ®ie Überrebung§!unft einer ou^erorbentlic^cn 
^l^antafie l^ot eg öermod^t, bag Übematürlid^e in biefem tieffinitigen 
©timbol gtoubl^aft ju mod^en; S5aljac l^at e^ öerftanben, bera 
5ßl^antaftifd^en dnt gorm ju geben, in ineld^er. eg mit ben (SIcmenten 
ber mobemen S33irllid^!eit fid^ nod^ öermifd^en lann. 35ie Sompe 
Sllabbin'g tl^ut, loenn fie gerieben tüixb, unmittelbar SSunber, fie 
erfe^t. (felbft bei Del^Ienfc^Iäger) bie natürlid^e Äaufalität — anbers 
ba^ ßl^agrinfeH; e^ rid^tet nid^tg au§, e§ fiebert nur ben ©rfolg 
unb jiel^t fid^ babei immer mel^r jufammen/fd^loinbet immer tne^r; 
e^ fd^eint au§ bem ®runbftoffe gemad^t, aug bem unfer Sebcn be? 
ftel^i „2)er ÜKenfd^/' jagt SBaljac, „erfd^öpft fid^ in gtoei uiftinf^ 
tiöen ^anblungen, burd^ loelc^e bie tlueßen feiner ©piftenj bcr* 
fiegen. 3^^i Serben brüdfen aße gormcn au§, loelc^e biefc jioei 
Urfad^en feineö Xobt^ annel^men, SBoHen unb Sonnen. 35ag SQSoDen 
brennt ung au§ unb ba^ Sonnen öemid^tet un§." 2)ag l^ei^t : SBtr 
■ fterben 5ule|t, ttieil loir un§ täglich töten. 2)ag gell toirb, ebenfo 
n)ie tt)ir, burd^ SBotten unb Sonnen öemid^tet. SRit loirttid^er Siefe 
jeigt ba^ 93ud^ burd^ bie energifc^e ©arfteßung be§ ©runbtriebs 
ber ganjen Generation, aug ber gülle unb über alle 3Ka§cn ba§ 
Seben entpfinben ju ttJoHen, loeld^e Seere in ber S3efriebigung gtii^nt, 
unb ttJie ber %ob aug bei* (SrfüHung ber SBegierben l^eröortritt 
Sngenblic^, frud^tbar, gebanfenreid^ unb abftraft^meland^onfd^ toic 



3ai}ac. 193 

alle 93üd^er, bic ein ©cnie t)or bcr ©etailerfal^rung fd^rcifit, machte 
„La Peau de Chagrin" anä) au^erl^alb ber (Srcnjen grantreid^g 
Sluffe^en, ®oetl^e lag eg nod^ in feinem Ie|ten SeBen^jal^re. 35et 
Siiemer (ber nait) genug SSictor §ugo für ben SSerfaffer f)äit) fagt 
©oetl^e am ll.DftoBer 1831: „^ä) lag „La Peau deChagrin" loeiter^ 
®g ift ein öortrefflid^eg SBerf neuefter Slrt, loeld^eg fid^ jebod^ babnrcä^ 
augjeicl^net, ha^ eg ftd^ ä^ifd^en beni Unmöglid^en unb Unerträg== 
Ud^en mit ®efd^madE l^in unb l^er Belnegt unb bag SBunberbare afö 
3KitteI, bie mertoürbigften (Sefinnungen unb SSorfommenl^eiten t)or^ 
iufül^ren, fel^r fonfequent ju Braud^en tüei^; ttjorüber fid^ im ©in- 
jelnen t)ie( ®uteg tuürbe fagen laffen»" 3n einem 93rief t)om 
17. ^ioöember 1831 fd^reibt er ferner über „La Peau de Chagrin": 
^,®a§ 5ßrobu!t eineg gauj öorjüglid^en ®eifteg beutet auf ein nid^t 
JU l^eilenbeg ©runböerberbnig ber Station, ttjeld^eg immer tiefer um 
fid^ greifen n?ürbe, tüenn nid^t bit Departemente, bie je^t nid^t (efen 
unb fd^reiben fönnen, fie bereinft tt)ieber l^erfteHen, infofem-e^ mög^ 
lid^ ttJöre/'^ 

S)a§ 93ud^ entl^ält nid^t inenig ©elbftbiogro^jl^ifd^eg» %u^ 
eigener ©rfal^rung fannte Saljac bie ©n^^finbungen beö armen 
3üngling§, ber öon feiner üRanfarbe aug in feinem einjigen 5ßaar 
tuei^feibener Strümpfe unb eleganter ©c^u^e über bie fd^mu^igen 
Steine balaujierenb fid^ jum S5alle begiebt, in tötlid^er Slngft, t)on 
einem öorüberroHenben SBagen befprifet unb baburd^ beg Slnblidfg^ 
ber beliebten beraubt ju tt)erben. Sntereffanter ift jebod^ bie 
Summe innerer ®rfal^rung, bie in bem SBerfe niebergelegt ift unb 
bie fid^ folgenberma^en giel^en läßt: 3)ie (SefeHfc^aft öerabfd^eut 
UnglüdE unb Sd^merj — fie fürd^tet fie loie anftedfenbe ^ranf^eiteu- 
aSie majeftätifd^ aud^ ein Unglüd fei, bie ®efellfd^aft öerftel^t eg 
JU verringern , e^ burd^ ein Epigramm ein ttJenig läc^erlid^ ju 
mad^en; nie i^at fie mit bem gefallenen (Slabiator SRitleib* S^rj, 



* @oet]§e=3a]§r6ud) 1880, @. 289. 
»ranbe«, Sitteraturgcft^. be»-l9. 3fa^r^. V. 13 



1 94 Sie romantift^e 3(^uk in itankreit^. 



bie ©cfcDfd^aft crfd^eint Saljac gleid^ tjon Einfang an t)on jcbcr 
f)Sf)tttn religiöfen ober moraltfd^cn 3bce öcriaffcn; fie Iä|t bic 
ätten, bie Firmen, bie Äranfen aHein, fie l^ulbigt bem ©rfolg, ber 
©tärfe, bem ®elbe, fie verträgt fein Unglüd, aug bem fie nic^t 
einen SSorteil ober 9hi|en jiel^en fann. Sl^re 5)eöife ift: 2ob bem 
©d^toad^en! 

SBör SBaljac l^atte ber SRoman »efentli^ ein einjigeö (Sefü^I, 
bie Siebe, jum ©egenftanbe gel^aBt. ®r fal^ mit feinem geniolen 
Slicf, bafe bnrd^auö nid^t bie Siebe, fonbem öielmel^r bä§ ®elb bie 
©ott^cit ber ^citgenoffen loor^ 3)egtoegen ift baö (Selb ober öielrac^r 
ber SKangel an ®etb, ba§ Sebürfnig beö ®elbeg, in feinen Sudlern bic 
ängel ber ©efeUfc^aft. 2)iefer ®riff n?ar fül^n unb nen. 3n einem 
SRoman, in ber 5ßoefie mit ööHiger ©enanigfeit bie ©innal^nten unb 
Sln^gaben ber 5ßerfonen anjugeben, überl^ou:pt t)on bem ®elbe oß 
einer §qn^)tfad^e ju fpred^en, bag toar unerl^ört, profaifd^, rol^; 
benn eg* ift immer rol^, ba§ jn fagen, roa^ oße meinen ober benfcn, 
nnb toa^ man be^n)egen biöl^r ju öerl^el^Ien ober jn leugnen einig 
tüatf öor allem in einer Äunft, bie oft genug afö bie ber fd^öncn 
Säge aufgefaßt toorben. 



XIV. 

®od^ Saljac loar noc^ jung; aud^ feine fo frül^ enttäufd^te 
©id^terfeele l^atte i^ren grül^Kng; aud^ er fül^Ite bm 95eruf, bie 
Siebe unb ba§ SEBeib ju bem üRitteIt)un!t einer fReil^e t)on SRomanen 
ju mad^en. @r bel^anbelte ba§ alte Sl^ema mit einer Urfprünglid^* 
feit, bie eg ööHig neu ertßngen tie§, unb bie @r jäl^Iungen , in 
toeld^en er e§ mit bem größten @rf otg variierte , bitben in feinen 
Sßer!en eine ®ntppe für ftd^, 

®§ ttjar nid^t bie ©d^önl^eit, am toenigften bie plaftifd^e @d^ön^ 
l^eit, ber er in bem SBeibe l^utbigte* @r empfanb überl^aupt bie 
©d^önl^eit nid^t am tebl^afteften burd^ bag ÜKebium ber ^unft . ©d^on 
l^icrburd^ unterfd^eibet er ftd^ öon einer nid^t geringen Qa^ feiner 
3eitgenoffen* @in großer Seil ber romantifd^en 3)id^tung fon?ol^I in 
®eutfd^Ianb unb im 9iorben, tüie in granfreid^ ^atte ja bie ^nft jum 
©egenftanbe. Sin in f olc^em ®rabe funftliebenber 2)id^ter tüie ©autier 
(batb bag ^awpt dun ganjen @d^ute) tüurbe ä, 93. burd^ feine Siebe 
jur ^nft an ber ©rfenntnig ber SBirflid^feit-gel^inbert. ®r l^ot 
fetbft ergäl^tt, tüie enttäuf(^t er fid^ fül^Ite, afö er jum erften 3Rat 
in SRioult^ Slteüer nad^ einem tt)eiblid^en SKobeH malen foKte, 
obtüo^I bag SRobeH fd^ön, feine Sinien elegant unb rein tt)aren» 
„Sd^.j^abe immer", geftel^t er, „bie Statue bem SBeib unb ben 
SRarmor ber $aut öorgejogen." SSielfagenbe SBorte! üRan btnU 
iidi) (Sautier unb 93aläac jufammen in btm Slntifenmufeum be§ 
Souöre, im Sltterl^eiligften, tuo bie 9Senu§ öon 9ÄiIo in einfamer 
SRajeftät ftral^tenb fte^t ®em plaftifd^en 3)id^ter tpirb au§ bem 



13 



« 



196 'te tomantif4)e ^4)ule in irankreid). 



ÜKarmor bie fd^önfte ^^tnne ber gried^ifd^en ^nft auf bie SSoD^ 
tommcnl^eit bcr mcnfd^Iid^cn gorm ertönen, unb er toixb ^ari§ 
barüBer öergeffen. SBaljac bagegen öergi^t bie ©tatue, bie er gu 
Betrad^ten im 93egriff fte^t, über einer nad^ ber ÜKobe ber bamaligen 
3eit gefleibeten 5ßariferin, bie mit il^rem 2ongfl^att)I, ber t)om ^alfe 
big ju bcn §adEen feine gälte fd^Wgt, mit il^rem tefetten §ut, i^ren 
feinen, bie |)anb mobeHiercnben, ^anbfd^ul^cn öor ber ®öttin [teilen 
geblieben ift @r öafte^t mit einem Slidf aH bie Meinen Äunft* 
griffe il^rer Xoilette, beren ©el^eimniffe t)or i^m feine finb» 

5)a§ ift ber erfte Smq: ganj unb gar nid^t^ t)on ben äJi^tl^o* 
(ogien unb Strabitionen ber SSoräeit fteHt fid^ jloifd^en i^n unb bie 
jeitgenöffifd^e grau. @r ftubierte feine Statue, betete feine ©öttin 
an, liegte feinen ^Itu§ ber reinen ©d^önl^eit, fonbern fa^te bie 
grau auf, tüie fie bamatö ftanb unb ging, mit il^ren ^feibern unb 
©l^atotö, |)anbfd^ul^en unb |)üten, Saunen unb Xugenben, SSer* 
fud^ungen unb gel^Iern, 9iert)en unb ßeibenfc^aften, mit allen ©puren 
ber Unnatur, ber (Srmübung unb ber Sränflid^feit <£r liebt fie, 
n?ie fie ift Unb er begnügt fid^, um fie ju ftubieren, nid^t bamiir 
fie im SSorbeigel^en ju beoba^ten; fein Slidf bringt bt§ in ba§ 
Söouboir, big in ben 9lHot)en; er begnügt fic^ aud^ nid^t bamit, 
il^re ©eete ju erf orfd^en ; er f orf d^t nad^ ben pl^^fiologif d^en (Srünben 
ber feelifd^en ^^tpänbe, nad^ grauenfeiben unb grauenfranfl^eiten, 
^a§ ganje ftumme @fenb be§ fc^tuad^en unb bulbenben ®efd^fed^t§ 
toirb tnel^r afe angebeutet. 

®er äU)eite 3^19 ifr biefer: 93aläac fteUt atö (Segenftanb ber 
Siebe nic^t bag junge äRäbd^en, nid^t einmal bie ganj junge grau 
bar; ber §auptt^pu§ feiner grauengeftalten ift ber, ben man nad^ 
feinem 9toman „bie grau öon brei^ig 3a^ren" genannt l^at @g 
beburfte eineg genialen ©id^terg, um bie einfädle SBa^rl^eit ju ent* 
bedEen unb augjufpred^en, ba§ in bem nörblid^en tlima granfreid^g 
ba§ n?eiblid^e (Sefd^ferfit mit ad^tjel^rt Salären tüeber för^jerlid^ noc^ 
geiftig feine l^öd^fte Stute ^at. Sr fd^itberte bie grau, bie fd^on 



Bal}ac 197 

bie erfte Sugenb l^intcr fid^ l^at, bie fd^on tiefer unb reid^er fül^It 
unb betift, bie fd^on ©nttäufd^ungen erlitten ^at unb bennoc^ einer 
ganjen ßeibenfd^aft fä^ig ift. Sie ift fd^on t)on bem Se6en gebranb«' 
tnarft: l^ier ein fd^merälid^er Qn^f ba eine 9lunjel; ber SBurm l^ot 
on ber üppigen grud^t genagt, .aber fie h)ir!t nod^ mit ber öoßen 
§lttmad^t il^reg (Sefd^ted^tg. ®ie ift f d^n?erntätig , fie l^at gelitten, 
fie l^at genoffen, fie ift unöerftanben ober bereinfamt, oft getftufc^t, 
nod^ immer erttJartenb, fällig, bie tiefen, glül^enben Scibenfd^aften 
einjnflöfeen, bie in bem ÜKitleib tt)urjeln. Unb eigentümlid^ genug, 
fie toirb nie öon htm @tanbpun!t be^ gleid^altrigen SKonneg an^ 
Betrad^tet; nein, fie toirb fo aufgefaßt unb fo gefd^ilbert, toie ein 
Beträd^ttid^ jüngerer, nod^ t)on bem SeBen toenig Betel^rter SÄann 
fie öon feinem ©tanbpunfte -au^ auff äff en mu§, ® ie frif d^e @mpfin* 
bung, bie brennenbe S3egierbe, bie naiöe 93egeifterung , bag unöe* 
n)u|te Sbealifieren einer jugenblid^en @roti! legt eine ©torie um 
bie nid^t mel^r ganj frifd^e Stirn, öerfd^önert, öergöttlid^t, öerjüngt 
bie nod^ immer anjiel^enbe unb mit aKen ®rajien ber geinl^eit, ber 
©rfal^rung, beg hjeiBfid^en ©rnfte^ unb ber ed^ten Seibenfd^aft aug^ 
geftattet^ grau. ^ 3beafiftif d^ (loie in ben jum SSergleic^ fid^ bieten^» 
ben ©tjäl^tungen t)on ©eorge @anb) ift bie 2)arftellung nie; benn 
nid^tg ift öerfd^loiegen t)on itm, toa^ bie grauen, ttjenn fie t)on 
i^rem eigenen ©efd^Ied^te fpred^en, ju öerfd^ioeigen pflegen unb toa^ 
aud^ jene geniatfte ^arfteHerin bei ben grauengeftalten, für bie fie 
©^mpatl^ie erregen ttJiH, übergel^t. gür ©eorge Sanb ift bie grau 
t)or aÜem ein moralifd^eg SBefen, eine ©eele; .für SBaljac eine 
pl^^fiof ogif d^^pf^d^ologifd^e Ji^atf ad^e unb be^loegen bei il^m ttjeber töx^ 
ptxliä) nod^ geiftig o^ne Wtattl ©eine Sbealifierung ber (Seftalt ift 
€ntn)eber rein äu^erlid^ (ba^ 3beafifierenbe ber S3eleud^tung, ber 



* 9Äan lefc befonbcrS „Le Message", „La Grenadiere", „La femme 
abandonn^e", „La grande Br^t^che", „Madame Firmiani" unb „La femme 
de trente ans", chtc ©ammlung urft)rüngli(^ nid^t ^ufamtnenge^örcnber 
6tubtcn. 



198 I)ie tomantif4)e ^d)ule in irankreiri). 

, — ■ — ■ ■■ ■■ I. ■ ■.-.■,.,- — ■,■ ■,-,.--,,. . 4 I. ■ — — ■ ■ 

crotifc^en Situation j. 93.), ober eg ift bie fieibenfd^aft ber bärge* 
fteHtcn 5ßerfönlid^feit, loctci^e, immer nur für eine ä^it, aUeö anbere 
unb frül^ere annulliert ober öerflärt unb fo burd^fd^einenb ibealificrt^ 
S)ie ßiebe ber ©attin, bie üRutterlieBe, bie fd^üd^teme Steigung be^ 
jungen Sßäbd^eng loirb ju biefer Qtxt t)on S5aljac mit glcid^er 
SKeifterfd^aft loie bie freie ®rotif ber liebenben (SelieBten gefd^itbcrt* 

2)ie franjöfifd^e grau tritt bei il^m in t)ier öerfd^iebenen ©pod^en 
ber ®efd^id^te l^eröor, 

3uerft in ber JReboIutionSjeit. 3n einem Keinen SKeiftertocrf 
„Le R6quisitionnaire", eine t)on ben tt)enigen feiner ©rjäl^Iungen, 
bie nid^t nur atö Sitten* unb §eräen§gemälbe, f onbem aud^ burd^ bie 
öoHenbet noöeHiftifdöe gorm ber ^anblung gläujen, bel^anbelt er 
auf bem |)intergrunb ber ©d^redEenöjeit bie Siebe einer Wtnttet 
ju bem ©ol^ne. ®ie abgef^iebene Keine ©tabt, ber eigentümlid^e 
©alon äRabame be S)e5'g finb mit toenigen ©trid^en gemalt. 3)ie 
gurc^t um bag Sieben be§ jum Sobe öerurteiften ©ol^neg; bie 
©rtoartung, il^n afö Einquartierung fommen ju feigen; bie öon 
©tunbe JU ©tunbe big in bie fpäte SWad^täeit gefteigerte Bpan* 
nung be§ SBarten^; bie anfd^einenb geJ^eimni^öoIIe ?lnfunft be^ 
jungen ©olbaten, ber in ba§ forgfältig für il^n bereitete Qimmex 
ungef cl^en t)on ben (Säften be§ ^aufe^ hinaufgeführt loirb ; bie ber* . 
jtt)eifelte Unrul^e unb tolle greube ber äRutter, bie feine ©d^ritte über 
fid^ l^ört unb, um fid^ nid^t ju verraten, il^r ©efpräd^ im ©alon 
fortfül^ren mu^, enblid^ i^r ^ineinftürjen in§ 3^^^^^ ^^^ ^i^ 
fürd^terlid^e ®ntbedfung, ba§ ber Slnfömmling ein 2(nberer, ein iDtrf* 
lid^er 9?efrut ift — alle^ bieg, auf einen 93ogen äufammengebrängt, 
ift mit unöergleic^Iid^er ÜKad^t unb SSSal^rl^eit auggcfül^rt, 

®cmnäd^ft l^at Saljac bie grauen unter ber §errfd^aft Sftapo^ 
leong gefd^ilbert. 

®er ^intergrunb ift ^ier bie ungel^eure Entfaltung mifitärifd^er 
5ßrad^t, bie Sltmofpl^äre ift bie (S(üt ber 93ett)unberung, toeld^e ben 
fiegreid^en SJriegern loon ben grauen entgegengebrad^t loutbe, bie 



Bal|ac. 199 

rüdfid^tölofe unb gcnu^füd^ttgc |)aft beg ßebenö ju einer Qdt, loo 
baö junge SBeib „jiüifd^en einem erfien unb einem fünften SuHetin 
ber ©rofeen Strmee nod^ einanber SBraut, ®attin, SKutter unb SSSitoe 
fein fonnte," unb n?o bie Slugfid^t auf ein na^e§ SBitoentum ober 
eine S)otation ober einen unfterblid^en 9iamen bie g^^uen leidet:* 
finniger unb bie Dffijiere öerfüj^rerifd^er mad^te. ®ie SReöue in 
bem Xuilerienl^of 1813, toeld^e bk ©inleitung ju „La femme de 
trenjte ans" Bilbet, unb bie ?l6enbgefellfd^aft jur Sdt beö Siegel 
bei aBagram, bie in „La Paix du manage" b^n Sefem öorgefül^rt 
ift, malen eine ©pod^e unb einen grauent^pug* 

35od^ fein loal^reg ®ebiet, too feine %t)pm öon grauen unb 
grauenliebe feine SBeo.bad^tungSgabe am fd^ärfften jeigen, erreid^t 
Saljac erft in ben SJarftellungen au^ ber SReftauration^jeit ©o uner* 
fd^rodfen aud^ fein Singe unb fo l^art feine §änbe ttJdren, fo fel^r er 
aud^ gefd^affen loar, bie nüd^teme unb !ormnH)ierte 5ßeriobe ber 
bürgerlid^en §errfd^aft ju fd^ilbem, er n?ar bod^ immer 5ßoet genug^ 
um unter ber profaifd^en 5ßIutofratie be^ 3utifönigtum§ nad^ bem 
öerfd^touitbenen 3^^^^^^ ber ®Ieganj unb ber freieren, l^eitereren 
Sitte ber 9ieftauration mit einer getoiffen SBel^mut jurüdf ju blidEen. 
®ie JReftauration^jeit toar nod^ oriftofeatifc^. genjefen, unb 93aljac, 
ber fid^ felbft, toenn aud^ mit 'Unred^t, ju bem Slbel red^nete, ^egte 
eine nid^t geringe SSere^rung t)or ber*3lrifto!ratie; bie öomel^m ge- 
borene unb erjogene fc^öne grau f d^ien il^m bie Slüte ber SÄeufd^l^eit» 
®eix)i§ geprt er ber ©eneration an, bie für 9iapoIeon fd^iüärmte, 
beff en 9iame benn aud^ auf jeber jtoeiten ober britten ©eite bei i^m öor^ 
fommt, ®r träumte (toie SSictor §ugo) baöon, in ber ßitteratur mit 
ber SBeltl^errfd^aft be^ ^aiferg ju n)etteifern; fjatte er bod^ in feinem 
Slrbeitgjimmer eine Statuette 9?apoIeon^ ftel^en, auf bereu 2)egen^ 
fd^eibe er gefd^rieben ^atte: „SBaö er mit htm Sd^loerte er!ämpft 
l|at, h)crbe id^ mit ber geber erobern"; aber mit aü feinen Zx&u^ 
men, feinen @d^tt)äd^en, feinen verfeinerten unb eitlen Steigungen 
gel^örte er bod^ bem legitimen Königtum an, beffen Qüt au^erbem bie 



200 ^it romantifiije ^i^ule in itankteüi). 

3eit feiner Sugcnb loar intb afö fotd^e mit wärmeren ©efül^Ien 
uttifafet tonxbt. aSBäl^rcnb ber ©pod^e ber altfranjöfifd^en Xrobitioncn 
unb ber öergotbeten ©taatöfaroffen toaren, bon bem l^errjd^enben 
SIerifaliMug unangefod^ten, in ben l^öl^cren Greifen freie Slnfid^tcn 
unb l^umane ©itten gej^fCegt toorben; fie öerfd^tcanben mit ber 2]^roti* 
befteigung beg ©elböeutefö. 2)ag gefeßige Seben, baö bie §au^= 
ftabt beg guten Zon^ fo berül^mt gemad^t l^atte, ftorb l^in. Sein 
SBunber alfo, ba§ 93aljac bie fd^önen ©ünberinnen beg gaubourg 
©t ®ermain mit jarter $anb unb fc^meid^etnben garbeit moltt 
SBo^I toax bie fd^öne ©elpl^ine be ©irarbin, bie anmutige ®id^crin 
unb ©d^ö^jferin beg originellen 5ßarifer geuiUeton^, bie einen wh 
befud^ten ©alon l^atte, i^m loie $ugo unb ®autier eine treue unb 
finge greunbin; aber mel^r ate t)on il|r l^at er für fein Sieben 
geioi^ öon jenen jn)ei ^erjoginnen gelernt, bie il^m bie ®röfee ber 
Saiferjeit unb ben ©lang beg l^eiteren unb feinen alten W^M 
:perf onifijierten , unb benen er fd^on ju Slnfang feiner Saufba^n 
nal^e trat: t)on äRabame Sunot, ber^erjogin t)tin 3lbrante§, ber er 
litterarifd^ bel^ülflid^ tnar, unb öon ber ^erjogin t)on Saftrieö, bie 
i^m juerft anonym i^r 3ntereffe für feine f d^riftfteHerifd^e SSirffara^ 
feit mitteilte unb an bie i^n eine 3^it tang eine nid^t ertoiberte 
Seibenfd^aft feffette. Sie !ommt iti feiner 9lomanfoIge „Histoire 
des Treize" unter bem 9iamen ber |)erjogin be Sangeaig t)or. 

%n bie (Sefeßfd^aft be§ 3nfi!önigtum§ , bie grauen unb bie 
^affionen berfelben rül^rt Saljac felbftöerftänblid^ in ben erftcn 
ber ©reisiger 3a^re nod^ nid^t. ®ag g^fd^ic'^t erft f)jäter. 9Ran 
lann jiemtid^ burd^gel^enb bie 93eobad^tung mad^en, ha^ er bem 
neuen Stoff gegenüber unb .überl^aupt mit ben reiferen Sauren 
ftrenger unb fd^ioäräer fielet 3)er grül^Iinggl^aud^ ift öerfd^tt)unben. 
Sn t)ielen SBüd^em ift nod^ immer, bie grau unb bie Siebe ber 
SRittelpunft. Sfber bie Steigung ift Seibenfd^aft unb bie Seibenfc^aft 
Safter geloorben. SBenig uneigennü^ige ©ntpfinbungen unb un* 
fc^ulbige S^mpatl^ien; SBered^nung überall, aud^ bei ber grau, be^ 



Baljat. 201 

fonberg bei bcr grau, unb fogar in ber ßiebe, nod^ mcl^r ba, mo 
nur Surrogate für bie ßiebe geboteu toerbeu- 2)ie ©ourttfaue 
brängt iu öteleu feiuer fRomaue bie SBeltbame iu btn |)iutergruub, 
unb bi^meiteu fiubet fid^ bei ber crftereu reuiger Sigeuuu^ aU bei 
ber le^tereu, 2)ie Slbgrüube be^ ©goi^mu^ uub be§ ßafter^ öffuen 
fid^ t)or ben Slugeu be^ ßeferg. 



XV. 

Unter ben in ben Salären 1833 unb 1834 crfd^tcnenen Süd^ent 
ftnb bcfonberg jmei l^eröprjul^ebcn, btc feine unb flaffifc^e Srjäl^limg 
„Eugenie Grandel" unb ber gettjaltige, geftaltenreid^e fftoman „Pfere 
Groriot". Sn beut erftgenannten SBerfe n)etteifert Saljac mit 3Ro* 
liere (L'Avare), in beut jmeiten mit feinem geringeren ate @|a!e^ 
fpeare (King Lear). 

„Eugönie Grandel" giebt nid^t ben 9Kafeftab für 93aIjQC§ 
Xalent, obttjol^l er lange 3^it l^inburd^ ben ©l^rentitel be§ S5er* 
faffer^ biefer ^loöeKe trug. ^a§ 35ud^ intereffierte burd^ bie ©org-- 
falt unb bie SBaJ^rl^eitStreue, mit ttjeld^er ba^ ßeben ber 5ßroöinj, 
fon)ie bie eigentümlid^en ßafter unb. 2^ugenben begfelfien ge^ 
fd^ilbert finb; e^ liefe fid^ afö gamilienleftüre em^^f eitlen, meil bie 
|)elbin ein ebleg unb feufd^e^ junget SKäbd^en njar; e§ ift i^oij 
fiefonberg burd^ bie ©enialität mertoürbig, mit meld^er SatjflC 
ba^ Safter ber |)abfud^t unb be^ @eije§, bem bie Sitten nur 
eine fomifd^e Seite abjugeminnen mußten, begreiffid^, ja impo^ 
nierenb ju mad^en öerftel^t. SSaljac l^at gejeigt, tt)ie ber (Seij, ben 
man afe läd^erlid^en 2^rieb perf^^ottet l^atte, nad^ unb xiad) aDe 
menf d^Iid^en @ef ül^Ie tötet, • um f ürd^terlid^, t^rannif d^ fein äKebufen-' 
l^aupt über bie Umgebung be^ ©eijigen ju erl^eben ; unb bennod^ fyA 
er un§ jugleid^ btn ©eigigen menfd^Iid^ naiver gebrad^t %üx i^nift 
ber |)abfäd^tige nid^t ber Äomöbienfpiepürger, fonbern ein maiji' 
liebenber SKonomane, ein berl^ärteter ©d^märmer, ein^oet, ber 
beim Slnbfidf beg ©olbeg in gefdttigter SSegierbe unb bod^ in n»tfi)en 



Sräuincn fd^tüelgt. @r ift fid^ nur tntenfiöer afö aKe Stnbcreit 
ber SBal^rl^ctt bemüht,' ba§ ha^ ©olb äße menfd^Iid^en ^äftc unb 
grcuben öertritt» 3n einer fold^en ©l^arafterfd^ilberung jetgt ftd^ 
fd^on bte @tär!e SBaljac^, n)etd^e barin befielet, ol^ne gro^e, pral^Ienbe 
©ujetö aufjufud^en, mit bem Steinen, t)on anbern Überfel^enen unb 
Serfd^mäl^ten, eine gro^e SBirfung ju erjielen, ©^mbolifd^ auf== 
gefaxt ift in „Eugenie Grandet" bie SBelt nid^t eng, S)od^ tüav 
fie für S3aljacg f^^egieKe SInlagen eine ju enge. 

3m „Pore Goriot" txtotxkü fid^ ha^ SebenSbflb. 9?id^t ein 
entlegener SBinfel ber ?ßrot)inj, fonbern ba^ ungel^eure 5ßarig ttjirb 
l^ier ftubiert, ttjirb wie ein Panorama bem Singe aufgerollt, 
^er ift nid^tg mel^r mie in „La Peau de Chagrin" abftraft unb 
allgemein; jebe ®ef eKf d^aft^flaff e , jebe ®eftalt innerl^alb berfelben 
ift mit ben inbiöibuellften Qü^m au^geftattet. 3d^ nannte „S^önig 
Sear"; aber ba^ SSerl^ältni^ ber beiben faltJ^erjigen 2^öd^ter jum 
SSater, fo tief e§ aud^ angelegt unb empfunben ift, madtjt nur im 
äufeerlid^en Sinne ben ®egenftanb an§, S)ag malere ©ujet ift ba^ 
Eintreten bt^ relatit) unberborbenen, au§ ber ^robinj anfommen* 
ben 3ünglingg in bie 5ßarifer SBelt, feine grabmeife Sntbetfung ber 
toal^ren SBefdtiaffenl^eit biefer SBelt, .fein ©d^redEen bei biefer @nt== 
bedung, fein SBiberftreben, feine Sßerfud^ungen, enblid^ feine fd^ritt^ 
toeife, toenn aud^ fd^nette ©rjiel^ung für ba^ Seben, ba^ um il^n 
l^er gefül^rt ttjirb. 2)ie ©l^arafterentfaltung Slaftignac« geprt jum 
Siefften, xoa^ Saljac unb überl^aupt irgenb ein moberner 9floman=^ 
bid^ter l^erborgebrad^t l^at, 3Kit großer Äunft l^at SBaljac e§ !lar 
gelegt, n)ie t)on ben berfdtjiebenften Seiten, überaß wo meber 
^eud^elei nod^ 9lait)etät bie ^u^erüngen biftiert, biefelbe 3luf^ 
faffung ber ©efeßfd^aft unb biefelben Seigren bem jungen äKanne 
entgegentreten, ©eine S5ern)anbte unb SBefd^ü^erin, bie reijenbe 
unb t)omel^me Seauftont, fagt i]§m:.„Se Kiter ©ie bered^nen, um 
fo ttjeiter ttjerben ©ie tommtn. ©dalagen ©ie ol^ne äKitleib, fo 
loerben ©ie gefürd^tet n)erben. Setrad^ten ©ie SKänner unb ^Jrauen 



204 3Die tomantlfdje 5(l)ttle in Ixankxtidj. 

nur aU ^ßoft^^ferbc, bic @ie big ju jebem Umf^^annort ju ©d^anben 
fql^ren . ♦ . , tpenn @te aber tin tDal^re^ ®cfül^I l^aben, fo lauten 
@ie fid^, eg ju bcrratcn, f onft werben Sie SlmboS ftatt Jammer , . . 
ginben erft bie grauen Sie geiftretd^, fo njerben bie 3Ränner eg 
glauben, n)enn @ie fte nid^t auS beut 3rrtum reiben • . • barai 
tperben @te n)iffen, ttja^ bie (Sefellfd^aft ift — eine SSerfamutlung ryon 
®im^3eln unb ©d^uften, ®et|ören @ie ttjeber ju ben einen nod^ 
JU ben anbem," Unb ber entoid^ene ©aleerenfflabe SBautrin fagt 
il^m: ;,3Kan mu§ in bie SKenfd^enmaffe entoeber mie eine ^anonen= 
fugel fid^ Sal^n bred^en ober fid^ n)ie eine 5ßeft l^ineinfd^Ieid^en« 
2)ie fRed^tlid^feit nü^t ju nid^tg. 2Kan beugt fid^ unter ber SKat^t 
be^ ©enieg, man i)a^t eg, berfud^t e^ ju berleumben, totii d 
nimmt ol^ne gu teilen, aber man beugt fid^, xotnn e§ an^i)ält; mit 
einem SBort, man betet e^ auf ben ^ieen an, menn man eö nic^t 
im Sot JU begraben öermod^te . . . id^ mette, ba^ Sie in ^ari§ 
nid^t jmei ©d^ritt mad^en fönnen, ol^ne ganj teuffifd^en ©d^Kd^en 
JU begegnen . ♦ • 3)e^l^alb ift ber red^tfd^affene äRann ber aöge* 
meine geinb. Slber mer, glauben Sie, ift ber red^tfd^affene SÄann? 
Sn 5ßari^ ift e^ ber, n)eld^er fd^ttjeigt unb ju teiten fid^ Weigert." 
SRaftignac ift ber t^^^ifd^e junge granjofe jener ßdt; er ift 
mol^I^, aber burd^auS nid^t ungemöl^nlid^ begabt; er l^at feinen 
anberen Sbeali^mu^ ate ben, ber auf ber Unerfatirenl^eit feiner 
jmanjig Saläre berul^t, ©rfd^üttert, ergriffen burd^ 2HIe§, tua§ er 
täglid^ fielet unb ertebt, fängt er an, nad^ ben Oütern be^ ©lud § mit 
immer geringerer ©etoiffenljaftigfeit, mit immer l^eftigerem Serlangen 
JU trad^ten, SBie fttäubt er fid^, aU SSautrin jum erften SKalc 
il^m bie befannte alte grage' bortegt, ob er, menn er burd^ ben 
blofeen SBiÖenSaft eg öermöd^te, einen öon il^m nie gefel^enen 3Ran=^ 
barinen in ßl^ina töten ttjürbe, um bie äWillion, bie er begel^rt, gu 
erl^alten! unb mie batb banad^. liegt ber ;,3Ranbarin" fd^on röd^elnb 
im Jiobegfam^jf ! Sr fagt fidt) juerft ttjie Slße, ba^ um jeben 
^rei§ gro^ ober reid^ fein ju ttjoßen, gleid^bebeutenb ift mit bem 



iBaljac. 205 

@ntfcl^Iu|, lügen, nad^geben, fried^cn, fd^mctd^eln, täufd^en ju tüoKen, 
unb alle§ bte§ in ftiKcm (SinöerftänbniS mit benen, bie gelogen, nadt)* 
gegeben, getäufd^t l^aben; bann entfdtjlägt er fid^ biefer ®ebanfen 
mit ber SBenbnng, er njoKe gar nid^t benfen, fonbem feinem 
§erjen folgen» @^ giebt einen SRoment, mo er nod^ jn jnng ift, 
um fid^ Sered^nungen l^injngeben, aber fd^on alt genug bagu, 
ba§ unbeftimmte Sbeen unb nebetl^afte Jiräume bnrd^ fein ©el^im 
fd^iegen, bie — ptte man fie dtjemifdt) berbid^ten fönnen — fein 
aßju reinlid^eS Slefibuum l^interlaffen l^aben ttjürben. ©ein SSer^ 
l^ättni^ JU ber SBettbame, ^tVpf)int öon 9lucingen, ber Jiod^ter 
©oriot^, öoKenbet feine ©rjiel^ung, (Sr überfd^aut bie Summe ber 
Keinen unb großen SKiferen, au§ ttjeld^en. ba§ Seben ber l^öl^eren 
©efedfd^aft beftel^t, n)äl^renb er gleid^jeitig t)on bem f^Jöttifd^en ß^ni^- 
mu§ SBaiitrin^ bearbeitet mirb, „^Wodt) jtt)ei ober brei l^od^politifd^e 
SftefleEionen," fagt SSautrin, „unb Sie feigen bie SBeft mt fie ift 
S)er bebeutenbe SKenfd^, n)enn er nur ab unb ju einige ffeine 
Sugenbfcenen ]pklt, befriebigt jjebe feiner Saunen unter bem 93eifat(§^ 
bonner ber Sinfattgpinfel im 5ßarterre , . . . 3dt| erlaube 3^nen 
gern, mid^ nod^ l^eute ju berad^ten, ha @ie mid^ bodt) fpäter lieben 
toerben. Sie werben in mir jene ttaffenben Slbgrünbe, jene großen 
tonjentrierten ®efül^Ie finben, tvdä)t bie ©ummfö^^fe ßafter nennen, 
niemals aber n)erben @ie midt) feige nod^ unbanfbar finben/' ©eine 
Singen finb geöffnet, unb jtoar für ha^ ganje ©dtieinge^^räge ber 
Umgebung; er fielet, toie bie ©itten unb ©efe^e ben gred^en nur 
©d^irmbretter finb, l^inter benen il^r |)anbeln frei ift, SBol^in er 
fd^aut, nur: ©d^einn)ürbe, ©d^einliebe, ©d^eingüte, ©d^einel^en, SKit, 
feltener (Semalt l^at SSaljac biefen SKoment in bem ßeben jebe§ it^ 
gabten Sünglingö gefd^ilDert, ttjo beim Slnblidf be§ SBeltgetriebe^ 
ba§ |)erj i^m fd^ttjißt unb fo fonberbar fd^mer mirb, ha^ i^m ju 
9Rute ift, atö trage er einen 93runn.en öoK SSeradtjtung in feinem 
^erjen, „SBäl^renb er fid^ anjog, gab er fid^ ben traurigften, ben 
entmutigenbften ©rtoägungen l^in, 3l^m erfd^ien bie ®efettfd^aft tote 



206 3Dit tomantif(l)e 5(l)ttle in itankrei(^. 

«in Dcean t)on ^ot, morin ber, meld^er nur ben fjufe l^incintaud^t, 
big jum §alfc öerftnfen muffe, @g tüerbcn bort nur Meinli^c 
SSerbrcd^en begangen, fagte er ftd^, SSautrin ift größer." S)ami, 
^ule|t, nad^bem er btn ©d^tunb biefer ^öKe burd^meffen f)at, rtd^tet 
^r ftdt) tool^ntid^ in il^r ein unb bereitet fid^ öor, ju ben ©pt|cn 
ber ©efeßf d^af t^ ju bem 3Kinifterpoften, ai^ beffen 3n^aber toir i^n 
in fpäteren ^Romanen n?iebertreffen, aufjufteigen. • 

f5aft ade SBorjüge 83aljac3 finb in biefem grog angelegten 
Söerfe ber öon il^m gefd^ilberten 5ßerfönlid^feit 9ftaftignacg ju 
gute gefomnien. . ©eine animaHfd^e Sebl^aftigfeit, feine uncrfd^ö|)f^ 
lidtie, fd^neibenbe ©uaba ftimmen tt)unberbar ju ber Stu^brud^* 
ipeife, tüeld^e fürbie gqnje bulgäre, öertumpte, <3lunipwi|ige unb bo(| 
geniale 2;ifd^gefeltfd^aft in ber 5ßenfton Sßauquer bie natürlid^e ift 
^g fottunen f aft gar feine eblen (Seftalten bor unb eg ift folgtid^ toenig 
2lnla§ ba^ fid^ einem gefd^madEIofen 5ßatl^og l^injugeben, bagegen 
l^at ber Sefer unauf^rlid^ ©etegenl^eit , fid^ an ber g^fttQfett be§ 
?lugeg unb ber §anb ju erfreuen, mit ber Söaljac bie ©eete eine§ 
SSerbred^er^, einer ^ofetten, eine§ ©elbmanne^, einer alten neibifd^cn 
Sungfer jerlegt 2)er alte, öon ben S^öd^tem verleugnete unb 
t)ergeffene Sßater, nad^ htm ba^ 99ud^ feinen SWamen ^at ift freiließ 
dne nid^t ganj gelungene ©eftaß, @r ift ein Dpfer, unb S5a^c 
^nttnidEelt hm ©eo^^ferten gegenüber immer eine übertriebene, ma^'- 
lofe ©entimentalität, @r ift j, 99. gefdt|madEIo§ genug, ®oriot „ce 
€hrist de la patemite" ju nennen. @r giebt aufeerbem ber Siebe 
^oriotg JU ben Söd^tern (toie in „Le Requisitionnaire'^ ber Siebe 
ber SKutter jum @o^n) einen fo finnlid^en Sl^arafter, ba^ fie uns 
in ü^rer |)^fterie faft anmibert. ^ Sber bod^ l^at baburd^, ba% biefer 
alte öerlaffene SKann, beffen ^erj bie eigenen Jiöd^ter mit fjüjsen 
treten, in ben SKittetpunft beg SSud^eg geftetlt ift, atte§ eine 
•(Sinl^eit unb geftigfeit* ber Slompofition getoonnen, bie überaus 

^ „Mon Dieu! pleurer, ellie a pleur6? — La t§te sur mon gilet, dit 
-Eugene. — Oh, donnez le moi, dit le p^re Goriot." 



Balzac. 207 

« 

tüol^Itl^ucnb tüirft. SBie ein (Spigramm f^3t|t fid^ bic ganjc 
Suöenattfd^e ©attrc ü6cr bic ©efcKfd^aft ju, ate ©elpl^inc. ben 
fterbenbcn SSater nidt|t befud^en tpid^tüeil fte, um gcfellfdtiafttici^ 
eineStufe ju erfteigen, burd^au^ bie fo lange bergeblid^ erl^offte 
©inlabung benu^en unb auf beut SöaK ber bornel^men äKabame 
Seauf^ant erfd^einen tpitl — ein SaK, ju tüeld^em „tout Paris" 
fid^ brängt, nur um mit graufamer 9leugierbe in ben SRienen ber 
SSirtin- bie Dual ju lefen, ttjetd^e bie SWad^rid^t öon ber S5er== 
lobung il^'re^ treulofen ©eliebten, bie man tl^r erft am felben 
SRorgen mitgeteilt, berfelben bereitet* SBir folgen. 2)el^3l^ine, tt)ie fie 
in il^rer ©qui^^age an ber Seite SRaftignac^ jum 93atle fäl^rt, 
5)er junge SKann, ber e§ fül^It, ba^ fie imftanbe n)äre, über 
bie Seid^e il^re^ SSater^ ju fd^reiten, um \id) auf* biefem Satte 
ju äeigen, ber aber nid^t mel^r bie Äraft l^at, mit il^r ju bred^en, 
ja nid^t einmal ben 2Kut, il^r burd^ Sßortoürfe ju mifefatten, fann e§ 
bod^ nid^t laffen, il^r ben traurigen 3i^ft<i^b biefeS il^re§ SSaterg mit 
ein ^3aar SBorten ju fdtjilbem, ®ie Jil^'ränen treten il^r in bie Singen. 
,,^6) totxbt ^^üä) totxbtn", badete fie, unb i^re S^l^ränen trodbieten. 
— „^ä) ttjitt morgen meinen SSater l^flegen, id^ miß öon feinem 
S3ette nid^t .meid^en", fagte fie. Unb fie meint, toa^ fie fagt; 
fie ift nid^t böfe, nid^t einmal fd^ledtjt, aber fie ift ein lebenbigeg 85ilb * 
ber gefeüfd^aftlidtien ©i^l^armonien ,. unabtig geboren, reidt), il^re^ 
SReid^tum^ burd^ eine fd^ted^te @l^e beraubt, genufefüd^tig, teer, 
^^^g^ijig* 2)ie poetifd^e ^aft unb 3lrt 83aljac§ reid^te nid^t l^in, 
um eine ßorbelia in ©^afef^^earefd^er SReinl^eit unb ©infad^l^eit bar^* 
juftetten, benn bie (Spi)äxt be^ ©bleu ift bie feine nid^t; aber er 
l^at eg öerftanben, eine fRegan unb eine ©oneril menfd^tid^er unb 
toal^rer aU ber gro|e 93rite ju bilben. 



XVI. 

(Sincg 2;agc§ im Saläre 1836 trat Saljac in öoKcr ©rrcgung 
unb grcube Bei feiner ©d^mefter ein, fd^tpang mit bcn Strmbetoc^ 
gungen eineö XambourmajorS feinen biden ©totf mit bem ^ameot 
fnopf, auf toefd^en er in türüfdtier ©^^rad^e biefe ®et)ife eimö 
©ultan^ l^atte gradieren laffen: „3d^ bin Stvbuä)tT wn |)mber' 
niffen!" unb rief, inbem er baö SlÄonipagnement einer SRiütär^ 
mufif unb ba^ SRoKen t)on 2^rommeIn nad^atimte, in fröl^lic^em 
2one ber f^^milie ju: „SeglüdEttiünfd^t mid^, ^nber, benn id^ fte|e 
ganj einfad^ im 83egriff ein ®enie ju werben/' ©r l^atte bie 3b« 
gefaxt, alle feine fd^on gefd^riebenen unb nod^ ju fd^rei6enben 9io^ 
mane unter einanber ju öcrbinben unb ju ber „Comedie humaine" 
JU geftalten. 

2)er 5ßlan ttjar granbiog unb f o eigenartig, bafe er in ber ^e- 
fd^id^te ber fämtlid^en ßitteraturen nod^ nid^t aufgetaud^t toar; er 
tüar eine Slu^geburt be^felben ftiftematifd^en ®eifte§, ber im Stnfange 
feiner ßaufbal^n Saljac ju ber Sbee einer bie Sal^rl^unberte umfpan^ 
nenben SReil^e gefd^id^tlid^er SRomane inf^jiriert l^atte, freilid^ ein öiel 
intereffanterer unb frud^tbarerer ^lan, S)enn falls er gelang, tuurbe 
feinen bid&terifdt|en ©rjeugniffen eine SRad^t ber SHufion, eine fold^ 
uberjeugenbe Äraft ju S^eil, ate ob fie gefd^id^tlid^e 2;i^atfad^eii ge* 
tüefen tüären; unb e§ mürbe femer. nid^t nur ein Heiner SluSfc^nilt 
beS ßebeng, ein ©tüdf SBett ftimbolifd^ unb fünftterifd^ jum ©pieget 
bilb beg ©anjen ertoeitert, fonbem baS ®eleiftete l^ätte einen be- 
red^tigten 2lnf<3rudt| barauf erl^eben fönnen, im toiffenfd^aftlic^en 
Sinne ein (SanjeS ju fein« ©ante l^atte in ber „®öttlid^en Äomöbie" 



Baljw. 209 

bie SBeltanfd^auung unb iJe6eH§erfal^rung be^ äWittelaltcr^ in einen 
poetifd^en SSrenn^^nnft gefantmelt, fein el^rgeijiger 9lebenbnl^Ier tooütt 
bnxd) itüti 6ig brei ^ianfenb lebenbiger ©eftalten, bie ai^ %t)pm 
jebe für fid^ l^unberte öon äl^nlid^en öertraten, bk öoKftänbige 
^ßf^d^ologie aßet (SefeKfd^aft^Haffen feinet ßanbe^, unb bantit in== 
bireft aud) bie feineg 3^ttalter§, tiefem. 

.9Ran fann nid^t leugnen, ba^ ba^ fRefuItat ein ganj einjigeg 
tourbe. ®er ©taat 93aljac§ l^at toie ber mirflid^e feine SJiinifter, 
feine obrigfeitlidtien ^erfonen, feine Oenerale, feine f^i^anjmänner, 
©ettjerbtreibenbe, ßaufleute unb 93auern* ©r I|at feine ^rieftet, 
feine l^auptftäbtifdien unb ZanbMxittf feine SBeltmänner, SJiobe^ 
l^erren, SKaler, SSilbl^auer unb Stxä)nttf 2)id^ter, ©d^riftftetter unb 
Soumaliften, feine altabeligen gamilien unb feine noblesse de robe, 
feine eitelen ünb berberBten n)ie feine lieBen^ttJürbigen unb geopfert 
ten grauen, feine Igenialen ©d^riftfteßerinnen tvk feine protjinjietlen 
iÖfauftrüntpfe, feine alten Sungfem unb feine ©dtjauf^^ielerinnen, 
enblid^ fein |)eer t)on ©ourtifanen. Unb bie SKufion ift ö6er= 
rafd^enb. 3)enn ba bie 5ßerfonen auö einem ber jal^Ireid^en SRoniane 
immer in beut anberen tokbtx üorfonmien; ba tt)ir fie auf ben öer* 
fd^iebenften Stabien il^re^ Se6en§ treffen unb bie Sßeränberungen, 
•bie mit il^nen üorgel^en, beoftad^ten fönnen; ba fie, felbft menn fie 
nid^t auftreten, bod^ unaufl^örlid^ in ben ©ef^^räd^en ber l^anbelnben 
5ßerfonen auf bie ©jene gebrad^t ttjerben; ba bie Slngabe il^reg Slug== 
fe^en^, Slnjuge^, Slufentl^alt^orte^, il^rer täglid^en ßebenötneife unb 
i^rer ®ettu)l^n]^eiten nid^t nur umftänblid^ unb genau, fonbem äu== 
gleid^ fo lebl^aft ift, bajs e^ ©ineni borfommt, aU muffe man bie 
Befd^riebene 5ßerfönlid^!eit in ber beftimmten Strafe, bie fie bemol^nt, 
ober bei jener ber ganjen S^oman^Slriftofeatie befannten 2)ame, bie 
fie nad^mittag^ ju befud^en l^flegt, finben fönnen — fo fd^eint e^ 
f aft unmöglid^ , ba^ ad biefe ®eftalten ^irngef^^innfte fein f Otiten, 
nein, man benft fidt) unroiltfürtid^ ba§ granfreid^ ber bamatigen 
3eit bon i^nen bebötfert. 

»tanbeä, Sitteraturgcic^. bc« 19 ^a^t^. V. 14 



210 3Die romantifd)e Sd)ttle in itankreitl). 



Unb itoax ganj ^ranfreid^! ®cnn er l^at nad^ unb naä) faft 
ade bie öerfd^tebenften ©täbte unb ®cgcnben feinet Saterlanbes be- 
f daneben, ^ SBeit babon entfernt, bie^rornnj gu öerfd^mäl^en, fuc^t 
er feine ®^re barin, bie ©igentümlid^feiten, bie in Siefignation 
t)erlaufenben Jiugenben fotpie bie in ber Sleinlid^feit fnfeenben Safter 
il^re§ ftagnierenben ßeben^ mit vertrauter Senntni^ barsufteHen. 
^od^ öor aßeni lebt in feinen SBerfen ^arig, unb fein 5ßari# ift 
nid^t ha^ ^arig öor öier^unbert Sauren wk in „Notre-Dame de 
Paris", aud^ nid^t ba^ ibeale ^ari§ Sßictor |)ugo^, ba^ afiftrafte 
Serufatem be§ ©eifteg unb ber Slufflärung, fonbem bie tüirffid^e 
moberne ©tabt mit aü il^rer greube, il^rem ©lenb unb il^rer ©d^mac^, 
ha^ einjige SBetounber ber mobernen S^it, ba^ bie fieben be§ Slltcr^ 
tum^ todi l^inter fid^ lä% ber grofee ^oltip mit ben I)unberttau)enb 
Firmen, ber SRaJ^eö unb.gerne^ an fid^ jie^t, ber gro^e ^eb^fd^aben, 
ber granfeeid^ öerjel^rt. SBaljac jeid^net in feinen SBerfen ba§ $ßari» 
feiner Stii gleid^fam in SRembranbtfd^en 9labierungen, mit feinen 
engen ©trafen, mit feinem ßarm unb (Sefd^rei, mit feinen ©tra^en^ 
rufen am f rül^en SKorgen unb feinen üielftimmigen Slbenbd^ören, bie 
er mit ber unglaubüdtien ©etüalt eine^ SKufüer^ n^iebergiebt, toddjtt, 
wit bie (Singemeil^ten ber antifen SK^fterien, STrommeln gegeffen unb 
ßtimbeln getrunfen l^at.^ Sr fennt SlHeS öon 5ßari§, bie Slrd^iteftur 
feiner Käufer, bie SKöbet feiner S23o]^nuugen, bk 2ltmof:pl^äre feiner 
S3ureauy unb SJÖerfftätten , bie ©enealogie feiner SSermögen, bie 
Siei^enfolge ber Sefi^er feiner Sunftgegenftänbe, bie 2;oiIetten feiner 



* Sffoubun in „Un manage de gar^on", 3)ouai in „Le Recherche de 
l'absolu", ^llenQon in „La vieille fille", SBefan^on in „Albert Savarus", 
Saumur in „Eug^nie Grandet", 5tngouIeme in „Les deux po^tes", Xour^ 
in „Le cur6 de Tours", iJimogeS in „Le cur6 de village", ©ancerre in 
„La muse du d^partement" u. f. tu. 

^ äJian lefe j. SB, bie BeruunbcrungSmürbige (Einleitung ber leibcr ein fo 
wiberlid^eS unb anftöfeige^ St^ema bel^anbelnben ©rjä^lung „La fille aux yeux 
d'or", in tt)el(j^er bk ^aft, bie ©timmung unb ber 9fteicf)tuni be§ $an)cr 
SebenS mit einer ^ort!unft toicbergegeben ift, bie orc^efterartig toirft 



Balzac. 211 

tarnen, bte ©dtineiberred^nungen feiner ©anbieö, bte ^rojeffe ber 
Familien, ben ®efunb^ett§äuftanb, bie Srnä^rung, bie Sebürfniffe, 
bie 3Bünfci^e aller ©d^td^ten ber SeööKerung. @r i)aüt bie ®tabt 
burd^ ade ^oren eingef og^n* SBäJ^renb bie jeitgenöf fif dien SRoman^ 
tifer fid^ immerfort auö ber fd^mad^en, nebeluml^äKten Sonne öon 
$arig, fort öon feinen mobernen S^^iepürgem, nad^ ©^^anien, 
Ifrifa, bem Orient fel^nten, toar il^m feine ©onne lieber afe bie 
t)on 5ßarig nnb fein ®egenftanb aU Stoff intereffanter. SBä^renb 
man ringg um il^n bie ©d^atten einer fernen ober vergangenen 
©d^önl^eit l^eraufäujaubem ftrebte, tt)irfte ha^ toixtüci) |)ä^Iidt|e fo 
tpenig abfto^enb auf il^n toie bie 9leffel auf ben Sotanifer, bie 
Sd^Iange auf ben SRaturforfd^er ober bie Äranfl^eit auf ben Slrjt. 
Sin gauftg ©teile toürbe er getoijs niemafö bie altgried^ifd^e |)etena 
au^ bem ®rabe befd^tooren fiaben; toeit lieber l^ätte er nad^ feinem 
i^reunb SSibocq, htm einftigen Sßerbred^er, je^igen ^ßolijeipräfeften 
öon 5ßari§, gefd^idft, um fid^ öon il^m feine Srlebniffe unb Seobad^^ 
timgen ergä^len ju laffen. 

®urd^ S3eobad^tung fammelte er eine unenblid^e fReil^e öon 
einjetnen 3^9^^/ ^i^ 3lufjäl^lung all be^ 99eobad^teten jebod^ toxxtt 
in feinen ©inteitungen oft ermübenb unb t)ertt)irrenb» Sauge, lange 
befd^reibt er bigtt)eilen eine §äu§lidt|feit, eine ©eftalt, ein ©efid^t, 
ja eine S'Zafe, unb tro|bem erl^ält ber Sefer baöon fein greifbare^ 
S3ilb, er langtoeitt fidt) öielmel^r, 2lber bann fommt ein 5ßunft, 
)oo feine eigentümtidtie fd^ö^^ferifd^e , glül^enbe ^^antafie aW bie 
bem treuen ®ebäd^tniffe entlehnten vulgären ©temente fo umbilbet 
unb öerfd^miljt n)ie S3ent»enuto Sellini bie Seiler unb Söffel bei 
bem ®ujs feinet ^erfeu^, ®oetl^e. fagt öon fid^ (Sagebud^, 26. %t^ 
bruar 1780): „^nxd) Slggregation begreife id^ nid^t^. Slber 
toenn id^ red^t lang |)olä unb ©trol^ äufammengefdtileppt l^abe 
, unb immer midt) vergebend ju njärmen fud^e, toenn aud^ fd^on 
Äol^len barunter liegen unb eg überall raudtjt, fo fd^lägt bod^ enb* 

bie glamme in einem SBinf über§ ®anje äufammen/' 93ei 



212 I)ie tomantif(^e ^d)ule in irankteid). 

SSaljac ift ber fRaud^ uttb Dualm in bcn fiefd^reibenbcn 5ßartien 
beg fertigen SSSerfe^ nod^ immer fpnrbar, aber bie gtamme bleibt 
niemals au^. 

®enn er toar nid^t aÜein ein Söeobad^ter, fonbem ein ©e^er. 
SBenn er SRad^tg jtoifd^en 11 nnb 12 einem Arbeiter mit feiner 
grau begegnete, bie t)on Um 2;i^eater nad^ |)aufe gingen, fo erluftigte 
er fid^ baran, Strafe an\, Strafe ab \S)mn big gn htm |)auje 
jenfeitg ber äußeren SSouIeöarbg, n)eld|e§ fie bettjol^nten, ju folgen. 
aSä^renb bie SKutter ba^ Slinb an ber |)anb* führte, taufd^ten fie 
juerft il^re Oebanfen über ba§ ©tüdE au§, ba^ fie gefeiten J^atten, 
bann fprad^en fie öom (Selbe, bag fie am folgenben Xage au^- 
gejault erl^alten foltten, unb gaben e^ im (Sefprädt) auf jtpanjigerlei 
SBeife lieber au^; fie tpurben uneinig unb verrieten im Streite 
il^re Sl^araftere, unb SBaljac l^örte fo einbringfid^ itiren klagen über 
bie Sänge be? SBinterg, über ben 5ßreig ber Kartoffeln unb über ia^ 
teure ^eijmateriat ju, ba^ er, um feinen energifd^en Sluöbrutf 
— in btt (Einleitung ju „Facino Cane" — ju gebraud^en, ,,i^r 
Seben mitlebte, il^re ßumpen auf feinem SRüdfen ffil^Ite unb mit 
feinen ^^n^m in il^ren tödtierigen ©d^ul^en ging." Si^re SBünfc^e, 
i^re Sebürfniffe gingen in feine Seele über, fie üerfd^molj mit ber 
biefer Seute big ju einem f old^en ®rabe, ba^ er jule^t neben i^nen 
toad^enb unb bod) toie träumenb manbette. @r teilte il^re (Sntrüftung 
über bie SBerfftattgauffel^er, bie fie t^rannifierten, über bie fd^Ied^ten 
^nben, n^eld^e fie immer mieberfommen liefen, ol^ne fie ju bejal^len. 
3n biefem 9ftaufd^e beg (Semüteg legte er aKe feine eigenen (äeiüo^m 
l^eiten ab unb ttjurbe ein Slnberer, ttjurbe fein 3^üalter. ®ie ^er^ 
fönen feiner SBerfe maren il^m nid^t mel^r erbid^tete ©eftalten, fie 
lebten in il^m unb für il^n; nad^ unb nad^ tourben fie il^m fo gegen^ 
ftänblid^, ba^ er ju feinen SBefannten üon i^nen n)ie öon tt)ir!Ii(^en 
^erfönlid^feiten fprad^. SBenn er eine feiner ^Reifen nadt) ben barju* 
fteßenben ßofalitäten antrat, fagte er ttjol^l: „3d^ reife nad^ Sllencon, 
tt)o gräulein Sormon, nad^ ©renobte, ttjo ber ® oftor 93^naffi§ mol^nt." 



»aljac. 213 

®r teilte feiner ©dtjtoefter 9lad^rid^ten aug feiner erbid^teten SBelt 
lüie au§ einem realen 93e!anntenfretg mit: ,,aBeifet ®n, wen ^elij 
be SSanbeneffe l^eiratet? @in ^ränlein be ©ranböiHe. @§ ift eine 
fel^r glütflid^e |)eirat, bie er ba eingeigt, bie ©ranbmUe finb reid^ 
tro^ ber öielf ad^en 3luggaben, ju benen gräniein be SSeKcfeuiKe biefer 
^amilie Slnla^ gegeben I)at," 3a eine^ J^age^, ate 3uleg ©anbeau 
öon feitter franfen ©dtjtoefter erjäl^Ite, nnterbrad^ SBaljac, ber einige 
3eit jerftrent jngel^ört l^atte, il^n mit ben SSorten: „21(1 ba^ ift gnt, 
lieber §reunb; aber feieren mir ju ber SBirflid^feit jnrüdf, fpred^en 
toir bon ©ng^nie ©ranbet" @§ ttjar nottoenbig, mit fotd^er äWad^t 
bie Sllufion felbft ju empfinben, um fie Slnberen annäl^emb mäd^tig 
mitteilen ju fönnen. ©eine ^l^antafie l^atte bie gebietejrifd^e ©eroalt, 
bie feinen 3^^if^I auffommen lä^t, to 7ci&a\^ov nannten e§ bie 
©ried^en, 3Kan unterwarf fid^ il^r audt) im getoöl^nlid^en ßeben. 
Unter ben l^unbert ?ßrojeften, bie er erfanb, um öon feinen ©d^ulben 
logjufommen, toax einmal aud^ biefeS: auf bem falzten, baumlofen 
^elb be§ fleinen Sanbeigentum^ Se^ Sarbieg, ba^ er,, um feiner 
SKutter ein Unter^^f anb ju geben, gefauft l^atte, foKten ungel^eure 
3;reibl^äufer angelegt tuerben, bie, ttjeil bort feine 93äume ben 93ranb 
ber Sonne beeinträd^tigten, nad^ feiner SKeinung f el^r toenig f^^uerung 
braud^en würben. 3n biefen S^reibl^äufem woKte er l^unberttaufenb 
Stnanag jiel^en, bie, für fünf grauet anftatt wie fonft für iwanjig 
öerfauft, nad^ Slbjug ber Soften bem glüdEIid^en 93efi|er bie fd^öne 
jäl^rlid^e Sinnal^me bon 400,000 grauet fidlem würben, „ol^ne bafe 
er ba^ geringfte SKanuffript ju liefern l^abe", Saljac, ber fd^on in 
®tbanhn ben tropifd^en ®erudt| ber Sreibl^äufer einatmete, ftetlte 
mit fotd^er Überjeugung^fraft feinen ^^Jlan bar, bafe feine ^reunbe 
aßen ©rnfte^ auf bem SBouIeöarb il^m einen ^^affenben Saben für ben 
SSerfaüf ber nod^ nid^t gepffanjten 2lnana§ fud^ten, fowie bie f^orm 
unb garbe be^ bort auäubringenben @d^itbe§ mit il^m erörterten, Sin 
anbereS 9RaI glaubte er, id^ weife nid^t burd^ weld^en SBernunftfd^Iufe, 
ben Drt entbedft ju l^aben, wo 2^ouffaint ßouöerture öor ?ßarig an 



214 3Dte roinantifd)e 54)ule In itankteid). 

bcm Ufer ber ©eine feine ©d^ä^e bergraben I)atte , unb f o untt)iber=^ 
ftel^Iid^ fd^ilberte er feinen j^ei Sßertrauten, Sule§ ©anbeau unb 
Zf)iopf)ik ®autier, bie SBal^rfd^einUd^feit, biefelben bort ausgraben 
ju fönnen, ba§ biefe beiben fonft feine^megg naiben greunbe fic^ 
um fünf Ul^r eine^ 3Korgen§, mit |)adfen bewaffnet, tt)ie SSerbred^er 
au^ ^ariö fdtjlid^en unb bie @rbe aufjumül^Ien begannen, natürlid^ 
ol^ne ba^ ©eringfte ju finben. gür feine ^l^antafie ift ba§ SBort 
@inbilbung§!raft fo bejeid^nenb gemefen. 

Unb biefe ^ß^antafie, tt)eldt|e bie Slnberen bel^errfd^te, toar fein 
eigener S^^rann* @ie lie^ i^m feine fRul^e, begnügte ftd^ nie mit 
ber ©rfinnung eines ^laneS, mit ben fü^en aber jn^edtofen greuben 
ber fünftlerifd^en (Sebanfen unb J^räume, fie jtoang il^n, unaufl^örli^ 
fid^ in ber Stimmung ber SluSfül^rung, in ber fd^ö:pferifd^en @c== 
mol^nl^eit ju erl^alten, ol^ne tt)eld^e bie ftüd^tige Snfpiration t)er= 
fliegt. SBenn er in feinem SRoman „La Cousine Bette" mit SRürf* 
fidtjt auf bie gaul^eit be§ genialen SBenjelaS ©teinbodf ha^ SBort 
eines großen ©id^terS citiert: „3d^ fe^e mid^ in 9Serätt)eiftung an 
bie 3lrbeit unb öerlaffe fie in Trauer", fo ift ba§ augenfd^eintid^ nur 
eine gemiffermajgen befd^eibene gorm beS ©elbftcitateS. Unb er fügt 
l^inju: ,,3Kögen bie Uneingenjeil^ten eS tt)iffen! SBenn fid§ ber 
Slünftler nidtjt ol^ne ju überlegen in fein SBerf öerfenft, mt ©urtiuS in 
ben ©d^Iunb, toie ber ©olbat in bie feinblid^e ©dränge fid^ ftürjt 
unb tt)enn er in biefem ^ater nid^t arbeitet n)ie ber äJiinengräber, 
ber burd^ einen Sinfturj öerfd^üttet ift; toenn er bie ©d^toierig^ 
feiten ängftlidt) ertoägt, ftatt fie eine nad^ ber anberen ju übertoinben, fo 
toirb er S^^Q^ ^^^ ©elbftmorbeS feines latentes. " ®ie ^robuf^ 
tionStoeife, bie er fd^ilbert, ift feine eigene, aber nid^t bie einjige, 
nid^t einmal bie pd^fte* fRul^igere, weniger mobeme Huftier l^aben 
fidt) ben Sopf frei unb bie Singen unumwötft oberhalb beS fiebern 
ben Katers ber Slrbeit betoal^rt, ©ie l^aben fid^ baburd§ baS fidlere 
Urteil erl^alten, ba^ fie öer^inberte, jemals ftoff artig unb lang* 
Weilig wie ber Sßerfaffer beS „Curö de village" unb beS „Mödecin 



iBaljac. 215 

de campagne" ju tpirfen. 2t6er iaö ift toa^x: eine getüiffe buitfle 
®Iut, ttwa§ ^adEenbeg, ba^ ben mobernen 9lert)en ein 93ebürfnt§ 
geworben, feljft ttiieberum aUgn oft tljren SBerfen. 

3n ber großen Sßorrebe ju „La Com^die humaine*' fprad^ fid^ 
Saljac über feine Slbfid^t nnb fein 3!^t aug, @r fängt bamit an, 
feine ©eringfd^ä^ung ber gemöl^nlid^en ©efd^id^t^fd^retbnng jn ändern. 
„SBenn man", fagt er, „bie trotfenen unb ttjiberlid^en fRegifter lieft, 
meldte bie ©efd^id^te genannt ttjerben, fo bemerft man, ba^ bie 
©d^riftfteKer in aßen ßänbern nnb jn aßen Sdkn e^ öergeffen 
^ben, un^ bie ©efd^id^te ber ©itten ju liefern," Xiefe Surfe ttjitt 
er, fo toeit er e^ üermag, angfüllen; er n)iH ba^ Snöentar ber 
Seibenfd^aften, 2^ugenben unb Safter ber ©efellfd^aft burd^ ba§ Qa^ 
fammenbröngen ber gleid&artigen ©l^araftere ju S^pen auffteKen unb 
fo mit tJteler ©ebulb unb Slu^bauer über ba§ g^anfreitj^ be§ neun== 
jel^nten Sal^r^unbert^ ba^ 99ud§ fd^reiben, ba^ nnglüdßd^ernjeife 
9{om, Sltl^en, %\)xn§f SKemp^iö, ^erfien, Snbien ung mä)t l^inter^ 
laffen l^aben» SJian fielet, wie gering er über bie Öiefd^id^te backte; 
feine geringen l^iftorifd^en Äenntniffe erleid^terten il^m ba^ l^arte Ur:= 
teil. Sr njar in SBirMid^feit auä) nid^t ber |)iftori!er, fonbem mie 
er felbft e§ ridtjtig unb fd^Iagenb au^gebrürft l^at, ber ^Waturforfd^er 
feinet ^^it^Ite^^- ®^ beruft fid^ auf ©eoffro^ @t. |)tlaire, ber bie 
@inl)eit ber Drganifation in ben t»erfd^iebenen Slrten naä)tok^. @r 
fü^It fid^ btm ©elel^rten ber 5Waturn)iffenfdt|aft gegenüber al§ ein 
5Dottor ber fojialen SBiffenfd^aften. „2)ie ©efettfd^aft mad^t aug 
bem SKenfd^en, je nad^ ber Umgebung, in n)eldt|er fid^ feine ^anb= 
lung^tüeife entfaltet, ebenfo öiele öerfd^iebene SKenfdtien toie eg in ber 
3ooIogie SSarietäten giebt 3)ie Unterfd^iebe ^tnifdien einem @ot 
baten, Slrbeiter, Beamten, Slböofaten, 2Kü|iggänger, ®elel^rten, 
Staatsmann, Slaufmann, Seemann, ©id^ter, SlrmenJ^äu^Ier, 5ßriefter 
finb, obtt)oI fd^toerer ju begreifen, ebenfo bebeutenb toie bie, meldte 
einen 333oIf, Sonden, Sfet, Stäben, |)ai, ©ee^unb, ©d^af öon ein= 
anber trennen/' S)iefe Slnalogie ift mel^r geiftreid^ aU jutreffenb,. 



216 IJtc tomantifd)c SdittU in Jtankteid). 



bcfonbcrS tocil SBaljac fcttft gfeid^ einräumen mn% ba^ in ber 
fojialcn SBcIt bie grau burd^aug nid^t immer ba^ SBeibd^eit bes 
hatten ift, unb überl^aupt toeil bagfelbc Snbibibuum in bem fojialen 
9ici(^e aug bem einen ©tanb in bcn attberen übergel^cn !ann, toä^^ 
renb ber Übergang bom $ai jum Siaben im Saufe einer ^aiejiftenj 
unbefannt ift. 

SBa§ 95aljac eigentlid^ meint unb ju meinen SRed^t ^at, ift, 
ba^ feine SBetrad^tungStoeife ber SRenfd^entüelt in ber Siegel burc^^ 
au^ berjenigen be^ $Waturforfd^er§ entfprid^t. Sr morolifiert unb 
öerbammt niemals, er ift niemals 5ßrebiger unb JRl^etor, er bergiBt 
nie, tüeber au^ 6fel nod^ au3 Segeifterung, tt^al^rl^aft barjuftetlen, 
eg giebt für il^n, tüie für ben 9iaturf orfd^er^ nid^tg mag ju Kein unb 
nid^tö tva^ ju gro§ iräre, um anal^fiert unb erflärt ju werben. 
®urd^ ba^ SRifroftop gefeiten, ift bie Spinne größer unb reicher 
organifiert aU ber größte Sle^l^ant; tt)iffenf(^aftlid^ betrachtet, ift 
ber majeftätifd^e Sönje nur ein ^aar tiefer, ba§ auf öier Seinen 
gel^t. . ®ie Slrt ber Srnä^rung, bie gorm be^ SaS)n^ jie^t bie bes 
^ieferg, be§ ©d^ulterblatte^, ber 9Ru§!eI unb ber flauen nad^ fi(| 
unb erflärt bie äKajeftät. ®enau fo n)irb bag, tt)ag, unter geiuiffen 
aSerl^ältniffen beoba(^tet, atö iriberlic^eg unb f(^mu|ige§ SSerbrec^en 
erfd^eint, anber§ aufgefaßt, aU Siebuftion ber großen glänjenben 
Safter erfd^einen, unb 33oIjac ^at ben SBIidf bafür» 

@d^on in „Eug^nie Grandet" fommen SBenbungen bor, bie es 
jeigen. S33enn ber 3^itpunft fid^ näl^ert, ba Sugenie il^rem (Seij^aß 
bon SSater geftel^en mu§, ba% fie il^re ®ufoten nid^t mel^r befi|t, fte 
fogar berfc^enft l^at, fc^reibt er j. S.: „3n brei Sagen foKte eine 
fürd^terlid^e §anblung fic^ abfpielen, eine bürgerlid^e Stragöbie o^ne 
(Sift unb ®oId^ unb Slutbergiefeen, bk fid^ aber fd^redEIid^er geftoßen 
foHte, afe alle in ber berühmten gamilie ber Sltriben boöfü^rten 
®ramen." ®a§ l^ei^t: 3Kein bürgerlicher JRoman ift tragifd^er oß 
eure Maffifc^en Strauerfpiele. Sn einem anberen 9ioman, w bie 
SSorftel^erin einer erbärmlid^en ^ßenfion fid^ in SBel^gefd^rei ü6er ba^ 



Balzac. 217 

aSegjiel^cn il^rer ^ßcnfionäre ergiclst, fagt 93aljac: „DbttJoI Sorb 
Scroti Xaffo rcd^t fd^öne klagen in bcn SJiunb gelegt l^at, fo finb 
fie bod^ itJeit entfernt bie tiefe SBal^rl^eit berer ju erreid^en,. bie 
äßabame SSauquer entfd^Iüipften/' ®a§ l^ei|t: S)ie Meinlid^e ®e== 
meinl^eit, bie ic^ fd^ilbere, ift, energifd^ aufgefaßt, intereffanter afö 
aüe eblen STbftraftionen. 3n ,,6)röße unb SSerfaK ©äfar 93irot- 
kan'^^' fpielt er nid^t allein in bem Xitel fd^erjl^aft ouf ha^ 95ud^ 
SRonte^quieu'g über ba^ Stömerreid^ an, fonbem bergleid^t mit ge= 
nialer Stottfiil^nl^eit feine betaiHierte ©d^ilberung ber erfolgreid^en 
Slrbeit unb be§ goßiffement^ eine^ braöen 5ßarifer 5ßarfunteur§ mit 
ben SBed^f elf äßen ber trojanifd^en ^iege unb ber 5RapoIeonifd^en 
Saufba^n: „2:roja unb 5RapoIeon finb nur Sipoipeen» äWöd^te biefe 
®ef d^ic^te ba^ Spo§ bürgerlid^er ©d^idff atöf äöe fein, an tüeld^e fein 
^id^ter gebadet l^at, fo entblößt jeglid^er 6)röße fd^einen fie, itJöl^^ 
renb fie eben bie großartigften finb; ß l^anbelt fid^ l^ier nid^t um 
einen einjelnen SKann, fonbem um eine ganje |)eerfd^ar öon Dua^ 
len." ®ag l^eißt: 9iid^t§ ift in ber 5ßoefie an unb für fic^ groß 
ober Mein; id^ öermag in ben kämpfen eineg ^arfumeur^ ein 
^elbengebid^t ju lefen, id^ entpfinbe unb benjeife, baß bie |)anb= 
tungen eine§ unfd^einbaren ^ribatleben§, n^enn man fie mit il^ren 
Urfad^en unb ^ßrinjipien öerfnüpft, ebenfo tt)id^tig unb fpannenb 
finb, toie bie größten Umtüäljungen in bem Seben ber SSöIfer. Slfö 
in feinem SDieiftertoer! „Un Menage de gar9on" ber pbfd^e unb 
fd^Iaue Slaufbolb SKafence 6)ilet im S)ueß gefaßen; ift, fagt ber 
2)id^ter: „@o ftarb einer jener Scanner, bie imftanbe finb ®roße^ 
ju leiften, n^enn fie in ber günftigen Umgebung öerbleiben, ein 
äRann, ber öon ber 5Ratur aU öerjogene^ Sünb lel^anbelt n^ar, 
benn fie gab i^m ben SKut, bie Äaitblütigfeit unb ben politifd^en 
©inn eineö Säfar 33orgia." @o fd^Iagenb ift bieg Ie|te SBort, ba^ 
e§ bem Sefer fd^eint, aU berftel^e er erft je^t 9Kaf öoßftänbig, 
toenn er fein SBefen in ber Seleuc^tung biefe^ 9iameng fielet, 
Unb .toie ba§ Safter, fo ift bei Saljac immer bie Sugenb ein 



218 5te totiiatitifdjc Sd|uU in iratikteldj. 



5ßrobuft; o6lt)oI er bic ©d^tüäd^c l^at, in feinen jiemlid^ fatl^olild^ 
gefärbten ^arfteHungen ber ^ßflid^ttreue nnb ber SBol^It^ätigfeit 
bi^njeilen fd^ltJüIftig unb fentimentol ju UJerben, berfänmt er nie, auf 
bie öerfd^iebenen Duellen ber 2;ugenb bor unfern 3lugen ]^injutöei)en, 
fei e§ nun angeborene MÜt ber Sinne, ©tolj, l^albunbetoufete fiuge 
Sered^nung, angeerbter 3lbel ber (Sefinnung, toeiblid^e 5Reue, tnäitit^ 
lid^e SWaiöetät, ober bebote Hoffnung auf Sßergeltung in einem ju^ 
fünftigen Seben. 

Um ben boßen Sinbrurf ju erhalten, n)ie feine bid^terif d^en Sräfte 
nod^ in berfpäteren 5ßeriobe feinet Seben^ toad^fen, lefe man„IIn 
Menage de gar9on", „Cousine Bette" unb „Illusions perdues". 

2)er erftgenannte SRoman, einer feiner tt)eniger befannten unb 
gelefenen, giebt in einem großartig büfteren ©emälbe bie ^f^d^ologie 
einer ganjen Meinen @tabt unb einer bort unb in ber ^auptftobt 
berjnjeigten gamilie. S)ie |)auptgeftalt ift ein l^eruntergefommencr 
ro^er Df fixier aug 5RapoIeon3 (Sarbe, in bem ber brutale, geioafe 
tl^ätige Sgoi^mu^ eine§ fräftigen 5yiaturell§ berförpert ift* ®r ift 
ber miles gloriosus, ber ftatt feige ju fein berbred^erifd^ entroicfelt 
ift» S)er jtoeite Sioman, eine^ feiner befannteften unb gelefenften 
SBerfe, ftettt mit unübertroffener SBal^rl^eit bie bernid^tenbe SRoc^t 
be§ ©roti^mug bar, @^a!efpeare'g ,,2lntoniug unb ßleopatra" ^ot 
bieg Stl^ema nid^t mit größerer Sßirtuofttät unb faum mit fo über- 
jeugenber ßraft bel^anbeü, • „Illusions perdues" enblid^ ift bem äRife- 
braud^ ber 5ßreffe aU bemoralifierenbem 5ßrinjip gen^ibmet 

?)er 2^itel biefe^ merfttJürbigen SRoman^ ift für Saljac k^ 
jeid^nenb; gett:)iff ermaßen fönnte er aU §aupttitel für feine gc^ 
fammelten SBerfe gelten, ^ein anbere§ einäelne§ SBerf bon i^m 
giebt feine Slnfid^t ber mobernen Kultur in fo umfaffenber SBeifc 
toie biefeg. ®ie berberbtic^e Seite be§ 3ournaIi§mu§ ift l^ier afö 
5Rad^tfeite be§ öffentlichen ßeben^ überl^aupt bel^anbelt. 

SBie bk aWel^räal^I ber großen ©diriftfteüer, bie nid^t ba^ 
©reifenafter erlebten, l^atte Saljac toenig Urfa(^e, fic^ an ber Äritif 



Baljac. 219 

bie il^m in bcr 5ßrcffc ju Zdi tüurbc, ju erfreuen, ^an öerftonb 
il^n nid^t; felbft bie 93e[ten, tt)ie @atnte==S8eut)e, ftanben il^nt jeitlid^ 
JU ual^e, um feine ®rö§e überfd^auen ju !önnen, unb er feinerfeitö 
lebte aEein, tl^ot gegen alle 5ßarifer ®mof)nf)di burd^au^ feinen 
©d^ritt, unt ein Sob feiner 93äd^er ju erlangen, ja nod^ mel^r, er 
l^atte burd^ feine Srfolge öiel 5Reib erregt 3n „Illusions perdues" 
fc^uf er ein SBilb ber fogenannten fleinen treffe, ba§ bie 3ournaIiften, 
bie fidE) getroffen fül^Iten, i^nt niemals berjiel^en. Unter biefen UJar 
Suleö Sanin, ber in bem Stoman atö ®tienne Soufteau nid^t tim 
gel^äffig, aber tüal^rl^eit^getreu porträtiert mar, ber bebeutenbfte. 
Um fo püanter mar eg unb ift e§ nod^, beffen ^iti! be§ 93ud^e§ 
}u lefen. Sie erfd^ien 1839 in ber „Eevue de Paris", an toeld^er 
Saljac felbft ftänbiger SRitarbeiter getoefen tvax, bie aber, nad^bem 
er einen 5ßroje§ gegen fie gewonnen l^atte, il^n natürlid^ ate öoget 
frei bel^anbeln Iie§. 2)ie Stiti! ift boSl^aft, Heinlid^, toifeig unb 
))ai ben Sloman, ben fie töten möd^te, nid^t überlebt. 

6in gang junger, armer 5ßoet in ber 5ßrot)inj, f(^ön toie ein 
©Ott, aber ein fc^toac^er S^arafter unb ein ^albe§ Salent, mirb öon 
ber ma^gebenben 2)ame ber ^ßropingialftabt, einem eleganten unb bor=^ 
nel^men 93Iauftrunipf, mit nad^ 5ßari§ gebrad^t. Sin ßiebe^berl^ältnis 
toar eben im S3egriff burd^ ben gemeinfamen Slufent^alt in ber ^anpU 
ftabt befiegelt ju toerben, aU bie S)ame plö|li(^, in ber großen 
SBelt bon 5ßari^ atö ebenbürtig aufgenommen, fid^ felbft unb il^ren 
9iitter mit böttig anberen Singen anfielt ©ntfrembung unb 8rud^ 
ifirerf eitö ; Sucien toirb öon einem f ünf jigjäl^rigen 2)anb^ überftral^lt. 
SBir erleben je^t bie ®rjiel^ung be^ 5ßrot)injiaIen jum 5ßarifer. 
@§ ift feine Slbfid^t gemefen, aU ®i(^ter ju bebütieren, er l^at 
einen 9ioman unb einen Sanb (Sebid^te gefd^rieben unb bie 95e* 
fanntfd^aft eineg fleinen Sreife^ junger ftrebenber Slitegeifter ge=* 
mad^t. Slber bie SRonate ber Slrmut, ber JRefignation , ber an* 
ftrengenben ©tubien unb ibeetten Hoffnungen toerben il^m ju lang, 
er fel^nt fid^ ju fel^r nac^ htm augenblitflid^en ®enu§ unb bem 



( 
•/ 



220 I'ic tomanttfdje 3d)ule in iFtankteid). 



%aqt^mi)m, naä) Siad^e an aH bcncn, bie ben ungcfd^icften to 
fömmling gebcmütigt l^dbcn. 2)tc ,,Hcinc" 5ßreffe (auf „5wo" 
toirb angcfpielt) öictct il^m bie SKöglid^feit, bicfe ©d^nfud^t üoHftcinbig 
ju bcfriebigen* SBir feigen, tt)ie il^nt bcr ^opf fd^tt^inbeßg toirb, 
ix^ er, ol^ne irgcnb eine ©ad^c öetfcd^tcn ju tpoöen ober irgenb 
ein 5ßrinjip ju l^aben, fid^ fopfüber in ben Sournali^mu^ l^ineinftürjt. 
Soufteau fül^rt il^n in ben Saben eine§ großen 33ud^^änblers 
unb ßeitunggbefifeerg im Palais-Boyal. „33ei jebem @a|, ben bcr 

99udt)]^änbler fagte, tvnä)^ er in ben Singen Sucienö, btx bie 5ßolitit 

« 

unb bie Sitteratur in biefem Saben toie in einem 5ßunft jufammen^ 
loufen \ai). Slug bem Slnblidf eine§ au^gejeid^neten 2)id^ter^, ber 
bort einem 3ournaIiften feine SRufe preisgab : . . . jog ber gro^e 
9Rann au§ ber ^^roöinj eine fürd^tlid^e Seigre. Öielb! ®ie§ mi 
ha^ ßöfungöloort jebe^ Stät^fel^. ®r fül^Ite fi^ allein, unbefannt, nur 
burc^ ben gaben eine§ jn^eifell^aften greunbeö mit bem ©rfolg »er- 
fnüpft. Sr Kagte feine toal^ren, il^m jugetl^anen greunbe be§ litte^ 
rarifd^en cenacle an, er n^arf il^nen bor, il^m bie S33elt mit fatfc^en 
fjarben gemalt unb il^n öerl^inbert ju l^aben, mit ber fj^ber in ber 
§anb fid^ in ba^ |)anbgemenge ju ftürjen," 2lu§ ber Sud^l^anbtag 
gelten bie greunbe in§ Sil^eater* Soufteau ift afö 3oumaIift fiberatt 
toilHommen» ®er ©ireftor erKärt il^nen, toie eine gegen bag ©tfirf 
arrangierte ßabale eben öon ben reid^en SBetounberern jnjeier feiner 
fd^önften ©d^aufpielerinnen burd^ Übergal^Iung gefprengt tt)orben fei 
„Seit jtoei ©tunben löfte fid^ öor Sucienö Dl^ren aUeS in ®eß) 
auf* 3m SCI^eater toie in ber SBud^l^anblung, bei bem Verleger wie 
auf bem 9iebaftion^bureau tvax t)on ^unft unb njal^rem SBerbienft 
feine 5Rebe, (Sg tvdx, aU ob ber gro^e 5ßrägfto(f ber 3Rünje feinen 
^opf unb fein |)erj mit immer toieber^olten ©dalägen bearbeitete.' 
©ein litterarifc^e^ Öietoiffen fd^miljt; er toirb Sitteratur* unb 
SC^eaterfeitifer an einer Meinen tenbenjlofen 3^^t^^9- SSon einer 
jungen ©d^aufpielerin geliebt unb unterl^alten, finft er immer tiefer 
in bie ©fiftenj l^inunter, bie unausbleiblich ift, toenn man feine tjeber 



Balzac. 221 

öcrfauft i)at ©eine Srnicbrtgung gi^jfett in ber ©ccnc, wo er, t)on 
bem Sl^cfrebafteur gcjtoungcn, einen öo^l^aften Singriff gegen ba§ 
öon il^m felbft bett)nnberte Sud^ feinet ebelften nnb beften i^Ttnnht^ 
ju fc^reiben, nod^ üor bem ©rnc! be^ Strtüefö an ber Xpr biefe^ 
©d^riftfteEerg anflopft, nm SSerjetl^ung jn erbitten, ©eine (Seliebte 
ftirbt; er ift fo l^eruntergefommen, ba§ er, um fie beerbigen- laffen ju 
!önnen, fd^mu|ige Sieber an il^rem Siotenbette fc^reiben mn% Snk^t 
nimmt er ba^ t)on il^rer Slammerjofe auf fd^mad^boHe SSSeife er^ 
morbene (Selb aU Öiefd^en! an, um fid^ in bie ^ßroöinj jurütf* 
pd^ten JU fönnen. 3lß biefeg ift fd^auerlic^, aber e§ ift ttjal^r, 
furd^tbar njal^r. 3n biefem einzigen SBerfe aEein l^at 93aljac bie 
Unparteilid^feit beg 5yiaturforfd^er§ aufgegeben. 6r, ber immer fonft 
feinen ©leid^mut beftjal^rt, l^at l^ier in boHer ©ntrüftun^ mit ©for- 
pionen gepeitfd^t. 



XVII. 

äWid^cIct batiert in fetner ©efc^id^te granfreid^^ eine neue 
(gpod^e be§ fransöfifd^en ®eifte§ t)on itm ^^ttpunfte an, m bcr 
Kaffee aKgenteine^ ®eträn! tt)irb, S)ie ®aä)t ift auf bie @»)i|c gc^ 
trieben, bod^ fönnte man ol^ne Übertreifinng mol^I bel^an^ten, 54 
man in SSoItaireö Stil nnb ©d^reibart bie Snfpiration be^ Saffccs 
vok bei fo öielen frül^eren ^id^tern bie be^ SBeine^ fpürt, S)ic 
^rbeit^toeife 93aljac§ öeranla^te il^n, bnrd^ überntö^igeg ^affeetriitta 
bie ^äfte jnnt anftrengenben 5Rad[)tn)ad^en jn emenem. ®r rtd^tete 
fid^ babnrd^ förperlid^ ^n ®mnbe. 3d^ tvd^ mä)t, tper öon il^m 
einmal ba^ treffenbe SBort fagte: „ßr ^at t)on 50000 Staffen Kaffee 
gelebt nnb ift an 50000 Waffen taffee geftorben." 

3Kan merft an feinen SBerfen bie raftlofe Site ber Slrbeit uni) 
bie Überreiätl^eit feiner 5Rert)en; aber toal^rfc^einlid^ ift e§, ba| feine 
@d^riften, bebäd^tiger an^gef flirrt, nie biefe§ Seben erhalten ober 
fid^ benjal^rt Rotten. S)ag nngel^enre 2)nrd^einanber einer SSett* 
ftabt, bie rafenbe Äonhirrenj, ba^ gi^^^^ ^^^ @rfinben§ unb ber 
^enüffe, ba§> fd^Iaflofe ©anfen be§ großen SBebftn^Ig, bag geuer 
all' jener |)erbe, Sffen nnb ßampen l^at il^nen feine glamme mit^ 
geteilt» Sr lebte mt in feinem Clement mit ber Slrbeit l^inter fi^ 
t)or fid^, nm fic^; fa^, tnie ber Seemann nnr SJieer fielet, foweit 
fein Singe reid^te, nnr feine Slrbeit. 

Sn ben legten fiebjel^n 3al^ren feinet Seben^ tnnrbe jcbo(^ 
fein Sremitenleben bnrd^ ben täglichen geiftigen Sßerfel^r mit einer 
in njeiter gerne tvo^nmhtn g^an, ber er über jeben Sag feinet 



Balzac. 223 

Sebeti^ Sendet crftattete, in ber Slrbeit untcrbrod^en unb belebt. 
®er Sioman „Albert Savarus" fteEt in leidster Sßerfleibung ba§ SBer== 
l^ältnig bar. 2luf einer Steife l^atte Saljac bie Scfanntfc^aft ber 
Sftabamt |)ang!a, einer ruffifc^en (Gräfin, gentad^t. ©in, nur burd^ 
felteneg 3i^f^wtmentreffen irgenbnjo in Snropa, unterbrod^ener Srief== 
toed^fel jtt)ifd^en il^nen, ber bon 1833 an batiert, tüurbe immer 
inniger unb fül^rte 1850 ju Saljac^ Sßerl^eiratung mit ber fo lange 
bett)unberten, bamafö feit einigen 3al^ren t)ertt)itrt)eten 2)ame, bereu 
<SinfIul3 auf 93aljac fid^ nur fd^toer beftimmen lä^t, ba man il^r 
fo berfd^iebenartige (Srjeugniffe tvit ben finebenborgfd^en SRoman 
„SerapMta" unb bie feine, öerftänbige ©rsäl^Iung „Modeste Mignon" 
öerbanft. Dbtool^I SBatjac Saläre lang biefe SSerbinbung mit glül^en^ 
ber ©el^nfud^t getpünfd^t l^atte, fd^db er fie bod^ au§ eigenem 
eintrieb ouf, bi§ feine ©c^ulben boßftänbig bejal^It ujaren, um 
fie mit Sl^ren eingel^en ju fönnen. Sr üe§ ein fd^öneg |)au§ 
für feine Sraut in 5ßari§ einrid^ten unb begab fid^ aU glütflid^er, 
tüenn aud^ nid^t me^r jugenblid^er 95räutigam nad^ i^rem ®ut in 
Äleinru^Ianb. ®a [teilte, nod^ bebor bie ^od^jeit in Serbitfc^en? 
gefeiert tvax, eine burd^ öieljäl^rige Überanftrengung l^eröorgerufene 
tötüd^e ^anfl^eit fic^ bei il^m ein. ®ag el^elid^e 3^föwiuienleben 
ber beiben Siebenben tvax ein furjeg. Sm SJiörj 1850 erfolgte bie 
|)od^jeit, brei SRonate fpäter tvax Saljac eine Seid^e. 9Ran erinnerte 
fid^ unter feinen greunben be§ türfifd^en ©pric^inorte^: S33enn ba^ 
|)aug fertig ift, fo fommt ber Stob. 

®r fam, afe Saljac thtn auf bem ®ipfel feiner geiftigen 
^öl^e ftanb. 9iie l^atte er beffere, tiefere Sucher gefd^rieben afö in 
ben legten Sauren bor feinem Xobe. @r ftanb be^toegen aud^ auf 
ber ^'6t)t feinet Siul^me^. Serfelbe toar langfam geftiegen. Sltö 
JBaljac äUJanjig big brei^ig Stomane gefd^rieben l^atte, o^ne nod^ eine 
auggebreitetere Slnerfennung geujonnen ju l^aben, fingen bie Stalente 
ber jüngeren (Generation an, fid^ il^m ju näl^ern unb feiner üttera:= 
rifd^en ßaufbal^n mit Stefpeft ju folgen. @r entpfal^I il^nen glei^. 



224 Ilie romontifdie £d)uU in Itankreii^. 

cinfameg fieöcn unb (nid^t ganj im ©d^crj) Äeufd^l^cit, mnn fie c§ in 
bcr Sitteratur gu ätoa^ bringen tvoüttn — bo6) geftattctc er SBriefe 
an ben geliebten ©egenftanb, „mxi fie ben ®til bilbeten". 6§ 
tt)unberte fie, biefen ^at bon ben Sippen eineö 3Kanneg ju prcn, 
beffen SBerfe regelmäßig üon ber ?ßreffe mit einem in aßen loit^ 
arten variierten ®ef(^rei über i|ire 3mmoraIität empfangen ttjurben; 
fie tt)u§ten nid^t, baß bieg immer bie erfte nnb le^te Injurie ber 
litterarifd^en Diinmod^t gegen bog ift, tüag in ber ßitteratur Sebcns* 
nnb SRannegfroft l^ot Zxoij ber Stnfeinbnngen erl^ieft fein Slame 
immer boKeren Slang; eg ging nad^ nnb nod^ ben ß^itgenofjcit 
auf, baß fie in 93a.Ijac einen ber tüa^rl^aft großen ©d^riftfteHer, 
bie einer ^nftart il^ren ®eift aufprögen, befaßen* @r l^atte nii^t 
nur bie moberne g^^^ ^^^ Siomang begrünbet, fonbem afö e^ter 
©ol^n eineg Sal^rl^unbertg, in toeld^em bie SSäiffenf d^aft fid^ immer 
me^r in bie ^nft l^ineinbrängt, eine SRet^obe ber ^Beobachtung unb 
IBefd^reibung inauguriert, bie t)on Slnbern ergriffen unb angetuanbt 
werben !onnte» ©ein 9iame toar fd^on an fi(^ groß; irer aber eine 
©d^ule ftiftet,. beffen 9lame ift ßegion» 

3)aß er jebod^ bei Sebjeiten nid^t feinen öoHen 9iul^m ttmaxi, 
bag beruht auf jtoei öerfd^iebenartigen SRängeln feiner SBerfe, 

©ein Stil toar unfid^er, bign^eilen getoöl^nlid^, bigtoeilen 
f(^n)ülftig, unb ber SJiangel an ftiliftifd^er SSoHenbung ift immer 
ein fc^toerujiegenber, toeil, toag bie Sunft öon ber 5Ri(^t!unft fon* 
bert, eben jene SSerbannung beg Slpprofimatiüen ift, bie man Stil 
nennt; biefer Süiangel ift befonberg ben rl^etorifd^ fo fein fül^Ienben 
granjofen ein Strgernig. 9iad^ feinem Sobe brangen aber feine 
SSerfe aud^ im 3luglanbe burd^ unb l^ier njurbe jener große äRangel 
nur ate ein fel^r geringer empfunben. SBer eine ©prad^e genügenb 
berfte^t, um fie ju tefen, nid^t genau genug, um aße geinl^eiten 
berfelben ju ujürbigen, ber öergiebt leidet ftitiftifd^e gel^Ier, »enn 
große unb feffeinbe Sigenfd^aften 6rfa^ für fie bieten, 3n biefer 
Sage tt)ar eben bag große europäifd^e, romanlefenbe ^bfitunu 



j 



Baljac. 225 

S){e gebilbcten Italiener, Öfterreid^cr, 5ßoIen, SRuffen u. f. it). lafcn 
mit ungcmifd^tcTn SScrgnügcn 93aljac, an feiner nid^t öoHenbeten 
gotm nahmen fie bagegen njenig 3lnfto§. 35amit foß aber nid^t 
gejagt fein, ba^ biefe ©ebred^en ber ®ouer feiner S33er!e nid^t bod^ 
einmal Sintrag tl^nn tt)erben. 3)en 2anf ber Qdim überftel^t 
nic^tg gormlöfeg ober nnr teitoeife ©eformteg* ®ie nnge^enre 
„Comedie humaine'* ftjirb, mt baS jel^ntanfenb Stabien lange ®e* 
mälbe, öon bem Slriftoteleg erjöl^It, nic^f atö ein einjige^ Ännft== 
mer! angefel^en toerben nnb t)on ben g^agmenten beg ®anjen inerben 
nur biejenigen in ber SBeltlitteratur beftel^en bleiben, bie n^egen 
i^rer fiinftlerifd^en SSoHenbung fold^en SSorjug berbienen» Slfe fultur^» 
^iftorifd^eg ' aJiaterial allein tnirb mon fie nad^ 3a^ri|unberten 
nic^t lefenv 

'3u ben SRängeln ber gönn gefeilte fid^ bei SBaljac bie no(^ 
größere ©d^tüäd^e beö reinen Sbeenge^aftg. 6r tonnte ju feinen 
Sebjeiten nid^t öollftänbig gen)ürbigt toerben, toeil er nur afö ®id^ter 
gro§ toax, 9Kan l^otte fid^ getoö^nt, in bem 2)id^ter einen geiftigen 
tJfi^rer ju fe^en, unb Saljac mar fein fofd^er. Sein mangelnbeö 
©erftänbnig für bie großen refigiöfen unb fojialen gortfd^ritt^ibeen 
be^ Sa^rl^unbertö, bit ?Sictor |)ugo unb ®eorg'e Sanb unb biefe 
Qnbere fo frül^ unb fo mächtig ergriffen, berbunfelte ben ©inbrudf 
ber großen ®aben , bie er ber 9iaturf orf d^er be^ menf(^Ii(^en ®eiftef 
befa|. ©eine politifd^en unb religiöfen 2)oftrinen, bie rein abfolu^ 
tiftifd^ toaren, toirften abfd^redEenb. Slnfang^ läd^elte man tool^I, 
menn ber fenfuafiftifd^ unb rebolutionär* angelegte 9iomanbi(^ter ftd^ 
auf bie ®oftrinäre ber toei|en S^^^^f ^^f 3ofe<3l^ be äKaiftre unb 
SBonalb berief; nad^ unb nad^ fal^ man ein, bafe er bon allen 
biefen Singen burd^au^ unftare SBorfteßungen befa§» 

®ie ftarfe ©innlid^feit feinet SBefen^, bie jügellofe ^aft feiner 
^^antafie führten i^n jur SR^ftif in SBiffenfc^aft unb Sieligion. 
3!)er tierifd^e äRagneti^muS , ber nad^ 1820 in ber üitteratur eine 
fo grofee 9iolIe fpiette, toax aU Srflärung^grunb ber feelifd^en 

»tanbe», gltteratutgcfd). beS 19. ga^t^. V. 15 



1 



226 Die tomantifdie Sd)ttle in itonkreid). 



SSorgäiifle ein ©egcnftanb feiner befonberen SBoriicbe. Sn „1^ 
Peau de chagrin", „Seraphita", „Louis Lanoibert" toirb ber Mc 
ali eine Staft gleidt) ber bc3 ©am^feö, ate „ein gtuibum, bo^ 
mä) ©etieben «Heg, fogar bie abfotnten ®cfe|e ber Statur raobifi- 
jieren fönne/' befiniert» Saljac war tro^ be§ mobcrnen Sl^arofterg 
feinet ®eifteg SRontantifer genug, um ftd^ „ben gel^eimen SSiffcn^ 
fd^aften" jujuneigen. 

(Sr toax hnxä) Statut unb ©rjiel^ung barauf angetoiefen, bie 
pfiffe bt^ ßeben^ öerftänbniöbotl ju geniefeen» Slber fd^on jung in 
bie Korruption ber ®efeßfci^aft eingetoeil^t, \af) er ftd^ erfd^rcrft 
naä) 3öum unb 3Ö9^I för bie üertoiCberte SOienfd^l^eit um unb 
fanb nid^tg anbere^ afö bie befte^enbe Äird^e. 3)arauä erflort 
fid^ bei il^m ber oft fo peintid^e SSSiberfprud^ jtüifd^en finnüd^ 
3nftinften unb affetifd^en Senbenjen, befonberg ha, too er über ba^ 
'SSerl^ältni^ ber beiben ®ef d^tec^ter reflektiert ®iefcr Äontraft ift eö, 
ber bie 9ionione „Le Lys dans la vall6e", nad^ feiner tlnfid^t fein 
3Reiftertoer!, unb „Les Mömoires de deux jeuues marines" fo un- 
angenehm unb unrein mxUn läjgt 3)e§n)egen femer ein bei i^ni 
attju^äufig öorfommenber SBiberfprud^ gtüifd^en pl^ilofop^if(|en 
®runbanfid^len unb Herifalen Stenbeujen, 3n ber SSorrebe feiner 
fämtlid^en SBerfe erftärt er juerft, ba§ ber äRenfd^ an fid^ toebcr 
gut nod^ fd^ted^t fei, unb ba| bie (SefeUfd^aft il^n immer nur beffer 
mad^e, äußert fid^ atfo unbewußt fo fdöarf tüie mögtid^ gegen bie 
©runbanfid^t ber Sird^e; toenige 3^^^^ fp^ter preift er ben fiot^o* 
liji^mug afe ba^ einjige „boUftänbige Unterbrüdhtnggf^ftem ber wr^ 
berbtid^en Senbenjen ber SReufd^l^eit", unb forbert, ba§ ber gonje 
Unterrid^t in bie |)änbe ber ©eiftfid^feit gelegt tüerbe» ®ie Über^ 
jeugung öon biefen ,,öerberblid^en Sienbenjen" führte il^n immer 
tüieber baju, ba^ SSoIf, ba^ ©efinbe, bie Säuern atö gemeinfomen 
geinb ju betrad^ten unb barjuftetlen (man fel^e fein fomifd^e^ ^at§03 
gegen bie 3)ienftboten in „Cousine Bette", feine ©d^ilberung ber 
Sauern in „Les Paysans"); er gefiel fid£) in SluSfäßen gegen bie 






Boliac. 227 

S)emo!ratcn, bie Stficraten, bic öeiben Sammern, bic ^jarlamentarifd^c 
Slcgierungöform übcrl^aupt 

S3ci aü feinen großen unb glänjenben SSorjügen fel^Ite 93aljac 
ein ^tmakf für todä)t^ bie g^anjofen fein SBort l^aben, tüo^I aber 
bie 5)eutf d^en ; e§ f el^Ite ii|m an rnl^iger SBitbnng, ober genauer ge= 
fogt, an ber SRul^e, bie bie SBilbung bebingt* ©ein raftlofer, immer 
pl^antaftifd^ l^erborbringenber (Seift l^at fie niemals ertoorben* Slber 
er 6efa§ boä), tnag für ben SJid^ter tnid^tiger ate alle Sitbung ift: 

• 

ein toal^rl^eitöliebenbe^, in bie Stiefe ge^enbeg ®enie. SBer nur ba§ 
©d^öne fud^t, ber fd^Ubert bon ben ®ebilben menfd^Iid^er SSegetotion 
nur Stamm unb Ärone; er bogegen l^at bie menfd^Iid^e ^ßflanje mit 
il^ren SBurjeln gemalt, il^m toar e^ befonberö tnid^tig, ba§ oud^ 
ba§ Sle^tüer! ber SBurjel, ba^ unterirbifd^c ßeben ber ^ßflanje, 
tt)eld^eg bo§ überirbifd^e bebingt, in feiner ganjen Originalität öor 
bem 2(uge ber Sefer entfaltet tourbe. ®ie Süden feiner formellen 
unb ibeeßen 95ilbung tt)erben, trofebem fie auf ©d^ritt unb Stritt 
ftören, bie SRad^toelt bod^ nid^t abl^alten, fid^ an feinem ®enie ju 
erbauen. 



15 



XVIII. 

• 

9Rif Salgac auf gkid^er ®tufc ftcl^cnb erfd^eint un§ üon bcni 
^tanhpnnttt au^, bcn tüxx l^cute einnd^men, ein franjöfifd^er «Sd^rift^ 
ftcücr, ben ifyn an bic Seite ju [teilen in bantatiger S^it nientQiib 
eingefallen toäre — eine litterdrifd^e ®Eiftenj, bie ebenfo unfiemertt 
unb befd^eiben auftrat, tnie biejenige Satjacö geräufd^öoll unb tocit- 
l^in fid^tbar tüar» Unter ben ß^^tS^^^ff^^ ä^ßte merftüürbiger^ 
toeife nur SBatjac jenem anberen boHe, unöerfürjte Slncrfennung. 
@g war §enri 93e^Ie. 2)ent jüngeren" ©efc^Iec^t in granfrci(| 
gelten l^eutigen Stageg Se^Ie unb Saljac aU ein fid^ ergänjenbc^ 
5ßaar, ebenfo mt Santartine unb SSictor ^ugo. ®ie ^^iförnmcn* 
fteßung ber beiben Sd^riftfteller mag aud^ infofem fonberbar cr= 
fd^einen, al^ ber eine an bie l^unbert SRomane, ber anbere nur einige 
Keine unb jn)ei größere gefd^rieben l^at; aber, bie Dualität bicfer 
tt)enigen 93üd^er ift fo au^erorbentlid^, ba^ fie ben SSerfaffer berjeftcn 
auf gteid^en Stang mit bem @d^öpfer be^ mobernen 9ioman§ ergebt. 
Slud^ unter SSe^Ie'ö übrigen Sd^riften (biograpl^ifd^en, tl^eoretifc|cn, 
fritifd^en unb reifebefd^reibenben 3nl^ate — er l^at im gangen an bie 
jtoanjig Sänbe l^interlaffen) finb einjetne, tnetd^e einen ebenfo großen 
titterarifd^en @inffu| ausübten, tvit feine bid^terifd^e ^ßrobuftion. 

3u SBatjac berl^ätt fid^ SBe^Ie, tt)ie ein refleftierenber ®eift fi(^ 
JU einem beobad^tenben, mie ein ®en!er in ber ^nft fid^ ju einem 
©el^er öerl^ält. SBir blicfen S3afjacg 5ßerfonen in§ §erj, toir fe^cn 
l^inein in bie ,;bunKe ^ßurpurmü^Ie ber Seibenfd^aft", tt)eld^e iiire Srieb^ 
fraft ift; 93et|te'g 5ßerfonen bagegen ftjerben t)om Ä'opf au^ gelenft, bem 



Betjle. 229 

„ offenen Sid^t* unb ZanU^anm,"^ 35ie§ berul^t barauf , ba§ and) S3e^le 
eine logifd^e SRatur lüar, gteid^ 93aljac, baneben aber ein fprubelnb 
teid^er, bon ureigner Seben^fraft überftrömenber SRenfd^. Qu SSictor 
|)ugo berl^ält Se^Ie fid^ ungef äl^r f o, toie Seonarbo ba SSinci ju äKid^et 
3lngeIo. §ugo formt au^ feiner plaftifd^en ^ßl^antafie eine 3Kenf(^{|eit, 
bie, überirbifd^ foloffal unb mn^M'6^, 'in einer etoig fämpfenben unb 
leibenben Stellung feftge^alten ift; au3 93e^(e'g gel^eimniSboö ju=^ 
fattunengefe|ter unb verfeinerter Snteßigenj entfpringt eine Meine 
• Sleil^e bon SRänner* unb fjrauengeftatten, njetd^e butd^ il^ren tiefen, 
rätfeC^aften Slu^brutf, burd^ i^r anjie^enbe^, beftritf enbe§ , füfeeS, 
ja berbred^erifd^eg &ää)tlu magifd^ tüirfen unb feffeln, SlHerbing^ 
ftel^t SRic^el Slngelo ebenf o l^immell^od^ über SSictor §ugo toie Seonarbo 
über Se^Ie; aber toie §ugo fid^ beut ©tue, ber aug SRic^el Slngelo^ 
3Kofe^ fprid^t, näl^ert, fo l^at 93e^Ie'^ ^erjogin bon ©anfeberina eine 
Senoanbtfd^aft mit Seonarbo^ SRona Sifa* 2;ro| ber mäd^tigen Über* 
legen^eit ber grossen Staliener eine nid^t geringe St^nlid^feit! Se^te ift 
ber 3beoIoge unter ben franjöfif(^en ©d^iftfteKern feiner ßeit, 2eo== 
narbo ber Sbeologe unter ben großen SRalern ber 9ienaiffance. 

3n ben SBorpoftenMmpfen gegen ben franjöfifd^en iragöbienftil 
unb gegen ben Sl^aubini^mu^, bem"ba§ Maffifd^e Sager l^ulbigte, 
toeld^e^ frembe Sitteratur aug bem einzigen ®runbe, tt)eil fie nid^t 
franjöfifd^ tvax, nid^t für gültig anerfannte, begegneten tt)ir Se^Ie 
fd^on frül^er ate einem Häuptling. Sn jenen (Sefed^ten ift aud^ er 
ein Sal^nbred^er geworben. Überaß fd^uf er unb feine ®enoffen Suft 
unb freie 93ett)egung. Unb mieberum bereitete niemanb ber Sitteratur 
beg Äaiferreid^eg empfinbtid^ere SRieberlagen afö biefer ©d^riftfteßer, 
ber in feinem perfönlid^en SSSerben gauj unb gar atö SKann be^ 
Saiferreid^eg un§ entgegentritt, ©d^on ber Umftanb, ba§ 93e^Ie ber 
einjige unter ben grojsen ©d^riftfteflem be§ Sal^reg 1830 tvax, 
toeld^er bie Äaiferjeit mitburc^Iebt ^atte, tüeift il^m eine l^erborragenbe 



» 3tpci ?ruSbrü(!e ©ottfrieb ÄcacrS. 



^ 



230 Die tomantifdjf ^djule in fraitktrid). . 

©tcßuTig in ber romantifd^en ®ruppe an. 3)icfcr 9Rann, tocl^cr 
bie ©d^Iad^tcTi üon SRarcngo rnib 3ena mitgcmad^t, bcr bcm ©üijug 
in 9Katfanb unb in SJcrlin bcigctool^nt, bcr an bcm tjclbjug noc^ 
Sbi^Ianb S^cil genommen, bei bcm 93ranb t>t>n 9Ro^!an aU ^(ugen' 
jeuge jugcgen tüar, ift bcr cinjigc, ber üott unb ganj in feinen Sd^riftcn 
auf napoleonifd^cn S3obcn iDut^eft. ®r attcin bon bcr ganjen @nH)pf 
l^at mit 9ia^)oIeon SBortc getoed^fctt, er allein tonnte fid^ rül^men, ba^ er 
mit SB^ron öerfel^rc. @r ift nur ein Sal^r jünger ate SRobier; bo{| 
wäl^renb biefer ate SSorläufer nic^t öiel mcl^r tt)ar afe ein ^erolb, 
beffen ganfärenftöfec auffd^rerften unb wcdEtcn, toar SSc^te ein SRitttr 
mit ßanjc unb gal^ne, einer ber Ulanen, bie ganj allein eine ©tabt 
einnel^men. 3n 9?obicr^ geiftigem fieben tüar bie franjöfifd^e 9lct)o^ 
lution ber ^unft, in iDcId^em alle feine ®eifte^ftral^Ien jufammenüefen, 
fic be^errfd^tc bei il^m äUeö . — er tt)urbc nid^t mübe, ü^re leitenben 
SKänner, i^re Opfer, il^r ©cfängniölebcn, il^re SSerfd^tüörungen, i^rc 
geheimen ®efcttfd^aften ju f d^ilbern — in Sc^Ieg geiftigem Seben mtm 
9?apoIeonö ©icgc^Iauf unb gall baö S3etücgen fd^affenbc ^rinjip. 
SWarie |)enri SBe^Ic ift in ®renobIe am 23. 3anuar 1783 
geboren. Seine ^ömilie gel^örtc ber i^öl^eren S3ourgcoifie, bcm Sted^t^- 
abel, an. @rft ad^t ^af)xt alt öcrlor er feine SRutter; er ennjfanb 
biefen SSerluft fel^r tief, immer toiebcr toanbtcn fid^ feine ©ebanten 
il^m ju. S)er SSater »ar öcrfd^foffcn unb gab fid^ »enig mit 
feinen Äinbem ab; er bcl^anbeltc fie mit äu^erfter Strenge unb 
überlief bie ©rjiel^ung ärmlid^en ®eiftlid^en, toeld^e ber @o|n 
ate 2^^ranncn unb |)eud^ter öcrabfd^cute. fJrüJ^jcitig bilbete \\ij 
jtoifd^en §enri unb bcm SSater ein |)a§ auö, ber niematö goit} 
erlofd^. 3m §aufe feinet ©rojsöaterg mättertid&erfeit^, einem 
überaus feingebitbeten Slrjte, tourbe bcm ^abcn all' ba^ @ute 
iu %txl, toa^ feine ^nbl^eit burd^jog; bemungead^tet tourbcn 
bie garten @rjiel^ungggrunbfä|e beö SSaterö fo ftreng befolgt, 
ba§ $enri im bierjc^nten 3al^re nid^t mel^r afö ein ober jiwi 
gleid^altrige fiinber fannte. tiefer ^abe, in toel^em bie Äeüne 



»ft)le. 231 

ju bcr ticfftcti Originalität lagen, in bcffen SiaturcH eine ^art«= 
näcfigc ©cttftänbigfcit ben ©runbjug bitbelc, er, bcffen %tmpt^ 
ramcnt eine l^eftige, nad^ ungettJöi^nlid^en |)anblungen bürftenbe 
Snergic in fid^ barg unb tn bem ein frü^ erttjad^te^, glül^en== 
bc^ ©inncnlebcn fid^ ju äußern ftrefite, ttjurbe einem fo ftarfen, 
fo anl^Itenben unb fo unbebingten S)rud ber ©rjiel^ung untere 
morfen, ba^ bie leibenfc^aftlic^fte innere (Smpörung bie* nottüen* 
bigc golge bat)on fein mufete. S)a bie SlbW^, ml6)t ttiä^renb ber 
9lct)o(ution in beftänbiger §lngft lebten unb immer öor il^ren 
folgen gitterten, btn ^dbtn jum Satl^oüfen unb Slo^aliften ju 
crjicl^en beftrebt njaren, njurbe ber Süngling in naturnottoenbigem 
SSiberfprud^ gegen bicfe Seigren rcöolutionär gefinnt unb enttt)i(feltc 
fid^ jum 93onapartiften fotoic jum ^i^cibenfer in bc^ SBorte^ t)er= 
»egenfter Sebeutung. 5Der ununterbrod^enc ©treit jtoifc^en bem 
SBitten feiner aSermanbten unb feinen eigenen SBünfd^en erjeugte 
oujserbem in i^m einen fold^en Slrgttjol^n, ein fo tiefet 3Äifetrauen ju 
ben äÄenfc^en, ba| eö nic^t mel^r an^ feinem Sl^arafter ju tilgen toar; 
ju ber Slngft, üon Slnbercn au^ eigennü^igen Sntereffen jum 93eften 
gcl^alten unb betrogen ju toerben, fam batb bie Surc^t, fid^ felbft gu 
täufc^en, unb barau« entftanb bie @ttvof)nf)tit, beftänbig auf ber 
^nt JU fein, fid^ unter ©etbftfontroKe ju galten. 

3n feinem SBefen tt^ar etnja«, ba^ fid^ öon ber 5ßrot)inj ^er^ 
leiten täfet, in toeld^er er geboren tourbe unb tt^o feine gamilie 
nad^toei^titf) feit ein paar l)unbert 3al^ren anfäffig toax. ^ie 93e- 
moiiner ber S)aupl^in^ finb tebljaft, ftarrftnnig, raifonnierenb, ebenfo 
öerfd^ieben öon ben 5ßroöen^aten im ©üben toie öon btn ^arifem 
im 9?orben. 2)er 5ßroöen^aIe giebt feinen ©efül^Ien lärmenb unb 
mit üieten SBorten SluöbrudE, er findet unb fd^itt, menn er jomig 
ober gefränit ift; ber 5ßarifer ift l^öftid^, wi^ig, oberfläd^üd^ — er tt^itt 
glänjen. S)ic ß^araftere in ber S)au^)l^in^ jcigen eine l^eröorragcnbe 
^artnädEigfeit; fie finb tief unb fein jugleid^; fie merfenfid^ bie i^nen 
toiberfa^rene Äränfaing unb räd^en fie, tt^enn eg an ber Seit ift, aber 



232 Die romanttfd)e Sä)ule in itankreid). 

nie mad^cn ftc fic^ in ©d^eltoorten Suft. 3n 93c^tc'^ gamitie 
Ijerrfd^te bcr ®Ianbc, bafe ba^ (äcfd^Icc^t müttcrlid^crfeitö au§ 
Statten ftamme. öe^te'g äRntter laS ©ante nnb Slriofto in bcr 
Driginatfprac^e, bamafö ettna^ ganj nngetpöl^ntid^eg für eine 
5ßrot)injbamc. SJieKeid^t fönnte man feine eigene leibenfd^afttic^e 
SSortiebe für ba^ itatienifd^e SBefen baran^ erWären, Übrigen^ 
tüjxx \a *ie 2)anpi|ine bi^ 1349 ein t)on granfreid^ getrennter 
nnb in feiner ^olitif iiatb italicnifd^er Staat, S3e^Ie bilbete fid^ 
jnbem ein, ba| ßnbtnig XI., ber d^ ®an^)i|in mel^rere Saläre bog 
Sanb regiert iiatte, ben Snn^ol^nern ber ^roüinj ettt)a^ öon fernem 
nmfid^tigen ®enie, ba§ ftetö öor frembem 6infln| auf ber §ut 
njar, mitgeteilt l^abe. @o unnjal^rfd^eintid^ biefe 9Sorau§fe^ung au^ 
ift, für i^n erfd^eint fie bo6) d^arafteriftifd^. 

grü^jeitig prägte fid^ bei §enri 93e^Ie burd^ ben ©influ^ feiner 
Umgebung jener 3ug t)on SJiiJBtrauen, ben er im SSaterl^aufe empfangen, 
nod^ tiefer au§. 8lt^ er enblid^ bie fo lang erfel^nte g^eil^eit er^ 
langte, ba^ ^ei|t,- aU er in eine ©d^ute lam tnie anbere Änaben, 
erlitt er eine grojse Sitttäufd^ung. ®er ftarfe, unterfe^t gebante 
^nabe mit bem lebl^aften SBIicE unb ber fpred^enben ^l^^fiognomie, 
ber in ber ©d^ule tnegen feinet feften (Sauget, feiner l^erfulifc^en 
©lieber unb feinet runben §erfute§=^opfe§ ben ffleinamen „ber 
tüanbernbe Sturm" befam, njar tro| be^ ironifd^en 3^9^^ ii^ ^^" 
ajiunb ein ©ntl^ufiaft. (£r fanb in feinen SKitfd^ütem nid^t bie 
munteren, tieben^n^ürbigen unb ebelgefinnten Äamerabert, tt)ie er . 
fid^ biefetben öorgefteüt, fonbern ftatt beffen eine SSanbe pc^ft 
egoiftifd^tr ^Rangen. ,,®iefe 3;äufc^ung/' fagte er, aU er einmal 
feinem %xtmbt Kotomb baöon erjäl^Ite, „l^at fid^ im Saufe meines 
ganjen Seben§ njieberl^olt. Slud^ id^," ful^r er fort, „mad^te fein 
(älixd bei meinen Sameraben; jefet fel^e iä)'^ ein, ba§ id^ bamate 
in meinem SBefen eine fel^r läd^erlid^e SKifd^ung öon ^od^mut nnb 
bem ®rang ■ nad^ SSergnügen jeigte. Sd^ f efete bem f c^ncibenbften 
©goi^mug ber anberen Sfnaben meine fpanifd^ abetigen ß^rbegriffe 



Bei^U. 233 

ctitgegen unb fül^Ite bann bod^ l^afte SJerjioeiflung , loenn fic mit 
cinanber fpicöcn unb nticj^ ftciicn liefen." äRan öergfeid^c btcfc 
SBorte mit bcr bitteren ^^äufc^ung beg jungen ^^brice (in „La 
Chartreuse de Parme", 1839), ber tü&f)xtnb ber ©d^Iad^t t)on 
SBaterloo bie ©otbaten, benen er begegnet, um ein @türf 95rot 
bittet unb t)on il^nen mit einem f d^ted^ten SBi| abgefpeift tvixb: ,,2)ieg 
Iiarte SBort unb ba^ allgemeine ©rinfen, ha^ folgte, übernjftttigten 
gabrice. @o toax ber ^rieg alf o nid^t jener ebte, gemeinf ame 2luf fd^njung 
tjon Oeiftem, bie ben 9iul^m über Sllle^ liebten, fo tvit er fid^ ben* 
felben nad^ Siapoleon^ ^ßroKamationen gebadet ^atte!" 9Äan fann 
fid^ leidEit öorftelten, ttjeld^e ©rinnerungen an fp mand^e ttjilben 
3tu§brädE|e öon tierifd^em 6goi^u§ SSe^Ie ttJö^renb feinet %tlb^ 
jugeg gefammelt l^atte, augenf(^eintid^ l^at er au§ fold^en bie (£r== 
fal^rungen feinet gabrice jufammengefteKt. 6r machte fid^ t)on 
Anfang an einen gu ibeaten 93egriff t)on bem Äamerabfd^aft^gefül^t, 
fotool^t jtüifd^en ©d^uljungen afg f^jöter gtt)ifd^en ben ©otbaten. 

Ungefäl^r t)on 1798 an öerlegte er fid^ mit ßeibenfd^aft auf 
bie SKatl^ematit unb jtDar, tt)ie er feinen greunben* f agte, auö bem 
bejeid^nenben Ö^runbe, njeit er, njeld^er bie §eud^elei öerabf diente, 
biefe in aßen SBiffenfd^aften gu entberfen ttJUJBte, tpäl^renb er 
fie in ber 3Äati|ematif für unmöglid^ l^ielt. gum S^eit trug 
tool^I aud^ ju feinem (Sifer ber ftra^Ienbe Siul^m bei, tüetd^er gerabe 
ju jener S^it t)on bem jungen franjöfifd^en ®enerat in Statten 
ausging , .ben bie SRatl^emati! burd^ bie Slrtillerietoiff enf d^af t t)on 
einem ©ieg unb 3;riumpl^ jum anberen gefül^rt iiatte. 

9lad^bem er feine ©tubien beenbigt, lam er am 10. Sioüember 
1799 in 5ßari^ an, gerabe einen S^ag nad^ bem 18. 93rumaire. 
@r l^atte einen ©m^jfe^tung^brief an bie gamilie S)aru, tpcjd^e. mit 
feinen ßltern üerttjanbt toax. 5ßierre ®aru, ber nad^ bem ©taat^^ 
ftreid^ jum ©eneralfefretär beg ^iegeg unb jum 3ufpeItor ber 
Sletjuen ernannt ttjorben ttjar, fteöte SBe^le in feinem SKinifterium • 
ön. Sd^ glaube, eine Srinnerung an jene SSoIontär* Stellung bei 



234 IDie romantifdjt Sitjule in irankrtid). 



2)aru in 3ulian^ Slnftcüung beim ®rafcn de la Mole (in „Rouge 
et Noir") ju finbcn. ©olomb crjä^It, bafe SBe^Ic an einem ber 
erften 2:age, al^ S)arn il^m einen S3rief biftierte, in ber 3crftreuung 
„cela" mit bop^jeltcm ( fd^rieb nnb eine fd^erjl^afte, bod^ be^^alb 
nic^t toeniger bemütigenbe ßurecfitoeifung em|)fing; genau berfetbe 
3ug finbet fid^ im SRoman. SRid^tgbeftotoenigcr loar 3)aru augen^ 
fd^einüd^ a(^ S9efd^ä|er bei tt^eitem jartfül^Ienber unb fieben^würbiger 
ate ber ®raf de la Mole, benn öon Einfang big jute|t blieb er 
feinem jungen ©d^u^ting ein treuer |)etfer. 63 toar ein Bpid be» 
Sd^idEfatö, ba^ biefer 3Rann, ber neben feiner eminenten ^Begabung 
für bie friegerifd^e Slbminiftration iieröorragenbe litterarifdEie Siiilente 
befaj5, ber burd^ feine §oraj*Überfe|ung unb feine ^iftorifd^e 
?ßrofa ein . guteö 3^"8^i^ f üt ben litterarifd^en ©til be3 ^aifer* 
reid^eg giebt, tt)ie er überl^aupt eine 2lrt SKittelpunft für bcffen 
Sitteraten ttjurbe -- ba§ biefer SRann faft tväi)xmb aller feiner gelb* 
jüge in feiner näd^ften Ställe einen t)on ben SSa^nbred^em ber fot 
genben ßitteratur^eriobe iiatte, natürlid^ ol^ne bie S5egabuug in 
feinem Untergebenen ju al^nen, mt biefer felbft fid^ -berfelben nod^ 
nid^t tjöüig beujujst njar. 

8(te S)aru unb fein jüngerer 93ruber unter bem ^ieg^minifterium 
©arnof g jur 3cit be^ bentoürbigen itatienifd^en gelbjuge^ t)on 1800 
ben 95efel^I erl^atten l^atten, jum §eer in Statten ju fto^n, forberten 
fie beibe ^enri SBetite auf, bort mit il^nen jufammenjutreffen, ol^ne 
bafe fie i^m jeboc^ auf eine beftimmte Slnftettung SluSfid^t eröffnen 
fonnten. 2)er fiebenjel^njäl^rige Süngling, ber bei feinem in 
gleid^em ®rab energifd^en ttjie poetifd^en ^Temperament nur öon 
Xiiaten träumte, ber für ben erften ÄonfuI fd^ttjärmte, liefe fid^ ba^ 
nid^t gtoeimal fagen. Sr padfte jttjanjig 93änbe originaler Slutoren 
in feinen äRantelfadE, reifte nad^ ®enf, beftieg bort, oiine jemate 
reiten gelernt ju l^aben, ein ?ßferb, ba§ S)aru aU fran! jurudE* 
getaffen unb ba3 nun njieber braud^bar getoorben toar, unb ritt am 
22.3Äai, jUJeiStage fpäter ate Siapoteon, unter öieten ©c^toierigfeiten 



»e^lr 235 

über ben @t. 93ernl)arb. Sn bcn erften Xagcn beg Sunt crrcid^tc 
er äÄailanb, bic ©tabt, tt^o er cnblid^ bie ßebenöfrcube fcnncn (cmcn 
foHtc, bic ©tabt, tüttä)t in feinem 3been!reife eine fo fteftänbige unb 
bebeutenbe 9fiotte fpieü. 6r ttjurbe Stn^t beg ©turnieg öon Subel 
unb 93egeifterun9, tDomit man in Dberitaüen bie Slftfcl^iittelung be« 
öfterreic^ifd^en" 3od^« begrüßte, am 4. 3uni nal^m er ate greitoiöiger 
an ber ©d^Iad^t öon SRarengo teil. SRad^bem er einige äÄonate 6ei 
ber Sntenbantur angcfteHt tt^ar, trat er — njie eine fomifd^c Stnmerhing 
jum 5. ^apM öon „Eouge et Noir" bem ßefer melbet — in ba^ 
fec^gte ^ragonerregiment atö SBad^tmeifter ein, njurbe bei 9tomanego 
jum Unterüeutenant ernannt unb in biefer Stellung balb bamac^ 
ate Stbjutant bem ©eneral äÄid^aub beigegeben. 3n oÄen folgenben 
2:reffen, befonberS bei ©aftetfranco , jeid^nete er fid^ fott)oi|l 
burd^ feinen 2Kut afö aud^ burc^ ben 6ifer au^, njomit er bie 
öerfd^iebenen Slufträge, bie il^m anöertraut würben, au^fül^rte» 
SBiö man ein genaue^ S3üb l^aben üon ben (Sefül^ten, meldte 
ben jungen 95e^Ie erfüllten, ate er ber ©d^tad^t öon SKarengo bei* 
tool^nte, fo mu§ man fid^ bie linblid^ entl^ufiaftifd^e unb ^eroifc^e 
Stimmung öon Fabrice de Dongo tjergegenioärtigen , meldte biefer 
Qfö 3^uge ber ©d^Iad^t üon SBaterloo funbgiebt. S)iefe ©c^ilberung 
öerbanft jnjeifetöol^ne ber treuen SBiebergabe perfönlid^er ©rlebniffe 
einen 3:ei( i^rer unöergleid^Iid^en SÄcifterfd^aft. Scner Sdixanm, 
ber mit bem 9fiitte beg 3ünglingg über bie ^ipm beginnt unb mit 
feinem Sluötritt aug ber Slrmee nad^ bem grieben t)on Slmien^ enbet, 
toar in Se^fe'^ ©rinnerung bie Seit t)ollfommenen (SIüdEe« in feinem 
Seben, reid^ an bunten, rompnttfd^en SinbrüdEen, eine Seit, bie t)er=» 
toegene Xl^aten in fid^ fafete, ba^ erftc 3)uelt, jugenbüd^e Siebet* 
gcfd^id^ten, bie 5ßoefte beg 93it)Ouac* unb @atonlcben§ in einem fd^önen 
Sanbe, njo bie fremben Sieger öon einer forglofen, naiö leibeufd^aft»* 
tid^en 83eöötferung, toetd^e burd^ feine ®ttupd gel^inbert toav, ben 
I)urft nad^ greube ju ftiöen, atö SBefreier unb gelben begrübt tourben. 
Site er t)on biefem feinem erften großen §lu^flug lieber nad^ 



286 ^te romanttfd)e 34)ule in itankreid). 



©rcnobCc iieimgcfcl^rt toav, tuo aöc^ beim alten geblieben, wo 
feine ^öniifie S^rfurd^t für all' ba^ fünfte, loa^. er öerac^tete, 
loäiirenb fic alfe^ öerabfd^eute, ttjofür er 95egeifterung i|cgte, erhielt 
ber junge SBraufef o^)f nac^ öerfd^iebenen iieftigen Äuöeinanberfe^ungcn 
bie ©rlaubniö, einen Äufentl^alt in ?ßari^ ju nehmen. §ier 
ftubierte er SKontaigne, 9Äontegquieu unb bie ?ßl^itofo<)l^ett be§ 
18. 3al^r^unbertö, bann aber aud^ ©abani^ unb be Irac^, mit im 
er t)iete Saläre fpäter innig öertraut »erben foöte, beffen „3beo^ 
logie" jebod^ er fd^on öon feiner frül^eften Sugenb an ouf 
bag (ebl^aftefte betounberte. Anwerbern nal^m er Unterrid^t im 
©ngßfd^en. 

®iefe S%it rul^igen ©tubiumS, ba^ ein paar Saläre auffüllte, 
njurbe burd^ eine burle^fe @^)ifobe unterbrod^en. Sin 3al^re 1805 
öerliebte fid^ SSe^Ce n^ä^renb eines SlufentiiatteS in feiner SSotcr- 
ftabt in eine junge, l^übfd^e ©d^aufptelerin , unb ba er, ber feine 
Siebe ertoibert ttju^te, nid^t getrennt -öon feiner @d^önen kkn 
mod^te, biefe aber balb barauf in SRarfeiüe engagiert njurbe, fiel 
i^nt fein anbereS SRittel ein, i^r ba^in ju folgen,, afö baS: in ein 
bortigeS gw)B^^ Äotoniatoarengefd^äft atö ÄommiS einjutreten. 
SBä^renb eines 3al^reS, f olange bauerte feine Seibenf d^aft, fünfte er fi(| 
auf feinem. ©omptoirftul^I gonj glüdEIid^; als aber bie ©d^aufpielerin 
fid^ pli)|lid^ mit einem Siuffen öermäl^Ite, feierte Se^Ie nad^ 5|Jari^ 
äurüdE unb fam einer Äufforberung SRartiat ®aru'S, i^m jum ^eer 
JU folgen, nad^. Sr ^atte gerabe feine litterarifd^en arbeiten 
n)ieber begonnen, na^m aber bennod^ baS 3lngebot an; ber ©d^Iot^t 
t)on Sena , Sla^joIeonS ©itgeSeinjug , ,in 95erlin ttjol^nte er bei. 
Qum Sntenbanten über bie Domänen beS SlaiferS in SBraunfc^tneig 
ernannt, benü^te er in ben beiben fotgenben 3ai|ren biefe ©elegcn* 
l^eit, ettt)aS 3)eutfc^ ju lernen unb ftd^ mit- ber beutfd^en Sitteratur 
bef annt ju mad^en ; im übrigen jeid^nete er fid^ burd^ feinen S)ienft^ 
eifer auS. @r foKte eine Kontribution öon fünf 9Äiöionen an^'- 
fd^reiben., ftatt beffen fd^rieb er fieben auS; bieS nannte man 



Bet)le. 237 

- - - — 

bamafö „le feu sacre" l^abcn, 8tt^ ber Äaifcr baüon l^örtc, frug 
er, meldtet Slnbitor btc^ getl^an unb fagtc: ,,S)a^ f)ai er gut ge=^ 
mad^t". SBe^Ie ertparb fid^ übrigeng S^re auä) auf anbere, tnel^r 
f^tnpatl^ifd^e SBcife. 1809 f)attt man ü)n mit bem 5ßrot)iant unb 
mit ben Äranfcn in einer Keinen bcutfd^en @tabt jurüdEgelaffen, 
beren S3eööHerung, fobalb bic ®arnifon abgejogen njar, bic 
©turmglocfe ertönen Iie§, um bic äRagajine ju ptünbern unb baö 
Sajaretl) angugreifen. S)ie Dffijicrc öerloren bcn Äopf ; aber ffle^te 
Iiej5 bie Siefonöale^centen, bie SSertounbeten unb Traufen, Slüc^, 
mag aujser 93ette fein fonnte, bewaffnen, ftettte bie tt)enigft SBaffen^ 
fälligen ate 5ßoften an bie fjenfter, bie er in ©d^icjslufen öer^» 
wanbetn Iie§, unb unternahm mit ben Übrigen in bunter ©d^ar 
einen 2lugfaII, ber ben Sluftauf augeinanber fprengte, 

(St folgte ber Sirmee nad^ SBien unb tt)urbe bei ben Unteriianb- 
langen öertnenbet, bie Sßapoleong SSermä^Iung mit äRoric Souifc 
vorangingen; jum Snfpeftor über ba^ SSiobiliarüermögen unb bic 
93auten ber ^one ernannt, erlangte er ßi^tritt bei §ofe unb ttjurbe 
ber Saiferin öorgeftcHt. 

SRad^ einem neuen Slufenttialt in SÄailanb erl^iett er 1812 
bie ©rlaubnig, ben S^f^ä^^fl Ö^fl^i^ 9fiu|lanb mitjumac^en. 6r l^attc 
fd^on in htn frül^ern Kampagnen feine Slbenteuerluft mel^r ate be^ 
friebigt, ^attc @fel uitb ®ram enHjfunbcn beim Slnblid ber öielen 
fieid^en. unb oft, toenn fein SBagenrab bie ©ingetoeibe ber Gefallenen 
burd^fd^nitt, bag öebürfnig gefül^lt, fid^ burd^ ein 5ßt|antaficlcben 
öon biefcn ®räuetn log^urei^en, unb um ^ufenbung ^joctifd^er SBerfc 
nad^ .^aufe gefd^rieben. Slbcr ber Ärieg lorftc il^n ftctg aufg neue. 
SBir feigen i^n, ber fpäter eine fo feine unb tiefe 93eobad^tung ber 
SJölfcrpf^d^ologie in feinen 93üd^cm nieberlegen foKte, njä^renb .beg 
Überga^geg ber grojsen Slrmcc über ben Stiemen bie ?ßl^^fiognomie 
unb bag Temperament ber öcrfd^icbenen 9taffen, m^ benen fie 
beftanb, ftubieren. 3Ran fül^lt, ttjeld^e 95cifteuer ju ben intereffan^ 
teften unb befrud^tenbften ©rfal^rungen bie 93eteitigung an einem 



! 



238 9i< romantifilie d^ttU in /rankreU^. 



folc^ctt 3^9 ttwb bcr ÄnMirf cincd fold^cn ^ccrc^ bcm fünftigen 
©(^riftftcöcr getDä^ren ntu^. 35cnnocl^ ^at er bcrcitö in ©molenöf 
genug. @r fc^reibt tion ha aud: 

^SBie fi(^ ein SRenfc^ boc^ öeronbert! 35te 8(|auluft, bic u| 
in alten Xagen ^atte, ift gang geftiQt; fritbem id^ 9RaiIanb mtb 
Stauen gefe^en, ftd^t a0ed mi(| burc^ feine ^tonp^eit jurut!. 
SBirft ^u glauben, ba^ ic^ o^ne irgenbioeI(^ ))erf onlid^en @nmb 
juuiei(en na^ baran bin, X^ränen ju tiergiegen. 3n bief em Dieatt 
öon Sarbarei fein %m, ber }u meiner Seele ftinnnt! ÄKeö ift 
grob, fc^mu|ig, ftinfenb, im buc^ftabßc^en unb bitbftd^ Sitnte. 
@$ blieb mir ^ö(|ftend bad fleine äSergnfigen, mir auf einem t^-- 
ftimmten ßlamer ein to>enig Dorf^ielen ju (äffen t)on einem 3km 
fc^en, ber ebenfo muftfalifc^ ift ttiie ic^ fat^oKfc^. ®er S^rgeij 
befi|t foine a]>{a(^t me^r aber mic^; ba$ fc^onfte DrbenSbaitb 
to>urbe mir fein Srfa| f(^inen für bad, toaS ic^ bulbe. Sie $6^, 
bie mein ®eift bemo^nt — tDo er in einem fc^onen ^lima 33ü(^ 
au^benft, Simarofa fföxt unb 9(ngela (iebt — fteOe ic^ mir als 
liebliche $uge( Dor; fernab tion i^nen in ber (Sbene brunten liegen 

bie giftigen Sumpfe, in bie ^inab ic^ nun gefunfen bin 

fiannft 3hi Dir benfen, ba% i(| ein gro^ed SJergnflgen baran finbe, 
mic^ mit ben offiziellen 3)ofumenten, Stalien betreffenb, gu befafjen? 
3c^ ^aüt juiei ober brei italienifc^ <Skf(|aftSange(en^eiten, bie, felift 
nac^bem fie georbnet nxiren, meine (SinbilbungSfraft bef(^ftigten 
tt>ie ein Sloman.* 

Smmer biefe Sop^Inotur in feinem SSSefen! Der SJrong, bie 
^^antafie gu nähren, Derbunben mit Xl^atenluft unb bem %nä, 
Saaten ju fe^, f priest auc^ as^ feinem 3^gebuc^ üon äRoSfot 
SSo^renb be^ S5ranbeg fc^reibt er: „Tag ^euer näherte fi(^ ra^ 
bem ^oufe, baS nnr Derlaffen Ratten. Unfere SBogen blieben fünf 
big )tdß Stunben auf bem Souleixtrb fte^ 2)iefer Unl^gW 
mube ging ic^ ^in, um baS ^er ju fe^ unb blieb eine Stiutbe 
ober jtoei bei 3oinmDe . . . . tofar tranfen eine gf^^f^^ ^^' 



Betjle. 239 

uni) crl^oftcn unö baburd^. ^ä) ia^ eitiigc Stikn in einer engtifd^en 
Ü6erfe|ung öon „Paul et Virginie", bic mitten unter ber allge^ 
meinen 9fiol^eit mir tüieber ein bi^c^en geiftigeö Äeben gab." 

93e^Ie »urbe für bie Qtxt be^ fd^re(fent)oEen Siüdjnge^ au^ 
Sin^tanb jum ©eneratbireftor ernannt, ber bie SJer:pffegung ber 
brci 5ßlä|e SKingf, äSiteb^f unb 3Ro^i(ett) ju beforgen iiatte; er 
ertoarb fid^ befonbereg SSerbienft bei Drfd^a, inbem er i|ier bem 
§eere ßebenSmittel für brei 2:age öerfd^affte , bie einjigen Seben^^ 
mittel, njetd^e ba^felbe jtnifd^en SÄo^fau unb ber 93erefina ertongte. 
Die Äaltblütigfeit unb ©ntfc^ieben^eit, metd^e 83e^Ic t)on frül^efter 
Sugenb an eigentümlich ttjaren, öertiefeen il^n aud^ l^ier nid^t. (£§ ift 
oft erjäl^ft ttjorben, n)ie er an einem ber fd^timmften Sage, ate er 
too^Iraftert unb forgfättig geffeibet fid^ bei feinem ß^ef ®aru 
melbete, mit bem Kompliment empfangen ujurbe: „Sie finb ein 
tapferer SRann, §err SBe^Ie, Sie badeten aud^ l^eute baran, fid^ 
JU rafieren/' 

(£r öerlor bei biefem SlüdEjug aKe§: feine ^ferbe, feine SBagen, 
feine Sogoge , fein ®elb , ja felbft ber S^otfd^ißing ging t)er* 
loren, mit bem fid^ ju tjerfel^en er für angejeigt gel^atten. %U er 
abreifte, ^atte feine ©c^toefter bie fänittid^en Knöpfe eine§ feiner 
ÜberrMe abgenommen; ©olbftüdfe ju 20 unb 40 g^^ancö, forg== 
fäftig mit lud^ überjogen, erfefeten bereu ©teüe. 93ei feiner |)eim= 
fcl^r fragte fte il^n, ob ii|m bieg ®e(b t)on 9?u|en gettjefen fei. 
9Äit öiete 3Äül^e befann er fic^ barauf, ba| er einem Kcßner 
irgeubtoo in ber SRäl^e t)on SBifna eben biefen ÜberrodE gefd^enft, 
toeil er il^n für abgetragen l^ielt 2)ief er 3^9 if* be^eid^nenb ba== 
für, n)ie 93et|te, afö S)ip(omat fo umftd^tig, fo öergefeüd^ atö 
^oct toar. 

(£r trat öon neuem fein "^mt in ^ari^ an. 3m Saläre 1813 
folgte er bm, Hauptquartier be^ Kaiferg nad^ SKainj, ©rfurt, Sü|en, 
©reiben; er njurbe 6|ef ber Sntenbantur in ©d^Iefien; bann fuc^te 
er njegen feiner gefd^toäd^ten Ö^efunb^eit 3^P^^* ^m ©omofee, in 



240 I^te romantifd^ dd)ule in irattkreid). 

bcr (Scgcnb/ »o^in e^ il^n beftänbig, toie ju einer 3tife( ber 
feCigfeit, jog, Sin dolce far niente fußte l^ier bic 5ßaufen au^, 
bie eine g(ücflid^e £iebe i^nt übrig (ie|. @r -fpiette nod^ eine 
9totte bei SRapoCeon^ 3Bieberfel^r im Solare 1814; aber mit 9lapo= 
leonö @turj war feine ßarriere in äußerlichem ©inne öorbel 
@r üerlor aüe^: fein Slmt, fein Sinfommen, feine gefettfc^apt^e 
Stellung, feine Slu^fid^ten; er trüg ben SBerluft nid^t nur o§ne 
Älage, fonbem mit ^eiterfeit; mit pj^itofopj^ifd^em (Sleic^mut fonb 
er fid^ in ba^ Unöermeibtid^e unb war öon nun an Äo^mo^joth, 
Äunfttiebl^aber, 2)itettant unb ©d^riftfteßer. 

SSon 1814 big 1821 lebte SBe^le, mit einer einzigen Untere 
bred^ung im Sa^re 1817, in feinem geliebten SRaitanb. @r öerüe| 
bie Stabt aud^ ttJä^renb ber ^unbert Sage nid^t, ba er Siopoleonö 
©ac^e für t)erloren l^iett. Seibenfd^aftfid^ für italienifc^e 3Rupf 
unb ©efang eingenommen, mie' er war, öerbrad^te er glücKit^e 
Äbenbe im X^eater Sa Scala unb lernte in ben öomel^mften Steifen 
ber ©tabt, im §aufe beg ®rafen 5ßorro, in Soboöico be SBrJme'^ 
I^eaterloge, gtatien« 2)id^ter unb greiJ^eit^männer fennen: ©itoio 
^^JeHico, äRahjoni unb anbere; aufeerbem mad^te er bie öefaiint^ 
fd^aft berühmter 9teifenben, wie ö^ron, äRabame be Statt, SBit^eta 
©d^legel, überl^aupt einer Sieil^e öon SnglanbS unb 25eutf (flaute 
^eröorragenbften 5ßerfönlic^feiten. 8lug einer mel^rjäl^rigen 2ie6eg^ 
öerbinbung, bie i^n bei feiner gäl^igfeit, bag ®tüdE ju füllten, bö^* 
felbe nun auc^ öott genießen ließ, würbe er ptö^lid^ i^erauggeriffen, 
alö it|n im ©ommer 1821 ber, übrigen^ gänjlid^ grunbtofe, Ser- 
bad^t ber öfterreic^ifd^en 5ßolijei, bie i^n für einen ßarbonaro 
^ielt, über §ate unb Äopf au^ ber Btabi Vertrieb. 

@r fam ganj jerfnirfd^t in ?ßarig an; bie 3;rennung öon ber 
grau, bie il^m fo teuer war, erfd^ütterte fein ®emüt aufg ticffte. 
Unter biefem überwältigenben SinbrudE ging er baran, fein y 
rü^mteg 93uc^ „De ramour" gu fd^reiben. SBi^^er ^atte er nur 
Siograp^ieen t)on ^a^bn unb SKojart l^erau^gegeben, bie jeboc^ 



Betjle. 241 

bIo| Bearbeitungen öon ttaüenifc^en unb beutfd^en ©d^riftcn tparen, 
fowie bie „Histoire de la peinture en Italie", in bemütig^ftotjem 
äu^rucf öon i^m bem befangenen auf @t. §elcna gett)ibmet 
Äeineg biefer 93ücl^er l^atte bag geringfte Stuf feigen erregt, bag 
Ie|tere erttjarb ii^m inbeg bag SBol^tooKen unb bie g^eunbfc^aft 
beg 5ß^Uofop^en be Xrac^, 

Se^Ie l^atte fid^ anfängtid^ in 5ßarig öoßftänbig ifoliert gefiil^It: 
ein Xeil feiner* alten greunbc, bie toä^renb beg Äaifcrreic^e^ feinen 

« 

SSerfel^r au^gemad^t, ttjar an^ ber §auptftabt tjerbannt ttjorben; 
bie Slnberen Ratten burd^ i^re fitied^erei öor ben neuen ^aäjU 
f)ahxn feine Sld^tung öcrfd^ergt SRun fanb er Bei be Irac^ bie 
S9tüte ber batnatigen guten ®efetlfd^aft, ßafa^ette, ben ®rafen t)on 
BiQViv, SBenjoniin ©onftant, tv&fyctnb er gleichzeitig im Jpaufc ber 
berül^mten . Sängerin ®iubitta ?ßafta unb in einigen äl^nlic^en 
©alon^ mit bem ^erantpad^fenben @d^rif tftettergef c^Iec^t, Scannern tpic 
äK^rint^e, Saquemont unb Slnberen jufammentraf. SBon 1821—30 
6üeb 93e^te, abgefe^en t)on einigen §lu§f(ügen nad^ ©ngtanb unb 
Italien, in 5ßarig anfäfftg; t)on 1830 big ju feinem Xobe njar 
er mieberum SSeamtcr, Snl^aber einer 3lrt öon ©inefure atö Äonfut, 
erft ein ^ai)x in 3:rieft, wo er fid^ nid^t bel^agßd^ fül^Ite, bann 
für ben SReft jener ^tit in 3taßen in ßiüita^aSecd^ia, S)er Slufent^ 
l^att bafclbft war faft gfeid^bcbeutenb mit einem fold^en in bem na^e* 
tiegenben 9iom. §ier lebte er unter bem §immcl, ben er ftetg geliebt, 
unb inmitten beg t)on il^m beöorjugten SSoIfe^, langtneilte fid^ aber 
in feiner ©infamfeit unb Untl^ätigfeit über aße äÄafeen. Slüerbingg 
tourbe er ein lieben^toürbigcr unb fenntni^reid^er ©icerone für bie^* 
jenigen feiner Sanb^Ieute, bie il^n auffud^ten unb i^m gefielen, bod^ 
er feinte fid^ beftänbig jurüdE nad^ ?ßari§, obfd^on er mit einem 
Überreft öon bem ©olbatengeift be^ Äaiferreic^eö fid^ nid^t me^r 
ate fj^anjofe betrad^tete, feit bie 9iegierung 2ubtt)ig ?ßl^iti))pg 1840 
in ber orientatifd^en grage o^ne (Sd^n^ertftreid^ ©uropa nad^^ 
gegeben ^atte. Sn feinen testen ßeben^a^ren toar er fräuKid^* 

»ranbes, Stttetaturgefc^. be8 19. gal&t^. V. 16 



242 iöie romantifd)e ^ä)ttle in ^Ftanhreid). 



@r ftarb ))Iö|tic^ an einem @cl^(aganfall mä^renb eine^ Urlaube 
in ?ßüri3.^ 



* Snfolgc tcftQmcntarifd^cr SBcftImmung, bie beloeift, tocld^e Stnjicl^ungSs 
fraft bic Erinnerungen Qn SKdlonb bi^ ju feinem 2:ob für i§n Ratten, 
tDurbe ouf feinen Orabftein auf bepi JJriebl^of Don SRontmartre bie Snfd^nft 

gefegt: 

ARRIGO BEYLE 

MILANESE 

SCRISSE 

AMÖ 

VISSE 

ANN. LIX M. II 

MORI IL XXIII MARZO 

MDCCCXLII. 



XIX. 

§enri 93e^Ie ift o^tte 3^^if^t ^i^^^ ^^ ötetfeitigften ©elfter 
au^ jener reid^en ^ertobe. Slm fd^ärfften unterfd^eibet i^n öon 
bett franjöfifd^en SRomantifem feiner Umgebung ber (Srunbjug, 
ba§ er in birefter ßinie öont 18, Sal)r^unbert , in^Befonbere 
öon beffen ftreng rationeller unb fenfualiftifd^er ^^ilofopl^ie ab- 
ftammt, fo baJB niemals in feiner ©eele, aud^ in feiner nod^ fo 
htrjen ^ugenb- ober Übergang^^periobe, fid^ ein gunfen öon ber 
übtid^en romantifd^en ^ietät für bie religiöfen Strabitionen ftnbet; 
er ift mit einer ©ntfd^iebenl^eit, bie fein ganje^ Seben l^inburd^ nid^t 
in einem einjigen ^un!t i^n öerläfet, ein ^pl^ilofopl^ifd^er (Segner 
Don aCem, toa^ in jener großen romantifd^en Settjegung Sfieaftion 
gegen ben ®eift be§ 18, Sa^rl^unbertg l^ie^* Jiiemafe lieJB er fid^ 
im geringften burd^ S^ateaubrianb ober SWabame be ©tael beein== 
ftuffen — er toar toeber Äotorift toie erfterer nod^ berebt n)ie bie 
Ie|tere — ebenfo tt)enig burd^ Slnbr^ Sl^^nier, $ugo unb Samartine* 
35er ©inn für SRetrif mangelte i^m, er toar tpeber ttirifd^ nod^ 
pat^ettfd^; feine SSorbilber ate SlomantHer toaren feine inlänbifd^en* 
©eine Streue gegen bie öon ben SRomantifern aller ßänber fo gering 
angefel^enen ^l^iIofo:p^en Sonbiüac unb |)elt)etiu§ btieb unöerbrüd^^ 
lic^, ja unerfd^üttertid^ felbft in ber S^^^r ^^^ ^^^ SSerbammungg^ 
urteil über fie ein allgemeine^ njar* 

®r lebte unb ftarb al^ leibenfd^aftlid^er Sltl^eift. @g toar in 
feiner Überjeugung, ba^ bie SBelt nid^t öon einem ®ott SSater 

16* 



244 'te ronotitifdje B^uit in itattkretil). 



gelenft tottbt, gleid^fam ein SIement Don ^mbfc^aft gegen ba^ 
SBefen, an ba« er nid^t glaubte, ein S^^ ^^ ^^^ ©d^tetfen i)c§ 
Srbenfebeng, bcr fid^ 2uft in bem traurig*nji|igen SBorte machte: 
„Ce qui excuse Dien, c'est qu'il n'existe pas." Siiemafö öerfäimitc 
er eine ©elegenl^eit, feinen Unwillen gegen bie pofitiüe SRefigton an 
btn %aQ ju legen. %nf)ttt er fid^ einmal üeranla^t ju fc^xeibcn, 
„bie einjig loal^re 9fieIigion", fo untertiefe er nic^t, in $araii%fc 
j^injujufügen „{bt^ fieferg)", unb ertoäl^nte er au^nal^niStoeifc bic 
d^rifttid^e 2Stoxal, fo öerfud^te er, fie auf bie tocife Serec^nung ju 
rebujieren, ,,S;rüffeIn nid^t ju effen, um fid^ ben äRagen nic^jii 
öerberben." 

Site 9ÄoraIpl^iIofop^ (aud^ ate ^öatmann) ttjar er ein au^ge* 
prägter @pifuräer. @r erf annte feine anbere S^riebf eber beg §anbeto an, 
atö ben @goi^mu§, ba^ l^eifet, ben ^rang nac^ SBergnügen unb bie t^ur(|t 
öor Sd^erj, unb e§ beburfte nac^ feiner Sluffaffung feiner anbeten fo 
flärung bafür, aud^ nid^t für bie fogenannten l^eroifd^en ^anblungen, 
ba bie gurd^t öor Selbftüerac^tung, b. ^. bie gurd^t öor einem Übel 
l^inreid^enb fei, einen 9Renfd^en in^ SBaffer ju werfen, um boburc^ 
einen anbem jü erretten, (©iel^e Se^Ie« §luöeinanberfe^ung in bcm 
l^öd^ft intereffanten S9rief üom 28. S)eäember 1829.) Unter tugenb^ 
l^af ten |)anblungen öerftel^t er fold^e, bie befd^toertid^ für ben, ber 
fie augfül^rt, aber nä|tid^ für Änbere finb. 

@r war burd^ unb burd^ unb au^fc^(iefe(id^ ^f^d^iolog; aß 
beobad^tenber lourift, aU gorfd^er in alten ß^ronifen, al» ?Roman* 
unb SWoöelfenfd^reiber immer nur 5ßf^d^otog. ®er SRenfd^enfeele galt 
fein fteteg ©tubium, er ift einer ber erften mobcmen ©dEiriftfteller, 
für toetd^e bit (Sefd^id^te afe SBiffenfc^aft fid^ auf ein pf^c^oIogifc|c§ 
?ßrobtem befd^ränft. §lber bic SBiffenfd^aft öon bem äÄenfd^en m 
für S5e^Ie, öermöge feiner ©lüdE^morat, bie SBiffenfd^aft üom ©ßcfe. 
Um bag ®IüdE breiten fid^ aüe feine Ö^ebanfen. Unter ©l^araftcr 
öerftanb er bie einem SÄenfd^en gur ®ewo^n^eit geworbene Art, 
ba^ &lüd auf jufud^en ; unb wenn er unter ben üerf c^iebenen 9laffen 



] 



Brille. 245 

bic itatienifd^c öotjog,. »ar eö, loett bic itaUcnifd^cn SDiänner unb 
grauen il^m am fid^erftcn unb gcrabc^tt^cgg bcm ©lud entgegen ju 
gelten fd^ienen. 

©eftftänbig, origtneö unb (eibenf d^aftlid^ , tüte er toar, fteHte 
er ate crfte Sebingung beg ©Ificlö bie auf, ba§ Seber er fettft fei 
unb nur auf fid^ feftft baue. Slug feinen ©d^riften fitngt in 
gal^Ireid^en SSarianten bie ?lufforberung an ben Sefer: Xraue 
SRiemanb ! ®Iaube nur ba§, tpa§ bu gefeiten, i^ege feine Söewunberung 
für ctooö, bag nid^t bir fettft SBergnügen mad^t, ninnn im 
öoraug an, bafe bein 9iäd^fter 9?u|en baöon f)at gu lügen! ©ein 
Big jur Unenbtid^feit tnieberl^ofter SSorttJurf gegen bie granjofen ift 
ber, ba§ fie gu eitel finb, um bie greube fennen gu lernen, ober 
t)kimtf)v, ba% fie für feine l^öl^em greuben empfängtid^ finb afö 
ffir biejenigen ber ©itetfeit, bief e aber fd^äfete er feincrfeitg fel^r geling. 
Siad^ feiner Sluffaffung mifet ber grangofe ftet^ an feinem 9?ad^bar, 
ob er fettft SSergnügen fü^Ie, glüdftid^ fei n. f. tv, ©r tuagt nid^t, 
biefe f5^age au§ fid^ fettft gu entfd^eiben. ®ie gurd^t, btri 2lnbem 
nic^t gu gleid^en, bie g^d^t baöor, tnaö bie Slnbem über @inen 
fogen mürben, ift nad^ ffle^IeS 3luffaffung ba^ fierrfd^enbe ©efül^I 
in granfretd^. Sm ®egenfa| bagu liegte er fettft, nid^t guf rieben 
mit feiner angeborenen Driginalität, immer bie gurd^t, fid^ Slnbem 
gleid^ gu geigen — ein ^ug, ber il^n gu 99igarrerie unb Slffeftation 
trieb. @r, loctd^er beftänbig bie SRüdEfid^tnal^me auf bie Umgebung 
üerf|)ottete, toeld^cr Dffenfieit, ©ettftl^ingebung , Äufrid^tigfeit unb 
Staiöetät liebte unb üerl^errlid^te, mar ftetö bamit befd^äftigt, fid^ 
fettft gu ftubieren unb gu übertoad^en. S)ie ^flid^ten, bereu (Sr- 
füHung er fid^ öorfd^rieb, gieüen ftet^ ba^in, irgenb einem Slnbem 
gum 2^ro| gu l^anbcln ober fid^ für irgenb eine öermeintlid^e 95e^ 
leibigung gu räd^en. ®er (Sebanfe, mag ber 9?äd^fte fagen unb 
tl^un mürbe, plagte i^n ebenfo fel^r mie ben geringften Spießbürger, 
nur mit bem Unterfd^ieb, ba§ Se^Ie'S Slufmerffamfeit ba^in gielte, 
ber Siad^a^mung gu entgelten. 3mmer mar er beftrebt, bag (Gegenteil 



246 Die romantifdie Sdtule in iFrankreidi. 



öon bem ju tJ^un, toaS bcm SRäd^ftcn gcficL — 3n biefcr ewigen 
Dppofitton gegen ben ©piepürgcr liegt etoa^ ed^t 9lontantijd^e§, 
SRid^t toeniger romantifd^ ift ber 3^9 r i^^g biefer SRann, ber be* 
ftfinbig SRatürüd^feit unb SRüdEfid^tölofigfeit prebigte, fein ganje§ 
Seben l^inburd^ eine Seibenfd^aft baffir betool^rte, \xä) gu öerBergen, 
ju öerKeiben unb Slnbere gu m^ftifigieren , inbem er feine perfön* 
Krisen (Srfal^rungen unb Slnfid^ten leintet einem tooi^ren SShift mn 
Umfd^njcifen unb SJermummungen öeröarg. 

3n einer tief innem (Sinfamfeit tüar üon Slnfang an fein Seben 
üerftoffen. ©ein fiberftrömenber gonb öon ©efül^I toav in fid^ felbft 
gurürfgeftaut toorben. @r betrad^tete fid^ unter ben traurigen @in^ 
brürfen feiner Sinbl^eit fd^on frül^geitig afö öerfd^ieben ton aUm 
Slnbem, tool^I aud^ aU ben Slnbern überlegen, aber fold^ertoeifc, ba^ 
er fdbft feine Überlegenl^eit ate SSerfd^iebenartigfeit befinierte. ^ ®r 
tüar fid^ bewußt, ba§ er al^ anber^ geartet nid^t auf eine allgemeine 
©^m^jatl^ie gäl^Ien !önne, fo lüentg wie auf ein allgemeine^ SSerftänb- 
ni^. 5Dal^er fein SBunfd^ al^ (Sd^riftfteHer, in einer ©prad^e fd^reiben 
gu !önnen, bie nur t)on einigen Slu^ernjäl^Üen öerftanben ttjürbc 
(une langue sacree); bal^er aud^ fein SBunfd^, einen eingigen Sefer gu 
finben, eingig baftel^enb in jeber S3ebeutung beg SBorteg ; ^ bal^er enb= 
lid^ fein 3^f ^^^ i^^^r „La Chartreuse de Panne" : To the happy few. 

Slu^ biefer Duelle ftammt aud^ fein |)ang gur SJerborgenl^eit 



^ 3n einem Sörief öont 46. guli 1813 l^etfet eg: SBenn hk fogenannte • 
Ubcrlcgenl^eit nur in einigen geringen (Kraben befielet, mad^t fte liebenSmürbig 
unb öeranlafet anbcre aJJenfd^en, un§ nad^jugel^en; ftel^e g. 93. goutenctte. 
SBenn fte griJjer ift, brid^t fte jebeS SBerpltnig äiDifd^en ben SJlenf^en unb S)ir 
ab. S)a8 ift bie unglücflic^e Stellung, in weld^er ber überlegene, ober beffer, 
ber anberS geartete SUiann [lä) befinbct. S)ie Umgebung !ann nichts ju 
feinem ©lüde beitragen; Sob öon fold^en SWenfd^en irürbe binnen fur^er Seit 
mir toiberlid^ fein unb i^re ^ti! mürbe mlc^ peinigen. 

3n ä]§nli(j^er SSeife l^cigt eg im 4. Äa^jitel öon „La Chartreuse de 
Parma": ^ie Äameraben fanbcn gabrice fel^r öerf^ieben öon il^nen fdbft, 
joag pc abftie^; er !)ingegen begann grofee greunbfc^aft für fie ju fül^Ien. 

^ Un lecteur unique, unique dans tous les saus. 



Berjle. 247 

^idi)t nur, ba§ er alle feine SBüd^er ^jfeubon^m l^erau^gab — 
Big auf eine einjige Slu^nal^me ate be ©tenbl^al (»aJ^rfd^einlicl^ 
nad^ ber ^tobt ©tenbal in 5ßreu§en, beut ©eburt^ort SBinrfet 
mannö) — in öielen berfetben (j. 93, in „De Famour") tritt ber 
SJerfaffer jubem unter einer ganjen ©d^aar »ed^felnber 5ßfeubon^me 
auf. 3ebe SKeinung, ju ber er fi(^ nid^t gerne felbft befennt, jebe 
3lne!bote, bie einen ©inbtidE in fein ^ßriöatleben gemäl^ren fönnte, 
mirb unöermeiblid^ balb einem Sllberic, batb einem Sifio, balb „bem 
lieben^toürbigen Oberft @o unb @o" jugefd^rieben. Se^te l^at fid^ 
in feinen ©d^riften ebenf o öiete öerf d^iebene . 35ef d^äftigungen »ie 
SRamen beigelegt: balb ift er ^aöaöerieoffijier, balb ©ifenl^änbler, 
balb Zollbeamter, balb ^anblungSreifenber; er tritt balb atö 
9Mann, balb atö graueujimmer auf, abttjed^felnb afe abelig ober bürgere 
lid^, afö (Snglänber ober Italiener. 3lm liebften l^ätte er in einer 
S^iffrefprad^e für ©ingettjeil^te gefd^rieben. 3n biefer @ud^t, auf 
falfc^e gäl^rte ju leiten, ftedEte offenbar etttjag t)on ber ®el^eim^ 
ni^främerei beg ^Diplomaten; baju !am ein in feijer 5ßrit)at=' 
torrefponbeng faft in SJerfolgung^ttJal^n auSartenbe^ SKifetrauen 
gegen bie 5ßolijei. @r ^tte^ in feiner 3ugenb fottjol^l bie ^olijei 
9?apoleon§ ate aud^ biejenige Dfterreid^g fennen gelernt, unb 
fa^ in ®ebanfen beftänbig feine 93riefe aufgefangen unb ge- 
öffnet S)arum unterfd^rieb er faft niemals einen 5ßribatbrief 
mit feinem Siamen. 3d^ finbe in feiner Ä'orref^jonbenj mel^r ate 
70 ^jfeubon^me Unterfd^riften, öon ben abfonberlid^ften big ju btn 
gemö^nlid^ften 9?amen: ßonidE^jl^ile, Slrnolpl^e 11., 6. be ©e^^el, 
ß^opin b'DrnonöiHe, S^oricelli, gran^oig S)uranb u. a* m.; er 
nennt fid^ balb „Sapitaine", balb „SKarquig", balb „Sngenieur", 
er unterjeid^net fid^ balb nur mit feinem Sllter, balb mit ber Strafe 
unb |)augnummer. ©renoble nennt er Sularo, ©ibita-SJecd^ia 
Slbeille. @g beluftigt il^n, feinem 9?amen eine fingierte Drtgbejeid^^ 
nung beijufügen, ttJie j, 8. Stl^^obore 93ernarb (du Rhone), ja er 
unterjeid^net fogar einen öffentlid^en SSorfd^lag an bie 3uli==^ 



248 iOie totnantifihe S^i^vit in ßtankttli^. 



rcgicrung betreffe cinc^ neuen SBa))penfcl^iü)e^ für ^xanhdä) fot 

genberma^en: 

Olagnier, 

De Voiron (Js^re). 

(Sg toax if)m ein fotd^e^ @rgö|en, fid^ unfenntlid^ ju ma^cn 
ober fid^ feI6ft gu traöcftieren, ba§ bcr Safe „odi profanum vulgus 
et axceo" too^I al^ Slu^brud für bag gelten fann, toag für i^n per^ 
fönlid^ bie SBebingung gum ®Iüdfe toar. SBorin Beftanb c§ fetbft 
für i^n? 

Slugcnfd^einlid^ öon Slnfang an in verwegener %\)at nvb m 
leibenf d^af tlid^er Siebe, I)a^ ®rauen, toomit man , l^ingeriff en mm 
einer @ad^e ober einer ^erfönfid^feit, fein Seben aufg ©picl fe^t, 
bag SBeben, in todä)t^ glüdEIid^e Siebe bie ©eelc t)erfe|t, toaren 
für i^n bie l^öd^ften SRontente be^ SRenfd^enleben^. 5Da too er in ber 
(Sinleitung gu „La Chartreuse" üon SRailanb fprid^t, bemerft er 
fel^r d^arafteriftif d^ : ,,S)er Slbmarfd^ be^ te|ten öfterreid^ifd^en Siegi* 
menteg beg^d^nete ben Umfturg ber alten 3been: fein Seben gering 
gu ad^ten, fant in bie SRobe. SRan fal^, ba§, um nad^ Sal^rl^unberten 
ber |)eud^elei nnb ©d^all^eit glüdEüd^ ^u fein, man ettt)a§ mit toixt^ 
lid^er ßeibenfd^aft lieben unb e§ öerftel^en muffe, fein Seben auf§ 
(Spiel gu fe^en, toenn ber Slugenblirf c§ erforberte/' 

®ie beiben Seibenfd^aften: bie Siebe gum Ärieg unb bie Siebe 
gum SBeibe, toaren bei 93e^le nur gtoei Itufeerungen für eine unb 
biefelbe ©runbleibenfd^aft, bie Siebe gu bem, toa§ er „le divin 
imprevu", bag götttid^e Unborl^ergefel^ene, gu nennen pflegt, biefc 
Seibenfd^aft, in toeld^er er üoHftänbig 5ßoet ift. Sntoiefem ber 
^ieg, befonberg toie 9iapoIeon il^n fül^rte, biefen §ang befriebigte, 
bebarf feiner ©rläuterung; intoiefem Italien, befonber^ bie ita- 
lienifd^en grauen, bemfelben genug tl^aten, erüären 93e^{e'§ eigene 
SBorte. 3n einem SBrief au^ SRailanb üom 4. (September 1820 
l^ei^t e§^* „9?ad^bem id^ fünfgel^n 3al^re in 5ßarig gugebrad^t, ift 
nid^tS auf ber SBeft mir f o gleid^güttig toie eine l^übf d^e g^angöfin. 



Betjle. 249 

Dft fül^rt fogar mein SBibertDittc t)or bcm SSuIgärcn unb Slffef* 
tiertcn tnid^ ü6cr biefe fclofec Olcid^gültigfeit nod^ l^inaug. @o6aIb 
id^ einer jungen g^^anjöfin Begegne, t)or allem bann toenn fte unglücf* 
tid^ertoeife tool^Ierjogen ift, erinnere id^ mid^ augenfcfidEfid^ an mein 
SSaterl^au^ unb meine ©d^njeftem, id^ fel^e alle 83ett)egungen ber 
S)ame öoraug U^ jur flüd^tigften Slbfd^attierung il^rer Oebanfen. 
S)arum l^alte id^ mel^r t)on ber fd^Ied^ten OefeHfd^aft, toeil man bort 
mel^t überrafd^enbe Slnregung finbet. ©oweit id^ mid^ fettft fenne, fo 
ift bieg bie Saite in meiner Seele, tüeld^e bie SDieufd^en unb S)inge 
in Statien jum ©d^mingen geftrad^t l^afcen — öor Slttem bie grauen. 
2Ran benfe fid^ mein (SntgüdEen, ate id^ in Stauen fanb, tüaö ju 
entbedEcn fein ffteifenber burd^ jeine Srjäl^Iung mid^ be§ 9Sergnügen§ 
beraubt l^^attc, nämlid^ ba§ bort gerabe in ber guten ©efeßfd^aft 
fid^ bie meiften Überrafi^ungen bieten. I)iefe merftoürbigen Oeifter 
[®enien, fagt SBe^Ie] laffen fid^ nur burd^ SRangel an ®elb ober 
burd^ bie reine Unmöglid^feit üerl^inbern, il^r^r (Singebung ju folgen; 
tpenn fid^ nod^ Sßorurteile finben, fo ift d in btn unteren Stoffen." 

SBa§ 95e^Ie am l^öd^ften liebt, ift alfo mit anberen SBorten bie 
Energie in |)anblungen toie in ®efül^Ien — ©nergie, gleid^öiel ob fie 
afö bie geniale Untoiberftel^üd^feit be§ i^dbf)tTxn ober aU bie grenjen^ 
lofe 3ärtlid^feit ber grau auftritt. 3).arum treibt er, ber falte, 
trodfene ©pötter, einen förmlid^en Äultug mit Siapoleon;^ barum 
fiebt er bie SRailänberin; barum öerftel^t unb fd^ilbert er aU 
©d^riftfteCer bag fünfjel^nte unb fed^jel^nte Sal^rl^unbert in Stauen 
ttjeit beffer afe bie ®egentoart. @r trug fid^ lange mit bem d^araf* 
teriftifd^en ^kn, eine „®efd^id^te berßnergie in Stauen" ju fd^reiben, 



* 3>i einem (nic^t abgefanbten) Srief an ^i)ron fagt ft gerabcju: „le 
h6ro8 que j'ai ador6". Unb in einem Srief t»om 10. 3uli 1818 fc^rcibt er, 
toQ]^rf(]^einIi(l^ mit ber einzigen f^rif(]^en SBenbung, bie [lä) in feinen jtuanjig 
S5önben pnbet: „D, @t. .^clena! bu t»on nun an fo berühmter ^Ifen, t>n bift 
bie ^üppt, tooran ®ng(anb8 d^re fc^eitertc!" @r erinnert ^ter dn reine 
fi^rifcr roie ^ugo unb ^cine. 



250 ^ii romantifdie Sd|uU in irankreid). 



unb man fann fagen, ba% feine, naä) aßen ^anbfd^riften fopiertcn, 
bearbeiteten ober nad^gebid^teten italienifd^en ßl^ronifen bie ?ßf5(^o* 
logie bcr itaßenifd^en ©nergie gegeben l^aben* 

Sine Slnbeutung genügt, um jn geigen, ba§ biefetbe Siebe ju 
bent Unöorl^ergefel^enen, bie il^n in ben Ärieg getrieben, fräter, oß 
bie Ärieggperiobe abgefd^Ioffen tüar, il^n jnm SReifcnben, ©migranten, 
Sogntopotiten mad^te. @r ertoäl^nt einmal in einem feiner S3riefe, al§ 
er $Reifeorbre befommen l^at nnb il^r nur ungern gotge teiftet, ^eil 
jarte SBanbe i^n an bie. ©teile binben, auSbrüdflid^ be§ SSer- 
gnügenS, ba^ er gfeid^tool^I unnjiKÜirlid^ füi^ft,. „fobatb bie 9lebc 
bat)on ift gu reifen unb ettoag SReue^ gu feigen," Unb ebenfo ein* 
leud^tenb ift e§, ba^ berfelbe 5Drang gu btm Unöorl^ergefe^enen, 
bag f)ei§t, bem DrigineCen unb Sifidffid^tölofen, bem in tieferem 
Sinne ©enialen, ber il^n gu ben grauen gog unb bie Urfac^e toax, 
l^eftiger unb gärtlid^er atö Slnbere gu lieben, ftd^ in ber leibenf^aft^ 
ßd^en Siebe gur SRufif unb gur bitbenben Äunft üerrät, bie i^n 
gum ©ntl^ufiaften, Dilettanten, Sicerone unb 93iogra^l^en mad^te. 
@r ßebte ßimarofa unb ßorreggio, Slriofto unb 83^ron, toie man 
eine grau ßebi 9Ran ftubiere g, 83. fein SSerJ^ältni^ gu S^ron. 
5Der SBeß gegenüber beurteiße er il^n ftreng unb faß; ht feinem 
^jerfönßd^en SBerfel^r mit SB^ron trat er öoH @toIg auf, ftritt mit 
il^m über 9iapoIeon u. f. tu. ; er ßej3 f ogar einen gett)innenben SSrief 
t)on S^ron, ben biefer il^m fieben Saläre nad^ il^rer erften Segeg* 
nung fd[)irfte, unbeanttoortet, toeil berfelbe (in feiner SSerteibigung 
äöaßer Scotts) ii^m eine @pur üon ^eud^elei gu t)erraten fd^ien. 
Slber man lefe, in toeld^en Slu^brürfen er ba, ttJO er fid^ leinen 3^^"9 
angutl^un brandet, feine (Sefül^Ie bei ber erften 95egegnung mit 
35t|ron fd^ilbjrt: „3d^ tt)ar bamate in „Sara" üerßebt SSom 
näd^ften Slugenbßd an fal^ id^ Sorb 93^ron nid^t mel^r »ie er 
toirfßd^ toar, fonbern ttJie mir fd^ien, bafe ber SSerfaffer üon „Sara'' 
fein muffe. Slfe ba^ ®efpräd^ in ber Soge in§ Stodfen gu fommen 
brol^te, t)erfud^te |)err bon 93rJme mid^ gum Spuä)tn gu bringen; 



_ Berile. 251 

aber c§ toar mir rein unntögüd^, id^ tpar ju crf üOt öon ©J^rfurd^t 
unb 3ärtticl^fcit SBenn id^'S getpagt l^ätte, ttJürbe id^ Sorb S^ron^ 

|)anb gefügt l^aBen unb in Sl^ränen au^geBrod^en fein @r== 

fußt t)on järtlid^er SBeforgnijg, gab id^ il^m ben fftat, fid^ eine 
S)rofd^fe ju nel^men."^ 

5yjod^ anbere SRänner au^er 93e^Ie l^aben btn ^ieg unb ba§ 
Steifen, bie grauen unb bie Sunft geliebt; aber bag abfolut ©igentünt- 
Kd^e unb fo auj^erorbentlid^ 3Roberne an il^m ift ber Srieb unb bie 
göi^igfeit, mitten unter ber Slftion unb ber ßeibenfd^aft fid^ SRed^en^^ 
fd^aft über fid^ felbft ju geben» Unabläffig unterfud^t unb beobad^tet 
er fein 3d^, i^at fo ju fagen bie |)anb beftänbig an feinem eigenen 
5ßulfe; er fonftatiert mit nie öerfagenber Äaltblütigfeit feinen ^n^ 
ftonb unb beff en . Urf ad^en unb jiel^t au§ feinen SBaOungen eine 
£ette t)on allgemeinen 3been, SRan folge il^m in eine ©d^Iad^t. 
SBäl^renb ber Äanonabe bei Saugen notiert er: 

„SBir feigen jtoifd^en 12 unb 3 Ul^r alle§ fel^r gut, toa^ man 
öon einer ©d^Iad^t fielet, ba§ l^eifet nid^tS. S)a^ SSergnügen beftel^t 
barin, ba§ man ein 93i^d^en [bie§ „ein 93i§d^en" ift bejeid^nenb] 
beujegt ift bei ber ®etoi|l^eit, bafe l^ier t)or unfern Singen ettoa^ 
gürd^terlid^eg gefd^iel^t Der majeftääfd^e Äärm ber Kanonen trägt 
öiet JU biefer SBirfung bei; mir fd^eint, toenn fie pfiffen ober 
flöteten, toürbe bie ©emüt^betoegung ntd^t f o ftar! fein, @in 5ßfeif en 
fönnte ebenfo furd^tbar fein, aber niemafö fo fd^ön." 

Ober man l^öre il^n, toenn er üerfiebt ift: 
„S)a§ ©ntftel^en ber ßiebe, 

SBa§ in ber Seele üorgel^t, ift folgenbe^: 

1. 2)ie SBetounberung. 

2. ^an fagt ju fid^ felbft: SBeld^e greube eö fein toürbe, fie 
ju füffen, t)on il^r gefügt ju toerben u. f. to. . 



^ S)ie öauJJtflcHen Ui ^et)U übet Sorb S3r)ron finb bie m>f)anhlunQ 
„Lord Byron eu Italie" (Racine et Shakespeare, p. 261) unb „Lettres k 
ses amis", I. 273 ff. IL 71 ff. 



252 I^it romantifdje Bdiule in itankteii^. 



3. I)ic Hoffnung. SRan cmögt alle Umftänbc .... ©cttft 
bei ben gurücf ^dtenbften grauen werben bie Slugen f eu^t im SKoment 
ber Hoffnung; bie Seibenf^aft ift fo ftarf, bag SSergnügen fo 
l^eftig, bafe fte ftd^ burd^ unjtücibeutige Stid)tn öerratl^en. 

4. 3)ic Siebe ift ba. Sieben l^ei|t, beim änblirf unb bei ber 
SSerül^rung eines geliebten Öegenftanbeg , ber unS liebt, g^^ubc 
empfinben, frol^ betoegt fein, il^n mit aßen ©innen unb fo na\) aö 
mögli^ tüal^mel^men. . 

5. Die erfte Sr^ftaöifation beginnt 2Ran finbet eine S3c^ 
friebigung barin, bie grau, beren Siebe man gett)ij3 ift, mit taujenb 
SSorgügen auSjufd^mücfen; mit unenbtid^em S3el^agen gel^t man aQe 
einseinen SRomente feinet ©ÜicfeS burd^ .... SRan laffe ben Äopf 
eines Siebenben üierunbgtoanjig ©tunben arbeiten^ unb man tüirb 
eine ©rfd^einung getüal^ren tok bie folgenbe: 93ei ©aljburg toirft 
man einen entlaubten Slft l^inunter in bie öerborgenfte Xiefe 
ber Saline; ttjenn man il^n nad^ jtoei ober brei SRonaten toteber 
i^eraufjie^t, ift er mit gtängenben ^pftaHen überjogen: an bie 
fleinften Stüti^t, nid^t bidfer atö bie ^alle einer S3Iaumeife, l^aben 
fid^ unjäi^Iige, f d^einbar betoegtid^e, bli^enbe ^Diamanten angefe^t, unb 
laffen ben urf^jrünglid^en Slft nid^t mel^r erfennen. SBa§ id^ ^^ftat 
lifatton nenne, baS ift bie SCI^ätigfeit beS ©eifteS, in Slllem, 
»aS fid^ ereignet, neue SBorgüge beS geliebten OegenftanbeS }ii 
erfennen. — I)a fprid^t gelegentlid^ ein $Reifenber öon ber Äü^Ie 
in ®enuaS Drangenl^ainen — toetd^e SBönne, biefe Äül^le mit 

tl^r t)ereint ju genießen! S)iefeS ^l^änomen ift in unfrer 

9iatur begrünbet, bie baS Sßerlangen nad^ SJergnügen in un« 
totdt unb uns babei baS SBIut in ben Äopf jagt, fotoie in bem 
©efül^I ber ^i^^al^me unfereS SSergnügenS in htm 9Ra§e, toit 
ton neue SSopfommenl^eiten am geliebten ©egenftanbe finben, unb 
enblid^ in ber 3bee: fie ift mein. Der SBilbe fommt ni^t 
weiter als jur einfad^en S3etounberung beS begel^rten SBeibeS. ®r 
empfinbet tool^l aud^ Sßergnügen, aber bie gange Sl^ätigfeit feines 



Bnilt. 253 

®c^irn§ ift baöon in Slnfprud^ genommen, ba^ pd^tenbe $Ran6== 
tier ju verfolgen, um fic^ SRal^rung gu öerf d^affen .... Dbgleid^ 
nun alfo ber ßeibenfd^aftlid^e feiner beliebten alle SSorjüge beilegt, 
fann feine Slufmerffamfeit boä) nod^ geteilt* fein, benn ber ®eift 
ermübet bei allem ©införmigen, felbft bei bem boHfommcnen ®Iüde. 
Dod^ l^ierju fommt bann folgenbe^, toa^ bie Slufmerffamfeit 
feftpit: 

6. S)er Zweifel entftel^t. 9?ad^bem jel^n ober jtoölf S3Ii(fe 
ober aud^ eine SReil^e anberer |)anblungen bem Siebenben SÄut 

eingeflößt unb feine |)offnung beftärft l^aben begel^rt er äußerlid^e 

SBürgfd^aft für fein ®lüdE. @r begegnet Oleid^gültigfeit, Äälte 

ober S^^^f ^^^^ ^^ ^^i^ S^^^^ ©id^erl^eit an ben Jag legt 

©0 gelangt er baju, an htm ®iüdt ju jtoeifetn, bag er fid^ t)er== 
f^)rad^. (Sr toirb bebeuKid^er l^infid^tlid^ ber ®ränbe, wcld^e il^m 
Hoffnung ju geben fd^ienen. @r toiH fid^ mit ben übrigen greubcn 
be§ Sebeng tröften, finbet aber, ba^ fie nid^t. mel^r für il^n 
efiftieren. S)ie gurd^t bor einem fd^redEtid^en UnglüdE unb jugleid^ 
ber §ang ju tiefem SRad^benfen erfaßt il^n. 

7, Qmitt ^^ftaHifation. 5Die S)iamanten berfetben finb bie 35e* 
fräftigung bcg ®eban!en§: Sie liebt mid^. Sn jeber SSicrtelftunbe 
ber 9?ad^t, toeld^e auf bie ©ntftel^ung be^ 3^^if^fö f^^Stf f<J9t ^^^ 
ßiebenbe nad^ ber SSerjtociftung einiger SlugenbüdEe ju fid^ felbft: 
„Sa, fie liebt mid^," unb er entberft weitere SJorjüge an il^r. S)od^ 
auf» neue bemäd^tigt fid^ feiner ber B^^if^^^ ^^ rid^tet fid^ auf, 
i^m ftodEt ber Sltem, unb er fragt fid^: Äiebt fie mid^ benn toirt 
fid^? Unb mitten unter biefen quätenben unb fußen ©rtoägungen 
fül^It ber arme ßiebenbe lebl^aft: Dag Sn^ammtnkhtn mit ber 
©eliebten toürbe ein SSergnügen fein, ba§ fein anbereS in ber SBett 
aufttjiegen ober erfe^en !önnte." 

2Ran finbet nid^t üiele fold^ feiner unb fd^arfer Slnal^fen 
einer ßeibenfd^aft. SRid^t mit Unred^t l^at bie Slrt, bie SBe^Ie 
SRed^enfd^aft über ba^ giebt, toa^ toä^renb einer ßeibenfd^aft in 



254 ^te tomanttfdje ^djule in irankretd). 



ber @ec(e öorgcl^t, feine beften ^itifcr, tote 2^atne unb Sourget, 
on ©pinoja'^ meifterl^aften brittcn Seil feiner ©tl^if: De Affec- 
tibus erinnert. ©^ toax in biefent Äriegömann, Slbminiftrotor, 
Diplomaten unb Siebenben ein beträd^tüd^e^ ©türf t)on einem 
tßl^ilofopl^en. @r roar beftrebt, jebeö ^l^änomen bt§ ®efü]^I§^ 
lebend in feine (SIemente aufjulöfen; bafür jeigte er ben 3^* 
fammenl^ang jtoifd^en ben ^btm unb ©entüt^bemegungen, meldte in 
^ufammengefafetem ©Aftern bie Slnlägen unb ben Sl^arafter ber 
3nbiöibuen befttmmen. @r ad^tete nid^t weniger auf bic öerfd^ie* 
bene ©tärfe ber ©efül^Ie tüie auf il^re öerfd^iebenartigen Sßer* 
fettungen unb Stffojiattonen; er fud^te ben ®runb beg öerfd^ieben^ 
artigen ®eprägeg ber einzelnen ßl^araftere in ben tiefften nationalen 
unb Mimattfd^en Urfad^en; er ffijjierte eine fRaffen^^f^d^oIogic. 
Dl^ne jemalg eine ftreng toiffenfd^aftlid^e SKetl^obe ju verfolgen, 
i^atte er einen lebenbigen Srieb, beim ©tubium ber ©eelenjuftänbe 
in tt)iffenfd^aftlid^er SBeife t)or jugel^en ; er taftete forttoäl^renb nac^ 
einem Slnl^aftgpunft für ^öi^Ienbeftimmungen, für 3Ra^ unb ©etoid^t 
@r fd^ilbert an einer ©teile ben 93efud^ beg Königs in einer fleinen 
@tabt mit ^eftaufjug, Te Deum unb SBeil^raud^ttJoIfen in ber 
^ird^e, &mtf)x^ unb Sanonenfalben aufeerl^alb berfelben, unb 
fd^Iie|t: „Die 93auem toaren auj^er fid^ üor @nt jüdEen unb gröm* 
migfeit; ein fold^er Sag öernid^tet bie SBirfung üon i)nn^ 
bert Jlummern jafobinifd^er StitnuQtuJ' 2ln anberer Stelle 
erjäl^lt ein lanbflüd^tiger ^Revolutionär, toie ber 3lufftanb, an beffen 
©pi^e er ftanb, gefd^eitert fei, nur weit er nid^t brei äRenfi^en 
l^inrid^ten laffen unb fieben ober ad^t 9)iillionen aug ber Äaffe, 
JU toeld^er er ben ©d^lüffel befaj3, unter feine Slnl^änger verteilen 
tooHte. „SBer ba^ Qid mU, mu| bie SRittel tooHen," ertoibert 
Se^le'^ $elb, „toenn id^, anftatt ein ©taubforn ju fein, bie 
^ad^t befä^e, fo toürbe id^ brei SRenfd^en l^ängen laffen, 
um ba§ Seben von oieren ju erretten." („Rouge et Noir** 
I. 105, n. 45.) 



Bet)k 255 

e§ ift cinlcud^tenb, ba^ für SBe^Ie bag ®IM jumcift in mar- 
l^eit bcftanb* Dag 3^^^^ i^^^ ^^ beftänbig nad^ftrcbte, toax in 
legtet Snftanj , Älarl^eit über feine innem ^^^ftänbe itnb f larer 
©inbtirf in ben 3Reci^anigmu§ ber 3Renfcl^enfeeIe» @r tüot ber 5ln^ 
fic^t, ba§ ©rfotg, glüdEtid^e ßiebe, ®Iüd überl^aupt, ben SSerftanb 
Märe unb bie Urteitefraft fd^ärfe, fo tt)ie er umgefel^rt iiberjengt 
tüar, ba§ nid^tg fo fel^r baju beitrage, einen 3Renfd^en nnglüdflidö 
ju mad^en, afö SRangel an Älarl^ett. Sn einem Srief aug 
9Ro§!an (1812) fd^reibt er fel^r bejeid^nenb an einen greunb: „®ag 
(Sliitf, toeld^eg S)n nun l^aft, mu^ S)id^ notnjenbigerttJeife ju ben 
^rinjtpien be^ reinen 93Äi§mug [ju bm ftreng SBe^Ie'fd^en 5ßrin^ 
jipien] fül^ren» 3d^ lag üor ad^t SCagen SRouffeau'g „Confessions". 
Slugfd^Iiefelid^ öom SRangel an jtoei ober brei SBe^Ie'fd^en 5ßrin^ 
gtpien rüj^rt eg l^er, bafe er fo unglüdEtid^ toar. 5Diefe 3Ranie, 
in Slllent 5ßflid^ten ober Stugenben ju feigen, f)at feinen 
©tit :|)ebantif d^ , fein Seben unglürftid^ gentad^t* @r öerfel^rt brei 
SBod^en l^inburd^ freunbfd^aftlid^ mit einem SJtenfd^en: bau^, bie 
^flid^ten ber greunbfd^aft u, f. tu. 5Diefer 3Renfd^ benft jtoei Saläre 
bamad^ nid^t mel^r an il^n; er fud^t unb finbet eine meland^otifd^e 
©rflärung bafür. Der S^U^mug toürbe gefagt l^aben: Qmi Körper 
iiäl^ern fid^ einanber, eg entftel^t SBärme unb eine ©ärung; bod^ 
jeber 3^ftonb biefer 5(rt ift öorübergel^enb, er bleibt unb ift eine öer* 
gänglid^e SÖIume, bie man mit SBoKuft genießen foÖ/' Diefe SBorte 
entl^alten ein ®tnii t)ortrefflid^er SebenS^jl^ilofopl^ie, toeld^e ein un^ 
geioöl^nlid^eg ©leid^getoid^t befunben toürbe, faßg in Se^Ie'g eigenem 
JBeben bie ^rajiö burd^gel^enbg ber Sl^eorie entfprod^en ptte» Slber 
obfd^on t)on Siatur ju einem fräftigen ©enfualiften angelegt, an 
beffen c^nifd^e Derbl^eit im perfönlid^en SSerfel^r feine SBefannten ge- 
lool^nt toaren — er erfd^rerfte burd^ feinen ß^nigmug ©eorge @anb, atö 
fie mit 3Ruff et auf ber $Reif e nad^ Statten mit il^m jufammentraf — unb 
pbfd^on er atö S)en!er fo toar, toie er eg t)om 5ß^iIofopl^en oerlangte: 
flar, uüd^tem, frei öon SHufionen — er pflegte ju fagen, ba| bie 



256 l't^ tomantifdje Sdiule in itanktriib. 



Stellung eines SanficrS bie 6efte SSorfd^utc für bie ^l^ilofop^ie 
fei — fo barg er bo^ l^inter feinem robuftcn 2;enH)erament unb 
ber trodtenenfiogif eine fünftlerif ^e Smpf änglid^feit für attc (Sinbrüde 
fo reijbarer, fo toeiblid^er Art, ba§ felbft 9iouffeau nid^t empfinb^ 
famer fein fonnte* ®r betoal^rte biefe ©mpfinbfamfeit bis ju feinem 
lobe. Unter feinen nad^gefoffenen ^a<)ieren fanb fid^ folgenbe %u\^ 
jeid^nung: ,,3Reine ©mpfinbfid^feit ift ju jart geworben; tt)aS %nhmn 
nur bie §aut ftreift, öerurfad^t mir blutige SBunben, @o toar ic^ 
im Sa^re 1799, fo bin id^ noc^ 1840, ®od^ lernte id^ att bie^ 
unter einer 3ronie verbergen, toeld^e bie 2Renge ni^t öerftel^f 

Selten l^at ein ®eift gelebt, ber mit einer größeren Siebe ju 
bem SRatürfi^en unb bem SHidEfi^tgfofen mel^r Umfd^tt)cife unb 
SRüdEfid^ten bereinigte, feiten toar ein ®eift fo njal^rl^eitsliebenb unb 
jugleid^ fo ftarf maSfiert, fo gfül^enb in feinem §a§ gegen bie 
§eu^elei unb bod^ gteid^jeitig fo toenig aufrid^tig unb natärü^. 



XX. 

33te auf bcn SRoman „Armance" (1827) — ein mißlungenem 
83ud^, beffen §clb, ein begabter SRann, \>a^ 3Räbc|en, baS er liebt, 
unglüdUc^ mad^t, toeil er unter einer förperlid^-feefifd^en Äranfl^eit 
leibet, beren nid^t näl^er bejeid^netc SRatur gleid^artig mit jener ju 
fein fd^cint, njeld^e in ©wift« unb ^erfegaarbö Seben eine Stoße 
\pidi — öeröffentlid^e 93e^Ie üor 1830 feine größere ^joetifd^e 
arbeit 5Dag 3a^r 1830, ba§ über^au^jt einen 3eitabfd^mtt be- 
jeid^net, mad^t aud^ ©pod^e in S3e^Ie'g ©d^riftftetterleben. (Sr fd^reibt 
ober enttüirft in biefem 3a]^re feine beiben großen ^Romane „Röuge 
et Noir", ber 1831 erfd^ien, unb „La Chartreuse de Panne", ber 
erft im 3al^re 1839 t)olIenbet tourbe unb gleid^j^itig mit ber größten 
t)on Se^Ie'g italienifd^en Sl^ronifen, „L' Abbesse de Castro", an bie 
Öffentlid^feit trat. 

I)iefe beiben ^Romane bel^anbetn bie Qtit unmittelbar nad^ 
9?apoIeong @turg, unb.beibe in gleid^em Reifte* SSeiben fönnte 
man ate SRotto bie @teöe im @in(eitungmfa))itel ju SRuffetm „Con- 
fessions d'un enfant du sitele" geben, too e§ l^eißt: „Unb toenn 
bie Süngßnge t)on $Rul^m fprad^en, anttoortete man il^nen: SBerbet 
$riefter! unb njenn fie öon ©l^re fprad^en, antttjortete man: SBerbet 
5ßriefter! unb toenn fie öon Hoffnung, üon Siebe, öon ^aft unb 
unb fieben fprad^en; immer biefelbe Slnttoort: SBerbet 5ßriefter!" — 
j^ouge et Noir" fpielt in g^anfreid^, „La Chartreuse" in Stafien, 
3n beiben Sudlern ift bie §auptperfon ein junger SRann, ber 
^eimüc^ für SRopoIeon fd^toärmt unb fid^ glüdflid^ gefüllt ^ätte. 



258 Xlic tomantifdie ^djule in iraitkreid). 



totnu eg if)m öcrgönnt gcwefcn toärc, im öottcn ©onncnfd^cin be§ 
Sehend unter if)m gu fämpfen unb fid^ au^jujcid^ncn, ber aber na(§ 
9l(4)oIeon§ ©turj fein anbetet SBittcI tüci§, um Sarrterc ju mad^en, 
al^ gu l^cud^cln, unb aQmäl^Iicl^ eine immer größere SSirtuofttöt in 
biefer Äunft enttoicfelt. <Botoo^i 3ulian wie gafcrice l^aben eigentlich 
mel^r Slnlage jum Siaöatterieof fixier; nid^t^beftotoeniger werben ftc 
beibe Oeiftlid^e, ber eine burd^Iäuft ein fatl^ofifd^c^ ©eminar, bcr 
anbere tnirb 93ifd^of. 9?id^t mit Unred^t J)at man SBe^Ie'^ Siomonc 
tnal^re §anbbüd^er bcr |)eud^elei genannt; bie Stimmung, tod6)t 
il^nen ju ®runbe liegt, ift ber tiefe (Sfel unb ®roß, ben bic 
triuntpl^icrenbe ^eud^elei il^rem SSerfaffer einflößte; er giebt bicjer 
Stimmung, aug tocld^er er fid^ befreien mü, ben üoßftänbigften 
Slugbrud, inbem er, ol^ne ben geringften Unwillen ju äußern, bic 
^eud^elei ate bie SRad^t f^ilbert, weld^e bie gange bamalige ^ 
bel^errfd^te; jeber, ber öorwärt^ Wollte, mufete il^r unbebingt l^ul* 
bigen. S3et|Ie öerfud^t babei, fid^ big jur §öl^e eineg mobemcn 
SRacd^iaüeöi ju erl^eben, inbem er nid^t feiten feinen ^au^rtpcrfonen 
95eif all fpenbet, wenn bie unburd^bringlid^c |)eud^elei il^nen gefingt, wie 
er umgefel^rt e^ mißbilligt, wenn fie fid^ überrum^jeln ober §in= 
reißen taffen unb fid^ unöerfel^en^ geigen, wie fie finb. @two§ 
Oegwungeneg unb ^einlid^e^ ift ungcrtrennlid^ öon biefer ironifci^cH 
©rgäl^lungsweife.^ 



^8- ^- f/3ultan anttüortetc getoanbt auf Mcfe ©intocnbitngcn, bü§ 
l^ct^t, toaS ben Wortlaut betraf; ober bcr Zoxif in bem er fprad^, nnb b« 
fd^Iet^^t t)cr]§e§Ite Scb^aftigleit bc8 93U(fc8 beunruhigten §erm ©l^elon. '^ 
barf mon nid^t gu gering t)on 3ulian benfcn; er fanb genou bic ^Sbrücfe, 
bereu ein^cud^Ier, toclc^cr auf ©ammetpfotcn gel^t, ftc^ bebiencn toürbc. 3)a§ 
mar für fein Slltcr alle« SRöglid^c. SBoS 2:on unb ©ebärben anbelangt, fo IJolte 
er ja unter S3öuern gelebt unb niemals ©elegenl^eit gel^obt, grofec SSorbtIbcr ju 
ftubieren; bod^ !oum toar eS i^m fjjäter im Seben öergönnt, fid^ fold^ ju 
näl^em, aU tt fid^ bemunberungStoürbig öeröottlommnetc, fotoo^^I bejügßiS 
feiner ©ebärben alS auci^ beffen, toa8 er fagte," Sin einer anbern ©teile, olä 
Sulian hti einem brutalen ®efängnigbireftor gu 3Rittag fjjeift, ift er inbigniert 
über bie ©efeUfc^aft, in toeld^er er fi^ bcfinbct; er fagt ftd^, ba| aud^ er 
öieHeid^t eine berartige ©tettung erreid^en !önne, toenn er ®emeinl^citcn be^ 



»et)lt. 259 

SBc^tc, burd^ unb burd^ SBcrftanbeSmcnfd^, mit einer wal^r* 
l^aft ^)l^iIofopl^ifci^en S3eobaci^tungi8gabe unb einer ftet^ lebenbigen 
9tef(efion, l^at nur n^enig @inn für bie Slu^entoelt unb nur ge* 
ringet 2^alent, fte mit il^ren formen ünb garben ttjieberjugeben, S)a^ 
(Sinjige, voa^ xf)n intereffiert, finb bie SSorgänge in bem ©efül^tö' 
unb ©innenleben; unb ttJie er feftft ^f^d^olog ift, ftettt er faft 
lauter 5ßft|d^oIogen bar. ©eine 5ßerfonen befi^en in ber Siegel eine 
filar^eit über ba§ , tüa^ fid^ in il^rem Snnem öoCjiel^t, bie toeit über 
bag ®ett)öl^nlid^e l^inau^reid^t hierin berul^t ber eigentümlid^e 
Sau feiner fftomane. @ie beftel^en öorjugStoeife au§ aneinanber 
gefettdcn, ganje, l^äufig fogar öiele Seiten füöenben SRonoIogen. 
SBe^Ie entfaltet t)or un^ ba^ ftumme Oel^imleben feiner 5ßerfonen, 
rollt eg auf unb teilet bem inneren ®efpräd^ SBorte. Der SKonoIog 
ift bei il^ niemals ber I^rifd^e, bitl^^rambifd^e SluSbrud^, toit er 
e§ mitunter bei ®eorge ©anb fein !ann — nein, er ift ba^ fd^ritt== 
toeife, fleingel^adfte . unb bod^ !urj jufammengefa^te fragen unb 
antworten ber ftummen Überlegung. 

I)er tief liegenbfte 3ug öon SBe^fe'g |)au()tperfonen, bie fämttid^, 
mit bem SDiafeftab ber üblid^en tDioral gemeffen, im pd^ftcn ®rab 
gett)iffenIo§ unb unfittlid^ finb, ift, ba^ fie felbft fid^ in il^rem 3nnem 
eine SDioral gefd^affen l^aben. S)ie§ ift ettoag, toa^ alle SRenfd^en 
tl^un fönnten, aber toa^ nur bie l^öl^er enttoidelten SDieufd^en erreid^en. 
§ierin berul^t il^re mertoürbige Überlegenl^eit gegenüber anberen 
5ßerfönlid^feiten, benen toir in SBüd^em ober im Seben begegnet finb. 
@ie l^alten ein ibealeg SSorbitb, ba^ fie felbft fid^ gefd^affen, fid^ un* 



gesell tooVie, tote fte ben ^ntoefenben fd^on 5ur ©etool^nl^eit getoorben. O ^a- 
poicon! benft' er, toie füfe loar eS, ju beiner 8trt fein ®Iü(f ju mad^en, in« 
bem man fein fieben in 8er ©d^Iad^t toagte, anftott loie nun, baburd^, bag 
man bie fieiben ber Unglüdlic^en Oermel&rt! — SBe^Ie fügt l^inju: „3^ gefte^e, 
baft hit ©d^toad^l^eit, hk Sulian l^ier an ben 2:ag legt, mir eine geringe Wlti* 
nung Don tl^m giebt @r gleid^t ^ier ben 9leOolutionSmännem mit gelben 
^anbfd^ul^en, bie aUe^ umtoenben, aber fid^ nic^t ben gcringften 9li6 öorju* 
toerfcn l^aben toollen." 

17* 



260 Xlit tomantifd^e Sd^uie in iraiiktei^. 



aufl^örßd^ t)or %tgen, bilben fid^ bamä) unb gekn ftd^ md^t el^er ju^ 
trieben, old btd fie ftd^ @el6ftad^tung erföntpft. ^anun fonn Sultan, 
ber tpegen eineiS äRorbüerfud^ed an einem tpel^rlofen äBeib l^inge^ 
rid^tet toirb, fid^ in feiner Xobe^ftunbe bomit tröften, ba§ er nic^t 
ifoßert auf ffirben gelebt l^abc, toeil er ftct^ bie 3bce „ber ^flic^t" 
t)or S(ugen l^atte. (SiS erl^eQt beutßd^, ba^ Se^te biefen Sl^arafterjug, 
mit »elc^em er feine gelben au^ftattet, feinem eigenen SBefen ent* 
nal^m. 3n einem feiner SBriefe üon 1822, l^cifet eg j. S.: „6m 
Xag, an bem id^ in 3ont gerate, ift für mid^ t)erIoren; aber fobalb 
id^ fe^e, ba^ man fic^ eine Unt)erfd^ämtl^eit gegen mid^ l^erou^ 
nimmt, bilbe id^ mir ein, man nierbe mid^ t)erad^ten, f aU^ id^ rmäf 
nid^t erjüme." I)ieg ift genau bie Slrt, toie 3uitian unb gabricc 
räfonnieren, @o jtoingt Sulian fid^, feine §anb liebtofcnb m\ 
biejenige äRabame be 9lenars ju legen; fo jtoingt ^^abrice. fid^, oh^ 
%xo^ bie toal^re, aber ^öl^nifd^e 93emerfung ju wieberl^olen, bie er 
bei SBaterloo über bie jjlud^t ber franjöfifd^en ©olbaten gemacht. 
Sulian ift ^Jranjofe unb fd^arfbenfenb, g<^brice 3tatiener unb naiö, 
aber fie begegnen fic^ in berjenigen @igenfd^aft, n^etd^e man bie 
moralifd^e ?ßrobuftit)ität nennen fönnte* SBie 3uüan im ®efängni§ 
JU fi(^ felbft fagt: „3)ie ^flic^t, bie ic^ mir — ob mit 3le(^t 
ober Unred^t — öorfd^rieb, toar toie ber ftarfe 33aumftamm, an 
n^etd^en id^ mid^ toöi^renb bed Untoetter^ tel^nte/' jo fagt ber leic^t^ 
finnige gabrice, ber fid^ eine augenblidflid^e ^Jurd^t öortoirf t (gleid^f alte 
JU fic^ felbft): „SÄeine Spante meint, toa^ id^ am meiften bebürfe, 
fei, mir felbft vergeben ju lernen* 3d^ öergleid^e mic^ immer mit 
einem öoßfommenen SBorbilb, ba^ nid^t cfiftieren fann." 9Wan finbet 
biefelbe geiftige Überlegenl^eit unb ©elbftänbigfeit bei g^äulein bc 
ia SRoIe in „Roi^e et Noir^' unb bei SDio^cp in „La Chartreusse". 
SRo^ca, öon bem bie ä^tgenoffen naiöertoetfe glaubten, er fei nac^ 
SRettemid^'g 2RobeQ gejeid^nct, ftel^t, obfd^on SRiniftcr an einem 
tegitimiftifd^en |)of, bem Softem, njeld^em er bient, mit völlig ebenfo 
freiem ©elfte gegenüber, toie SBe^Ie'^ junge |)attptperfonen ju t^un 



»eiile. 261 

^fCcgen. SRo^ca fd^tüämtt fogor tn^gcl^cint für ^cOfokon unb ift 
in feiner Sngenb Dffijier in beffen |)eer getoefen- SBenn er fein 
gro^eg, gelbeg Drbengbanb anlegt, gefd^iel^t e^ mit einem ©d^erj 
ouf ben Sippen: ,,®§ fommt unö nid^t ju," fagt er, „ba^ 5ßreftige 
ber-SRad^t nieber jureifeen ; ba^ beforgen bie franjöfifd^en ä^i^ngen 
Tafd^ genng; bie ©J^rfnrd^t^manie toirb fanm nnfere SeBen^jeit 
an^banem." 

SJod^ gleici^t)iel ob bie gefd^ilberten ?ßerfönlicl^!eiten bnrd^ 93e^ 
Qabnng l^erüorragenb finb ober nid^t, f o ift bie ?lrt, toie il^r ®eifteg* 
leben bargefteHt tt)irb, einzig baftel^enb. SBir fd^auen il^nen nid^f 
J61o§ in bie ©eele, fonbem tt)ir feigen — tote hd feinem anberen 
©d^riftfteHer — bie pf^d^ologifd^en ®efe^e, fraft beren fie genau 
f l^anbeln unb füllten muffen , toie eö ber gaU ift. Sein anberer 
^omanbid^ter t)erfd^afft feinen ßefem in gleid^ l^ol^em ®rabe ba^ 
SSergnügen, meld^eö üoHfommene pf^d^ologifd^e ®infid^t getoäl^rt. 

SWabame be 9tenal liebt Sulian, ber in i^rem ^aufe afö Se^rer 
il^rer ^nber Uht Sin einer ©teile l^eifet eg: ,,9Kit @d^am unb 
@d^redEen entbeSte SRabame be Jftcnal, ba§ fie il^re ^nber nod^ 

inniger liebte, toeil fie Sutian fo gerne l^atten." SRatl^ilbe 

• 

t)e la SKote peinigt Sulian, inbem fie il^m bie ©efül^Ie anvertraut, 
toeld^e fie frül^er für einjelne il^rer SBere^rer gel^egt. SJanad^ l^ei^t 
ۤ: 㤊tte man gefd^motjene^ SBIei in feine SSruft gegoffen, er 
toürbe nid^t fo fel^r gelitten l^ben. SSie fonnte ber arme 9Renfd^, 
-ctenb toie er fid^ fünfte, erraten, ba§ gräutein be la ÜÄofe, nur 
tocil fie mit il^m fprad^, fo viel ©efaHen baran fanb, fid^ il^rer 
otten Siebeleien ju erinnern?" — öeibe ©teilen iöuftrieren ein 
4)f9d^otogifd^e§ ®efe^. 

3uKan l^at aug ©l^rgeig, aber mit innertid^em S33ibertoiIIen 
bcn geiftfid^en Seruf ertoäl^Ii 93ei einer feftlid^en Oetegenl^eit 
fielet er in ber ©orffird^e einen jungen Sifd^of fnieen, öon 
lauter l^übfd^en . jungen SRäbd^en umringt, bie, toie e^ fd^eint, 
feine fd^önen ©pi^en, feine anmutigen SRanieren, feine feine, 



262 ^^ tomantifdie Sd^uU in itankteid). 

fanftc ^ßl^^ftognotnie nid^t genug bctounbcm fönncn: S)ic§ ©(fyitt^ 
fpicl fic§ in unfcrm gelben ba« Ie|tc SBebcnfcn fc^toinben. ,,Sn 
btcfem äugcnblicf toürbe er fid^ für bie Snquifition ge^ 
fd^Iagen l^aBen, unb bag in gutem ©tauben/' 95efonber^ 
biefer S^f^l/ #/^^^ ^^^ i^ gutem ©tauben", ift bewunberungS* 
loürbig. 9Ran öergteid^e l^iermit eine ©teile aug „La Chartreuse": 
9Rogca mufete loäl^renb eineg ?lufftanbeg bei bem lobe be§ 
gürften — eine« ^Mt^r ^^ ^ grünbtid^ öerad^tete, unb ben bic 
eigene ©etiebte SÄo^ca'g l^at t)ergiften taffen — fid^ an bie ®|)i|e 
ber ©otbaten ftellen unb im Flamen beg jungen, gteic^ erbörra* 
tid^en dürften ben |)aufen au^einanberf^rengen. 3n bem fflriefc, 
toorin er feiner (Setiebten bai^ ©efd^el^ene mitteitt, l^eifet e§: „Stbcr 
bag 9Bunbertid^e ift, ba§ id^ in meinem Sitter eine augenbtidHic^c 
83egeifterung fül^tte, ai^ id^ meine Siebe an bie Oarbe l^iett nvib 
i^rem ©ujon öon ®enerat bie ®pautetten abri§. 3n biefem 
?lugenbtidf l^ätte id^ ol^ne ©d^ttjanfen mein Seben für ben 
gürften l^ingegeben; id^ mu§ geftel^en, ba§ eg eine fel^r bumme 
Slrt getoefen tüäre, be^fetben tebig ju loerben." — SBeibe ©teilen 
jeigcn mit fettener gein^eit, ttjie fünfttid^e SSegeifterung gteid^fom 
burd^ SlnftedEung entfielet unb öerbtenbet 

Äein 3iomanbid^ter l^at jematg toie Se^te bie inneren Äämpfe 
ber Sßorftellungen unb ber burd^ fie l^eröorgerufenen ©emfit^* 
bettjegungen bargefteHi S3ei il^m fielet man tt)ie burd^ ein SSergrö^e^ 
rungggta^ ober »ie bei einem 5ßrctparate, too bie feinften Sberd^en 
burd^ ©infprengung t)on garbftoff beuttid^ erfennbar finb, ba^ 
mä)'\tU unb ©tär!et)er^ättnig jioifd^en ben ©tüdE^- unb Ungturf^ 
gefüllten ber 9»enfd^en, bie teiben unb l^anbetn, SRo^ca l^at einen 
anonymen Srief erl^atten, ber il^m berid^tet, feine ©etiebte fei einem 
?lnbem gebogen. S)ie äRitteitung, für bereu 3iid^tigfeit üietc^ 
f^rid^t, fd^tägt i^n juerft ööltig nieber» S)ann grübett er ai^ oer* 
ftänbiger äRann unb at^ S)iptomat untoillfürtid^ barübcr nad^, 
öon toem ber 93rief ttjol^t l^errül^ren fönne. @r finbet l^erauS, ba^ 



Bet)le. 263 

bcr gürft benfeften öerf a§t l^aben müffc. „Site biefc ?lufga6c 
gclöft ttjar, tüurbe bie üeine grcubc, tocld^c bag SScr== 
gnügen über ^ie augenfä^einlici^ rid^tige Söfung mit fic^ 
Brad^te, baib öertoifd^t burd^ bcn ©d^merj, bcn er t)on neuem 
cml^fanb, afö öor feinem inneren SSfitf bie jugenblid^e ©rfd^einung 
feinet 9iebenbu]^Ier§ auftaud^te." — JBe^Ie unterläßt nid^t, bie 
flüd^tige SBefriebigung über bie ©ntbedfung jn erioäl^nen, xodä)t für 
einen Slugenblitf bie Dualen ber ©iferfud^t unterbrid^t — SWur 
tpenige Jiage trennen Sulian t)on bem S^age, an bem er^ ba^ 
©d^affot befteigen xtm% @r fielet injloifd^en in feinem (Sefäugni^ 
l^äufig feine (Seliebte, t)on ber er feit Sauren getrennt loar, unb 
lebt in feiner Siebe, faft ol^ne an ba§ Seöorftel^enbe ju benfen: 
„®urd^ feltfame SBed^fetoirtung ber Seibenfd^aft, loenn biefe im 
l^öd^ften ®rab unb ol^ne irgenbttjetd^e SSerfteÖung öorl^anben ift, 
teilte äßabame be fftSnal beinal^e feine @orgtofig!eit unb 
fartfte ^eiterteii" S)iefe festere fo fül^ne SSemerfung fd^eint 
mir öon ber überrafd^enbften Jiiefe. SBe^Ie l^at rid^tig gefül^It unb 
ou^gef^rod^en, tüie energifd^ eine bie ganje Seele füHenbe glüdEIid^e 
Seibenfd^aft alle pufferen ©ebanten (felbft ben (Sebanten an btn 
gett)iffen Untergang) au§ bem 93ett)u§tfein öerfd^eud^t, fo oft fie fid^ 
aufbrängen ttjoüen; er l^at gejeigt, ba§ bie Seibenfd^aft bei il^rem 
9iingen mit ber SSorfteHung öon einem beöorftel^enben Unglürf 
biefe afö mad^tlo^ übertoinbet, tt)o fte biefelbe nic^t aU abfolut un^ 
benlbar öon fid^ toeifen tann. Solche ©teüen bei SSe^le finb e§, toeld^e 
bei einem SSergleid^ aüe anberen ©d^riftfteHer flad^ erfd^einen laffen. 
©eine $ßerfönlid^feiten finb niemals fd^lid^te, getoöl^nlid^e 
aWenfd^en, fonbem er öerftel^t, benfelben — aud^ ben loeiblid^en 
Figuren — ein eigene^ Gepräge öon ®rö§e ju geben. Sie ^aben 
einen getoiffen öerfd^robenen unb bod^ ed^ten ^eroiMuS, einen 
9luffd^tt)ung, ber ba§ ganje Seelenleben mit fid^ fortreißt, unb/ 
ipenn e§ jur ©ntfd^eibung fommt, feinere ®efül^le unb ftärtere 
iperjen ate bie S)urd^fd^nittgmenfd^en. 9Kan ad^te auf bie lleinea 



264 Sie tomantifd^e Sdiitle in «ftankteid). 



3H^r ^i^ f^i^^ g^auengcftotten d^araftcrifieren. 8on SRobamc bc 
SRhtal ^ei^t c^ in „Rouge et Noir**: „@ie toar eine don jenen eblen, 
fd^märmerifc^en Seelen, meldte, tocnn fie bie 9RögIid^feit ju einer 
ebetmütigen ^anbtung fe^en, toegen be^ Untertaffend biefe(ben @6« 
njiffengbiffe empfinben, wie änbere toegen bcr SSerbred^en, welche fte 
begingen." äRat^ilbe be ia SWote fogt: ,,3d^ füllte mid^ felbft ouf 
gteid^er $öl^e mit allem Äü^nen unb ®ro§en, toa^ jemafö epfticrte 
♦ . . . SBeld^e grofee %f)at fd^ien nid^t, el^e fie nntemommen ttjurbe, 
eine ^Unmöglid^feit! 6rft wenn fie öoßfül^rt ift, fommt fie bcr 
SRenge möglid^ üor." 9Kit toeld^er 9»cifterfd^ft finb nid^t in 

biefen bciben furjen 3^^^« jtoei entgegengefe^te gormen weiblichen 

* 

^eröorragcn^ gejeid^net: bie Eingebung neben ber lottfül^nl^eit! 
SRan fü^ft, wie wa^r Se^te gefproc^en, atö er in einem 93riefe 
an SSaljac fein fünftterifd^e^ Sorgel^en fo befiniert: ,,id^ nel^me irgcnb 
eine männlid^e ober weibtid^e ?ßerfön(id^!eit, bie id^ gut fenne, be- 
l^aße bie ©runbgüge beö betreffenben SBefen^ bei, nur ftatte iäi 
fie in geiftiger ^infid^t beffer aug (ensuite je lui donne plus d'esprit)/ 
SSon feinen beiben SRomancn ift „Bouge et Noir", ber ouf 
franjöfifd^em 93oben fpielt, unbebingt ber bebeutenbere; in ,M 
Chartreuse de Parme" l^at man nur au^nal^m^weife ba^ fiebere 
©efü^t, wirHid^en ®runb unb 93oben unter feinen gü§en ju 
l^abcn. SSe^Ie l^at fic^ nun einmal fein eigene^ Statien nad^ feinen 
p^antaftifd^ aufgefaßten Sugenberfal^rungen gebitbet, unb biefe§ 
3tatien mad^t auf un^ einen wenig juöerläffigen ©inbrudf. @r 
jeigt in feinen SRomanen wie aud^ in feinen Slbl^anblungen , ba| 
itatienifd^e Gemüter wegen i^rer (ebenbigen ©inbilbung^fraft weit 
mel^r alg franjöfifd^e öon 'ÜÄißtrauen unb ^imgefpinften ge|)lagt 
finb, ba% aber bagegen i^re greuben l^eftiger unb bauember finb, 
bafe fie einen lebhafteren ©d^önl^eitsfinn unb weniger ©itelfeit be* 
fi^en, Sntotitzn überrafd^t er burd^ öötferpf^d^ologifd^e 93emerfungen, 
bie, öorauggefe^t ba§ fie rid^tig finb — toa^ id^ glaube — eine un* 
gewöl^nlid^e Jiiefe l^aben. @o l^eißt e§ einmal öon ber l^erjogin 



5Bei)lc. 265 

öon @anfet)crina, ba§ fte, bic felbft fid^ einer Vergiftung fd^ulbig 
gentad^t, aujser ftd^ geriet t)or ®ram, ba§ il^r beliebter üon ®ift 
bebrol^t ttjurbe: ,,31§r tarn nid^t t)on fem bie ntoralifd^e SReffejrton, 
bie für eine grau, ttjeld^e in einer ber norbifd^en, bie perföntid^e 
^fung geftattenben Äonfeffionen erjogen loorben, fo natürlid^ 
gettjefen ttjäre: 3d^ l^öbe mid^ felbft beg ®ifte§ bebient unb »erbe 
nun burd^ ®ift geftraft. 3n Statien fd^einen f old^e SReflej ionen in 
feibenfd^aftlid^en SlugenbßdEen fo tl^örid^t, loie in Ißarig unter äl^n- 
lid^en Umftänben ein Äalauer erfd^einen tt^ürbe." SBa^ 93e^Ie t)on 
bem itatienifd^en SRatureH am innigften unb tiefften anfprad^, loar 
offenbar ber rein l^eibnifd^e Untergrunb, ben feine 3ietigion toeber 
be§ SWtertuntS nod^ be^ 9KitteIaÖer§ ju befeitigen öermod^te. 93ei 
allem ©d^arffinn in ber 3iaffen=5ßf^d^oIogie, tt)ie er in „La Char- 
treuse de Parme" fid^ finbet, fprid^t bennod^ biefeg S3ud^ ben 
mobemen Sefer loeniger an, ba e§ toeit me^r afö „Bouge et Noir" 
©puren rein äujserlid^er 3iomantif aufnjeift: SSertleibungen, äRorb, 
®efängni§* unb g^i^^tf cenen , SSergiftungen u, f. to. dagegen ift 
eine tiefe innere SRomantit biefen beiben Sudlern gemein» 

Dbfd^on Söe^Ie in mand^er ^infid^t ein l^öd^ft moberner 
®eift — feine immer ttjieberf el^renbe ^opj^ejeü^ung : „Sd^ loerbe gegen 
ia^ ^Qf)x 1880 getefen toerben!" ift genau in Erfüllung ge* 
gangen — fo ift er nid^t^beftotoeniger in feinem Seelenleben unb feiner 
©l^arafterjeid^nung entfd^ieben SRomantifer, f o ju öerftel^en jebod^, bajs 
feine Slomantif biejenige ftarfer ©eelen unb fritifd^er ©elfter ift; fie 
bilbet ba§ ©lement t)on bis an SBal^nfinn grenjenber @d^tt)ärmerei unb 
bis jur ©etbftauf Opferung gel^enber ^ärtlid^Ieit, baS ftd^ jumeilen 
bei fonft entfd^iebenen unb rationellen ßl^arafteren öorfinbet ®iefe 
9lomantit ttjirft in Se^Ie'S fid^ felbft fonft fo Karen 5ßerfonen tt)ie 
ber ftär!fte@prengftoff: fie ift in einen fefien Körper eingefd^Ioffen, 
aber fie betoal^rt barin i^re ^aft. Sin @to§ — unb ber S)5namit 
fprengt bie ®IaS!ugeI, 2^ob unb SSerberben ringsum öerbreitenb. 9Ran 
fel^e nur Sulian, äRatl^ilbe, bie ^erjogin t)on ©anfeüerina u. f. to. 



266 HU tomantifdie SdjuU in itankteixii. 



?lb unb ju fd^einen bicfc ^ßerfönßd^fcitcn cl^cr bem 16. 3al^r^unbert, 
ba^ fSttfk mit fo öielcr ?lnbaci^t ftubiertc, afö unfcren S^gen an* 
jugel^ören. 3n SScjicI^ung auf 5^6ricc bemcrit er fclbft einmal, 
ba§ beffen erfte Slnfpomung ganj im ®eifie jene^ Sol^rl^unbertö 
(ag, unb naä) feiner eigenen SJarfteHung (ebt SRatl^ilbe ööHig in 
bem granfreid^ be^fetben Sal^r^unbertg. 3)oci^ mit biefer 9iomanti! 
ber ©nergie unb ber fül^nen Jil^aten vereint SBe^Ie gerabe jene gönn 
romantifd^er ©c^märmerei, bie bem Saläre 1830 in granfreid^ cnt* 
fprid^t ©ein 3ulian, ein genialer, aber öon bem®eift berSfleftauration^' 
jeit unterbrüdfter ^ßlebejer, ttjetd^er fid^ üon ber l^errfd^enben golbencn 
9KitteImä§igteit überftra^tt fielet, mxb öon |)unger unb S)urft nat^ 
(Sriebniffen öerjel^rt; auf ol^nmäd^tigen §a§ angetoiefen, ma(|t 
er, um fid^ über feine urf^rünglid^e gefeUfd^aftlid^e ©teflung jn 
erl^eben, öon jebem ÜÄittel (Sebrauc^, ftel^t aber, felbft mm er 
augenblicHid^ trium^l^iert, ftetg auf bem ^ieggfufe mit feiner to 
gebung unb ift etüig unbefriebigi Site aufrül^rerifd^er 9KeIan(|o* 
Wer, atö rad^eburftiger $ßtebejer, afö UnglüdEüd^er, ber fic| im 
Ärieg mit ber (SefeHfd^aft befinbet („rhomme malheureux en guene 
avec la sociöte", nennt il^n SSe^Ie), ift er ein ungefäl^r gleid^altriger, 
aber Hagerer ©ruber jener ©tieffinber ber ©efellfd^aft, bie |)U90 
jeid^net — S)ibier, Gilbert, SRu^ 93Iai5 — mit Sttejanbre S)uina§' 
jugenblid^em •|)elben, bem Saftarb Slnton^, mit SJhiffet^ gronf, 
©eorge ©anbS SÖia unb S8aljac§ SRaftignac nal^ üertüanbt. 

Slfö ©d^riftfteller betrad^tet, ftammt Söe^Ie au^ bem 17. unb 
18. Sa^rl^unbert. @r l^at fid^ nad^ SKonteSquieu gebitbet, critittert 
bi^ttjeilen an ßl^amfort, ift ein Setounberer üon 5ßaul Soui^ 
ßourier, toeld^er gleid^ il^m öom ©olbatenftanb jur ßitteratur über* 
gegangen toar unb beffen bilblofe ©prad^e unb üerftanbe^ttore, 
Maffifd^e SReinl^eit il^m im l^öd^ften ®rabe .jufagte. S)od^ »enn 
ßourier fid^ öor Slßem ben SBo^aut unb bie öoüenbete 2)urti^^ 
fid^tigteit beg ©tileg angelegen fein Iie§, toenn er einmal öon 
einem ©d^riftfteHer be§ SlftertumS rül^menb fagt, er ^ätte ben 



Betile. « 267 

^ßornpcju^ in bcr ©d^Iad^t bei 5ßl^arfalug für ben Sieger gelten 
laffen, toofem ber @a| babei eine größere SRunbitng gettjonnen — 
fo bejeid^net bieS ben ©tanbpnnft, tüetd^er Söe^te am femften liegt 
S3e^le l^atte al§ @ti(ift ttjeber garben* nod^ gomtenfinn. @r 
müit unb fonnte nid^t für ba^ Sluge f einreiben; ba§ 93ilb toar 
ii^m nid^tö im SSergleid^ mit ber Sbee; er fnd^te niemals and^ nur 
pd^tig fid^ ber ©d^reibioeife ß^ateaubrianb^ ober §ugo^ ju 
näl^em. SbenfoioeÄig tüanbte er fid^ an bag Dl^r, toenn er fd^rieb; 
bie ^oetifd^e ^ofa mar il^m ein ®reuel; er l^afete ben @til in 
äRabame be BtatV^ „Corinne" unb fpöttefte über ®eorge @anb^ 
9Sortrag^tt)eife. 2(u^ Zxoi^ gegen bie poetifd^e SBerebtfamfeit fd^rieb 
er an 93aljac bie befannten SBorte: ,,3lfö id^ La Chartreuse öer* 
fa|te, lag id^ jeben SKorgen jtoei big brei Seiten im Code civil, 
um ben redeten Jion ju treffen unb immer natürtid^ ju fein; id^ 
mag ben Sinn beg ßeferg nid^t burd^ fünftlid^e äRittel betl^ören." 
SRid^t leidet fann ein S)id^ter eine größere unb gugfeid^ unöer* 
ftänbigere Oeringfd^ä^ung beg Äünftkrifd^en augbrüdEen. 9^ic^tg=^ 
beftotoeniger befi^t Se^te fünftlerifd^e ©igenfd^aften. @inb aud^ 
feine 93äd^er atö (Sanjeg erbärmtid^ tomponiert, mangelhaft in ber 
3eid^nung, fo finb bod^ öiele (Sinjetnl^eiten meifterlid^ auggemalt; 
ift fein Stil aud^ ol^ne alle SRufit — toag übrigeng bei einem 
SSerel^rer itaßenifd^er ÜÄufif, bcr er ift, befrembet — fo wimmelt 
eg bod^ barin tjon untjcrgefeüd^en @ä^en. SSe^Ie befi^t nid^t 
bie S^nft, eine Seite. im 3^f<i^^^^^<^i^Ö i^ fd^reiben, aber er l^at 
bag ®enie, burd^ ein SBort einen Quq fd^Iagenb l^eröorjul^eben. 
3n biefer 93ejiel§ung ift er ©eorge ©anbg Slntipobe, benn il^r 
gelingt bie Seite ftetg toeit beffer atg bag SBort, toie 93e^te 
bag SBort unenblid^ öiet beffer atg bie Seite, gür SBatjuc liegte 
er eine aufrid^tige Setounberung, aber beffen Stit ttjar il^m ein 
®rcuel. 9Kan fielet bieg am beften aug einer Stelle in „Mömoires 
d'un Touriste", too er bemerft, S3aljac l^abe feine 3iomane juerft 
in einer vernünftigen Sprad^e gefd^rieben unb nad^l^er erft in bm 



268 I^ie tomantifdie ^djule in irankteid). 



fd^öncn romantifc^cnStil gcficibct mit Äui^brüdfen toic „t^ fd^ticit 
in mein ^ctj" u. a. m. ©einer eigenen S)i!tion l^aften aUe jene SJor* 
pge unb 9RängeI an, ttjeld^e feiner pl^ilofopl^ifd^en nnb apl^oriftif(^en 
5Denf weife in natürlid^er gotge entf prangen; einerfeitö ift biefeftc 
gebanfenreid^ unb nüi^tttn, anbererfeitö nad^täfftg. unb bon einer 
Sleffefion jur anbem fpringenb.^ Sfber fie befi^t einen großen 
unb fd^tt^ertüiegenben SSorjug: fie ift t)on einem maleren horror 
vacui befeeft, fie l^at einen folc^en Sd^redEen öot bem Seeren unb 
t)em SBagen, ba§ !aum mel^r eine fo inl^alti^reid^e, !emige 3)arftellung 
^u finben ift tüie bk feine. 

Sr pfTegte ju fagen, ba§ nur ?ßebanten unb ^riefter üom 
%obz fd^ttja^en; er fürd^tete benfeften nid^t, betrad^tete il^n aber 
üU eine l^ä^Iid^e, traurige @ad^e, öon ber man fo toenig aU 
-möglich reben foHe. Stfö il^n im Sa^re 1842 ber %ob ereilte — toit 
er fid^ i^n gettjünfd^t, ptö^Iid^ unb unvermutet — tt)ar fein Siame 
bem 5ßublifum beinal^je unbefannt. SRur brei ^erfonen tt)aren bei 
feiner Seerbigung jugegen, unb niemanb öon i^nen fprac^ ein 

* 

SBort. aSag bie 5ßreffe über il^n fügte, tüar, tüenn aud^ tDof)U 
gemeint, boc^ nur ein B^i^Ö^^^ bafür, tüie toenig biejenigen il^n 
t)erftanben, bie il^n am meiften anerfannten. — ©eitbem ifl 
fein 3iul^m beftänbig geftiegen ! 9Kan fing an, il^n afö einen me^r 
ober toeniger affeftierten unb origineüen ©onberling ju betrad^ten; 



* Um einen Ü6er6lirf ju l^abcn, tele fc^Iec^t unb toit gut ©e^re f(!^rci6en 
fann, lefe man JJoIgenbeS : „Ce raisonnement, si jusle en apparence, acheva 
de jeter Mathilde hors d'elle mSme. Cette äme alti^re, mais saturee de 
toute x^ette pnidenee s^chei qui passe dans le grand monde pour 
peindre fid^lement le coeur humain, n'^tait pas faite pour com- 
prendre si vite le bonheur de se moquer de toute pnidenee qui peut 
^tre si vif pour une &me ardente.'* Sßlan af}ni, tt»ag öe^Ie fagen toill, oh^ 
gleich ber ®a^, abgefel^en t)on feiner ftiliftifc^en Unbeplfli(^!eit, nic^t einmal 
logifd^ rid^tig ift. Unmittelbar barauf folgt ber burd^ feinen ©d^arfftun unb 
©i^ g(ei(^ übcrrofd^enbe @a^: „Dans les hautes classes de la societ^ de 
Paris, oü Mathilde avait v^cu, la passion ne peut que bien rarement se 
d^pouiller de pnidenee, et c'est du cinqui^me 6tage qu'on se jette par 
la fengtre." 



Be^le^ 26» 

fester toax man, fctbft toenn man tl^m gro§e (SciftcSgafien ein* 
räumte, immerl^in geneigt, eine ifotierte ©rfd^einung, einen in feiner 
^ara&ojie nnfrud^tfiaren ®eift in i^m ju erbUcfen* ^ä) meineg=- 
teils fel^e'in il^m nid^t nur einen $au^tre:präfentanten ► beg ®e^ 
fd^Ied^teS öon 1830, jonbern ein unüfierfpringfiareS ®(ieb ber 
großen Sbeenbetoegung be§ Sal^r^unbertg; benn afö ^ßf^d^ologe 
i^atte er feinen geringeren SRad^foIger afö Xaine unb atö S)id^ter 
feinen geringeren ©dritter afö $ßrof^er ^ivxmiO 



1 2)ie bcften SlrtÜel übcröe^Ic finb: bie Ärttif ©Ql^acS über „La Char> 
treuse", bieienige Sainc^ä über „Bonge et Noir", Wliximk'^ SBorloort alS 
©tnicitung ju SSe^Ie'S „Correspondance in^dite" (etioaS auSfül^rlic^er in 
„Portraits historiques" mi^alim), (Jolombg btograt)l^if(i^er @ff ai, ©ainte* 
SBenbe^S jioei Slrttfel in „Causeries du lundi^^ T. 9, U. ©ufflfere'8 Strtifcl in 
ber „Revue des deux mondes" öom 15. ganuar 1843, bctjcnigc gola^g in 
„Les romanciers naturalistes" unb $aul S3ourget§ %ct\M in ber „Revue 
nouvelle" öom 15, 5tuguft 1882. 5«fteb be S3oug^^g „Stendhal" ift nur 
Plagiat nnh SSit^tigtl^uerei. 



XXL 

SBir, bie tPtr in SSictor |)ugo'g „Histoire d'un crime" bic \)'6i)^ 
ittfd^cn SBortc über Wliximit gcfefcn l^abcn unb geneigt ftnb, in jencni 
nnr ben I^rifd^^rl^etorifd^en 9tepn6(ifaner, in biefent ben feinen, far^ 
faftifd^en ©efretär t)er ßiebe^^öfe be^ gleiten Äaiferreid^eg ju fc^en, 
fönnen un§ l^eutjutage nnr fd^ttjcr öorfteHen, bajs bie beiben SWänner, 
ttjeld^e ^oetifd^e nnb ^olitifd^e Slntipatl^ien nad^ nnb nad^ fo tocit 
an^einanber fül^rten, in ü^ren^ugenbja^ren bentfelben Sager angel^örten 
nnb frieblid^, \a frennblid^ mit einanber üerfel^rten. Unb bod^ fo^ 
in benfd^önen griü^Iing^tagen ber Slomantif bie aöeö fd^aucnbe 
©onne einmal ben forreften SSerfaffer be§ „Mateo Falcone" in 
^embärmeln, mit einer ©d^ürje umget^an, in ber ^d^e SSictor 
§ngog [teilen, tnie er, t)on ber ganjen gamilie nmgeben, ber Äöd^in be§ 
§aufe§ eine erfolgreid^e Seftion in ber 3ii6^^it^^9 öon „Macca- 
roni ä Titalienne" erteilte. 9Kan erjä^It, ba§ §ugo eincg 
?l6enb^ — öieHeid^t bnrd^ bie ©rinnemng an jene öorjügfi^en 
SKaccaroni jnr SBegeiftemng geftimmt — an§ bem Flamen ^ofpcr 
Mitimit ba^ bejeid^nenbe nnb fd^meid^ell^afte Slnagramm bifbete: 
M. 5ßremiere ^ßrofe.^ 

Sictor §ngo felbft mürbe gett)i§ jene Umfd^reibnng je^t nic^t 
mel^r getten taffen — er, ber jpäter einmal, ate jemanb ben 
nüd^ternen @tU ÜÄ^rimieS lobte, bag SBort „bie SRüd^teml^eit eine» 



* Victor Hugo, racont^ par un t^moin de sa vie. IL p. 159; Eug. de 
Mir^court: M^rim^e, p. 25. 



I 



mhimit. 271 



fd^Ied^ten SRageng" faßen Iic§; ober man irrt !oum in.bcr 93c^ 
l^auptung, ba§ jeneg Slnagramm ganj genau bie Slnfid^t ber älteren 
Generation in granfreic^ augbrüdft. gür ben tjierjigjäl^rigen, fein^ 
gebilbeten frcnjöfijd^en SBeltmann ge^t nod^ l^eut lein 5ßrofaftU über 
benjenigen äRirim&S- 

gär ben SBeltmann, fag' id^; benn für bie je^igen, maferifd^er 
ixnb finnltd^er angefegten $ßrofaiften unb il^r 5ßubfi!um ftnb einfädle 
Sihtürlid^feit beö Slu^brutfS, Älarl^eit unb Mrje tt)enn aud^ an* 
erlennen^ttjerte SBorjüge, fo bod^ nid^t bie pd^ften ftiliftifd^en 
©tgenfd^aften. ®er ttjeltmännifd^ gebilbete granjofe bagegen liebt 
bie ©rjäl^tung unb l^afet bie ©d^ilberung, er ift (ol^ne e^ ju ttjiffen) 
ein boftrinörer ?lnl^änger ber 5ßrinjipien Seffingg in „ßaofoon", 
tin ed^ter.Slationatift, aller rontantif^en unb naturaliftifd^en 93e* 
fd^reibung^fud^t abl^olb, er l^at immer bie ©d^reibttjeife SSoÖaire^ 
berjlenigen ©iberotg öorgejogen. SBer i^m, ol^ne Stadtteil für bie 
ÜBerfid^t(id^!eit fo t)iel 2;i§atfäd^Iid^e§ tt)ie mögfid^ innerl^alb be^ 
möglid^ft engen JRaume^ bietet, entfprid^t feinem tünftferifd^en Sbeal, 
ja er öertoirHid^t eg, menn er »ie Wirimit mit biefer ®e* 
brängtl^eit üoHftänbige ©elbftbel^errfd^ung in 2^on unb Haftung öer* 
einigt 3)ie öftere franjöfifd^e (Generation , für toeld^e bag SBort 
„iRomanti!" nad^ unb nad^ faft mit Überfd^ttjenglid^feit gfeid^be* 
beutenb geworben ift, fängt l^eutjutage an, ftd^ ju tounbem, ba§ 
man überl^aupt jemafö aJifoim^e ju ben SRomantifem gered^net ^at; 
ftc räumt tool^I ein, ba§ er an bem erften romantifd^en gelbjug S^eil 
nol^m, aber fie- betont, ba§ bie^ l§alb§tt)egg au^ SSerfel^en gefd^a^. 
2lfö Sufe^ ©anbeau ben 9?ad^fotger SÄirim^e'g in ber franjöfifd^en 
Söa6emie, Souig be ßomftiie, bei feiner Slufna^me, anrebete, erjäl^fte 
er, um Wtiximit'^ Äantpfgenoffenfd^aft mit ben 3iomantifem ju fenn- 
jeid^nen, bie afte Slnefbote üon jenem (Sentfeman, ber in ben Suli- 
togen 1830 einem ber SRebellen, ber mit feinem (Setoel^r nid^t um* 
jugel^en öerftanb, ungebulbig bie SBaffe au^ ben Rauben ri§, nad^ 
einem ber ©d^ttjeijer in ben 2;ui(erienfenftem jiefte, il^n tötete unb 



272 '<< totnantifdie 3d|ule in franKteiil|. 



bann bic ?lufforbening bcg 3nf urgenten, ba§ ©etoe^r, bcffen er 
ftd^ fo öortreffüc^ bebtente, ju bel^aften, mit ben SBortcn abtel^nte: 
,,3)anfe beften^! Sd^ bin übrigen^ Sio^afifi" ©old^crtoeife fei 
äR^rimfe eigenttid^ immer ein Älafftfer getoefen, unb toenn er am 
Slnfang feiner fiaufbal^n bie Siomantüer faft fiberbot, fo toar baf 
nur, »eil er ber SBerfud^ung, i^nen ben ©ebraud^ il^e» SBaffcn ju 
jcigen, nid^t »iberfte^en fonnte* Die Sluffaffung, toeld^e bicfer 
fd^erjl^aften Übertreibung ju ®runbe Hegt, ift jebod^ toenig ^u* 
treffenb. SKan !ann ol^ne ©c^mierigfeit erfennen, ba§ SR^rimfe 
afö S)id^ter, trofe ber flaffifd^en Strenge unb 3^rfidEl^aItmig feinet 
©tilg, in mand^er |)infid^t ein ausgeprägter SRe|>räfcntant ber 
franjöfifd^^^romantifd^en ©eifteSrid^tung ift, S)iefer allgemetne Qaq, 
feinet SSäefen« tritt befto fd^arfer l^eröor, je mel^r man fid^ in bie 
inbiöibueHe ©igentömlid^feit feiner 9?dtur vertieft. 

5ßrofper SÄftimte (geboren 28. September 1803) ftammt ouS 
einer ^nftterfamilie. ©ein SSater ttjar ein tüd^tiger, üielfeitig ge* 
bilbeter äRafer, ber ein Sud^ über bie Xed^nil feiner Äunft oer^ 
öffentlid^t l^at, ©eine SRutter, eine befonberS für ÄinberportrotS 
beliebte SRaterin, befa§ ©rjäl^tungötalent unb loar gemol^nt, burt^ 
feffeinbe ®efd^id^ten bie Äinber, tt)ä^renb fie biefetben malte, jura 
©tiHl^aften ju bettregen. S)ag 93iIbniS, ba§ fie öon il^rem ein* 
jigen ©ol^ne in beffen fünftem 3al§re entttjorfen l^at, giebt eine 
ebenfo öorteill^afte 3bee öon i^rer fünftterifd^en S3egabung wie öon 
bem Süßeren be§ ^inbeS. ®aS Oeftd^t jeigt eine bei einem fo 
Keinen ^aben ganj ungettjöi^nlid^e Slrt öon ©d^önl^eit, benn oon 
bem ©tolj unb ber Überlegenl^eit beS SKanneS liegt bereits etioaS 
in biefer üon feibenen SodEen umral^mten, öomel^men ÄinbeS* 
pl^^fiognomie. ©o rein uub frei ber Südf ift, fo fd^alfi^aft Hug 
fräufetn fid^ bie feingefd^tt)ungenen Sippen; bie Haltung beS SopfeS 
ift bie eines Keinen $ßrinjen,^ 9Kan begreift, baj3 biefer ^abe, 

* ^nc ^bbilbung bcS ^orträtS ftnbct man in Maurice Tourneiix^ 
Prosper M^rimee. Ses portraits, ses desseins, sa hiblioth^ue. 



Miüxxdt. 273 



atö er etnc^ Xagc^ entbedte, ba§ feine @Itern fid^ über fein SSetragen 
nur jomig gefteHt l^atten unb l^inter feinem SRücfen über feine reue== 
doHen S^ränen ladeten, ben (Sntfd^Iu^ fafete „nie mel^r um 3Ser=. 
jeil^ung ju bitten", ein SSorfa^, bem ber SRann fein Seben lang treu 
blieb. S5ie SRutter, mit ber ÜÄfoim^e big ju i^rem 1852 erfolgten 
2obe jufammentool^nte, tnar eine grau t)on feltener Sl^araftcrftärfe. 
S)ie Slid^tung beö öorigen 3al^rl§unbertg l^atte einen fo au§== 
geprägten SBibertüißen gegen jeglid^en retigiöfen ©tauben bei il^r 
erjeugt ba§ fie ben ©ol^n nid^t l^atte taufen (äffen. Sltö reifer 
äRann pflegte 3Rinmk mit einem gettjiffen farfaftifd^en Se^agen bei 
biefem Umftanb ju öertüeiten. @iner frommen unb KebenStoürbigen 
^amc, bie i^re ganje SSerebtfamfeit in^ geuer fül^rte, um il^n jum 
@ntpfang ber 2:aufe ju bettjegen, antwortete er: „3d^ gebe nad^, 
bod^ unter ber Sebingung, ba§ Sie meine 5ßatin toerben; id^ toerbe 
ein langet ttjei^e^ S^äufling^fleib anl^aben unb Sie tragen mic^ 
auf bem Slrme." 

2)ie äusseren ©d^idEfale feinet SebenS finb iaib erjäl^t. 9?ad^ 
SoKenbung ber gettjöl^nlid^en juriftifd^en ©tubien eines jungen 
»ol^tl^abenben granjofen bebütierte er, erft jioeiunbjioanjig Saläre 
oü, mit ©lanj afö S)id^ter. Sn ben ^eif^n ber liberalen Dppo= 
fition öerfel^renb, fül^rte er big ju feinem ad^tunbjtoanjigften Saläre 
ein unabl^ängigeg, jmifd^en Sitteratur unb Qtt^ixznmQtn. geteilte^ 
Sugenbleben. 9?ad^bem feine politif d^en greunbe ang Sbiber gef ommen 
»aren, tt)urbe er 1831 afö 9lad^f olger SSitetg, in beffen ©puren 
er fd^on atö S5id^ter getreten ttjar, gum 3nfpeftor ber l^iftorifd^en 
3Ronumente g^anfreid^g ernannt, unb ftanb er ^infort biefem Slmt 
mit Sifer unb Scrftänbnig öor. 3^^^^^^ SReifen, auf benen er 
Spanien unb @ng(anb fal^, ben Orient fennen lernte unb ©ried^en^ 
lonb jtpeimat befud^te, oerpoUftänbigten feine Silbung unb be= 
radierten il^n um fo mel^r in feinem SSerftänbnig frember ßl^araftere 
unb ©ttten, atö er bei feinen au^erorbentlid^en ©prad^fenntniffen 
fid^ in ben fremben .Säubern wie ein ©ingeborener bewegte, ©eine 

»tonbcS, ßittctoturge^(^. be8 19. 3ol&rl&. V. 18 



n 



274 Sie totnantifdie Sd|ttle in irankreid). 



(in granfrcid^ bcfonbcr^ fcttcnc) fprad^Iid^c SBcgabung toax fo gro^, 
baJ5 er Sngfifd^, S^anifc^, Stalicnifd^, Steugricd^ifc^ , Sbiffijd^ 
fprac^, ba§ Spanifd^c fogar in feinen berfd^iebenen S)ialeften, bic 
SiQtamx^Wbmbavt mit inbegriffen. Sr ftubierte aufeerbem bie Sitte* 
ratnren all biefer ©prad^en grönblid^ nnb bel^errfc^te baneben bie oft* 
gried^ifc^e unb römifd^e Sitteratur loie ein Haffifd^er ^ßl^ifologe. 3laä)^ 
bem er bon 8lmtg loegen mehrere gelehrte 93erid^te über feine Steifen 
in granfeeid^, nnb aU |)iftorifer ©tnbien über @pif oben ber röntifd^en 
(Sefd^ic^te t)eröffenttic^t l^atte, tonrbe er 1841 in feiner @igenf(^aft 
afö Slrd^äologe in bie Academie des inscriptions aufgenommen. 
1844 erl^ielt er einen @i^ in ber franjöfifd^en Slfabemie. Slot^ 
ber ©rrid^tung be^ jrt)eiten Äaiferreid^eö tourbe er fd^on 1853 jiini 
Senator ernannt, eine SBürbe, für bie er ju gnt ttjar unb bie mit 
9led^t feinem Slnfe^en fd^abete, obttjol^t er fid^ faft nie an ben SScr* 
^anblungen be^ Senate^ bet^eiügte. Site üieQä^riger g^eunb ber 
®räfin 3Wontij|o ftanb er ber taiferlid^en gamitie fel^r nal^e unb 
bitbete mit Dctaöe geuiUet lange Qdt bie einzige litterarifd^e ßiak 
beö neuen §ofe§. @r erlebte, aber bereite tobfranf, nod^ ben Qa-- 
fammenfturj ber 9ia|)oIeonifd^en |)errfd^aft, benn erft am 23. @cp^ 
tember 1870 ftarb er in Sannen. 

©ein innere^ Seben, toie e^ in feinen SBcrfen ju S^age tritt, 
ift bei toeitem nid^t fo einfad^. S)ie Slnlagen be^ 3üngling§, ber mit 
bem ad^tjel^nten Saläre in bie SSäelt ^inau^ trat, »aren befonbers 
t)ertt)idfefter 9iatur. (Sr loar fel^r ftolj, jugfeid^ fül^n unb fd^eu* 6r 
l^atte einen verwegenen (Seift unb bod^ einen fd^üd^temen ©l^araöer. 
Um biefe angeborene ©d^üd^ternl^eit, über bie fein @toIj errötete, 
ju verbergen, jeigte er fid^ enttoeber fteif unb faft ober friüol mit 
einem Slnftrid^ von ß^ni^mu^, ber il^m fpäter im SSerfel^r mit 
äRännem überl^aupt jur ©etool^nl^eit lourbe; er l^atte ein leic^t^ 
bettjeglid^eö, toarmfüJ^tenbe^ ^zv^ unb einen fritifd^en, jloeifelfüd^tigen 
SSerftanb. ©id^erlid^ loar er in feiner frül^en Sugenb nid^t fo mife* 
trauifd^ unb jurüdl^aftenb tt)ie in fpäteren Salären; aber man irrt, 



3ll£rttn^e. 275 



totm man feinen ©feptiäi^ug au§ irgenb einer beftimmten, einzelnen 
@nttäuf(f|ung erflären toiH, ©elbftöerftänblid^ ttjurbe audfi er mannig^ 
fad^ getäufd^t nnb enttäufd^t, benn toir tt)erben eg aöe; er tonrbe betrogen . 
in ber greunbfd^aft^ geopfert in ber Siebe — b'^anffonöiüe („Revue 
des deux mondes", 15. Slngnft 1877) eräöl^It ben betreff enben %aU 
— er lernte bie SBelt fennen nnb erfnl^r, ba§ ba§ Seben ein iS^rieg ift, 
unb ba§ ber 9Äenfdf| fid^ nid^t nur gegen falfd^e nnb unsnöertäffige 
grennbe, gegen üerfappte unb offene geinbe, f onbern audfi gegen bie= 
jenigen ju toel^ren l^at, ttjeld^e, toie er in einem ©riefe fagt, „ba§ S3öfe 
um be§ SSöfen toiHen tl^un"- 3Bäre er jebodfi nid^t gleidfi tjon 3ln= 
fan^ an mit bem Äeim be§ äÄi^traueng in§ Seben getreten, f o ttjürben 
jel^n auf einanber fotgenbe ©rfal^rungen bitterfter 2lrt il^n nidfit 
t>on feinem SSertrauen in bie 9Äenfdf|en gel^eilt l^aben; benn toer 
nur tttva^ empfänglidfi b«für ift, mad^t immer jugteidfi jel^n anbere, 
jene erften toiberlegenbe ©rfal^rungen. äÄ^im^e befaß inbe§ ein 
ebenfo fritifdf|e§ toie poetifdfie^ 9iaturell, unb ber (Srunbfa^, xodä)tx 
für ben ttjiffenfd^aftüd^en ^itifer gilt, bajs il^m Slnfprudfi auf SSer= 
trauen nur in btm ®rabe jufomme, in ttjeld^em er felbft 3Ri§= 
trauen geübt, toirb t)on fold^en (Semütern leidfit aud^ atö Seben§= 
reget aboptiert» 9Kan al^nt, toie tjiet Seib fein ftart enttöitfelter 
Sinn für ^iti! bei feiner bid^terifd^en ©mpfänglid^feit für ©inbrücfe 
il^m bereiten mußte. 

2)er fritifd^e ®eift ift t)or allem ttjal^rl^eitgliebenb. 2lud^ SJt^rim^e 
mar e§ in l^ol^em ®rabe. Seine angeborene Äül^nl^eit trieb il^n 
baju, ol^ne SRüdEfid^t auf gegebene Sfontjenienjen bie SBal^r^ 
l^eit fo augjufpredfien, toie er fie fül^Ite. 9Kan fielet au^ feinen 
^Briefen, toie offen er öon 9iatur au^ ttjar, toetd^er S)rang il^n be^ 
feelte, bie SBal^rl^eit unumtounben au^äufpred^en, toie ungebulbig 
er über bie fontjentioneöen Sügen, ja felbft über ©upl^emi^men 
unb Sölitberungen n)urbe. S)ie erfte Sammlung t)on „Lettres ä 
une inconnue" ift in biefer ^infid^t befonber^ lel^rreid^. Whimit 
tüirb in einer Siebe^forrefponbenj faft grob, ttjenn er bie beliebte auf 

18* 



276 Hit tomantifd)e ^djitk in ironkteiil). 

irgcnb einer tottöenttotteHen 8(nfd^auung»erto|)pt ju l^aBen meütt 
DBtoo^I er Bei feiner %vixd)t öor ben Sad^em unb bei feinem 
mit ben Salären junel^menben ©feptiji^mug toeber jnm ftreitBaren 
äiitter nod^ jum ÜRärt^rer bad Qmq f)aitt, fielet man \i)n nod) 
in feinem fünf jigften Saläre in eine ritterlid^e S;i^orl^eit verfallen, 
bie, toenn nbzvf)a\ipt Äentcn öon SBelt, bod) nur feurigen Süng== 
fingen begegnen fann. Sltö fein greunb, ber berül^mte Äibri, an^ 
gettagt toav, feine ©teHung atö S8ibIiotl^e!ar baju mipraud^t ju 
^aben, eine äWenge ber foftbarften Söüd^cr au^ ben franjöfifd^en 
Sibliotl^efen ju entfernen unb jU öerfaufen, nal^m Wixunit, ber 
bem greunbe eine fold^e untoürbige ^anblung burd^auö nid^t ju* 
trauen fonnte, mit einem ßifer, ber einer befferen ©ac^e ttjert ge^ 
toefen toäre, Partei für i^n unb griff in einem glänjenb tDi^igen^ 
an ^aul Soui§ ßourierg 5ßamp^Iete erinnemben Slrttfel in ber 
„Kevue des deux mondes" (15. Slpril 1852), bie Unterfud^ung^ 
fommiffion fonjol^I n^ie bie SRid^ter an. 5Die Slntttjort ber Äommtffion 
jeigte, ba^ feine anfd^einenb fo überjeugenbe SSerteibigung öon irr=^ 
tümlid^en SSorau§fe|ungen ausgegangen toar, unb tourbe er toegeit 
Seleibigung beg ©erid^tö ju öierjel^ntägiger ©efängniSftrafe unb ju 
taufenb fji^anfen Sufee verurteilt. Slfö 5Don GuiEOte t)on %aä) l^ötte 
il^m fein fd^Iimmerer Srrtum tüiberfal^ren fönnen. Slngenommen 
felbft, ba§ er, tüie Singetoeil^te tüiffen tüoHen, feine Äanje mel^r ju 
©l^ren öon %xan Sibri brad^ at§ für il^ren (Sema^I, iänbert bic§ 
nid^t öiel an ber @ad^e. 

Slud^ unter bem ^aiferreid^ unb atö ^ofmann betoal^rte SKfeimfe 
feine freie ©prad^e* Sd^ benfe babei nid^t baran, ba^ er ftc^ 
meift jiemlid^ gcringfd^ä^ig über 9lapoIeon III. äußerte, benn 
bieg gereid^t i^m nid^t befonberS jur Sl^re, ba er offijiell ftd^ beffen 
^Regierung fo eng auf d^Iofe ; aber f elbft im Umgang mit ber !aif er- 
lid^en gamilie mußte er 5^eimütig!ett mit 5^^^^^^^ ä^ vereinigen. 
@r erjö^ft j. 83. in einem »rief vom 20. Suli 1859, ba% bie 
^aiferin bei ©etegenl^eit ber großen 9ftebe, treidle Sla^joleon nac^ 



■ I 



mhimit. 277 



ber SlüdHunft aug Statten l^ielt, il^n auf fpanifd^ gefragt l^abe, 
tüie er bie SRebc finbe. „^ä) anttportete" , fd^rcibt er, „um bcn 
2;aft beg §ofmann§ mit Slufrid^tigfeit ju üereittigen: Muy nece- 
sario! [fel^r* notttjenbig]." 

S5er S;rieb ju rücf ftd^t^Iofer Dffenl^eit tourbe bei SRirimfe 
. t)on h^m ©tolj uttb ber ©d^üd^teml^eit feinet ßj^arafterö toieberum 
ftar! »gel^emmt ©r l^atte frül^ gelernt, ba| ber, tücld^er mit 
feinem ®efül^föleben naiö t)or bie £)ffentüd^feit tritt, fid^ nid^t 
allein ben ©pöttem prei^giebt, fonbtm ba^ SWitgefül^I unb bie 
Familiarität beg ®eftnbefö l^erauöforbert; er toar fd^on afö 3üng* 
ling cntfd^Ioffen, fein §erj nid^t ben ^unben öorjun^erfen, @r 
brandete nid^t einmal fo mifetrauifd^ ju fein, tüie er e§ n^irflid^ toax, 
um ju erfennen, ba§ feine Umgebung, n^eld^c fo finbüd^ unb bieber 
i§re ©efül^te jur ©d^au trug, in ber Siegel fel^r gut njufete, tt)ag 
fie tl^at unb toarum fie eg t^at SBer auf bem großen SBeltmarft 
feinen Sbelmut, feine emfte (Sefinnung, feine Siebe jur ©ittlid^f eit 
unb Sieligion, feinen 5ßatrioti§mu§ u. J» to* aufrief, fd^ien il^m 
immer nad^ SSeifaH ju angeln ober ein gute^* (Sefd^äft mad^en ju 
njoöen. 3l^n felbft leierte ja bie ©rfal^rung, n^ie gut e§ fid^ in ber 
Siegel lol^nt, erl^abene (Sefinnungen unb toarme ©efül^Ie ju äußern, unb 
eg tourbe il^m f d^toer, Untoiff cnl^cit über bief e 2;i^atf ad^e bei bm Slnberen 
öoraugjufegen. @r fonnte fid^ jebenfalls nid^t baju bequemen, e^ 
i^nen nad^jutl^un. @r geprte ju ben Slaturen, bie e§ feft in fid^ 
üerfd^Iießen, baß fie bie 2;ugenb lieblid^ unb ba§ Safter dbfd^eulid^ 
finben, unb bie außer ©taube finb, „ba§ ®nk, SBal^re unb ©d^öne" 
afö eble§ Kleeblatt jU befingen. Um jeber ®emeinfd^aft mit ben 
bered^ncnbcn ®efül^I§menfd^en ju entgelten, um btm ^jrofanen 
Raufen bcn ©inblidf in fein intime^ ©efül^töleben ju toel^ren, oer^* 
ftedtte er ba§ SSibricrcn feineö ©efül^te l^inter ftal^Iglatter 3ronie 
toie l^inter einem ^aujer, @r tooHte lieber fd^Ied^ter fd^einen, aU er 
toar, tf)' er fid^'ö gefallen ließ, für ein 2;ugenbmufter ju gelten* 
3n biefem ©treben arbeitete er fo fel^r an fid^ felbft, baß bie ein^ 



278 ^ Die rotnanttfd)e 3it)uie in iratthretd). 



fad^e, urfprünglid^c SRatürlid^Jeit fcitieS eigenen SBefenö i^m ah 
^anben fam; an i^re Stelle trat ein jn^ar nod^ immer natürlid^er, 
aber raffiniert einfad^er ©mnbton. 3n „Le Vase ötnisque", ber= 
jenigen öon feinen ©rjö^Iungen, bie ben beften (Sinblid in ba§ 
urfprünglid^e SBefen feinet ®emüteg getüäl^rt, l^ei^t e§ t)on ber 
§au^tperfon Saint ^ßlair: „@r toar mit einem järtüd^en nnb. 
üebenben ^erjen geboren; aber in einem Sllter, in tüeld^em man 
nur ju leidet ©inbrüdfe aufnimmt, bie ba§ Seben l^inburd^ dauern, 
l^atte feine aKju lebhaft fid^ ' äu^ernbe ©enfibilität il^m ben Spott 
feiner ^ameraben jugejogen. @r toar ftolj, el^rgeigig; er l^ielt auf 
bie 2Reinung Slnberer, tnie Äinber ju tl^un ^Jftegen. Seit biefer 
3eit mad^te er fid^'ö jur Slufgabe, jebeg äußere S^i^^^ i^\]t% 
toa^ er aU eine entel^renbe Sd^n^äd^e betrad^tete, ju unterbrüdEen. 
@r erreid^te fein Ski, aber ber Sieg fam i^m teuer ju ftel^en. 
@r fonnte ben Stnbem nid^t verbergen, toa^ in feiner aHju jart 
befaiteten Seele tJorging; aber inbem er feine (Semütöbetüegung ju 
be^njingen fud^te, würbe biefelbe nur nod^ taufenbmal ^jeinlid^er 
für il^n. 3m gefeHigen SSerfel^r ertüarb er fid^ ben traurigen ?Ruf, 
gefiipog unb leid^tfinnig jU fein, unb ujenn er aKein n^ar, fd^uf 
feine unrul^ige Sinbilbung^fraft il^m Dualen, bie um fo fd^recf; 
lid^er n^aren, al§ er fie SKiemanb anvertrauen mod^te." — 6§ ift 
unmöglid^, in biefer ßl^arafterifti! eine birefte, nur tirva^ ju 
meland^olifd^ gefärbte, Selbftfd^ilberung nid^t ju erfennen* 



XXII. 

Sn feinem neunjel^nten Saläre lernte SR^im^e im @a(on ber 
gtou 5ßafto ben jtüanjig Sa^re älteren ^enri Se^Ie !ennen. ^oU 
toenbigernjeife mnfete biefer einen Bebeutenben ©inftufe auf ben 
jüngeren ©eifte^öertuaubten au^üBen. (S^ ift jtüar nid^ mögfid^, 
biefe ©inn^irfung bireft nad^jutüeifen, ba SR^rim^e, Beöor er bie 
Sefdnntfd^aft S9e^Ie'§ mad^te, nid^t^ gefd^rieben l^ot; toenn mon 
aber bie SBerfe ber Beiben ©d^riftfteKer öergleid^t, finbet man 
eine auffattenbe Übereinftimmung i^rer* ©igentümlid^feiten« S)er 
SSergleid^ ift um fo lel^rreid^er , atö burd^ i^n bie ©igenart 
5ßrofper S0iä:imte'§ am fd^ärfften l^erüortritt ®a§ SK^rim^e aud^ 
S5et)Ie Beeinflußte, l^alte id^ für aBfoIut au^gefd^Ioffen, eg fei benn, 
ba§ man unter ©inftuß ein SÄitteilen rein äußerlid^er SJenntniffe 
öerftel^e; in biefem gaU tuäre Se^Ie fidler ^iximit für mand^en 
funftl^tftorifd^en SBin! 'in „Memoires d'un Touriste" öerpflid^tet» 
®od^ im übrigen n^ar SBe^Ie offenBar berjenige, beffen (Seift 
reifer unb mel^r in fid^ aBgefd^Ioffen tüar. SBenn bal^er ber 
jüngere ber Beiben i^xtunbt in feiner biogra|)l^if d^en ^lotij üBer ben 
älteren öor aKem l^erüor^eBt, ba§ fie tro| il^rer greunbfd^aft il^r 
ßeBelang !aum jtüei Sbeen gemeinfam gel^aBt, fo ift biefe augen^ 
fd^einlid^e ÜBertreiBung öermutlid^ burd^ ben SBunfd^ üerurfad^t 
toorben, bie nal^eliegenbe 9lu^antt)enbung feiner eigenen Sinterungen 
über 93et|Ie auf il^n felBft aBjutüel^ren. 

S5et)Ie unb SRftrim^e gteid^en . einanber t)or allem in il^rer 
Siebe jum 2:^atfäd^fid^en, 3eber, ber 3R^rim& gelefen, mi% baß, 



280 Sie tomantift^e 3(^ttie in iconkceü^. 



toag er fd^ilbcrt, bie nadftc SBegcbenl^cit tft, bie ftd^ genau öcr== 
folgen läfet, bie fd^arf gejeid^nete S^l^atfad^e. @r gefielet fctbft in 
bcr SSorrebe ju feinem SRontan „Chronique du rögne de Charles IX", 
bafe il^n in ber ®efd^id^te nur Slnefboten intereffieren, unb unter 
biefen jog er biejenigen bor, toeld^c ein S3ilb öon bm ©itten unb 
e^arafteren eineg gongen QzitoÜa^ gaben. ®enau bagfette läj^t 
fid^ t)on S5e^Ie fagen. 3a, man fann ht^aupttUf ba^ bie Slnefbote Bei 
il^m bie natürlid^e gorm feineg ®ebanfeng ift: er benft in Slne!botcn, 
in änefboten malt er bag Snbiöibuum, burd^ SBiograpl^ieen fd^ilbcrt 
er eine ©pod^e. ©ein §a§ gegen baö UnBeftimmte fül^rt il^n ju bef== 
jenigen gorm l^iftorifd^er SiarfteHung, toeld^e il^m bie fonfretefte ju 
fein fd^eint: ju ber noüeKiftifd^en ©rjäl^Iung einer Sl^atfad^e, bem 
obieftiü l^ingefteöten Keinen S)rama. S)ie fo öon il^m erjäl^ften Slnd^ 
boten finb in il^rer* marfigen Sürje padfenb, niemals aHtäglic^, 
ftetö ein Bejeid^nenber Sluöbrud! für bag SBefen bet ©ad^e. Snfo= 
fem l^at SR^rim^e große S^nlid^feit mit il^m; unb toenn ein mobemcr 
3)id^ter, einer ber wenigen Sieutfd^en, todd^t Se^Ie lieben unb 
fd^ä^en (^aul |)e^fe), in einer feiner SRoöeHen beffen für je itolie^ 
nifd^e (Sefd^id^ten loBt, „bie ftarlen, rüdffid^t^lofen Äeibenfd^aften 
ol^ne jebe ©elbftf auf d^ung , mit einer — falten ober l^eißcn — 
Unbebenflt^feit big auf« äReffer/' fo ift biefer STuafprud^, SBort 
für SBort, aud^ auf SR^rim^e'g SWoüeHen antoenbbar. 

SKid^tSbeftotoeniger l^at bei Söe^Ie unb SWirimfe ber not)eniftifd^e 
©toff , ben fie bel^anbeln, einen f o öerfd^iebenen ©inn, bajg man unfd^toer 
entbedft, tt)o ber @influ| be^ älteren ©d^riftfteHerg auf ben jüngeren 
feine ©renge l^at. SBe^Ie'g öorl^errfd^enbe ©igenfd^aft ift baS SSeftröben, 
allgemeine 3been ju bitten, j^üx U)n ift ber ßl^arafterjug in ben 
93egebenl^eiten immer nur ein Seifpiel, tüdi)^ ein pf^d^ologifd^ 
®efe^ iHuftriert, immer nur ein ©pejimen eineg allgemeinen @e« 
feUfd^aftgjuftanbeg ober einer Jftaffeneigentümlid^feit, bie barjufteDett 
er fid^ angelegen fein läßt SBenn er j. 83. fein SBud^ „De ramoui** 
mit Slnefboten überfüßt, gefd^iel^t eg nur, um auf eine einbringlid|e 



Bct)le ttttb m^tfnile. 281 



uttb proftifd^e SBcife ju crflärcn, toa§ er mit ben öerfd^'icbcnen 
Slamen meint, bie er ben SlBarten be^ ®efül^Ie§ unb ben @nt== 
njidelungSftufen biefer SSarietäten gieBt» 3)amit ber ßefer feine^ 
©d^lu^folgerungen leidet faffe unb gelten laffe, liefert SBe^Ie fein 
3KateriaI in Slnefboten. 3n feiuen ?ftomanen toirft biefe. Steigung 
gu öerattgemeinem faft ftörenb« Slttjul^äufig toirb bem Äefer er^ 
Märt: „@o unb fo l^anbelte fie, toeit fie eine Stalienerin toar, eine 
tJranjöfin ttjürbe natürlid^ -fid^ ganj anberg benommen f)dbm/* S3ei 
äR&imie finbet fid^ niemals eine ©pur t)on ettüa^Sl^nlid^emrnirgenb^ 
JReflejrionen ober ©igreffionen, fonbem ftrenge ©enauigfeit unb 
SBeftimmtl^eit in ber ©arfteUung beg gaftifd^en; barüber l^inau^ 
9lid^tg. §at er fid^ fein ^uriofum gen^äl^tt — am l^äüfigften 
irgenb einen Überreft t)on SBilbl^eit primitiver Sitten, tneld^er 
i§n in ber ©egentüart; anjiel^t, n^ie eine alte SÄebaiKe unter 
ben l^eute gültigen ©d^eibemünjen ben ©ammler ober toie ben 
9leifenben ein alteg ®ebäube inmiften einer mobemen ©tabt — 
t)ann l^anbelt eg fid^ für il^n einjig barum, ba^fette auf möglid^ft 
auffaEenbe SBeife über ba^ dttgemeine SRiöeau ber gl^^d^l^eit unb 
Seere unferer 2^age ju erl^eben. @r rei^t aHe§ Söein^erf nieber, n^ag 
ia^ merftoürbige Überbteibfet aug ber SBorjeit l^inbern fönnte jur 
Geltung ju fommen; aber e^ auf ben allgemeinen S3egriff — e§ 
fei nun ein fojialer, religiöfer ober poütifd^er — beffen ©pur eg 
an fid^ trägt unb öon btm e§ ein fpejieKer g^K ift, jurüdf jufül^ren, 
bag föHt il^m niemafö ein. S5er 3;otaIüberbIidf pa^t nid^t für il^n; 
bie SBogeIperfpeftit)e überlädt er Slnberen. 3l^n intereffiert irgenb 
ein Unifum, ba§ er in ber SBirflid^feit gefunben; er jeid^net e§ 
<A unb pfet il^m . toäl^renb ber SReprobuftion etn^ag üon feinem 
eigenen Seben ein; aber er l^ält ben j^aü atö Unifum feft tiefer 
reaüftifd^e 3ug in feiner 2)arfteHung§toeife jeigt fid^ aud^ bei feiner 
^ffaffung öon fremben SBerfen; man merft il^n j. 83: , n^enn er 
(in feinen „Portraits historiques et littöraires") gegen jjegfid^e 
f^mbofifd^e Slu^Iegung be§ .S)on OuiEote eifert, in toeld^em er 



282 I)te romantifdie 34)ttlt in Ixankttxi^. 



burd^aüö nidft^ Slnbcte^ ate eine ^arobie ber 9litterromane feigen 
n)ill. „Sa§t", fagt er, ,,pebantifd^en beutfd^en 5ßrofefforen ba^ 
iBerbienft, bie ©ntbedfutig gemad^t ju l^aben, ba§ ber Siitter öon 
la SRand^a baö ©timBoI ber 5ßoefte, fein SBaffenträger bagegen ba§ 
ber 5ßrofa fei; ein Äonnnentator toirb immer in ben SBerfen eine§ 
genialen SWanneö taufenb fd^öne Sntentionen entbeden, an ttjelc^e 
biefer nid^t badete." SBie üiel feiner fagt bagegen ein Äritüer 
tt)ie @ainte==83ent)e üBer S5on duifote: „3)iefeg S3ud^ toar eine 
©elegenl^eitgfd^rift mb ift ein aSeltbnd^ geworben» ©§ f)at fid^ für 
immer einen 5ßla^ in unfer Silier ^l^antafie eroBert, Seber fiefcr 
l^at nad^ Suft nnb Saune baran mitgearbeitet unb l^at fid^'S na^ 
feinem ®efd^madf jured^tgelegt 6ert)dnteg badete nid^t boran, aber 
tüir tl^un eg. 3eber öon unS ift ben einen Sag S)on Quijotc, 
ben anbern ©and^o ^anfa« SRel^r ober weniger beutlid^ finbet fi^ 
bei 3ebem biefe SSerbinbung be§ exaltierten Sbeatö mit gefunbem 
3Renfd^ent)erftanbe, ber fid^ an bie @rbe l^ält. Sei SBielen ift el 
fogar nur eine S^age ber Qtit, man fd^Iäft aU 2)on Duiyote ein 
unb ertuad^t al^ ©and^o ^anfa." S3et)Ie ^ätte biefen @a| getroft 
unterfd^rieben ; SR^rim^e toürbe bie @d^eu öor aHgemeinen Sbeen 
baüon abgel^alten l^aben. 

S3et|Ie unb SÄ^rim^e l^afeten, übereinftimmenb in il^rem ^ang 
jur SBirMid^feit unb in il^rer SBorliebe für tnop^ft gorm, bie 
ftaffifd^e Jranjöfif d^e SRI^etorif in gleid^ l^ol^em ®rabe, ja mei^r al^ 
bag, fie unterfd^ieben fid^ t)on faft allen jeitgenöffifd^en 9tomantiIent 
bdburd^, baß fie jene Sll^etorif nid^t burd^ S^ri! erfe^en tooQten. 
Se^Ie l^at nie einen 3Ser§ gef daneben; il^m mangelte ba§ ©e^ör 
für ben einfad^ften mßtrifd^en SRl^^tl^mug; bei aller ©d^ttJärmerei, 
bie er fid^ einbilbete für bie italienif^en^id^ter ju l^aben, be* 
trad^tete er bie metrifd^e gorm al§ bloßem ®ebäd^tni§mittel unb 
fonb fie abgefd^madft, n^enn fie nid^t jum Slu^tnenbiglemen einer 
aSSortreil^e biente. Sine^ öl^nlid^et; UntüiHen gegen bie SSer^form 
begegnen n^ir aud^ bei SWftrim^e» Sr l^at eine fold^e ©d^eu öor 



Betjle ttttb Mhimit. 283 



ber meid^Iid^en , fd^njärmerifd^en SRuft! be§ Slcim§, ba^ bie jal^t 
retd^en ©ebid^te, bie in feinen SBerfen öorfonimen, ol^ne Slu^nal^nie 
in 5(?rofa gefd^rießen finb; ja, er opfert fogar bei ben öon il^in äber= 
festen ©ebid^ten el^er beren d^arafteriftifd^en Sleij, ote ba§ er fie in 
gebunbener 9ftebe tuiebergiebt, 2)ie SBemtntnng liegt nal^e, er l^abe 
fid^ nid^t jngetrant, bie metrifd^e gomt bel^errfd^en jn fönnen« 3d^ 
glaube jjebod^ el^er, ba§ fein ©tolj ju entpfinblid^ toar, um ein 
©ebid^t fremben Singen au^äufe^en unb Äriti! barüber ju ertragen. 
S)a er, tuie bie ,,93riefe an eine Unbefannte" betueifen, imftanbe 
toaVf englifd^e SSerfe ju fd^reiben, tnirb e§ i^m faum an ©prad^- 
fertigfeit gefel^It l^aben. Stber er enttt)idEeIte biefe göl^igfeit nie; 
fein UntüiKe gegen ^erjen^ergüffe , feine gro^e ©d^üd^ternl^eit 
führten ba^felbe 9ftefultat l^erbei toie bei SBe^Ie ber SRangel an 

^oä) SR^rim^e gel^t in biefem 5ßun!te fotnie in anberen nod^ 
toeiter al§ fein Seigrer. Sluf beut ®runbe öon Se^Ie^g @eele tag 
ein I^rifd^er |)ang; berfelbe !ani jum Slu^brud^ in feiner l^att= 
nädfigen @d^tt)ärnierei für 5Wa|)oteon, für Stauen, für ba^ fed^jel^nte 
Sal^rl^unbert, für ßimarofa unb SRoffini, ßorreggio unb ßanoüa, in 
aßP btn ©upertatiöen, tuomit feine i^tbtx nid^t n^eniger freigebig tuar 
atö biejenige -SBaljacg. SR^rim^e bagegen begnügt fid^ nid^t bamit, 
bie I^rif d^e gorm au§ feinen SBerfen ju öerbannen ; er üerjid^tet auf 
bie S^ri! an unb für fid^; fein SBefen ift bi^ an ben ^ate juge^ 
fnö^jft, S5ie ^rofa, tüeld^e er fd^reibt, ift bie am tt)enigften Itjrifd^e, 
bie e§ giebt. SBenn ber alte ©prud^: „Dl^ne ß^rif fein S)id^ter!" 
toal^r tüäre, müßte man äß^rim^e ben Flamen eines ®id^ter§ öer- 
n)ei9em; 

Saffen tüir einen Slugenblidf ben SBergleid^ mit Se^Ie unb be* 
trad^ten tt)ir, um ben öoHen SinbrudE t)on SR^rim^eS bid^terifd^em 
^ofitiöiSmuS ju gen^innen, feine Srääl^Iungen neben ben um bie- 
felbe 3^tt erfd^ienenen SrftlingStnerf en (äeorge @anb§ ! Dbtöol^I ba^, 
n)a§ in beren Sudlern bargefteßt tüirb, etn)a§ ganj ObjeftiöeS ift, 



284 



)Die romantift^e Sd^ule in itanktetd). 



bag ScBcn bc3 jungen n)eiBKd^en ^erjcn^, nn6etouJ3te Äcufc^l^eit, 
ba^ SBcbürfni^ ber Eingebung unb bie ©m^fängUd^fcit für bie 
Äcibenfd^aft, ttjcld^c feine grau öor il^r mit fold^er ®eifte§überlcgen* 
l^cit uns entJ^üHt l^atte, f o l^at bie SSerf afferin boä) in ben Siefen tl^rer 
©eele eine ©ad^e, toofür fie fid^t: fie f)at eine Unbill ju röci^ett, 
einer ©rbitterung genug ju t^un; fie fielet bie Seiben be§ toeibKd^ 
®t^d)kd)tt^ nid^t al^ t&f)k ^eobad^terin an; fie fud^t nid^t ju 
öcrl^el^Ien, bafe il^r §erj geblutet l^at. SW^rimfe bagegen l^ot feine 
©ad^e, feine 2;i^eorie, nid^t bie Icifeftc ^joütifd^e ober f oktale %tn^ 
benj, @r fd^toärmt für 9lid^t^ unb glaubt an 9Kd^tS, an fein 
pl^ilofopl^ifd^eg ©Aftern, an feine ©d^ule in bcr Äunft, an feine 
Äel^re ber ^Religion, faum an einen gefd^id^tlid^en go^^ri*** Sn 
feinem toeltmännifd^en ©feptijtgmu^ öerl^äß er fid^ aßen fWefor^ 
matoren, SWiffionären, SBeÖöerbefferern unb aSon^begÜidEem gegen- 
über able^nenb; er läfet bie grage unbeanttnortet, ob er mit il^ren 
99eftrebungen einöerftanben fei; er l^at taube D^ren für fie. ®eorge 
@anb jeigt, toa^ bie franjöfifd^e @^e ift, unb fragt mit bebcnber 
Stimme il^r^ublifum: „SBa^ fagt 3l^r benn, fann fold^eö gcbulbrt 
toerben?" 3Kfoim^e fd^reibt „La double Meprise" unb fd^ßc^t bie 
©rjäl^Iung, ol^ne eine SWiene ju öerjiel^cn. 

SSott il^rer tiefen ®emüt§bett)egung au^rul^enb, toenbet ®corge 
©anb fid^ bem ^jrimitiö SWenfd^Iid^en ju unb jeid^net in einfad^en, 
großen Sügenbalb, toie in „3Äau^)rat", bie SRad^t unb ba^ ®IM 
treuer Siebe, balb, toie in ben Sauemerjäl^Iungen ober tote in 
„Jean de la Eoche" ba§ angeboren ©bfe ber SRenfd^ennatur in 
einfältigen unb ergreifenben Sbealen. SÄ^rim^e glaubt nid^t an 
ba§ Sbeal unb l^at fein SEalent jur Sb^He. Über aßen feinen 
Söilbem liegt ein bunfler, bräunlid^er Jon; ber Sluffd^njung bes 
§erjen§ ju einer Sleinl^eit, bie e§ liebt, ober jü einem ^elbenmut, 
ben e§ bctt)unbert, ift feiner S!unft fremb. 3n ber SEiefe il^reg ©er jen§ 
ift ©eorge ©anb St)rifer. £)h fie @ro^ jum ^efben i^reö SBerfes 
mad^t, il^m jebeg Siedet einräumt unb i^re ganje ©^ntpatl^ie fc^enft, 



3Bet)le unb Miximk. 285 



felbft toenn er eine Untoürbige befeelt (mie in bem merftoürbigen 
9toman „ValvMre"), ober ob fie über ben 9Kut, bie 6l^ara!terftär!e 
ber beften il^reg eigenen ®efd^Ied^te§ l^ingeriffen n^irb — immer teilt 
fie fettft bie ©etnütgbetnegnng il^rer 5ßerfonen, fie (ebt in einem 
Sumult med^fetnber Stimmungen, jubelt, toeint, feufjt unb lad^t« 
äRWm^e bagegen !onjentriert feine ©enfibiütät fo ftarf toie möglid^ 
unb gebietet bem in feinem l^er^en öerfd^Ioffenen ©efül^I ©d^toeigen, 
ha^ abfolute ©d^toeigen eineg QtamQt^an^mtn. ®ireft barf e§ 
fid^ nid^t mitteilen, nie fprid^t e§ unmittelbar in feinem eigenen 
SRamen; nur inbircfte Dffenbarung burd^ ööHig öeranttt)ort= 
lid^e 5ßerfönüd^feiten n^irb il^m geftattet ^ierburd^ erreid^t ber 
2)id^ter, ba§ bie ^l^^fiognomieen biefer ^^erfönlid^feiten Umriffe 
öon einer feiten ober nie gefel^enen ©d^ärfe erl^alten, unb ba^ jene 
bie fürjefte unb feäftigfte ©prad^e reben. @o l^at fein (Sefül^I, 
je inniger unb järtüd^er e§ urfprilnglid^ toar, eine um fo ftoljere 
Haltung nad^ au^cn l^in erreid^t SÄ^rimfe fd^ilbert nid^t einmal 
bei ber grau ba§ im engeren ©inne SBeiblid^t Se^Ie, in biefem 
fünfte fo ganj entgegengef e^t , mad^te in einem feiner SJriefe 
treffenb gegen il^n geltenb, ba§ feinen Slomanen „bie järtlid^e 
ijein^eit" mangele«^ ©eine grauengeftalten finb in il^rer Seiben= 
■fd^aft männlid^ unb fonfequent, faft ol^ne Slu^nal^me 6l^ara!tere; 
felbft bie leid^tfinnigften unter il^nen gelten mit ©tanbl^aftigfeit in 
ben 2^ob (Slrfene (SuiHot, Sulie be ßl^aöernt), ©armen), Seine 
öon il^nen l^at ben an Sorreggio gemal^nenben ©d^melj, ttjeld^en 

89e^Ie feinen n^eibüd^en giö^^^i^ P 9^^^ öermod^te, 

S33enn Se^Ie mel^r Itirifd^ ift at§ SÄfoim^e unb einen tieferen 
©inn für ba§ SBeiblid^e befi^t, fo beruf)t bie§ öorjug^eife barin, 
baß er im ®runbe feiner ©eele ein pfiantafiereid^er Sntl^ufiaft 
ttjar* 3D?an brandet bei il^m nur ben SBerftanbeSmenfd^en db^ 

jufc^älen, fo fommt ber ©ntl^uftaft jum SSorfd^ein, ®arum 

« 

* „Souvent vous ne me semblez pas assez d^licatement tendre; 
or il faut cela dans un roman pour me toucher." 



286 X)it Tomanttft^r $d)uU in irankrrld). 



fd^ilberte S3el)Ie and) fo gerne bie Söegeifterung, ipäl^rcnb fein ©toff 
^iximit ferner liegt äßan öergleid^e fie j. 83. aU ©d^Iad^ten^ 
maier, man l^alte bie Beiben Beften ©d^Iad^tengemälbe in $rofa, 
bie eg überl^am)t giebt, gegen einanber — Wlinmit*^ berül^mte^, 
nur tt)enige Seiten umfaffenbeä „^k Srftürmung ber ©d^anje'^ 
unb SSe^Ie'ö nid^t toeniger berühmte Sd^ilberung ber Bd)iad)t öon 
SBaterloo. 2)er Unterfd^ieb ift ein frappanter: bei 99e^Ie bie SBe- 
geifterung eineg 3üngüng^ für 9lapoIeon, mit mifber Sronie unb 
bennod^ mit lebhafter ©timpatl^ie bargefteHt; bei SK^rimee mir bie 
büftere, traurige Seite beg Stampfet, ber l^alb med^anifd^e (Sturm 
auf eine Sieboute; ber ^ieg aU Srieg ift e§, n^eld^en er ol^ne 
SRüdEfid^t auf SSaterlanb^Iiebe, SBegeifterung ober irgenb tt^eld^es 
anbere l^öl^ere SKotit) afe bag beg @oIbaten=@toiji^mu§ unb ber 
Slu^fid^t auf SSeförberung mit fo fefter Sünftlerl^anb malt n>ie ein 
®^r6me. 

S5e^Ie unb SW^rim^e ftimmen jufammen l^infid^tlid^ il^rer innere 
l^alb ber romantifd^en Sd^ule befonberen Haltung gegenüber ber 
Sieligion. Sie franjöfifd^en Jftomantifer ftanben \a urfprüngfic^ 
ebenfo toenig toie bie- beutfd^en in einem feinblid^en SSerl^ältnis 
jum Satl^oIiji§mu§. ©inige unter i^nen toaren t)on Slnfang an 
gläubig, bie S3ejiel^ungen ber Übrigen jur ^Religion n^aren bie ber 
^^ietät ober ber ®Ieid^güttigfeit. 2R^rim^e toar, gteid^ 93e^Ie, öom 
erften ©d^ritt an grunbl^eibnifd^ in feinem ©ebanfengang unb ®e= 
fü^töleben. ©eine g^eibenferei l^atte einen leibenfd^afttid^en ßl^o^ 
rafter* QtJDax tvax er nid^t nait) genug, um, toie 93et|Ie, eine Sfrt 
t)on 5^i^^f^öft 9^9^^ ^^^ perfönlid^en ®ott ju liegen, aber er 
teilte Söe^Ie'g Slbfd^eu üor ben 9iepräfentanten ber Sieligion. 3n* 
beg fam ber UntoiKe gegen ba§ ßl^riftentum bei il^m nid^t fo 
bireft ju SBorte atö bei %^Ie, ber fid^ jeben Slugenblidf öerrät 
Sr ]^a§t ben ^atl^oIijigmu§ nid^t toie jener, fqnbem er läd^elt 
über il^n. 5WiemaI§ lä^t er mel^r afö eine fjingerfpi^e au§ feinem 
fd^toarjen ©omino l^erüorfefien* ©^ amüfiert i^n; verliebte 5ßfaffen 



Bct)le utib Mitxmh. 287 



in fd^übem, unb tüenn eine biefer 5ßerfonen öon bcr 2^aufe, bcr 
Seid^te ober anbern religiöfen Zeremonien fprid^t, fd^icft er ber Siebe 
gern bie ^arentl^efe öoran: („im tiefften 9iafenton")» ^öd^ftenö 
briirft er fid^, totnu er in feinem, eigenen Flamen fprid^t, öorfid^tig 
unb leidet ironifd^ au§ tuie in bem folgenben 5ßaffu§: ,,2)a§ 83ud^, 
njeld^eg grau üon ^ienne^ nal^m, toax ein ©ebetbud^ ; id^ toiK ben 
Site! be^fetben nid^t nennen, erften§ um bem SBerfaffer nid^t Un= 
red^t ju tljun, jtneiten^ toeil man mir öietteid^t ben SBorttJurf mad^en 
toürbe, irgenb einen bo^l^aften ®d^tu§ über biefe Slrt öon SBerfen im 
allgemeinen jiel^en ju ttJoKen. @g genügt ju jagen, ba^ befagte^ 
33ud^ öon einem neunäel^njäl^rigen jungen SÄann öerfa^t unb be= 
ftimmt njar, öerl^ärtete ©ünberinnen in ben SÄutterfd^ofe. ber ^rd^e 
äurüdEjufül^ren, ba^ Slrfene fef)r ermübet toar unb in vergangener 
9?ad^t fein Sluge gefd^Ioffen l^atte. 3H§ ^agina 3 öorgelefen tourbe, 
begab fid^, n)a§ bei jebem anberen SBer! ebenfo unöermeiblid^ 
eingetroffen fein ttjürbe: Slrfene fd^Io§ bie Singen unb fanf in 
©d^tummer/' 

3>er ^aupturiterfd^ieb gtoifd^en 93e^Ie unb SR^rim^e liegt l^ier 
toieberum barin, ba§ SBe^Ie öief toeniger f!e^)tifd^ toar aU ^Ritimk. 
Sener tnar ein SRateriafift aug ber Sd^ule 'ber ©nc^Mopöbiften unb 
afö fold^er bogmatifd^, boftrinär. Sr l^atte feine 5ßl^iIofopl^ie, an 
bie er glaubte: ben Spifuräi^mug ; feine SÄetl^obe: bie pf^d^ologifd^e 
Slnal^fe; feine Sieligion: bie SBergötterung ber ©d^önl^eit im ßeben 
toie in ber SRufü, ber Sitter atur unb bilbenben ^unft SR^rimte 
^at feine 5ßl^iIofopl^ie — man !ann nid^t tt)eniger boltrinär fein atö 
er mit feiner l^alb ftoifd^en, l^atb ffeptifd^ genu^füd^tigen ®emüt§* 
ftimmung e§ ift; er l^at feine Sleligion, er betet SWid^tö an. @r 
I)ütet fid^ enbttd^ öor ber SBegeifterung toie t)or einer ^anfl^eit. 
3Kan fül^ft ba§ red^t fd^tagenb, ttjo er in feinem großen 3luffa| 
über ©rote'g „(Sried^ifd^e (Sefd^id^te" auf bie Sd^Iad^t bei 2;i^er^ 
mop^tä unb auf Seonibag ju rebeit lommt. @r erjäl^It, ba^ er 
fetbft einige Saläre juüor brei 2^age bei 2]^ermop5lä öerbrad^t, unb 



288 Sie romantifdie ^d^ttie in ironkteii^. 



gcftc^t, ba^ er, „fo profatfd^ er and) fei", nid^t ol^ne innere SBe^ 
loegung ben fleinen lifigel erHomnten f)abc, too bie legten ber 
S)reil^unbert ftarben. Snbeg Iä§t er fid^ nid^t öon biefer ©tinranmg 
überwältigen* @r f)at bie ^ßfeiljpi^en ber ^erfer unterfud^t unb 
gefuttben, ba| fte an^ geuerftein waren; ben ©nro^Jäem gegenüber 
feien biefe Slftaten ate arme SBilbe ju betrad^ten. SBenn man Ur* 
fad^e l^abe, fid^ über ettoag ju öertouiibem, fei eg, ba^ fte übcr^ 
^am)t burd^ ben ^a§ brangen. Sr fritifiert Seoniba^: bie|er 
^anbelte fef)r unKug barin, ba§ er fid^ felbft anf ben nneinne|in= 
baren ^ßoften fteHte unb ben anberen toeniger fd^tner ju öerteibigcn- 
ben ©ngpag einem Feigling überlief. ®ett)i§ — er ftarb als 
|)elb ; aber man fteHe fid^ , wenn möglid^ , feine SRüdHunft nac^ 
Sparta üor, nad^bem er ben SSarbaren ben ©d^Iüffel ju ^M 
auggeliefert ^atte* • 

S)a§ 9ftefultat, ju bem aRfoimfe gelangt, ift alfo, ba^ §erobot 
bie ®efd^id^te afe $ßoet erjäf)It ^at, unb jtoar ate ®ried^e, ber öor 
allem bag @d^öne reliefartig l^eröortreten laffen will; fd^Iie^Iid^ wirft 
er bie g^^age auf, ob bie giftion l^ier wol^I me^r wert fei al§ bie 
SQSirflid^feit Unter l^unbert SÄenfd^en würben barauf neununbnemijij 
ol^ne 83eben!en mit „3a" antworten — SR^rimie tl^ut e§ nid^t 3)ie 
l^iftorifd^en Sragöbien ber jüngften SSergangenl^eit öor Stugen — e§ 
war im3al^re 1849 — antwortet er: „SSieKeid^t; aber gerabeburt^ 
btn 2Wi|braud^, ber mit 2^]^ermopt|Iä getrieben würbe, burd^ bie 
9Sorf Siegelung, wie leidet eg fei, bajg breil^unbert freie aRoniier 
brei SRillionen ©Hauen befämpften, brad^ten 3talien§ SRebner bie 
^ßiemontefen baju, fid^ allein in einen Srieg mit ben Öfterrei^em 
ju ftürjen." 3Ran öergleid^e mit fold^er ©fepfig SW^rimfe'^ bie 
innige Xreul^erjigfeit, womit Söe^Ie bie unjuüerläffige ßl^ronö über 
95eatrice ßenci fopierte. 

5Bie Qdt um 1830 war bie ©pod^e, in weld^er granfreic^^ 
t)omef)mfte ©d^riftfteßer befonÖerS öor bem SJ^auöini^mug- auf 
i^rer ^ut waren. S3e^Ie unb SR^rimfe repräfentieren beibe in be^ 



Betjle ttttb Mhdmit. 289 



fonberg l^ol^cm ®rabe bie Dppofitton gegen bie 3laixomteMttit Sn 
Sctjle'g SRunb flingt ba§ SBort „franjöftfd^" faft toie ein @(^tnn?f- 
toort; er pflegte t)te fj^^njofen fpöttifd^ „les vainvifs" ju nennen; 
3n feinen Sudlern toimmelt eg öon Sln^föHen tnie biefer: „(Siebt 

• 

eg etttja^ Äomif d^ere§ , al§ einem 5ßarifer ßl^araftertiefe jujn== 
trauen?" @r nennt fein SSaterlanb „baS pfelid^fte Sanb auf ber 
SBelt, todä)t^ öon Sinfdt^pinfeln afö bää fd^öne granfreid^ be^ 
jeid^net toerbe*"^ SBir feigen, bai§ er jufe^t fogar feine Slationalität 
üerteugnete« SWfoimte, ber für fpanifd^e ©itten ungef äl^r fo fd^tpärntte 
wie 93e^f e für bie itatienif d^en , bef a§ ben urf prilngtid^ romantif d^en 
^ang jum gremben, ium ©jotifd^en; aud^ er erblidEte, ganj toie 
ber ältere g^eunb, einen ^auptjug be^ franjöfifd^en ßl^arafterg in 
bem beftänbigen Sld^ten auf ba§ Urteil- be8 SRäd^ften (le qu'en 
dira-t-on), biefer beften ©runblage für bie gefeUfd^aftlid^e ^eud^elei, 
ttjoburd^ alle Originalität verloren ge^e unb ba^ Seben freublo^ 
merbe« Überl^au^jt fd^ä^te er feine Sanb^teute äiemtid^ gering 
unb gab fid^ feine SWül^e il^nen bag ju verbergen. Slber er 
enbete bamit, umgefel^rt tnie S3et|Ie, fid^ junt alten ©üangelium be§ 
5ßotriotignm§ ju befennen. 6^ fiel il^m nid^t leidet, benn er 
^afete bie patriotifd^en 5ßl^rafen öon ganger ©eele. 9iid^tg ®eringere§ 
ate bie öoUftänbige SRieberfd^ntetterung granfreid^g toar nötig, um 
feinen Si^jpen ein S33ort ber SSaterlanb^Iiebe jU entlodfen; in einem 
89rief üom 13. @e^)tember 1870 fd^reibt er: „Wtin gangeg Seben 
^inburd^ mar id^ beftrebt, mid^ frei öon SBorurteilen ju l^alten 
unb mel^r S33ettbürger afö S^anjofe ju fein; bod^ atte biefe 
p^ilofopl^ifc^en Umpngfel fönnen mir je|t nid^t l^elfen. 3d^ blute 
au§ aß' ben SBunben biefer bummen granjofen, id^ toeine über 
il^rc Demütigungen, unb toie unbanfbar unb abfurb fie aud^ finb, 
ic^ liebe fie tro^ aUebem!" 



^ Le plus yilain pays du monde que les nigauds appellent la belle 
France. 

»tanbe», ßittetaturgefc^. be« 19. ^fftft, V. 19 



290 Sie tomantifd^e dd^nU in irankreid^. 



Sn feiner ©l^arafteriftif SBe^Ie'ö f)(A Wlixxmit (nad^ ©ainte* 
S3eut)e) aU mm feiner l^cröorragenbften 3^9^ beffen S5eforgni§ 
l^ert)orgel^oBen, „büpittV' ju iperben. ,,2)arau^ entfprang,^ fagt 
er, „biefe« fünftlid^e SSerl^örtetfcin, bie§ öcrjtoeifefte Spüren nac^ 
niebrigen S5ett)eggrünben bei aßen eblen ^anblungen, biefer 933iber-- 
ftanb gegen bie erften Snipulfe be^ ^ergen^, ber nad^ metner Slnfid^t 
bei if)m mtf)x affeftiert aU toivtüd) öorl^anben toor» S)er SBibermifle 
gegen jebe ©entimentafität, bie SSerad^tung, tueld^e er bafür empfanb, 
trieben i^n inö anbre öftrem, jum großen Ärgernis berjenigcn, bie 
i^n nid^t genauer fannten unb ba3, toaö er über fid^ fagte, bud^ftab^ 
lid^ nol^men." ^k^tx^m^t, bä|)iert ju toerben, mit aW tl^rcn öon 
SR^rimfe aufgejäl^ften fjotgen, , toax bei i^m felbft minbeften^ cbenfo 
lebenbig toie bei 85et|te; nur mufete er mit feinem feineren unb 
fd^n)öc^eren SiatureH fid^ mel^r ®en)alt antl^un, ben ctjnifc^en Zon 
anjufd^Iagen. Slud^ il^ra mad^te eg in feiner 3ugenb SSergnügen, afö 
ein Slu^bunb öon 3mmoraIität ju gelten, unb nur bi^tneifen, tpcmi 
irgenb ein SSorfaH i^m feinen fd^Ied^ten 9tuf no^etegte, ärgerte er 
fic^ barüber, n^ie j. S. ate einmal eine 5ßrot)inj==2)ame nid^t geringe 
Slngft baöor jeigte, mit il^m allein in ber 3)iligence ju reifen („Letties 
k uue inconnue" I. 72). 6ben fein Slbfd^eu .t)or ber ^tndjdti triei 
il^n berfelben ju; er l^euc^elte griüolität unb |)artl^erjigfeit. 2lul 
(auter SBeforgni^,. l^intergangen ju »erben, filierte er nid^t nur bie 
?Inbem f)inter§ Sic^t, fonbern betrog fid^ felbft nm mand^en reinen 
®enu§ be§ Seben^. 2)er betrogene ift oft — nid^t nur im 
2^l^eater, ttjie ber alte ®ried^e ®orgiag fagt — toeifer afö ber 
9lid^t-93etrogene. SBer feine Slufmerffamfeit nid^t beftänbig barauf 
rid^tet, ftd^ uor S5Iö|en ju lauten, ift freier unb mutiger; er be^ 
l^ött me^r X^atlraft unb üernjirffid^t ^n^eit öoHJtänbiger 3)^öglid^ 
feiten, bie in feiner ©eele fd^fummern. 

%nx SW^rim^e l^atte bie ftänbige S5eforgni§ t)or SSIamage bebend 
lid^e ^0^9^^* ä^ttäd^ft äußerten fid^ biefelben in ber ceremoniettcn 
Steif l^eit, bie er in fpäteren Sauren jur ©d^au trug, njenn er afö 



Bet)U unb Hkimh. 291 



SKitglieb beä Senate^ unb bcr ?lfabcmie ober ote ßiebling unb 
SScrtrauter bcr fdifcrlid^cn f^öntilie bei feierlid^en ©elegenl^eiten ouf^ 
trat SBäl^renb er feine Sieben l^ielt, moquierte er fid^ innerüd^' über 
feine Gattung unb feine eigenen SBorte, SBe^Ie brad^te fid^ niemals 
in eine ©ituation, tt)o er über 5)inge, bie er geringfd^ä^te, el^rfurd^tg* 
t)ott fpred^en ober IDumntföpfen Komplimente fagen muj^te. SWd^t 
umfonft l^at er bie Stujserung. getl^an: „SBenn id^ in einem ®e* 
feßfd^aftgfoal einen ÜÄann fel^e, ber fid^ mit mel^reren Drben im 
^opflod^ brüftet, fo fommt mir untt)iQ!ürIid^ ber ©ebanfe, toa^ 
für eine ungcl^eure Stnjal^I öon SRieberträd^tigfeiten, Sttbeml^eiten, 
oft tool^I aud^ öon fd^toarjen SBerrötereien er oufpufen mujste, 
um fo öiele Slttefte bafür ju befommen." — ©obann öerfd^ärftt ' 
jene älngftlid^feit äRWmie'ö ©elbftfriti! fo fel^r, baj3 fie fme 
5|5robuftion§Iraft beeinträd^tigte. S3e^Ie'§ ÜÄotto toar bagegen ge=« 
loefen:* Äein Sag ol^ne eine Qtikl SSiel l^atte äRirim^e niemate ge=^ 
fd&riebcn, aber äulp^t l^örte fein bid^terifd^eg ©d^affen gang unb 
gar auf, 2)ie gorberungen, ber er l^infid^tlid^ ber SSoHenbung unb 
5|}Iaftit an fid^ felbft fteüte , mujsten i^n notn)enbigern)eife öon 
einem äBettfampfe mit feinem eigenen 3beale abfd^redEen; jeber SSer^ 
fuc^ ju einem fold^en tt)ürbe il^n immer lieber in neue bebenMid^e 
gäl^rlid^feiten geftürjt l^aben. Sieber Iiej3 er fid^ an bem genügen, 
lüag er fd^on erreid^t l^atte, ate baj3 er feine SÄnftlerel^re burd^ 
cttoag 9ieueg aufö ©piel fe^te, Unb er entfagte um fo leidster, alg 
ja 3iti^üd^öltung überl^au))t ein l^eröorragenber ßl^arafterjug öon 
i^m toax unb fein jügeQofer/- unbejtt)inglid^er 5ßrobuftiongbetricb 
i^n ju ununterbrod^enem ©d^affen anfpömte; • 

58e^Ie mad^te il^m umfonft feine ,,f5öi^I^^it" Ji^^ SSortourf — 
toax unter beren Urfad^en bod^ eine, ttjeld^e er nid^t öerftanb unb 
bie ben |)auptunterfd^ieb jtoifd^en il^nen au^mad^te, S3e^Ie toax 
$ßf^d^olog unb ^ßoet, aber fein Sünftler, 3Jlixmk toax Äünftler 
öom SBirbel big jur Qti)t. Site SÄnftler unb itoax nur atö fold^er 
ettoarb er feine ©röjse, in feiner fünftlerifd^en ÜÄeifterfc^aft berul^t 

19* 



292 I^it tomantifdie Sd|ttle In itankteid). 



aud^ bcr gortfd^ritt, bcn er öc^Ic gegenüber bejeid^net ®q§ 
reid^e, geiftige SWaterial, toeld^eg SBe^Ie ju Sage geförbert, erl^ieft 
erft burd^ Wtivimit unöcrgänglid^e fünftlerifd^e gomt 

Seine „gaull^eit" toar übrigen^ burti^au^ nid^ abfalitl 
SBenn er ote S)id^ter faulenjte, trieb er ©tubien öerfd^tebener 
2lrt, gab Überfe|ungen an^ bem Üfhifftfd^en unb anfpruc^öfojc, 
aber ftreng l^iftorifd^e Unterfud^ungen unb Slrbeiten l^crau§, ®r 
war ^ßl^ilologe unb Slrd^äologc, ein ®elel^rter unb ein 3Staxm ber 
SBiffenfd^aft. ©eine Äunft ift töie eine Dafe, bie inmitten ber 
Xrocfenl^eit feiner ©tubien liegt; nad^ aßen JRid^tungen l^in ift fte 
öerbünbet mit ber SBiffenfd^aft unb gel^t faft unmerttid^ jur ®efd^ic^t== 
fd^reibung über; benn eg fonnnt ber SKoment, tt)0 bie Siebe guin 
I^atfäd^Iid^en unb bie entfd^iebene Steigung für fd^arfe ®enauig* 
feit fid^ nid^t mel^r burd^ ^ßl^antafien allein befriebigen iä%L 3)ie 
©efd^id^e öon ÜÄirimte'g perfonlid^er Slutorfd^aft ift mit berjenigen 
ber ganjen romantifd^en Schule öerttjanbt ®r Jpiegeft im Steinen 
eine grojse SBetoegung tt)teber; benn in granlreid^ tt)ie in 23eutfd^Ianb 
l^at bie toiffenfd^aftlid^e ^iti! unb bie ftrenge ©efd^id^tgforfd^ung 
ben SBeg efatgefd^Iagen, tod(S)tn bie titterarifd^e ^tit ber Siomanttf 
ber 5ßoefie gebal^nt, Slfö öon ber ^ßoefie bie fremben unb mittelalter* 
lid^en Stoffe aufgegeben töurben, begann bie SBiffenfd^aft, biefelBen 
in bem öon ber 5ßoefie txtütdtm (Seifte ju bel^anbetn. S)a Bei 
SR^rim^e bie 3)id^tung beftänbig gleid^fam aug ber goi^^intg J^erüor^ 
ging unb öiele feiner 9?oöeKen, tt)ie „Carmen'-, „La Venus d'üle^ 
„Lokis'*, abfid^tlid^, toenn aud^ im Sd^erj, öon einem ^taijmtn 
ard^äologifd^er unb fprad^tid^er ©tubien umfaj^t tDaren, fo ift c§ 
nur natürlid^, ba^ bie SBiffenfd^aft aümäl^Iid^. öon ber ^ßerip^erie 
Bio ing ßentrum feiner ^ßrobuftion einbrang. 

3n ber Slrt unb SBeife, wie bei il^m ber 2)id^ter fid^ mit bem 
©elel^rten mifd^t, liegt ber lefete ^auptgegenfa^ jtoifd^en il^m unb 
^tt)k, SK^rim^e fte^t nid^t auf ber l^öd^ften Stufe ber SDSiffenfd^aft; 
er Befi^t jtoar fd^ä^are ©igenfd^aften, ®rünblid^feit unb B^^^riäffig* 



BmjU unb Mkimit. 293 



feit, aber cg mangelt il^m ber jünbenbe gunfe, tocld^er feine 2)icl^tnng 
]o feurig belebi * 9'licl^töbeftott)eniger l^at er bag SBefen beg tt)al^ren 
©elel^rten, er fprid^t nie über @toa§, ba§ er nid^t öerftel^t, fteüt nie= 
mafö lofe ^^potl^efen ober geiftreid^e ^ßarabojen auf; er gel^t nur 
Schritt für ©d^ritt öortüärtg» ÜÄitunter fann er trodfen unb matt 
toerben, aber er begel^t feinen geinter. Sft ÜÄ^rim^e fold^ertoeife ein 
nüd^temer ©elel^rter ol^ne ®enie, fo ift bagegen S3e^Ie in ber 
SBiffenfd^aft ber geniale Dilettant, niit allen Sennjeid^en be^ ®enieg, 
ober aud^ mit aQ' benen beg ©üettanten- 3n feinen Sudlern 
toimmelt eS öon gett)agten S8el^au:ptungen , unbetnei^baren 3?er* 
mutungen, öon allgemeinen SluSfagen über Stationen, in beren 
©prad^e er nid^t eingebrungen tt)ar, öon ^)arabojen bilettantifd^en 
Stnfid^ten; fteHte er bod^, toie fd^on ohtn ertoäl^nt, j* 95. SBemer'^ 
„Sutl^er" unter aßen beutfd^en S)ramen am l^öd^ften, ©eine W)^ 
l^anblnngen finb ebenfo unterl^altenb unb reid^ an (SinfäHen tt)ie 
biejenigen SWirimte'g langweilig unb trodEen; aber beffen Siefuftate 
finb auf gelfengrunb gebaut, bie feinigen nur ju l^äufig auf @anb. 
©ottjol^l ate ©elel^rter tt)ie aud^ afö 2)id^ter begeid^net alfo 
Mixxmit einen gortfd^ritt gegen Se^Ie, ®r ift ein tt)eniger um= 
faffenber unb reid^er ®eift, aber mit beffer georbnetem 3nl^att unb 
jugleid^ ^err über eine fünftlerifd^ abgefd^üffene gorm. 



XXIII. 

'fIRixmit'» ^uiqana&pvmft aiS ^rantattfer imb IRooeUift t{l 
ein tittcrarif d^ * ^)ofemifd^cr, Dbtoo^I er 3;alenl jur SBcoöoc^tung 
f)at, öcrfolgt er nid^t — toie SBaljac j. 95. — ben B^^^r ^^ 
SBelt, bie er um fid^ fielet, be^ 95reiten barjufteHen, ®r befi^t 
nid^t ben ®l^rgeij, SBerfe fd^reiben ju tooßen, bie ein ®|>ie9e(bi(b 
ber Äultur unb ber ©efüJ^Ie feiner Qüt geben; er xdxü bcm 
^efrfd^enben ©efd^modE feiner fianb^kute trogen, »iß neden ober 
empören, unb töä^It fid^ baju mit SSorliebe ©toffe, bie ber mobemen 
gebilbeten ©efcKfd^aft fern liegen, 

@^ ttjar natürlid^ , ba^ fein UntoiQe fid^ juerft gegen bie 
fitterarifd^e ©entimentolität feierte. S)er ftolje unb fc^üc^temc 
3üngling toax öon bem ©ebanfen burd^brungen, ba§ ein ©d^rift* 
fteKer bie ^ßflid^t l^abe, bem 5ßttblifum feine Sbeen mitjuteilcn, 
feiner SWanne^ttJürbe aber fd^ulbig fei, feine ©efül^Ie für fid^ fclfeft 
ju bel^oöen. . ÜÄit biefer Stnfd^auung ftanb er jebod^ in ber ba* 
maligen franjöfifd^en Sitterotur faft aüein. SRouffeau ^atte mit 
feinen SRomonen unb befonber^ mit feinen „Confessions" einem 
Sc^ttjelgen in l^aIbtt)ol^ren (Sefül^Ien unb einer 3Rittei(famfeit, bienic^t^ 
jurüdE^ielt, bk SBal^n gebrod^en ; . eine 9leil^e öon ©d^riftfteßem — 
öon Sl^ateaubrionb beginnenb bi^ ju fiamartine unb ©ainte-Seuöe 
— folgten feinen ©puren; fie fd^nitten fid^ lebenbig ba^ l^crj 
auf, um bem öerel^rten ^ßublüum SinblidE in il^r Snnerfte^ ju 
gettJäl^ren, furj, gaben fid^ auf jebe SBeife ber 5Weugierbe'ber öulgärcn 
SKenge ^ßreig, Unb tt)arum? Um il^re Xeilna^me ju gewinnen. 



Mkimit. 295 



Wliximic ift toufcnbmal ju ftolj, fid^ bicfclbc ju toünfc^etiv ,,Um^ 
^immete toiHen feine .Scid^tc!" fagt er ju fid^, olS er jum 
erften Wtal bie geber ergreift. Um tiid^t fentimentol unb elegifd^ 
ju njerben, verbirgt er fid^ olfo gons l^inter bie SWenfd^en, toeld^e 
er fd^ilbert, läjst fie unb il^r ©d^idfal tt)atten, giebt fetten ober nie 
feine SReinung über il^re ^onblung^toeife ju erfennen; er mod^t 
ftd^ unfid^tbar, unprbor, unentbedEbar. 2)ieg fann er ober jufolge 
feinet SBefenS nur, inbem er lieber biefe äWenfd^en ju gefd^Ioffenen, 
feften ©l^arafteren mod^t, bie ol^ne langet ^ßlaubern ober toeit^» 
täufigeg SRaifönnement il^rer ©ingebung folgen, öon il^ren 2eiben=* 
fc^aften fortgeriffen toerben unb :plö|lid^ jur §anblung fd^reiten. 
„pr mid^", fagt ber fübamerüanifd^e ©d^iff^fctpitän in ber a?or= 
rebe ju bem S)rania „Sie gamilie Saröajal", „finb alle Xragöbien^ 
l^etben eine 3lrt pl^Iegmatifd^er . 5ßl^iIofopl^en ol^ne fieibenfd^aft, bie 
aiübenfaft ftott SBtut in i^ren Slbern l^aben. SBenn, einer biefer 
Ferren feinen 5Rebenbul^ter im 2)ueK ober anber^tt)ie umbringt — . 
otöbctlb bringen il^n fefbft bie ©etoiffenöbiffe fd^ier um, fo baj3 er 
fo toeid^ n)irb tük .ein @d^uerla:ppen. 3d^ i^obe 27 3al^re im 
S)ienft geftanben, id^ l^abe 41 (Bpartitx getöbtet, unb nie l^ab idf) 
berartige^ in mir öerf:pürt ..... ^ßerfonen, (Sefül^Ie, 93egeben== 
l^eiten, aQe§ fd^eint un§ fatfd^, n^enn fold^e ©tüde in ber Pffijierg=^ 
fajüte öorgelefen »erben. (S^ finb lauter fürftlid^e 5ßerfönlid^feiten, 
bie fid^ öor fiiebe toH fteHen, babei toagen fie nid^t, bie ginger^^ 
f<)i|en il^rer ^ringeffinnen ju berül^ren unb l^aften fid^ auf 93oot§^ 
^afenlänge öon il^nen entfernt." — SW^rimte fd^reibt atfo nic^t für 
@<)iepürger, benen ik geringfte nerüöfe ©rregung Sl^ränen in 
bie Slugen (öcft, er toenbet fid^ an ftärfere 9?eröen, bie fräftigerer 
©rfd^ütterungen bebürfen, um belegt ju n)erben. S)arum nid^t 
mel^r biefe regfement^mä^igen ©inleitungen , SSorbereitungen unb 
biefe 3ll^nungen tüit in ber Sd^idEf al^tragöbie ! äWenf d^en mit SBtut 
in ben Slbern bebenfen fid^ nid^t länge, unb 9?eröenfc^n)ac^e geben 
nur für bie 93luttofen ein intereffanteg Sd^aufpiel ab. SBenn eine 



296 'ie tomantifdie i^rdt In ftankteii^. 



grau licöt, toai ift bann natürlid^cr, afö ba^ fic €§ fagt, alle 
Slücffid^tctt fprcngt unb ben Sftftanb jttjifd^cn bcm crften ®cftönb- 
ni^. bcm crften Äti| unb ber erftcn Umarmung fo farj wie 
möglid^ mad^t? — SBcnn ein 3Rann f)a^t mit bcm ed^tcn njitben 
^affe cineg l^ciplütigen SRannc^, toag ift bann natürlid^er, ate 
bafe er mit einem ©tofe ober ©d^ufe feiner Oual unb be§ ®egner§ 
Seben ein 6nbc mad^t? — SEBiH man nid^t eine gefd^toäc^te, 
fonbem eine fräftige SWcnfd^cnraffe fd^ilbem, bann ttjcnigften^ öcr- 
f)lxlt c8 ftd^ fo, ^ieraug folgt bei bcm 2)id^ter bie Sleigung, 
jebem ®efül^I ben ß^arafter einer tiefen, gettjaltigen fieibcnfc^aft ju 
geben; l^ieraug ber Zxkh, fid^ in bag SRol^e unb (Sräfelid^e ju m- 
tiefen unb ben %ob barjuftcHen, nid^t tt)ie in ber Xragöbic, fonbetn 
ben ioirflid^cn 2:ob in feiner ganjen Unbarml^er jigfeit , l^art uttb 
fatt, ben %ob, ber jebem SBerfe, bag aug biefer ^nftlermerfftatt 
l^cröorge^t, bie ^one auffegt, ^ierau^, mit einem SSort, entfielt 
bag Oraufame bei Wliximit 

@r ift mit bcm Xobe öcrtraut. SBenn bie alten Söcäcic^nungeii 
il^m gegenüber auäreid^ten, fönnte man il^n einen großen Sragifcr 
nennen; aber 3RWm^e glaubt nid^t an ba§, xoa^ ariftotelifc^ cr= 
jogene S)oftrinäre bie tragifd^e SBerföl^nung ju nennen pflegen. 6r 
f d^eint mit Sd^iKcr öon ber Slrt , tt)ie bie übrigen ® id^ter jene 
gro^c Äataftropl^e barftcQen, ju fagen: „3lbcr, i^r §erren, ber lob 
ift fo äft^etifc^ boc^ ni(^t." 

Slmmciftcn rcijcn i^n fräftige ß^arafterjüge, ®r liebt nid^, 
tt)ie SBaljac, bie ^aft fclbft aU bettjegenben Xrieb ber Seibenfd^oft; 
nein, er liebt ba§ urfprüngtid^ Süd^tige im Sl^araftcr unb bas 
energifd^ (Sntfd^eibenbe in ber Segebenl^eit. SBie natürlid^, fängt er, 
lange bcöor er reif genug ift, um' einen fräftigen Sl^arafter wa^r 
JU jeic^ncn, bamit an, ber entfd^eibenben Xl^at 5ßoefie ju tjcrlcij^en. 
SJon aßen S9egebenl^eiten ift jebod^ ber Stob bie cntfd^eibcnbfte/ 
unb fo fommt e§, bag er fid^ in ben Stob öcrliebt, mol^fcerftanben 
nid^t in ben Stob, toie er öon ©piritualiften ober ©laubigen auf* 



Mitimh. . 297 



gefaxt töirb, fonbcm in ben %ob aU einen gemaltfomen, plö|ßcl^ 
trcffenben ©d^Iag, ber mit grojsen, blutigen Bögen einen Stbfd^Iu^ 
jeid^net äK^rintfe ift tt)ie ©ie^eg für „La mort sans phrase". 

S)ie SBermutung liegt na^e, baj3 Wliximit aU SWenfdö immer= 
l^in eine getoiffe (Sefül^IIofigfeit ober ein §ang jur Oraufamfeit 
innetool^nte , ber feiner litterorifd^en §artl^erjigfeit bie ©runblage 
gab* 2)aj3 jebod^ in SBirflid^feit bie eftraöagonten QüQt biefer 
(Sigentümlid^feit burd^ bie ertt)äl^nte polemifd^e ©tintmung gegen bie 
|)oetif(^e SRül^rfeligfeit Demrfad^t toorben finb, täjst fidl burd^ birefte 
tu^erungen ^iximit'^ foft bett)eifen, Sd^ finbe in feinem 2luffa| 
über feinen 3ugenbfreunb 3acquemont folgenbe ©teKe: „^ä) 
i)ait nie ein in SBal^rl^eit gefül^Iüoüere^ ^erj gefonnt atö baö 
Sacquemont^, @r toar eine üebet)oKe, järtlid^e 9?otur, aber er 
toonbte ebenfoöiel ©orgfolt an, um fein ©emüt^Ieben ju öer- 
bergen, tt)ie 3lnbere, um il^re fd^Ied^ten Steigungen ju öerl^el^Ien. 3n 
unfrer 3ugenb toaren tt)ir üon ber falfd^en Sntpfinbf omf eit 3iouff eauö 
unb feiner 9?ad^al^mer jurüdEgefto^en toorben , unb eö trat eine 
übertriebene SReoftion ein , toie ba§ gett)öl^nlid^ ber gaK ift. SBir 
njoHten ftar! fein, folglid^ mad^ten tt)ir unö über bk ©entimentalität 
luftig." 

(£1 öerftel^t fid^- jebod^ öon felbft, baJ3 biefer §a§ gegen ba^ 
SBeid^üd^e unb S^^ränenreid^e , ber fo ftarf gegen bie l^^perfenti* 
mentalen Slnfänge jeitgenöffifd^er Talente abftid^t, unb biefe SSor* 
liebe für bag ©etoaltf ame unb Srutale nid^t augf d^liejslid^ auf SBiber= 
fprud^gluft berul^en. Um bie ©tärfe ber Steigung äR^rim^e'g in 
biefer SRid^tung ju meffen, brandet man nur einen S3IidE auf feine 
(SnttoidEelungggef d^id^te ju ttjerf en. SSei jebem 5lnberen müjste man 
ertoartcn, eine fold^e ©^ntpatl^ie öon ber fid^teren unb leid^teren 
Saune ber Sugenbjeit gel^emmt unb im Sllter bei abnel^menber 
ÄraftfüHc gemübert ju feigen. 3lber feineg öon beiben ift bei ÜÄ6^ 
rim^e ber gaK. ©eine Sßorliebe für getoaltfame ©ntfd^eibungen ift fo 
alt toie feine Siebe jU geber unb Stinte, unb . ba^ Slbf d^redfenbe, ba^ 



298 . I^ie romantird^e Säjuxit in itankteid). 



®raucnl^aftc, tpeld^c^ in ben S33crfcn feiner reiferen Saläre, burd^ 
3nnigfeit unb ®eift befeelt, tragifd^ toirft, fd^mnH)ft in ben ^o* 
buftionen feinet Sllterg öon neuem jum »iberttjärtig Unl^cimüd^ 
jufammen. 

,,6Iara ®ajufö Xl^eatcr", ba« erftc SBud^, baö STO^rim^c, .erft 
22 Saläre alt, ^erau^gab, jeigt unö auf bie intercffantefte 
SBeife, tok feine jugenblid^e ipeiterieit mit jener tief eingetourjcttcn 
SSorliebe für bag ©etoaltfame unb SBilbe fänH)ft Dberfläc^Iid^ 
betrad^tet, crfd^eint biefe^ SBud^ jiemßd^ emft. '6g unterfc^cibet fic§ 
jebod^, obtool^I eö für fpanifd^ ausgegeben »irb, öon ber fpantfc^en 
©d^aufpielßtteratur burc§ öieCe feiner njefentlid^ften ©igenfd^aften, 
SBeit entfernt, tok bie SWantet unb ©egenftücte einförmig biefclben 
Sl^araftert^pen unb biefelben auS (Siferfud^f unb empfinblid^cm @§r= 
gefül^I l^eröorgegangenen Situationen ju »ieberl^olen; toeit entfernt, 
il^nen in ber öorurteit^oKen, moralifd^en ©tifette aJ^ntid^ ju fein, 
^aben bie fc^r öerfd^iebcnen Meinen 2)ramen, auS bencn bicfeS 
„3;^eater" befte^t, fd^arf unb inbiöibueH gegeid^nete ©l^araftcrc, bie, 
anftatt übermenfd^tid^c ©elbftbe^ertfd^ung unb Siefignation ju jeigen, 
fid^ btinblingS öon il^rer fieibenfd^aft fortreiten laffen, 9iod^ toc^. 
niger Stl^nlid^feit l^aben biefe ©d^aufpiele mit ber großen ®ru|)pe 
pl^antaftifd^er, romantifd^er SWörd^enbramen mit ober ol^nc fat^o^ 
lifd^e SBeil^e, in benen KalberonS 5ßoefie i^ren l^öd^ften ®Iani 
nnb i^r buntefteg garbenfpiel erreid^t 5Rur mit eiujelnen büftem 
fpanifd^en S)ramen toie SalberonS „El alcalde de Zalamea", ,Jjas 
tres justicias in una^', „Ei medico de su honra^^, „El pintor de sa 
deshonra" ober 3Koretb'§ „El valiente justiciero" ftumnett einige 
unter i^nen j. SB. „SneS SKenbo" im ®runbton überein. S)urc^* 
fd^nittlid^ genommen ift baS SBud^ jebod^.nur anfd^einenb emft 
6g ift frei, auggelaffen, fü^n, burd^ bag fpanifd^e ©d^aufpie^ 
lerinnenfoftüm blidtt ed^t franjöfifd^er @:pott unb Seid^tfinn burd^ 
6g bringt, tt)ie eg in ber SSorrebe ju „6in SBeib unb ein 
2;eufel" l^ei^t, öerfd^i^bene ^ßerfonen auf bie Sül^ne, locld^e „bie 



Mkimit. .299 



ämmcn utib ^inbcrmäbd^cn un§ gefeiert l^aben, mit S^rfurd^t ju 
Betrad^tcn/' S)ic SScrfafferin l^offt, baj3 „hk auf gcf (arten ©panier" 
bie§ nid^t übel aufnel^men tocrben. „ßlaraOajuI" ift a(fo einluftigeg 
Sud^; bie gute 2)ame, bie eö gcf daneben ^at, trägt feine langen 
Unterrödfe. 3lber toa^ für eine fonberbare fiuftigfeit gelangt ^ier jum 
2tu§brudE! ©ine Suftigfeit, bie fid^ baran ergoßt, mit SWeffern ju 
werfen, eine Slu^gelaffenl^eit, jU toeld^er bie @<)rünge eineö jungen 
^antl^crg ein ©eitenftüdf abgeben !önnten, SW^rimie fann nid^t 
S^t fd^Iiejsen,' ol^ne aKe feine |)au:pt:perfonen tot juf dalagen , unb bie 
3)a(d^ftöj3e folgen faft marionettenartig auf einanber. 3lber fe^r 
emfttid^ ift e^ nid^t gemeint, benn eg gefdKt i^m, unmittelbar nac^ 
ber S?ataftro:p^e bie 3Kufion ju öernid^ten, inbem er bie ©pielenben 
aufleben nnb einen unter il^nen ben 3ufd^auern für il^re Slufmert 
famfeit bauten lä^t, fo.bajs Slöeg fid^ in ©d^erj auflöft 
,,S)onna SWaria. • 

§elft il^r! @ie l^at (Sift genommen, fie ift t)on mir vergiftet. 
2ä) tt)ill mic^ ftrdfen, tt)ie id^ eg öerbient S)er Älofterbrunnen ift 
nid^t fentl (@ie ftürjt l^inaug,) 

j^xat) @ugeniö (jum 5ßubtifum), 

9iel^mt e§ mir nid^t übel, ba§ id^ ben Xot biefer jtoei lieben^^ 
ttjürbigen ®amen öeranla^t l^abe, unb feib fo gut, bie gelter. beö 
SJerfafferö ju entfd^utbigen/' 

@o enbet ia^ (eibenfd^afilid^e @tüdE „L'Occasion". S)ie tt)i^igfte 
^tif, bie über biefe @tücfe unb bereu Spanier gefd^rieben tt)urbe, 
ift eine Stelle in 5ltfreb* be äRuffetg „Lettres de Dupuis et Co- 
tonet": „Unb bann ^aben toir Spanien mit feinen KaftiKianern, 
bie cinanber bie §ätfe abfd^neiben, ibie toir ein (Steg SBaffer trinfen, 
unb mit feinen Stnbalufierinnen , bie fid^ nod^ fd^ncQer auf eine 
ttjeniger entöölfernbe Sl^ätigfeit einteffen, Spanien mit feinen Stieren, 
Soreaboren, SKataboren" u. f, to. 

2)ag Spanien ber jungen romantifc^en Sd^ule, ju toelc^em 
SKuffet mit feiner Slnbalufierin an^ SSarcefcna, bie man an bem 



800 X)it tomantifdie di^ttle in irankteii^. 



Blcid^en ®eftd^t unb bcm braunen ^aU crfcnncn fann, fclbft einen 
SJeitrog geliefert f)at, toax in SBirflid^feit nid^t nur bei 2Stiximit fo 
l^eiplütig unb rofd^Iebig. Slber ntemanb fanb fo öiel ©rgö|en 
baron tt)ie er. Unb biefer Sugenbmanier SRfeimfe'g entfpre^en 
tjoßfommen bie Stoffe, bie er in feinem Sßter toäS)Ü. 

©eine Ie|te SloöeQe „ßofig" ift bie ©efd^id^tc eine« jungen 
littJ^auifd^en ®rafen, njeld^er infolge m^fteriöfer SSercrbung jutoeilen 
bie 3nftinfte eines SRaubtl^iereg in fid^ fpürt, in ber SBroutnad^t 
toal^nftnnig tt)irb unb ber il^m neu SSermäl^ften bie Äel^Ic burd^* 
Beij3t. ©ein ßl^arafter ift mit feiner Sunft gefd^ilbert, bie ®nt=^ 
toicfelung ber 3;oß^eit mit ein paar leidsten QüQm öeranfd^auli^t 
Slugenfd^einlid^ ^at eg SW^rim^e befonbereS SSergnfigen gemad^t, bie 
®eftal:t be§ jungen ©rafcn in il^rer gangen SSäilbl^eit ju jeid^nen 
ate ©egenftüdf ju einem unenblid^ braöcn unb gal^men beutfd^en 
^rofeffor (beut ©eutfd^en in ben franjöfifd^en SBüd^em öor 1870), 
toelc^er atö ®aft im gräflid^en |)aufe öertoeilt, jeben Slbcnb feiner 
SSerlobten, gräulein ®ertrube SBeber, fd^reibt, unb folc^ertoeife bem 
fiefer bie fd^auberl^afte Segebeni^eit mittl^eilt "Slber ber ©d^tu^ein* 
brudf biefer SSamp^rgefc^id^te ift ber beS n)ibertt)ärtig (£ntfe|üd^en; 
unb bie SKeifterfd^aft, tüomit fie erjä^lt n)irb, ber Stuft, »eld^er 
fetbft nod^ beim SBerid^t öon ber ^Brutalität bettjal^rt ift, bie (SIeganj, 
toomit baS 5l6fd^eutid^e bel^anbelt toirb, erinnert faft an bie ®Iarf* 
l^anbfd^ul^e beS ©d^arfrid^terS, S)ie ©rjäl^lung ift nur ate 3^119^^^ 
ber ©tärfe biefer innerften Steigung bei bem SBerfaffer pf^d^ologifd^ 
intereffant. 

SnbiöibueK unb originell tt)ar biefe ÜÄanie SRMmte'S gettn§; 
aber bod^ ift fie offenbar nal^ öermanbt mit ber 2;enbenj jener 
ganjen ©d^ule, toeld^e ©outl^e^ afe bie fatanifd^e bejeid^net §attc 
®er 6influj3 Sarong ift unt)erfennbar. 9Ran toax gegen ba^ Sal^r 
1830 in granfreid^, tt)ie fd^on frül^er in ©nglanb, ber ffimmamtz^ 
Uferen" ^oefie ber SReaftionSjeit grünbßd^ fatt. 2)ag ©ce^jtcr ber 
©id^tung toax aug Samartine'S ^avb auf SSictor §ugo übergegangen. 



Mkimk. 301 



beffen „Orientalen" ja bie bintigften SBiiber öon ^ieg unb Unter* 
gang gaben» Samartine fettft, ber frül^ere ferapl^ifd^e SSd^ter par 
excellence, fd^Ing batb mit feinem ©ebid^t „La Chute d'un ange" in 
bie fatanifd^e SRid^tnng ein, Unb in ber ©d^nle SSictor ^ugo'§ 
gab e§ einen jnngen 2)icl^ter, ber faft gleid^jeitig mit 3R^rimfe, 
unb o^ne im ®eringften t)on il^m beeinflußt ju fein, l^aarfträubenbe 
Sujets in Keinen, fel^r funftöoü gefd^riebenen 5RoöeIIen bel^anbelte 
— id^ meine ^ßetruS Sorel, ber fo arm unb unberül^mt lebte unb 
ftarb, 3)er arme SBorel toar ein ©d^märmer, ein glül^enber ©ntl^ufiaft 
unb SOioralift, toeld^er burd^ baS ^ßatl^oS, toelc^eS fid^ l^inter feiner 
objeftiöen 2)arfteQung öerbirgt, bie ©ntrüftung beS SeferS über bie 
öon il^m gefc^ilberten ®en)alttl^aten l^ert)ormfen n^oßte, S)er feine, 
gcfd^Iiffene äW^rimfe fteKt fid^ oft genug nur fo blutbürftig, n^eit 
eg . il^m @paj3 mad^t, ben Sefer unb befonberS bie Seferin ju er* 
fd^redfen. Slber eine ed^t romantifd^e §erau§forberung ber „^ßl^ilifter'* 
liegt bod^ in beiben gäKen t)or, 

9?id^t ungeftraft l^at Miximlt fein 2;alent bem litterarifd^en 
ölutburft bienftbar gemad^t. (Sntging er aud^ ju Sebjeiten ber 
SlemefiS — nad^ feinem Sobe l^at fie il^n ereilt, 3ltö Somtoie in 
ber franjöfifd^en 3l!abemie bie fiobrebe auf il^n l^ieft, fprad^ er jum 
©d^tuß bie 3lnfid^t auS, baß SR^rim^e^ ber bie greuben beS l^äuS* 
lid^en ^erbeS ftets entbel^rt l^abe, glüdEIid^er getoefen fein n)ürbe, njenn 
er afö gamilienöater „t)ier big fünf Sinber ju erjiel^en" gel^abt 
^ötte; unb atö 3R^rim^e'§ greünbin, bie (Sräfin Sife ^ßrjebrjerSfa, 
feine gett)ij3 nid^t für bie Öffentlid^feit beftimmten Sriefe an fie 
aU „Lettres ä une autre inconnue" in 2)rudE gab, beftimmte fie 
ben (grtrag ju ©eelenmeffen für ba§ |)eil il^reS antifird^üd^en 
greuttbeg* 



XXIV. 

^iximk begnügt fid^ nid^t bomit, fid^ aU ©panierin ju öcr* 
mummen. 6r fielet aU ed^ter Slomontifer bie ^ouptaufgobe bcr 
2)id^tf unft borin , ol^ne ©d^minf e ober gimig ben fittlid^en 3#öi^ 
ber öerfd^iebenen SSößer unb Sulturftufen jur 9Infd^auung ju 
bringen; fo trot bog, töog man bomofö ,,So!aIforbe" nannte, rein 
unb fräftig in feinen ©d^ilberungto ^eröor. S)e§toegen mac^t er 
fid^ jum S8ett)ol^ner ber öerfd^iebenften Sänber unb jum ©enoffcn 

• 

frül^erer 3^italter. @r n^eijg tt)ie ber SKaure, Sieger, ©übamerifoncr, 
SK^rier,' ^ofof u» f. n^. ju ful^Ien, bod^ fud^t er alte§ %txnt 
nid^t mit gleid^er SSorliebe ouf, benn er fd^eut bie ©iüilifption 
unb bie moberne ^olitur. SBie X^io^fjxk ©autier bei feinen 
SReifen jebe§ Sanb ju berjenigen SaJ^re^jcit befud^te, in todd^tt 
beffen Mimatifd^e. ©igentümlid^feiten am fd^örfften l^eröortreten: 
Slfrüo im Sommer, SRu^anb jur SBinterjeit — fo unternimmt 
3R^rim^e geiftige Sinkflüge nod^ ben ®egenben unb ju ben Stämmen, 
tüo bie falte ©eringfd^ä^ung eines äRetifd^enlebenS am l^röor* 
fted^enbften, ßeibenfd^oftlid^feit unb ©innlid^feit am l^ei^eften ftnb, 
n^o bie Sl^araftere befonberS fröftig tt)ilb, bie primitiiben SBorur^ 
teile befonberS mäd^tig auftreten. @r befd^ränft fid^ nid^t auf bie 
©egentüart: er vertieft fid^ in bie Greuel ber mittelalterlid^en 
93auem!riege; er befd^ttjört bie ^eit ÄorllX. I^erouf unb orbnet 
mit energifd^er Äunft feine @rääf|Iung um bie SBortl^oIomäuSnac^t 
ate S^otaftropl^e ; er ift mit bem Spanien beS öierjel^nten unb bm 
9tuj3lanb be§ fiebjel^nten Sol^rl^unbertg , toit mit bem alten granf^ 



»lerlm^e. 303 



reid^ unb bcm attcn Slom vertraut. 3lte 3lrd^äoIoge unb §iftorif er 
f)at er Snfd^riften unb ©enfmäler, ©ebäube, ©d^murfgegenftänbe 
unb SBaffen ftubiert, ® ofuntente . unb ÜÄanuffripte in ben öerfd^ie^^ 
benften,, ben getööl^nfic^en Sitteraten öerfd^Ioffenen ©prad^en unb 
2)ialeften burd^forfd^t. (So erreid^t er eine für feine ^dt ou§er== 
orbentlid^e Xreue in feinen ®emä(ben, 

®ie Seibenfd^aft für ba^ urfprünglid^ Saftige in feiner narften 

SBal^rl^eit toar e§, \üdd)t il^n jur ©efd^id^te fül^rte unb ben 

l^iftorifd^en ©itin in il^m ttjedEte. Slud^ in feinen" toiffenfd^aftlid^en 

8(r6eitcn tüiä)Üt er überoH bie getoalttl^ätigften unb öerttjegenften 

El^araftere ju feinen gelben: ©uQo, ©atilina, S)on ^ebro ben 

©rauf amen t)on ©aftilien; ben erften falfd^en ©emetriug u, f* tt). 

©eine peinlid^e ©ettjiffenl^aftigfeit atö ©elel^rter unb feine 93el^ut= 

famfeit, nid^t etoa ber (Sinbilbung^fraft eine 3Rittt)irfung bei ber 

SBiffehfd^aft ju geftatten, laffen feine l^iftorifd^en SßJerfe tot er- 

fd^einen, {®ie beften unter il^nen finb nod^ „Don Pödro I." unb 

„Episode de rhistoire de la ßussie".) SBirKid^eö Seben befommt 

bk ®ef d^id^te unter feinen Rauben nur in bid^terif d^er ©eftaltung. 

$Rad^bem SSitet mit feinen meifteri^aften „Seines historiq[ues" ge== 

geigt, toie man in freien bramatifd^en ©cenen bie (Sefd^ic^te ttjal^r^ 

l^eit^getreu barfteQen !ann, gab SW^rimie in „La Jacquerie" graut 

reid^ ba^ 93itb eine§ öiel frül^eren unb toitberen 3^^^^^^^ ^^g 

jeneg toar, toti^t^ fein SSorgänger unb Sel^rmeifter öertoertet 

i^attc. 2)en (Seift beg SBerfeö bejeid^net er t)orjügfid^ burd^ ba§ 

SÄotto auö äRoIiere (äWaöcarille) : „Sd^ ftel^e gegentt)ärtig im 

Segriff, bie ganje römifd^e ©efd^id^te in äWabrigate ju ü6er= 

tragen*" SBetounberngtoert 'l^at SR^rim^e eg t)erftanben, fid^ in 

bie ®ebräuc^e unb 2;i^or]&eiten/ 3lnfc^auungen unb SBorurteile ein* 

Rieben , toeld^e in jener fernen Qtit bie ©ebanfen ber SReufd^en 

befd^rättften, Sd^ l^ebe beifpietön^eife einen ßl^arafter l^eröor: 

Sfabetta, bie Sod^ter beg SBarong öon 3lpremont, ift ber Stipus 

einer cbän, Iiebengtt)ürbigen jungen 2)ame ber geubafeeit Sie ift 



304 I^ie tomantifi^e ddiule in itankreid). 



^crjcnärein unb fittenftrcng; fic fül^It SBarm^crjigfcit gegenüber bcii 
Öeibenben unb Überiüunbencn, ©ie ift gütig gegen ben füfinen 
treuen Wappen, ber für fie burd^ geuer unb SBoffer gel^t, unb 
bittet i^ren SSater, il^r biefen fieibeigenen ju fd^en!en» 3^^^ 
Danf bafür, baß er il^r bag Seben gerettet, mad^t fie il^n ju i^rcm 
StoQmeifter; fie ftidft ii)m fogar einen SBeuteL Slber er loagt fie 
JU lieben — ba ift SlKc^ au^, @ic übcrl^äuft il^n mit SBerod^tung 
unb §o]^n, jagt il^n entrüftet fort, betrad^tet fid^ otö faft entehrt, 
baj3 er, ber unfrei (Geborene, e^ gesagt, bie Slugen ju i^r ju er- 
geben. SJian benfe fid^ nun atö ®egenfa^, n)ie ein getoöl^nßd^er 
mobemcr Siomanfd^riftfteHer un^ eine fold^e eble Jungfrau mtl 
bem ÜÄittetatter fd^ilbem toixxbt: n)ie öorurteiföfrei fie auf bieSe* 
fangenl^eit il^re^ 3^^^^^^^ l^erabfel^en unb ba^ abelige ^erj l^inicr 
bem fd^Iid^ten SBaffenrod ju fd^ä^en tt)üJ3te — unb man toirb ben 
3lbftanb jtoifd^en einer fpiritualiftifd^ abftraften unb einer uner* 
fd^rodEen l^iftorifd^en ©arftettung einer barbarifd^en ©pod^e fül^Icit, 
©inen gel^Ier l^at inbeg. ba§ SBerf: ber ©id^ter l^äuft fo öiete 
graufame unb fd^eujslid^e ^anblungen auf einanber, ba§ bie burc^* 
gel^enbe SBilbl^eit feiner Sl^araftere bie fojiaten unb inbibibueffcn 
Unterfd^icbe übertönt. 

®anj anber^ lieben fid^ in feiner „Chronique du regne de 
Charles IX" alle (Seftaften t)om ^intergrunb ab, Sn biefem, bcn 
SBdlter ©cottfd^en 3Jiuftem nad^gebilbeten, fie ftiliftifd^ aber toeit 
Übertreffenben, SRoman ift jeber ß^arafter eigentümlid^, ol^ne mobem 
ju fein (nur bie ^xqvlx be^ ©eorge SWerg^ l^at einen tixoa^ mobemeit 
5lnftrid^); ja, . ber 2)id^ter l^at l^ier feine Sfufmerifamfeit fo fel^r auf 
aQe ©inäell^eiten gerid^tet, ba§ jebe^ ^apM burd^ feine plaftif(^e 
Äompofition ein Weinet ©anjeg bilbet, unb ba§ Xotalbiß) nur afö 
SRofaif ber augge:prägten ßl^araftere unb Situationen l^erbortritt. 
3n ber legten feiner gefd^id^tlid^en 5Did^tungen „Les Debüts d'un 
Aventurier" feffetn il^n bie primitive (Setoanbtl^eit, bie edEige^ frifd^c 
^ofafeneigent^Jmfic^feit feinet falfd^en S)emetriu5, nid^t dber bie 



Mkimit. 305 



gciftigcn, au§ bem SBctrug l^eröorgel^cnben ÄoHiftonen, tocld^e 
©deiner augcnblicflid^ cntbcrftc. 3)ag ©tüd äW^runfe'g ctibigt un=^ 
gefällt ba, too ba^icnigc ©d^iöcrö beginnt; bic Sitten einer be* 
ftinnnten 3Renfcl^engru:ppe ju einer beftimmten ä^i* interefftereh 
crfteren mel^r afe baö abftraft unb gemeinfam ajienfd^ßd^e. $ier 
wie überaß in feiner l^iftorifd^en 5ßoefie begegnen toir barum nid^t 
ber SnteÖigeni^^ ober ber Oefül^fefeite, fonbern ber SBißenöfeite be^ 
Sebeng, 

Sä^t WKxxmit bie §anb(ung in ber neueren Qtit ^pitkn , f o 
fc^itbert er QxQtmtt^ unb Siäuberleben tt)ic in ,, ©armen", S3Iut* 
racl^e toic in „ßolomba", ober eine gel^eimni^öoße ©rmorbung 
tpöl^renb ber SBrautnad^t toie in „La Venus d'Hle" unb „Lokis"; greift 
bie ^anblung in bk moberne ©efeöfd^aft l^inein, bann fteßt er ent^ 
tpeber (Sigentäntlid^feiten berjenigen Slaffen bar, bie auf gef^panntem 
3u§ mit ber ®efeQfcl^aft leben, toie bie fül^ne Qpxaäjt unb loctem 
©ruttbfä^e junger 3;änjerinnen unb ©d^aufpieterinnen, bie erotifd^en 
Slnfed^tungen fatl^oßfd^er 5ßriefter, ober er begnügt fid^ mit bcm, 
tpa§ ba§ 2thtn ber ^)rit)i(egierten ©täube an fd^ärferem Oepräge 
übrig lä^t: ein järtlid^e^ ßicbegöer^fittnig , bem ein ®ueÖ für 
immer ein 6ube mad^t, ein (Sl^ebrud^, ber jum ©elbftmorb fül^rt, 
irgenb ein tüd^tiger ©fanbal, ben unter ber 9lafe einer fd^Iaffen, 
tieuc^Ierifd^en ©efettfd^aft ab jubrennen, il^m ein toal^re^ SSergnügen 
bereitet ©eine äRufe fül^It fid^ überaß l^eimifd^, tt)o fie bem falten 
©d^idfal, bem ftarfen 3"f^ö ^^^^ l^eftigen Seibenfd^aften begegnet, 
ttJcfd^e balb bie gefeßfd^aftlid^en SSerl^äÜniffe fiegreid^ burd^bred^en, 
batb öon benfeffieu afö öerbred^erifd^ gebranbmarft tocrben^ ®eg* 
wegen toar.il^m aud^ bie neuere ruffifd^e Sitteratur fo f^mpatl^ifd^ : 
in ben öon il^m überfe|ten 2)id^tungen 5ßufd^Kn^ (/;^i<?ue S)ame" 
unb „S)ie QiQtuntx**) toerben mit feinen eigenen öertoanbte ©ujetg 
be^anbelt 

®g finben fid^ bei ÜÄWm& itoti ©igenfd^aften , tpeld^e il^n 
abgeneigt mad^en, bie fd^arfen Äataftrop^en be^ äRenfd^enteben^ 

»ranbe», Stttwatutgcfc^. be9 19. 3a^r|. V. 20 



306 Sie romantif4|e Bä^nit in iranktctd^. 



tragifc^ auf juf äffen: eine getoiffe %vix^t, ba^ jene Schärfe, bte er 
liebt, burc^ ein öerföl^nenbeS ©fement il^ren ©tadlet öertöre, unb 
fein Unglaube an ein größeres, jufammenl^ängenbeö ©anjeS, ba§ 
ben einjelnen 5^^ i^ Ü^^ begreift. SBenn er bennod^ jutoeilen 
njal^rl^aft tragifc^ n^irft, fo gefd^iel^t e^ gegen feine Slbfid^t, burc^ 
ha^ reifere, tiefere ©tubium ber ßl^araftere unb ba^ mit bcr ju^ 
nel^menben fiebenSerfal^rung fteigenbe Sntereffe für bie %äüt, in 
ujelc^en Sl^arafter unb ©c^idfal in nottt)enbigem ä^tf^inmcnl^ang 
[teilen. SBenn in feinem JRoman „Chronique du regne de Charles IX" 
ber Sruber t)on ber §anb be^ Sruber^ fäKt, fammelt ber bie ß\)m^ 
bole mit feinem ©öott öerfolgenbe ©id^ter gleid^fam gegen feinen 
SBitten baö ganje ©ntfe^en unb ben ganjen SBal^n be^ 9leIigiong= 
unb Sürgerfriege^ in ein gro^e^ tragifd^e^ ©^mboL 3Benn in 
feiner S'ioöette „La Partie de trictrac" ber unglüdEüd^e Dffijier, 
tt)etc^er ein einjige^ 2RaI in feinem Sieben falfc^ gefpielt l^at, burc^ 
ba§ 93ett)u§tfein feiner ©c^anbe fo ju ®runbe gerid^tet toirb, bafe 
er im Xobe bie einjige (Sriöfung fielet, bann geftattet fid^ bie ®r= 
jäl^Iung unnjittfürlid^ ju einer Siragöbie be^ ©l^rgeffil^fö. 

3JHxxmit öerfud^t in einem anbern Keinen SReiftertucrt „La 
double Meprise" ba^ ®ett)ebe öon ä^^f äß^Ö^^tten , öon einanber 
frcujenben unb einanber mi^öerftel^enben Snftinften ju fd^ilbem, 
bie ba§ ßeben finnlog unb felbft ba§ 2^raurigfte ebenfo üernunft= 
ttjibrig ttjie betrübcnb unb l^ä^Iid^ mad^en; aber inbem er bie innere 
©efd^id^te ber peinlid^en 93egebenl^eit erjäl^It unb un§ öerftel^en leiert, 
ba§ ba^ SSemunftttjibrige gefd^cl^cn mu^te, l^ört eg auf abfurb ju 
fein. S)er Snl^alt ber ©rjäl^Iung ift mit furjen SBorten ber, ba§ 
eine junge %xau, Sulie be ßl^aöernti, bie fid^ in il^rer @^e ainjuf rieben 
fü^It unb biefe Unjufriebenl^eit aU ein UnglüdE ju empfinben beginnt, 
burd^ eine Sette jarter, überrafd^enber, aber mt eifeme Stinge ju= 
f ammenl^ängenber ©eelenjuftänbe bal^in gelangt, einem 3Ranne, ben fic 
in aSirflid^feit gar nid^t liebt, fid^ l^injugeben, unb t)or aSerjtoeiflung 
barüber ftirbt. Die Äunft ^iximit'^ beftel^t ^ier in ber ©id^ep 



miümit, 307 



l^cit, mit toelc^cr er bcn Sefer burd^ ba^ Sab^rtntl^ aller jener ®e== 
mütöbetoegungen ju einem ebenfo nottoenbigen toie ber SSernunft 
tüiberfpred^enben fRefuItate fül^rt, Unübertrefflid^ ift namentlid^ ia^ 
®t\pxää), in toeld^em ©arc^, ber, in ber (Sefettfc^aft auggefragt, mit 
S3efd^eiben^eit unb |)umor feine Sl^aten erjäl^It, gerabe baburc^ 3ulie 
jur ©d^ttjärmerei entflammt, fon^ie jene Unterl^altung im SBagen, 
toäl^renb ttjeld^er 3ulie mit jeber Srtniberung, mit \tbtm SBort, mel^r 
nod^ burd^ il^ren SBiberftanb atö burd^ il^re @5eftänbniff e , il^rem 
Untergang immer naiver rüdft, 3d^ l^ebe foigenben Haffifd^en @a^ 
l^eröor, tneld^er all bem SSorauggegangenen fic^ anreil^t: „2)ie 
arme 5^au toar in biefem Slugenblicf überjeugt, ba^ fie ©arc^ 
immer geliebt, ja, ba§ fie in all ben fed^§ Salären, ttjäl^renb beren 
fein SlnblidE i^r nid^t vergönnt gen^efen, il^n mit berfelben @5lut, bie 
fie je^t erfüllte, geliebt l^abe/' Wliximit ttjujste genau, ttjeld^e SIK^ 
mad^t im menfd^lid^en ßeben, ttjeld^e gettjaltige unb tragifd^e Xrieb^ 
fraft bie unöermeiblid^e SHufion ift. Slu^ i^r läJ3t fid^ ja nid^t 
nur bie |)älfte alle§ menfd^lid^en ®lüdEe§, fonbern aud^ eine be= 
träd^tlid^e Summe aUe^ menfd^lid^en @lenb§ erflären. 

Sflod) nä^tx fommt SÄ^rimte bem eigentlid^ Xragifd^en, tno 
ba§ SSerl^ängni^öoHe in ben Sl^arafter einbringt unb fic^ mit il^m 
öermifd^t tt)ie (Sift mit bem SBlute. @o in ber SWoDeHe „Sarmen". 
9Son bem Xage an, ba Soff ba^ 3ifl^i^^^^^äbd^en ©armen jum 
erftenmal fielet, tritt fein ßeben au^ ber feit^erigen ©pur; mit 
ftrenger Slottnenbigfeit tnirb er, fo gut unb braö öon (Semüt er 
aud^ urfprünglid^ ift, um i^rettniHen jum fRäuber unb SÄörber. 
3a, ÜJifeimfe, ber afö junger fRomantifer fid^ fo ttjeit ttjie möglid^ 
öon ben antififierenben Xragif ern entfernen ttJoHte, famin „Solomba" 
mit feiner mobemen corficanifd^en |)elbin ber gried^ifd^en Siragöbie 
nä^er ate irgenb einer öon ben e^rentoerten Did^tern, bie „Slga* 
memnon'g nie au^fterbenbe gamilie" öerl^errlid^ten. Slid^t mit Un* 
rec^t l|at man Solomba mit ©leftra Derglid^en. SBie biefe gel^t fie 
im ®eban!en an ben ungeräd^ten Stob il^re^ Sßater^ ööHig auf,. 

20* 



308 9ie tomantifd^e d^uie in iraiikrei4. 

toxt SIeftra entflammt fie ben S3ruber gut SSlutrad^e; ja, fie tft 
fogar eine nod^ menfd^Iic^ere unb einfad^ere Xtagöbienl^etbin al^ 
jene bed @o|)l^otIed, benn fie bttotQt fic^ in bem ^anjer i^rer 
furchtbaren Sorurteite Iieben^n)ärbig unb nait)« @ie ift gugleid^ 
btutbürftig unb finbtid^, J^art^eriig unb mäbd^nl^aft; eine l^erBe 
®rajte ift ber Otunbgug il^reg SBefen^. SBer ift l^eutgutagc fo 
blinb, ba^ er nid^t fie^t, n^ie t)iet naiver biefe naturtoüd^fige 
Xod^ter eined Ileinen fäbßc^en 3nfe(t)oIted ben altgried^ifd^en f^rouen^ 
geftalten ftel^t, atö aQe jene auf l^ol^em ^otl^um einl^erfd^reitenben 
D^eaterprinjeffinnen, bie fic^ auf ber franjöfifc^en S3ül^ne ©teteü, 
9(ntigone ober Spi^igenie genannt Ratten. @ie ftel^t jebod^ t)iellei(i^t 
in noc^ engerer SSemjanbtfc^aft mit ben l^eibnifc^en Xöc^tem einer 
entlegenen norbifc^en 3nfel, mit ben grauengeftalten ber iölönbifd^e« 
@age, ti^elc^e mit fo leibenfd^aftlic^er ^artnäctigteit über bem 
gamilienl^afe brüten unb regelmäßig bie fic^ fträubenben SKänner 
in bie SSlutrad^e l^ineintreiben. 3n biefer ,,6olomba", ber be^ 
rül^mteften Schöpfung äR^rimte'S, feiert bie romantifc^e „Sofalfarbe" 
il^ren entfd^iebenften Xriuntpl^. S)ie ©rjö^lung l^at ba^ unöer* 
fälfd^te Aroma "ber ®eburtginfel S5ona|)arte« unb ift t)om ^ani) 
corficanifc^en ®eifte§ öoH burc^toe^t, Sltö ein SSctoeig für bie 
Xreue ber ©ittenfc^ilberung nic^t toeniger aU für ben ®rfolg bc^ 
SBuc^eg öerbient eg angefül^rt ju toerben, baß, afö SK^rimfe toegen 
ber ßibri==?lffaire im ©eric^t^faal feinet Urteile toartete, ein 6orfi= 
caner, ber ber JBerl^anblung Beitool^nte, feinet Qdd^tn^ öor^ 
maliger SSanbit, fic^ il^m näl^erte unb il^m für ben gaU feiner SBer^ 
urteilung SSenbetta in Sejiel^ung auf ben 5ßräfibenten beg ©eric^tg- 
l^ofe^ anbot @g läßt fic^ faum eine gldnjenbere $robe für bie 
®ä)tf)t\t ber ^^tbe, bie fBlixxmit aufgetragen, beulen. S)iefer müßte 
iebod^ nid^t er felbft getoefen fein, toenn er nid^t (gerabe jU ber 
3eit afö er „Solomba" veröffentlichte) feinen SRuf afö I^eorien* 
feinb baburc^ gerettet l^ätte, baß er fid^ nac^ Gräften über jene 
famofe ßofalfarbe luftig machte. 3n ber 1840 gefd^riebenen SSor^ 



JHfeimle. 309 

rcbe jur jtocitcn Slui^gabe öon „La Guzla", ber wn iS)m fingierten 
©ammlung iff^rifd^er SSoIfglieber, erjäl^ft er, ba| er „int Saläre 
it^ ipeite 1827" fRomanttfer getoefen fei, für ,, ßof atf arbe " 
gefd^toärntt unb ber 3lnfid^t gel^ulbigt l^abe, ba^ au^erl^alb ber 
„Sotolfarbe" fein |)ei( fei. Unter „Sofalfarbc" l^abe er gleid^ feinen 
bamatigen ®enoffen bag öerftanben, toa§ man int ftebjel^nten ^dfyc^ 
^unbert „bie ©itten'- nattnte, @ie feien fel^r ftolj anf il^re ?ßarole 
gett)efen nnb ptten ftd^ eingebilbet, ba§ SBort nnb bie ©ad^e 
crfnnben jn l^aben. S)ie Segeiftemng für bie „ßofalfarbe'' l^obe il^nt 
u. a. ben lebhaften SBnnfd^ eingegeben, ^tt^rien ju befnci^en. Da er 
toegen SÄangel an 5ReifegeIb ben $Ian l^abe aufgeben muffen, fo fei 
er barauf verfallen, biefe 9leife im öoraug ju befd^reiben, ttm i^inter* 
l^er ba§ Honorar auf beren ttjirfüd^e Slu^fül^rung ju öertoenben; 
9?ad^bem aud^ biefer fül^ne ^an ju nid^te gett)orben, l^abe er mit |)ülfe 
eine§ 9leifett)erfe§ unb ber Äenntni^ „öon fünf bi§ fec^g flaöifd^en 
SBorten" feine „au§ bem S^Krifc^en überfe^te" 93affabenfammlung 
fabrijiert. SlUe SBelt l^abe bie SÄ^ftiftfaäon gläubig l^ingenommen.^ 
(Sin beutfd^er 2)oftor namens ©erl^arb ^abt fogar feine ,,®ujla" 
mit itoti anbem SBönben flaöifd^er ^oefien ing S^eutfd^e überfe^t, 
unb jn^ar im SSer^ma^ ber Driginalgebid^te, ba^ er burd^ feine 
(SW^rimfe'g) ^ofa entbedft. ^iad^bem er fold^ertneife bie ®r== 
fal^rung gemad^t, mit toeld^ großer ßeid^tigfeit „Sofalfarbe" l^erju^ 
ftetten fei, l^abe er fRacine unb ben ^laffifem i^ren ÜJiangel an 
biefer ©ubftanj vergeben. 

2Ran fül^It burd^ ben ©c^erj unb ben SBi^ red^t n^ol^I ben 



* ^nx ber greife ©oetl^e beflaricrte öffcntlid^ Wlkimk alS SSerfaffer ber 
itt^rifi^en ^ocfieti. SRcrtmcc f))Ttd^t ft(^ aber tn emem Sßrief rtii^t mit Un= 
red^t ein toenig bitter über bxt 3Rotit)terung auS, toeld^e ber große 3)i(^ter 
feiner ©ntpllung beS .^feubon^m ^^acintl^ 3RagIanobi(^ gegeben: „3Sir 
tourben aufmertfam , ha^ in htm 5Sorte ®ujla ber 9'Jame ®apl berborgen 
liegt u. f. tt)/' SRcrimee, ber tüie alle bie jungen franjöftfd^n SRomantiler 
um ©oet^c'g Seifatt toarb, l^atte il^m nämlid^ mit bem 93ud^ einen SBrtef über= 
fc^icft, »orin er x^m feine ^utorfi^aft anbcrtraut 



310 l^^t romantifitie Bä^nit in itankretd). 



^rgcr beS öomcl^men S)tc^terg, cinft, tocnn anä) nur in fitterarifd^cn 
otogen unb nur aU Süngting, einer %af)nt gefolgt ju fein, einer 
?ßartei onge^ört ju l^aben. 5Reine SBol^r^eit fagt biefeg luftige SSor^ 
toort nid^t; benn toenn anä) SKirimte'g ill^rifd^e $ßrofo==S3aDaben 
weiter feine glänjenben JBorjüge l^aben, fo finb fie boi) Srjeugniffe 
eineg feinen, forgfältigen ©tubium^ unb genou in bem Stil ffomfd^cr 
SSoIfölieber gel^atten. Dl^ne ettoog Hein ju tl^un fann 3R&im& 
fd^Iec^terbingi^ nic^t üon fic^ fpred^en. ©eine SSorreben finb, toenn 
er augnal^mStoeife einmal fid^ l^erabtäfet, burc^ ein SSortoort fid^ in 
birefte SSegiel^ung mit bem ?ßubtihim ju fe^en, Don einer nad^^ 
löffigen, gleichgültigen SSefd^eibenl^eit, bie nod^ fidlerer ate ba§ m^^ 
gefprod^enfte ©elbftgefül^I ben, toelc^er fic^ berfetben ol^ %dm 
bebient, öor jebem ^ontaft mit ber 9Renge ittoa^rt. 



XXV. 

^ie 5orm t)on ÜKirtntte'g SBcfen ift ftrcngc ober fpöttifd^e Qn^ 
rildl^altung. @ic offenbart fid^ fd^on in fetner offijieKen ©d^rift^ 
fteffertl^ätigfeit, in ben fnappen, in gad^au^brüdEen fic^ betoegenben 
93efd^reibungen ber Senhnöler ©übfranfreid^g („Notes sur le Midi 
de la France" u, f, tt).). Sein SBort über fid^ felbft, niemafö ein 
Slu^brud^ ber eigenen ©mpfinbnng ! ?iid^t tin einziger 5Reif eeinbmdf, 
nid^t bie geringfte für ben Saien bered^nete SBenbung. SBeld^' ein 
®pöj3, fö grünblid^ alle biejenigen jn foppen, bie gel^offt l^atten, 
in bent Snfpeftor ber ^iftorifd^en 2)en!mäler ben 2)ilettanten nnb 
9?oöettiften jn ertappen! 

©eine ^urüdEl^altung tritt femer in ber c^arafteriftif c^en Sleignng 
jum 9Kt|ftifijieren l^eröor, bie fid^ bei bcm SJid^ter beg fpanifd^en 
S^eater^ unb ber iH^rifd^en SBaHaben finbet» SJiefer Suq erinnert 
an 93e^(e, l^at aber einen ettoa^ anberen K^arafter. ©eine 
5ßfenbonQmität ttjä^rte nie lange, ttjar aber, fo lange er fie it^ 
^auptete, ftreng bnrd^gefül^rt @g ergö^te il^n im pd^ften ®rabe, 
bie ßefetoelt in ben Sfpril ju fd^idfen, nnb fetbft an^erl^alb be§ 
©piete gu bleiben. ®r öerfänntt !ein 9KitteI nm bie ©fiftenj 
feiner ^ßfenbon^nte glanbtt)ürbig erfd^einen ju laffen: nid^t nnr il^re 
Siogropl^ie, fonbern fogar il^r $ßorträt toirb il^ren SBerlen beige- 
geben, unb um ben ©pa§ öottftänbig ju mad^en, tie§ er für ba§ 
2:i^eater Slara (Sajute fid^ felbft aU ©panierin im au^gefd^nittenen 
Äleib unb mit ber ÜKantiKa über ben Äopf abjeid^nen unb in 
^pfer [teeren. 



312 )Die tomantif^e S^uit in ^Ftankteiiti. 

SBer burc^ ©c^iocigcn taufest, mu| bod^ enblid^ fpred^cn, unb 
»er fid^ barin gcfäKt, bic SBcIt ju m^ftiftjiercn, mu§ fid^, mm 
bag ®el^eimnte öcrratcn »irb, preisgeben. @g gicbt aber einen 
befferen $ßanjer afö ©d^toeigen unb ^ßfeubon^mitot — unb ein 
fold^er ?ßanjer ift für ^Riximit, toie für SSe^te, bie Sronie gc- 
»efen. 

@r l^atte öon Slnfang an eine fatirifd^e Stber. ©eine feiben^ 
fc^aftlic^e SSortiebe für bie unöerfälfc^te ©nergie beg ©l^rafters 
ergab üon felbft bie fpöttifd^e Haltung ben ^J^rafenl^etben gegen^ 
über. (Sin @d^auf^)iel toie ,Jies Möcontents" mff)äU j. S. bie 
l^öl^nifd^fte Satire, bie »ol^I jentafe über SReüoIutionäre in ©d^taf- 
rodE unb Pantoffeln gef (^rieben toorben ift: Icgitimiftifd^e Sonbebef- 
leute, äßunticn unb ©ummfö^jfe, toelc^e nur bie Seibenfd^aft ^aben, 
fic^ felbft reben ju l^ören, ftiften eine S5ouboir==SBerfd^tt)örung gegen 
ba^ erfte ^aiferreid^, geben einanber geheime ©ignale, enttoerfcn 
5ßläne unb ftreiten fid^ um ben SSorfi| bei i^ren SSerfammlüngen; ber 
Slnblid eineg ®enbarnten aber jagt fie in^ ^odS^ovn. S)a^ an^ einer 
toeit fpäteren Qtit ftantmenbe ©d^aufpiel „Les deux Heritages ou Don 
Quichotte/i tt)eld^eg toal^rf d^einlid^ ©mite Slugier jum SSorbilb für einige 
feiner 2)ramen gebient, entl^ält eine analoge Satire über bie gef eflfd^aft^ 
lid^e unb fird^Iid^e |)euc^ctei, ben politifc^en §umbug, bie Unritter^ 
tid^feit unb Söered^nung einer entnervten 3ugenb, im SSergleic^ mit 
tt)eld^er ÜK^rim^e geneigt fein fonnte, fid& atö einen ©d^toärmer unb 
Sbealiftcn ju betrad^ten. 

3n biefen bramatifc^en SBerfen, bie fc^on afö ßefebramen eine 
getoiffe UnöoHfommenl^eit in ber äußeren g^^^ ä^is^^r lommt bie 
SRirimte eigenfte Slrt ber Sronie nid^t jum SSorfd^ein. @r ift l^ier 
geneigt, bie g^^ben ettoag ju greH aufjutragen; feine Starte beml^t 
]^au)3tfäd^tid^ in feiner ©igenfd^aft afö S'iot^ettift. SBeit feiner afö in 
ben Dramen ift bie Sronie in ber licben^njürbigen SRiniatumoöeOc 
„L'abbö Aubain", todä)t jugleid^ Don ber bemerfenStoerten SBiel^ 
feitigfeit SK^rim^e'g jeugt. @r näl^ert fid^ l^ier beinal^e ber Art 



JUetfwfe. 313 



unb SBctfc ©bmonb ?lbout§, bcn er jcboc^ an ©Icganj mit ühtx^ 
trifft, „L'abbö Aubain" ift eine Heine ©amminng üon S3rtefen, 
teifö öon einer S)ame gefc^rieben, btc fid^ öon einem jungen W)U 
geliebt glaubt, teite öon bem 5lbb^ felbft, ber gegen einen ÄoKegen 
über bie ßiebe, »eld^e bie S)ame für tl^n l^egt, in gejttjungener 
SBeife fc^erjt SBir lernen jttjei fd^ttjac^e, aber fein fonftmierte SBefen 
fennen, bie einanber, fid^ felbft unb il^re Umgebung belügen, unb 
über bereu nafd^l^after, aber gemäd^Iid^er Steigung unb erl^eud^elter 
©elbftbel^errfd^ung bie ftumme ©atire beg S)id^terg fd^toebt, 

Sn einer S'ioöette biefer- ?lrt ift ber (Srjäl^Iet unbeteiligt; man 
!ann alfo l^ier fo tt)enig tt)ie bei ben ©d^aufpielen beobachten, toie 
ber Slutor fid^ jurürfjie^t, %m beutlic^ften aber tritt bie SDiirimie 
abfolut eigentümlid^e gorm ber 3ronie ba l^eröor, tt)o. er ben @r=^ 
jäl^Ier jttjar burd^bfidEen läJBt, tro^bem aber fic^ auJBerl^alb ber t)on 
i^m gefd^ilberten ®emüt§bett)egung fteHt. ©eine d^arafteriftifd^e SSor== 
traggmetl^obe befielet barin, burd^ feine Sronie, bie fid& in f leinen 
^ügen üerrät, bie SBirfung be^ ©rjäl^Iten ju öerftärfen, unb ^toax * 
entn^eber baburd^, bajg er bie rül^renben ©teilen mit falbem ßäd^eln 
für fid^ felbft reben läjst, ober baburd^, ba^ er ba^ ©d^meräfid^e, @m* 
pöxmbt, Seibenfc^aftüd^e in bie Sntereffelofigfeit unb Äälte ber 
Umgebung einral^mt, 3d^ toerbe einige Söeifpiele anfül^ren. 

SKfoim^e l^at in bem Keinen 2Reiftertt)erf „Le Vase etrusque," 
ber einzigen feiner SRoöeöen, toorin er einen ©toff aug ber mobernen 
3eit mit ©^mpatl^ie bel^anbelt, bie ©efd^id^te eine§ jungen $ßaare§ 
erjäl^It, ba§ fid^ ^eimlid^ liebt SSon einem näd^tfic^en ©tettbid^ein 
l^eimgefel^rt, l^äft ber junge 9Rann folgenben SRonoIog: . 

„3Bie glüdEIid^ bin ic^! fagte er fid^ jebeu Slugenbüdf. @nb:= 
lid^ bin id^ bem §erjen begegnet, toeld^e^ ba^ meinige öerftel^t!,., 
Sa, id^ l^abe mein 3beal gefunben, id^ befi|e jugleid^ einen, greunb 
unb eine beliebte . , . . SBeld^' ein ©l^arafter! . . . ttjeld^e Ieiben= 
fd^aftüd^e ©eele! SWein, fie l^at nie einen anberen geliebt atö mic^! 
. . . Unb ba bie (SiteHeit ftd^ auf biefer @rbe in StUeg mifc^t, 



314 l^it tomanttfd^e Bä^vit tu ^Ftankteiiti. 



rief er aug: Sie ift bie fc^önfte g^au in ganj ^ari^! unb feine 
Sitelfeit malte fid^ il^re ganje Slnmut aug." 

So gel^t bie Sd^ifberung nod^ eine 3^itf^^^9 fott; ^^nn unter* 
brid^t fic^ 3Jlivmit mit ber eingef chatteten SBemerfung: ,,©in gBii* 
tid^er fiiebenber ift faft fo tangtoeitig toie ein ungtüdEtid^er." Slfö 
enblic^ ba^ SSeri^ältniö jn)ifd^en ben Seiben feine öoQfte, fdfönfte 
93Iüte erreicht ^ai, afö @aint*6Iair§ flüchtige ober fo öerJ^ängniö- 
öoKe ©iferfud^t auf bie SSorjeit ber QJetiebten fid^ in ein 3Ki§t)er* 
ftänbnig, ein SRid^tg aufgelöft l^at unb »ir S^^9^^ ^i^^ ßiebeä* 
fjene getoefen finb, toeld^e ber jartfül^Ienbfte, einf c^meid^etnbfte 3)id^ter 
nic^t feiner l^ätte malen fönnen, einer ©gene, in toeld^er bie "S^xcaxtn 
ber SReue fid^ mit Säd^eln unb fiüffen mifc^en — auf toeld^e S33eife 
fagt er un§ aföbann f ed^§ ßtikn toeiter unten, bafe 5ltte3 im fetten 9?u 
öorbei unb Saint==KIair am SRorgen barauf im 3)ueö gefaCen ift? 
aSir erfahren eg fo, toie man berartige^ im Seben ju erfal^ren pfltqt 
,,9?un/' fagte Sioqiiantin ju Dberft Seoujeu, ben er abenb^ 
bei 2^ortoni traf, „ift bie $Reuig!eit ttjal^r?" 

„SlHjU n^a^r, lieber greunb," antwortete ber Dberft mit bu^ 
ftrer ÜRiene. 

„Srjäl^Ien Sie mir, toie e^ guging." 
„D, ganj einfac^, Saint ==6tair fing bamit an, ju erflären, 
ba^ er Unred^t f)aht, fid^ jebod^ X^imineö' ^gel au^fe^en 
ttjürbe, ti) er ftd^ ju einer Slbbitte öerftünbe. 3d^ fonnte bem nur 
beiftimmen, X^imint^ tt)ottte, ba§ baS ßog entfd^eibe, tt)er ben 
erften Sd^ufe l^aben foöe; Saint ^^Stair forberte, ia'^ Xl^^mineö e^ 
fei. %f)intm^ fd^ojg; id^ fal^ Saint=6Iair fid^ einmal um fxäj 
fettft breiten, bann, fiel er tot um. 3d^ l^abe oft bieg fonbcrbarc 
Umbre^en, ba^ bem lobe Dorl^ergel^t, bei Sotbaten gefeiten, bie 
t)on einer Sugel getroffen tourben." 

„2)ag ift iebenfallg fonberbar," fagte SRoquantin. „Unb toa^ 
tf)at' St^toineö ?" 

„Sr tl^at, toag fid^ Bei fold^en QJetegen^eiten jiemt @r »arf 



mititwlf. • 815 



. mit bcbauernbcr SDiiene feine $ßiftoIe toeg; mit fold^er ^effigfeit 
fd^Ieuberte er fie ju 93oben, bafe ber ^al^n jerbrad^. @g ift eine 
cngtifd^e ?ßiftoIe t)on ÜKanton» ^ä) glaube nid^t, ba§ er 
in ganj $ßari§ einen. SBüc^fenmad^er finbet, ber il^m feine 
5ßiftoIe njieber fo gut jured^t mad^en fann/' 

3nbent SDi^rimie un^ ba^ äRitgefül^I n^ol^tooHenber SBefannten 
fd^ilbert, nic^t tote fentimentale ©d^riftfteHer pflegen, fonbern n)ie 
eg tnirflid^ ift, tritt ba§ järtlid^e SSerl^ältniö ber ßiebenben um fo 
leibenfc^aftlid^er aug bem l^arten SRal^men, in toeld^en e^ ein* 
gefügt, l^eröor. (£r toeiß, ba^ ber l^eifee ©J^ampagner baburd^ 
getoinnt, in (SiS vorgerichtet ju »erben, 

9lod^ ein paar Seifpiete öon ber gäl^igfeit be§ S)id^ter§, 
über ber ®emütöbetoegung ju ftel^en, bie er in ©jene fe^t unb 
bei bem ßefer l^eröorruft, 3Kan lefe in „2)ie ©rftürmung ber 
©c^anje" bie Stelle, too ber ^auptangriff erjä^ft toirb: „2Bir 
famen fc^neQ bi§ jum gu§ ber ©d^anje; bie ^aliffaben toaren 
jerbroc^en unb bie @rbe öon unferen Äugeln jerttjül^lt ®ie 
©olbaten toarfen fic^ in bie 93refd^en mit bem'Siuf: „@g lebe 
ber Äaifer!" unb ber SRuf toar ftärfer aU man eg t)on 
Seuten, bie fd^on fo lange gefc^rieen l^atten, ertoarten 
follte," S)er ©rjäl^Ier ift ^ier nid^t ber S)id^ter fetbft; er läjst 
einen Dffijier feine erften friegerifd^en ©rlebniffe mitteilen, aber 
biefer ift nid^t^beftotoeniger öon feiner S(rt, benn er teilt nid^t bie 
Söegeifterung ber ftürmenben ©olbaten, SBeit entfernt, il^ren 
©ntl^uftaSmu^ für Slapoleon al^ ben Wlnt anfeuemb ober at^ 
patriotifd^ ju greifen, fritifiert er faltblütig bie Äraft il^rer 
ßungen, 

. 3Ran barf fid^ nid^t aHjufel^r tounbern, toenn biefer ©tit, 
biefer Sion, ber bie Dbjeftiöität be§ 2)argeftellten fo überrafd^enb 
fid^ert, immer toieber al§ ©^mptom ber ^erjen^fälte aufgefajst 
toivb. ®r ift eg aber in SBirflic^feit fo toenig, toie bie SBal^l ber 
fd^aurigen ©toffe ein Symptom öon 9Kfrim&'ö @5raufamfeit ift. 



816 l^t tomQntif4)e 3d)ttU in irankrtid). 



SBic oft ift jene 3tonie be^ SBortrag^ im ®cgcntetl nur bcr burt^* 
fid^tigc ©d^Ieicr ber S^mpatl^ie unb Sntrüftung! 3Kon ftubim 
bicfc 3tonte in ber Keinen Sflo\)tUt ,,3;amon9o'', tt)o fc^on bie 
SBa^f bciJ ©toffe« bem oberflächlichen üefer ate SetoetiS für einen 
^ang jum (Smpörenben btenen fönnte; benn »ag erregt mel^r abfd^eu 
afö ber ©Haöenl^onbet unb bie ©flaüenquälerei ober afö ©c^iff^ 
brud^, |)ungeriJnot unb SCotfd^fog? Unb aQeg biefeg nun gor mit 
einem ironifd^en Säd^eln vorgetragen! Aber man fül^It, wag biefe 
Sronie bebeutet, ttjenn man einen @a| »ife ben folgenbcn lieft: 

,,2)er Kapitän gab bem l^albbetrunfenen SRegerfönig ben ^anb* 
fd&Iag, unb fogleid^ n)urben bie @Hot)en ben franjöfifd^en SKatrofen 
übergeben, bie fic^ beeilten, bie langen ^oljgabetn, in toeld^en bie 
Sieger jene gefül^rt l^atten, öon ben Ralfen ju entfernen unb 
eifemc §aföringe unb Slrmfd^etten anftatt berfelben anzulegen, eine 
JBeränberung; ttjefc^e bie Überlegenl^eit ber europäifd^cn 
©iöilifation bettjeifi" 

ÜJian fül^It eg nod^ ftärfer, ttjenn man jU ber ©teile fommt, 
ttjo ber Äa|)itän burd^ ttjud^tige ©daläge mit' bem Xauenbe ba§ 
fd^öne 9legermäbc^en fügf am ju machen fuc^t: 

„SRit biefen SBorten ging ber Äapitän in bie Kajüte l^inunter, 
tiefe ^\)ä)l fommen unb öerfüd^te fie ju tröften; aber toeber Sieb^ 
fofungen nod^ ©erläge (benn man verliert gule^t bie ®c^ 
bulb) öermod^ten bie [d)önt Siegerin feinen SBünfc^en tnittfä^rig 
JU mad^en," 

9Äan mufe ftum))f fein, um nid^t ju fül^Ien, ttjie gerabe ^ier 
bie rul^ige ^ättt, ttjeld^e fid^ bamit begnügt, bie Il^atfad^e ju !on* 
ftatieren, ba^ bie SÄenfd^en fo finb unb eg im ßeben fo juge^t, 
ben fted^enben (SinbrudE ber ®malüi)at öermej^rt, 9Äan legt hc^ 
95ud^ nid^t ol^ne 5Rül^rung au§ ber ipanb. SBa§ juerft faß er* 
fd^ien, barin erblidft man atebann nur ben erftarrten Slu^bruc^ 
t)on bem inneren geuer ber ^nftlerfeele; man begreift, ba^ @e* 
müt^betoegung hinter ber fd^üd^temen unb boc^ fo energifd^en %ma 



mtimit, 317 



biefcr Slrbeitcn ftedt, unb baJ3 eben bte innere, ©rregung fie fo 
mebaillenfd^arf geprägt l^at 

3n fetner öon Tliximit'^ Sloüeöen bürfte bie ironifd^e Einlage 
ber ©rgäl^tung unb bag tiefe ©efül^I, toetd^eg fid^ aug ben SBinbeln 
aller SBorurteile befreit l^at, öottenbeter jufammenfd^metjen atö in 
„Ars^ne Guillot". S)ie Xugenbetilette ber öorne^men d^rtftlid^en 
I)ame bilbet l^ier ben (Segenfa| ju ber Unfenntniö, in ttjeld^er ba^ 
arme, fd^on öon ber SRutter öerfaufte SÄäbd^en fid^ befinbet, ba§ 
t)on bem ganzen ntordKfd^en unb c^riftlic^en ©efettfd^aft^braud^ 
nici§t§ toei§. 3n einem Slugenblid ber SBerjtt)eiftung fpringt e^ 
oug bem genfter, brid^t ein 93ein unb mehrere ^ippttt, unb bie 
Sloöette fpielt fic^ an feinem ^anfenlager ab. 3m ßaufe ber (£r^ 
[ung forgt tt)ie gen^öl^nfid^ bie Sronie bafür, ba% äRitleib unb 
ül^rung ba^ fünftlerifd^e 9KaJ3 nid^t überfd^reiten; gegen btn 
Schlug, too Slrfene'g %ob gefd^ilbert n^irb, ift e§ jeboc^ bem ^erjen 
öerftattet, ju reben; unb bie einfädle ©prad^e begfelben öerleil^t ber 
fterbenben (Srifette einen Sauber, toie er fd^öner nid^t Sllfreb be 
äJhiffet^ Söenerette im Xobe öerflärt, Sfter ju aöerle^t tritt bie 
ffinftlerifc^e 3ronie burd^ eine einjige ä^i^e tt)ieber in il^re fRed^te 
ein. ®enn bie Qük: „S)ie arme Slrfene, fie bittet für un^", t)on 
einer toeibtid^en ^anb fein mit Sleiftift auf Slrfene'^ ©rabftein ge^^ 
fd^rieben, befel^rt un^ in il^rer Äürje, ba§ bie ftrenge S)ame ber* 
felben SSerfud^ung erlag toie ba§ ungebilbete S^inb, unb ba'^, al^ 
Strf ene l^elbenmütig ftarb , il^re S5ef c^ü^erin • bereu beliebten erbte. 
Unb boc^ ift ba§ SBort Sronie l^ier f aft ju grob ; e^ f el^tt mir ein 
äugbrudf, um biefe 9toancen ju bejeic^nen. 3ene fd^ttjac^^ronifd^e 
SSteiftiftjeite entl^ätt in il^ren fieben SBorten eine äRfoimte'fd^e, ba§ 
l^ifet lafonifc^e Xoleranjprebigt 

Sine t)on V ^auffonöiUe mitgeteilte ^ufeerung SDi^rim&'g an 
®mile Stugier über feine Keine, 1869 für bie Äaiferin gefc^riebene 
5Rot)eße „La Chambre bleue" giebt barüber S(uf f d^tufe , * toie biefe 
anfangt an^ feinem SWatureH unbetoujst l^eröorgegangene ©rjäl^tung^* 



318 l^te tomantif4ie Bä^nit in irankteidt}. 



mctl^obc jule^t bctou|tc SRanier tourbc. 6r fagtc: „S)ic ©cfd^ic^te 
i)ai einen großen %tf)itt, ber barin beftel^t, bo§ id^ anfangt einen 
tragifc^en Sc^Infe geplant l^atte nnb alfo natürlid^ertoeife im 
fdjerjenben Ion jn erjäl^Ien begann. 3)ann änberte id^ meine Sbce 
unb fd^to^ mit einer fc^erjl^aften Söfnng. 3c^ l^ätte nun öon üom 
anfangen unb bie @5efc^id^te im tragifc^en Ion erjäl^Ien mfiffcn, 
aber ba§ tangmeilte mid^, unb id^ liefe fie, tt)ie fie tt)ar*" — S)ic 
gorm, n^eld^e urfprüngüc^ bie [titiftifd^e SluöbrudE^toeife einer )c|r 
fenfiblen unb fe^r ftoljeu' Seele toax, artete gegen baö @nbe tjon 
SR^rimte'g Seben ju dner raffinierten, übertriebenen Slnnjenbung ber 
Äontrafttoirhing al§ fünftlerifd^em SRittel au§. 



XXVI. 

3tt einem Briefe Dom 22, Jloöember 1821 fd^rteb ber SKaler 
Minmit: „^d) i)abt einen emad^fenen Sol^n öon ad^tjel^n Salären, 
au§ bem id^ einen Slböofaten mad^en möd^te, ®r l^at fold^e 2ln== 
lagen für bie ÜRalerfunft, ba^ er, ol^ne jemate etoa^ fopiert ju 
l^aben, ©fiäjen mad^t toie ein junger ©d^üler," — SBie fo Diele 
ber l^eröorragenbften franjöfifd^en Siomantifer gab ^rofper SK^rim^e 
bie SBefd^äftigung mit ber bilbenben Äunft nie auf; er matte 
Slquarette, tüar aber üor allem ein unermüblid^er unb begabter 
Seidener, ©ein Talent jum 3^i^nen fd^eint mit feiner fprad^Iid^ 
ftiliftifd^en gäl^igfeit eng Derttjanbt. 

Sn ber (Generation üon 1830 fd^einen $ßrofper ÜJi^rim^e unb 
3]^^opI|iIe (Sautier in ftiüftifd^er ^infid^t einanber ju ergänzen. 
3)er Untrij3, bie ftrenge ßinie ift bie @tär!e SR^rimfe'^, eine 
glül^enbe ^avht bagegen ber SSorjug ©autier^, üon toeld^' le^terem 
man glauben möd^te, baj3 er nid^t mit ber geber, fonbern mit bem 
5ßinfel f d^reibe. (Sautier liebt t)or allem ©raperie unb SBeleud^tung ; 
fein üppiger Stil ift üenetianif d^ ; e§ ift lauter SBrof at unb Samt, 
toaö er t)or un§ ausbreitet, mit glittem unb ©d^meläperlen über- 
fät aK^rimfe'g einfädle, jebod^ im l^öd^ften ®rabe elegante ®ar* 
fteHungötoeife ift farblos unb büfter, aber toaS er fagt, ift n)ie 
mit bem ©rabftid^el l^erauSgearbeitet. ©ein @til l^at eine @igen== 
fd^aft, tt)d(i)t üon ber glänjenbften ©prad^bel^anblung nid^t über* 
troffen toerben fann — er ift burd^fid^tig: feine ©eftaften unb 
ßl^araftere erfd^einen in il^rer frappierenben SBilbl^eit greifbar 



320 l^ie tomantifitie Jd^uU in iranktetil). 

Icbcnbig. 8CKc Umriffe jcigcn fid^ un^ in troligcr ©d^ärfc, toie 
biejenigcn cinc^ ©emätbcg ober einer SRabierung t)on Sacqucö 
SaKot, an beffen ÜRanier bie ^Riximit'^ erinnert. @ine junge 
männliche S^gur SaQotö, bie, ben aufgefräntpten %tbtxf)nt M 
auf'g O^r gebrüdEt, * im enganfc^Iiefeenben SBaffenrotf, ben langen 
2)egen an ber Seite, mit toeiten ©tiefetn, bie fid^ fd^murf um bie 
fräftigen SBaben falten, in ftotger, l^erauSforbember Gattung ber 
3euge irgenb einer ®etoalttl^at ift, toüxbt j. 83. eine au^gesei^netc 
Sttuftration ju „Chronique du riegne de Charles IX" abgeben. 

SSon ber 3urürfl^a(tung unb S)i«fretion fBlüimit'^ giebt enblit^ 
unb tefetlic^ 3^^9«^^ ^^^ ftoffifc^ elegante Strenge feinet @tifö. 
©eine gorm ift tic^t unb glatt ttjie blanf polierter' ©tal^I: fein 
^ierrat, feine 95Iume, niemafö irgenb tDd6)t^ Dmament; aber jebe 
®eftalt tt)ie an^ ÜRetatt getrieben, burdigeformt unb n^al^r, ebenfo 
foftümgetreu ttjie lebenbig. deiner unter ben jeitgenöffifd^en fran== 
jöfifd^en Did^tern ^at in \pxa(i)ü(i)tt ^infic^t fotc^en ariftofratifc^en 
Sonferöati^muö gegeigt ttjie äR^rimfe, nid^t einmal ©l^arle^ Slobier. 
@r l^at bie ©prad^e genommen, toie fie il^m öon ^ug au^ ge- 
geben toar, er liefe jebem @a^, ben er fd^rieb, fein ©epräge, 
ol^ne je ein abfonberlid^eö SBort ju ^ütfe ju nehmen ober gett)ö^n* 
tid^e 3Borte in ungetoöl^nlid^er SBeife anjutoenben. ®r fd^eute öor 
aöem bie allgemeinen Slu^brüdfe unb bie abftraften SQSorte, tvdä)t 
über ben @5ebanfen einen ©d^Ieier breiten, hinter bem er fic^ größer 
unb bebeutenber .au^nel^men foH. 2Ba§ il^n ingbefonbere auggeic^net, 
ift bie ©id^erl^eit beg Slu^brudg, bie ®abe, mit bem ungefd^mücften 
aSort, beffen Gepräge burd^ ben (Sebraud^ abgenu^t erfd^ien, genau 
bie SSorftettung l^eröorjurufen, bie er im 5luge l^at. |>ugo fd^rieb an* 
fd^aulid^, patl^etifc^; ®autier unb biejenigen, toeld^e fid^ i^m an* 
fd^Ioffen, einen finnlid^en bilberftro^enben Stil; beibe fud^ten burc^ 
SBort^Slrd^iteftur ju tt)irfen. 93ei ben SReiftern toar bie§ ©treben be* 
red^tigt. S)ie SSerfud^e il^rer ^iad^a^mer unb ©d^üler erinnern aber 
nur ju oft an jene prac^töoöen Slquäbufte auö ber SRömergeit, bie, 



Mhimh nti^ (6miin. 321 



ttjctt man nid^t tonnte, ba§ bag SBaffer au^ eigner ^aft aug bem 
%f)ai entporfteigen !önne, mit ungel^euem Soften t)on einem ^öl^e* 
punft jum anbern au^gef^jannt tourben. SBir bett)unbem biefe 35en^ 
tnäter; aber unfere S8ett)unberung toürbe jel^nmal größer fein, lüenn 
wir anftatt il^rer einfädle 9iöl^ren, bie ftd^ an bie Srbe l^ielten, ge* 
funben l^ätten. S)er fünftUd^e, fd^iüungüoffe Sln^bmdE ift toie ber 
Slquäbuft; bag einfädle SBort, tt)eld&eä gerobe aufg Sid lo^ gel^t, 
ift »ie bie unanfel^nlid^e SRöl^re. S)er @til ÜR&imfe'g ^ält fid^ 
gerobe lüie bie Sftöl^re an bk ©rbe, l^at feine unnü^e 5ßrad^t, 
feinen unnötigen @d^tt)ung, verliert feine ^äfte nid^t baran, fid^ 
ju f^reijen» ©iefer Stil entbel^rt beSl^alb nid^t ber Slnmut, aber 
er l^at feine anbere ®rajie atö bie ber öoßfommenen ^aft* S)a 
ift fein SBort ju t)iel unb jeber @a^ ftel^t im S)ienfte be^ (Sanjen* 
S)ag alte ÜRotto: „Ne quid nimis" fd^eint bk Sofung biefer (£r^ 
jäi^Iung^funft genjefen ju fein, 

S)er S^^^f ^^^ äR^rimfe bamit verfolgte, njar augenfd^einlid^ 
ber, burd^ SJer^id^ten auf jeglid^e^ 93einjerf feine ' Keinen ^nft=» 
merfe fo unangreifbar tt)ie möglid^. für ben S^^^ ^^^ 3^it i^ 
mad^en. ©ein Söeftreben erinnert an baö eine^ fforentinifd^en ^üb^ 
i^auerg; man l^at bie eigentümüd^ gebrungene Haltung öon S)ona= 
tetto'g l^errlid^em @t. ®eorg — bie enganliegenben Sinne unb 
^änbe — bol^in ju erllären gefud^t, baß er an ben SBilbfäuIcn 
beS 2lltertum§ forgfältig 6eo6ad^tet l^atte, toeld^e Äör^jerteite am 
meiften gelitten l^atten unb tt)arum, Sluf analoge SQSeife l^at 
äR^rimfe feine SBerfe, bamit fie bem tt)ed^felnben 3^ügefd^mad %xo^ 
böten, t)on aQem Slußentt)erl unb aßen ?lbfd^tt»etfungen t)on bem 
SBefen ber ©ad^e frei gel^alten. 

®ennod^ fd^Iug feine ©d^reibtoeife für bie näd^fte ^i^Iunft 
nid^t burd^: nid^t er, fonbem ®autier tt)af^, ber atö ©tilift eine 
©d^ule ing Seben rief. 3d^ gel^öre nid^t ju benen, bie eg be^ 
Hagen, baß ein reid^erer unb finnlid^erer ©til benjenigen ÜRirim&'g 
öerbrängt l^at, unb baß bie neueren franjöfifd^en ©d^riftfteöer nid^t 

a^ranbeS, Sittecaturgefd). beS 19* 3al^^. V. 21 



322 l^te tomantifdie diQule in irankteid}. 



nur ben @afe forrcft unb flar bilben, fonbcm tl^m toomögtid^ eine 
SKcIobie, eine ^^rbe, einen S)uft geben. 33ie ©d^reibtoeife, tt)e% 
t)on (Sautier auf gl^ubert unb üon biefem auf 3oIa unb 5)aubet 
übergel^t, l^at inbe^ auc^ i^re bebenflid^e ®txtt, unb ber SRepräfentant 
beg beffriptiöen ©tite, toeld^er in unferer Stit ba^ meifte Sluffe^cn 
erregt, ift ntd^t blinb bafür. 3ci^ finbe in einem ber geuiöeton§ 
Qdla!^ folgenbe Setrad^tung: 

,,33a§ Sc^Iimmfte ift nad^ meiner Übergeugung ba§ getoorben: 
ba§ ber Sargon unfereS Stitalttt^, jener Xeil be§ @tit§, toeft^er 
ber SRobe angel^ört unb üeratten mu§, für eine ber unge^euer^ 
lid^ften ©tilarten ber franjöfifd^en ©:prad^e gelten toirb. • ®a^ 
Iä§t fid^ mit faft matl^ematifd^er ©id^erl^eit üorau^fagen. S33a§ Be^ 
fonberg leidet üeraltet, ift bag S3ilb. @o lang e^ neu ift, pa& 
unb begeiftert e^; njenn e§ jtt)ei ober brei (Generationen l^in* 
burd^ angenjanbt tt)orben, n)irb eö ein ®emein))Ia|, jule|t eine 
Säd^ertid^feit SKan fel^e SSoltaire mit feiner trorfenen ©prad^e, 
feinem fräftigerf ©a| ol^ne Slbjeftiöa, njeld^er erjäl^It unb nid^t 
malt: er bleibt etoig jung. SKan fel^e SRouffeau, unfern ©tamra^ 
öater, mit feinen 93ilbem, feiner leibenfd^aftlid^en 9il^etori!; er l^at 

njibertoärtige ©eiten gefd^rieben SBir ^dbtn alfo ein 

l^übfd^e^ So§ öor ung, ujir, bie tt)ir fßouffeau nod^ überboten 
l^aben, unfre ©ä^e malen, fingen, tt)ie SJiarmorblödEe bearbeiten 
unb üon ben SBorten baö ben ©ingen eigene Stroma forbem. 
%W ba§ regt bie 9lert)en ber Seute auf, toir finben e§ au^gefud^t, 
nun gut, e§ mag ja nid^t fo übet fein* 9iur ift bie ^i^age, m^ 
unfere Urenfel bdju fagen njerben, Sl^re ©mpfinbungtoeife wirb 
fid^erlid^ fid^ geänbert l^aben, unb id^ bin überzeugt, ba^ fie m 
mand^en unferer SBerfe erftaunt baftel^en ujerben. gaft 3Hfe§ wirb 
an il^nen veraltet fein/'. 

35er SSerfaffer biefer »einmütigen ©elbftöerbammüng ge^t 
iebenfaßg t)iel ju toeit SBenn unfere Siad^fommen fid^ um unfere 
SBüd^er toenig fümmern — toa^ toal^rfd^einüd^ genug ift — fo mirb 



Mhlmh unb (Sautier. 323 



ber ©til, in toetd^cm fie gcf einrieben finb, bk gcringfte ©d^ulb 
' baran l^aben, 3ebenfattg aber finb Qola!^ SBortc mcrtoürbig al3 
3cugni^ eineö titterarif d^cn Äoloriften ju (Sunftcn ber fRationaüften 
beg ©tifö, nnter tod^tn in unferem Sal^rl^unbert SSRiximCt lüol^I 
einer ber erften ift,. 35ie heften feiner SBerle finb tooi^rc SJionn* 
ttiente. Gelten finb in ber SBelttitteratnr Meine 5ßrofaarbeiten in 
fo großem @til anögefül^rt Sorben. ®§ ift bie ©ad^e fettft, bie 
im fd^ärfften ©onnenlid^t öor nn^ fielet, ol^ne üont 9iebel ber (Sm* 
^)finbfam!eit nml^üllt jn fein. S)en bilberreid^en 5ßrofaiften lüeniger 
JU fd^ä|en, toeil feine Silber burd^ bie SBieberl^otung fd^neß üer- 
alten, tt)ürbe unbillig fein; ebenfogut fönnte. man einem Äontpo* 
niften jur Saft (egen, baj3 un^ feine SKetobien burd^ bie ©rel^orget 
verleibet njerben. Slber ba^ läjst fid^ nid^t leugnen, ba§ ein 
ftrenger, bilberfreier @tit, n)ie berjenige SR^rimfe'^, ber nid^tg 9?ege== 
tabilifd^eS an fid^ l^at, bie ©rjeugniffe ber befd^reibettben ©tilart 
überbauert, toie bie Sronje^Statue einen btü^enben S3aum. 

Urfprüngtid^ galt biefer 2)id^ter für einen reinen 9flaturatiften. 
Sltfreb be SJhiffet l^at in feiner 3ugenb über SDi^rim^e, ben er naiöer 
SSeife mit Salberon jufammenfteQt, einige SSerfe gefd^rieben, bie unS 
auf l^öd^ft intereffante 3Seife^ ben (Sinbmc! öergegenitJärtigen, toeld^en 
bie 3ritgenoffen öon SR^rim^e'g Salent empfingen; e§ fam i^nen 
t)or, ate ob er nur Slbgüffe nad^ ber SBirftid^Ieit mad^te: 

L'un, comme Calderon et comme M6rim6e, 

Incruste un plomb brülant sur la r^alit^, 

D^coupe k son fiambeau la Silhouette humaine, 

En empörte le moule, et jette sur la sc^ne 

Le plätre de la vie avec sa nudit^. 

Pas un coup de ciseau sur la sombre effigie, 

ßien qu^un masque d'airain, tel que Dieu Ta fondu. 

,,9?id^t einen SReiJBell^ieb/' ift ein broHige^ 3Bort jur ßl^arafterifttf 
beö energif duften ©tiliften ber ©pod^e, aber foöiel ift Mar, baj3 er 
3llfreb be 3Jiuffet afö ein öoßbtütiger 9laturatift erfd^ien. 2)ie§ berul^t 
barauf, ba§ fid^, toie fd&on ertoäl^nt, in ber 9iomantif öon Slnfang 

21* 



324 I)ie romostifdit $^t i» itatikreid). 



an ein nahtraliftifd^ed ®iement oorfanb. SRon füllte bamal^ im 
romanüfd^en Sager gar feinen 3^tefpalt jmifd^n TlaturalidimtS unb 
Stomantiänmg. ®ctoi§ toar bie 5ßoefte bcr gdJerbüfd^e mü> Solcbo^ 
fitngen ffiinem lieber ate ba^ SSSefcn beä realen ßebcn^; aöer aud^ 
bie SBirMid^fett liefe fid^ poetifd^ üertoerten, tpenn fie garbe unb 
(Sl^aralter, flammt nnb Seibenfd^aft unb e^otifci^en ^uft l^tte, mb 
boi^ toar bei ÜR^rimie ber gaU. S)te Stime beS f|Mitcren Slatura^ 
tii^mud finben fid^ bei il^m foiool koie bei ben anberen äiontastifent, 
nur bafe bei biefen bie Siebe jur ^nft bie Statumad^al^immg be^ 
l^errfd^te« Snbeffen ift Wlitimit mit feiner SJorliebe für brutofe 
©toffe, mit feiner gemad^ten Säfte ganj beutlid^ ein SSorlmtf er ber* 
jenigen ©efd^adESrid^tung , todäft m ber folgenben (itterarifd^ 
©eneratton l^ertjortrat. 3n Saine'g „Vie et opinioBs de M» Grain- 
dorge" (1867) finbet fid^ eine Stütf bie ein Urteil über bajg gefettigc 
ßeben obgiebt, aber eine größere SCragioeite l^ot: „Depuia dix ans 
une nuance de brutalitö compl^te Tel^nce." EJian fül^ft ha^ bei 
faft allen ben größeren ©d^riftfteDem be§ jtt)eiten Saiferreid^e^, bei 
bem jüngeren 2)uma^, bei tJIoubert, toeld^en man ben Wlirmk 
unferer Xage nennen möd^e, enblid^ bti Zaint fetbft, ber ^uf) ganj 
in äRörimfe'^ ©eele l^inein freut, lüenn er ,, einen fd^önen SKorb' 
ju fd^ilbem l^ot,- unb feinen (Srainborge bem Sefer eine genaue 
3lntt)eifung über bie ^nraftifd^fte SKetl^obe, ftd^ mit einem Siafter^ 
meffer bie Sel^Ie abjufd^neiben, geben läfet^ 

§eutjutage gilt SK^rimie für einen Slaffifer. ©eine flare, 
burd^fid^tige jS^vm, feine ©d^eu x>ov I^ifd^en ©ftraöaganjen, öor 
meta^)l^orifd^er fßl^etorif fd^einen i^m einen 5ßla| aufeerl^alb ber 
romantifd^en Oituppt ju ftd^m. Slber toir l^aben gefeiten, ha^ 



* „Quand Cromwell passe en Irlande, il marque le nombre et la 
qaalit^ de3 gens massacr^s, et puls c^est tout Et cependant qaels 
beaux massacres! Quelle occasion pour p^ntoer le lecteur de la 
froide fureur qui poussait les 6p6es des fanatiques!" Taine: Essai sur 
Guizot. 



Mitxmh ttttb lautier. 325 



in *einem getoiffen Sinn alte franäöftfd^en SRomantiler afö Älaffifcr 
ju betrad^ten finb , unb ba§ nur beutlid^cre Ilaf fif d^e ®c^)räge 
Wiximit'^ fonbcrt il^n alfo burd^aug nid^t i?on bcr großen 
litterarifd^en ®XMppt bcr franjöfifd^en SRoniantüer au§. 

3Benn man aber nod^ bebenft, ba^ er, fo gut lüie §ugo unb 
be SSign^, bem ©inffu^ SBalter Scotts untertnorfen getnefen ift; ba^ 
er eine unöerfennbare 9Sertt)anbtfd^aft mit bem 93^ronfd^en ©atani§= 
inug l^at; ba^ er, ber nüd^teme ^^eiffer, fogar ©ad^en in 
^offmannfd^cr Slrt tt)ie „La vision de Charles XI*^ fd^rieb; ba§ 
er Se^Ie'g unmittetbarer ©d^üler mar; ba^ er, ed^t romantifd^, faft. 
immer ba§ grembe unb Unmobeme barfteßte, bann mitb man fo 
t)ie£e bcn franjöfifd^en Siomantifem gemeinfame 3^9^ ^^^ ^ 
finben, bo^ man in il^m ba8 ed^te Äinb feinet 3^ttalterg 
crfennt 

©eine Oeftatt l^ebt fid^, and^ ol^ne ba^ man il^m eine t&np 
lid^e Driginalität juerteilt, au^ ber genialen (Generation oon 1830 
l^inlänglid^ l^erbor. 2)ie Slnbem fprengten in bunten SSaffenröcfen, 
ntit üergolbeten Reimen unb 'Wel^enben gal^nen in bie ärena. @r 
ift ber fd^marje Slitter in bem grojsen romantifd^en 3;umier* 



XXVII. 

sin einem ber erften Sage be^ Sal^re^ 1830 toanbelten m 
. ^ari§ brei junge fieute nad^ einem abfeitö Kegenben ^aufe nol^e 
ben (Sl^anH)^ ©I^fie^, bem einzigen, ba^ bamafö in ber eben etft 
abgefterften Strafe ftanb. S)er eine, im Sllter öon neunjel^n Salären 
ftel^enb, l^atte einen ©ang, ber an ba^ p))fenbe %x\ppün eine§ 
SJogetö gemal^nte, feine Haltung toar vornübergebeugt, feine 
lafd^en ftro|ten t)on SKanuffripten. ®g njar ber feine 5ßl^an^ 
taft, ber Iiebengtt)ürbige $oet (S^rarb be Sßerüat, beffen ^au^t^ 
befd^äftigung e^ bübete, fid^ im ©ienfte feiner greunbe bie Seine 
abzulaufen* Sieben il^m fd^ritt in toürbiger Haltung mit cofti== 
lianifd^em @mft in ben SKienen ber bleid^e, fd^tt)arjbärtige $ßetru§ 
^ Sorel, ber afö ber ältere • — er jöl^tte fd^on ättjeiunbjUjanjig — 

ber SRittetpunft einer ganjen Qivnppt t)on funftbegeifterten Süng- 
lingen ujar; in einigem Slbftanb enblid^ folgte jögemben (Sänget 
unb fel^r erregt ein ad^tjel^niäl^riger , l^übfd^er SRenfd^ mit oliüen* 
gelber ®eftd^t^farbe unb regelmäßigen SH^^r tt^eld^em bie grcunbe 
öerfprod^en l^atten, il^n bei Sßictor §ugo, bem 93ett)ol^ner beg ein^ 
famen §aufe^, einjufül^ren, ba il^nen bag öielbeneibete ®lüdf ju 
Xeil toarb, bort gern gefel^ene ®äfte ju fein. 

3^^ittial ftieg ber junge ©autier l^inter 9ierüal unb Sorcl 
bie Xxtppt l^inauf,. langfam, afö l^ätte er 93lei in ben tJüfeen; nur 
mit SRül^e fonnte er atmen, ber falte ©d^meiß ftanb il^m auf ber 
Stirne unb' fein §erj Ilo^)fte prbar, Sebe^mal, n^enn fie an 
bie %f)nxt famen unb fid^ anfd^idEten, bie ©lodEe ju jiei^en, 



«d. (Kautier. 327 



iagtc er, öon Slngft übcrtoältigt, bcfd^Icunigten Saufet bic Zxtppt 
toiebcr J^inunter, üerfotgt üon feinen lad^enben SBefd^ü^em, SBie 
eg im ÜRärd^en ju gelten ))ffegt, gtüdte crft ber britte Sßerfud^, 
®autier bat um ©rlaubnii^, ein SBeild^en auf ber oBerften ©tufe 
auSrul^en ju bürfen, er UJoQte fid^ etoa^ erl^olen, benn 3lße§ fd^ien 
um il^n ju tanjen. 3n biefem Slugenblitf öffnete fid^ bie S^ür be^ 
SBarjimmerg, unb in einem. ©tral^Iengfonj , toit er ^ßl^öbug Stpoflo 
umfliegt, erfd^ien gegenüber ber bunfeln Xreppe fein geringerer alö 
SSictor §ugo felbft in aß feiner fRul^megl^errlid^feit, burd^aug bürgere 
lid^ geüeibet, in fd^njarjem fßod unb grauen §ofen, unb ebenfo 
forgfättig rafiert tt)ie ber erfte befte ^^ilifter. ®r läd^elte beim 
Slnblid be§ betroffenen Süngling^, fd^ien aber nid^t fe^r über= 
rafd^t — toar er eg bod^ gett)o^nt, junge S)id^ter unb Huftier auf 
feiner ©d^ujette balb errötenb , halb erbleid^enb fid^ in ©tummeln 
verlieren ju feigen. 6r ftanb augenfd^einßd^ ju ©autier^ ^öä)^ 
lid^fter 8Jertt)unberung im Segriff, auf bk ©trafee ju gelten toie 
ein getoö^nlid^er ©terbüd^er; e§ ^ätte il^n ujeniger verblüfft, tomn 
^ugo im Sriunnjl^toagen burd^ bie ©tobt gef al^ren UJüre , gejogen 
öon mitd^toeifeen Stoffen, mit ber ©iegeögöttin, einen golbenen ^anj 
über feinem Raupte l^altenb, öoran. 3nbeg feierte ber ©id^tcr 
loieber in fein ^iwimer jurüdE, unb Sl^fepl^ile (Sautier tt)ol^nte ate 
ftummer Suf)öxtx bem ©efpräd^ jtoifd^en il^m unb feinen beiben 
jungen greunben bei; er felbft njar t)iel ju befangen, um mitju* 
reben. Stber mit biefem 93efud^ beginnt gleid^tool^I eine neue 
&poä)t in feinem 35afein; benn öon biefem Slugenbüd an big ju 
feinem 2^obe toar er §ugo§ gefd^toorener Slnl^änger, beffen glül^en=* 
ber S3ett)unberer , banfbarer ©d^üler unb unüerbroffener §erolb» 
SRicmafö, aud^ nid^t nur ffüd^tig, felbft nid^t toäl^renb langjäl^riger 
2;rennuttg, nod^ bei bm Slbftanb, ben öerfd^iebene ^)oütifd^e 9iid^* 
tungen mit ftd^ bringen, üergafe er bie unbebingte Sreue gegen 
btn, toeld^en er im Snnem feit ber erften ^Begegnung feinen 
$erm unb SÄeifter nannte* 



828 l)ie romatitif^e B^vAt in irankreit^. 



®ic SJcranlaffung ju bicfent SBcfud^ toax bte crftc Äupl^ng 
t)on ,;§cmatti" im Xl^&tre fran^ai«. SRan fam, um einige ^atfcte 
öon jenen Keinen, öieredigen SBiHet^ ju Idolen, auf »eld^en mittete 
Stempel „^itao*' gebrurft ftanb. Ooutier, miä^tt „®ie Orientalen'' 
gelefen ^atte, mar für ba^ ®tädE fd^on begeiftcrt, tf)' er e§ nur 
Jannte. 

@r njar in bem SSiertel, basf er bmof)ntt, längft befannt bnrc^ 
feine SEtraüaganj, 3n jeber SBeife forberte er jenen abftraftcn 
©piepürger l^eraug, ber ben jungen Siomantüem fo öerl^a^t mar. 
6r ging für gemöl^nfid^ in einem furjen, fd^marjen ©ammctrorf 
unb gelben Seberfd^ui^en, immer borl^aupt, ba§ lange, bunfelbraune 
§aar, ba^ trefflid^ ju feinem mattgelben Xeint ftimmte, Iie§ er bi§ 
jum Oürtel J^erabmaQen; fo ftoljierte er unter einem aufgefpannten 
Siegen^ ober ©onnenfd^irm, bie ßigarre im äRunbe, mit ftrammer 
Haltung unb jugenbßdöer SKajeftät einiger, ol^ne fid^ im entfemteften 
um bie l^öl^nifd^en SStidEe ber inbignierten ^Bürger ober um bie 3«* 
rufe ber lad^tuftigen ®affenjungen ju fümmem. ®r ftrafte il^e 
Sßeinung mit öoßfommener SBerad^tung. 

Slber er fül^fte bie 9lottoenbigIeit, ju ber erften Slufffil^rung öoti 
^emani nod^ ganj befonbere SSorbereitungen ju treffen. 6r befteflte 
fid^ „bie rote SBefte" — jene SBefte, bie eines ber toeftberill^mteften 
ÄleibungSftücfe »erben foßte. Si^re garbe mar nid^t baS Slot, 
toeld^eS fReöoIutionSmänner ate ©^mbol ermäl^tt unb an melc^cs 
bie 5ßo(itifer bei feiner ©rtoäl^nung beuten — nein, e§ mar 
baS feuerrot, meld^eS bie bamatigen jungen Huftier afe ©mblein 
für il^ren $a§ gegen baS (^vaut beuteten. @S mar ein ®t&d 
fd^arlad^farbenen SlttaS, beffen garbentöne ben jungen Später unb 
^id^ter entjüdEten. ®r fal^ eS mit SBIidEen beS SBol^IgefaHcnS an, 
mie id^ mir benfe, ba^ 5ßaul SSeronefe ein ©tfidE ©eibenjeug 
betrad^tet ^aben mag. — Sltö ©autier in S5efi^ biefeS ©d^a|e§ 
gelangt mar, tie^ er ben ©d^neiber ju fid^ befd^eiben. ®r cnt^ 
midfette il^m feinen 5ßlan: aug biefem ©toff fottte eine SBefte ge== 



. dtttttlet. 329 



fertigt tocrbcti, ja chic SBefte; fic foBtc fein tok ein ßüra§, über 
bcr S5ruft gettjöftt unb rürfmärt^ jugel^aft »erben. „SBenn man^, 
tqSS)ti ®autier, „unter ben afabemifd^en Slbbilbungen, bie bie 
t)erfd^iebenen menfd^Iici^cn ®efid^t§au§brü(fe njiebcrgebcn, eine t)on 
benen l^crou^fud^t, njcld^c bie SBcjeicI^nung „SSertounberung^ ^aben, 
fo fann man fid^ ungefähr eine 3bee bon ber Söiienc mad^en, bie 
"bcr ©d^neiber jeigtc/' — „?lber eine fold^e SBcfte ift nid^t mobem", 
töanbte er furd^tfam ein* — ;,®te njirb fd^on in 9Robe fonnnen", 
t)erfe|te ®antier. — „S)od^ id^ fenne biefen ©d^nitt nid^t ®r 
nähert fid^ mel^r bem 23^eaterftit ofe ber aßtäglid^en 2^rad^t; id^ 
furd^te ben ©toff ju t)erfd^neiben." — „Seien ©ie ganj rul^ig, 
i^ »erbe Sinnen ein 3Jhifter in Seinttianb jnfd^neibcn/ — ®ie 
Säefte ttmrbe gefertigt, unb nrit rul^igem ©tolj unb fiberlegener 
ftaltblütigfeit l^ieft Oautier an jenem benftüürbigen, ftünnifd^en 
2]^eaterabenb ba^ gon^c ^eujfeuer an^, tt)eld^e§ bie gemro^re ber 
^^ilifter gegen il^n fprül^cn liefen, ttJöl^renb jugleid^ bie Söienge 
mit Ringern nad^ il^m geigte, ©ein 9lame üerfd|moIj mit ber 
Segcnbc öon ber roten SBcfte, obfc^on er biefefte nur an jenem 
einen Äbenb trug; man Ujufetc lange nid^tg tticitcr öon il^m, aU 
ba§ er fie bamafö angel^abt — id^ felbft l^abe 1867 in 5ßariö 
2^att getroffen, bie meinten, er trüge fte nod^ — fie ftra^It bi§ auf 
ben heutigen Xag in ber ®efd^id^te ber franjöfifd^en Sitteratur afö 
ein finblid^i^ ©^mbol t)on ber Sorliebe jener cntl^ufiaftifd^cn Sugenb 
für bag Seud^tenbe unb ^^rbenpräd^tige im fieben. 

Slber ba§ eigentlid^ Seud^tenbe unb feuerrote njar für il^n bie 
Äunft, bie reine Äunft. 2)ie unbegren jtc, rüdEftd^t^Iofe Siebe jur Sunft 
afö fold^er erfüllte feiten ein ^erj in bem 9Ra§e tt)ie ba^ ®autier'3. 
@r bewahrte biefe Siebe big jum Xobe; aber in feiner Sugenb gab 
fie il^m aHc jene (Senüffe, tocld^c fie fpcnbet, aKe bie 83en)unberung, 
bie fie t)erurfad^t, aU! ben 9Kut, ben fie einflößt, unb äff ben 
^a% ben fie entfad^t 

SJicfc Siebe njar aud^ fd^ulb baran, ba§ er in tiefer ebler 



880 l^te romantifd)e Bdjitle in irankreidi. 



Scfd^cibenl^ctt öoH Sctounbcrung ju Äfitiftlcm cm|)orbü(fte — er, 
ber bod^ fcftft ein SKeifter toar. Sr tonxbt ^ugo^ 5ßage, SSaliacS 
aufopfernber greunb. ®r toor S)id^ter, aber bie Setounberung machte 
il^n jum ^itifer. Äeincr l^atte eine größere fjreubc atö er an einem 
ipol^lgcbauten SSer^, einem tend^tenben S35ort, einem maferifd^en 
Slu^bmdE, einer fräftigen 5ß^antafie, einer fül^nen ©c^toärmerel 
@r njar SJialer, beöor er 5ßoet njnrbc; 9liemanb erfannte fo 
toarm toie er bie mäd^tige, toenn and^ eöoag unfid^er taftenbe 
Originalität S)eIacroiE' an, beffen glänjenbe $ßrad^t be^ SoIoritS, 
»eld^e aßeg SSerjeic^nete überftral^fte. SKit ^eftigleit fiel er 
be^l^att afe Srittfer über ©cribe'ö 5ßlatitüben unb 2)clat)igne^§ 
reformatorifd^e SSorfid^t l^er, über fd^ale SBanbeöiQe^ nnb leiben^ 
fd^aftglofe S^ragöbien; benn er betete ben @tit an unb lieber, tt)eit 
lieber, afe er im (S^mnafe^^S^l^eater ftd^ ein bfirgerlid^e^ Suft* 
f^jiet anfal^, tt)ol^nte er einer ÄunftreiteröorfteHung im ®irlu§ bei, 
too man bod^ nur ^opl unb §ü! fd^rie unb alfo bei »eitern nic^ 
fo üiele ©ünben gegen ©^ntaj unb SKetrif beging afe ©cribe. 
9Rit »eld^em Soxn griff er nid^t ©elarod^e an, afe biefer (beffen 
Talent fid^ etft f^)ät entfaltete) burd^ feine geled^ten S)arfteIIun9eit 
aug ber ©efd^id^te be^ SKittelalterg bie ^albgebilbeten ^inrife, »elc^e 
fo toeit gingen, fein 3RitteIaIter bemjenigen ^ugo'g unb Selacroij' 
öorjugie^en! S)a§ jag^afte Talent l^öl^er ju ftetten afe ba^ rüd^ 
fid^t^lofe unb erfd^redEenbe ®enie — ba^ toar in ®autier§ Slugeit 
bie eigentlid^e Sünbe gegen ben l^eiligen ©eift; mit »a^ren 
Sigerf^jrüngen ftürjte er fid^ auf bie ^Popularität biefer Salente. 
®r ^ätte, toie er e§ f^jäter felbft geftel^t, ju jener Sdt S)eIaroc^e 
mit §aut unb §aar üerfd^Iingen fönnen, ol^ne fid^ ©cmiffen^biffe 
barüber ju mad^en* 

S)ie ^nft um ber tunft toiKen! ®ie ^nft afe ©ettft 
jmerf! 2)ag toat (Sautierg Sofung* ©r liebte bie ^nft (»ie 
man überl^au^)t liebt) um beg geliebten (Segenftanbeg felber »itten 
(l'art pour Tart), bd§ ^eiJBt er liebte fie ol^ne 3iüdfi(^t ouf bie 



. dautiet, . 331 



fogcnanntc SJiorafität ober Smmoralität,. 9lattoitoIität ober gremb== 
artigfeit, JJu^en ober Jlu^Iofigfeit berfelben, 

2)urd^ biefe feine SSergöttemng ber Sunft bejeid^net- er eine 
@nttoi(feIung§ftufe in ber ©efd^id^te ber Sipntanti!. S)ie litterarifd^e 
fRenaiffance l^atte ja mit ber Slnbad^t gegenüber btm ^atl^otiji^mu^ 
unb beut legitintiftifd^en Äönigreid^ begonnen. Slfö bie SBen^egung 
mit |)ugo an ber @^)i^e il^ren jn^eiten grojsen Slnlauf nal^m, gefd^al^ 
bieg eine ^^i^ang an^ Segeifterung für bie Äitnft nur afö Äunft; 
bod^ biefe SBegeifterung toar bei ber SKel^rjaf)! il^rer Sßertreter f)aih 
unbetou^t, fieberbarg fid£|. fjinter ber ©d^toärmerei für§ SJiittelafter, 
für ba§ fed^jel^nte Sal^rl^unbert, für l^eftige Seibenfd^'aften, bie Sola^ 
färbe u. f. tt)* ©autier toar ber einjige, toeld^er fid^ jenes latenten 
^rinjipS boß unb ganj betonet toar; bal^er ift fein 9lame gleid^- 
Bebeutenb mit jener ganjen 5ß]^afe ber SBetoegung, unter toeld^er 
bie 5ßoefie il^r eigene^ Siedet öerfid^t. SBol^I fonnte e§, njenn man 
fid^ an gett)iffe öon §ugo'§ Sßorreben l^ält (j. S8. an bie ju „S)ie 
Orientalen"), ben Slnfd^ein l^aben, aU ob feine 5ßoefie nid^ts mit 
ben anberen ibealen SWäd^ten be§ SebenS ju fd^affen ^abt, fonbern 
fid^ nur bie eigene fj^eifjeit erfäntpfen tootte, bod^ §ugo toar eine 
attju agitatorifd^ angelegte 9?atur, um in biefem Siantpf mefjr al§' 
bie erfte, Vorläufige Slufgabe ju feigen. 2)em Sd^üler, toeld^er bem 
^erjen beg SKeifterS am näd^ften ftanb, tt)ar eS borbel^alten, biefe 
©tation atö' bie enbtid^e unb le^te ju betrad^ten. x^ixx ©autier 
xoic für bie; beutfd^en Siomantifer toar ber 9fiomanti§mu§ ein 
Äam^jf gegen bie 9Jü|Iid^feitSfe]^re, ejne ^roKamatiott ber unbe= 
bingten Unabl^ängigfeit ber ^unft. 

'£f)iopi)xU (Sautier ift ju SarbeS in ©übfranfreid^ am 30, Sluguft 
1811 geboren unb gel^ört einer angef eigenen , leibenfd^aftlid^ ro== 
Qaliftifd^ gefinnten gamitie an. SBie §ugo unb ®uma§ ftammt 
er öon einem tapferen Dffijier ab. $ugp§ Sßater fäntpfte afö 
3Kajor unter 3lapokon gegen %xa 5)iat)oIo in Stauen, ate ©eneral 



832 I)t( totnantifdie 3d|ttle in Ixankttid^, 



imb ^roötttäial * ®ouöemcur unter Sofepl^ ^onapattt gegen ine 
tapferen fpanifd^en 3nfurgenten. SJumaiJ' SBater njar ein ätl^Iet, öoti 
njeld^cm. bie Sage ging (»cnigften« bel^auptete e^ ber jüngere 
S)umag), ba§ er ein 5ßferb jtoifd^en feinen Seinen erbrüdEt, 
einen $elm mit bcn Qläfntn burd^gebiffen, unb ganj aCfein bie 
SBrücfe bei ©rijen gegen eine ?ßatrouiße t)on jtoanjig 3Rann öer^ 
teibigt l^atte. (Soutier^ (Srogöater ntad^te feinen 9iamen boburc^ 
berül^mt, ba§ er ber erfte beim Singriff auf S5ergen^o^)^3<^om ttjar; 
er toar öon foloffaler Äörperfraft, ein SRiefe, ber immer in freier 
Suft, meiften^ auf ber Sagb, lebte, ben man niemafö anberS fa^, 
ate mit btm ®ett>el^r über ber ©d^ulter, unb ber, fobatb er frö^fic^ 
ttjar, ujieber unb lieber in bie Suft ju feuern pflegte, @r tourbc 
l^unbert 3al^re alt. S3ei Z^. OautierS SJater, njeld^er gleid^fate 
ein l^ol^e^ Sllter erreid^te, jeigte fid^ bie angeerbte ©tärle öome^m^ 
lid^ auf intelleftuellem ©ebiet. @r befa§ öielfeitige ßenntniffe 
unb eine grünblid^e Silbung. SBie litterarifd^ bt^abt unb öor^ 
urteiföfrei er toar, beujeift am beften ber Umftanb, ba^ er fid^ mn 
ber SJorrebe ju ,,ßromn)ell" in ^ol^em (Srabe angefprod^en füllte, 
tt)ie er aud^ bie poetifd^e Siid^tung beg SoJ^neö öoKfommen billigte, 
ja in beffen toßfüfjue „Mademoiselle de Maupin" fo öemarrt voax, 
bafe er, toäf)xmb ba^ SBerf entftanb, ben ©ol^n oft einfperrte, in* 
btm er ju il^m fagte: „9?un fommft bu nid^t el^er lieber l^erau^, aß 
big bu ein paar Seiten SRaupin gefd^rieben l^aft," ®ie SRutter, eine 
majeftätifd^e @d^ön^eit, öon ber gefagt mirb, bafe Sourbonift^e» 
Stut in il^ren Slbern floJB, lieJB fid^'S gleid^ bem SJater angelegen 
fein, ben t)on ber Statur fo öerfd^menberifd^ au^geftatteten So^n 
JU öerl^ätfd^eln unb ju vergöttern. Si^^opl^ile geprte ju benen, 
toeld^e gefd^affen ftnb, ber fiiebling nid^t nur il^rer ncic^ften 
Slngel^örigen , fonbem öon oKer SBelt ju tt)erben, unb toel«^ 
bie 3^it9^^ff^^ ^^^ ^tt ©d^meid^elnamen nennen; er toor ein 
großer Mnftlcr unb ein gro^eö ßinb. SSäie bejeid^nenb ift ni(^t 
bie Slbfürjung X^fe, unter ber er' in l^unbert unb aber j^imbert 



^. (6auixtx, 333 



Sd^riften öotlommt (gö ift bie gamißarität ber SBetounberung, 
tt)el^c feinen yiamtn oBfiirgte, 

Um bic für fein SSJefeu bejeid^nfnbcn ©entoürbigfeiten l^in^ 
fid^tiid^ feiner iperftinft ju öeröoQftänbigen , erübrigt eg ttod^ ju 
ermäJ^nen, ba§ fid^ feinem (Sefd^Ied^t jtoeifeltoS orientatifd^e^ S5tut 
beigemifd^t S)ieS ift l^öd^ft intereffant, n^eil e§ — ganj mie 
bie 9leger=2tbftammung t)on SKeEonber S)uma§ mand^e§ t)on beffen 
Sraft unb (Setoattfamleit — ^jl^^fiofogifd^ bag orientalifd^e ®e* 
|)räge erflärt, n^eld^e^ 21^. ®autier^ 5ßerfönlid^feit unb 5ßrobuftion 
mit ben Salären annal^m. @r fd^ien n^ie baju gefd^ffen, einen ge^ 
ober S:urbon ju tragen, fid^ langfom unb mit SBürbe ju benjegen, 
unb e§ ift nur natürlid^, baj3 er bamit enbigte, in feinen .SBerfen 
möglid^ft loenig ®emütgben)egung an ben Sag ju legen« 

@d^on atö Heiner Sinb !am 'S:^iopf)xk ©autier oon @üb== 
franfreid^ nad^ $ari§, ©in S^^^^^r ^i^ ftül^ fid^ feine (Sigentüm^ 
lid^feit enttoidfelte, ift e^, ba§ er in ber ©d^ule burd^gel^enb^ bie* 
jenigen ©d^rififteHer, loeld^e bem fogenannten gotbenen 3^itofter ber 
^ptaäft t^orangingen ober folgten, ben Kaffifd^en unb forreften 
J)i^tem öorjog^ 2lu§ ber franjöfifd^en Sitteratur ftubierte er mit 
Sorliebe SBiUon unb SRdbelai^, toül^renb ßomeiHe unb SRacine il^n 
öoEftönbig faft liefen; t)on ben Sateinem lag er mit Seibenfd^aft 
bie ©d^riftfteßer unb S)id^ter au^ ber SJerfaßjeit: (Slaubian, 3RartiaI, 
^etroniug unb Slputejug, unb al^mte fie in feinen lateinifd^en 
Serfen in allen möglid^en 9Ser§ma§en nad^, l^ingegen fal^ er über 
Eicero unb Duinctilian mit öoßftänbigcr ®Ieid^gültig!eit l^intoeg* 
S)ieg berui^t in erfter ßinie in feiner fünftlerifd^en Siebe ju einem 
farbenbunten, tt)ortreid^n ©til, bemnäd^ft in feinem ^a| gegen alle 
ber 3Renge im^onierenben aßgemeinen S33al^r]^eiten unb ©emein* 
t)Iä|e, bie nottoenbigertoeife bei jebcm ©d^riftftetler, ber afö Äaffifd^ 
belrad^tet njerben foQ, tyoifommm muffen. @in graujofe, fo toilb 
unb toß tt)ie SJillon, ober fo farbenreid^, fo öoß ^aft unb 
^ft ioie 9iabelaig, l^atten in (Sautier^ Singen ben unfd^äparen 



334 I^te roinatttifd)e dä)ule in ^Frankreid). 

SBorjug, üon ber abftraftcn 5ßotttur bt^ großen 3al^rl^unbert§ 
unbcrfil^rt ju fein; ein Slömcr, ber afrifantfd^eS Slut in ben Slbem 
I^Qtte, lüie Sl^julejug, ober egtH)tifcl^en Urfpmngg toax toit ßlaubian, 
toav if)m feiner SRatur nad^ lieber aU bie gefd^ntQcfooßen Stebncr 
unb ^oeten be^ Stugufteifd^en Qüiattex^; benn er l^ielt auf bas 
ftarl ßl^arafteriftifd^e, bQ§ 5ßi!ante unb ^araboye, fc^rerfte nid^t 
jurüc! t)or bem SKanierierten unb ©efud^ten, totnn e^ nnr feinen 
Sieij I^Qtte, unb fül^Ite fid^ in ber Sitteratur ftetö öon einem fleinen 
Hautgout angezogen. 2)ie SSorliebe be§ Sitaben für bie ^ßoetcn 
beg filbemen S^itaÜtx^ verließ aud^ ben reifen 2Äann nid^t Sie 
toaf^, meldte il^n betoog, bie öortrefflid^e Sammlung üon Sl^arafter- 
fd^ilberungen ju fd^reiben, bie er unter bem Xitel „Les Grotesques" 
l^erauggab, unb toorin er e§ unternal^m, bie ganje @vn)ppt öon 
fleineren 3)id^tem ju rel^abilitieren, toeld^e Soileau in feiner „L'Ait 
poetique" gebranbmarft unb erf dalagen l^atte, um für bie großen 
5ßoeten, njeld^e bie SRegeln be^ 3lriftbtele§ unb bie ®efe|e beö ®e- 
fd^madfe^ beoBad^teten, befto befferen 5ßla| ju mad^en. S)ie armen 
Steufel toaren ungelefen im S9ein^au§ ber Sitteratur liegen geblieben 
mit einem SSer§ 33oileau'§ auf il^rem ©d^äbel/ Site 5^inb aller 
^Regeln unb jeber Srtoialitöt nal^m ©autier fid^ il^rer an. Sein 
plaftifd^er unb malerifd^er @inn fanb feine SBefriebigung im ©tubiura 
ber toürbigen ©id^ter, bie mit ber SlHongeperrüde auf bem §au<)t 
unb in ©pi^enmanfd^etten in fteifer |)altung gefd^rieben l^attcn; 
bagegen ergö^te e§ i^n, aö' jene öergeffenen, groteSlen ^oeten 
mit i^ren eigentümlid^en 5ßrofilen unb ©rimaffen aufjufud^en, bei 
benen man neben öielen ®efd^madflofig!eiten aud^ jal^lreid^en 93igar^ 
rerien begegnete, originellen ®eifte§bli^en, toi^igen unb malerifd^en 
SSerfen, ja felbft fo lebenbigen unb trefflid^en gröjgeren ©ebic^ten, 
wk bie beften t)on gran?oi§ SSiUon .unb Sl^^opl^ile be Sßiau e§ finb. 
SBar il^re SKufe aud^ feine ©d^önl^eit, fo galt bod^ t)on il^r, tt?a^ 
lautier einmal über eine einnel^menbe grau fd^reibt: 



t\), lautier. 335 



Elle a dans sa laideur piquante 
Un grain de sei de cette mer 
D'oü jaillit nue et provocante 
L'äcre V^nus du gouflfre amer. 

®oti)' ein armer ^oet aug bem 15,, 16, ober 17. Sal^rl^unbert ber 
16etrunfen in ber ®offe gelegen, ober fid^ mit feinem '2)egen burd^ 
bie SBeft gefd^tagen, ober tt)ol^t gar fein Seben afö Dl^rgefd^meibe be§ 
<Satgen§ befd^Ioffen l^atte, gab in feiner Saune unb in feinen SSerfen 
für lautier eine ©ill^ouette, ein leben^öoHeg, d^ata!teriftifdöe§ ^rofil, 
bag il^n feffelte unb il^n reijte, einen Slbrijs baöon ^u nel^men. 

. ©einem SBunfd^e gemäfe njurbe ber junge ©autier au§ ber 
Od^ule genommen, um ©d^üler ßei bem 3RaIer 9fiiouIt ju tt)erben* 
©otool^I er felbft aU feine SSertoanbten überfd^äfeten anfänglid^' 
feine Slntage jum 3^i<^^^J^ ^^^ SRalen. * 3n SBirfIid^!eit toar 
biefelbe nur eine untergeorbnete ^Beigabe ju feinem nie juüor 
gefel^enen, epod^emad^enben materifd^en Xalent atö ©d^riftfteHer» 
aSictor $ugo'§ Sluftreten tourbe für feine Saufbal^n beftimmenb. %U 
biefer ^ernani^ §orn an btn SKunb fe^te, folgte ©autier bem 
9htf unb öerliejs bie SKalerfunft, um fid^ ber Sitteratur jujutoenben. 
aSon feinem Sitetierleben benjal^rte er übrigen^ nid^t nur ben 
a3üd be§ 3RaIer§; er betoafjrte aud^ in feiner münbtid^en Stu^e* 
rung^form, fott)ie bei ben ©teilen, too er (tt)ie in ber SSorrebe ju 
jjttademoiselle de Maupin") fid^ mit berfelben greil^eit ujie im Ser- 
fel^r au^f^jrid^t, bie übermütige, bem S^ünftlerjargon entnommene 
SlugbrudE^ioeife, toetd^e in allen franjöfifd^en ^nftleratelierg blül^t 
unb gebeizt, 

©r bebütierte afö I^rifd^er S)id^ter. günf SRönate nad^ ber 
Sluffül^rung t)on §emani unb unglüdEIid^erioeife an bemfelben 
2;age, aU bie Sulireöotution auSbrad^, gab er feine erften „5ßoefien" 
l^eraug, bie fetbftöerftänblid^ in jenem SlugenbtidE t)om ©trom ber 
3ett l^intoeggefpült ujurben, bie aber felbft ju einem rul^igen 3^^*= 
pimtt !aum Slufmerlfamfeit erregt l^aben würben. Slfö S^rifer ift 



386 ^^^ romantirt^e Sf^nie in ^ftankrtid). 



®auticr utqjopulär; er jcid^nct fid^ burd^ eine eutfcl^icbcne, untabct 
l^aftc gorm au^, bod^ fein 9latureQ ift <illiu fel^r auf§ Siu|erüd^e 
angelegt, um ed^t l^rifd^ gu fein; il^m mangelt Snnigleit unb ®emüt. 
Slm beften ift er in feinen Sugenbpoefien, tt)o er feinem antit^eib^ 
nifd^en @pi!uräi§mu3, ber bem römifc^en am näd^ften fommt, 3lu§= 
brucf berlei^t. „Sd^öner ©onnenfd^ein, eine grau, ein ?ßferb" — 
in biefen brei 2)ingen fie^t er l^ier fein ®IüdE. ®ut finb aud^ Jene 
fiieber/ in toeld^en er (tt)ie in bzm ®ebid^t „Le Debauche") bie 
freie fiebeni^freube berl^errlic^t, garbe, ®efang unb SSerfe greift; 
ober ttJO er (toie in „Le premier Rayon de mal") ber beinahe 
ftnnlid^en, aber iebenfaHö ganj einfad^en ®ülcfgftimmung in ber 
yilxf)t ber. beliebten SBorte berleil^t SReifterfid^ unb abfolut 
t^pifd^ für ®autier ift baö Meine ©ebid^t ,,Patuit6*^ beffen launiger 
Xitel auf feinfte SBeife jeben Eingriff auf ben Snl^alt pariert. @§ 
fprid^t ben muntern Übermut eine^ 3änglingg im SSoQgefüJ^I feiner 
Äraft aug. 2d^ fü^re bie beiben erften ©tropl^en an: 

Je suis jeune; la pourpre en mes veines abonde; 
Mes cheyeuz sont de jais et mes regards de fen, 
£t, saus gravier ni tonx, ma poitrine profonde 
Aspire k pleins poumons Tair da ciel, Tair de Diea. 

Aux vents capricieux qui soufflent de Boheme, 
Sans les compter, je jette et mes nuits et mes jours. 
Et, parmi les flacons, souvent Taube au teint bl^me 
M'a surpris d^nouant un masque de velours. 

®rft in feinen reiferen Salären brang Sl^^op^ile ©auticr aU 
2\)xxitx entfd^ieben burd^. „Emaux et Cam^es" — eine ©ammlung 
bon ®ebid^ten (fämtfid^ in furjen ad^tfilbigen SSerfen), bie in i^rcr 
gorm leife an ein^ unb bag anbre in ®oetl^e'g ,,S33eft = öftKd^er 
®it)an" unb ^eine^g //S3ud^ ber Sieber" erinnern — gaben bcnt 
perfönlid^en ©til beö S)id^terg in I^rifd^er 5jJoefie beftimmtcn SüiS- 
brud. 3)te SBel^anblungötneife ttjar ganj im ®eifte ber bilbenbeii 
Äunft. S)er S)ic^ter berfud^te burd^ Äraft unb ©d^melj ber färben, 
burc^ bie SSoHfommenl^eit unb geinl^eit ber j^xm, burd^ ftrengfte 



f(). datttier. 387 



SReinl^eit unb fieser abgemcffcnc ^ormonie bc§ 9ieimg, furjum, burd^ 
eine 9Äetfterfd^aft, ber nichts, aber aud^ nic^t ba^ (Seringfte entging, 
©eitenftürfe ju ben SWiniatnr^SWeiftertperfen in Slc^at ober in Dn^f, 
totiäjt bie Sitten ung l^interlaffen ^aben, ober auä) ju ber italienifd^en 
ober franjöftfd^en @mait9ÄaIerei auf (Solbgrunb aug ber 9ienaif* 
fancejeit ju liefern, @r erreid^te in biefen ^oefien, benen man nod^ 
bag al§ anftöjsig nic^t barin aufgenommene, aber über aUeg So6 er=- 
l^abene ©ebid^t „Musee secret'* — gebrudft in 93ergerat§ „Thöophile 
Grautier" — betjä^ten fann, eine ©d^ön^eit beg Slu§brud§, bie fid^ 
gerabeju atö ibeal bejeic^nen tä§t unb mit toeid^er l^öd^ften^ bie 
fprad^üd^e 5ßlaftif in einjelnen fpäteren (Sebic^ten ßeconte be Sigte'g 
öerglid^en totxbm fann. S)ag (Scbic^t „L'Art", nietd^e^ ben 5tbfd^Iu§ 
ber Sammlung bilbet, unb ba§ aU fprad^lic^e^ ÄunftttJerf n)oI ein 
(Sebäc^tni^mal genannt ttjerben barf, entl^ält im SRonumentatStil 
©autierö Äunftanfd^auung, ®r liebte bie Äunft, für tt)eld|e er ein fo 
tiefet SSerftänbni^ l^atte, fo fel^r, ba^ er fie über Sitten auf Srben 
fteHte unb in il^r ba^ einjig 93teibenbe im SBed^fel ber 3^it^n fa^, 
SBol^I toar er aEju fel^r geneigt, ben SBert eine§ 5l'unftn)erfeg t)on ben 
übertounbenen @d^n)ierig!eiten abl^ängig ju madien, aber nur toeil 
er glaubte, e§ fei ber Äantpf mit ben Sc^toierigfeiten, nielc^er ba§ 
fertige SBerf ujetterfeft unb gegen 9ioft unangreifbar mad^e. @§ 
l^eifet am@d^tuffebe§®ebid^te§: „SlOeg öerge^i ©elbft bie (Sötter 
fterbcn. S)ie Ieben§t)oÜe ^unft allein ift enjig, S)ie ©tatue über- 
lebt bie ©tabt; bie mit fd^arf gefd^nittenem Stempel geprägte 2)en^ 
münje, mid)t ber Sanbmann in ber @rbe finbet, giebt Äunbe 
öon einem löngft öerftorbenen Äaifer. S)ie erl^abenen SSerfe finb 
unvergänglich; fie bauern fort, fefter at§ @rj," 

3Äan l^öre bie§ in feiner ©prad^e: 

Tout passe. — L'art robuste 
Seule a l'^ternit^. 

Le buste 
Survit k la cit^. 
»ranbeS, Sitieraturgeft^. beS 19, ^afftfi. V. 22 



338 9te romantifdie S4ittle in /rankretd). 



Et la medaille aust^re 
Que trouve un laboureur 

Sous terre 
R^völe un erapereur. 

Les dieux eux-m§ines meureut 
Mais les yers souverains 

Demeurent 
Plus forts que les airains. 

2)icg giü t)on bcn SSerfcn, toic 'er fie fd^ricb. 



XXVIII. 

SBtö man ein lefienbigc^, übermütige^ 93itb bon ber jungen 

romantifd^en ^iö^i^^^^^^^^^^f ^i? P^ ^^ ^^Q^ famntelte, ein 
SBilb, bog fid^ burd^ mutoiHige ©etbftparobie au^jeid^net, fo tefe 
mon Zi)idpi)ik ©outierg „Les Jeunes-France", ba§ nad^ beg SSer* 
fafferg 3ntention eine ©atire ouf bie Siomantifer fein follte, unge= 
fä^r fo, toie SRoIicre eine fotd^e mit „Les Pr^cieuses ridicules" in 
Sejiel^ung auf bie ^)oetifd^e Qmttti einer frül^eren ^eriobe geübt 
^otte. ©d^abe nur, ba§ „Les Jeunes-France" ein tafentöpöer 
Änabenftreid^, toäl^renb „Les Precieuses" ein SBerf t)on bleibenbem 
SBerte ift, ,,2)a§ junge granlreid^" entftanb gleid^ nad^bem 
®autier in§ romantifd^e ßager aufgenommen war, unb giebt, 
äl^ntid^ toie bie ^oefieen bon 5ßetrug 93oret unb 5ßl^itot]^fe D'^iebb^, 
einen ©inbtid in bag burfd^üofe Seben ber bamaligen Sugenb. @§ 
ift nic^t ol^ne 93ebeutung, ba§ (Sautier biefeg S3ud^ gefd6rieben, 
benn im ®runbe to.ar unb blieb er big ju feinem S;obe ber ed^te 
Mn^Ütx^SiQtnntx, beftänbig mit ber ®efeöfd^aft unb il^ren 93e^ 
griffen t)on Sld^tbarfeit übertoorfen* @r fül^rte in feiner Sugenb 
ein UJal^rl^afteg SBol^eme^ßeben atö 3Rater, 5ßoet unb Sieifenber; in 
ft)äteren Salären l^aufte er jufammen mit feinen ©d^ujeftern unb feinen 
Sinbem, ol^ne je ang ^tixaku ju beuten. SSon feinen öerfd^iebenen 
Sßerbinbungen loäl^rte bie mit ©rnefta (Srifi, ber SRutter feiner 3;öd^ter 
3ubit^ unb ©ftella, am längften* gär il^re ©c^toefter ßartotto 
liegte er gleid^fallg längere Sdt fel^r UJarme (Sefü^Ie, unb für fie 
l^at er feine 93aöette gefd^rieben. SBar er aud^ afö ßiebl^aber 
ffatterl^aft, fo loar er bafür atö 93ruber unb SSater l^öd^ft Kebreid^; 

22* 



340 I^ie romantifi^e Si^ttle in ^^ankreif^. 

er gab feinen 2:öd^tem eine muftcrl^afte ©rjiel^ung unb §atte unter 
Qnberem ben guten ©nfoD, fie ©prad^en tt)ie Sa|)anefifd^ unb 
Sl^ineftfd^ lernen ju foffen, beren Senntni^ feiten genug toax, um einer • 
aßcinftel^enben ©ante für aüt gäUe aU ®tü|e ju bienen. 63 ift 
befannt, ba| Subitl^ (Sautier fpäter aud^ toirflid^ SRu^en baroug jog. 

S)ag fßnö) , toetd^eg ' ben öoDften ©nbrudE öon '^i^p^\it 
®auticrg ®emütgle.ben atö Süngling giebt, ift tnbe| nic^t „Les 
Jeunes- France", fonbem ber unmittelbar nad^ biefer ©d^rift ent= 
ftanbene SRoman „Mademoiselle de Maupin" (1836). 3n biefem 
SBerf fd^äumt bie Sugenb toie ßl^ampagncr, @3 ift ein fel^r l^eib== 
nifd^ei^ unb fteßenlneife fel^r unanftänbigeg S5ud^ — unanftänbig 
inie ein ®ioIog öon Sribißon fife — aber e§ ift ^aft barin; unb 
fo übertrieben e^ aud^ ift, toenn ©toinbume eg „the golden book 
of beauty" nennt, fo berrät eö bod^ einen gang au|erorbentlid^cn 
©d^önl^citsfinn. ®^ toar gleid^fam ber Slbflufe einer überftrömenben 
jugenbfid^en ßeben^fraft, 

2;i^iopl^iie ®autter mar urfprünglid^ gart unb fd^raäc^tig gc== 
tt)efen unb jeid^nete fid^ bei förperlid^en Übungen nur im ©d^toimmen 
aug; aber e^ tt)ar fein ^btai, ein red^ter Staft^elb ju toerben, unb 
bie öffentKd^ auftretenben Sltl^Ieten unb SBoyer erfd^iencn ü^m als 
bie erften ber ©terblid^en, ®r naf)m mel^rere Saläre l^inburd^ Untere 
rid^t im ©todffed^ten, SBojen, SReiten unb Siub^m, unb Iie§ bonrit 
nid^t nad^, big feine Äörpertonftitution fid^ ' gänjüd^ öeränbert 
f)attt. Sin bem läge, aU „ß^dteau^Siouge'' eröffnet tt)urbe, f)aüt 
er ben unbefd^retblid^en Jrium^l^, einen gauj neuen „lürfenfopf' 
(einen Stpparat jum äReffen ber Prüfte) mit einem fj^uftfd^lag 
bon 532 5ßfunb ©eniic^t ju treffen, ber l^iftorifd^ geworben ift 
„S)ieg," fagt er mit naiber Sieben^toürbigfeit in feiner felbft* 
biograpl^ifd^en 9lotij, „ift biejenige ^anblung in meinem Seben, 
auf toeld^e id^ am ftoljeften bin," unb man fann übergeugt fein, 
ba§ biefe SBorte bud^ftäblic^ gemeint finb. ®enn noc^ in fpöteren 
3a^ren ^)ftegte er, töenn man in befreunbetem Äreife feinen 5ßara== 



«(). (Bauiitt. 341 



bofen tpiberfprad^ unb Sllle juglcid^ auf il^n einrcbeten, @ttfl=^ 
fd^tDcigcn ju gcfiicten, inbem er mit feiner tüeic^en, etnja§ l^eifem 
Stimme überlaut rief: „Sd^ bin ein ganger Äert; id^ treffe einen 
Siirfenfo^f mit 530 $ßfunb unb f c^reibe orbentKd^ jufammenl^ängenbe 
©teid^niffe, SBa§ tooüt Sl^r mel^r?"* gn „Mademoiselle de Maupin" 
äußert fid^ ä^^Ö^^id^ ^^^ l^H^ ^anb% ber bie göl^igfeit l^at, au^^ 
giebige gauftfc^täge ju erteilen, unb anbrerfeitg. ber feine Äünftler, 
beffcn Oleid^niffe in ^itfammenl^ang ftci^eh, b. 1^. ber bie SBorte in 
jlbertragener 93ebeutung nur fotd^ernieife annienbet, ba^ ber @a| ein 
93üb für ba^ 5tuge abgiebt, Slber öor SlHem fpürt man l^ier 
bod^ bo^ rein antife unb ptdftifd^e SJlaturell be§ 2)id^ter^, burd^ 
todä)t^ er fid^ öon aßen feinen ^^Wö^^^ff^« i^ i^^^^ reid^en 
Generation unterfd^eibet. ®autier l^at ftd^ fetbft einmal in btm 
95ud^ gematt, ba ujo er bcn gelben beffen SBefen fd^itbern Iä§t: 

„3c^ bin ein SRenfd^ au§ ben l^omerifd^en 3^iten; bie SBelt, 
in ber id^ tebe, ^)a§t nid^t für mid^, unb id^ berftel^e nid^tS bon 
ber ©cfeHfd^aft, bie mid^ umgiebt, ßl^riftug ift nic^t für mid^ auf 
bie SBelt gefommen, idt| bin fo l^eibnifd^ niie Sllfibiabe^ ober 5ßl^ibia§ 
eg gemefen, 5Riemafö l^abe id^ 5ßaffion§bIumen auf ®oIgatl^a ge^ 
pflüdft, ber tiefe röte ©ttom, ber au§ ber ©eite be^ ©efeeujigten über 

bie SBeft fid^ ergießt, ^t mid^ nid^t in feinen SBeöen gebabct» 

t 

äWein rebeEifd^er Körper toiö bie Dberl^ol^eit beg ®eifte^ nid^t aner^^ 
fennen, mein ^leifd^ mag t)om Safteien nic^t§ toiffen« gür mid^ ift 
bie @rbe ebenfo fd^ön toic ber ^iihmel, unb id^ glaube, ba§ bie 
SSoHtommen^eit ber ^otm bie nial^re Xugenb ift. @ine ©tatue ift 
mir lieber otö ein ^l^antom unb. ber SÄittog angcnel^mer atö bie 
Dämmerung. S)rei S)inge gefaEen mir: * ®oIb, SRarmor unb 
^ur^)ur — ®tanj, g^ftifl^^i^ ^"^ ^axit. Slu^ biefen Stoffen finb 
meine Siräume gebUbet unb alle meine ßuftfc^Iöffer gebaut . . . , 
9?iemate fel^' id^ ^Rebet ober S)unft t)or mir, nie ettt)ag Unfid^cre^ 

^ Moi, je suis fort; j'am^ne 530 sur une t^te de Türe et je fais des 
m^taphores qui se suivent. Tout est \k. 



342 ^^^ romantift^e Jf^nU In itankreid). 

unb SBerfd^toommcncg. ÜRcin ^immel l^ot feine SBolfen, ober tDenn 
an if)m bod^ fotd^e l^injiel^en, fo finb e^ fefte, mit bem ÜRei|eI oii§= 
gehauene SBoIfen/aug ben SRarmorfpIittem, bie öon 3upiter§ Silb^ 

föute l^erobgef aßen finb, gel^äufte ; benn id^ üe6e nnr, tna^ id^ 

mit gingem greifen f ann , unb bie Siunbung be^ Äontur niill id^ Bio 
in bie feinften galten verfolgen. So 6in id^ immer getoefen. 3c^ 
fel)e bie grauen mit bem ?luge beg S5ilbl^auer^ , nic^t mit bem S9ti(! 
eineg ßiebl^aberg an; id^ ^abe mid^ mein ganje^ ßeben l^inburc^ 
nur um bie gorm beg gtocon^, niemafe um beffen 3n]^alt gc= 
fümmert. ^ätte id^ 5ßanborag SBüd^fe in bie ^änbe befommcn, 
tt)er tDti% ob id^ fie geöffnet l^ätte/' 

%f)iopi)xk ®autier ift einer bon ben franjöfifd^en JRomantifem, 
meldte beutlid^e ^araDeten mit ben beutfd^en barbieten, ©eine 
SRoöelle „gortunio" ift mit il^rer SSerl^errlid^ung beg ®enuffe§ unb 
beg aJiüfeiggangeg bag franjöfifd^e ©eitenftüdE. ju griebrid^ ©d^Iegefö 
„fiucinbe". Slud^ feine ®eringfd^ä^ung bc^ öomel^müd^ SJid^terifc^en 
in ber ^oefie erinnert an bie beutfd^en JRomantifer, ®r fagte eine§ 
lageg ju laine, ber auf Ä'often |)ugo^ feine SBorliebe für SRuffet 
äußerte: „Saine, @ie fd^einen mir in ben bürgerlid^en Sbioti^mu^ 
ju herfallen. (Sm^finbf amf eit bon ber 5ßocfie ju verlangen ! . w . . 
barauf fommt e§ gar nid^t an. ©tral^Ienbe SBorte! Seud^tenbe SBorte 
mit einem SRl^^t^mu^ unb einer SÄuftf! S)ag ift 5ßoefie! S)a§ fagt 
nic^tg, bag betoeift nic^t^! Siel^men ©ie j. 93. ben Slnfang öon 
^ugo§ „Siatbert", e§ giebt feine ^oefie in ber SBeft toie biefe; e§ 
ift ba^ 5ßlateau be^ ^imata^o. ©anj Stauen mit aßen feinen mittel* 
alterlid^en SBa^)))enf drüben ift barin vertreten, unb bod^ finb e^ 
nid^tg loeiter atö SBorte." @r gleicht %kd in feiner Siebe gu 
einer 5ßoefie o^ne ®ebanfen, einer ^oefie ber reinen gorm; bod^ 
unterfc^eibet er fid^ ate guter Siomane beflo fd^ärfer t)on ii^m in 
einem anbem fünfte: niäl^renb %kd bie SBorte ju Zbnm t>er* 
pd^tigen, bie S)ic^tung ju bloßer ©timmung, ju 3Rufif berbünnen 
tooüte („Siebe benft in fü^en 3;önen, benn ®ebanfen ftel^n ju fem"), 



f i). «autier. 343 



tvüUtt lautier umgefcl^rt bie SBotte gunfen unb garbeti fprül^cn 
taffcn unb bie S)id^tfunft ju SBortmaterei unb SBortpIaftif öerbid^tcn. 

dagegen ftimmt er mit ben beutfd^en 9iomantifern' öoUftänbig 
überein im ^a§ gegen ben Utilitori^mu^« ©eine gönnet „L'art 
pour Tart" entf^)rang biefem ^a% S)iefer ®runbfa^, ttjelc^en er 
in ber SSorrebe ju „Mademoiselle de Maupin" jum erften äJial mit 
®Ianj öerfod^t, ift, t)on einer ©eite betrad^tet, unbebingt gültig. 

(Sr ift lual^r unb unbeftreitbor in bem ©inne, a(^ bie ^nft 
nid^t benfetben ©d^idtid^feit^regeln unterworfen ift, tueld^e mit 
9ied^t bo^ Seben bel^errf d^en , nod^ lueniger benen, lueld^e fi^ mit 
Unred^t barin geltenb machen- ®Ieid^n)ie inmitten eine§ SReufd^en- 
fxi^tuarmeg nadft bojuftel^en ettua^ ift, luag fid^ red^t tool^t für 
eine ©totue, nic^t aber für einen SWann ober eine grau fd^idft, 
fo finb nitti)axüj>t 2tbtn unb Äünft bem SRoralbegriff gegenüber 
^immetoeit üerfd^ieben. ®autier toar bal^er ununterbrod^en bemüht, 
bie Äunft öon ber morolifierenben ^itif lo^jufämpfen. Sn ber 
jugenbüc^ l^eftigen SSorrebe ju „Mademoiselle de Maupin" fd^Ieubert 
er bzn utilitorifd^en ^itifern entgegen: „5Rein, Si^r S)umm!ö^)fe, 
^f)x Kretin^, bie Äunft foc^t feine ^af erfup^)en , ein ©onett ift 
feine Ä(t|ftierf^)ri^e unb ein S)rama feine ©ifenbal^n — lauter 
l^öc^ft nü^Iid^e S)inge." SSon ben eniig nörgeinben Äritifem faftt 
er : „SBenn auf einem (Semötbe ober in einem S8ud^ eine ober bie 
anbere 5Rubität ift, fd^nüffetn biefe ßeute gleid^ banac^ toie bie ©au 
nad^ bem 5ßful^( . . , /' unb mit ^inbeutung auf „Siartuffe" fäl^rt er 
fort: „SSon mir au§ fann S)orine, bie artige ©oubrette, gerne il^ren 
fd^önen ^aU unbebedft laffen, id^ jiel^e beöl^alb nic^t mein 3;afd^en= 
tuc^ Iieraug. 3c^ betrad^te i^n, n)ie id^ il^r. ®efid^t betrachte, unb 
ift er n)ei§ unb ttjol^lgeformt, fo l^ab' id^ meine greube baran." 
Unb um fid^ gegen bie niieberl^olt erl^obene S3efd^ulbigung ber Un* 
fittUd^feit JU niel^ren, fc^reibt er: „@ine anwerft fomifd^e SSarietät 
t)on bem tugenb^aften Sournoliften ift berjenige mit toeibtic^en 
2lnt)erloanbten. Um fid^ afe Soumaüft biefer 2lrt nieberjulaffen, 



344 9ie romantiff^e Si^uU in itankreit^. 

mu^ man fid^ erft mit perfd^iebenem ^auSrat üerfel^en, afö ba 
fmb: jtoci big brci legitime ©Qttinnen, einige SRütter, fo t)tclc 
©d^toefterri toie möglid^ unb ein öoßftänbige« Äffortiment öon 
Xöd^tem unb ©oufinen. 2)Qnn mu^ man Qud^ 5^ber, 5ßa))ier, linte 
unb einen SBud^brud^er, ein ober ba8 anbete S5ud^, bag man ^enmtcr* 
reiben fann, §aben .... SWun fd^reibt man: 6« ift unmöglich, 
feine %xan in bieg ©tücf ju filieren .... @g ift unmöglid^, einer 
2)ame, bie man ad^tet, bieg 93ud^ in bic §anb ju geben .... 3^rc 
öemal^tin muj5 i^r (Srröten hinter bem %ä6)tx öerbcrgen, 3i^rc 
©d^toefter, Sl^re ©ouftne u. f. tt). (man fonn bie berfd^iebenen 
SBürben anbringen, eg ^anbelt fid^ nur barum, ba§ man beriet 
toeiblid^e SBefen jur SJerfügung l^at)." — ßäfet ®autierg bid^tcrifd^e 
^rajig fid^ aud^ nid^t immer öerteibigen, fo i)attt er bod^ fRed^t in 
feiner ilieorie. S)ie ^oefie l^at il^re eigene ©ittüd^feit, biejenige, 
toeld^e aug bem SBefen ber ©d^önl^eitg* unb SBaJ^rJ^eitgliebe folgt, 
ha^ i^r eigeneg SSefen ift, toie öerJ^üBt unb inbireft eg fid^ ani) 
äußere; aber fie ift nid^t an bie gefeüfd^aftlid^en Slüd^id^ten unfereg 
SJerfe^rgfebeng gebunben. 2)ie ^ßoefie an unb für fid^ ift eine 
fittfid^e ÜRad^t, ganj toie bie SBiffenfd^aft, bie. ^I^tifiologie j. S5., 
obfd^on aud^ biefe ftd^ nic^t an bag binbet, toag ber gute Jon 
in SBejiel^ung auf bie ©renjen beffen, tt)ag befprod^en toerben barf, 
t)orfd^reibt. ®g giebt unfittüd^e 5ßoeten, mt eg unfittlid^e Strgtc 
giebt, aber i^re Smmoralität ^at nid^tg mit jener 9Wldffid^tgIofigfcit 
ju fdjaffen, toeld^e bie Slufgabe ber Sunft n)ie bie ber SBiffenfd^aft 
bebingt, unb toeld^e aug ber 5Ratur berfetben entf bringt. 

3ur Sinprägung biefer SBalirl^eit eignete fic^ befonberg ein 
ptaftifd^eg unb malerifd^eg ^Temperament toie lautier eg befa§, ber 
fic^ ben fogenannten moralifd^en Slnforberungen an bie 5)id^tfunft 
nid^t unterorbnen fonnte, ol^ne fein ganjeg Salent ju opfern. Seine 
befonbere ®abe beftel^t barin, bie ©innentt)e(t in SEßortcn wieber^ 
jugeben. . (Sr ift ber ®rfte, toeld^er glänjenb ben 93ett)eig geliefert, 
ia§ bie (Srenjen ber ?ßoefie totittxt finb, alg fie Seffing im 



fi|. dautler. 345 



,,Saofoon" il^r geftetft l^at; er 6cfd^rie6 SSiele^, toa^ Sefftng 
bid^terifd^ ju bel^onbeln für unmöglich l^iclt. S)a ift nic^tö, 
toofür il^m SBorte fcl^Itcn, toeber für bic ©d^önl^ett einer grau 
Ttod^ für bie ^J^^fiognomie einer ©tabt, toeber für ben (Sefd^ntorf 
einer @^)eife nod^ für ben Älang einer ©timme, „Seit iptr il^n 
l^aben," fagte einmal @atnte==93eut)e, ,,ift ba§ SBort „iBdicibie" (un^ 
fagbar) nid^t mel^r franjöfifd^/' ®r l^atte bie gett)öl^nlic^e romantifcl^= 
flaffifd^e ©c^eu öor f^rad^üd^en ^Reuöilbungen , aber er f)at ba^ 
moberne ^anjöfifd^ mit einer gütte öon SBorten au§ bem fünf== 
gel^nten unb fed^jel^nten Sal^rl^unbert, bie mit Unred^t aufeer 93raud^ 
gcfommen niaren, unb mit einer 3Renge fd^arf bejeid^nenber ted^= 
nifd^er 8(u§brücfe bereid^ert« 93e!anntlid^ tvaxm bie fraujöfifd^en 
SBörterbüd^cr feine liebfte, beftönbige Seftüre. 

®en)i§ tüax er ein gonj ouf^ Slußerlid^c angelegter ®eift; 
bod^ bebarf e§ feiner geringen innern S^iefe unb großen fünfte 
lerifd^en ©mfteg, um in fernem ©inne äu^erlid^ ju fein; aüer^ 
bingg ging er in feiner 5ßoefie nid^t barauf an^, bie gefül^töoüen 
^erjen ju rül^ren; aber fetbft ®oetl^e l^atte Stimmungen, bie il^m 
SBorte eingaben n)ie folgenbe: 

2ld^ bie järtl^en $crjen! (Sin ^fufd^er bermag fie ju rül^ren, 
@ei c§ mein eitijigeg ®Iü(f, bid^ gu berül^ren, Statur! 

®autier'§ Sioman „Capitaine Fracasse", nield^en er in feiner 
Sugenb enttoorfen l^atte, aber erft in reiferen Salären au^fül^rte, 
gicbt ben Karften ©inbrud t)on feiner ^rofa. S)ie ^erfonen barin 
fielet man inie in ber 9iatur in il^rer ganjen äußeren ©eftalt, mit 
il^rer Äleibung, il^ren 93ett)egungen, unb nie üerüert man ben ard^i= 
tcftonifd^en ober tanbfd^aftlid^en ^intergrunb au^ bem Singe, 

2)ag erfte tapitel mit ber Überfi^rift „Xa^ ©d^Io^ be^ 
®Icnb§" fd^ilbert eine njanbernbe @d^auf^)ietertru^pe, toeld^e jur 
Stit Subtoigö Xin. in bem verfallenen Sll^nenfd^lo^ eine^ armen 
S3arong bei ber 93eleud^tung öon än)ei mit ®otbpa^)ier über^ 
Hebten l^ötjemen S^l^eoterfanbelabern il^re Slbenbmal^ljeit l^ält 



346 Sie roinaittif4ie Ji^nle in /rankteiii). 

S)ic Sefd^reibung erinnert Qn bog unter bem SRanten „Sft^r^ 
^od^jeit" berühmte 9tembranbtfcl^e ©emälbe in ©reiben. SKrni 
fielet tt)ie fid^ bie ©efid^ter im Sid^tcrfd^ein marfieren unb toie 
bie ©d^atten an ben SBänben J^inauffried^en. SWid^t ein fcnti* 
mentale^ SBort fommt barin tjor, aber in ber ©tinunung Kegt eine 
fo feine SBeJ^mut, ba§ man bag SBort bcrftel^t, ineld^eS (Sautier 

ju 5^9^^^^ föfit^^ ^^^ *i^^^ i^^ fd^reibenb traf: „S§ ift eine 
genaue ©d^itberung meinet ©eelenjuftanbe^/' 

@in anberei^ ßapitel befd^reibt unter ber Überfd^rift „^m 
©d^nee" (Met de neige), n)ie ber Äarren ber @d^auf))ie(cr bei 
Siad^tjeit burd^ ben l^ol^en ©d^nee fäl^rt; ttjie berjenige unter i^nen, 
toeld^er ben SRatamore (ben gro^pral^terifd^en ©otbaten) ju fpiefeit 
pflegt unb ber bem Sarren ju j^^t folgte, ö9n ben Änberen 
bermi^t ttjirb; toie fie il^n fud^en unb öergebenö mit aller Sraft 
il^rer Sungen feinen ^amtn über ba^ toeite ©d^neefelb rufen. 
Seine Slnttoort. @iner bon i^nen trägt eine üatttnt, bereu roter 
aieflej ftd^ über ben ©d^nee ^in betoegt, toir feigen bk langen, 
ungeformten ©d^atten, toelc^e bie SRänner auf ben toei^en ®runb 
toerfen. ^eutenb begleitet fie ber fd^toarje ^unb ber Zvuppt. 
5ßlö|üd^ öerftummt biefer unb eg tritt jene 3;otenftiIl[e ein, toelc^ 
entfte^t, toenn ber faUenbe ©d^nee jeben Saut bämpft, 6nbü(| 
glaubt ber, toeld^er bie fd^ärfften Singen l^at, am gujge eine§ S3aumc^ 
eine ^)^antaftifd^e ©eftalt ju feigen, fettfam unb unl^eitocrfünbenb 
fteif. @g ift ber arme 9)iatamore. @r tel^nt mit bem 3flüc!eii 
gegen ben ©tamm be§ Saumes unb feine langen 93eine liegen auf 
ber @rbe au^geftredEt, l^atb bebedft öom niebertoirbeinben ©d^nee. 
©ein ungel^eurer Siegen, ben er niemafö ablegte, bilbet mit feinem 
Dberförper einen fo poffierlid^en SBinfel, baj3 man unter onbcrcn 
Umftänben barüber l^ätte läd^eln mögen* S)er mit ber Sateme 
leud^tet il^m in ba^ ®efic^t unb ift nal^e baran, fie öor ©d^retf 
fallen ju laffen. S)a§ ®efic^t, toei§ toie 28ad^§, fielet aui, atö 06 
bie fnöd^ernen ginger be§ Siobe^ bie 9iafenlöc^er jufammengeflemmt 



^, (Satttier. 347 



Ratten; ba§ 9iafcnbcin tcud^tet toic bie glättjenb toci^e 9lüdenftäcl^e 
einci 3;mtcnfif d^e^ ; bie §aut ift ftrantnt über ber @d^Iäfe gefpannt; 
©d^neefloden liegen auf ben ?lugenbrauen unb ben Sibem; bie 
aufgefperrten Slugen ftieren mit gtäfemem ®tonj. ?ln ben ©nben 
beg großen, fpi^en ^ebelbarte? gti^ert ein ©i^jo^jfen, unter beffen 
Oetoid^t fie fic^ etujai^ abtoärt^ biegen« S)og ©ieget beg en)igen 
@d^toeigen§ l^at bie 2xppm gefd^Ioffen, öon benen fo mand^e luftige 
^ral^Ierei l^inau^ging in ben ^i^f^^werraum, unb ber Xob grinft 
au§ beut bleichen , l^agem ©efid^t , in inetd^e^ bie ®ett)o]^nl^eit^ 
©rimaffen ju fd^neiben, fd^auerlidi * fomifd^e ^nxi^tn gegraben* 
„"ää)", fagt einer öon ben ßameraben, „ber arme 9)iatamore ift 
tot. SWübe unb öertnirrt bom ©d^neegeftöber, l^at er einen Singen^ 
btidf SRaft unter biefem 93aume gefuc^t, unb ba er nid^t jtt)ei £ot 
fjteifc^ am ßeibe l^at, ift er in SRarf unb 93ein erfroren. Um in 
5ßarig ßffeft ju machen, verringerte er täglid^ feine Station unb 
mad^te fid^ magerer atö ein SBinbfpiel jur 3agbjeit. Slrmer SWata* 
more! nun bift bu fidler öor aütn 5Rafenftübem, gufetritten unb 
©todEprügeln , todä)t beine SRoÜe bic^ öer^flid^tete l^injunel^men. 
3e^t liegft bu ba fo fteif, atö l^ätteft bu beinen langen ^aubegen 
öerfd^Iudft." ®aö ©efül^lüolle in ber Situation fommt l^ier in== 
bireft burc^ geniiffenl^afte 5ßlaftif jum SluSbrudE. 

@§ ift jebod^ bei einer Äunft, niie bie ©autierö niar, natürlid^, 
ba§ er fic^ in ba^ ©efül^tooüe nur feiten öerlor. SlUmä^Iid^, 
befonber^ mit ben Salären, nal^m er eine 5trt ber S3efd^reibung an, 
bie, fo üoHenbet fie auc^ toax, boä) mtf)x unb mel^r feelenloö tourbe. 
6r l^atte eine Seibenfd^aft fürg Steifen, befud^te 1840 ©ponien, 
1845 im ®efoIge be^ ^erjogg t)on Slumale Slfrüa, 1850 Stauen, 
1852 Konflantinopel, ba^ Sal^r barauf Siujslanb, n)0 er bi§ S'iott)^- 
gorob fam u. f. tt). Sllle biefe Steifen l^at er befd^rieben, oft tauge 
nad^ ber |)eimfunft, aber bei feinem fabell^aften ®ebäd^tni§ für 
äußere S)tnge mit einer ®enauigfeit unb SBal^rl^eit ol^ne gleid^en. 
SRur täufd^t fid^ ber Sefer, tt)enn er glaubt, ba§ biefe 93efd^reibungen, 



348 l'te romantifd^e dt^ule in £tankxt\^. 



bic über SWIc^ unb 2cbc8 in jenen fiänbem getreuüd^ bcrit^ten, 
aud^ über bie SSewol^ncr bcrfclben 3lugfunft geben. Sltö SRabomc 
be ®trarbin fein „Tra los montes" gelefen ^atte, fott fie ju i^ 
gejagt l^oben: ,,?lbcr, %f)iOf giebt öB benn feine ©panier in 
©pQnien?" nnb biefe ^tif pa^t anf aüt feine Sudler bicfcr 
2lrt. Sinmäl^ticl^ l^örte ber innere 3Kenfci^ anf für i^n ju CEiftiem, 
unb felbft ber äußere berfd^tüanb jule^t l^inter beut ^oftüm. Sn 
(Sautierg ©efpräd^en mit feinem ©d^toiegerfol^n 83ergerat foimnt 
bie broHige unb bejeid^nenbe ^u^erung öor: ,,@in Äönigötiger ift 
f d^iJner aU ein SRenf d^ ; toenn aber ber SÄenf d^ fid^ einen präc^tigett 
9lnjug t)on Stigerfell fertigt, fo ift ber SRenfd^ fd^öner afö ber 
Stiger, unb id^ fange an, il^n ju betounbem. @benfo interefficrt 
mid^ eine ©tabt nur burd^ il^re S)enfmäler, bie ja nid^tg änberc^ 
finb afö ba« gemeinfame 9tefultat be§ ®eifteg i^rer Seöößcrunj. 
aSag fd^er' id^ mid^ barum, ob biefe ©eöölferung fd^mu^ig ift, 
ober ob biefe ©tabt öieHeic^t ben Inbegriff aöer miJglic^en Ser* 
brechen bel^erbergt, toenn man mid^ nur nid^t totfd^Iägt, lüä^renb 
id^ i^re SRonumente betrad^te," |)ier feigen tt)ir ben reinen Qiß' 
l^eit§== unb Äunftfultug in feine bejeid^nenbfte Stulserung^fonn 
ausarten. ®a§ äRenfd^Iid^e, ba^ feiig Setoegte, ba^ 3Roberne, 
ba§ Seben fetbft üerlor jule^t aUeg Sntereffe für Oautier in feiner 
©igenf d^aft ate Mnftler unb Äunftliebl^aber, 2)arum ging att(| 
nadti unb nad^ fein ganzer ©inn für hk bramatifd^e Äunft ii 
Sntereffe für ben ©til, ha^ Jtoftüm unb bie S)eforation auf. 6r 
pflegte ju fügen, ba§ ein ©d^aufpielbidtjter Sllle^ baö, was er 
gefagt l^aben tooütt, öon ber Sül^ne l^erab fagen laffen fönne mit 
nur t)ier 5ßierrot§, bie er in berfdtjiebenen Situationen onbrinje; 
benn e^ l^anble fid^ nur barum, „ben (Sinbrudf be§ Seben^, m(|t 
bag Seben felbft" barjufteaen; „ba^ Seben felbft ift aCju fjä^W 
fügte er gerne l^inju. 

So lieferte er jute^t gett)ifferma§en eine ^tif über fid^ feM 
unb öerriet aEen Slnberen, feine blinben 93en)unberer angenommen, 



^, <6anntx, 349 



»0 feine ©renje lag, 6r jeigt bie Äel^rfeite ber Sofung „L'art 
pour Tart^^: eine ^nft, bie fic^ nur um il^re eigene Sld^fe brel^t, 
mirb notoenbigemeife julc^t unfrud^tbar unb leer. 2)ie reine 
Äunftbegeifterung fc^offt eine (Salatea au§ äRarmor; ber ®eban!en== 
ftrom ber Qtit ift allein ber göttliche ®eift, tpeld^er ber ©tatue 
Men einl^auc^t 

3)aB ®autier inbe§ mit einer Energie niie fein 3lnberer bie 
Ämift t)on fremben Slnforberungen emanjipierte unb fie fo eigen^^ 
tumßd^ entoicfeüe, wie er eg tl^at, war ein gro^eg unb* gute^ 
SScrt SBar eg aud^ nod^ fein genügenber (Sewinn für bie Shtnft, 
fo war bie Seiftung für ben ©njelncn gro§ genug. aWan 
fann jjebod^ feineöwegö feigen, ba§ ©autier^ latent öor feinem 
Sobe nad^ ©ebül^r öerflanben unb gefc^ä^t würbe;, er l^atte fein 
^ublifum unter aüen fünftterifd^ ®ebilbeten, aber bie blo^ 
fitterarifd^ (S^ebilbeten , nid^t ju reben öon ber grojsen Sefewett, 
öerftanben t)on feinen SSorjügen 9?id^t§. SBie oft liejs id^ mir 
nid^t in granfreid^ öon ©etel^rten bie alberne ®efd^id^te erjagten, 
bafe (Sautier feine SBüd^er in ben SBörterbüd^em jufammengefud^t 
l^abe, ol^ne für etwa^ Slnbere^ Sinn aU für ben Älang unb bie 
©eltfamfeit be^ SBorteg an fic^ ju ^aben. 

SEßag biefen Unberftanb einigermaßen erttärt, ift, bajs ber 
tjeuületonift ®autier nad^ unb nod^ ben ^oeten biefcg 9iamen^ 
fo jiemlid& in ben ^intergrunb gebrängt l^atte. ©d^on im Saläre 
1836 war er, ber ben Soumaliften fo bittere SBa^rl^eiten gefqgt, 
in bie 2:ageg^)reffe eingetreten, um fein 93rot ju berbienen. SSon 
ba an big ju feinem S^obe — 36 Saläre ^inburd^ — blieb er 
ununterbrod^en Soumalift. S)ie Seid^tigfeit, womit er fd^rieb, fam 
i^m babei ju gute. @r öoCibrac^te otö ^nft== unb I^eoterfritifer 
eine wa^re ^erfuleöarbeit. SRad^ feiner eigenen unb S3ergeratg 
bamit übereinftimmenben Sered^nung, bie wa^rfc^eintid^ bod^ über^ 
trieben fein bürfte. Würben feine SBerfe, faHö man aöe feine Slrtifel 
fanraielte, fid^ auf 300 S9änbe belaufen. @r fd^rieb juerft neuujel^n 



350 I^ie romantift^e di^uie in itankreid). 



Saläre lang für ©irarbin^ „La Presse", fpätcr unter bcm Sai|cr^ 
reid^ mciftcni^ für ben „Moniteur officiel". 3ci& l^abc olle feine 
^l^eaterftitif en , bie er nur toiberftrebenb öerfa^te, gclefen; fie h 
fi|en feinen anberen SBert ate ben ftiliftifd^en. Ate Sunftfritüer 
befd^ränfte er fid^ immer mel^r auf bie ©cfd^reibung öon Silbern, 
unb auf biefem ®ebiet toar er ein unerreid^ter ÜReiftcr. S)er Über* 
bruj5 am §anbtoerf, bie Unluft, fid^ geinbe ju machen, ba§> 3Rit* 
leib mit Slnfängem unb Unbegabten, enbßc^ eine gro^e ©utmütigfeü 
unb eine nid^t toenigcr gro^e ®leid^gültig!eit mad^ten i^n ftet§ 
nad^fid^tiger, Qniti^t lobte er faft äUe unb Sllleg mit bemfclben 
fouöeränen ^^legma unb in bem gleichen ftd^ern, farbigen &i 
3)ag gro|e 5ßublifum fannte i^n nur afö Sunftfenner, Sunftj(^# 
fteHer unb g^uiUetoniften. 

Slber gleid^jeitig übte er in aller ©tiöe auf 2)id|ter unb 
©d^riftfleHer einen mäd^tigen (Sinftufe. SSon ^iopi)ik ®otttier 
ftammen in geraber ßinie ob: ber ouggejeid^nete ?ßrofaift $Qut be 
©oint^SSictor, femer ßeconte be ßi^te, ber ®efü^Itofefte. unter ben 
mobernen 2)id^tem, ber ,;fatanifd^e" ß^rifer Soubeloire unb enbli(| 
bie gonje ®ruppe junger S)id^ter, toetd^e fid^ tt)äl^renb bcg Äaiferrei(|§ 
unter bem ^Romen „Les Parnassiens" bereinigten. @aint*SJictor erbte 
t)on i^m ben garben== unb gormenfinn, feine ßiebe jur bilbenben tofl; 
ßeconte be ßi^te fein 2;alent, fid^ mit ben fremben Autoren ju ibenti* 
fixieren, foloie feine orientolifd^e SRul^e; SBoubeloire feine aSorßeBefiir 
bm Hautgout ber ®efül^te unb ber ©inne, unb bie pamaffifc^en 
ß^rüer feine untabetige SReifterfd^oft in ber 93el^anblung be^ Serfeä. 

S)od^ obgleid^ ©outier fotd^erloeife ttjeit ^inoug über bie ^ 
t)on 1830 getoirft unb long' über feine ßeben^jeit l^inau^ wirfen 
toirb, ift fein SWome bod^ toie nid^t leidet ein onberer mit ber erften 
S'ompf^)eriobe beö SRomonti^mug eng öerfnü^ft. @g ift ein be* 
jeid^nenber unb rül^renber 3^9^ ^^B f^^ te^ter, unöoDenbettr 
Slrtifel eine ©d^itberung be^ S^^eoter^ubtifumö ift, ba^ ber erften 
Slupl^rung öon SSictor §ugo'g „^ernoni" bein)ol^nte. 



XXIX. 

SBäl^rcnb S^l^^o^l^ile (SautierS üttcrarijd^^frittfd^c SlrBcitcn, einen 
fo großen Sßla^ fie anä) in feiner ©efantt^^ßrobuftion einnel^men, 
öBer feinen Seiftungen auf anberent ®e6iete f aft f d^on in SSergeff enl^eit 
geraten ftnb, l^atte einer feiner ä^tts^^offen, ber gleid^ il^nt 3)ici^ter 
unb ^itifer toar unb beffen 9iante, fo lange fie S3eibe lebten, oft 
mit bem feinigen jufantnten genannt tourbe, ein entgegengefe^teS 
©ti^itffal. S)er 9iang, ben ©ainte-93eut)e aantä^rid^ aU ßritifer 
ertoarb, toar fo l^od^, baJ3 berfelte t)or ber SRad^toelt feine ^)oetifd^en 
unb größeren l^iftorifd^en ^robuftionen in ©d^atten fteüte, Site 
S)ici^ter befafe ©ainte==S3eut)e ein feinet unb originelle^ latent; 
bod^ afö ^itifer toar er ein e^)od^entad^enber (Seift, einer t)on 
benen, bie eine eigene SKetl^obe in§ SeBen rufen unb eine Befonbere 
Äunftart begrünben. S^ läj^t fid^ t)on il^nt fagen, baJ3 er ate 
bleuerer in feinem .(SeBiete nod^ ntel^r Bebeutete, aU bie übrigen 
©d^riftfteHer jener ^eriobe innerl^att be^ iiltigen; benn eS gab 
t)or §ugo eine mobeme ß^rif, aber man l^atte, in ftrengerem 
Sinne genommen, ^or ©ainte^Seuüe feine mobeme Sritif. 3eben^ 
fate l^at er bie Äritif umgeformt toie S3aljac ben 9ioman- 3n 
feinen legten ßebengjal^ren erlangte er unbeftrittene Slutorität, 
bemtod^ ift erft in ben üierjel^n 3al^ren, tie feit feinem Xobc üer* 
ftoffen finb, feine S3ebeutung aud^ aufeerl^alb i^xanttdä) ben 
®ebilbetcn red^t cigentlid^ jum SSerftänbni§ gefommen. @in au^^ 
gcjeid^neter Senner franjöfifd^er Sitteratur, Sari ^illebranb, l^at 
il^n ate ben l^erüorragenbften (Seift ber ganjen ^eriobe bejeid^nct 



352 Ute romantifdie id)ule in ftankteidi. 



— eine 3tuJ3erung, bie nur bemjenigen ungereimt erfd^einen fann, 
»eld^er bie Ätitif an unb für fic^ niebriger fteHt atö ba§ "35ronta 
ober bie ß^rif ; bod^ biefe Stnfd^auung^njeife bürfte öeraltet fein, 
gär ben ©d^riftfteüer ift biejenige ^nft bie l^öd^fte, in tod^tt er 
fein SBefen öoHgüItig enttoideln fann; unb mnn auä) ol^ne ßtoti^tl 
eine 9iangorbnung ber (Seifter ejiftiert, fo ift e^ bod^ l^öd^ft jn?eife{= 
iiaft , ob e^ einen* 9iangunterf d^ieb jtoifd^en ben Äunftarten giebt, 
befonberg njenn ber pvointti'ot ®eift bie ^nftart ober ba§ ©eure 
ju feinem eigentümlichen faft ^erfönßc^em Drgon umgebitbet f)at 
©oöiel ift getüife, in S5ejiel^ung auf SBerftanb (nid^t nur auf Ur^ 
teitöfraft) ftanb ©ainte^^SBeuöe in ber (Generation öon 1830 un^ 
bebingt am ijöd^ften. ©eine @igentüm(id^!eit ift bie: er \oax ein 
®eift, ber eine aufeerorbentlid^e Slnjal^I anbcrer ©eifter' öcrftanb 
unb Mar fteHte. SBenn id^ il^m gleid^njol^I ben übrigen ^eröor* 
ragenben 5ßerfönlid^feiten jener (Sntp^e gegenüber ben SJorrang 
nid^t einräumen fönn, fo berul^t bieg in ber Segrenjung feiner 
gäi^igfeiten. @o öiel fein S3lidE aud^ umfaßte, ii|m mangelte bie 
2:otaIüberfid^t. Selten toax ein ^iftorifer unb S)enfer ein toenigcr 
f^ftematifd^er ®eift, S)iefe ©igenfd^aft l^atte fidler il^re gute ©citc. 
S)afe er fid^ öon @t|ftemati! frei l^ielt, betoal^rte il^mbie g^tfc^e; 
baburd^ war e^ il^m möglid^, fid^ beftänbig gu l^äuten unb ju 
erneuen. @o ftanb er, ber 1827 burc^ feine erften %xtild im „®toW 
©oetl^eg Slufmerffam!eit erregte, nod^ im Saläre 1869 mit DoHem 
SSerftänbnig, umgeben öon altfeitiger ©^mpatl^ie inmitten, ja an 
ber S^i^e be^ Äreife^ öon jüngeren (Selel^rten unb Äünftlem, 
ttjeld^er bamafö g^anfreid^g l^od^gel^enbe Stnf^)rüd^e auf Slnfel^en in 
(Suropa begrünbete. 9iod^ in feinen legten Seben^jaiiren mürbe 
begl^alb ©ainte^Seuöe aU ber natürlid^e ®eneral betrad^tet, unter 
beffen Singen „bie junge ®arbe" fid^ am liebften au^jeid^nen toollfte. 
Slber ba il^m bie &dbt be^ ^^tf^^wi^^föffenö fel^Ite, toax e§ i^m 
bei aHebem unmögtid^, ein beftimmteS ^anptmtxt ju l^interlaffen, 
ttjie er auc^ bie 3^id^nung im ®ro^en, ben großen ©til nid^t gu 



Salnte-Beuoe. 35 3 



crlongen öermod^te. ©ein Süd toax bafür gefd^ärft, überall 
bejeid^nenbe, bcbeutenbe ©injell^eiten ju feigen, bod^ bic (Sefatnt* 
l^eit entging il^m. @r fal^ biefe ©inäell^eiten in beftänbig totä)^ 

• 

jelnber SBenjegnng, in jener S5enjegnng, bie ba§ ßeben ift; unb 
inbem er oHe biefe Senjegnngen in feinem ®eifte nnb mit feiner 
ijeber nad^al^mte, gab er feinen Silbern eine nie gefel^ene SBal^rl^eit, 
Slber er öermod^te nid^t, bie S)etaitö mit genügenber Überlegenl^eit 
ju bel^errfd^en; il^m mangelte ber @inn fonjie bie gö^ifl^f^itr bie 
nöl^er liegcnben Urfad^en au^ ben Isolieren, biefe njieber an§ 
einer einzelnen abjnleiten» @r tonnte alg ^itifer nur ba^ ijofierte 
Snbibibunm fd^ilbem unb fetbft biefeg niemals in einem Qn^t in 
fid^ abgefc^Ioffcn, fonbem balb öon ber einen, balb öon ber anberen 
©eite gefeiten, balb in bem, balb in einem anbem ßeben^alter, balb 
in biefem, balb in jenem 9Serl^ältni§ jur Umgebung* 3a, nid^t 
einmal ben einjetnen Slrtifel öermod^te er ju fonjentrieren. (Sr 
legte feine beften (Sebanfcn in SRebenfä^en, feine feinften ©rläute^ 
rungen in Slnmerfungen nieber; er jerbröfelte fein Seben^brot in 
Ärumen; er berftedfte fein ®olb, mie bie Säuern in früheren S^agen 
ju tl^un ^)flegten, unter ben S)ielen beg g^^poben^ ober in SKauer^« 
fj)alten, auf bem ®runb einei? Sifte ober in einem ©trumpf; er 
öerftanb nid^t bie Sunft, Statuetten barau^ ju machen. 

S)ie g^^i^^i^ ^^^ ^^^^ ©^ftematifd^en, bie feine ©tärfc 
toar, ^tte für il^n ba^ grofee (Sute, feine ©d^riften öor jeber ge^ 
fuc^ten Symmetrie ju betoaliren. 31x6)% aud^ nid^t ba^ ®eringfte, 
opferte er bem innem (Steic^getoid^t feiner Slrbeit ju lieb — ge* 
fd^meige um feine ©arfteHung unb feinen @til ju öereinfad^en — 
toenn il^m im Slugenblitf ettoa^ öorfd^toebte, ba^ ju fagen er für 
notnjenbig l^ielt. ®r f diente nid^t ba^ 3iifötttmengefe|te, fo njenig 
toic Sertoitftung ober SDiangel an Slbfd^lufe. S)a§ gel^len jener 
p^ilofo^)l^ifd^en Slnlagen, bie ben ©d^riftfteHer jtoingen, bie S)inge 
aneinanber ju reil^en unb afe ®anjeg ber SorfteHung jujufül^ren, 
ift bie Urfac^c, toe^l^atb man öon ©ainte^^Seuöe'S ©d^riftcn nie* 

»roobe«, 8itt«oturgef(^. be« 19. 30^^. V. 23 



854 ^^t romantifdie ddiulc in /rankreid). 



mate ftarfc, Kare (Sinbrücfe em^jfängt SBic^tigcö unb toetiigcr 
SBid^tigc« ftc^t aßju oft in bcmfcftcn Pan. «tls ftünftler betrautet 
erinnert er an jene japanefifc^en äJ'ialer, beren f)off&c ^nftrang in 
fpäteren Salären ))on (Snropa anerlannt tpurbe; fie üBerrafc^ 
n)ol^ltl^uenb, n^eit fid^ bei ü^nen feine @))ur üon afabemtfd^er @^^ 
metrie finbet; fie befriebigen niemate t)oIIftänbig, toeil fic ieber 
^erfpeftiöe fpotten; fie erreichen -aber bi^toetlen in einem oujser* 
orbenttic^en ®rabe bie SBiebcrgabe beö notüriid^en Sebenä. 

ei^arte« «ngnftin ©ainte^SBeuöe ift am 23. ©eaember 1804 
in 95outogne*fnr*mer geboren, ©ein SBater, ein tüd^tiger, fein* 
gebilbeter SJeamter, l^atte erft mit 52 Salären baran benfen f önticn, fic^ 
eine ^äu^Iid^feit ju gränben« ^ie grau, n)elc^e er l^eimfäl^rte, jäl^Qe 
bamatö 40 Saläre; faum ein3al^r t)tcm&fß öerlor fie ben ®atten^ j»ei 
SKonate öor ber ®eburt be^ ©ol^ne«. SSon biefem SSater, ben ©ainte- 
SSeuöe nie gefeiten, unb ber ein lebiiafteg Sntereffe für fiitterctur, 
befonber^ für ?ßoefie liegte (bie S3üd^er feiner SBibliotl^cf toeifcn 
Sßotijen, Sianbgloffen unb eingeftreute ®ebanfen auf, toeld^c i^rcm 
@eift unb i^rer gorm nac^ mertoürbig an bie be^ ©o^neö er* 
innern^), fd^eint er bie Slnlage ju fritifd^er Sleffejion geerbt ju 
l^aben; t)on ber 3J2utter, bie ben ^aben früi^jeitig @ngßf(^ 
leierte (i^re SKutter toar eine @nglänberin gett)efen), ftammt feine 
bamate in granfreid^ fo ungetoöl^nüd^e SBorßcbe für engfifc^e 
S^rifer, iBotoleS, ©rabbe, ßohjper unb in^befonbere für SBorbötoort^ 
fotoie bie übrigen S)i(^ter ber ©eefd^ule, bie er fo oft überfe|t 
unb jitiert l^at. (Sttoag SUtöäterifc^es^ unb ©d^toermütigeg borf 
man mit jiemlic^er ©id^erl^eit teite öon bem öorgerüdtten Sttter ber 
(SItern abfeiten, teitö öon ber niebergebrürften ©timmuiig feina 
SRutter, bie, ttml^renb fie ba^ Äinb unter bem ^erjen trug, öon 
ber Sranfl^eit unb btm Sobe il^re^ SKanneg getroffen ttmrbc. 



^ 3Kan finbet biefe ©ebanlenfpänc beS SBater§ tciltoeifc abgcbrurft aB 
tlnl^atig ju aJloranb« ^uSgabc öon @ainte*S8cut)e*§ SBriefcn an bcn Wk 
S3ar6e. 



^alnte-Bettoe. 355 



Sltö ^o6c toar @amte^S3cut)c fd^njemtütig unb furc^tjam» 
Unter bem (ginflu^ ber müttcrlid^en ©rjiel^ung entoirf elte ftd^ bei bem 
^toölfjä^rigen ^aben eine faft un^eimüd^e reügiöfe ©d^tüärmerei; 
mit htm glül^enbften ®ifer berfal^ er bk S)ienftc eineg (Sl^orfnaben bei 
ber aReffe. 6^ njar nur ein t)orübergel^enber fatl^olifd^er $ßaroji^mui5, 
aber beutlid^ genug l^at er jeine ©^)uren l^interlaffen, bie fid^ fpäter 
auffrifd^en liefen, ^er jum Süngling |)eranreifenbe betoal^rte 
nid^t nur bie 5ßietät für baö ßl^riftentum, fonbern aud^ ben 
§ang, fid^ mit religiöfen ^^eifeln unb tl^ologifd^en ©rübeleien 
ju befd^äftigen. ®ie§ haftete il^m an, big er afe ©tubent bk 
$l^i[ofo^)l^en be^ ad^^el^nten Sal^rl^unberts unb bie bamafö leben^ 
ben SRe))räjentanten ber fenjualiftifd^en ?ß^iIof opl^ie , be Xract), 
®aunou, ßamardE l^örte, bann l^at er fid^ rafd^ öon ber Sl^eologie 
entanjipiert. S3ei beut Eintritt in^ 3Äanne§aIter toax feine 
©runblage ber reine ßm^iri^mug ; biefer gonb, ber nod^ einmal 
tjon religiöfen Stimmungen unbSScffeitäten, jebod^ nur t)orübergei|enb 
üerbrängt njurbe, taud^te \ptxttt lieber in il^m auf unb betoä^rte ftd^ 
afö ber bleibenbe unb entfd^eibenbe. ©ainte^S3eut)e l^atte fid^ in ber 
©d^iile in ben l^iftorifd^en unb ^)]^iloIogifd^en %&6)txn au^gejeid^net 
Srol feiner Steigung jur Sitteratur toibmete er fid^ jebod^ bem 
©tubium ber äRebijin, teitö feiner ä^^t^ft l^alber, teifö um ein 
©egengetoid^t gegen bie fiIo§ rl^etorifd^e Stu^bilbung ju l^aben. 9Son 
1823—26 trieb er neben litterarifd^en S3efd^äftigungen mit @ifer 
mb 3ntereffe ))l^^ftologifd^e unb anatomifd^e ©tubium. Sr njar arm, 
ol^ne bei feiner SKäfeigfeit jemafö SKot ju leiben, unb anwerft fleij^ig. 
. 35er junge SKebijiner fear nid^tg weniger atö fd^ön. ©ein 
großer runber Äo^f fear faft ju jd^njer für ben Äörper, bie (Seftalt 
ol^nc ©leganj, ba^ rotblonbe §aar jugfeid^ ftrup^)ig unb fein, 
aber in ben blauen, leud^tenben ?lugen, bie fid^ junjeilen fettfam 
erweiterten, haib gro§, balb Mein fd^ienen, büßten taufenb fragen, 
läd^elte überlegene ©d^alfl^aftigfeit unb bämmerte bajtoifd^en 
ein träumerifd^eg ©eignen, ba^, l^alb finnlid^, l^alb poetifc^, 

23* 



356 Söie romantifä)e 3ä)ule in irankrtid). 



bic §crjen geiüann, Ate armer, J^äfelic^cr ©tubcnt fannte er tiom 
fd^önen ©ejc^Ied^t nic^t öicl me^r ate bie Sünberinnen im Quartier 
latin. @r l^attc ein finnüd^ gtütjenbe^, unfeine^ 2:emt)erament, 
ba^ unmittelbare SBefriebigung fuc^te; Demütigung unb (SetPiffenö^ 
biffe tt)aren für i^n bie unmittelbare Jolge berfelben. 5)abci ht^a^ 
er eine ftarf enttnitfette, träumerifd^^^oetijd^e GinbilbungSfraft, bie 
öon einer feinen SWeland^oIie umfd^feiert fid^ ber 9iomantif unb 
bem iDt^fticidmuS jun)anbte. ^ieüeid^t l^atte er etn^aS 'oon bem 
untoittfürlid^en ®roII ber ^öfelid^en gegen bie 9Wänner, xoüd)t 
fd^on burd^ ii|r btofeeg Sluftreten grauenl^erjen erobern, unb babci 
bod^ felbft ettoag t)on ber Untniberfteijüc^feit ber 3nfinuantcn. 

3u Slnfang 1827 fd^rieb er in ben ,,®robe" jtoei Slrtifet über 
SSictor §ugo^ „Ödes et ballades", njeld^e feinen @intritt in^ 
romantifd^e ßager jur golge Rotten. $ugo befud^te i^n, um i^m ju 
banfen, traf i^n aber nid^t ju ^aufe. Site ©ainte^SBeuöe toenigc 
Xage bamad^ fid^ in |)ugo'^ ^an^ öorfteHte, lernte er mit einem 
SDial bie beiben $ßerfönlid^feiten fennen, meldte in feinem Sugenb* 
leben bie größte SloUe fpielen foUten. 9lafd^ tourbe er jünftigcr 
Äritifer ber romantifd^en Schule. @^ l^anbelte fid^ in erfter Sinie 
barum, ben ^i^föintnenl^ang ber neueren ©d^ule mit ber älteren 
franjöfifc^en Äultur nad^jutoeifen, il^r nationale Sinnen ju fc^affen. 
@ainte==33eut)e löfte biefe Slufgabe in feinem üortreffli^en friti* 
fd^en Stogeubtoerf „Tableau de la poesie fran9aise au XVI« siöcle" 
(1827—28). 2)er ®runbgeban!e barin fear: öom Oefd^tec^t 
öon 1830 ben gaben über bie flaffifd^e $ßeriobe toeg ju jiel^en 6i^ 
ju atonfarb, bu SeHa^, ^Ijilippe beö $ßorte^ unb ben übrigen, fo 
lange unb mit Unrecht mifead^teten ©id^tern ber 9tenaiffancegeit, 
Sieg S3nd^ ift in 83ejug auf @ainte=Seut)e'g @d^riftftellertt)irffamfcit 
bie genaue $ßarallele öon bem, n^a^ „Les Grotesques" in berjenigcn 
X^, ®autier^ toav; e^ ift älter ate ba§ festere, im übrigen 
ebenfo grünblid^ unb fein anal^fierenb, toie „Les Grotesques" plaftifc^ 
unb bigarr. 



5atnte.Btu«>e. 357 



1829 folgte feine crfte ©ebid^tfontmlung , „Sofepl^e S)eIor^ 

nteg 5ßoefteett'', originelle unb manierierte ©ebid^te, toeld^e nid^t 

geringe^ Sluf feigen mad^ten. S)ie gi^i^^ ^^^ ^i^r ^^fe pc ^on 

einem jungen ©tubenten ber SKebijin gefd^rieBen feien, ber an 

ber ©d^toinbfud^t geftorben; bod^ unter bem burd^fid^tigen ^eubo* 

nt|m fd^ilberte ©ainte^Seuöe in ber SSorrebe ftd^ feftft unb fein 

eigene^ ßeben. Sofepl^e S)eIorme ift ein ?l6!ömmfing öon Dfccr:* 

mann — arm, reid^begabt, t)oIl SKitgefül^I mit bem Unglüdf ber 

SÄenfd^l^eit, ein genialer unb glanjlofer ®eift njie fein Stammvater, 

aber nod^ mannigfaltiger in feinem ©emüt^teben aU jener; ^ benn 

Sofep^e S)eIorme ift jugleid^ 5ßl^iIofo^]^ unb unglüdflid^ über feinen 

Unglauben, ibeal in feinem §offen unb feinem ©treben unb bod^ 

niebrigen Slu^fd^toeifungen jugcneigt, S)er §elb ift l^ier ber ge^ 

tüöl^nlid^e bef^erate Süngling öon 1830, jebod^ auf mel^r bürger* 

lid^e Proportionen rebujiert alg bei ben übrigen S)id^tern; feine 

SJerjtoeiftung ift nid^t fo l^od^patl^etifd^, unb bod^ toal^rl^eitSgetreuer, 

3)ie ©ebid^te finb formell merftoürbig burd^ bie SSorliebe für 

©meuemng ber reijenben altfranjöfifd^en SJer^arten nad^ Slonfarb 

unb Sl^arle^ öon Orleans, njeld^e fid^ barin offenbart; jugleid^ 

Verraten fie, toie fel^r ©ainte^S3eut)e (ungefäl^r n)ie 31. SB, ©erleget) 

für bie 5^^^ ^^^ ©onettg eingenommen njar. 8?or SlHem aber 

finb fie intereffant burd^ ben 9iealigmu§, ber fd^on l^ier beim 

Slutor burd^brid^t unb fid^ tool^I biStoeilen bem ßinffufe ber 

engtifd^en ©eefd^ule jufd^reiben lä^t, allein fd^on burd^ bie fül^ne 

SBa^I ber @ujet§ (man vergleid^e j. 93. ba§ (Sebid^t „9tofe") fid^ 

faft burd^gängig afe original unb ganj franjöfifd^ beioeift. ©a^ 

ibtak (SIement vertreten bie (Sebid^te, ttjorin ber SSerfaffer 

fid^ in (Sntjüdfen ergel^t über ba^ „ß^nacle" (ben Keinen ßreiö 

von 2)id^tem unb SÄalern, in tveld^en er aufgenommen njurbe), 

unb beffen SÄitglieber balb einjeln, batb in^gefamt verl^err* 



Über Obermann ftel^c „^ie (Jmigrantenlitteratur". @, 59 ff. 



358 Hie romantifdie S^^vit in ftankteid}. 



ixdft werben, ©eine ©fftafe bcn ^mnbtn gegenüber überfteigt atte 
®rcnjen, ©injelne üon biefen ©ebid^ten fanb man in bomoligcr 
ßtxt fo gefud^t, ba§ man ftd^ bärüber luftig mad^te. „Les Rayons 
jaunes" ftreifen in ber Xl^at an . bie ®renj;e beg Söd^erlid^it 
Änbere fanb man platt, ®uijot befinierte Ssofe|)l^e S)eformc al§ 
„un Werther jacobin et carabin" (gafobiner nnh äRebijittcr) ; bod^ 
HQcg in 3lHem fann man fagen, ba^ ba^ 83ud^ nid^t geringe^ 
@lüd mad^te, unb ber (Stfolg ttiar üerbient 

©ainte^Seuüe'ö näc^fte (Sebic^tfammlung (aRärj 1830) bejcid^net 
im SSerein mit feinem 9ioman „SSoInpti" (1834) unb beit gtoei 
erften SBSttben öon „ 5ßort * 9io^aI " bie fentimentale unb ettDoä 
frömmeinbe ^eriobe feinet ©d^riftfteüertum^. „Les Consolations" 
finb unter SluSbrüdfen l^^fterifd^er Setounberung mit einem Slffom* 
pagnemcnt öon d^riftlic^er 9ieue SBictor ^ugö jugeeignet, beffcn 
SRame faft auf jeber Seite öorf ommt. ®ag erfte (Sebtd^t toie, auc^ 
mel^rere anbere finb an SKabame ^ugo gerichtet . ©ie loar ©ainte- 
SBeüüe'^ 3ugenbliebe; il^r l^at et, ol^ne ba§ er e§ gebrutft bezeugte, 
in SBal^rl^eit bod^ ba^ (Sanje ^utbigenb bargebrad^t ©ein SSerl^öItni^ 
ju il^r bel^anbett eine augenfd^einlid^ ganj tual^rJ^eitögetreue ©ebic^t^ 
fammlung „Le Livre d'amour", njetd^e ©ainte*S5eut)e jtoar brucfen 
Iie§, aber nid^t öeröffentlid^te, mit aüjugrojser Offenl^eit; toa§ barin 
üon S3elang ift, finbet fid^ in ^on^^ unnjürbigem S3ud^ „Sainte-Beuve 
et ses inconnus", S) a^fetbe Xl^ema liegt aud^ allen ^am)tpartieen 
be§ ^oman^ „SSoIupt^" ju ®runbe; ba^ aSer^äItni§ be^ ißerfafferg 
JU SJictor $ugo unb beffen ^an^ t&%t fid^ in Slmaur^g ^^. 
jiel^ungen ju btm atterfannten politif d^en gül^rer ©ouaen unb beffen 
©emal^Iin unfd^n^er erfennen. ©ainte*S3eut)e felbftunb öiele.SInbcre 
nad^ il^m l^aben angebeutet, ba^ bie ganje fd^toad^fatl^olifd^ ge* 
färbte, ober üietmetir gefirnißte, &tnppt feiner Slrbeiten, welche 
njäl^renb feineö ©d^toärmen^ für unb mit SUiabame |)ugo entftanb, 
bireft t)on il^r inf^)iriert gemefen fei; bief e 2)ame, bie in il^ren 
reiferen 3al^ren atö eifrige greibenlerin gef daneben l^at, toax in i^rer 



Jainte-Bettoe. 359 



Sugenb ftreng fatl^oltfd^ gefinnt SWan l^at ht^auptd, @amte^S3eiit)c 

fei in feinem SBemül^cn, fte ju gewinnen, fo tueit gegangen, ba§ 

er ftc^ angetoöl^nte, in il^rer SBeife ju fpred^en nnb il^re Sm^fin* 

bungen nad^jufül^Ien» Sd^ ^alte biefe Stflärnng für falfd^ nnb 

bin übcrjeugt, ba^ ©ainte^Seuüe fotool^I fici^ felbft ate Stnbere bnrd^ 

bie Slrt tänfd^te, in toeld^er er in f ^fiteren 3al^ren. über feine 

3ugenbtoer!e jn f^jred^en ^jffegte. Sn einem SBrief, batiert t>om 

3un 1863, fd^reibt er an bie ©d^riftfteöerin |)ortenfe Wlaxt be 

SKäiten^ (SUiabame ©aman): „^ä) l^abe in meiner 3ugenb ein 

8i§d^en (^riftlid^e äR^tl^ofogie getrieben, aber fie ift ücrbnnftet, 

Sie tt)ar für mid), toa§ für Siipiter ba§ ©d^toanengefieber bei 

Seba — ein SÄittel, um S^ttüt bei ben ©d^önen ju erlongen unb 

järtlid^ere SlugenblidEe ju erl^afd^en, ®ie Sugenb f)at 3eit unb mac^t 

öon jebem SRittel ®ebraud^/' — 2Äir gefällt bk friüole SBeife 

nid^t, tnomit er ^ier einen 3^8 i^ bemänteln fud^t, ber ganj 

einfach au^ ber SBeid^l^eit unb Unfefbftänbig!eit feinet Sugenb* 

d^arafterg, ber i^n jum ßatt|oIiji§mu§ jietien mufete, entfprang, 

S)iefe SRid^tung tourbe, beöor fie üerfief, üon einem S^i^f^^om, 

metc^er, toie e§ gett)ö^nlid^ gel^t, eben im ^Begriffe fear, SÄobe* 

ftrömung ju tuerben, vertieft. Senen 3^üpunft bejeid^net bie SBieber* 

geburt be^ :pi|iIofb^)l^ifd^en ©pirituafigmu^. ©ainte^93eut)e njar im 

Saläre 1828 ^örer ber SJorlefungen, toeld^e Souffroig nad^ feiner 

(Snttaff ung auf feinem ^i^imer l^ielt, unb toar aufeerbem, toie f aft 

alle jungen ßeute ber bamatigen Qtxt, üon ßoufin beeinflußt. ®ic 

^l^iIofo))l^en ber neuen Qdt befel^rten il^n öorläufig öom ©enfualis* 

mu^* SSiele ber Süngeren l^ielten ben 9lomanti§mu§ nod^, n)ofür 

ipugo il^n öon Slnfang an betrad^tet, für bie SReaftion gegen bie 

i^eibnifd^e Sunft unb bie Sitteratur ber Slaffüer. Überbieg tt^ar 

ein t^Wgel be^ romantifd^en ßager^ in feinem (Sifer für bie 

poetifd^e SBiebergeburt be^ 3Rittetafter§ eng üerbunben mit ber 

jungfatl^olifd^en ©d^ule, bie fid^ um Samennai^ unb 9lbb^ Sacorbaire 

fd^arte unb ba^ 83Iatt „L'Avenir" gegrünbet l^atte, für tt)eld^e§ 



360 iDie romatitif(^e ^djitU in itankreidi. 



aud^ @aintc*83euüc Wctxttl lieferte — ma^ SBunber, toenn einige 
Xro^fen auö bem SBeil^wafferfeffel ber SReufatl^ofifen ju bm jungen 
©d^riftfteHem l^inäberfpri^ten unb fomit bie neuen Süd^cr bc* 
netten, toelc^e üom romantifc^en Sager ausgingen ? fiacorbaire ^at 
fogar teiltoeife bie @d^Iu§partie öon „^obVfti," bie ©d^ilberung 
be8 Älofterteben^, öerfafet S)ie g^ömmelei, »elc^e in „Les Con- 
solations" üorJ^errfd^t unb u. a, Se^Ie ärgerte, ber übrigens 
©aittte*95cut)e'ö aufrichtiger 8ett)unberer toax, unb ber SBeil^raut^* 
bunft, »etd^er bie le^te §ätfte üon „SSoIu^Jt^" burd^bringt, erinnern 
lebl^aft an äl^nlid^e ?ßl^änomene bei ben beutfd^en JRomantifcm. 

S)er SRoman „SSoIu^Jti" ift tro| feiner SBreite unb feinet 
fd^Ie|)penben ®ange^ eine feine, tief finnige ©eelengefd^ic^tc. @§ 
finb 33efenntniffe in JRouffeau^ SKanier, aber ber @til ift in SBUb 
unb %avbt reicher, feiner nuanciert unb jeid^net fid^ burd^ eine 
getoiffe (Smpfinbfamfeit au^, bie an jene Slrt S^rif erinnert, toetc^e 
Samartine ettoa^ fpäter in „Socel^n" antoenbet, njie benn biefes 
SBerf, obfd^on feufc^er, bod^ l^infid^tlid^ be^ Stoff eg mit ©ainte* 
Seuüe'ö 9ioman öerujanbt ift. S)ag SBuc^ ift eine t)on tiefen unb 
fd^arfen 9ieffeponen burd^jogene ©d^ilberung be§ genu^füd^tigcn 
Sebeni^ eine§ 3ünglingg, in njeld^em bie finntii^en unb bie järtüd^en 
S^riebe ber ©eefe gleic^ermaj^en grifd^e unb S^i^atfraft öemid^ten. S5or 
aUem bel^anbelt bieg 33ud^ bie n^eid^Iid^e, freunbfd^aftlid^e ^witeigung 
jum anberen ®efd^Ied^t, befonberg ju ben jungen grauen, »omit be^ 
gabte Säuglinge nid^t fetten fo öiete ^rit unb il^re befte ^aft öer^ 
fc^tnenben. Slfö blofee SSerfd^toenbüng l^at jebod^ ©ainte^^Seuöe bie 
Sugenbjeit fo ju öerbringen nie in üoüem (Smft betrad^tet; rid^tet 
er bod^ felbft einmal gegen einen genialen, aber ettoa^ ju ^anb= 
feften unb einfeitigen ©d^riftfteHer ben SSortt)urf, bafe er t)iel ju 
angeftrengt unb ju einfam gearbeitet unb fid^ baburd^ gefd^abet l^abe, 
inbem er aHjufelten jene ©efeUfd^aft aufgefud^t, „tnetd^e unter atten 
bie befte ift, njo man am meiften unb ftet^ auf bie angenel^mfte SBeife 
t)on ber SBelt feine Qüt üerliert: bie (SefeHfd^aft öon grauen.^ 



i^aitite-Betwe. 361 



®er §clb be§ Sud^e«, Slmaur^, ift jnjifd^en brei grauen ge^^ 
ftcttt; er liebt bie eine, njeld^e mit feinem ^erm unb gül^rer t)er= 
möl^Ü ift, l^ei^er aU er njagt, il^r merfen ju laffen; er giebt bie 
gtoeite, feine 3ugenbbraut, um jener anberen toiüen auf, unb jugleid^ 
lä^t er ftd^ mit ber britten, bie er abtoed^fetnb begel^rt unb lieber 
burd^ Säße unb ®leid^göltigfeit fr&nft, in eine Siebe^intrigue ein, 
toelc^e il^n n^eber befriebigt, nod^ öor tuilben Slu^fd^njeifungen mit 
untoürbigen SBeibem fd^ü^t SBipegierig, el^rgeijig, üon eifernem 
%kx^ befeeft, toic er ift, greifen fo üiele ftarfe Slnreijungen feine 
®eifte§fraft an, <3^t^|t fi^^t ^^ ^^i^^ anbere 9iettung, ate fid^ 
ber ftrengen S)i^jit)Iin ber fatl^oüfd^en Äird^e ju unterttjerfen. SSon 
biefem ©tanb^junfte au§ öberBIidEt 3lmaur^ fein 3ugenbleben unb 
fteHt eg bem Sefer bar. Sie Srjöl^Iung giebt ftd^ alfo getoiffer* 
ma|en aU bie Seichte eine§ fatl^olifd^en ©eiftlid^en unb l^at ba^ 
hnx6) an einjetnen ©teilen eine ganj unteiblid^e Salbung erl^alten. 
S)ie Slu^brüd^e öon 9ieue, bie moralifd^en unb religiöfen ßrmal^* 
nungen, bie ®thüt unb ^rebigtmotiüe , toeld^e ben ®ang ber 
^anblung unterbred^en, finb bie toenigft anjiel^enben ?ßartieen be^ 
öud^eS, 2)od^ ber Äem beg 9iomang l^ält btn Sefer fd^ablo^: ba 
ift ber Kare SüdE für bie ©nttoitfetung^^ unb ^anfl^eit^gefd^id^te 
ber ©eele, ber auf eingel^enbem ©elbftftubium berul^t unb ben 
fünftigen ^tifer anjeigt; ba ift femer ba§ SBerftänbni^ für 
iJraucnnaturen, ba§ ben ttjeiblid^en 3«9 i^ ©ainte^^SBeuöe'^ eigenem 
Siaturell verrät unb bie einjig baftel^enbe gäl^igfeit anfünbigt, mit 
tt^eld^er er balb atö Ätitifer bie Xiefen ber grauenfeele ergrünben 
unb auflegen foöte. |)ierin liegen bie SBorjüge be^ S3ud^e^. 

3d^ fül^re einige $ßroben an öon ber fd^arfen S3eobad^tung 
unb bem 9ieid^tum fd^Iagenber 5Reff ejionen , bie e^ entl^ält: „SBie 
ift bie Sugenb unbanfbar öon SRatur! SKit t)eräd^tlid^er SJKene 
toirft fie SlUe^ tt)eit öon fid^, toag fie nid^t felbft fid^ erworben. 
SfbiT bie 93anbe finb il^r toert, njeld^e fie felbft gefnü^ft; fie toiö 
greunbe für fid^ allein ^ben, SBefen, bie fie felbft ertt)äl^It, benn 



362 l'ie rotnantifd^c iißit in irankreid}. 



fie gfou6t in il^rer @ee(e @(i^e ju i^abett; um ftd^ ^erjett 
laufen, unb Ströme ber Säxtiiä)Uit, um biejelben befrud^tcn gu 
fönnen» S)a fielet man, toie fie fic^ für ba^ Seben greunbcn er^ 
giebt, tod6)t fie geftem nod^ nid^t gelaunt, unb jungen SRöIh^, 
bie fie faum gefeiten, etoigc Siebe unb 3;reue jufc^toört/' — ,,a35ie 
finb bie menfd^Iid^en t^eunbfd^aft^oerbinbungen bod^ fo ntd^tig! 
äßie fc^ßegt eine bie anbere auS! äßie fie aufeinanber folgen unb 
fic^ überftürjen gleid^ äBogen! D Sammer! ^ied ^au@, in ba^ 
S)u abenbiS unb morgend gel^ft, ba3 S)ir toie Deine ^eimftott, 
ja beffer atö biefe erfd^eint, unb um beffenttoiUen 2)u jebe frül^ere 
JreunbUd^feit geringfd^ä^eft — fei getoi^, ba§ biefe« $au§ eine« 
Xa^t^ Unred^t ^ben toirb; Du toirft e« meiben »ie einen un* 
^eimlid^en Drt, unb tuenn Dein SBeg Did^ iufäUig einmal in bie 
3l&f)t fül^rt, tt)irft Du einen grojsen Umtoeg mad^en, um eg nic^t 
ju feigen. 3e begabter Du bift, befto beftimmter trifft bie« 



ein." — 



^ier ein @afe, ben jebe aufrichtige Siatur, njelc^e fd^on bie 
fd^merjlid^e iWottoenbigfeit fül^Ite, tixoa^ öerfd^ioeigen ju muffen, Dcr^ 
ftel^en unb in feiner treffenben Äür je betounbem toirb : „Snbem id^ 
meine toirflid^e ©mpftnbung au«brudEte, gab id^ mir ben Slnfd^ein, ba« 
au«jubrüdEen, nja« id^ nid^t fül^lte, um, toäl^renb id^ fie töufd^te, 
e^rlid^ gegen mid^ fettft ju fein/' — $ier eine furje, ttjd^mütige 
2eben«Betra(^tung : „6in 3;rup:pencorp« giel^t langfam auf ber @tra|e 
bal^in; bie feinblic^en @d^ä|en, toetd^e jU beiben Seiten öerftetft 
liegen, richten ein fürd^terlid^e« Stutbab unter il^m an, unb e« fommt 
jum Äam:pfe. SBenn afebann ber ßl^ef ber 2;ru:ppe mit bcm einen 
ober bem anbem glüdEltd^ burd^gefommenen S3ataiIlon unb mit jer^ 
fester Saline nod^ öor Slbenb in bie näc^fte ©tabt einrürft, fo nennt 
man ba« einen Irium^l^. SBenn tin ober ber anbere Seil öon 
unfern 5ßfänen, unferm ©i^rgeig, unferer Siebe weniger ftarf gelitten 
^at afö ber 9teft, fo fpred^en mir oon Shil^m ober ®lüd.'' — 
§ier enblid^ ein feine« f feine« SBilb öon ber eiferfüd^tigen Siebe: 



Sainte-BeuQe. 363 



„3n jenen SlugenMidEen, ba fie auf ©roBerungen ait^gei^t unb burd^ 
jeben SBiberftanb, [a f e(6ft burd^ jebe^ järtüd^e ®ef ül^l f üt Slnbere 
gereigt ober erbittert toixbf möd^te id^ fie mit jcnm afiatifd^en. 
S)cfpoten. t)crglei(^en, tpeli^e, um fid^ ben ^eg junt S^l^ron ju bal^nen, 
alle 9läl^erftel^enben unb Slnge^örigen, fetbft i^re eigenen Vorüber . 
ertoürgen." . i 

^it „Les Pensees d'Aoftt" kfd^lp§ ©ainte*33eut)e feine ,bid^te=^ . 
rifd^e Saufbal^n. 2)ie^ JBud^ ift unter feinen: Oebid^tfammlungen ba^ 
einjige, njeld^e^ gar fein ®IM gemad^ i|at unb offenbar ift e§ 
aud^ ba^ fäöefte; bod^ njill e^ mir fd^einen, obfd^on id^ mit meiner 
äReinung altein fteiie, atö ob bie DriginaUtät be§ S)id^ter§ erft 
^ier t)oQ jum S)urd^6rud^ gefommen. @§ finbet fid^ i|ier ein in ber 
S^ri! ber romantif d^eu' ©d^ute ein jig bafteiienber 9tea{i§mug ; fein 
frül^erer S)i(^ter l^atte fid^ erfül^nt, f o oiel üon bep 9lebett)enbungen 
be^ täglid^en Seben§ unb oon beffen objeftioer SBeft in bit ß^rif 
aufjunel^men; Sm SWorben , too mm f effift l^eutjutage nod^ nid^t 
red^t ben SKut l^at, einem Dmnibug ober einer ©ifenbal^n in einem 
I^rif d^en ©ebid^t $ß(a| einzuräumen, muffen ^oefieen tt)ie biefe f aft 
afö 3i^toft^lt|rif betrad^tet n?erben, 

^ier, n)ie in ben ®ebid^ten 3of epl^e ^elorme§, ift ettoag üom ; 
@til unb ber Sluffaffung ber englifd^en ©eefd^ule auf fraujöfifd^en 
©oben öerpflanjt-: |rter nne bort eine nüd^teme, einfache S3eo6ad^^ 
tung ber SBirfüd^feit; l^ier n?ie bort ftü^t bie 2)arftellung fi(^ auf 
bie Überjeugung, ba% jtoifd^en ^rofa unb gebunbener 9iebe fein 
»efentlid^er Unterfd^ieb ju beobad^ten f«i. Slber toäl^renb fid^ bei 
jenett englifd^en ^oeficen ein befrembenber SUiangel an intelteftuelter ^ 
5ßointe fül^Ibar mad^t, tritt l^ier eine ed^t franjöfifd^c bra?natifd^e 
@^)annung l^eröor» ©3 ift ein f leinet S)rama , baS fid^ innerl^alb 
be^ Umriffe^ einer für jen l^rifd^en . ©rjä^Iung abfpielt. 

3d^ ^ebe bog ®ebid^t l^erüor: „A Madame la Comtesse de T." 
Sie ®räfin, ber eg jugeeignet ift, erjäl^It, Sit mac^t eine 9it]fein* 
fa^rt üon töln.nad^ Söiainj. Um bie 3lu§fid^t beffer ju genießen, 



364 )Die romavtif(^e i^d)ttle {v itankreid). 



ift fie in il^rcn SBagen gcfticgen, bcr auf bem jtüeitcn ^Ia| be« 
S)am))ffcl^iffcg untergefirad^t ift ; fo fi^t ftc nun unter bcn ?ßaffogicrcn 
bicfcr Äfaffe: unter Dienftboten, ?(r6eitem mit i^ren grauen, armen 
Sleifenben. S)a ruft eines i^rer ,^inber: „9Wama! ®raf ?ßaul ift 
unter ben ?ßaff agieren." @ie »enbet fid^ um unb fielet jtnar nid^t 
biefen S3efannten, bafür aber einen SKann mit feinen 3^9^ ^^ 
tneifeen ^änben, beffen grober, alter Ärbeiteranjug il^r eine SSerlleibung 
ju fein fd^eint. @r ift ber unjertrennlid^e ®enoffe einer einfachen 
Sonboner Slrbeiterfamifie: ber 9Rann ift ein ungehobelter SWenfd^, 
ununterbrod^en mit offen befd^äftigt, loenn er nid^t feine ?ßfeife 
fd^maud^t, bie Jrou auf ben erften 83M unfd^einbar; fie l^aben 
eine Siod^ter üon ungefäl^r öierje^n 3a]^ren bei fid^, ein nieblic^e§ 
Äinb. S)ie ®räfin meint juerft, ber junge SKann, in n^eld^em fie 
einen ^jolitifd^en- glüd^tüng, einen ^oten, üermutet — eS fpieft 
im Saläre 1831 — füllte fid^ öon bem jungen SÄäbd^en ange* 
jogen; ba bemerft fie, bafe eS bie SÄutter ift, bereu S5Kd unt)er== 
toanbt an il^m pngt. Unb biefe j^xau ift nid^t mel^r jung, ob^ 
fd^on fie öor Wenigen Salären nod^ l^übfd^ getoefen fein mag; i^re 
§altung ift tro^ be§ abgetragenen ÄleibeS elegant unb fie f)ai 
:prad^tt)oneg §aar. 9Kit einer Sorgfalt, bie nid^t ßiebe ift, fonbem 
nur järtlid^e Sld^tfamfeit auf bie, bereu |)erjen man teuer, ^alt 
ber junge 9Kann ben ©d^inn über fie unb pUt fie, toeil eS ju regnen 
anfängt, in il^ren SÄantel; für il^re Heine ^aben fauft er teure 
Strauben, ®er ®räfin fommt ber ®eban!e, bafe er in ber fremben 
©tabt, too er ©id^erl^eit gefud^t, an biefer armen SJorftabt^^gamitie 
greunbe gefunben l^abe. Slber er toitt, gleid^ il^r felbft, in äRainj 
tauben, toä^renb bie Slnberen mit bem ©d^iffe toeiterreifen. 

„@r fd^idEte fid^ an baS ©d^iff ju üerlaffen. 3d^ fal^ nun ben 
Sammer. @r füjste bie gnjei fleinen Änaben, umarmte ben SKann, reid^te 
ber Sod^ter bie §anb (unb baS Äinb läd^elte boSiiaft, neugierig ttjie 
eine f (eine ©öa) ; er brüdfte ber %xan beibe §änbe, inbem er i^rem 
md an^toid)." ®a ertönt baS lefete ©rodenfignal. (Sr eilt über 



5ainte=Beutje. 365 



bie S3rüde unb ftel^t am Ufer, Sitte gruben unb toinfen i^nt 
tiQC^; bie Sinber, für toeld^e Sitten ein Spiet ift, rufen mit einer 
Slrt t)ou greube £eBen?ol^(. 

,,2lber bie %xan, o bie grau! Unbeltjeglid^ 6Iie6 fie fielen 
mit erl^obenem Slrm, ein rot unb blauet lafd^entud^ in ber ^anb. 
Sie Iie§ e^ nid^t flattern; fie fd^ien leWog, unb n)o§t ^üt fie 
öerbient, bag ber §immef fid^ il^rer erbarmte unb fie öerfteinte . . . 
Sc^ ba^te: Slrme @eetc! 2)u SBitn^e einer t^al^nfinnigen Siebe, 
lüie foU bie§ njerben big jum Slbenb, unb morgen, unb immer! 
S)iefer pluntpe, rol^e SKann, biefe tiefe Slrmut, biefe Sod^ter, n?e(d^e 
Sitten njeife unb feineötoegg mit nad^fid^tigen Süden auf ber Steife 
Sitte« auggefpä^t — tvdä)' ein ©c^idfat!" Slm näd^ften Sage, 
fc^lie^t bie ®räfin, ba ber junge SÄann mein SReifegefä^rte n)ar, 
ricf)tete id^ bie SBorte an i^n: „Sie finb ^eute fel^r einfam." — 
„3a/' anttt)ortete er falt, „bireft öon Sonbon au« bin id^ nun 
feit fcd^« SBod^en mit biefen braöen Seuten gereift/' — S)ie 
ariftofratifd^e Überlegenheit be« Jone« ftanb in SBiberftreit mit 
ben ttjol^toottenben SBorten, „Unb fe^en @ie biefelben batb 
toieber?" — „SRiemafö," antn?ortete er mit einem eigentümlid^en 
Säd^etn; ,,id^ toerbe i^nen fidler nimmermel^r begegnen; id^ reife nad^ 
ber ©d^toeij unb öon bort au« nod^ toeiter." 

3d^ mad^e nod^ aufmerffam auf bie Heine, geniale ßom== 
pofition „§err Sean, ber ©d^ullel^rer". @« ift eine (Srjäl^lung in 
metrifd^er gorm öon einem armen, j^ater^ unb mutterlofen ®orf* 
fd^utmeifter, ber in einer ginbelanftalt erjogen njurbe unb eine« 
3;age« erfährt, toer fein SJater ift: fein Geringerer al« ber be* 
rül^mtc Sean Sacque« 9iouffeau, mlii)tx befanntlid^ atte feine 
Äinber, bie il^m feine Sl^erefe geboren, au«fe^en lie§. 93i«^er 
^aüt ber Sc^ullel^rer nod) SRidjt« üon 9touffeau gelefen. SRun 
beginnt er bamit unb tieft mit großer Segeiflerung ©mite, §^loife 
unb aQ' bie anberen SBerfe. @r fül^lt tiefer al« irgenb ein Slnberer 
fotoolil bie geniale SBärme, al« aud^ ben geringen ®rab öon &i^ 



366 l'te romant{fd)e dd^ule in irankteiii). 



tüiffen^aftigfcit, tüclc^c bte SBüd^ct cntl^aKcn. QnUi^t tanu er bcr 
Suft nid^t tüibcr fielen, feine Sltem fcnnen ju fernen. ®r reift 
nad^ ^arig, finbet ba^ $au^. unb fteigt bie %xeppt empar. Qu 
oberft, IDO eine X^ür l^alB officn fielet, l^ört er bo3 ©ekelten einer 
geöenben JJ^auenftimme ;^ l^ier ift fein 3^^^ ®r tritt ein unb Derfud^t 
eine <)affenbe (Sinfeitung für fein Anliegen ju finben. ©er afte 2Staxm 
fi^t, ben SRfidCen gegen il^n gefe^rt, über feinen ©d^rcibtifc^ 
gebeugt; er l^ört i^n an, o^ne ftd^ umjubre^en. S)er @o^n 
bringt ftammelnb fein Stniiegen öor, aber noc^ el^' er ben ®runb 
feinet Äommen^ erflött l^at, trifft i^n ein lauernber ^M, bcr i^n 
ote Saufd^er unb ©päl^er beargtoöl^nt unb il^n öerjagt ßum jtDciten 
SRale fü^ft er fid^ öerfto^en öon feinem SSater — öon bem SJoter, 
ujeld^en er fic^ öon ®ott auf ben ftitieen erbitten boKte, imb gu 
bem er fid^ mit ©tolj öor aller SBelt befannt J^aben toürbc; jum 
jtoeiten SÄal üon feiner 2Äutter, jener grau mit bem rollen "^u^mi 
unb bem l^arten 83tidC. Unb er eilt fort, njieber aitfö 2anh, um 
ate bemütiger ©d^utfe^rer einige üon ben SBal^rl^eiten ju üer* 
tt)irKid^en, bie fid^ in ben ©d^riften feinet SSaterg öorfinbcn nvib 
inx6) feinet SSaterg Seben öerfeugnet tt)erben. Snbem er ate Seigrer 
bie Sinber erjiel^t, treibt ber wal^re Äem in SRouffeaug „®mitc" in 
bem wirHid^en Seben Äeime, 

„Les Pensöes d'Aoüt" erfd^ienen 1837. SSon ba ab ift 
@ainte=»S5euöe augfd^Iie^Iic^ Stitifer. 



XXX. 

®§ toax @atntc:=83cut)e'§ ctgcntttd^cr unb größerer 83eruf, ber 
\i)n ber ©td^tfunft abtrünnig machte, 2lbcr er fül^rte tl^n nid^t 
l^httocg t)on ber ^oefie, 2)tefe ttjurbe ötclmcl^r öon nun an bie 
untertrbtfd^e DueHe, njeld^e feine fritifd^en Unterfud^ungen, felbft 
beren trodenfte unb emftefte Gebiete, befrud^tete unb il^nen grifd^e 
unb ü:p!pige§ Seben öerliel^, . 

Snbeg ift e§ intereffant ju beobad^ten, ttjeld^e ^idEjadtoegc bei 
erfte grof e moberne Äritif er einf d^Iug , bi§ er langf am bie perf önlid^e 
Sieife für feinen S3eruf erlangte. 2llg bei ber Sulireöolution ba§ 
rontantifd^e ©inacle fid^ aufWfte, ttjar ©ainte*83eut)e fo auSgeföl^nt 
mit ben l^errfd^enben SKännem ber 3fteftauration , ba^ er nal^e 
baran mar, öon ^olignac jum ®efanbtfd^aftgfefretär ernannt ju 
toerben, um afö fold^er ben 2)id^ter ßamartine nad^ ®ried^en(anb 
gu begleiten. (£r l^ätte nid^t§ batüiber gel^abt, eine für einen 
jungen 5ßoeten fo tnünfc^en^n^erte ©teße öon ben SKad^tl^abem 
anjunel^men. @r liegte be^l^att untoittfürKd^ einige SBitterfeit gegen 
ba§ neue Stegiment, .unter toeld^em faft alle feine litterarifd^en 
greunbe :po(itifd^ avancierten. (Sin getoiffer öolfötümüd^er unb 
bemofratifd^er (Srunbjug toar immer in il^m (ttjie er j. SB. ba^ 
,,t)on" öor feinem SRamen abtoarf, obfd^on er e§ öon feinem SSater 
geerbt); fo fül^fte er fid^ je^t gur Dppofition gegen bie S^egierung 
gejogen unb gelangte balb bagu, ein Reifer unb gewifferma^en ein 
©oünetfd^er für ben naiöbegeifterten unb ftitiftifd^ t)öllig unbegabten 
©ojiaI|)l^iIofo|)]^en ^erre öerouj ju toerben. ©benfo blieb er 
aWitarbeiter be^ 83Iatteg ,,£e ®Iobe" aud^ bann nod^, atö e§ au§ 



368 Die romantiffbe i^nit in itattkteid|. 



bcn ^änben bcr Doftrinärcn in bie bcr ©aint^^Sfanoniften über* 
ging unb atö bereu Organ bad äRotto trug: ^^i chacun selon sa 
Yocation, h chaque vocation selon ses oenvres'^ @r tt)ar (lote 
^einrid^ ^etne) begeiftert für ?ßere ©ufantin, unb in einem ärtifet 
öon 1831 [teilte er @aint*©imon^ religiöfe ©d^riften l^o^ über 
&ffii^9^ ,,@rjiel^ung be^ äRenf(i^engefd^Ie(^t^^^ 

Saum l^atte er nac^ äuflöfung ber ©aint := ©imoniftift^cn 
,,gamilie" im 3al^re 1832 fid^ öon ben ©dualem @oint*@unons 
getrennt, afö er fid^ Strmanb Sarrel, bem litterarifc^en |>äiH)tlin9 
beS re))ublifanif(^en ^^anfreic^, näl^erte. Dbgleid^ er in bem 
Slrtifel, toetc^en er 1852 über Sarrcl fc^ricb, fein nä^ere^ Ser- 
^ältni§ ju biefem öerfd^feiert ^at, ift e8 gett)i^, ba§ er brei öolle 
3al^re für ben „SRational" fc^rieb, unb jtoar fotoo^I über $o(itit 
ttjie über Sitteratur» 

aSie früher mit ben Siomantifem, SRo^aKften, ©aint^Simoniften, 
fam er nun mit ben SRepublifanem in gü^Iung, unb lernte au(| 
biefe nä^er fennen. S^^ ^dbtn Qdt fül^rte fein fjreunb Slntpere i^n 
in ß'Slbba^e beS 83oi§ ein, njo bie bejol^rte SÄabome 9l&amier tl^ronte 
unb too man El^ateaubrianb toxt einem Stbgott l^ulbigte. Site e§ 
in golge eine^ Slrtifete über 83aIIanc^e, worin ©ainte^Seuw 
(egitimiftifd^e S^mpatl^ieen ju verraten fd^ien, jwifd^en Sarrrf imb 
il^m jum 83rud^e fam, näl^erte er fid^ mel^r Samennai^, bcr i^n 
übrigens juerft aufgefud^t l^atte. Söatb würbe er beffen SSertrauter 
unb Slatgeber. SBag il^n an ßamennaiS intereffierte, toar teiß bie 
bemofratifd^e glömme in ber ©eele beS großen ©eiftlic^en, teils beffen 
@h:unbibee: eS fei, bamit ber unaufl^aftfam anfd^tocHenbe Strom 
ber ©emofratie feine Ufer nid^t überflute, nötig, über ba^ fo 
mäd^tige unb innerl^alb einer gewiffcn Söegrenjung fo tooi^re bemo* 
fratifd^e ^rinjip ate 2)amm ein anbereS, nod^ mäd^tigereS aufju* 
rid^ten — baS rctigiöfe, tocId^eS mit 5Wad^brudf ju ben SBößcrn 
unb mit gleid^ großer Überfegenl^eit ju ■ ben Königen fprec^en förnie. 
Sa @ainte^83euöe war für ßamcnnais in beffen crfter ^eriobe fo 



5atnte-Beutie. 369 



je^r eingenommen, ba^ er fogar in einem feiner Slrtifel einen 
bebingten SSortüurf gegen i^n ttjegen be§ entfd^iebenen 3l6fatte§ t)on 
9Jom rid^tete. @r meinte: »er erft öor furjem bafür gefämpft/ 
bie ©eifter unter bie Q\xä)t ber l^errfd^enben Äird^e ju beugen, 
^abe nid^t ba§ Sfied^t, nun aU antipäpftifd^er 2)emagoge auf jutreten. 
S)ie brei Saläre t)on 1834—37 n^aren bie fd^merjüd^ft bctüegten 
in @ainte*S3eut)e'g Seben» ©ein SSer^äftni^ ju äRabame |)ugo löfte 
.fid^ im legten bieferSa^re burd^ eine ))löglic^e trife; fie jerri^ ju* 
gleid^ ba§ 93anb, tDeld^eg il^n an bie romantifd^e ©d^ule fnüpfte, unb 
mod^te feinen religiöfen SSetteitäten ein @nbe, @r öerlie^ ^ari§ unb 
manbte fid^ nad^ ßaufanne, too er in ben* Salären 1837—38 bie 
SSorlefungen begann, auö benen fein gro^e§ SSerl „^ßort^Slo^al" 
entftanb, 2)er ^ßlan baju tüar fd^on frül^er -öon i^m entworfen, 
ber Slnfang fd^on frül^er gefd^rieben; ba§ bie SSorträge für ein 
toenn aud^ :proteftantif d^e§ , fq bod^ gfäubigeg Slubitorium gel^aften 
tourben, beftimmte bi§ ju einem getoiffen ®rabe il^ren 2^on, Sn 
Saufanne !am ©ainte^SBeube mit bem au^gejeid^neten reforinierten 
. f d^ttjeijerif d^en (Seiftlid^en SSinet in SBerül^rung, einem öon ben 
SBenigen, benen er bi§ gu feinem Stöbe ©l^rfurd^t ben^al^rte. S)iefer 
9Kann, öon ftrenger, aufrid^tiger 9tefigiofität unb jugfeid^ ein 
anwerft feiner, fd^arfer Äritifer ber fraujöfifd^en Sitteratur, interef^ 
fierte ©ainte^SBeuöe in gleid^ l^ol^em (Srabe atö Kl^arafter toie ate 
®eift SSinetg Definition be§ S^riftent^um^ atö 3nbrunft mad^te 
' ®inbrud auf @ainte=S5euöe§ regen tl^eologifd^en Sinn; unb SSinet 
l^ieft fid^, njenn ber berül^mte fraujöfifd^e ©d^riftfteHer äU auf= 
merf famer. Quf)'6xtx neben il^m ging, überjeugt, i^n ju feinem 
©lauben befe^rt ju l^aben. 5Rid^töbeftott)eniger reifte @ainte*a5euöe 
afö Ungläubiger öon ßaufanne nad^ Statten unb öon ba jurüdE 
nad^ 5ßari§, njo er feine St^ätigfeit afö Stitifer in größerem @ti(e 
aU je juöor wieber aufnahm, junäd^ft mit bem Unterfd^ieb, ba§ 
er, ber afö ^am))f!ritifer begonnen, nun afö erKärenber unb be* 
lel^renber ©d^riftfteHer auftrat 

»ranbc«, gitteraturgejt^. bc« 19. gal^t^. V. 24 



370 Die romantif4)t idjule in itankreid). 



@r gcno^ l^ol^c^ Anfeilen al^ SRcccnfent bcr „Revue des deox 
mdndes", erlangte großen @influ§ unb war aU SBeltmann in ben 
ariftofratifd^en ©along gcfud^t unb gern gefeiten* ®a6ei gatt er ffir 
einen tro^ feiner Unabl^ängigfeit rul^igen nnb »ürbigeit ©d^rift== 
fteüer. 3n ber ^otitif gel^örte er gum Eentrum näd^ft bcr JRed^ten. 
@ine Dame, ju weld^er er balb in ba§ järtlid^ftc greunbfd^aftg^^ 
öerl^ältni^ trat, fieberte feine Stellung in ber öornel^men SBelt. 
G^ lüar 9Rabante b'Slrbouöille, bie SSerfafferin ntel^rerer l^übfci^en, 
meland^oüfd^en SloöeCen, SSitttje eine^ ©enerate unb 9iid^te beö 
^rentierminifterS ®raf 9RoK, ©ainte^SSeuöe öerbrad^te njä^renb be§ 
aSinter^ feine freie 3rit in il^rem |)aug unb in ben @aIon§ il^rer 95e= 
fanntcn; im ©ommer toar er bei il^ren SSertoanbten auf bem Sanbe 
ju ®aft. @r tourbe ®raf 9RoK^ greunb unb litterarifc^er 9?atgeber. 
aSenn bie (Selegenl^eit.baju fid^ bot, na^m er aud^ für biefen feinge^ 
bilbeten ©belmann au^ ber Kaffifd^en ©d^ule 5ßartei gegen feine 
eigenen alten SBunbe^genoffen, bie Siomantifer, fofem biefe e§ an ®e^ 
fc^madE'unb Saft mangeln liefen» ^ @r njurbe fd^on 1844, o^ne 
üorl^cr aud^ nur einmal abgelel^nt ttjorben gu fein, atö SKitglieb in 
bie franjöfifd^e Slfabemie aufgenommen, ^protegiert, n^ie er öon aW 
ben monard^ifd^en unb f laffifd^en @alon§ njar. (9Ran f ann anlä^lic^ 
biefe^ Umftanbeö einen bittern 9lngrtff gegen i^n in ben SBriefen öon 
9Rabame be ©irarbin, @ainte=93eut)e'§ geiftreid^er geinbin, lefen.)^ 
®aö ^ifante bei ber ®intritt§=Sercmonie be§ ©j^SRomantüer^ toar, 
bafe e§ aSictor |)ugo, ber erft nad^ breimaligcr Slbioeifung in bie 
Slfabemie aufgenommen ttjorben toar, jufiel, bie Söegrü^ung^rebe 
ju l^alten. 

tiefer neue Slrci^ öermod^te übrigeng @ainte==95eut)e ebenfo 
n^enig f eftjul^alten , n^ie bie frül^cren eg gefonnt ®ie 9iet)oIutiott 



^ 3Ran fel^e (SatntesSBcube^g "äxüM über be SJign^^S ^lufnol^me in hlt 
Slfabemie, oufeerbem ben bon i§m fel6ft mitgeteilten S3rief einer S)Qme [^Kabomc 
.pugo] an if)n über biefe ^(ufnal^me. 

^ Lettres parisiennes. IV. p. 179. 



5atnte-Beut)e. 371 



öon 1848 jcrfpüttcrtc bicfe ©cfcttfd^aft, unb afö bic ftcgcnbcn 9tc<)u* 
Btifancr x^n töbüä) fränftcn, tnbem fic eine ganj alberne 3lnflage 
gegen tl^n erl^oben, füllte er ftd^ mel^r afe jentate ifoliert^ Qnm 
jtDeiten 9KaI öerfie^ er . granfretd^ für längere Qdt @r l^ielt in 
Süttid^ bie SSorträge, benen fein S3ud^ „Chateaubriand et son groupe 
litteraire" bie ©ntftel^ung berbanft — Sßorträgc, beren Snl^aft unb 
Son ber monard^ifd^en 5ßartei fel^r nal^e ge^en mu^te unb bie eine 
gro^e ©rnüd^terung verrieten. 

ajiabame b'Slrboubitte ftarb 1850. |)iermit n^ar bag :per* 
fönfid^e 99anb, ttjetd^eg i^n ntit ben alten Parteien jufannncnl^ielt, 
jerriffen. S)er bemofratifd^e unb fojiafiftifd^e Snftinft, wetd^er i^n 
ju ben @aint*@imoniften unb ju Karrel l^ingejogen l^atte, trieb 
i^n bem gweiten Slaiferreid^ ju. @o toenig njie irgenb ein anberer 
ber SKänner t)on 1830 (ben eine für je ßtit berühmten, el^renl^aften, 
im übrigen aber gering begabten 2)id^ter Slugufte Söarbier an^^ 
genommen) toar @ainte=93eut)e baöon frei, ben allgemeinen 3lapo^ 
leonfultu^ JU teilen; er betrad^tete bag S^aifertum afö einen öom 
SBotl getragenen, gegen bie |)errfd^aft ber Sourgeofie gerid^teten 
Smpertaligmu^, unb in bem befannten, öiel angegriffenen Slrtifel 
„Les regrets" erflärte er nid^t nur feinen Stnfd^Iu^ an 5Rapo(eon HL, 
fonbern fprad^ fid^ fogar über bie Drieaniften unb Segitimiften in 
einer SBeife aug, beren |)ol^n eine naiöe SSergefetid^feit öon fdner 
Seite befunbete. ®r fd^rieb juerft für „Le Constitutionnel", bann 
eine 3^ittang für ben „Moniteur officiel", bann toieber für „Le 
Constitutionnel", enblid^ in feinem legten SebenSja^re für ba§ Op^ 
pofitiongblatt „Le Temps". Slugenfd^einlid^ meinte er e§ öoCftänbig 
aufrid^tig; er Iie§ fid^ eben, toie immer, aud^ ^ier unn^iHfürKd^ 
beeinfluff en , um fpäter mit befto ftarerem 93Iidf eine um fo ein^ 



* SKon Hagtc i^n on, er l^aöc fid^ ou§ bem gel^eimen gonb ber 3uli= 
monard^ie bcfted^en loffen, mit einer (Summe bon — 100 grancg. @§ ergab 
fid^, bog bieS ®elb für bie SRe^jaratur eineS OfenS in ber ^Jlcjarin^SBibliot^eE 
üeriDonbt worbcn, beren Äonfcröotor ©aintesSBeube xoax. 

24* 



372 )Dte romantifdie 34)ule in /tankreitii. 

fic^t^öollcre ^ittf ju ü6cn, ^crfönlid^ tarn er mit bcm Saifcr nur 
flüd^tig in Söcrül^rung. Sr fd^Io^ [id^ an „hit Sinfc bcö Sdfcr- 
rcid^cg", wnrbc öon ber $ßrinjeffin SKatl^ilbe unb bcnt* ^rinjcn 
9?apoIcon tt)ic ein grcunb bcl^anbcft unb auggcjcid^net unb bcmi^tc 
feine frcunbfd^afttid^en 83ejiel^ung jur 5ßrinjeffin in fd^önfter SSeife, 
nämlid^ jur 3lu^übung einer ftillen, großartigen SSol^ttl^ätigfeit. 

Srft in biefer legten 5ßeriobe feinet Bebend gelangte fein 
öoKeg Salent jur ©ntfaltung, @in nid^t feitifd^er ©id^ter ^at in 
ber JRegel SluSfic^t, mit ben Salären nad^julaffen, njäl^renb ein Äri^ 
tifer 3lu^fid^t l^at, fid^ im Sttter gu öeröoüfömmnen. Unb ©ainte- 
83euöe entroidette fid^ öon Sol^r jU Sal^r immer reid^er bi^ ju 
feinem Sobe. ©eine SSaJ^r^eit^Iicbe, öon 3lnfang . an ebenf o leben= 
big »ie fein Slrbeit^trieb , frül^er l^äufig burd^ änjsere ^M^ 
fid^ten gel^emmt, trat nun immer offener l^eröor, njäl^renb feine 
3lrbeit2lfraft fid^ ungefc^ttJäd^t erl^ielt, @r l^at ungefäl^r fünfjig 
S3änbe gefd^rieben, unb e^ finbet fid^ nid^t eine nad^Iäffige Qt\k, 
faum eine Ungenauigfeit in benf elben, Slber erft in biefer legten 
5ßeriobe getoann @ainte^S8euöe ben öoHen 3Rut, bie freimütige ©iprac^c 
gu filieren, bereu er beburfte, um feinen njirflid^en änfid^ten auf 
religiöfem unb p^ilofo^j^ifd^em ©ebiete 3lu§bru(f ju geben, Slße^, 
toa^ er jurüdfgebrängt l^atte, feit er in feiner Sugenb.bie 5ß^üö^ 
fo^jl^en beg 18. 3al^rl^unbert§ ftubierte, getaugte nun ju 2^age. ©ein 
geringe^ SSerftänbniö für 93a(jacg meit gröbere^ unb 93e^Ie'§ fo 
t)iel abfonberIid^ere§ SSefen fann ben 3Rut unb bie ©ntfd^ieben^eit 
nid^t in Sßergeffen^eit bringen, ttJomit er nun in ber Sitteratur afö 
ber ©pred^er unb i^üf)m beg ]§erantt)ad^fenben ®efd^Ied^te§ baftanb. 
(£g barf aud^ nid^t öergeffen n^erben, baß er e^ abfd^Iug, einen 
2lrtifel über 5WapoIeon§ „Vie de Cesar" ju fd^reiben. Unb mit 
nid^t geringerer ©ntfd^iebenl^eit trat er im ©enat, ganj allein, afö 
ber überlegene unb rüdfid^t^tofe ©egner be§ SÜerifali^mu^ auf. 
2m SKärj 1867 öerteibigte er $Renan unb beffen „Seben 3efu". 
3m Suni be^felben 3al^re§, a(g man auf ®runb einer Stage ber 



5ainte=BeuDe. 373 



^(einftabt^äRatabore in ^aintc^Stienne bic gefömtc Sitteratur, ttjeld^c 
ber ©etftlid^fcit nid^t gencl^tn toax (SSoftairc, 3la6clai§ u. 31. m. 
mit inbegriffen), au§ ben Sßoffebibliot^efen verbannen tooKte, toax 
©ainte=93eut)e gang aßein in bem feröilen unb Herifalen Senat 
ber SSortfü^rer ber freien gorfd^ung, ttjeld^er bie ßl^re ber f ranjö^ • 
fifd^en Sitteratur begeiftert tDal^rte. S)ie (Stubenten, toeld^e il^n im 
Saläre 1855 megen feinet 3lnfd^Iuffe§ an§ ^aiferreid^ auggejifd^t, 
i^utbigten i^m bei biefer ©etegenl^eit burd^ eine 2)e|)utation unb 
brad^ten il^m ein Sebel^od^. Slnlöfeüd^ einer Keinen 9Kittag^gefeC= 
fd^aft, bie er im Saläre 1868 äufäCig am Karfreitag gab, f:prengte 
bie flerifate 5ßreffe lügenhafte ©erüd^te au§, ttJeld^e il^n atö gerabe* 
ju antid^riftlid^ g^finnt, atö einen neu erftanbenen SSoftaire be== 
geid^neten; nnb atö er im 9Äai 1868 feine testen Kräfte jufammen^ 
raffte unb mit fc^ttjad^er Stimme, aber mit unerl^örter Kül^n^eit im 
<Senat bie 5ßre§freil^eit öerteibigte unb ben ©efe^e^öorfd^Iag betreffe 
ber fatl^olifd^en Uniöerfitäten angriff — ba war ber 5Rame Sainte^ 
Seuöe jur gal^ne getoorben: ba§ Stjmbol be§ freien ®ebanfen§. 
Sm Sanuar 1869 brad^ er gänjKd^ mit bem Kaifertum. 2lm 13. 
iDftober 1869 l^aud^te er nad^ öierjä^riger Kranf^eit unb langen 
qualöoHen Seiben, bie er mit ftoifd^er Stanbl^aftigfeit ertrug, 
feinen legten Seufjer aug. 

Sainte=35eut)e l^at, lüie man fielet, bei feiner ungetDöl^nlid^ 
cmpfänglid^en SRatur eine ganje Steil^e retigiöfer, litterarif d^er unb 
^jalttifd^er 9Robififationen burd^Iaufen. @^ ttjar bie Sd^ule, weJd^e er 
ttotmenbiger SSeife abfolöieren mu^te, um ber Stifter ber mobemen 
Äritif ju tDerben. Slber iüa§ man il^m jugcftel^en mu§, aud^ bei aH' feinem 
aReinung^wed^fel, ba§ ift bie ©l^rUd^feit. 5ßerf önlid^e ©rüpbe tonnten 
6ci tpic^tigen S^agen nur geringe 3Kad^t über ben SÄann l^aben, beffen 
perfönlid^eg SBefen fo ^al^r ift njie ba^, weld^eS au§ feinen Sd^riften 
tcud^tet. ®enn, lüie g^^nftin fagt, SSal^r^eit unb ©l^rfid^feit finb wie 
Reiter unb glamme. . Sie l^aben einen gewiffen natürfid^en ®(anj, 
ber fid^ nid^t mit garbe unb 5ßinfe( toiebergeben t&^t 



XXXI. 

S)ag größte jufammcnl^ängcnbc SBcrf, tüeld^c^ @aintc=SBcut)e 
gcfc^ricbcn, tft .^ßort-SRo^al" (1840-59). (Sg ftc^t in feiner «rt 
cinjig ba. 95ei bcr Unluft ©ainte^^Söeuöe'S fid^ auf ben großen 
^eerftrafeen ber gorfc^ung ju bewegen, unb bei feinem fd^on frfi^* 
jeitig l^eröortretenben romantifd^en §ang ju religiöfer ©d^toännerci 
ttJäl^lte er fid^ bie ®efd^ic^te beS Sanfeni^mug in granfreid^ ju 
feinem ^anpttf)tma. Der 3cinfeni8mu§ njar eine begeifterte, reg- 
fame unb feurige gorm ber 9teIigiofitöt; obfd^on auf bem ©runb 
beö ^at^oliji^mug fu^enb, l^atte er bod^ eine :perfönlid^e, ba^ l^ci|t 
fe^erifd^e Seibenfd^aft für SSal^rl^eit. SSä^renb feine g^eimütigfeit 
bie SSernunft änjiel^t, njirft er jugleid^ auf bat SJiitgefül^t bur(| 
ben ^elbenmut, toomit er ber SSerfoIgung unb bem S'^^^i trotte. 
S)er 3anfeni§muS unb beffen (Sefd^id^te, bie in „^ßort^ato^al" bor^ 
gefteöt njirb, erreid^en beibe il^ren ^ö^tpnntt in 5(JagcaI, beffen 
magere, fränttid^e Srfd^einung benfelben repräfentiert gegenüber 
bem öoKblütigen, gefünberen, begeifterten 3)eutfd^en, ber im'9iac§= 
barlanbe mel^r aU ein 3al^rl^unbert frül^er unb mit glüdlid^erem 
@rfo(g einen äl^nlid^en Äam:pf gegen SRom geführt. 

©ainte * Söeuöe 6efa§ alle SSorbebingungen , bie ©efd^ic^te 
be§ Sanfenigmug ju fd^reiben. ®r n^ar fein ©laubiger, aber er 
war e§ gewefen, ober §atte bod^ gemeint, e^ ju fein, (Sine An* 
fd^auung,- in welcher wir felbft befangen finb, vermögen wir feiten 
JU überblidfen; eine fotd^e, wefd^e ung immer gang fremb war, 
fönnen Wir nid^t begreifen; am beften öerftel^t man biejenige an- 



^ainte*Beuoe unb bie mobeme Ititik* 375 

fd^auung^weifc, ttjdd^c man einmaf gcl^cgt i)at unb nun nic^t mcl^r 
itiit — Qtotifdt man, 06 @ainte^93eut)c aud^ bicfc mittclalter= 
lid^cn ©efül^Ic, tiefen S)rang, bie SSett ju fliel^en, biefen Streit, 
ben bie gerfnirfc^te @eele au^fämpft, welche balb ber Stimme 
ber SRatur laufest, balb bei ber ettjigen ®nabe 3^ffi^^t \^^^r 
öerftel^e; ob er aud^ rid^tig toiffe, toag für ein ®eift fid^ regt bei 
biefen ^rebigten unb tl^eologifd^en Slbl^anblungen unb toa§ für 
iperjen unter biefen 2)u^enben öon SRonnengenjönbern pod^en, toeld^e 
Segeifterung, ttjeld^e Slnbad^t, njeld^ |)offen unb ©eignen, ttjeld^e 
m^ftifd^e Sd^toärmerei unb l^eilige ©fftafe auf biefem eng begrensten 
getoei^ten 35oben fid^ entjünbet — bann k\t man nur bie betben 
erften 83änbe burd^ 6i§ ju bem Slbfd^nitt über 5ßagca(, für tuetd^en 
ba§ SBerftänbniö il^m fd^on leidster n^urbe, n^eil feine . ®eftalt 
größer unb befanntcr ift, 9Kan mad^e fid^ nur öertraut mit 
ben beibcn meiftcr^aft auggefül^rten ^orträtö, bie @ainte==83euöe 
unö Don g^an^oig be @ale§ unb ©aint^S^ran giebt, unb beob* 
od^te, toie er au§ münblid^en unb brieflid^en ^ufecrungen, au§ ein ^ 
paar 3lbl^anblungen unb ^rebigtftüdEen jtoei ©eftaften ju bilben 
öermod^t l^at, fo" naturgetreu unb menfd^Iic^, bafe man förmlid^ mit 
il^nen lebt. Überall fül^It man, ba§ @ainte=35eut)e juerft afe Sloman^ 
fd^riftfteüer begonnen. SSie t)iele ©jenen jn^ifd^en ben fd^ulbfreien 
Settjol^nerinnen biefeg laubenf d^Iage^ , biefen 5Wonnenf (öftere , finb 
nid^t fo lebenbig gefd^rieben loie in einem Sioman! Unb bod^ 
gebrandet @ainte^83euöe feine 5ßl^antafie nur um ju fd^ifbern, 
niemate um ju erfinben ober ju entfteHen. 

©in geinter be§ SBerfe^ ift, ba§ bie erften leite, wetd^c 

bie unterl^altenbftcn finb, l^iftorifd^en ©til öermiffen laffen. |)ier 

« 

mad^t fid^ ber frül^ere SöeÜetrift in unangenel^mer SSeife fül^Iban 
©ainte ^ 35euöe benü^t 5ßort * 9tot|aI nur afö 3luggang§punft. 
S)a§ atte ttofter ift beinahe nid^ts weiter ate ba^ Äafteff, 
t)on bem au^ er einen SlugfaH nad^ ben anbem unternimmt; er ' 
jicl^t 5ßaraCeIen unb njeift Slnalogien auf, balb ber Sitteratur, 



376 I)ie romantif4)t 34)ttle in iranktetdi. 



balb bcm tuirflid^cn Se6cn entnommen, lel^rreid^ gtoar, aber oft bei ben 
paaren l^erbeigejogen. 80 erörtert er im SSprbeigel^en nid^t nur Sor^ 
neiHe, SRacine, SKoUere, SSauöcnargue^, fonbern fogar ganj mobemc 
©d^riftfteCer wie Lamartine unb ©eorge @anb. Sie fpätercn 
Sänbe, n^o bie S)orfteIIung mel^r ^iftorifc^ unb nüchterner ift, 
laffcn ^inwiber bie Slnjiel^ung^fraft jener (Spifoben bermiffen, unb 
ber Stoff ift, tro| ber liebeöoHen Sorgfalt, njomit er bel^anbelt 
wirb, etroaS gar ju fpejieC, um auf bie Sänge ju intereffieren. 

SSeit l^ö^er afö in biefem feinem angebfid^en ^aupttoerf fte^t 
©ainte^'SJeuöe in ber langen Sfieil^e öon SSänben, bie unter bem litel 
„Causeries du lundi" unb „Nouveaux lundis" erfd^ienen finb unb bie 
fürjeren ?lrtifet au^ ber beften 5ßeriobe feineg ©d^riftfteHertumö ent= 
l^alten. Diefe Slrtifcl Werben fd^werlid^ fo balb in SSergeffen^eit ge^ 
raten. Ulbdd^ fd^rieb über biefelben gleid^ nad^ bem 2obe ©ainte- 
93eut)e'§: „^d) wei§ nid^t, toa^ bie ^^it t)on ber fiitteratur, auf welche 
wir je^t ftolj finb, bewal^ren wirb. (Sin paar ©ebid^te t)on Samartine 
unb SSictor §ugo, einige 9iomane t)on 83aljac? 3)od^ foöiet tft gewife, 
ba^ e^ unmöglid^ fein wirb, ®cf d^id^te ju f d^reiben, o^ne ©aintc^Seuöe 
l^eröorjufud^en unb i^n öon Slnfang bi^ ju @nbe burd^julefen.'' 

@ainte^83eut)e l^atte jwei öerfd^iebene Sßanieren. @ö war il^m in 
feiner Sugenb, befonber^ burd^ ba§ ©tubiumbe^ 16. Sal^rl^unbertö, jur 
©ewol^nl^cit geworben, ben fprad^Iid^en Slu^brudE fo forgfältig abiu^ 
wägen unb ju verfeinern, ba§ bie Äritif feiner Skxtxd bered^tigt war, 
wenn aud^ nid^t eine f gewaltfame unb ^öl^nifd^e wie bie, mit welcher 
Saljac, öon @ainte=83eut)e burd^ einige etwa^ fpöttifd^e Slrttfel ge= 
reijt, il^n überfiel ®iefe Überfeinerung be^ @tite öerlor fid^ inbe§, 
aU @ainte=S3eut)e Sournalift würbe. Sittr^ fagte fel^r treffenb: „®§ 
bleibt il^m, ba er fid^ öerpffid^tet ^at, wöd^entlid^ ein geuißetön 
äu liefern, feine 3^^* ^^^^t f^^^^ Slrtifel ju Derberben." ®ö ift 
nid^t leidet, biefen @til, ber, wie ©tal^l, jugteid^ fd^arf unb ge* 
jd^meibig ift, ju d^aratterifieren. ©in im granjöfifd^en ntd^ fci^r 
crfal^rener 2efer wirb gauj unb gar nid^t l^erau^finbcn, ba^ l^ier 



^aintf'Bettoe unb bie moberne Kritik. 377 



ettpag t)orl^anbcn ift, toa^ man @til nennen fönnte, 2)ie ©ä^e folgen, 
nic^t gruppiert, unrl^^tl^mifd^ auf einanber, nond^alant, njte bie 
3uat)en marfd^teren* ?iie ein patl^etif c^er @a^, feiten ein Slu^ruf , nur 
l^ic unb ba eine Slpoftropl^e „oDid^ter!" ober bergleic^en. S)ie 9tcbe 
fliegt wie üon einem Suftl^aud^ fanft gefräufelte^ SBaffcr. 3l6er ber 
aufmerffame ßefcr ttjirb. cntjüdEt öon "bem ebcln 2lttici§mug biefer 
©prad^e. ©er Jon ift nid^t entfd^icben, fonbern rul^ig unb (eife 
ffeptifd^. 3d^ fül^re ein beliebig J^erau^gegriffeneö SSeifpiel an: 

„aSa§ alfo ift bag SBorl^errfd^enbe bei ü^m, ift e.^ bie fefte 
®runbtage/ ober ift e§ bie n^ogenbe? ®u glaubft, e^ fei bie 
toogenbc. ?lber ift nid^t unter biefer nod^ ein fcftereg gunbament? 
S)u glaubft, c§ fei bie fefte. Slber ift unter biefer nic^t nod^ ein 

« 

toogenber @runb?" 

S3ei ipic öielen 5ßerfönfid^!eiten foHte ber ^f^d^otoge nid^t fo 
fragen, aber tnie wenige öerftel^cn, bie ^J^agc fo fidler unb fein ju 
fteHen. SBaS man ba§ S3ijarre in feinem @til genannt, ift nur ba^ 
oft Überrafd^enbe, wie er ba§ 93ilb antoenbct, benn biefc^ feftft ift 
immer fc^Iagenb rid^tig. @o fd^ilberte er einmal einen berül^mten, 
aber . ftrengen 83u§prebiger au8 bem 16« Sal^rl^unbert unb beffen 
wenig blumenreid^e Slrt mit bem ^i^fa^, ba§ bie Qtit^t'^ 
nöffen il^n wegen feiner trodfenen Strenge mit einem 3)ornbufd^ 
öerglid^en. ®twa§ fpäter erjäl^ft er öon bemfelben SRann einen 
3ug ebter unb mäd^tiger ©ntrüftung unb fügt atöbänn Ibei: „9Kan 
l^at i^n einen 2)ombufd^ genannt unb einen 83ufd^ ol^ne SSfüten; 
man fann l^injufügen, bafe er mitunter ein brennenber ©ombufd^ 
war." SBill man l^ören, wie biefer biegfame @til fid^ gu Spott 
unb Satire formt? ©ainte * Söeuöe fd^ilbert bie Sprad^e, weld^e 
Siifarb — eine B^iÄ^^B f^w SRiöale in ber ßitteratur — gebrandet, 
unb fd^altet jwifd^en mand^eS bitterfüj^e ßob biefen Heinen Svlq 
ein: „@in Slfabemifer ^at il^n fraftöoH gefunben; mel^rere ©elel^rten 
finbcn il^n grajiöö." SSon Eoufin fagt.er: „®§ ift ein §afe mit 
einem SlblerblidE." "SSiK man ein. S3eifpiel öon ber gäl^igfeit biefer 



378 Sie romanüf^e Jd)ttie in itankteid). 

— - - - ■ — -* - — -- - 

©tilg ju d^arafterificrcn, fo Icfe man bicfen @a| über SDbiflet: 
„^a^, tüoburd^ er tüirft, [inb nid^t bte garbenfd^id^tcn; er öcr* 
golbct ab unb gu bie SBtrfüc^feit , bic er fd^ilbert, toie bie 
äRorgenfonne bü^ ©täubd^en — unb ttJie in einer göttüd^en IranS^ 
figuration öerwanbelt fid^ i^r 95ilb t)or unfern Slugen." — WH 
man enblic^ eine 5ßrobe, »ie bicfcr einfädle, gleid^mäfeige ©til bie 
@<)rad^e ber ©ntrüftung annimmt, fo fefc man foIgenbeS ©tücf, 
ba^ gfeid^jeitig ben 9Kann fd^ilb^rt, ®ö ift l^ier bie SRebe öon einem 
SBerf, bem bie Äfabemie in einer 5ßlenarfi^ung ben 5ßrci§, »eli^öt 
bie au^ge^äl^Ite Sommiffion öon Sennern il^m juerfannt, bennoc^ 
öerttjeigert l^atte, toeil bie (Srunbanfd^auung be§ 2Berfe§ im Streite 
ftanb mit ber offijieüen efleftifd^en @taat§pl^iIofopl^ie; ©aint^Seuöe 
fagt l^ierüber: „3a, e^ ejiftiert njirflid^ eine fel^r tt)enig ja^Irei(|c 
Älaffe öon ftiCen, gemäßigten 5ßl^iIofopl^en, bie öon fel^r njenigem 
leben, nid^t intriguieren , einjig beftrebt geioiffenl^aft bie SBoi^r^eit 
gu fud^en, inbem fic il^ren ®eift futtiöieren unb fid^ öon jeber 
anberen ßeibenfd^aft fem galten; bie, ad^tfam auf bie allgemeinen 
©efe^e ber SSeft, fid^ bamit befd^äftigen, auf jeben Seil ber SJlatur, 
in n^eld^em bie SBcItfeele unb ber SSeftgebanfe fid^ il^nen offenbart, 
JU laufd^en unb i^n ju erforfc^en; SÄänner, n^eld^e ©toifer in 
il^rem ^erjen finb ; toetd^e fid^ bemül^en, ba§ ®ute ju tl^un unb fo gut 
unb beftimmt ju benfen, n^ie fie e^ öermögen, ol^ne bie anjiel^enbc 
Slugfid^t auf eine inbiöibueHe SSelol^nung in ber 3^&i^f^r jufrieben . 
bamit, fid^ in Übereinftimmung mit fid^ felbft unb mit ber oll* 
gemeinen Harmonie ber SBelt ju. njiffen, — Sft e§ paffenb, frage 
id^, biefe SKänner mit einem gel^äffigen Flamen ju branbmarfen, 
fie auf (Srunb beffen ju entfernen ober wenigften^ fie mit Xulbnng 
JU bemütigen, n^ie man überttjiefen^ SSerirrte unb ©d^ulbige it- 
gnabigt? ^ahtn fie bei ung nod^ nid^t i^ren 5ßto^ unb il^r ©rfc^en 
in ber ©onne erobert, l^aben fie, o eble ©HeftHer, bie id^ fo gern 
mit i^nen öergleid^e, 3^r, beren öollfommene moralifd^e Uneigen* 
nü^igfeit unb unöeränberlid^e Seelen^ol^eit unter @otte§ STuge bie 



3ainte«Beut)e unb bie twoberne Iritlk, 379 

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SBcÖ fcnnt, l^abcn fie ntd^t ba§ Siedet, tpcnigftcn^ auf gleid^cm 
%n^t mit @uci^ ju ftcl^cn, fraft ber SReinl^cit il^rer Seigre, ber 9tcd^t* 
fd^affenl^cit il^rcr Slbfic^ten unb ber ©d^utblofigleit i^re^ßcbcn«? 2)ag 
toäre ber cnblid^c, ber tüürbige g^rtfi^ritt be§ neunjel^nten Sa^r== 
^unbert^, ben id^ öor meinem Xobe nod^ erreid^t feigen möd^te!" 

@ainte*35eut)e'g SReform ber S!ritif toar eine öielfeitige. 

@rften§ gab er il^r ®runb unter bie göfe^f nämlid^ ben ber 
©efd^id^te unb ber 5Raturtt)iffenfd^aft. Die alte, fogenannte pf)iio^ 
fopl^ifd^e Äritif betrad^tete ba^ litterarifd^e Slftenftüd njie aug ben . 
SBoHen gefallen, beurteilte e^ ol^ne SRüdEfid^t auf ben SSerfaffer unb 
brad^te e^ in ber einen ober ber anberen äftl^etifd^en ober l^iftorifd^en 
aiubrif unter. @ainte*S3eut)e öerfbigte ba^ SBer! bi§ ju feiner 
(Sntftel^ung; l^inter bem 5ßapier tonnte er ben SKenfd^en ju entbedfen. 
• @r l^at bie 3Kit== unb SRad^toett geleiert, ba^ man nid^t^ öerftc^c, 
feine ©d^rift unb fein Sfftenftüdf au^ ber SSergangenl^eit, fo lange 
eg nid&t gelang, ben ©eelenjuftanb, au§ bem e§ l^eröorging, ju 
begreifen unb öon ber ^erfönlid^feit, öon toelc^er e^ l^errül^rt, fid^ 
ein 95il(b ju mad^en, ®rft fold^ertoeife befommen bie ©ofumente 
Seben; erft bann toirb bie ©efd^id^te öon einem ©eifte befeeft; erft 
fo aufgefaßt, toirb ba§ Äunfttt)erf burd^fid^tig. 

@ainte*95euöe'§ l^errfd^enbe ©igenfd^aft toar bie SBiPegier, 
unb fie trat bei il^m in jener gorm auf, weld^e man toiffenfd^aft= 
lid^e 9^eugierbe nennen fönnte. @ie leitete fein Seben, nod^ bet)or 
fie ftc^ frei in feiner Siritif äußerte. Slufänglid^ nimmt man fie 
nur ttjenig njal^r; benn er begann angefid^tS feiner ß^ttfl^^^ff^^ 
Sl^oteoubrianb , Samartine, |)ugo, be SSign^ u. a. m. mit ßob^ 
|)reifungen, njeld^e er fpäter bebeutenb einfd^ränfen mu|te. 3luf 
biefe SBeife toar feine ßaufbal^n entgegengefe^t ber t)on 23^io:pl^i(e 
®autter, ber fo fd^arf begann, aber aCmäl^üd^ in eine 9lad^= 
fiTd^t öerfiel, ber jegüd^e ßraft fehlte. ?lber ©ainte^Seuöe'S erfte 
unfritifd^e ßobfprüd^e entftammten gteid^iool^I feinem fritifd^en 
^Sricb, 2)ag übertriebene £ob rül^rte bal^er, ba^ er in feiner 



380 X^{( romantifdie Bf^nle in iraitkret4. 



Sugenb bcncn, bic er fritiftrtc, ju nal^c ftanb; bodf feftft biefer 
Umftanb ^attc feinen ®runb in Sainte-SBeuöe'^ SBipegier. S^ii, 
ber ben äbftonb jimfd^en ben 95üd^em unb bem Scben bunfel 
ol^nte, noc^ e^ er biefe^ f annte ; ber weniger aU irgenb ein anbercr 
barauf ongelegt war , bag , ttjofür ber ©d^riftfteHer fid^ auögob, 
ober id^ 95itb, weld^e^ bie SRenge burc^ feine Schriften öon iJ^m 
empfangen f oUte, gu ref <)e!tieren ; il^n trieb feine gorf d^erluft, fein feiner 
pf^d^ologifc^r Sinn, fein i)nrft, bie Dinge felbft unb in ber 9ia§c 
ju feigen, enblic^ feine innerfte Steigung: ba^ Dffijiettc unb ®e^ 
gebene ju untgel^en unb ba^ 3Bal^re, was verborgen ift, ba^ Steine, 
roa^ Sluffd^Iu^- giebt, ju fuc^en. ©o würbe er eigentlich un- 
bewußt burd^ fritifd^eS 9Rifetrauen getrieben, bie perfönttc^e 8e^ 
lanntfd^aft t)on allen unb jebem ju mad^en, wäl^renb er in 
jugenblid^er Unbefangenl^eit meinte, nur auS 93egeifterung für 
bie Sbeen fid^ ben $ßerfönlid^feiten gu naivem, benen bie Sbeen 
entfprangen, 

§ier ift gewö^nlid^ ein unenblid^ fc^wierigeS 3)ifemmo für ben 

m 

Äritifer. 5Wur öon ben Sebenben weiß er bie SSal^rl^cit; nur t)on ben 
3^oten fann er fie feigen. Sd^Iimm. nimmt eS fid^ aber jebenfaD^ 
aus,- wenn ein SobeSfaH plö^Iid^ ben Sl^arafter ber Äritif gänjlic^ 
öerwanbelt, wie eS fid^ j. 93. nad^ El^ateaubrianbS Job mit (Sainte^ 
35eut)e'g Sritif öerl^ieft, . 8ein erfter Slrtifel über El^atcaubrianb 
ift lauter SBeil^raud^. 9Äan fütjft, unter weld^em fojiaten 3)ru(f er 
gefd^ricben ift: wie 5ßietät unb Siefpeft, ©^mpatl^ie unb SSerl^aft* 
niffe, bie gurc^t t)or bem ^ö^^^« fd^öner Singen, bie Unmöglic^^ 
feit, eine fo liebenSWürbige Same wie SRabame SRicdmier burc^ 
Xabet il^reS |)auSgö^en ju fränfen — wie atte§ bieS jufammen=^ 
wirfte, (Sainte*35euöe'S erfte Sfijje über Sl^ateaubrianb ju einem 
rein bewunbernben 9ieferat ju mad^en. ©ein großem 93ud^ unb 
feine fpäteren Slrtifel über benfelben ©d^riftfteHer finb bagegen öön 
einer wal^ren ßeibenfd^aft be§ 9?egieren§ befeeft, öon bem 2!rieb, 
SRaffen abjurcifeen. 311^ ©ainte^SSeuöe inbeff en auf feiner ^ö^t ftanb. 



3alttte-3Bettt)e tmb ble tnobetnc Ärtttk. 381 

fann man toof)i öoi; il^m fagcn, ba^ er bie redete SKitte inncl^ielt 
@r pflegt nid^t ntel^r dät^ ju fietounbern unb au§ eblen SKottoen ju 
ertlären, fud^t aber aud^ nid^t niebrige Setoeggrünbe auf; er öer=^ 
l^errlid^t toeber bie 9Wenfd^ennatur, nod^ fd^toärjt er fie an. ®r 

• 

fennt fie ; unb fein %aft ift burd^ ben Umgang mit ben öerfd^ieben^? 
artigften ÜRenfd^en, b'urd^ ununter6rod^ene§ Wtifd^e^ ©tubium, burd) 
bie franjöfifd^e geinl^eit f otüol^I aU burd^ ben 5ßarifer ©d^Iiff nad^ unb 
nad^ fo gefd^arft, ha^ er fie immer toiebererfennt. SBo er am 
l^öd^ften ftel^t, erinnert er burd^ bie Uttiöetfalität feinet ®eifte§ an 
©oetl^e* SKitunter ift man in SSerfud^ung, il^n „toeife" ju nennen; 
unb e§ giebt tool^I faum einen anbern ^itifer, ber Sinem biefe^ 
SBort nal^e legte. ^imäU läjgt er fid^ burd^ bie l^ergebrad^ten SSor^ 
ftettungen, ttreld^e fid^ an einen SRamen fnüpfen, öerblenben ober 
beftimmen, feien fie nun erl^aben, rül^renb ober abfpred^enb — 
nein, er ftubiert bie ^erfunft be§ ©d^riftfteHer^, feinen ©efunb^ 
l^eit^juftanb , feine SSermögenSöer^ältniffe , feinen urfprünglid^en 
Sbeenfrei^, feine SnttnidEelung^gefd^id^te ; er f d^nappt ein S5ef enntni^ 
auf, ba^ jenem untoitlfürüd^ entfd^Iüpft ift, betneift, ba% e§ burd^ 
artbere SluSfagen erl^ärtet toirb, ba% e§ bie ^anblungen be§ 9Kanne§ 
beleud^tet unb erttärt; er fd^ilbert il^n in feinen eblen, beften 2lugen== 
bKcfen, er überrumpelt il^n im Sleglig^; fraft feiner merftnürbigen 
„gäl^igleit, eine yiabü in einem ^eufd^ober ju finben", toeijs er 
augjufpüren ,. toa^ ber SSerftorbene in bem öerborgenften SBinfel 
feinet |)eräen§ betoal^rte. 3Kit ber rul^igen Überlegung eine^ ?iatur=^ 
forfd^erg tnägt er bie Steigung ju ®utem unb Söfem gegenein^ 
anber ab unb bringt fold^erttjeife ein glaubtt)ürbige§ ^ortröt jutnege 
— ober öielmel^r • eine 9iei^e jebeg an unb für fid^ glaub* 
tüürbiger, aber einanber toiberfpred^enber ^orträt^. ®enn fo gro^ 
©ainte^'Söeuöe aU ßritifer aud^ ift, gel^t er bod^ einer ^auptfd^toie* 
rigleit, toetd^e ber Äritiler ju übertoinben l^at, immer aug bem SBege,. 
unb bieg ift bie folgenbe; ®in getoiffenl^after Siritifer l^at in ber 
SRegel ba^ SSerf, toeld^eg er erMären unb beurteilen roiti, mel^rmate 



382 Zlie romantir^e B^nit in f rankteid). 



unb auf öcrfd^iebcncn ©ntmidctunggftufen gcicfcn; icbc^mal tourbc 
er burd^ ctoag änbcrc^ frappiert, unb jule|t fic^t er ba^ SBerl tron 
fo öieten Stanbpunften, ba§ eg i^m unmögtid^ ift, o^ne fid^ inncr^ 
lid^ Oetoalt anjut^un, eine einjige Stimmung unb einen ®efid^t§^ 
punft feftju^atten. ^anbeft eg fid^ nid^t barum, ein einjelneö SBerf 
ju erHären, fonbern einen ©d^riftfteöer öon reid^cr ^robuftiöität in 
feinen öerfd^iebenen Sntiüidfefiing^ftufen ober gar eine gange ©d^ute 
in ber Sitteratur barjuftellen, fo ift bie ©d^toierigfeit eine noc^ 
gröjscre, biefe SKannigfaltigfeit öon ©inbrüdfen, roeld^e man unter 
ganj öerfd^iebenen ©eelenjuftänben empfing, in ein ®efammtbilb ju 
loujentricren. ^in ®ebäube, ba^ toir nur ein einjige^ 9RaI ge* 
feigen, ^atb fonnenteglönjt, f)alb öon einem mäd^tigen ©d^Iogfd^attcn 
bebecft, bleibt in eben biefer S3eteud^tung beutUd^ mit feinen Umriffen 
unb mit feinem beftimmtcn ^intergrunb in unferer ©rinnerung 
fte^cn; ein &tb&nht bagegen, ha^ n^ir ju allen 3;age8jeiten fa^en, 
im 3^icti^t tüie bei SKonbenfd^ein, unb öon allen ©eiten, öon ben 
öerfd^iebenften 5ßunften au§, ba^ tt)ir öon innen toie öon aufeen fennett; 
ein $au§, in bem tüir ttjol^nten, unb beffen SRäume un§ anfangt 
grols erfd^ienen tt)aren, bann Keiner, in bem Wa^t tt?ie tt)ir felbft 
^erantüud^fen — bon fold^' einem ©ebäube ift e§ fd^toer, ein rid^tigcs 
S3ilb ju geben. ®iefe ©d^toierigfeit alfo umgebt ©ainte==S3eut)e, im 
bem er immer neue ©d^ilberungen unb Urteile öon einem unb 
bemfelben ©egegenftanb gicbt unb eg bem Sefer überlädt, fid^ felbft 
feine Slnfid^t ju bilben. üRit gug unb 9ied^t toä^fte er jum äRotto 
für eine SRei^enf olge feiner ©d^riften biefe 3Borte©enac be SKeiC^an^: 
„Nous sommes mobiles et nous jugeons des etres mobiles." 

®a§ le^te ®Iieb biefeg ©a^e^, bajs nämüd^ jebeg menfd^Iic^e 
SBefen, bag toir beurteilen, fid^ in beftänbiger ©ntn^icfetung befinbe, 
öerfte^t ©ainte^Seuöe toie fein Slnberer öor il^m. 3ebe^mat toed^fett 
er mit bem Oegenftanb aud^ ben 2!on, ja, feine ©arftettungöttjeife 
tüirb oft eine anbere, fo oft ein unb berfelbe ©egenftanb ben ß^a* 
rafter öeränbert; jule^t öermag fein gefd^meibiger ®eift alle einjclnen 



3atnte-Bettoe unb bte mobemr Kritik. 888 

SBctocgungcn bcr SKenfd^cnfcclc tüäl^renb il^rer Snttüiddung nad^ju^ 
ahnten. ^ ©eine S)arftcHungöfonn töirb bal^cr cbenfo toanbetbar tüie 
fein Sujet. UnaufJ^öriid^ mifd^t er bie Siogvapl^ie mit ber Äritif; 
er fc^ad^tett fo öiele nuancierte SSebingungen unb ^arentl^efen mie 
möglich in feine 5ßerioben ein, bringt ©ä^e an, bie einanber milbem 
unb abfd^ttJäd^en, toenbet mit SSorliebe ted^nifd^e SBörter an, toeld^e 
eine lange (S6)kppt öon 3been==Slffociationen nad^jiel^en, unb benü^t 
gern unbeftimmte SBenbüngen, bie mel^r anbeuten, ate fie fagen. 
^enn belegt er fid^ aud^ burd^'g S)unlel ber 93iogra|)l^ien mit ber 
Sic^erl^ett eineg Xauc^er^, toeld^er burd^ ba^ SBaffer l^inburd^ bie 
unterfeeifd^e Vegetation erblidft, fo liebt @ainte=93eut)e bod^ auö 
tnand^en ©rünben eine getoiffe Unbeftimmt^eit in feiner 3Iugbrudfö== 
weife über bag (Segebene; ujo er öon nod^ Sebenben fprid^t, barf 
er i^r ^rioatleben \a nur anbeutung^toeife berühren , unb bie 9Ser^ 
ftorbenen f)cAtn in ber 9iege( 9?ad^Iommen ober SBertoanbte, toeld^e 
gegen bie SBal^r^eit auf il^rer $ut finb, foujeit e^ bereu Seben be^ 
trifft. ©0 begnügt er fic^ gern bamit, merfen ju laffen, ba§ er 
Itoax atte^ SKöglid^e miffe, aber nid^t für gut finbe, babei ju 
tjenoeilen. 

3Äit ben Salären würbe ©ainte^SSeuöe fü^ner unb mel^r pl^^fio^ 
(ogifd^ in feiner 5ßf^d^oIogie. 3Ran pre i^n felbft, toie er feine 
SRetpbe öcrteibigt. 3n einem feiner legten SebenSjal^re (9. 3Rai 1868) 
fc^reibt er an einen firitifer, toeld^er il^m getoiffe negatiöe S3e^ 
urteilungen öorgettjorfen : „2)ie ^nft — unb befonber^ eine rein 
geiftige Sunft toie bie fritifd^e — ift ein Snftrument, ba§ fd^ttjer 

* ^ie beiben folgenben 8äjc quS ^ortsfRotjal finb bcjcid^ncnbc Scifpicie. 
3in erftcn gic6t er cS mit überlegener greimütlgfcit auf, Sin^eit giütfc^en 
feinen $orträt§=(5nttt)ürfcn ^uftonbciubrintjen; int ^weiten ift er beftrcbt, nüc 
©etten be§ Seelenleben^ jufantmenjuf äffen: C'est le M. de Saint-CTran 
tout-i^-fait d^finitif et mür, que j'envisage d^sormais, c'est de lui, qu^est 
vrai ce qui va suivre; si quelque chose dans ce qui precMe ne cadrc 
plus, qu'on le rejette, comme en avangant 11 l'a rejete lui-mßme. — 
Certes on peut tailler dans M. de Saint-C.ifl:an un calviniste, mais c'est 
Ä condition d*en retrancher maiute partie vitale. 



384 l^^t tomantifd^e 3d|ule in irankteiiii. 



ju be^anbeln ift; cö taugt nur fo öiel, wie bcr ^ünfttcr taugt. 
3)ieö aber eingeräumt — ift e^ bann nid^t nottoenbig, enblic^ ju 
bred^en mit aH biefen öerf eierten SBräud^en, bie öörfd^reibett, einen 
©d^riftfteOer nid^t allein nad^ feinen Intentionen ju beurteilen, fon^ 
bem fogar nad^ feinen 5ßrätenfionen? SBie! id^ foK öerpflid|tct fein, 
in Fontanes nur ben großen, gefd^liffcnen, ebeln, eleganten SReifter 
ju erbtiden, unb barf nid^t ben Keinen, ^ifeigen, ftnnlid^en Sitmpan 

• feigen, tt)eld^er er toax? Ober toaö unfre 3eit betrifft - 

id^ l^abe nun 35 3cii^re in unmittelbarer ^äi)t SSiUemain'ö gelebt, 
bcr ein fold^ gro|e8 Xalent, ein fo fd^öner ®eift ift, ber mit ebct- 
mütigen, freifinnigen, menf d^enf reunblid^en , d^riftlid^en , ciöilifato^ 
rifd^en u. f. to. Oefü^len förmlid^ flaggt — unb mir foBte e§ üer* 
tt)e^rt fein, in il^m bie fd^mufeigfte ©eele, bm boöi^afteften äffen }u 
fd^ilbern, ben eö giebt? ©oH man in aUt Stoigfeit fortfahren, 
feine eblen, erl^abenen ©efü^le ju rül^men, njie e§ einftimmig ring^ 
um i^n ^er gefd^ie^t? 3ft eg ettoa 5ßflid§t, fic^ un ber $»afe führen 
JU laffen unb Slnberen ha^ Oleid^e ju tl^un? @inb benn ©d^riftftetter,- 
§iftorifer, üRoral))rebiger nur @d^auf))ieler, bie man nid^t aufeer* 
l^alb ber Siolle, bie fie einftubiert l^aben, feigen barf? ®arf 
man fie nur auf ber 95ü^ne fe^en? Sft e^ nid^t geftattet, tt^n 
unb bod^ bi§!ret bie ©teile ju fonbieren, ujo ber ^amifd^ jufamnten^ 
gefügt ift? mit bem ©ecirmeffer auf bie SWal^t ju beuten, m ber 
Übergang öon ber ©eele jum Sialent ift? ba^ lefetere ju loben, 
aber aud^ bie SKängel in bem ©eelifd^en anjubeuten, toeld^e w 
aus eben biefem Xalente tt)a§rnel^men, fottJie au§ ber SBirfung, 
roeld^eg biefeS auf bie Sänge l^eröorbringt? SBirb bie Sitteratur 
begl^alb an ©lauj Verlieren? @ö ift möglid^; aber bie Äettntni^ 
ber ©eifter ipirb unjmeifel^aft baburd^ gewinnen/' 

S)er erfte ©d^ritt ift alfo: gefter ®runb unter ben pfeen, 
feine falfd^e Sbeatität! $)er näd^fte ©d^ritt ift, ba& bie ^tif, 
toeld^e bi^l^er anal^fierenb unb jerftüdfetnb mar, bei ©ainte^Seube 
jufammenfaffenb tourbe, toenn aud^ mit ber Segrenjung, bie M 



3aintc»Bcttoc unb bie mobcrnc Sritik. 385 

SRaturell be§ grolsen Sritiler^ mit fid^ fül^rte. ©eine Äritif öer= 
kxf)t, tüic bie ^ocfic, il^rem Oegenftanbc organifd^eg Seten. @ie 
jerftopft nid^t ba^ üRaterialin Keine Steine ober jn ©d^utt, fie er^ 
rid^tet ein Sann^erl baran^. ®ie ninratt nid^t bie SBeftanbteile ber 
3Renfd^enfeeIe an^einanber, fo bajs njir nur bie tote 3Rafd^ine 
fennen lernen, ol^ne ju toiffen, toie fie fid^ aufnimmt, toenn fie int 
®ang ift — - nein, fie öerfd^afft un§ (Sinfilid in bie Slrfieit ber^ 
fetten, fo ba^ toir, toäl^renb toir il^ren üRed^aniämuS fennen 
lernen, ha^ %^n^v feigen, njeld^eS bie treibenbe 3)ampf traft erjeugt, 
unb ben fiärm l^ören, btn bie arbeitenbe SÄafd^ine mad^t. 

@o ift burd^ ©ainte^Seuöe'^ SRefomt bie Sitteraturgefd^id^te, 
toeld^e öor il^m afö eine 3lrt l^iftorifd^er 9ie6entt)iffenfd^aft galt, ein 
SBegtoeif er für bie eigentlid^e ©efd^id^te gen)ori)en, ja, ber feelenöollfte, 
lebenbigfte S^eil ber Oefd^id^te , n^eil fie in btn Sitteraturen ba§ 
reid^fte üRaterial befifet, ba^ ber Oefd^id^te überl^au^t jur S3er= 
fügung fte^t. 

SBir fagten ju SBeginn, ba^ ©ainte == Seuöe'S litterarifd^e 
Sl^ätigfeit il^n nid^t ber ?ßoefie entfrembete. 3e|t fönnen njir be^ 
ftimmter nad^njeifen, bafe bie Äritif, mie er fie gegen ba^ (Bnbt 
feines Seben§, auf bem ^öl^epunft feiner ®nttoidfeIung ausübte, in 
bie engfte SSertt)anbtfd^aft jur 5ßoefie ber neuem S^it getreten tnar. 
3)enn atö bie S^ritif f^ntl^etifd^ njurbe, mad^te — ebenfalls toegen 
ber grabtoeifen Eroberung beS mobemen ®eifteSlebenS burd^ bie 
SRaturtüiffenfd^aft — bie 5ßoefie gleid^jeitig eine äl^nfid^e Setoegung. 
am Slnfang be§ Sai^rl^unbertS galt bie 5ßl^antafie afö freie (Sin= 
bilbungSfraft für bie eigentlid^e ©id^tergabe; bie @rfinbungSfäl^ig= 
feit aU fold^e mad^te ben 3)id^ter jum 3)id^ter. @r njar nid^t an 
9latur unb SBirflid^fcit gebunben; njar in ber übematürlid^en SBett 
ebenfo bal^eim, toie in ber befannten. Sm ©efd^Ied^t Don 1830 
repräfentieren ®id^ter njie S^obier unb SHejanber ®umag jeber 
auf feine Slrt biefe 3lnfd^auung§tt)eifc. ®od^ ate ber SRomantiSmug 
nad^ unb nad^ in ben Sinn unb ba^ ©tubium ber SBirllid^feit 

»tanbes. Sittecaturgefd^. bed 19. 3a^t^. V. 25 



386 2)te tomantifdie ^(tiule in itanktetd). 



auöntünbete, gab bie 5ßocfie i^re pl^antaftifd^cn Steuj^ unb Cucr^ 
fahrten burd^ bcn Slt^erraum immer mel^r auf, ©ie öerfud^tc faft 
nod^ mel^r gu öerftcl^w alö ju erfinben, unb l^ierin näl^ertc fic m 
bcr J^ritif. ®er SRoman tüurbc ^ßf^d^ologte. 3)er 9lomanbid|tcr 
unb ber Sritifcr gelten in unferen 2^agen bei il^ren Sc^Uberungen 
öon bemjelben 2lu§gang§))unft au^: ber geiftigen Seben^Iuft eine§ 
äeitatter^. 3n biejer treten bie ©eftalten l^eröor, 3)er eine ttJÜI 
bie ^anblungSmeife eine^ SWenfdöen, ber anbere ein gefd^riebencö 
SBerf fo barftellen unb erlfären, bajs §anblung ujie SBerf ole 
5ßrobufte gefeiten ttjerben, roeld^e ber SRenfd^ mit toirflid^r 
ober fd^einbarer JWotujenbigfeit l^er vorbringt, njenn beftimmte innere 
Slntagen unb äußere Sinflüffe fid^ vereinigen. S)er n^efentlic^c 
Unterfd^ieb ift nur ber, bafe ber 3)id^ter feine erfunbenen ^ßerfonen, 
bie jebod^ genjö^nlid^ nad^ SRobeßen au§ bem loirHid^en ätbtn ge^ 
jeid^net finb, möglid^ft folgerid^tig nad^ ben gegebenen Umftänben 
fpred^en unb l^anbeln lä^i, loäl^renb ber Äritifer öoUftänbig an 
bag 3;i^atfäd^Iid^e gebunben ift, fo ba^ feine ^l^antafietl^ätigfeit fic^ 
einzig auf bie SBieberl^erftetlung beö ©eelenjuftanbe^ befd^ränft, 
ttjeld^er bie Xl^atfad^e öerurfad^te ober bebingte. ®er 3iomanfd^rift- 
fteHer fd^Iie^t ou§ bem bepbad^teten Sl^arafter auf beffen mögliche 
|)anblungen, ber Äritifer au§ bem beobad^teten SBerf auf Ben 
ß^arafter juritdE, ber biefem ju .®runbe gelegen. 

Sritif, baö ^ei§t bie ®abe, burd^ öielfeitige ®t)mpaü)k bie ur= 
f))rünglid^eh @d^ran!en be^ eigenen 9?aturell^ ju übertoinben, toar eine 
l^eröorragenbegäl^igfeit ber größten S)id^ter biefe^Sal^rl^unbert^. Emile 
be SRont^gut f a^te bie Äriti! in biefem Sinne auf, afö er fie einmal ben 
iüngften ®eniug, ba^ Slfd^enbröbel unter ben (Seiftem nannte. „3)ie 
Äritü," fd^rieb er, „ift bie gel^nte 3Rufe. 3Rit il^r toar ®oetl^e ^eimlic^ 
öermä^It. Sie toaf§, meldte ouö il^m ätoansig S)id^ter mad^te. 28a« ift 
bie (Srunblage ber beutfd^en Sitteratur onbere§ alö bie firitif ? 3Bq5 
finb bie englif d^en S)id^ter unfercr SCage ? Seujegte Slritifer. SSa^ ift 
Stauend ebler Seoparbi? ©in flammenber Sritifer. 9Son aütn neueren 



3atnte=BeutJt unb bie.moberne "^xltik. 387 

©id^tern finb nur S3^ron unbSamartine nid^t Sritifer getoefen, unb 
baburd^ büßten fie 9Wanriigf altigfeit unb Stfitoed^felung ein unb finb f o 
monoton getoorben, toie e§ bei ü^nen ber gctö ift/' — 5^J3t man bie 
Äritil im toeiteren unb eigentlid^en Sinne auf, f o fällt bie testete (Sin= 
fd^ränfung l^intoeg. SDenn ate bie gö^ig^it, ^cl^ Seftel^enbe einer S3e^ 
urteilung ju unterjie^en, Joar fie eine infpirierenbe SRad^t aud^ für 
bie großen ß^rifer be§ 3^^*^^^^^$ P^ ift e§ bei SBictor |)ugo loie 
bei 93^ron, bei (Seorge @anb toi^ bei Samartine, SSon bem 2lugen== 
btidE an, ha bie §ßoefie aufhört, fid^ gegen. ba§ Seben unb bie 
Sbeen ber SRitn^elt abjufperren; öon bem ^^tpunft an, ba bie 
I^rifd^^romantifd^en SDid^ter fid^ ju Organen ber ^bttn, bernjanbeln, 
toirb in il^rer ®id^tung bie ^ritif aU ein belebenbe^ ^t^inätp. 
empfunben, @ie l^at §ugo^§ „Les Chätlments" infpiriert, toie 
fie S3^ron'§ „Don Juan^^ inj^irierte. Sie toeift htm SR^nfd^en^ 
geift ben SBeg. Sie l^egt ben SSeg mit ^tdtn ein unb beleud^tet 
il^n mit gadfeln; fie brid^t neue SBal^nen unb robet bie alten. 
®enn bie Stitif iff§, toeld^e Serge öerfefet, all' bie riefigen ?ln= 
l^öl^en ber Slutorität, be§ SSorurteifö, ber ibeenlofen 9Wad^t unb ber 
toten Überlieferung. 



25 



XXXII. 

SBäl^rcnb bie 3;rtum<)l^c bcr romantifd^en ©d^ule in ber S^rit, 
bem SRoman, ber SioöeHe unb bcr Sritif Balb al§ unbeftreitbar 
baftanben, öermod^te fie auf einem einjigen ©ebiet bie Htl^nen 6r= 
ttjQrtungen nid^t ju erfüllen, mit n^eld^en fie in^ 2titn f)inau^ 
getreten ttjar , unb jtnar in berjenigen ^nftart, bie man, juf olge ber 
äftl^etifd^en Überlieferungen, in jener Qtit al§ bie pd^fte betrachtete 
unb feltfamern^eife nod^ l^eute bafür l^äft — nämlid^ ia^ 35rama. 
®a biefe Sunftart fo l^ol^e^ 9lnfel^en genofe, mad^te fid^ ber öer^ 
l^ältnigmäjsig geringe ®rfoIg in biefer JRid^tung um fo fd^merjlic^er 
geltenb. ®a§ ©d^aufpiel ber romantifd^en ©d^ule mad^te niemals 
eigentlid^eS &IM unb gelangte nie baju, ba§ ^Repertoire eines 
SCI^eater^ ju bilben. §ugo'§ @tüdfe tnurben nur populär aU %z}ct' 
bfid^er ju italienifd^en Dpem, biejenigen SR^rimte'g gelangten gar 
nid^t jur Sluffül^rung, Oeorge @anb nnb Saljac erreid^ten auf ben 
83rettern meiften^ nur einen sucoes d'estime, öon SKfreb be SJhiffet 
fallen erft fpät ein paar Süeinigfeiten ha^ Sid^t ber Sampen, 
loäl^renb ©cribe nebft feinen SKitarbeitem in allen franjöfifd^en 
unb nid^tfranjöfifd^en Sil^eatern ba^ ^auö füllte. Unb bod^ ^at 
bie ©d^ule aud^ auf bramatifd^em ®ebiet fel^r bebeutenbe Äraftc 
aufäutt)eifen, 

'3)er ältefte SSerfud^, ber innerl^alb biefeö ^eife§ in brama= 
tifd^er 9iid^tung gemad^t n^urbe, tnar ^öd^ft origineH unb gerabeju 
bett)unberung§tt)ürbig. (S§ loaren bie „®ramatifd^en ©jenen", toeld^e 
SSitet in ben Salären 1826—29 l^erauggab, unb bie er fpäter unter 



jDa0 Drama; Uitet, IHttna«. 389 

bem Sitel „2a Sigue" fammelte. (Sr ^tte ben Einfall, Segeben^ 
l^eiten au§ granfreid^S ©efd^td^te in bramatifd^er gorm barjuftellen, 
ol^ne irgenb etoa§ l^injujubid^ten, fo bajs er feine ^l^antafie au§== 
fcl§liej3fid^ baju gebraud^te, bie Oefd^id^te in^ 2iim ju überfe^en, 
®ie§ ift i^m unöergleid^Iid^ geglüdft. (Sr binid^te e§ toirtlid^ ju=^ 
ftanbe, feine „©jenen" mit ber Sltmofppre einer längft vergangenen 
3eit ju erfüllen unb feinen ©eftalten an§ bem 16. Sa^r^nnbert 
in allen il^ren Oefpräd^en ein fold^eg ©epräge öon ®Ianbn)ürbig^ 
feit äu öerleil^en, ba^ man gleid^fam . tie ©efd^id^te @tnnbe für 
@tunbe ju bnrd^Ieben öermeint, njenn man feine 93üd^er tieft. 

Snboöic SSitet, 1802 in 5ßari§ geboren, mad^te bk Jiormalfd^nle 
burd^, nal^m aU Siberaler an ben politifd^en Selpegungen 2!eil, toar 
SßitgKeb ber ©efellfd^aft „Aide toi — le ciel t'aidera" nnb fd^rieb, 
tt)ie n^ir gefeiten ^aben, für bm ,,®Iobe" aU leibenfd^aftlid^er 9Ser=^ 
fed^ter be§ 9iomanti§mn§. 3n biefe erfte Sngenbperiobe faßt feine 
gan je l^iftorif d^ = bid^terif d^e 5ßrobnftion mit einjiger Slu^nal^me ber 
bebentenb fd^toäd^eren JReil^e bramatifd^er ©jenen, toeld^e er 1849 
nnter bem 2!itef „Les etats d'Orleans" l^eran^gab. ©ein fieben^= 
lauf ift überaus einfad^. (£r fd^eint bie ©räfin 2)ud^fttel geliebt 
unb bei il^r (Gegenliebe gefunben ju l^aben. 2ltö burd^ bie 
Sulireöolution feine* greunbe jur SKad^t gelangten unb ®raf ®u^ 
c^dtel in ®uijot§ SRinifterium eintrat, njurbe SSitet jum Snf))eftor 

■ 

ber l^iftorifd^en SDenfmäler granfreid^^ ernannt — eine ©teile, 
tneld^e ®uijot eigene für il^n fd^uf. (Sr ging atebann jur 5ßoIitif 
über; 1834 njurbe er SRitgßeb ber 2)e)3utiertenfammer, 1836 SRit^ 
glieb be§ ©taat§rat§, 1846 aRitglieb ber SHabemie. 2tfö*5ßo- 
litifer trat er fonferöatiö unb monard^iftifd^ auf, l^ielt fid^ tnä^renb 
ber Saläre 1851—71 öon jeber 93erül^rung mit ben öffentlid^en 
Slngelegenl^eiten fern unb nal^m erft nad^ bem Kriege öon neuem 
eine l^eröorragenbe ©teKung unter Sl^ier^ ein, big er 1873 öom 
%ob l^innjeggerafft tourbe. 

®r ift ein Seifpiel bafür, töie eine ftarfe fünftlerifd^e Setnegung, 



890 Zlie romantirdie Sdiule in itaitkteidi. 



tücnn fic bic 3^it c^öifet f^Iöft fol(ä^e ®cifter, bie im übrigen ni^t 

für bie Äunft gefd^affen finb, ju SRciftemerfen infpirieren tami. 

yiaä) 1830 jeigtc er fid^ in feiner fd^riftftellerifd^en SBtr!fant!eit 

nur nod^ ai^ ein unter bm Äunftl^iftorüem l^eröorragcnber gelehrter 

gac^mann; er» fd^rieb, d^arafteriftifd^ genug, eine S3iogra^l^ie be^ 

©rafen 3)uc^dtel; feine litterarifd^en unb l^iftorifc^en ©ffü^S finb 

fo trodfen unb langttjcitig, toie biejenigen SR^rim^e'S. 

SRan ttjenbet fid^ barum immer aufg neue feinen Sugenb* 

merfen ju: ,,Les Barricades^/, „Les etate de Blois" unb „La mort 

de Henri HI." ®ie ^auptd^araftere, bie Äönige ^einrid^ 11. unb 

^einrid^ III. fotöie bie ^erjöge t)on (Suife, bie tüir burd^ mel^rere 

©encrationen fennen lernen, finb fo trefflid^ gejeid^net, ba§ fte 

einen SBergfeid^ mit ben ^auptperfonen in ©l^afefpeare'g „Äönig^^ 

©ramen" vertragen („^einrid^ IV." unb „9iid^arb in." allere 

bing^ aufgenommen). 5)ie ©enftoeife unb bie Sitten beg QtxU 

altera finb .mit fo fräftiger |)anb ^eröorgel^oben , ba^ laum ein 

ßeitgenoffe fie beffer ju fd^ilbern öermöd^te. „®ie ©täube in 

Stoi^" ift fidler bo§ bebeutenbfte unter biefen SBerfen. Um auf 

tttoa^ SBeftimmteg ^iujubeuten, empfel^Ie id^ bie ©jenen ju lefen, 

toetd^e bie ©rmorbung beö |)erjogg öon ®uife barftellen. ©elten 

f)at ein ®id^ter in einem l^iftorifd^en ©d^aufpiel getoagt, big ju 

biefem ®r<rbe allen poetifd^en Sraud^ bei ©eite ju fd^ieben. S)iefe 
• 

©jenen finb bei il^m bei ttjeitem fd^öner unb n^al^rl^eitggetreuer, ate auf 
®eIarod^e'§ fonft fo öortrefflid^em (Semälbe, too ^einrid^ in. burd^ 
bie l^albgeöffnete Xf)nx naä) ber am 83oben liegenben Seid^e feinet 
grojsen ©egner^ fpfil^t. SSitet läjst un§ feigen, toie ber Äönig §eiii= 
rid^ ni. um 4 Ul^r nad^ts auf feinem ^te^iiier foftbare fpanifd^e 
®oId^e in SBeil^tüaffer taud^t, unb bebenb, ol^ne bajs er eg ttJagt, 
bm SRamen feinet @)egner§ ju nennen, biefelben unter feine S5er= 
trauten verteilt. SBir l^aben im ®emad^ be§ l^erjogg bie ©jene 
burd^Iebt, ujie feine SKutter unb ferne ©eliebte i^n pergeben^ an= 
flel^en, fein 2tim ju toal^ren unb am näd^ften SÄorgen nid^t in 



Daa Drama: Uitet,, Dumaa. 391 



bie SRatööcrfammlung ju gelten. Se^t finbct er ftd^ bort ein: ein 
unl^eimlid^e^ ®efäl^I erfaßt i^n; feine 9iafe beginnt ju binten; er 
f)at fein Xafd^entnd^ öergeffen nnb fenbet jemanb banad^. 2)ie fd§ot= 
tifd^en ©arbiften fperren im Unöerftanb ju frü^ feinem 95öten htn 
©nrd^gang; bod^ merfen fie il^r SSerfel^en, nnb ber §erjog befommt 
ba§ 3;ud^. Slber er ift nnml^ig; nnb ber §elb, toeld^er, ol^ne gn 
erbleid^en, fo mand^em gejüdhem @(^n)ert entgegen getreten, fül^It 
fid^ nid^t tno^I, il^m njirb überjnSJiut ®r ift nod^ nüd^tern; e§ 
ttjirb öorübergel^en, toenn er ettoa^ jn fid^ nimmt. @r öffnet bie 
ffeine Bonbonniere , bie an feinem ©ürtel l^ängt — fie ift leer, 
9Äan . fd^idft fort , nm tttoa^ Äonfeft ober Dbft l^erbeijnfd^affen. 
2)a fommt JRfeoI an§ bem ©emad^e be§ Königs mit ben SBorten: 
„35er Sönig toünf d^t 6nd§ ja fpred^en, 2Konfeigneur!" ©d^n^eigenb 
blidfen bie 9?at§]^erren einanber an. 3)er ^erjog ergebt fid^ nnb • 
nimmt ben 3RanteI nm; biefer gleitet balb öon ber einen, balb 
t)on ber anberen ©d^nlter n^ieber l^erab. UntoiUfnrlid^ fnd^t ®nife 
fein gottgel^en jn öerjögem, jn ftolj, . nm bem JRnf nid^t jn folgen, 
nnb ginge e§ aud^ in hm %ob, aber 3Renfd& genng, nm anf ber 
® d^toeHe . t)om fieben jnm 2;ob einen 3lngenblidf • jn htbtn. @r 
»erlangt nod^ ein gtoeiteS ' 3;af d^entud^ , ba .ba§ erfte ganj blntig 
gett)orben; tnieber entfernt fid^ einer t)on ben SSerfd^niorenen; bie 
anberen ftel^en toie • anf S!ol^Ien. SJüt öoHenbeter 9Weifterfd^aft ift * 
l^ier jene Stimmung öon Uhrul^e, Ungebnib nnb tl^örid^tem @d^am- 
gefül^I toiebergegeben , bie bi§n)eilen jeben öon nn§ fo ^eftig er- 
greifen fann, bajs n)ir, nur nm au§ einer läd^erlid^ :peinlid^en 
Situation l^erau^jufbmmen, ung blinblingg in bie fii^nften SBage= 
ftüdfe ftürjen. SBieber bleibt ber au§, n^eld^er nad^ bem 3;ud^ 
gefanbt njurbe; ba verliert ber ftolje (Suife bie Oebulb; mit bm 
SBorten: „^ä) fann ben S^önig'nid^t länger njarten laffen", gel^t • 
er burd^ bie Xpr; fie fällt hinter i^m ju — unb ein ©u^enb Dffi^ . 
jiere fto^en il^m i^re langen ©old^e in btn Seib. 

SBie man fielet, gel^t SSitet in ein 3)etail, ba^ auf ber Sül^ne 



392 Z)ie tomantifd)e ^ibitle in iraitktetd). 



unmögüd^ toäre. ©eine ©jenen ftnb nur auf ba§ Sefen bereij^net 
©ie finb barum anä) feine eigentUd^en ©d^aufpiele, 3)ieg beruht 
borauf, ba^ SSitet bei atV feinem l^iftorifc^en ©d^orfblid fotool|t 
bid^terifd^e Seibenfd^aft ate aud^ fünftlerifd^e^ ®eftaltung§talent db^ 
ging* ®a er toenig ^at^o^ ju entoicfeln öemtag unb baö äHntäl^Iid^ 
Stnfteigen ju einem ^öl^epunft, öon bem au§ aOe^ Slnbere fid^ tote 
SSorbereitung unb golge aufnimmt, bei il^m fel^It, tann er mäj 
nid^t äu eigentlid^ Kinftlerifd^er S)urd^bilbung gelangen. 3n feinem 
SSefen njar augenfd^einüd^ eine getniffe unfünftlerifd^e SBerjagtl^eit, 
eine 93ebenflid^feit, nur ha^ ®eringfte an bem l^iftorifd^ gegebenen 
©toffe gu änbem, eine Slbneigung, feine eigene 5ßerfönlid^fett bur(^= 
fd^immem ju laffen. @r befajs nid^t genug inbiöibueHe ©igentüm^ 
lid^feit, um funftöotle SKüngen mit feinem 93i{be ju ^}rägen. S)a| 
er fo balb öerftummte, f)at feinen ®runb barin, ba§ bie fo moderige 
5ß^antafie, ujeld^e feine SBerfe l^eröorgebrad^t l^at, nid^t bic^terijc^ 
frei töar, toeber in il^ren Seobad^tungen, nod§ in il^rer S)arfteHung; 
fie toar öon Oelel^rf amfeit, t)on Slrd^iöftaub bef d^toert unb bel^inbert 
®iefer fo fd^öne, fo feurige $ßegafu§ ftanb in einer Sibliot^ef 
angefd^irrt, 

@g njöre fd^nöbe^ Unred^t, bie§ t)on bem romantifd^en S)ic^ter 
JU fagen, UJeld^er, bireft in SSitetS ©puren tretenb, eg öerfud^te, 
l^iftorifd^e ©toffe ju bramatifieren, unb ber fd^on ein Sal^r öor 
§ugo (1829) mit einem l^iftorifd^en ®rama „Henri HL et sa cour*^ 
burd^fd^lagenben ©rfolg l^atte. (S§ toar Sllejanber S)uma§ (geb. 
1803), ein fprubeinbeg, unmittelbare^ 3;alent unb ein riefenftarfeS 
2!entperament @r enttoidEelte in ber Sitteratur ebenfo ^erfulifd^e Stn- 
lagen, toie fein SSater fie in ben Stiegen ber 9ie|)ublif gejeigt. SSierjig 
Saläre l^inburd^ fd^rieb er ununterbrod^en 3;ragöbien, Suftfpiele, 
©d^aufpiele, 9iomane, SWoöeHen, SReifebefd^reibungen unb SRemoiren. 
©^ toürbe unbißig fein, über eine fo ungel^eure Srfinbung^gabe, 
eine fo unglaublid^e grud^tbarfeit ju fpötteln. 3Ran fpürt in biefen 
©d^riften ha^ franjöfifd^^afrifanifd^e S5Iut, etn?a§ öon bem forglofen, 



Da0 Drama: Httet, Ikmaa. 393 



feeoUfd^en SBe Jen unb ttwa^ öon bem finnüd^en geuer ber f d^toarjen 
fRaffe. Unter SBei^ilfe ga^Ireid^er, aber toeit unter i^m [tel^enber 
SJiitarbeiter ^at 2)unta§ bie ©d^auBul^ne, bk Sud^l^änblerläben, bie 
^eitung^feuiUeton^ mit feinen ^robuftionen gefüllt ®ie ®rudfer= 
^^reffen äd^jten unb ftöl^nten, um mit feiner flinfett geber gteid^en 
©d^ritt ju l^alten. Qu bebauem ift inbe^, bajs ber leidste Sinn be§ 
SBeltfinbeg il^n leine orbentlid^e (SntnjidEetung burd^mad^en iit%. 
9luv in feiner erften Sugenb toav er ^nftler. Sn ber 5ßeriobe ber 
IRomanti! fd^rieb er romantifd^, in berjenigen ber Snbuftrie tourbe er 
tnbuftrieH, 

SRit ,,^einric^ III. unb fein |)of" gelang il^m, toa^ SBitet mit 
bemfelben Stoff nid^t jun^ege gebrad^t, ein teben^boHeg Sü^nenbrama 
JU tiefem. ®od^ nur in ganj oberfläd^tid^er SBeife toid^. er J^ier 
öonber ftaffifd^en 2^^eaterfont)enienj ab. @r toagte, bie |)ofeti!ette 
aufju^eben. 2luf jenen SBrettem, ujo ein paar Sal^rl^unberte ^in^ 
burd^ ber §elb unb fein SSertrauter mit fd^taff nieberl^ängenben 
Slrmen ober mit ber §anb auf bem ©d^ujertfnauf i^re SDeflamationen 
vorgetragen l^atten, fam nun eine ©d^aar t)on ^önig |)einrid^§ 
Höflingen ^it Silbouquet^ bal^er, einer ©rfinbung ber bamaligen 
Qtxi, unb unterl^iett fid^ in ben Raufen bamit, Heine 5ßfeile burd^ 
lange 5ßuftrol^re ju blafen. 3m übrigen aber fül^lten unb fprad^en 
fie tüie bie jungen SRänner öon 1828. 

2)uma§' übrige ^iftorifd^e ©d^aufpiele au§ feiner Sugenb („Na- 
poleon Bonaparte",. „Charles Vn chez ses grands-vässaux" u. f. to.) 
l^aben eine ebenfo oberfläd^Iid^e 5ßf^d^ologie. @rft fpäter, atö er ein 
Seitalter fanb, beffen ®eift er fannte unb bel^errfd^en fonnte, ge^ 
lang e§ i^m, fo öortrefflid^e Silber au§ einer entfd^tounbenen ^eriobe 
ju geben, toie eg in ben reijenben unb bramatifd^ l^öd^ft tr)irfung§= 
öoßen ©d^aufpielen ,,(Sine &)^ unter Subtnig XV." unb „Gabrielle 
de Belle-Isle" ber gaU ift, öon benen befonber^ ba§ lefetere mit 
feiner bireften, leidet ibealifirenben ®arftellung ber Sitten au§ ber 
aiegentf^aftgjeit poetifd^en SBert l^at. ®o^ fd^on im Sa^re 1831 



894 löie tomatitirdie 34ttle in itankreid). 



tt)ar c^ 2)utnag befd^icbcn, ber iungcn romantifd^en Generation einen 
öon ben J^^pen ju geben, tüonad) fie feffift fic^ benannte. (Sr 
fd^rieb „Antony". 

%xo^ aller feiner 9WängeI l^atbiefe^ ©tüdE etn?a§ an ftd^, ba^ il^m 
größere 93ebentuhg öerteil^t afö felbft ben beften unter feinen übrigen 
Strbeiten. SS ift »ämtereö 93Iut, ntel^r SKenfd^üd^feit barin aU in 
ben anberen. 3Benn e§ tro| feiner 9laiöetät einen öerl^ältnilmößig 
mäd^tigen (SinbrudE mad^t, fo ift ber ®mnb bat)on ber, bafe 3)nnia§ 
^ier fein eigene^ 3c^ in aU! feiner leibenfd^aftlid^en ©en^attfandeit, 
mit feinem jugenblid^en (Snt^ufia§mu§ unb feinen ritterlid^en 3n* 
ftinften auf bie ©jene gebrad^t l^at. Slnton^ ift ein §rfb öon 1830, fo 
bef d^affen, njie eS aud^ ^ugp'ö ^Iben aUe finb : breitf d^ultrig, mit einer 

Söttjenmäl^ne, begeiftert unb öerjtoeifeft, gefd^affen, um ©d^Iaf unb 

• 

©peif e entbel^ren ju f önnen, immer bereit, fid^ ober einem SCnbcm eine 
Sugel öor bie ©tirn ju fd^iejsen. ®er l^eftige Seifall, toetd^en Slnton^ 
fanb, berul^te jebod^ barauf, ha^ S)uma§ —' toa^ §ugo miemafö 
genjollt ober gefonnt — bie ^anblung um 1830 fpielen unb ben 
|)elben in bemfef ben fd^niarjen JRodE auftreten ließ, ben aud^ bie 
3ufc^auer trugen, 3)er JRomanti^mu^ l^atte fid^ im ®rama frei* 
toiHig auf'g 3RitteIalter befd^ränft, -^ier ftanb er in ber ®egen* 
mart, in mobemem Oetoanb, 

3m ©tüdEe felbft toirb bie ©ad^e be& ©tüdEeS öerfoc^ten. Snt 
vierten Slft ift ein "Oefpräd^ eingelegt, ba§ auf bie litterarifc^en 
S?änH)fe ber Qtit anfpielt, unb bei biefer ©elegenl^eit fagt einer ber 
^anbelnben, ein 35id^ter, njeld^er bie romantifd^e SBieberbelebung beS 
SKittelalter^ öerteibigt: 

„2)a§ leibenfd^aftlid^e ®rama muß notn)enbigertoeife al§ ^ifto* 
rifd^eg auftreten. S)enn bie ®efd^id^te melbet bie leibenfd^aftüd^ften 
^anblungen toie nadfte SD^atfad^en. SBenn njir öerfud^ten, mitten 
in unfrer mobernen Oefellfd^aft ba^ §erj ju entpll(en,.ba« unter 
unfern pßtid^en, unbequemen, fd^toarjen SRödEen fd^Iägt, mürbe bie 
3t^nlid^feit jmifd^en bem gelben unb bem )ßublifum alljugroß fein; 



Da0 Drama: Uttet, Dutnae. 395 



ber 3itf^<^uer, tüeld^er bie (Sntnjitfelung einer fieibenfd^aft verfolgt 
^at, lüürbe in bem 'Slugenblitf '§a{t rnfen, .ttjo fie bie ®renje üBer^ 
fc^reitet, an n^elc^er er felbft fielen geblieben; er toürbe rnfen: 
„S)ag ijt öerfe^rt, id^ fü^Ie nid^t fo; njenn meine ©eliebte mid^ be= 
trügt, fo fd^merjt e§ ntid^ getoife, aber id^ tött fie nic^t nnb nel^me 
mir aud^ nid^t felbft ba§ Seben," Unb ber 9tuf: Übertreibung, 
58üf|nen:=(Sffeft! toürbe ben 93eifatl ber toenigen SKenfd^en über= 
täuben, toeld^e fül^len, bafe bie Seibenfd^aft int neungel^nten 
Sal^rl^unbert biefelbe ift n)ie im fed^jel^nten, unb ba J3 bag Slut 
ebenfo l^eijs unter einem 3;ud^rodf tpallt tnie unter einem @ta^I= 
panjer." 

äJian !ann fid^ ben 93eifatlgfturm beulen, ben biefe SSorte §er== 
tJorriefen. Sitte tt)oIlten ju biefen SBenigen gehören. ®ie Seiben* 
fd^aft .tt)ar an ber 2^age§orbnung, man betnieg bie feinige burd^ 
Slpplaubieren. „Slnton^" ift aud^ in ber S-l^at ein S!onjert t)on 
rafenben Seibenfd^aften, ba^ feine^gleid^en fud^t. S)er $elb !ommt 
öon einer mel^rjäl^rigen 9ieife nad^ 5ßari§ jurüdE unb finbet feine 
Sugenbgeliebte öerl^eiratet. (£r rettet fie, ai§ bie 5ßferbe mit il^rem 
SBagen burd^gel^en; babet empfängt er einen ®eid^feIfto§ gegen bie 
Sruft, ber i^n fd^tuer öerle^t @o tnirb er in il^r ^an^ getragen. 
?lntont| ift Saftarb unb ginbelünb, barum ein geborener 9iebell 
gegen bie ©efe^e ber ®efetlfd^aft: „Slnbre 9Wenf(^en," fagt er, 
„l^aben einen SSater, eine SKutter, einen 93ruber; fie finben offene 
8(rme, bie fie aufnel^men, tuenn fie leiben; mir .gel^ört nid^t einmal 
ein ©rabftein, auf bem xä) meinen ?iamen lefen unb n)0 id^ ttjeinen 
fann; id^ ifobt fein SSaterlanb, feine gamilie. Sllle^ tnar für ntid^ 
in einem einjigen ?iamen enthalten, unb biefen SRamen au^jufpred^en 
foU mir verboten fein." — ©eiuf ©eliebte erinnert il^n an bie 
gorberungen ber ©efeßfd^aft: „3Rögen e§ ®efe|e fein ober SSor* 
urteile, fie finb nun einmal fo." — „SBarum", öerfe|t er, „foßte 
id^ mid^ il^nen unterttjerfen! SBer.l^at mid^ je öor einem Unglüdf 
betoal^rt, ttjcr fann fid^ rül^men, mir einen SDienft erjeigt ju l^aben ! 



396 Z)te romantifdje dd)ule in fcankreid). 



3c^ i^abc nur Unrecht cm^jfangcn unb ic^ fc^ulbe nur ^a§. SRan 
f)at mir bic ©c^anbc meiner armen 3Rutter auf bic ©time gebrannt/ 
Slbele liebt Slnton^, n)iB[ il^n aber fliel^en. Sn feiner Setbcn== 
' fd^aft überrumpelt er fie auf einer Sieife unb bemäd^tigt fid^ il^rer 
in bem ®aftl^aug, n)0 fie fic^ aufl^äft, mit ©etoalt. (Selbft nai^ 
biefer unnjürbigen §anblung entjiel^t fie il^m i^re Siebe nit^t 
SBir finben baS ^aar in ^ari^ n)ieber. ®a^ Slbenteuer SSciber ift 
befannt gett)orben. SBir l^ören, tt)ie l^eud^Ierifd^e ®amen, loelc^c 
bie l^eimlid^e 2ufl ju Verbotenem mit untabell^after SBal^ruitg bee 
©d^ein^ vereinen , Slbelen^ 9iuf ju üemid^ten bemül^t finb- 55icf e Sin* 
griffe n^erben f eitenS guter 5ßerf onen mit l^armüollen ©rgüff en über bie 
©efeUfd^aft unb bereu |)eud^elei beantwortet. ®od^ ba§ ©roma 
nöl^ert fid^ feinem Slbf d^Iu§ : ®er ©l^emann, Dberft b'^erbe^, feiert 
t)on einer Steife jurüd. SSergeben^ forbert Slntön^ bie ©elicbtc 
auf, mit il^m ju fliegen; fd^on l^ört man im SSorjimmer bic ©d^rittc 
be§ gefränften hatten — ba jtel^t ber Siebl^aber feinen S)oIc^ 
unb ftö^t il^n Slbele in^ |)erä, inbem er, um il^re ®^re ju retten, 
bem ©intretenben juruft: „@ie üerfd^mäl^te mid^ unb id^ l^abe fie 
ermorbet!" 

Sieft man ba^ ©tüdf l^eute, fo nimmt e§ fid^ abfurb unb 
empörenb aug. ©^ fommt ©inem t)or, atö ob man ein folc^e« 
®rama, fate eg neu UJäre, nid^t feigen fönnte, ol^ne ba ju läd^eln, 
ujo man ben^egt fein foHte. aSan fragt fid^ l^eutjutage, tDof)tx ee 
fam, ba§ ein geujal^lte^ Xl^eaterpublifum im Saläre 1831 bei bcr 
erften Sluffül^rung jU njal^nfinnigem Subel l^ingeriffen ttjurbe; benn 
bie 3itf^öuer ftatfd^ten, n^einten, l^eutten, unb riefen SBrabo ol^nc 
^nbt. ®a§ @tüd n)urbe burd^ 93ocage'g unb SRarie S)ort)ar$ 
meifterl^afteg Spiel getragen. ®ie begeifterte Sugenb ri|, m 
®umag crjäl^lt, il^m feinen pbfd^en, grünen dtod gerabegu in 
(Stüdfen t)om Seib, um bie g^feen ate ^Reliquien jU bemal^ren. 
SBenn man biefe Slnefbote aud^ nid^t bud^ftäblid^ nel^men barf, jo 
ift eg bod^ gett)i§, t>a^ bie S3egeifterung ade ©reujen überftieg. 



J 



9a0 iranta: üitet, 9utna0. 397 



Sie ©rtfärung liegt barin, ba§ toir niemafö über ein SBerf lad^en, 
worin nnfre Stimmungen unb ©efül^Ie ju SSorte fommen, Slntonl) 
repräfentierte bie Seibenfd^aft, tüeld^e ii^ gur SRol^eit gel^t, aber 
bieje öereint fid^ mit einem ^^rtgefül^I, ba^ el^er \xä) eine§ SJJorbeg 
fd^ulbig mad^t, afö ba§ e§ bie ©elicbte ßränfung unb §ol^n an^^ 
fe|t; jugleid^ tüar Slnton^ auf SBtnronfci^e SBeife ber l^eimlid^ au^^ 
ermä^Ite junge §elb, n^eld^e gegen bie Ungered^tigfeit beg ©d^idffafe 
fämpft unb größer ift atö fein ©d^idfal 

©änjlid^ blieb übrigen^ aud^ in ber bamaligen ßtii eine über^ 
legene Sluffaffung nxdjt au§. SBocage, njrfd^er ben 5lnton^ fpielte, 
fanb bie ©d^Iu^borte fo albern, ha^ er berfelben gern überl^oben 
getüefen tüäre. ©ine^ Slbenb^ fiel ber 9Jorl^ang, ol^ne t>a^ er bie^ 
felben gefprod^en. Slber bemfelben Slugenblidf fing ba^ 5ßublifum 
on, tt)ie befeffen ju fd^reien unb ju toben. 9Ran tüoßte ben ®d^Iu§ 
^aben. SBocage l^atte bie SBül^ne bereits öerlaffen; ba l^atte ^abamt 
JJoröal, bie ermorbet auf bem Xl^eaterboben lag, bie ®eifte§gegen= 
toart, ben SSorl^ang tüieber lieben ju laffen. @ie rid^tete fid^ l^alb 
in bie §ö]^e unb fagte läd^enb, inbem fie bie 5ßronomina üertauf d^te : 
,,3d^ üerfd^mäl^te il^n unb er l^at mid^ ermorbet." ^ Sine einjige 
fc^arf fatirifd^e Stimme Iie§ fid^ an^ ber 5ßeripl^erie beS roman== 
tifd^en ßreifeS üemel^men. SBenn man in 3ule§ SaninS „Histoire 
de la litterature dramatique" bie lange, üortrefflid^e ^itif über 
„5(ntont|" lieft — fidler bie befte Stitif, ttjeld^e Sanin je ge== 
fd^rieben — ttjirb man baö JBergnügen l^aben, biefe belirierenbe 
Slomantif t)on l^eiterem Sad^en übertönt ju feigen. 



* „Je lui r^sistais, il m'a assassin^." ^ix toon einem Slugen^eugcn,. 



XXXIII. 



SBäl^renb „3lnton^" bcr romantifd^e 5ßaropgmu^ toav, brad^tc 
,,Sl^attcrton", ber cinjigc gro^e brantatifd^e ®rf olg Sllfreb beSStgn^'s, 
btc romantifc^c ©Icgie auf bic .SBül^ne. ®icfe beiben Siebling^^ 
brauten bcr ©cheration öon 1830 entfprad^en einanber, loie bcr 
Sultuö bcg ®cntc§ bemjenigen bcr Seibcnfd^aft, toic ha^ SRitgcfül^I 
mit bcm Scibcnben ber Segeiftcrung für bcn ^anbclnbcit entfprid^t 
ober f äffen ttjir c^ tiefer: tüie im ®oppeIgefid^t beg* Slomantigimis 
bie germqnifd^e ©eite ber romanifd^en entfprid^t. 

3Ufreb be SBign^ (geboren 1799) l^atte mit feinem tüd^tigcn 
l^iftorifd^en ®rama „La mar6chale d'Ancre" (aufgefül^rt 1834) 
feinen SBeifaH errungen. ®ie^ Jag njol^l' barin, ba^ er J^icr im 
njefentlid^en biefelben Zt)ptn bel^anbelte, mit n^eld^en ha§ 5ßublihnn 
fd^on burd^ anbere nmtantifd^-l^iftorifd^e Xrauerfpiele vertraut mar. 
®er Siebl^aber SBorgia ift j. S3. ganj t)on berfelben 2lrt loie bie= 
jenigen §ugo'§, ja nid^t einmal fonberlid^ öerfd^ieben öon bcm 
Siebl^aber bei ®umag, tro| be§ fd^arf entgegengefe^ten Slaturefls 
beiber ®id^ter. SRan getüal^rt l^ier beutlid^, ttjie energifd^ eine ©d^ulc 
fogar ben öerfd^iebenartigften Snbiöibualitäten il^r Gepräge aufju»^ 
brüden öermag.^ 



^ SJian lefe hwr in bem $erfonenöer^eicJ^ni§ hit für bcn @(^aiifpiclcr 
bcfttmmtc (J^aralteriftil ju iBorgia. §ier flnbet man bic 'üic5Iing§fcc= 
^cicj^nungen bcS StomantiSmug toie in einem Signalement öereintgt, imb 
mit iJeid^tigfeit ericnnt man, toie baSfelbe in allem njefentlicj^cn and^ auf 
SSictor ^ugo'g junge |)elben, ja felbft auf Slntonl) pa^t: Montagnard bras- 
que et bon. Vindicatif et anim^ par la Vendetta, comme par iine se- 



X)a0 Drama: ^e Digni), l^ugo, |Ionratb. 399 



„ßl^atterton" (aufgefül^rt 1835) ift totit d^araftcriftifd^er für 
bc SSignt). S)a§ ©tücf entl^ält eine Sbee, tüd(i)t er fd^on jiüei 
Saläre frül^er in feinem SRoüeßenc^Kug ,,@teIIo".in brei t)erfd^iebe= 
benen SSoriationen bel^anbelt l^atte: bie Sbee t)on ber unglüd^^ 
fidlen, öerlaffenen Stellung be^ tDal^ren ®id^ter§ in ber ©efeßfd^aft. 
be SSign^ ging t)on ber romantifd^en SSorfteßung an^, ben 2)id^ter 
afö ein l^öl^ere^ SBefen, ja ate ba^ erl^abenfte auf (£rben ju be=^ 
trad^ten — eine SSorfteßung, öon tpeld^er aud^ >£)eutfd^Ianb§9tomantifer 
tief burd^brungen tporen. @o erfüllte il^n be^ 2)id^terg Sog mit üRit- 
leib, befonberö ba^ beg jungen ®id^ter§, ber alg Süngling bie 
Jpülfe unb bie 2lner!ennung am meiften erfel^nt, aber feiten |)erjen 
finbet, bie il^n öerftel^en, nod^ Weniger Sefd^ü^er, bie il^m ein 
forgenlofeg Seben bereiten. ®a§ ©d^öne an be SBign^'ö immer 
toieberfe^renbet Slufforberung, bem ©id^ter 83rot ju geben, ift, ha% 
er nid^t feine eigene @ad^e öerfid^t; benn er ftammte au§ altem 
gräflid^en (Sefd^ted^t unb tüar t)on feiner frül^eften Sugenb an un^ 
abl^ängig gefteßt. 9iad^ feiner Sluffaffung ift ber ®id^ter ein 
armer Spanier, ber ganj in ber @ttüalt feiner Sinbilbung^fraft 
ftcl^t ®r ift „unfäl^ig ju Sment> tüa§ mä)t mit feiner göttlid^en 
©enbung jufammenl^ängt", namentlid^ nid^t imftanbe, ®elb ju öer== 
bienen; er fönnte fidler aU Sd^riftfteßcr feinen Unterl^alt erttjerben, 
aber ttjenn er ba§ tl^ut, -tötet er l^äufig ba§ 93efte in fid^, enttt)idEeIt 
bie Urteiföfraft auf S'often ber $l^antafie — unb ber l^immüfd^e 
gwnfe in feinem Snnem erlifd^t 3Ran barf alfo nid^t jugcben, 
ha% ber ©ottgefanbte fid^ ju irbifd^er Slrbeit l^erablä^t; fein ^anpt 
ift ein SSuIfan, öon njeld^em nur „l^armonifd^e Saüa" au^ftrömen 
fann, tpenn er in ber Sage ift, nad^ ^Belieben mü^ig ju gel^en.^ 



conde äme; conduit par eile comme par la destin^e. Caract^re 
vigoureux, triste, et profond^ment sensible. Ha'issant et aimant 
avec violence. Sauvage par nature, et civilis^ comme malgr^ lui par 
la cour et la politesse de son temps, 

^ 9Ran fel^e bie t^J)ifc^e (Einleitung ju „ßl^atterton": Demi^re nuit de . 
travail, du 29 au 30 juin 1834. 



400 ^if tomaitttfitje Sd)ttle in frankreiii). 



SBic bcr mobeme Sefer fielet, liegt bicfer Slnfd^auung cttoa§ 
3Bal^rc§, aber nod^ üiel mtf)v Überfpannteö ju (Srunbe. ®a§ 
^rarna, tüeld^e^ fid^ barauf aufbaut unb ©tröme t)ou 2^ränen ^cr^ 
üorgerufeu l^at, appelliert fo ftarf an^ 3RitIeib, ba^ e§ bie trogif^e 
aSJirfung üerfel^Ü. ®^ nimmt allju I^rifd^ 5ßartei für feinen gelben, 
ateba§ il^m jenes innere (Sleid^getoid^tinnettjol^nenfönnte, ol^ne toetd^e^ 
ein ®rama l^aüloö toirb. ßöatterton unb bie junge Quäferin, 
njeld^e er betDunbert, l^aben in biefem ©tüd allen geiftigen 3[bel, 
aQe ©eelengrö^e für fid^ allein gepad^tet; ringS um fie l^errf^t 
nu^ 5ßrofa, |)eräen§fälte, Slol^l^eit unb ®umml^eit. ®ie ^anbütng 
jeigt uns, toie ein fpirituaüftifd^eS ®enie t)on ber materialiftifd^cn 
Umgebung unterbriidft toirb; biefe SebenSauffaffung nffl^ert fi(| 
jener, lüeld^e mv in ®eutfd^Ianb bei SRoöaliS, in S)änemarf bei 
Slnberfen unb Sngemann finben; für 2)id^ter biefer 2lrt l^at ©oetl^e 
feinen „Jiaffo" öergebenS gefd^rieben. Unfre 3^it ift biefer ^nftlcr^ 
bramenmübe, ttjeld^e Del^Ienf d^Iäger in ®änemarf mit feinem „Sorreg= 
gio" einfül^rte, unb bie in ®eutfd^Ianb burd^ §oIteVS „ßorbeerbaum 
unb S3ettelftab" unb anbre äl^nlid^e ©d^aufpiele vertreten finb. SEBir 
fönnen nid^t mel^rmit ßl^atterton fül^Ien, tuenn er, bei: „gefd^affcn, 
in ben ©temen ben SBeg ju lefen, tvdä)tn ber ginger beS §crni 
uns jeigt," Heber ben Dpiumbed^er ergreift, als ba^ er eine unpoetif(^ 
©teßung einnäl^me, bie il^m 100 ^funb jäl^rßd^ einbringen ipurbe. 
2lud^ in biefem x^aüt ruft baS, tüaS t)or fünfjig Salären afle 
^erjen rül^rte, je|t ]^öd^ftenS ein Säd^eln ober ein Äd^fetjudEen 
]^ert)or. 

®er SRomantiSmuS tuar in feinem Sem ju I^rifd^, um bra- 
matifd^e SBerfe.üon bleibenbem SBert l^erüorjubringen. 

®aS jeigt fid^ üießeid^t am beutlid^ften, toenn man einen Slirf 
auf bie ©d^aufpiele t)on beffen größtem S^rifer toirft. SSictor 
§ugo'S ®ramen geben in mand^er SBejiel^ung eine 5ßarallele gu 
Del^Ienfd^IägerS Xragöbien» ©otDOl^I bei |)ugo, toie bei De^Icn^ 
fd^Iäger toerben bie (Seftalten nur im Umri§ gejeid^net @ö fc^Ü 



|la0 Drama: be l'tgni), i^ugo, |lonrarb. 401 

bcnfclben bei beibcn öieleS, um für ganje, tütrKid^c SRenfd^en* 
d^oraftere gelten ju fönnen; aber fte toerben getragen t)on einer 
mäd^tigen S^rif unb einem begeifterten ^ßatl^og» ®ett)i§ ftel^en bei 
^ugo bie 5ßerfonen bem realen Seben ettoaS näl^er, fotüeit Xl^aten, 
gleid^ ben in feinen' ®ramen bel^anbelten , in g^^^^^i^ ^^^ 
nid^t langer Stxt gefd^el^en tüaren, ^emani erinnert an bie i^vtu 
fd^arenfül^rcr, n^eld^e in ber SJenb^e ber @taat§orbnung Stro| 
Boten; ©ilbert, berftd^ jum ©d^affot melbet, um feine ©eliebte 
§u räd^en, tl^ut nid^t mel^r, ate mand^e§ t)on ben eblen Opfern ber 
©uillotine getl^an; unb toenn 9tu^ 99Ia§ öom' Safaien bi§ jum 
©taat^minifter emporfteigt, fo ift ber ©prung faum größer al§ 
ber, tüeld^en 3flouffeau au§ berfelben niebrigen Stellung jum 
berül^mten ©d^riftfteller mad^te, Slber ba§ aKeg ift nid^t t)on 
aSelang; benn §ugo'§ SSorüebe für ba§ Ueberfd^n)ängßd^e, ja Un^ 
gel^eure brängt aHe§ in ben §intergrunb , toa^ unö an 5ßarattefen 
au§ ber ' SBirfüd^feit erinnern fönnte. ®r bringt nur ju pufig 
Ungel^euerlid^feiten l^eröor, nield^e il^m felbft jtoar erl^aben, un§ 
Slnbem aber abfd^redfenb öorfommem ©eine Slnlage jur Itirifd^en 
@jaItation ttjar fo ftarf, t>a^ ba§, n)ag i^m afö gro§ galt, un^ al§ 
ungel^euer erfd^eint 

* ©eine Sluffaffung be^ menfd^Iid^en SBefen^ ift alfo aud^ in 
feinen ©d^aufpielen ooHftänbig Itirifd^; fte erinnert in aKem toefent=^ 
Itd^en an bie ^f^d^ologie feinet im übrigen fo öerfd^ieben an- 
gelegten Siiüalen, be§ 2^rifer§ Samartine» 3)er Unterfd^ieb ift nur 
ber: Samartine mit feinem unmittelbar l^armonifd^en SBefen fd^ilbert 
gerne eine öoßfommen reine unb lieblid^e 9latur, an njeld^e plöl- 
Itd^ 95erfud^ungen l^erantreten, benen fie einen 3lugenbltdf erliegt; 
aber biefe eine fd^toad^e ©tunbe fül^nt eine lange ßtH ber JReue unb 
95u§e (Socel^n, S^bar in „La Chute d'un ange"). $ugo l^ingegen 
fiel^anbeft in feinen Dramen mit 9JorIiebe bie SRenfd^enfeele, toeld^e, 
cnttoürbigt burd^ fd^Ied^te Seibenfd^aften, burd^ (SIenb unb 2)emü= 
tigungen aller 2lrt, burd^ Safter, Äned^tf d^aft , ®ebred^tid^!eit, 

©ranbe», Slttetatutge^t^. fccS 19. 3al&rl&. V. 26 



402 Sie tomantifdie Sd)ule in itankreii^. 

• 

bcnnod^ einen gunfen in ftd^ bewahrt f)at, ber bei gegebenem 
9lnla§ jum ®uten angef ad^t toirb, unb nietd^e atöbann, t)on beffcren 
JRegungen erfülHt, gegen bie fc^redCUd^e SSergangenl^eit, bie fie ab^ 
gefd^tooren, anfämpft. ®ie ©eelc ftrebt empor jn bem ©d^öncit, 
fie l^at fogar SSerftänbni^ für bie l^öc^fte ^^^rtJ^^i*^ ^^^ Slnmut, 
aber fie fül^It fic^ felbft untoürbig ber eblen ©efül^Ie, bie ftd^ in 
il^r regen; fie- lann fid^ nid^t anffd^toingen ju jenen unbefannten 
©efilben — erfd^öpft unb übertounben finft fie in il^rett frül^eren 
entttjürbigenben 3i^ft<^^^ jurüdE. 

@in paar Seifpiefe toerben bie§ bei ^ugö fonftante SSerl^ättni^ 
erneuen: Sriboulet (,Jje roi s'amuse") tourbe baburd^ terbcrbt, 
ba§ er teitö ben ®egenftanb, teil§ ba§ getoiffenlofe Drgan beö 
Spottet ab^äb. ®r liebt feine 2;od^ter mit reinfter üatertid^er Sp^' 
Ud^Ieit — ba n)irb fie il^m genommen, unb er faßt bem ^a% unb ber 
JRad^gier anl^eim. — aSarion („SWarion 2)eIorme") ift eine Sour^ 
tifane, bie fid^ l^unbertmal öerlauft l^at; fie n)irb öon Siebe gu 
einem fül^nen jungen 5Kann ergriffen, unb bie§ ©efül^I bringt eine 
tiefe Säuterung in il^r l^eröor. ®od^ ate man 2)ibier jum %obt 
verurteilt l^at, toirb fie in ber ©d^redEen^ftunbe bon neuem SWarion. 
@ie giebt . fid^ bem fRid^ter l^in, um ben beliebten ju retten, nic^ 
al^nenb, baj3 3)ibier' toeit lieber fterben mürbe, dfö fid^ auf biefe 
SSeife gerettet ju feigen. — Sucretia SSorgia ift in ©d^ulb gegeugt, 
unb l^at in lauter SSerbred^en gelebt. Slber biefe au^fd^ioeifenbc 
©iftmif d^erin l^at einen Sol^n, btn fie liebt; für einen fSüd t>on 
il^m ift fie bereit, il^r ganje§ vergangenem Seben auf jugeben. 3)oc^ 
man fränft fie töblid^, unb in il^rem 3ont greift fie ju bmi aßen 
SJJittel; fie labet il^re geinbe ein, reid^t il^nen ®ift unb tötet 
gegen il^ren SBißen ben eigenen @ol^n jugleid^ mit jenen. — Stu^ 
93ta§ l^at, burd^ Slrmut baju gegtoungen, bei einem ©beimann in 
©ienft treten muffen. ®ie Siebe einer Königin mad^t ben Safaicn 
jum SJJinifter. @r ift bem 5ßoften gettjad^fen, fü^rt gro^e, fd^önc 
$ßläne aum unb ift nal^e baran, ber Stetter feinet SSaterfanbel gu 



3Da0 Brama: be Uignt), Ijjttgo, Jlonfatb. 403 

»erben, ^oä) bie SSergangenl^eit erl^ebt fid^ gegen if)n, unb ba er 
feine |)offnungen jerfd^eöen fielet täd^t er fid^ ofö 2)er, ttjeld^er er 
gewefen. ®r öerttjeigert e§, fid^ mit feinem §errn in einen 3^ctfampf 
einjuloffen, entreißt il^m ben ®egen unb tötet ben SSel^rlofen bamit.^ 

(£§ ift, tt)ie man fielet, immer eine unb btefelbe Sluffaffung 
beg Siragifd^en, toeld^e l^ier ju ®runbe liegt. ®ie §auptfad^e in 
atten biefen Aromen ift für -^ugo ber 33orn be§ I^rifd^en ^ßotl^og, 
toefd^er quillt, foJalb bie emiebrigte SRenfd^enfeele t)on einer eblen 
Scibenfd^aft au^ bcm Sd^Iamm gejogen toirb, ber §t|mnu§ be§ 
®efü^fö, unter beffen klängen bie fd^ulbbelabene ©eele fid^ reinigt* 

^ugo l^at in einem feiner " berül^mteften ©ebid^te (Les Chante 
du Crepuscule XXXII) ein ©teid^ni^ öorgefül^rt , ba§ einem in* 
ben Sinn fommt, tpenn man fid^ in biefe Dramen öertieft. §od^ 
im Sird^turm, fagt er, l^ängt eine alte @todt; anfangt toax i^r 
SIRetaö Blanf unb rein; nur ba^ SBort (Sott ftanb barauf, mit 
einer S^rone barunter. ®od^ ber Xurm tpurbe öiel befud^t, unb 
jeber, ber erfi^ien, fragte — bi^r' eine mit einem ftumpfen 3Keffer, 
ber anbere mit einem roftigen SRagel — balb feinen profanen 
Slamen, balb rin gemeine^ SBort; balb eine ©umml^eit, .balb eine 
Sllbernl^eit in bag (Srj ber ©lodfe. ©taub unb ©pinngettjebe ht^ 
beden fie nun, ber 9fioft l^at fi(^ befubelnb vmb jerftörenb in bie 
Stilen gelegt. Slber toa^ tl^ut ba§ ber ©lod^e! ©elbft ujenn aQe^ 
fd^Iäft, burd^g Sunfel. ber 5>iad^t feuf jt bie ©lodfe, ttjie ber SSußan 
aüjeit -raud^t; ein Kagenbeö ©ebet finbet ben SBeg burd^ ba§ ®rj. 
— Slud^ in meine Seele, f (^liefet er, bk t)on Slnfang an nur ba^ 
©epröge il^re^ ebfen Urfprunge^ trug, l^aben ftüd^tige ®äfte,. bie 
ßeibenjd^aften , profane SRamen eingerifet unb faft ben göttüd^en 
Stempel üern^ifd^t. Slber ba^ ti)nt meiner Seele fo ujenig, tpie e§ 
ber ©lodEe fd^abet. SBenn fie in Sd^ujingung fommt, toenn eine 
uttftd^tbare §anb fie berül^rt unb il^r befiel^It: Singe, bann tönt 



* ^Jergleic^e 3Jlabame be ©irarbin: Lettres parisienbes. II. p. 31. 

26* 



404 Die romantifdie 3d|ttie in fcanktei4). 



plö|lid^ au§ be^ @rje§ bebcnbcm Snncrn burd^ bic Beffccfte Dber* 
ftäc^c bcr mäd^tigc, ergreif cnbc Solang ber ^^mne — unb ©taub, 
Sioft, 9?arben, Sllleö mu§ mttftingen in ber großen Harmonie. 

Dbgleid^ §ugo l^ier nur ben ä^tf^nb feiner eigenen 3)ic^tcr^ 
feefe fd^ilbem tnoHte, toenn fie fang, 'l^at er mel^r getl^an; er |al 
in einem ©innbilb treffenb bie S^rif illuftriert, nielc^c ben unglüct^ 
lid^en, fc^uIbüoHen Oeiftem entftröntt, bie feinen Dramen Sntereffe 
öerleil^en. 

S)o(^ überftrömenbe S^ril unb öoKtönenbe^ 5ßatl^o§ ftnb feine 
auSreid^enben SIemente jur Sluffül^rung eines bramatifd^en Sauc§. 
S)iefer erforbert ein tiefet gunbament bon SSemunft unb üon ®Iei(^^ 
ma^ ber ©eefe, ober in ©rmangelung beffen boc^ n)enigften§ eine 
©runbmauer Don gefunbem SSerftanb unb fidlerem (Sefc^madE. 

®ieg aber fel^Ite §ugo, unb untoilllärüd^ traten feine -SKöngel 
aU Dramatifer im Saufe ber 3al^re immer mel^r l^eröor. @^ ging 
il^m toie fo üielen anberen Äünftlem: toaS t)on ?lnfang an @tü 
bei il^m n)ar, tourbe nad^ unb nad^ jur 3Kanier* 95alb toar er auf 
bem SBege, gleid^fam nur fein eigner befter ©d^üler ju »erben; 
unb er mbüt afe 2]^eaterbid^ter bamit, eine ©elbftparobie ju liefern 
— bie ftärffte unb gefäl^rfid^fte 2trt bon 5ßarobie, bie e^ gtcbt. 

Der ©inn für ÄJomil ging il^m ftet§ ab; er toar immer gc* 
neigt, in bem ÄJoIoffalen ba§ ©rl^bene ju feigen. 3n einem ®rabe 
tüie nie juüor gab er fid^ biefer ©igentümlid^feit l^in, afö er ,Jie& 
Burgraves" fd^rieb. ©d^on beim Durd^Iefen be§ ^ßerfonenöex^eid^ 
niffeS mufe man läd^ern: Sob, SBurggraf t)on §eppenl^eff, lOO^a^re 
alt 3Äagnug, beffen ©ol^n, 80 3al^re alt §atto, äRagnug' ©o^n, 
60 Sa^re alt ®orIoi§, ^atto'§ ©o^n, 30 Sa^re alt 3ci^ ent* 
finne mid^ einer gleid^jeitigen ^ßarifer Sarifatur ber Burggrafen, 
toorauf man fie fämtlid^, bom ®ro§t)ater bi§ l^erab jum Urcnfel 
in einer Sieil^e bargeftellt fielet, in gleid^mäfeig abnel^menber ©roge 
unb mit gleid^mä^ig fpärüd^er nierbenbem 95art» 

Der J^unbertjäl^rige Burggraf ift ber rül^rigfte öon il^nen äffen: er 



Ba0 Dtama: be Di0nt); l^ugo^ |lon[arb. 405 

repräfentiert bie gute alte Stil aSJenn er feinen SOjäl^rtgen ©ol^n on* 
fprid^t, fagt er: ,,3unger 3Äenfd^!" unb §ugo läd^elt babei nid^t 
Slöc biefe alten Ferren beMamieren um bie SBette mit einem Settier 
t)on 92 Salären, ber, toie ftd^ l^erau^ftedt, fein geringerer ift atö g^eb- 
ric^ S3arbaroffa, toddftx 20 Saläre l^inburd^ üor ber SBelt verborgen 
lebte, aber an bem-äfteften ^Burggrafen, ber ate Jüngling feinem 
Sebcn nad^geftellt, Siad^e nel^men tt)iE ®g toimmeft öon Umtjal^r* 
fd^etnüd^feiten unb Slbfurbitäten. Um eine SBiebererfennunggfjene 
l^erbeijufül^ren, läfet |)ugo j. 99. einen Sieger in ber ©d^Iad^t mit 
einem glül^enbem ©ifen fämpfen; er brüdft bamit feinem ®egner, ben 
er im 3)unfel nur unbeutfid^ erbliden fann, ein S3ranbmal auf, 
um btn fo (äejeid^neten bei (Selegenl^eit n)ieber ju erlennen. 

2lfö biefe gigantifd^e 3Ri§geburt einer überfpannten ^ßl^antafie 
hn 3al^re 1843 auf bie S3ül^ne fam,.mad^te fie giagfo. ®Ieid^ bei 
ber erften ?lupl^rung begann man, tnäl^renb be^ Spielet jU pfeifen. 
(Siner t)on §ugo'§ betreuen eiöe ju il^m 'unb teilte il^m bag ®e* 
fc^el^ene mit $ugo, gleid^ SRopoIeon getDol^nt, ftet^ auf feine ®arbe 
bauen ju fönnen, antwortete ujie geujöl^nlid^: ,,@d^afft nur einige 
junge Seute l^erbei." ®ö UJirb erjäl^It, ba§ ber Slnbere üerjagt unb 
gefenften 95Kdeö anttoortete : „(S^ giebt feine jungen Seute mel^r/* 
®ie Generation, an ipetd^e ier JRomanti^mu^ breijel^n Saläre frül^er 
oppeßiert l^atte, »ar nic^t mel^r jung, unb, toa^ fd^Iimmer, ftetoar 
aufgebrandet; mel^r aU einer t)on il^ren ^id^tem l^atte ju gro^e 
aSäed^fel auf fte gebogen. 

®ie aüeaftion toax unöermeiblid^, nnb nod^ in bemfelben Saläre 
trat fie ein. ©ie.fanb il^ren ©id^ter unb fte fanb il^re 3Rufe. 

®in -junger, unbefannter, grunbbraber aSann, nid^t mit ftarfer 
^j^antafie begabt, aber au^geftattet mit ©eelenabel, ©ruft, Qaxt^ 
gefül^l unb ©efd^mad^, reifte t)on ber ^ßroöinjialftabt, too er aufge= 
toad^fen toar, nad^ 5ßarig, ein SKanuffript in ber Xafi^e, ©ein 
S^ame tt)ar gran^oi^ 5ßonfarb unb ber Xitel beg üRanufcripteö 
,^ucräce". ®§ toar eine 2!ragöbie, bereu Stoff bem SKtertum ent^ 



406 )Dte tomaitttfdie Jd^itle itt fxanktti^. 



nontmcn toav, c^ xoax bic alte Sage öon Sucrctiag ^cufd^l^ett unb 
%ob. 5)cr ©til toax nüchtern unb ftrcng; er erinnerte an benienigen 
Siacine'^. 9Ran toax ber ®iftton ber Siomantif mübe. SBcnn $ugo 
fd^rieb: ,,5)ie Söne riefelten auö ber Drgel n)ie ba^ SBaffer au« 
einem ©d^tnamm", ober „^a^ Stafeltud^ njar ba§ Seid^enlafen bes 
bleid^n ^mmer^" ober „^a^ alte SBeib ging mit gebeugtem unb 
langfamem JRücfen", fo l^atte barüber mand^er r ulkige SBfirger fd|on 
längft baS §au|)t gefd^üttelt. . Slber eg n^ar nun etnmal fein eBen= 
bärtiger SRiüal auf bem ?ßla^e. |)ier fanb fid^ einer. Auf ben 
erften Slirf erfd^ien ?ßonfarb§ (Stüd toic eine gortfe^ung ber aßen 
Kaffifd^en 2;ragöbie. 3n ber erften Segeifterung fal^ man nid^ 
fogleid^, n)ie jnobem biefer antife @toff bel^anbclt war, loie öie( 
?ßonfarb t)on ben 5Romanti!em gelernt l^atte, toie tief er ^ugo 
Verpflichtet toax für ba§ niarme Kolorit feinet ®rama§, unb mie 
fd^njad^ bie Driginaütät be§ neu ©rfd^einenben in SBirfUd^feit toar. 

3Kan merfte nur, 8ie^ ®rama toar gefunb unb einfad^* 9Ran 
^a% ba§ toar Sufretia — nid^t ^ugo'^ fd^redEIid^e Sufretta, jencg Un= 
gel^euer öon 93Iutburft unb Sinnlid^feit, nein, l^ier erfd^ien bit aiu 
römifd^c Sufretia, t>a^ ©^mbot ber Äeufd^l^eit unb ber tueiblid^en 
SReinl^eit. @ie toar bie ^oefie ber ©l^e, ber gamilie, ber §dug(i^* 
feit, toie ?lnton^ unb feine ©eifte^tjertoanbten bie äRpral ber %inih 
linge vmi) bie brutale S33ilbl^eit tjertraten. Sitten, toa^ in granfreic^ 
flaffifd^ unb fatl^olifd^ toar, 3eber, ber in ber ©c^toeij eine pro* 
teftantifd^^gläubige geber fül^ren fonnte, fang Sobpf atmen, ©eftft 
ber fritifd^e SSinet ftimmte mit tin in ba^ gro^e ^aUeluja. ®r 
gerieft in ©fftafe über 5ßonfarb'« ©til: „tiefer ©id^ter fpinnt (Soft 
toie feine Sufretia bie S33olle" u. f. to. 

Slm 7. aWärj 1843 toaren bie Burggrafen burd^gefaßen, am 
22. 2lpril be^fetben Sal^re^ tourbe „Lucrece" unter ftürmifd^em SBcif aD 
juni erften üRale aufgeful^rt. ©o enge l^at bie ©efd^id^te bie fjenift^e 
5Rieberlage be§ 3flomanti^mu§ unb ben furätoäl^renben Sriumpl^ t)on 
„L'Ecole du bon sens" jufammengefoppelt. ®er el^rtid^e ^onfarb 



Ba0 Dtanta: be Vi^m^, Ijugo^ |lonfatb. 407 

I " n ■ 

mujste \id) einbilbcn, tucnn er feinen Stitifem glaubte, Sanin unb 
ben Slnberen — nur %i)iopf)xk ©autier unb %f)iopf)xk ®onbe^ 
^^roteftierten — fein Sfbif)m ftel^e nun f eft begrünbet für alle Q^ittn, 

9Rit il^rem S)i(^ter l^attc bie Kafftfd^e SReaftion aud^ il^re 
S)arfteD[erin gefunben* Snt 3al^re 1838 bebütierte im Theätre 
fraii9ais ein junget, ganj ungebilbete§ Äinb> ein 3ubenmäbd^eri, 
tüctd^eS auf ben ©trafen unb in ben ßaf^g gu feiner |)arfe ge* 
fungen l^atte — unb in. biefem geringen SWäbd^en ' lebte bie SJhxfe. 

Sftaä)d betrat bie 93ül^ne» SBalb ergab e§ fid^, ba§ biefe^ junge 
tl^eatratifc^e (Senie, bag größte, toeld^e^ granfreid^ je gefeiten, eine 
cntfd^iebene Slntipatl^ie gegen bie 3flotten ber romantifd^en Dramen 
l^atte. ®a§ alte> ttaffifc^e 3flepertoire bagegen fa^tc ^acijd mit 
fold^er Seibenfd^aft unb fold^em @mft auf, ba^ fie — toa^ 9lie= 
manb für möglid^ gel^alten ptte — jenen alten Xragöbien il^re 
Slnjiel^unggfraft n)ieber gab, eben ben Xragöbien, tneld^e bie rontan= 
tifd^e Sd^ule mit ©pott unb |)ol^n bom Xl^eater Vertrieben l^atte. 
SSa^ l^atf e§, ba§ ® autier bie |)änbe rang! Spl^igenia, äÄerope, 

• 

©mitia, ©l^imene, ^ßl^äbra njurbcn t)on neuem in ©jene gefegt, unb 
burd^ SRad^el mit fold^em Slbel unb fold^er aSal^rl^eit auSgefd^müdft, 
ba§ ba§ leidet bemeglid^e. ^ßubtüum biänjeüen t)on einer ttjal^ren 
S33ut gegen biejenigen ergriffen njurbe, tneld^e gefoagt l^atten, fid^ 
ü6er bieö 9lationaIl^eifigtum fpöttifd^ ju äußern, Sifie Station freut 
fid^ immer, 'n)enn fie inne n^irb, ba§ fie nid^t mit Unrecht einjpaar 
Sa^rl^unberte l^inburi^ ju il^ren berül^mten aßännem unb bereu 
9Ber!en t)oII ©tolj cmporgefel^en. 

9tad^el l^attejuerft bie'Siitelrotte t)on „Lucrece" jurüdfgeujiefen, 
obttjol^l biefelbe für fie gefd^rieben ujar. 21I§ aber ia^ ©tüd im 
Db^on ®Iüd^ gemad^t, üb^rnal^m fie biefetbe bod^, (Sin Slugenjeuge 
l^at mir bie Stimmung, n)e(d^e im Sl^eater l^errfd^te, ate fRad^el 
jum erften 3ÄaIe bie Sucretia fpiette, mit folgenben SBorten gefd^it 
bert: „Sitten. faj3 in atemlofer ©rtpartung,. aU ber SSorl^ang auf= 
gelten foHte* ®r ^ob fid^ — unb tüir fallen Slad^el atö Sufretia 



408 ^it tomanürdje 3d)ttle in itankxti^. 



am 9iodcn mitten unter il^ren SKögben ft^en. ©d^on öorljer mx 
e« ftiH gen)efen; aber afö fte nun ba§ ^aupt crl^ob unb bie Si<)pcn 
öffnete, um bie erften SBorte an il^re ©Kabin ju rid^ten: L^ve-toi, 
Laodice! I^errfd^te eine fotd^e Stille, ba§ toxx bie grud^tJ^änblerinitcn 
brausen auf bem SKarfte il^re ?lpfelfinen feilbieten l^örten." 

3n ber Segeifterung für SRad^el überfal^ man, ba^ bie Maf^ 
ftfc^e gormel nid^t baburd^ n)ieber lebenbig tourbe, bafe ein öercin^ 
jelteg ©enie eine 3^tt^o^9 genialen SJBerfen an^ ber SJorjeit neucä 
Sebcn einl^aud^te; in ber greube über 5ßonfarb mangelte bem 
5ßublifum ber 33fid bafür, n)ie öorübergel^enb beffen %xm!f\^ 
fein mu^te, L'Ecole du bou sens enönideüe fid^ , toie f d^on bie 
Benennung toamenb anbeutet,, niemals ju einer feben^fräftigen 
poetifd^en ©d^ule. ^onfarb felbft n^ar ein Xalent jn^eiten Slange^; 
unb fein begabter Slad^folger ©mite 9[ugier, ber il^m feine $ßoeficen 
jueignete, unb beffen 3ugenbbramen in öertoanbtem ®eifte geschrieben 
finb, berlie^ mit ben Salären jenen nüd^temen @tiL^ $ot bie 
©d^ule hti fo .rül^mlid^em ©treben aud^ bie l^öj^nifd^en Singriffe nit^t 
öcrbient, ju bereu ®egenftanb fie feiten^ einiger unt)erfö]^nfi(|er 
jüngerer Slomantifer ujie SSacquftie unb Zi)ioboxt be 93anöiIIe ge^ . 
mad^t ujurbe, fo ift bod^ il^re Sebcutung eiujig bie, ba§ fie ben ^ä^ 
punft bejeid^net, too ba^ romantifd^e 2)rama fid^ felbft überlebt ^attc. 



* Slugier« „©abriette" ift tool^I ba§ fd^önfte @(]^aufj)iel, ba^ U^cole du 
bon sens l^eröorgebrod^t. ©eine 3)ramen „La Jeunesse" unb „La Pierre 
de touche" finb augenfd^einUd^ bur(% ^onfarb§ „L'honneur et Targent" ^' 
üorgerufen. 



XXXIV. 

* • 

3Ran fann bie Slrbcit, toeld^e öon einer großen litterarifd^en 

< 

©d^ulc — mic e^ bie rontantifd^e in granfretd^ toar — öodbrad^t 
toixb, mit bem Slufbau einer gangen ©tabt öergleid^en; nur baß bie 
Sitteratur auf .einen ®runb baut, ber bloß burd^ fd^toad^e, lodere 
©anrate gegen bie glut ber 9Jergeffenl^eit gefd^ü^t ift S3alb genjal^rt 
man, ))a^ SJBaffer in ben ®runb eingebrungen; aHmäl^lid^ fteigt 
e^ l^öl^er unb l^öl^er; jule^t berfd^n^inben aöe niebrigeren ©ebäube, 
unb nur bie l^öd^ftcn 3Ronumente ragen nod^ fid^tbar über bem 
SBafferfpiegel be^ Setl^eftromeg entpor/ 

SBaö biefen l^öd^ften litterarifc^en ®enfmälern il^re fcfte |)altung 
öerleil^t, ift teife bie Xiefe be§ gunbaments t)on 3been, toelc^e^ 
fie trägt, teite bie genaue Übereinftimmung jtoifd^en einer t)oH== 
fommenen Sunftform unb ber Sbee; bod^ in fester Snftanj i^anbeft 
e^ ftd^ barum, ba^ ber 3)id^ter ben)ußt ober unbewußt, üott unb 
ganj öon bem ©eifte feiner 3^^ burd^brungen gettjefen; bettn ber 
®eift ift eg, ber lebenbig mad^t unb t)or bem Untergang betoal^rt« 
3Ran fann in g^anfreid^ brei ^auptrid^tungen be§ Siomanti^mu^ 
verfolgen: 

2)a§ Söeftreben nad^ ' treuer ® arftettung be§ SBirf lid^en, gleid^^ 
öiel ob bie Xreue bie l^iftorifd^e SSergangenl^eit ober t>a^ moberne 
Seben betraf, b. i), btxi 2!rieb nad^ SSal^rl^eit, 

ba§ Streben nac^ bodenbeter gorm, einerlei ob biefelbe alg 
ba^ Paftifd^e unb SRalerif^e im Slu^brud^, afe ftreng metrif^e 



410 )Dit romantifä)e B^nit in irankreiit). 



^amtonic ober ate fnappc ®infad^l^eit einc^ unöcrgänglic^en 
?ßrofafttfö aufgefaßt tourbc, b. f). bic Siebe jum ©d^önen, 

enblid^ bic refomtatorifd^e 93egeifterung für gro^e reUgiöje 
ober politifd^e 3been, ba^ etl^ifd^e Streben tnnerl^alb ber Äunft, 
b. 1^. ben @inn für ba^ Oute. 

* 

3)iefe »brei (Srunbrid^tungen beftimmten baö SBJefen biefer 
lebengüoüen, funftreic^en ©d^ule, n)ie bie brei ®imcnfionen ben 
JRaum bcftiimnen; unb biefe üerfd^iebenen SBeftrebungen, jebe in 
il^rer 2lrt, l^aben in jener Qdt SBerfe Joon l^ol^em unb bteibenbera 
SBerte J^erborgebrad^t 

@ie befi^en iebod^ nid^t a.öe in gleid^em ©rabe bie ®a6e, 
bie ©rinnerung an bie Sd^öpfer berfelben lebenbig ju erl^aüen. 
@g jäl^Ien ja aKe fünfte SEßerfe auf, nietd^e bie (Erinnerung an 
il^ren Url^eber überleben, n^eil ba^ SBerf-tro^ feiner SJoHfonnnen^ 
l^eit feine ©^ntpatl^ie für ben ju ertoed^en Derntag, bem c^ feine 
(Sntftel^ung üerbanft; unb umgefel^rt giebt e§ aud^ ©d^riftfteller, 
bereu 5ßerfönlid^feit lebenbig t)or ber SRad^toett baftel^t unb beren 
man mit ® auf barfeit unb SBettJunberung gebenft, felbft toenn bic 
meiften il^rer SBerfe fd^on in SSergeffenl^eit geraten finb. 

S)ie romantifd^e ©d^ule weift ©eifter unb SBerfe öon beiben 
Slrten auf. @ie l^at ©d^riftfteßer wie SBalgac, SR^rimte unb ©auticr, 
bie eine natürlid^e ober fünftlid^e ©efül^fölofigfeit gegenüber bem 
fojialen unb politifd^en ©treben be^ ^^ito^erS an ben Sag legten, 
unb fie befi|t ®id^ter, bie mit tiefer 85etoegung unb inniger Seil^ 
nal^me ben SSerfuc^en jufal^en , toeld^e bie B^^ft^^f* i^^^ SSatcr* 
lanbeö n)ie bie ber gangen SKenfd^l^eit reformieren unb organifieren 
tüoßten. 2)ie 5ßoefie l^at |a jttjei ®runbformen. ©ie l^at ent^ 
toeber ben Sl^arafter einer auf pftid^otogifd^er gorfd^ung berul^enben 
Safftellung — in biefer ®eftalt näl^ert fie fid^ ber SBiffenfd^aft — 
ober fie l^at ba§ Gepräge einer SSerfünbiguiig , einer bcgeifterten 
SiWitteilung — unb in biefer gorm nöi^ert fie fid^ ber SReligion. 
®§ gab im ®ef(^Ied^te t)on 1830 eine gange ©ruppe t)on'@eiftem, 



DU T<)^i(tlpolitif4)e Sbeenbetoegung unb Ut |)oefte. 411 



ttjcld^c bie 5ßocftc in festerer SBcife auffaßten. SJian l^at il^nen 
Unrcd^t gctl^an, n^enn man il^re 5ßrobufte mit bcm 9iamcn Xcnbcnj- 
pot^k l^crabfc^te. • 2)enn loaS man J^icr atö S^enbenj tjcrbammte, 
ift ntd^tö anbetet, afe ber ®ei[t beS 3al^rl^unbert§, bcffen 3becn; 
nnb biefc finb auf .bie Sänge bäg Sebcn^blut jjebcr tüal^ren.^ßoefie. 
SBa§ man im eigenen Sntereffe ber ^oefie f orbern mu§, ift nur, 
ha^ bk Slbem, in benen biefeg Seben^blut roßt, unb bie man 
gerne bläulid^ burd^ bie §aut fd^immcrn fielet, nid^t angefd^tooKen 
ober bunfel l^eröortreten, tt)ie bei einem Sommtitigen ober hänfen, 
©d^on im Saufe ber breifeiger 3al^re bred^en öon aßen Seiten 
reformatorifd^e Sbeen über bie romantifd^e ©d^ule l^erein. ®el^t 
man bi^ ju il^rer Queue jurüdE, fo fann man nid^t frül^er ftel^en 
bfeiben, atö bei @aint^©imon, 3n®raf @aint*@imon (geb. 1760) 
— ber (Snf et unb einjigc Slbfömmüng be§ berül^mten §erjog§ gleid^en 
9lamen§, toeld^er gel^either ®efd&id^tfd^reib^r be§ §ofe§ unter Sub* 
toig Xrv. ^Regierung toar — l^atte g^anfreid^, baö ber ^auftf 
bid^tung fo nienig 3ntereffc loibmete, im ad^tjel^nten . Sal^rl^unbert 
einen »irflid^en gauft l^eröorgebrad^t, einen' gauft bon unrul^iger 
©enialität, mit.bem un^iberftel^üd^en S?crlang.en , bag Uniöerfum 
tl^eoretifd^ unb l^raftifd^ fennen ju lernen. (£r ift weniger Har 
unb rationell' ate ber §etb in ®oetl^e'§ berül^mter ®id^tung, aber 
fein SBIidE ift loeitcr, fein 3^^^ gtöfeer unb -fein Streben l^öl^erer 
SRatur. @r beginnt feine Saufbal^n fo, wie gauft bicfelbe befd^Iic^t 
©eine 5ßlänc — ein 2)urd^brud^ ber Sanbengc öon 5ßanama, eine 
grojsartige Äanalanlage in ©:panien — erinnern an bie SBirffam* 
feit, mit toeld^er gauft fein fieben enbigt ©aint=©imon toar nad^== 
einanber Dffijier, SBeltmann, Ingenieur, ^ßrojef tenmad^cr , $l^iIo* 
fopl^, ©elel^rter, 9lationatö!onom, jule^t 9leIigion§ftifter — ein l^od^:= 
begabter ^ßol^l^iftor mit etlid^en QüQtn eines UniöerfalgenieS, @r 
brad^te in ber 3ugenb fein SSermögen burd^, ba i^m bie Jitel 
unb SRed^tc eines ?ßairS öon i^xanttdä). unb eines ©rauben tjon 
©panien famt einer ©unnne t)on 500 000 grancS als . ®rbe ge^ 



412 Die romantifibe ^d^^le !n /tankteid). 

« 

fici^ert fc^icnen. Slbcr fein SSatcr fibertoarf ftd^ mit bcm ^crgog öon 
@aint*@imon unb au^ bcr ©rbfci^aft tourbcmd^tö. S5er ©ol^tt üerfanf 
in bic tief ftc. Slrmut, arbeitete afö Sopift im Seil^l^aug täglid^ neun 
©tuttben für ein Sol^re^gel^aft öon 1000 grancö unb toor im 
3a^re 1812 genötigt, öon SBaffer unb Orot ju leben. @tne§ 2;age§ 
mad^te er in SSerjtoeiftung einen ©elbftmorböerfud^. @r fd^ofe fid^ 
ein 3luge au^, tourbe aber wieber l^ergefteßt. Sogar ber ©elbft* 
morböerfuc^ ift ein fauftifc^er 3^9» 

@g fammeften ftc^ ©d^ülcr um il^n, bei benen er llnterftü|ung 
fanb. Sie nal^men feine Seigren mit S3egierbe auf unb grfinbeten 
eine 3^itf ^i^if^ ^od^ ber anbercn, um feine 3been ju öerbreiten. 

Stfö er fünf 3al^re bor ber 3uüreöoIution ftarb, toaren biefe 
3been nur öon einem Keinen Äreiö gefannt unb fultiöiert. 3)oc§ 
unter ber ^Regierung ßubniig 5ßl^ili<):p^ verbreiteten fie fid^ immer 
mel^r, toäl^renb fie jugleid^ in mand^er §infid^t eine UmgeftaÖung 
erful^ren. @g formte fid^ bardu^ bie Seigre einer @efte; toeld^e fic^ 
mit einem ^ol^en|)riefter an ber ©pi^e gebilbet l^atte, eine ©eöe, 
welche bie l^ertjorragettbften SRänncr ouS aßen gäd^em ju il^rcn 
Slnl^ängem iäfßt, ginanjmönner toie 3faac ^ß^reire, Äomponiften 
tt)ie g^ticicn S)abib. @o fam eS, ba§ bie @aittt^@imoniftifd^en 
3been überaß burd^brangen: SKid^el (Sl^ebaüer nal^m fie ate @Ie^ 
mente in feine 9lationatö!onomie auf; granfreid^ö größter §ifto* 
rifer in bamaliger Qtitf Sluguftin S^l^ierr^, fül^Ite fid^ burd^ bie^ 
felben infpiriert; ber bebeutenbfte franjöfifd^e Genfer in biefem 
3at|r]^unbert , Slugufte ßomte, fd^öpfte feine ©runbgebanfen ouS 
il^nen; fie fanben enblid^ bielfad^ mobifigiert in 5ßierre Serouf unb 
fiamennai^ einflufereid^e pl^ilofopl^ifd^e unb religiöfe Slpoftel, unb 
gleid^jeitig beeinflujsten fie bie 5ßoefie. Sin unb für fid^ loar bie§ 
!ein SBunber; l^atte bod^ Saint = Simon tro^ aßen feinen ©d^toär* 
mereien tttoa^ öon bem ©el^erblidE großer 2)id^ter. 

@r toar feiner Qtit . tjorau^ ; benn fein 3beenleben ift eine« 
ber Symptome ber großen SReaftion gegen ba^ ad^tgel^nte ^a^x^ 



Die fo^iäl|iolitif4)e J^eenbetoegung uttb bte ^oefte. 413 

l^unbcrt, todä)^^ er ,aU einen nur fritifd^en, auflöfenben ^^^t^^i^^ 
Betrad^tete, toäl^renb er ba^ neunjel^nte Sal^rl^unbert eine orgdnifd^e 
pofitiö l^eröorbringenbe ©pod^e nannte. (£r toanbte fid^ eBenfo un=^ 
Bebingt gegen btejenigen, tocld^e fti^ einbilbeten, ba§ ®IüdE ber 
SRenfd^l^eit ßejge fii^ burd^ eine blofee Umänberung ber ©taatöform 
fidlem, loie aud^ gegen jene, nield^e, tüte bic fird^üd^e Partei, bie 
SSergangenl^eit öerteibigten, um biefclbe jurüdfjurufen. @r toax nid^t 
ber SBortfül^rer ber SSergangenl^eit , fonbern ber ^i^toft; unb in 
ben S3eftrebungen ber SReaftion glomm für il^n nur ber eine gunfe 
t)on SQSal^rj^eit: bajs bie SRenfi^l^eit nid^t burd^ blofee SSerftanbe§== 
begriffe ciöilifiert »erben fönne, fonbern ha'^ e^ baju ber Sleligion. 
bcbürfe; atterbingö einer fold^en, toeli^c bie alten Überlieferungen, 
ba^ Stu^erlid^e ber ^Religionen auögefi^ieben l^atte. S5a il^m in 
feinem SReformeifer nid^t bamit gebient toar, nur §albe§ ju er^ 
ringen, fo bebeutete bie negative greil^eit, bie blofee ^Befreiung öon 
§inbemben @(^ran!en, il^m nur'toenig, toenn fte nii^t burd^ bie 
toal^rc greil^eit, bag l^eifet ein immer gröfeere^ unb reii^ereS pofi^ 
tiöcg Äönnen, tjeröottftänbigt tourbe* 2)ie festen fritifd^en ^a^x^ 
l^unberte loaren bamit Vorangegangen, bie tl^eolratifi^en unb mili= 
tärifd^en ©^fteme be^ 3KitteIaIter§ umjuftüräen; nun galt e§, bag 
niiffenfd^aftlid^e unb inbuftrieHe Softem auf jubauen. S)ie S3eftim^ 
mung bjer SBiffenfd^aft loar eg, ben ?ßla| bH ®Iauben§ einju^ 
nel^mcn , bie 3luf gäbe ber Snbuftric , an ©teHc be§ Äriegcg ju 
treten, 

Vorläufig l^anbelte e^ fid^ barum , bic SBiffeufd^aft unb bie 
3nbuftrie ju ,,qrganifieren". 

S5ejügü(^ be§ erfteren ^ßunfteö fann man in @aint==@imon'§ 
„Sriefe öon einem Genfer SBürger" fein ^ßrojeft nai^Iefen , ba§ 
bar in beftel^t, an 5Rett)ton'g ®rab eine ©ubffription ju eröffnen, jum 
SBeften ber l^ertjorragenbften ©elel^rtcn unb Sünftler, öcrmittctö bereu 
fie ol^ne 9ia]^rung§forgen au§fd^IieJ3Üd^ in il^rem gad^e tl^ätig fein 
fönnten unb reid^Iid^cn Sol^n für il^re Slrbeit erl^ieften — ein 5ßro== 



414 Die romantifdje idittU in frankteiib. 



j|e!t, ba^ bcr SSerfaffer bt^ „Gl^atterton" fidler mit 95egeiftcrung 
aufgenommen f)at, toofcm er eg gdefen. SKel^r SBenrunberung 
bürfte eö bei il^m erregt l^aben, toenn man xf)m fagte, bctfe jum 
(Sntgclt biefe ®enie§ bie SSertt)aItung| be^ geiftigen S3ebarfeg ber 
SKenfcl^l^eit nad^ einem beftimmt betaillierten SRefomtpIan über* 
nel^men foßten. 

^inftd^tlic^ ber Drganifation ber Snbuftrie ift.©aint*@tmon'§ 
„^ßarabel" ein l^od^ intereffante§ -Slftenftüd 'S5a bie ^orabel 
ttjal^rfd^cinlid^ unter feinen ©d^riften bie einzige ift, beld^e man in 
ßufunft nod^ tefen niirb, weil fie au^nal^mötoeife in furjem, 
. bünbigen ©til gef d^rieben ift unb überbieg ein SBife barin aufbükt, 
ber fid^ fonft nirgenbg bei ®oint*@imon finbet, gebe id^ fie in 
gebröngter gorm'l^ier toieber* 

©efe^t, fagt er, granfreid^ öerlöre t)on feinen .^ßl^^fifem, 
$l^5fiotogen, 2)id^tem, SRalern; 9Ked^anifem, Strjten u- f. to. bie 
50 erften jeben gad^g, im ®anjen 3000 feiner erften ©elel^rten, 
Äünftler/ ^anbioerfer — toa^ bann? 

S5a biefe SKänner roef entlid§ bie probultiöen ^äfte be§ Sanbeg 
finb, bie S3tüte beö franjöfifi^enSSoneg barftetten, fo toürbe eg minbe* 
ftenS einer ganjen ©eneration bebürf en, um bie golgen biefeS UnglüdE» 
gut }u mad^en. 2)enn fold^e SKenfd^cn, beren SBirffamfeit pofitiöen 
9iu§en bringt, finbSlu^nal^men, unb bie SRatur .ift mit Stu^nal^men 
ni(^t öerfd^toenberifd^. 

Stellen tvix ben gaU anber^: angenommen, g^anfreid^ bel^ält 
alle feine genialen äWänner ber SBiffenfd^aft, ^nft, 3nbuftrie unb 
be§ ^anbtoerfe, l^at aber ba^ UnglüdE, ©eine S^öniglid^e ^ol^eit, 
ben ©ruber be^ Äönigg, femer 3§re Söniglid^en ^ol^eiten bie 
§erjöge k)on S3err^, öon £)vUanß unb öon öourbon, bk ^erjogin 
i)on Slngouleme, bie ^erjogin öon SSourbon unb bie junge ©erjogin 
öon Sonb^ ju Verlieren. ®Ieid^ jeitig vertiert ba^ Sanb alle bie 
^öd^ften SJÖürbenträger ber Ärone, alle @taat§minifter,^ammer^ 
l^erren, Sagbjunfer, SJiarfd^äHe, Äarbinäle, ©räbifd^öfe, Sif^öfe, 



Die fo}iai|iolitif(t)e Sbeenberaegung unb bie |)oe|u. 415 

®ro§^SStfare unb 2)ombcd^antcn, aUe 5ßräfeften unb Untcrpräfeften, 
alle 9li(^ter unb überbieg 10000 ®ut§bcfi|er, bie ein großes §auS 
füllten. 

Sin fold^eä @reigni§ möd^te getoife bie granjofen tief betrüben, 
njeil fie gutl^erjig [inb unb ba^ SSerfi^toinben einer f o großen 
Slnjal^I il^rer SKitbürger feine^tüegg mit ®leid^gültig!eit anfeilen 
loürben. Slber biefer.aSerluft t)on nid^t toeniger afö 30000 Snbi* 
öibuen, n^eld^e afe bie erften im ©taale gelten, ftiürbe fie bod^ 
nur au^ rein fentimentalen ©rünbcn befümmem, S5enn für ben 
©taat afe Staat entftünbe b'arauö lein emftücl^eö Ungemad^; in 
erfter Sinie fd^on be^^alb nid^t, »eil cg fel^r leidet toäre, bie. frei* 
geworbenen ?ßlä^e lieber auöjufüHen- (£§ ejiftiert eine gro^e 
Slnjal^I öon granjofcn, toeld^e imftanbe to&xm, bie Munitionen öon 
©einer SKajeftät SSruber ebenfo gut jn öerfel^en loie ^oi^berf elbc ; 
öiele finb ber ©teßitng eincö ^ßrinjeri öon (Sebtüt gett?ad^fen u. f. xo, 
3n ben SJorjimmern be? §ofe§ giebt eg genug ^Beamte unb 93e* 
bienftete, bie fofort bereit wären, bie l^öd^ften SBürbenträger ber 
'^one ju erfe^en u. f. w. ®ie Slrmee befi^t eine grofee Sin* 
iaS)i Dffijiere, bie ebenfb gute (Generale ah^tbtn würben wie 
unfre nunmel^rigen SKarfd^äÖe, unb wie öiete ^anblung^reifenbc 
finb nid^t beffere S6:pfe ate unfre SKinifter, wie öiele ®eifttid^e 
ftnb ebenfo gläubig unb taugtid^ wie unfre Äarbinäle, @rjbifd^öfe, 
aSifc^öfe u. f. W. ma^ tnbüä) bie 10000 ®utäbefi|er betrifft, 
fo würben il^re @rben nid^t einmal eine SeJ^rgeit nötig l^aben, um 
in ©efeUfd^aftöfälen mit ebenfo feinem 3lnftanb wie jene bie §on* 
neurS ju mad^en. 

SBie man fielet, liegt biefem ©d^erj, weld^er @aint*@imon öor 
ben SRi^terftul^I füi^rte, ber ®ebanfe ju ©runbe, ba§ nur bie pro* 
buftiöe Sflaffe öon Staatsbürgern wirllid^ nü|üd^ ift:. SSor. ber 
Sleöolution beftanb ber Äampf jwif^en bem Slbel unb bem S3ürger* 
ftanb; in ber neuen Q^ii, ba festerer jum %tH ben ?ßla^ beg 
frül^eren 3lbetö unb mit bemfelben befien Siedete eingenommen l^at, 



416 Sie tomantifdie 3d)ttU in frankreid). 



I^crrfd^t bcr ä^Jicfpalt jtoifd^en bcm unprobuftiöen unb bem probut 
titjen ©tanb; bie 3«^^^?* gcl^ört bem ©ctoerbeftei^, ber Slrbctt, 
ben SBcrfcn beg griebcn^, nü^Iid^er ' Stl^ättgf eit. 3)od^ toä^renb 
bie jeitgenöf fifd^en fran jöfif d^en 9lationaIö!onomcn nur betn ©injefnen 
bie mflglid^ft freie (Snöoicfctung feiner gäl^igfeiten ju fidlem toünfd^ten, 
forberte @aint^@imon ba^ Eingreifen beS Staaten. S)iefer foKte bie 
Arbeit unb bie 5ßrobuftion organifieren; er aHein toäre imftanbe es 
iurd^jufe|en, ba§ in S^^ft^^ft nid^t mel^r ein SWcnfd^ t)om anbern, 
fonbem ba§ nur nod^ bk 9latur burd^ ben SKenfd^en au^genult 
toürbe. 3)er ©taat folfte enbüd^, bei aller Stnerfennung bcr notfir-' 
fidlen Ungleid^l^eit jn^ifd^cn ben SKenfd^en, ba^ ©eine baju beitrogen, 
bie fünfttid^e auf jul^eben, unb barum jebeS 5ßriöilegium ber ©eburt, 
l^au))tfäd^fid^ bag Srbred^t, abfd^affen ober einfd^rän!en. 

Sßir • begegnen alfo bei @aint=@inton juerft btm ©runbge^ 
banfen be^ mobemen ©ojialiömug, bem SRi^trauen gegen bie 
golgen ber freien Äonfurrenj mit bzm 3lnf:prud^, ba§ bie probuf^ 
übe Slrbeit ju il^rer ®f)xt unb il^rem Siedete fomme. gotgeri^tig 
gelangte er ju ber berül^mten gorberung, ba^ 3eber in ber ®e* 
fellfd^aft in baS rid^tige SSerl^ältni^ ju feinen gäl^igfeiten unb 
ßeiftungen geftellt »erbe (ä chacun selon sa capacite!). — ®em* 
näd^ft taud^t — jum erftenmal auf franjöfifd^em ©oben — ixt 
Seigre auf öon ber öoUftänbigen ©leid^ftellung ber grau unb be§ 
2Ranne§. ©nbtid^ folgt in religiöfer §infid^t. bie SSertoerfung ber 
ganjcn 2)ogmenIe]^re, nid^t in ber Slbfid^t, bie SReügion um^uftürjen, 
fonbem bamit au§ bem ®rabe ber Drtl^obofie ba^ eine ^ßrinji)) 
erftel^e: Siebet einanber! ein neueö Sl^riftentum, ba^ @aint==@tmon 
in feiner testen |)auptfd^rift: „Le nouveau Christiaiiisine" ent^^ 
toidEelte, unb beffen einjiger ®runbfa§ ber ift: 2)ie Slufgabe ber 
^Religion beftel^t barin, bie ©efettfd^aft ju btm großen 3^^^ ^^' 
juful^ren, ba§ ©d^idEfal ber ärmften unb gleid^jeitig jal^Ireid^ften 
Älaffe mögtid^ft rafd^ ju öerbeffem. 

©^ n^ar in @aint*@imon§ 5ßerfönU(^!eit ettoaS, toa^ ben 



Mt fo|iatpolitif(t)e 3ihnr\bmt%uvi% unb bte |)oe|le. 417 



natöeren unter bcn 9iomantifcm öcrtoanbt öorfommen mu^tc, @r 
^atte ba§ unbegrenjtc ©clbftöertraucn, tt)eld^c§ au(^ Slnberen ©tauben 
einflößt, bagcgen bcfa§ er nic^tö öon ber tjorfid^tigcn ©clbftfritif bc§ 
$ß^iIofopl^cn — er tüar bogmatifd^, toar 5ßropl^et Slu^erbem l^atte 
er ben romantif(|en ®ur[t Sllleg burd^ juleben unb ju empfinben, SBenn 
man bie Slnfprüd^e an ben Genfer lieft, toeld^e er aföSebingungen für 
ben gortfd^rttt in ber ^ßl^ilof op^ie auf fteßt, f o toirb man feigen, ba§ fie 
nur toenig öerfd^ieben öon benen finb, mld)t ein junger roman- 
tifd^er S)ici^ter für bie 5ßrobuftion notttjenbig finben niürbe, Sie 
finb: 3Kan foö L in ben Salären ber ^aft ein fo tl^ätigeg unb 
originelle^ Seben tüie mögtid^ filieren , 2. jebe Slrt ber ^ßrajig 
unb S^eorie fennen lernen, 3, alle ©efeUfd^aft^ftoffen ftubieren 
unb fid^ fettft in bie öerfd^iebenften fojialen ©teöungen bringen, 
4. enbtid^ foß man feine S3eobad^tungen äufammenfaffen unb ba§ 
Sftefuftat batjon* jiel^en. 

©in §auptpun!t in @aint^ Simons Seigre, toeli^er in ber 
SRegel bie romantifd^en ©d^riftfteßer abftie§, tnar bie S3egeifterung 
für ben Snbuftriaü^mug , ber atö auöfd^Iie^Iid^ nü^tii^ ben 
meiften tjon il^nen jutüiber tüar. S)od^ bie Seigre entbel^rte beg= 
^alb nid^t romantifd^er ©lemente; fie mufete auf ben 9lomanti!er 
fotool^I burd^ i^r ret)oIutionäre§ ate burd^ il^r pl^antaftifd^eS unb 
utopifd^cg Stement, burd^ ii^re Betonung ber natürlid^en Ungleid^^^ 
^eit, burd^ il^ren bi§ inö öftrem getriebenen ^Itug be§ ®eniu§ 
unb burd^ i^re retigiöfen Slfpirationen anjiel^enb toirfen, SlÖgemein 
poetifd^ toar fie enblid^ burd^ i^re gürforge für bie grau unb 
burd^ bie SKenfd^enliebe, mit toeld^er fie biefi^Ied^t geftettten 
Ätdffen ber ©efeOfc^aft umfaßte, 

®rft nad^ 1830 begann Saint = (Simons Seigre eine ^efeß= 
fd^aft^mad^t ju nierben, @r - felbft toar, toie fRetigion^ftifter 
Pff^Ö^n, jugleid^ SScrIünbiger unb SSorbilb getoefen; er ^atte e§ 
öerftanben, ein förmlid^eg Slpoftolat in^ Seben ju rufen; feine 
©d^üler betrad^teten il^n in öollem ©ruft aU ben 3Keffta§ ber 

©raube», ßittetatutöejc^. beä 19. 3a^r^. V. 27 



418 'i< tMtatttifiltie $^nit in itatUmii^. 

neuen ^t\t unb jogcn atö beffen Sünger l^inau^ in bie 3ääelt. 
S)in:d^ feine ©c^üler unb beten ©eifte^öerttjanbte lernte man batum 
cigentlid^ erft unter ber 3utimonard^ie ben @aint=*@imoni^mu^ 
fennen, obtool^I eingelne rege ®eifter fd^on frül^er ben SReifler 
fetbft ftubiert l^atten. @o finbe id) in ®ictor ^ugo'g %a%An6) 
üon 1830 (Litt6rature et Philosophie melees L) eine 9lotij, toel^c 
bettjeift, ba§ er @aint*©imon bamate bereits gelefen l^atte. 

3toar mu^te baö Drgan Saint :=@imonS, „Le Producteur^S 
nur ein Sal^r nod^ feinem 2;obe eingeben; aber gerabe biefer Wm^ 
ftanb brad^te feine ©dualer mel^r in t)erfönlic^e unb intime S3e= 
rül^rung mit il^ren Slnl^ängem. SSon bem ß^it^junft an afö ©nfantin, 
ber ?ßaulug ber jungen Seigre, ein fd^öner 9Rann bon mäd^tiger 
5ßerfönlid^feit unb ein ?ßrebiger erften SlangeS, ber etnwig öon bem 
§errfd^er=^ unb ^l^rertalente m^ S3rigl^am*g)oung in fid^ l^atte, 
baS faftifd^e Dberl^aupt ber ©efte geniorben tt)ar, gewann biefe 
eine nid^t geringe Slnjal^I l^od^begabter 3ünglinge unb gebtibeter, 
lebl^after grauen für ftd^. S3eträc^tttd^e ®aben ffoffen ber (Saint* 
Simoniftifd^en „gamilie" freiniiöig ju, im Saläre 1831 allein 
330,000 grancS. 3Ran grünbete ein neues Drgan, bie SBod^enfd^rift 
„L'Organisateur", unb öon 1831 ab übemal^m ^erre Seroug, toie 
fd^on frül^er ertnäl^nt, „Le Globe", ^nbt^ berlor bie ßel^re immer 
mel^r i^r urf:prängIid^cS Gepräge, SBäl^renb @aint==@imon in feinem 
DrganifationSpten ben Äo^itatiften einen l^eröorragenben ^iai^ ju- 
gebadet l^atte — eine t>on ben brei Äammem, bie er errid^tet l^aben 
ttJoHte, foßte auSfd^üefetid^ auS Äapitaliften beftel^en — griff man 
nun ba^ Äa^jital an; unb toä^renb @aint=@imon iebem Äommu* 
niSmuS abgeneigt tcar, l^atte bie „%amxik'^ faftifd^e ©ütergomtn^ 
fd^aft 'eingefül^rt unb verlangte baS gleid^e fogar bom ©taat S)o(^ 
eine einjelne. beftimmte Äonfequenj, bie man aus ber Seigre jog, 
fül^rte bereu Untergang unb bie Stuftöfung ber gaujen Seftc l^er* 
bei* Saint := Simon l^atte geleiert: ba baS alte S^riftentum ®eift 
unb ^ki\ii) t)on einanber gefd^ieben l^abe, fo gelte eS nun, biefen 



Die fojial^oUtif4)e Jlbeenbetoegung mf^ W fot^t. 419 

3tt)iefpatt »lieber auSjUgleid^en, ®a« alte S^riftentum ^abe ©et&ft:^ 
t^crleugnuttg mi> bie Safteiung b^ä j^U^(i)t& ate Bi^ auf geftcöt, 
ba§ neue foöte SSo^(fem unb aögemeineg &IM aU ©nbjtpetf be^ 
trad^ten, 3Kit anberen SÖSorten Iä§t fid^ fein (^banle folgenber- 
moilen tüiebergeben: 2)0^^ (Jl^riftentum ber Sfefefe iuar eine fteenge, 
getöaltfame ^ur gegen ba§ ö|)pige (?iJ^tt)etgen be§ SRömerreii^e^, 
toejCc^g Söefriebigung aller S3egierben fud^te; jebod^ bie Änr l^at 
fid^ afö öööig fo gefäl^irfiid^ n)ie bie Äran!l|eit ertt)iefen. SD«: ^ant 
l^eit finb tmr tebig geworben; a&er toer befreit un^ öom ^cil? 
mittel, ol^e ba^ ein fRüeffaUt folgt? Äeine ixnbere 3Ka(i§t atö ba§ 
neue Sl^riftentum. 

5lng biefer relatio jefunben ®runbibee tooßte ©nfantin Qn^ 
ftönbe l^erteiten unb unöerjügli(j| joertoirKid^ein, bie an jene er^ 
innern, Joeli^c ^vi)am t)on Serben in frül^erer ^eit hd bcn SBieber= 
täufem eingefül^rt l^atte. S8on Anfang an |atte ber ©aint^Simo^^ 
ni^mug tjerfünbet, an ©teile be^ Snbibibuum SKann foHe in 
ber neuen ?tra ba^ Snbiöibuum 9!ttann==?5^au treten mit gleid^en 
ffted^ten unb mit öoüer ^^eil^eit, eine eingegangene, nid^t befrie== 
bigenbe @^e aufjulöfen, benn in bem 5ßaare, nid^t in bem einjelnen 
SRenfd^en, fei bie ttjal^re SRenfd^öd^feit öernjirKid^t* @nfantin jog 
l^ierau^ bie S^onfequenj, jtoei Slrten öon ®l^e anjunel^men, bie 
monogame unb bie im Sauf ber Qtitm (nid^t gleid^eitig) pol^^ 
game, ba^ ^ei|t, bie bauembe unb bie anwerft flüd^tige, toäl^renb 
tpirfiid^e, gleid^jeitige ^ol^gamie nur jum Söeften ber mönntid^n 
unb tt)ei6lid^en 5ßriefter eingefül^rt toerben fottte* SBietool^l man 
toeber in ber öffentlii^en 2)i?fuf fion, nod^ fpäter tt)ä]^renb ber ®erid^t§^ 
t)erl^anbtungen ettoaö tjon S3elang eintoenben fonnte gegen ba§ 2lrgu= 
ment ber ©aint*@imoni^en, bafe bief e Drbnung in ber §au^Jtf ad^e leine 
anbre gotge ^aben mürbe afö SBerl^ältniffe ju regulieren unb ju 
Icgitimifieren, njeld^e man ate ungefe^tid^ fd^on ringsum in ber 
®ef eHf d^aft öorfinbe — f o jeigt bod^ bie gezogene Äonf equenj jur 
Genüge, tt)ie gänjlid^ ben jungen ©d^märmern ber SBtidE für ba§ 

27* 



420 I^i< tomantifdic S^dißit in ircrnkteid). 

mangelte, toa^ unter ben gegebenen ©efeBfd^aft^berl^öItntffen ftc^ 
t)tmxxtixä)tn lie^e unb wag nid^t, nnb wie befangen fte in bem 
(Stauben Woren, l^iftorifd^e ^i^ftö^^^ ^^^^ ^i^^^ geberftric^ um^ 
formen ju fönnen. SBaö il^nen jur ©ntfd^ulbigung gercid^t, ift ber 
Umftanb, ba% mit Stugnal^me bon Snfantin unb SSajarb, im Solare 
1830 fämttid^e ©aint==@imoniften (wie aud^ äße Stnl^änger öon 
fiamennaig) erft ungefäl^r 20 Solare jäl^Iten. 35ag Sad^en mad^te 
il^rer ^ro:pogonbo ein @nbe. 3m ©ommer 1832 würben bie 
^äupter ber „gamitie" verurteilt: @nf antin ju einem 3a^r ®e^ 
föngnig, äWid^el ßj^eöalier unb 2)ut)e5rier ju einer unbebeutcnbcn 
®elbftrafe. ®ie jungen ©ntl^ufiaften , au§ benen bie Meine ©efte 
beftanb, jerftreuten fid^ nad^ aßen öier SBinben, aber nur, um afö 
reife äWänner (faft ol^ne Slu^nal^me) fid^ auf inbuftrieHem, toiffen^ 
fd^aftlid^em ober fünftlerifd^em ©ebiete rül^mlid^ft augjujeid^ncn. 
Sl^re Übertreibungen ber Seigren @aint*@imong waren ebenfo wie 
gourierg gfeid^jeitige llto:pien ol^ne irgenbweld^e ©inwirfung auf 
bie fd^önc Sitteratur. S)iefe würbe nur burd^ bie urfprünglid^en 
®runbgebanfen be^ SKeifter^ beeinflußt, 

Denn balb fd^wirrten bie @aint*®imoniftifd^en Sbeen in ber 
Suft ber bamaligen ßeit, befrud^teten fie mit il^rem Samen unb 
wirften anfterfenb auf bie ®emüter; fie ergriffen bisweilen ein 
weid^eg ®emüt, unb biefe§ weid^e bef eierte bann ein fräftige^; fie 
bemäd^tigten fid^ einer j^xan burd^ einen 2Kann ober umgcfe^rt, 
eineg S)i(^terg burd^ einen ?ßrebiger ober eine§ jungen "^ob)^ 
ted^nüerg burd^ einen ®id^ter. Unb fie riefen, wie Sbeen ju tl^un 
pflegen, berwanbte Sbeen l^ertjor, einige, weld^e feit @nbc beS 
borigen Sal^rl^unbertg gefd^Iafen l^atten, wie j. 85. fioui^ Slancg 
bemofeatif d^^o jialiftif d^e , anbre , :pl^iIof op^if d^^l^iftorif d^^l^umanitäre, 
bie an Sd^eHing erinnerten unb jugleid^ ber ?ßIutoh:atie brol^ten, 
wie biejenigen be^ 5ßierre fierouf in feiner jweiten 5ßeriobe, wieber 
anbre, weld^e, wie biejenigen 2amennaig^ ®eban!en unb ©effi^Ie 
erwedften, äl^nlid^ benen, mit weld^en 5ßriefter, bie wäl^renb ber 



Die fojial|iolitif4)e 3Utnhmt%nn^ unb bie Hßotfit, 421 

S3aucrnaufftänbe be§ SKittelaltcrg bcn @n^)örcrn baö ^cuj öor== 
trugen, ba§ 5Brotctariat fo ^mgcriffen l^attcn, ba§ e^ o^ne 93e== 
benfen bag äeben einfette. 

Samartine, ber ipä^renb bcr 9icftauration bie bcbcutcnbfte 
bid^terijd^e Ä(tpajität bcr fonferöatiöen ^artci gctoefen, beginnt 
fd^on ju Slnfang bcr brci^iger Saläre ju fd^toanfen. 3Ran fpürt 
feine ©^n^jatl^ic unb bie 5ReubiIbungen feiner Überjeugung bereite 
in feinem „Jocelyn" (1836), fo mitb unb fromm biefer öerfifijierte 
9loman aud^ ift. 3n bcr SSorrebe toeid^t er ber ^rage nad^ feinem 
(Stauben mit ber SBenbung au^, ba§, njcld^er Slrt biefer aud^ 
fei, er bod^ nid^t bie ©l^rfurd^t feiner 3ugenb öor ber Äird^e öergeffen 
l^abe. ^ennod^ fonnte e§ nid^t ber Slufmerffomfeit entgelten, ba% bie 
^anblung be§ ®ebid^te§ aU ein Singriff auf bttt unöermäl^Iten ©tanb 
ber ®eiftlid^en, aifo auf einen ^auptpunft ber Äird^entel^re, ju be== 
trad^ten toar; in Socel^n^g S^agebud^aufjeid^nung k)om 21. @ep^ 
tember 1800 fanb fid^ au^erbem biefe öielfagenbe ©teile: 

,,®ie menfd^tid^e Äaratoane l^atte fid^ eineä 2iage§ in einem 
SBalbe gelagert, beffen @aum öon bem [teilen Ufer eine^ 5luffe§ 
begrenjt toar; e^ tt)ar nid^t möglid^ toeiter öor jubringen. §o^e, 
mäd^tige 95äume getoäl^rten il^r @d^u^ gegen ©onne unb SBinb. 
S)ie ^dk, bereu ©tridEe fid^ um -bie ^fte ber S3äume fd^Iangen, 
bilbeten gleid^fam Dörfer ring^ um bie Stämme, unb bie SRenfd^en, 
toeld^e auf bem 9iafen jerftreut lagen,- afeen il^r 95rot im ©d^atten 
unb fprad^en frieblid^ mit einanber. ®oc^ ptöfelid^ — wie öon 
SBal^ntt)i| erfaßt — erl^oben fid^ bie 3Ränner, famt unb fonber§ 
öon einem ©ebanfen ergriffen, l^ieben il^re Stjte in bie ©tämme 
unb fällten atte bie grünen SBölbungen, in benen SSögel fid^ SRefter 
gebaut. Unb bie Siere be§ SBatbeg !amen aug i^ren ^öl^len unb 
fallen gleid^ bta flüi^tigen SBögeln entfe|t, toa^ gefd^el^en, unb 
i)crtt)ünfd^ten biefe SRaffe, toeld^e fo eifrig ju il^rem eignen ©d^aben 
arbeitete unb ba^ 2)ad^ nieberrijs, ba§ xi)x @d^u| gab. S)od^ 
toäl^renb bie unöemünftigen ©efd^öpfe be^ SBalbeg bm $erm ber 



SRötur ftcbauettett, fu^t er in feinem gettjaltigen ^«rftöning^töetf 
fort unb loarf bie ©tätttmc al^ 95tü(fen über ben Slbgrunb, bt§ ber 
glufe bebecft unb n^egfam tüot. Unb frietli{^ fe^te bk Saranmne 
i^re unaufl^altfame JReife fort unb eroberte bai anbte Ufer/' 

hierbei BHeb c« nid^t. „La Chute d'un angse" jei^te tro^ 
aßet 'Stt)kx, ba% ber ©id^ter felbft feinen frül^eren fera|)]^ifd|en 
, @til öerWorf en l^atte. 3^9^^i<5^ verrieten bie erften ^ßarlament^reben 
ßöntartine'^^ ba§ bie ®aint*©imoniftifcl^n Sbeen affmäl^ttd^ feine 
Dttl^obofie tjerbrängt l^atfen. @t, ber geborene Sltiftofrat, trat in ber 
^ölitif als „d^mocrate consetvateur*' auf, tüoÖte bie fdnftitutioneße 
33?ottarcl^ie mit aöen ^^eifieiten unb gortfd^r^en ber mobemen 
3eit umgeben» Unb felbft l^ierbei blieb e§ nid^t. ©eine 1847 
l^erauggegebette „©efd^id^te ber ®ironbiften", njettlo^ alS l^ifto^ 
rifd^eg SBerf, aber t)on einer l^inreilenben bid^tetifd^en Serebtfam^ 
feit, trug ntel^r afe irgenb ein anbre^ S5ud^ baju bei, bie ©emfiter 
reüolutionär ju ftimmen unb bie fommenbe Umnröljung öorgube=^ 
reiten. Sm Saläre 1848 finben n)ir ben einmütigen ^'ofpoetcn ber 
Segitimität aU ben loirf fidlen Kl^ef ber 9iepubli!, tnie er auf 
ber SHtane be§ ©tabtl^aufe^ mit ber entfd^iebenen SBerebtfomfeit 
eine* SSoIfötribun* auftritt unb ben ©etnel^rläufen, bie auf feine 
Stuft gerid^tet finb, bie üornel^me ©leid^gültigfeit be§ (Sbelmanne^ 
entgegenfe^t ©ein fieben feierte eine grofec, eine endige SRinute 
an jenem 2;ag, aU er burd^ ein paar ebenfo poetifd^e tnie männ^ 
lxä)t SBorte, bie er ol^ne nur mit ber SBim:(jet ju judEen fprad^, 
bci8 Seben feiner S^oKegen rettete unb ben S3ürger!tieg abttanbte. 

5ßierre Setouf toar e*, tnetd^er ®eorge ©anb in bie gätenben 
f ojialen Sbeen einttjei^te ; mit toeiblid^er SSätme unb ol^ne SSebenfen 
ging fie ganj in ber neuen SbeenttJelt auf. ^ierre Serouj , ein 
SKetapl^tififer mit einem eblen |)eräen, aber ein unflarer ^opf, ber 
in ©d^eHingfd^en 2)reil^eiten badete, öerfod^t atö fojialer ^Reformator 
bie Sbeen ber (Sleid^^ett unb be* göttfd^ritt*, benn jeber gortfd^titt 
toar für i^n ein ©teigen in ©leid^l^eit. @r ging du* öon einer 



Die foiialfwUtifilre Jlienibtemgtmg- tmb bie Ipatfit. 423- 

entrüftetcn S^itif ber ficftcl^enben ®cfeüfci^oft§t)er^äItniffc, Unterbetten 
bie: ®Ieid^l^eit nur eine ©leici^eit öor brai ®ef e|c »ar, tüeld^e nid^t 
au^fd^Iofe, ba§ ber Sfleiil^e befreit blieb öom SRilitärbicnft unb frei 
t)on ©träfe, toenn er fid^ öergangen; ®erl^ältniffe, unter benen bie 
^reil^eit einjig in ber freien Äonfurrenj beftanb, ba§ l^ei§t, in bm, 
gefeltid^en Stecht beS SReid^en, ben Sinnen au^ubeuten. Sin ©teile 
ber beftel^enben ©efeßfd^aft fonftruierte ßerouf eine neue» ©ie 
berul^te auf ber breifaiffen Sßatur be^ 3Äenfc^en- 5)ie menfi^tid^e 
SRatur beftei^e au§: finnlid^er SBal^me^mung , ©efül^t (innere 3ln* 
ji^auung) unb ©rfenntni^. S)em entfprad^en brei ©täube: ®e^ 
»erbtreibettbe, Sünftter unb ©elel^rtej bod^ biefe brei ®tmbe. foHten 
ni«i^ toic bei ©aint*©inion Äaften bilben, f anbem gcmeinjam ^an* 
Mn unb toirfen; Snbiöibuen au^ bzn brei ©täuben, ntad^ten 
je ju breien ein fuciale^ Snbiöibuum au^ unb foHten jufammen 
eine SBerfftatt bilben; bie SBerfftatt toat öon brei tjerfd^iebienen 
Slrten, je nad^bent bie eine ober bie anbere SBirtfamfeit tujr* 
l^errfd^te u. f, tt). 

SSJirft man einen 93licE auf atte biefe Utopkn, fo fann tnan 
nid^t uml^in ju betounbem, tüie gefunb unb gro§ bie S)id^ter, ttieli^e 
fid^ t)on einzelnen ®runbgeban!en mit fortreijsen liefen, fid^ ben 
©^ftemen felb^ gegenüber öerl^ielten. ©ie liefen 2llle§, ober faft 
SlHe^, liegen, tt)ag erfünftelt, pl^antaftifd^ ober porobiftifc^ toar» ©ie 
begnügten ftd^ bamit, il^re poetifd^e ^adfel an btm Slltarfeuer an^ 
jttjünben, »eld^eö biefe l^erjen^reinen ©d^toärmer unterl^ielten, fte 
liefen fid^ infpirieren burd^ bie SKenf i^enliebe, burd^ bm (Sifer, »0== 
mit jene fid^ ber Unbemittelten unb Unterbrüdöen annal^men, burd^ 
i^rcn glü^enben (älauben an ba^ SSolf unb il^re lebl^afte 93egeifte* 
rung für ben gortfd^ritt. 

Stuf ®eorge ©anb'§ Seelenleben l^at ber ©aint:'©imonigmug, 
mad man aud^ immer gefagt {jaben mag, eine l^eilfome SEHrtung 
auggeübt @r gob i^r nad^ bem ^ßaroyi^mug ber SSerjtoeiflung in 
„S^lia" innere 9iui^e, einen ®lauben, eine ©ad^e, für bie fietoirlcn 



424 ^^^ romantiffiie idittie in itoitkteU^. 



unb fämpfcn fonnte. Offenen Sßrfe^ betrad^tete fte^ toa^ um fic 
l^erunt in granfreid^ öorging. ©egen @nbc ber breifeiger Saläre 
njaren bie arbeitenben klaffen in l^eftiger gärenber Settjcgung. ^n 
biefer St\t l^atte fid^ bie tangfame Unttoanblung g^anfreic^s öon 
einem faft au^jd^tie^Iid^ adEerbauenben Sanb gu einem §auptlanb 
ber Snbuftrie öottjogen. SBäl^renb öorl^er nur bie Sanbbeöößerung 
bie äu^erfte ?trmut ge!annt l^atte, toaren ie|t in ben ©tobten 
burd^ ha^ gabrif leben, baö bie ®ro§inbuftrie mit fic^ führte, bie 
Wcmnt unb «bie Unrul^e beg immer njad^fenben ©tabtproletariats 
eingetreten. 

3Bre faft alle .bemofratifd^en ©d^riftftetter ^xanttüä)^ toanbte 
®eorge @anb i^re 8lufmerffam!eit ber Slrbeiterbeöölferung ber ©tobte 
ju; fie fing an, fic^ mit i^rem l^orten Äampf um§ Seben, i^rer leb* 
l^often Snteüigenj, i^ren politifd^en unb fojiolen Sbeolen ju be- 
fd^öftigen. ®er @aint^©imoni^mu§ l^otte fie onfänglid^ burd^ feine 
Äritif beg SSerl^öItniffeg jlDifc^en SRonn unb SBeib in ber beftd^enben 
©efeüfd^oft intereffiert unb begeiftert; fie l^otte in ber neuen Seigre 
bie ®ebon!en, bie il^r om teuerften ttjoren, — bo^ bie ®l^e nur ote 
freiwillige SSerbinbung ©d^önl^eit unb SBürbe l^obe, bo§ ber SRoire, 
bie S^viQm unb ber ©ofrifton i^r feinen l^eiligeren ©l^orofter ju 
geben öermöd^te, al§ il^r burd^ bie fiiebe unb ba§ ©etniffen erteilt 
Sorben — ote SQSol^r^eiten onerfonnt gefeiten, bie geprebigt unb 
öerfod^ten »erben fottten. 3efet gob ber @aint*@imoni§nm§ oud^ 
il^rer Siebe jum. gemeinen SKonn -ein geiftöoHere^ unb beftimmtere^ 
©epröge; fie fonb bei ben SRönnem be§ SSoße§ größere Uneigen* 
nüfeigfeit, mel^r 3KännIid^!eit otö bei benjenigen ber 93ourgeoifie; 
e§ !om i^r t)or, atö ob bie Softer, bie fie in il^ren erften 9iomonen 
otö Softer beg mönnlid^en ®efd^(ed^t^ fo bitter fritifiert l^otte, in 
SBirfÜd^feit mel^r bie ®ebred^en einer Äloffe, aU bie be§ gonjen 
©efd^Ied^teö feien, unb bie Siebe, mit toeld^er fie ben Slrbeiterftonb 
erfo^te, gob il^r, mit i^rem Sbeoti^mu^ öereint, bo§ SWotiu, 
Slrbeiterd^oroftere tjon ber ibeeßen Seite oufjufoffen unb borju* 



Die fo|ial))olttif4)t Sbeenberaeguttg unb Ut ^oefte. 425 

fteßeit» §icraug cntftanb eine SRei^c öon Sloniancn, in tocld^cn 
ber frül^ere ©egcnfa^ jtüifd^en einem egoiftifd^ öerl^ärteten nnb 
einem uneigennü^igen äRännert^pu^ bem . Äontraftc toid^ jttJifd^en 
bem ibealifterten unb überlegenen SSertreter beg vierten @tanbe§ 
unb einem mel^r ober loeniger egoiftifd^ett nnb öon ber gefeUfd^aft* 
lid^en SReinnng abl^ängigen 9iepräfentanten be^ S3ürger^ nnb W>tU^ 
ftanbeg. 

Slm intereffanteften nnter biefen S3üd^em finb jtoei, bie nn^ 
gefäl^r im Saläre 1840 entftanben finb, ,,§orace", ber ben SBmd^ 
ber SJerfafferin mit ber ßevue des deux mondes öeranla^te, mit 
i)iefe 3^itf<^^ift M Weigerte, ben SRoman anfännel^men, nnb „Le 
Compagnon du Tour .de France", ber eigentlid^e Slrbeiterroman, 
i)er in feiner Unfd^nlb nnb ©onntag^fan6er!eit ein bejeid^nenbe^ 
<Segenftncf jn ©ngene ©ne'g nnr toenig fpäter erfd^ienenen, grellen 
fojialiftifd^^^bemofratifd^en S^enbenjromanen abgiebt. 

3cl^ betrad^te ,,§orace" al§ eine^ ber beften S3üd^er, bie <Seorge 
@anb gefd^rieben. 3n bem gelben l^at fie mit feinerem nnb 
tieferem ©tnbinm afö je jnöor ober fpäter ben t^pifd^en jungen 
Sonrgeoi^ be§ Snlüönig^tnm^ bargefteüt ^ier offenbart fie ben 
feltenften ©d^arfblidE nnb eine pf^d^ologifd^e (Sinfid^t, bie berjenigen 
SSaljacö nid^t im geringften nad^ftel^t. (Sine tiefe Slntipatl^ie, bie 
iebod^ bnrd^ang nid^t bie gnte Sänne ber 5Rad^fid^t an^fd^üefet, l^at 
fie infpiriert ^orace gegenüber fpieft ber ^Proletarier Slrfene eine 
fel^r fd^öne 9floÜe. Slrfene ift SKaler gettjefen nnb l^at ang Wc^ 
mnt einen feienft ate ÄeÜner in einem ®af^ annel^men muffen; bie 
abl^ängige ©teönng fonnte i^n aber nid^t emiebrigen* ©eine ein^ 
fad^e ®üte, feine pmnttofe ©eelenfd^önl^eit mad^t il^n jn einer ber 
onjiel^enbften ®eftalten ber S)id^terin. 3Äan gtanbt an feine 9iea(ität. 
Slrfene ift mit ben S8onfingot§ liiert, b. i), mit btm Äreife innger 
©tnbenten, bie in ben breifeiger 3al^ren ben ©til nnb ba^ 2lnf^ 
treten ber romantifd^en ©d^nte in baö politifd^e Seben einfül^rten. 
SRan finbet fie anf Sitl^ograpl^ien an^ ber bamaligen ßeit l^änfig 



426 ^^t romantifdie Jdjule itt itankteiil). 



mit i^rcn Siobcöpicrrcttjcftcn , btcfcn ©tödtcn, SäSac^^tud^ptcn ober 
roten Sa^tmu^en abgebitbet. @ie fal^n äu^erlid^ beutf'c^it SÖUtfc^en^ 
fc^ftlcrn äl^nttc^ unb nal^men an allem Unfug teit, ber einen gegen 
ba^ Juste-milieü-Siegiment fdnblid^cn Sl^arofter l^atte, ®eorge 
@anb ergreift mit SBärme il^te ^Partei» „Äeiner biefcr SKänner, 
fagt fie, bie ju jener 3^it ^^^ öffentliche Drbnung^ ftörtcn, f)at j|e|t 
nötig, barüber ju erröten, ba§ er einige ^i|ige 3ugenbtage l^tftte. 
SEBcnn bie 3ugenb ba^ ®ro§e unb ©totje, baS i^r am ^rjen 
liegt, nur burd^ Slngtiffe auf bie gefeßfd^aftßd^e Dtftming jeigen 
!ann, fo mn^ eben biefe Drbnung fel^r fd|Ied^t fein/' Slrfene 
fätttpft ^elbenmütig unb ttjirb fci^tt)er öerjounbet in bem Arbeiter^* 
aufftanb am 5. 3uni 1832, ttjeld^r mit öoQet ©^mpatl^ie gefd^ilbert 
ujirb. ®r fd^ttjingt fid^ in ben folgenben Salären ju einet td6)t ganj 
niebrigen potitifd^en 35übung3ftufe auf. ©eine ßel^tjal^re $oben fSr 
unö infofern 3ntereffe, ate fie ber JBerfafferin Äntofi geben, ü^e 
@^ttH)at]^ien untjerblümt an ben 2^ag ju legen. 3)er SDlamt, ben 
Slrfene bef onber§ bemunbert, ift Öiobefto^ SatJaignac. ©eotge @anb 
d^arafterifiert ben festeren unb feine ^eunbe, bie ®efefffd^aft „Les 
Amis du peuple". „3i^re Sbeen, fagt fie, bejeid^neten ujenigften^ 
einen großen gottfd^itt üitt bm Siberali^rnui^ ber Stefteurattimigjeit 
l^inau^. 2)ie anberen SRepublifaner badeten aD}Ut)ieI baran, bcä 
Königtum ju ftürjen, unb nid^t genug an bie ÖJnmbleöung 9et Sie* 
pttblif, ®obefro^ Saöaignac bagegen badete an bie 95efreiutig be§ 
SSoße^, an unentgeltlid^en öffentlid^en Unterrid^t, an aßgemeineS 
©timmrec^, progreffit^eUmänberung ber @igentum0t)er]^ttniffeu.f.n).^ 
®ie ^erjen^!äfte unb bie 95omiert§eit be^ |)Otacc öerrät fid^ u. a. 
burd^ feine l^ö^nifd^en, toegwetfenben Urteile über ben @aint=^@tmo^ 
niömug, ben et afö blofee ©l^arlatanerie anfielt; er berftel^t ni(^# 
tjon btm, wag in ber @aint==@imoniftifd^en Äuffaffung ber ©teffung 
betber QJefd^Ied^ter ju einanbet SBert l^at, unb mu§ fid^ be^^fb 
barein finben, öon einer jungen SWäl^terin, bie mit feinem gremtbe, 
einem öortrefflid^en jungen Strjte, jufammenlebt unb bieg i^r ^u^ 



i){e fofial|JOtHif(^ fbmhmt^m^ uttb b!e |)oe|!e. 427 

fontmenleben al§ ;;bic in SSSal^r^ett reügiöfc @l^c" Betrad^tct, mit 
fid^efer Übcrlegenl^cit jutüdEgenjiefen ju iDetbcn.^ 

@ett)i^ finb l^ier toeit mcl^r 5ßroblemc Betöl^rt al§ bic 9Ser=^ 
faffetin l^at löfcn tonnen; aber fd^on bic Scfdjäftigung mit ben 
aufgaben unb ©eba^rrfen be^ 3^^^^*^^^ W i^^^^ 9ioman eine 
!räftige unb an^iel^enfee l^iftorifd^ ^atU 'otxik^tn. ®§ toax ja 
oud^ ni^t il^re @aci^e aU ?Romanfd^riftfteöerin, fojiole 5ßrobIeme 
jU löfen, fonbern ju jeigen, n)ie fte bie |)erjen nnb bie ®ebanfen 
felbft bei verliebten jnngen gtanen nnb fetbftjnfriebenen ober \txä)x^ 
l^eit^fnd^enben jungen SWännern erregten. 

SBög id^ in „Le Compagnon du Totir de Fraiice"/ ber alä 
9fe)man bem ,,|)orace" nad^ftel^t, bettmnbemng^tofirbig finbe, ift bie 
^rifd^e ht» ©efül^I^, au§ bem er hervorgegangen ift Sor 2Kit^ 
gefügt mit ben ÜnglüdHid^n ber ©efeafd^aft fein |>etj fd^to^ß^n 
unb brennen ju fül^Ien, öon jegtid^er 93egänftignng, bie ba^ @d^idf* 
fal Sinem im vorauf gefd^enft l^at, gebrödft unb gebemütigt ju 
fein, bö§ finb innere ®rfal|rungen, bie mand^ ein ^^^^ttjifiiä'^tiö^^ 
fennt. ?lber nod^ in hm ?Mter von vierjig Solaren nad^ ®ered^tigfeit 
für Slnbere ju l^ungern unb ju bürften, fid^ oufe^er @tanbe ju füllen, 
mit Slul^e ba^ 3od| ju feigen, ba^ auf unfd^Ibigen 9?adfen laftet, 
c^ aU unmöglid^ ju empfinben, mit ©rübeln über eine anbere 
Drbnung, eine anbere SlRorat atö bi^, mit n^eld^er fid^ bie umgebenbe 
©efeClfd^öft begnügt, nad^julaff en , unb jnjar in bem ®rabe, ba§ 
fie fid^ fd^ftmt ju fd^tafen, 3^^f^^^^^9 i^ fud^en, fid^, ttJenn aud^ 
nnr für «ngenbftdEe, gtütflic^ ju füllen — bog ift ba§ m^ti)a^ 
@rttene, unb bod^ ift e§ biefe^ ®efül^I, bog Öffeorge @anb ge* 
itüungen ^at, i^t ^uä) ju fc^teiben. Sßon Siebe jum „®oH" ift 
biefer 9loman getragen, jum SSoIfe, »ie e^ ift, ju bem SSoIfe, bö« 
trinft unb ©enjafttl^aten begel^t, nid^t njeniger öte jif bemjenigen, 
ha» arbeitet nnb geiftige gortfd^ritte mad^t, unb j^ar ift btefe Siebe 



man fcl^e bic ÄQt)iteI VI, X, XIV, XX. 



428 i)te romantifdie 3i^u[t in /tankreit^. 



"fo gro§, ba§ eö ber SJcrfaffcrm unmögüd^ gctüorbcn, in i^rcr 
©d^tlbcrung bei bcn ßaftcm ju öcrtocücn, für bereit ©piftenj fie 
f onft fo ttjenig bltnb tft, ba§ fie biefelben einräumt unb nemtt (man 
fel^e ben 5JiaIog im Aap. XXV), 3)er ®ebanfe, ber bem ganjcn 
SJud^e ju ®runbe liegt, Iä§t fid^ öieHeid^t am fürjeften mit einer 
SBenbung augbrürfen, bie irgenbttjo barin öorfommt: @in Slbüger, 
ttjeld^er ber alten ßofung ^ulbigt: %m für bag »oM, 9Kd^tg 
burd^ ha^ SSolf! meil bie Unbemittelten fonft jugleid^ 5ßartei unb 
Siid^ter fein ttjürben, erl^ält öon feiner jungen S^od^ter bie 8lnttt)ort: 
„Unb finb mir benn nid^t in bemfelben %aü?^' 

Äurj nad^bem ®eorge @anb bief eS 95ud^ gef d^rieben - l^atte, 
ftürjte fie fid^ in bie praftifd^e $ßoIitif. @ie l^atte feit i^rem 
SSrud^ mit ber „B«vue des deux mondes" in SSerein mit 5ßierre 
SerouE, SSiarbot, Samennaig unb bem polnifd^en 5)id^ter SRidKemicj 
bie „Revue independante" l^erau^gegeben ; je^t grünbete fie im 
3al^re 1843 mit einigen ^^eunben in i^rer ®egenb baä repubü* 
fanifd^e ?ßroöinjbIatt „L'eclaireur de Tlndre", an bem fid^ auc^ Sa^ 
martine beteiligte, ^imn öerfod^t fie batb bie ©ad^e ber V^^^iftÖbti* 
fd^en, balb biejenige ber (änblid^en Slrbeiter (ber Slrtifel über bie 
SSädCergefetten in $ßarig, bie SSriefe öon einem fd^ttjar jioälber Säuern). 
1844 erHärte fie fid^ in bem großen Sluffafe ,,5ßoütif unb ©ojiali- 
muS" unbebingt ate ©ojialiftin. 8ltö bie 9ieboIution 1848 an^ 
hxaä), mar fie öottftänbig reif, an berfetben Seil ju nel^men; fie 
'%ah eine furje Qdt ba^ SBod^enblatt „La cause du peuple" ^erauö, 
fd^rieb „@in a33ort an bie SRitteKIaffen" unb bie berül^mten „©riefe 
an ba^ SBotf", enblid^ bie SBuHetin^ für bie probiforifd^e ^Regierung. 
3m Saufe be^ 3al^re^ nal^m unter btm ©inbrudf ber nal^enben 
^efal^ren i^r republifanifd^er Sojiati^ug eine faft fanatifd^e ^orm 
an. 3n btm Slrtifet „La majorit6 et runammit6", in tueld^em fie 
unmittelbar öor ben SBal^ten jur f onftituierenben Sßationalöerf ammtung 
bie ßefer jum freiftnnigen SBäl^Ien aufforberte, f daließt fie — trog 
mand^erlei Umfd^meife unb Umfd^reibungen — mit ber S)ro^ung, 



Vit fofiol))olitif4)e Jbeenbnoegnng ttnb bie |)oe(te. 429" 

baj3, tücnn bie aug bcm öHgemeincn ©timmred^t J^eröorgc^cnbeit 
SBo^Icn nic^t ben öolf ^tümlid^en 3ntercff cn gemä§ auffallen f oUtcn,. 
algbonn tiod^ immer bcr Slppeß on bie SSSaffcn Bleibe,^ @S ift 
Icl^rretcl^, fic bei il^rer 95ett)utiberung ber SBoIföfouöeränität ju biefem 
befpotif(^en Slefuftat gelangen ju feigen; eS jeigt, toeld^e tüUbe unb 
männlid^e ©nergie in biefem geniolen SSSeibe tuo^nte» S)iefelbe 
nnbeugfame Kraft, bie l^unbert Slomane na(^ einanber in^ Seben 
rief, äußerte fid^ l^ier in ber praftifd^en Slllianj mit SRännern 
loic Sebru == StoHin unb Soui^ SSIanc, bie ftd^ bamit begnügten, 
ba^ ju benfen, toa^ fie ol^ne Sßorbel^alt in SBorten jum Slu^^ 
brudE brad^te« 

Qa SSictor |)ugo fam ber bemofratifd^e 3beenftrom befonber^ 
bux6) fiamennai^, in beffen ^avopttotxt, „Essai sur rindüKrence", 
bie Seime jur Sluflöfung jene^ Slutorität^prinjip^ lagen, ba^ biefer 
in feiner 3ugcnb fo begeiftert öcrf ödsten ^atte. 3m Sluguft 1832 
tt)urbc Samennais' Seigre öon bem ^apfte verurteilt ©d^on feit 
bem 3üngltng§alter l^atte |)ugo in bem innigften. SSerl^ältniS 
ju SamennaiS geftanbcn. 3tt§ |)ugo in feiner .frül^eften 3ugenb 
fid^ einen SSeid^töater fud^te, tüar er auf Slntrieb be§ Slbb^ be 
9tol^an juerft ju gra^fftnouS, bem cinmat fo unöerjagten unb auf* 
opfemben QJeifÄid^en, gegangen, bcr aber mit ber Siebolution jum 
^arifer SRobepriefter avanciert toar. Slfö bie tueftlid^en 9iatfd^Iäge 
unb Slntoeifungen biefeS SRanneS ben gläubigen 3üngUng an> 
tt)tberten, ful^r bcr W>hi mit i^m ju einem Meinen, fd^toad^en unb 



^ 3Ran genieße bie föftlid^e, tociblid^ natoc ^cud^elei in bctn folgenben 
$affu3: „Elle se sent, eile se connsut maintenant, la voiz unanime du 
peuple. Elle vous r^duira tous au silence, eile passera sur vos tötes 
comme le souffle de Dieu, eile ira entourer votre repr^sentation natio- 
nale, et voici ce qu'elle lui dira: Jusqu'ici tu n'^tais pas inviolable, mais 
nous voici avec des armes partes de fleurs et nous te d^clarons in- 
violable.« Travaille, fonctionne, nous t'entourons de quatre cent mille 
baionnettes, d'un million de yolont^s. Aucun parti, aucune intriguc 
n'arrivera jusqu'ä toi. Beceuille-toi et agis!^^ 



430 I^U t$wantif4)t $^vdt in ßtwke^. 



fd^m&d^tigen äRanne mit gelbem ©efid^t, einer ^aixä)t^na^t rmb 
einem $ßaar fd^öner, unm^iger Slugen, ben fte in grober, ärm= 
lid^er Äleibung , in baumn^oHenen ©trumpfen mb f d^toeren 9la^U 
fd^nl^n in einer einfädln SBol^nung antrafen. @^ toar ber bt^ 
rül^mte ßamennai^. 

S)ie Merifalen nnb fonferöatiöen 3been ber beiben änberten fi^ 
langfam im Sauf ber Saläre, »eld^e ber Snlirebolution öpron^* 
gingen. ®ine« Sttenbö im September 1830 tarn Satnennai^ ju ^ugo 
unb traf il^n fci^reibenb. — 3ci^ ftöre? fagte er. — S^lein, aber jpo^ 
iä) zbm fd^reibe, tt)irb S^nen nid^t gefaüen. — ©teid^öiel, laffen 
@ie mid^ l^ören. — §ugo lag i^m bie folgenben 3^iten t>or, bie 
fid^ in feinem „Journal d^un rövolutionaire de 1830" finb^: 

,,®ie SRepublif, bie nod^ nid^t reif ift, bie aber in l^nnbert Salden 
ganj ®uropa umf äffen tt)irb, bebeutet, ba§ bie ©efeUfd^aft .t^r 
eigner Souverän ift, ©ie fd^ü^t fid^ felbft afe a3ürgertt)e]|r, rid^tet 
fid^ felbft afe ®efd^tt)orenengerid^t, berttKittet ftd^ felbft alg iS^ommune, 
regiert fid^ fetbft afe SSolfööertretung. S)ie t^ier ©lieber beg Äönig^^ 
tumg: bag ftel^enbe ^eer, bie ®erid^te, bie S5äreaufratie \mb bie 
t)om Äönig ©rmäl^lten finb für biefe 9le|)ublif nur öier l^inbembe 
Slugttjäd^fe, bie fd^neU öerioelfen unb fterben suerben." 

„S)a ift ein @a| ju öiel", fagte gamennaig, ,,ber, ba% bie 
^eipubti! nod^ nid^t reif ift. @i^ öerfe^en fie in bie B^htnft, idf 
meine, toir foHten fie fogleid^ l^aben." 

SBenige Saläre fpäter loar ber SlbfaK Samennaig' öom ^a))ft= 
tum eine öoKenbete 2;i^atfad^e. Um ju geigen, ba§ er mit bem 
^a))ft nid^t aug Unglauben, fonbern traft einer neuen Ueberjeugung 
brad^, gab er feinem berÄl^mten SKanifeft ben Sattel: „SBorte eineg 
Oläubigen" (1833), 

@g ift gefagt ujorben, ba§ feit ©rfinbung ber S5ud^brudEerfunft 
fein S3ud^ fold^eg Sluffel^en gemad^t l^abe. @g erfd^ien in tocnig 
Salären in l^unbert Sluftagen, lourbe in bieten ßänbem nad^gebrurft 
unb in f aft alle ©prad^en überfefet. ®g mar eine l^atb im att* 



Die fQ}i(Ufolitif(i)t ^bei^nbemegun^ imb bie floefte. 481 

teftamctttarifd^cn, l^alb im (^riftliei^cn Stil gel^altcnc SSerurtcitung 
bcr ßömg^ntad^t iniSuro^ja, beg 5ßa^fteS unb ber 5ßricftcr, bcrjenigcn, 
bie bcn Untergang 5ßolcng unb bie ^ed^tfd^aft Stalicng i)txhtu 
gefül^rt, unb bc§ eigennüligen 95ourgcoi^*9leftimcnt^ in granfrcid^ 
fcttfi ®g ift ein SBcr! e^t priefterlid^er S5erebtfam!eit, ein 95ud^ 
öoHer ^atf)o^ unb arm an 5ßf^d^oIogie, ba^ nur findet unb lojb^ 
:preift, nur jtt)ei färben, |)öKen^@cl^tt)arj unb |)imm«treici^g*=a33ei§ 
ju feinen ©d^ilberungen öertoenbet; aber bie SBärme be^ &t^iÜ)U, 
bie 9ieinl^eit unb ©ci^önl^it be^ ®emüt§ l^aben bem Sud^c ettoa^ 
üon bcr geiftigen SRad^t öerliel^en, bie bem Slutor innetool^nte; e§ 
tpirft ujie ba^ SBerf eineg aug bem ®rabe erftanbenen $ßropl^eten 
beg alten 3ubäa. 

3m 3al^re 1837 folgte „Le livre du peuple^', in bemfelben 
®eifte gcfd^rieben. SRan tt)arf ben fül^nen 8lbb^ inö ©efängniS; 
aber öon bem ®efängniffe an^ fanbte er ein 95ucl^ nad^ bem anbern 
in bie SBelt l^inau^ : „Une voix du prison", „Du passe et de Tavenir 
du peuple", „De Tesclavage moderne", fämtlici^ in @aint*5ß^Iagie 
öerfafet 3)ann ftirbt er — brei 3al^re öor ber gebruarrebolution 
— öon ber l^eftigen Slgitation aufgerieben. 

2tt§ 5ßrobe feinet @tifö fül^re id^ einige 95rud^ftüdEc an: 
,;8a§t (Sud^ nid^t burd^ leere Sßorte betrügen. SSiele »erben 
terfud^en, ®ud^ ju überjeugen, ba§ 3l^r tt)ir!Iid^ frei feib, tt)eil fie 
bag SEBort ^reil^eit auf ein 85Iatt Rapier gef d^rieben unb ba§ 99Iatt 
an ben @tra§enedEen angehebt l^aben. Slber bie g^eil^eit ift nid^t 
ein' 5ßta!at, ba§ man an einer @dEe lieft. @ie ift eine lebenbige 
aJiad^t, bie tt)ir in unS unb um un^ füllten. S)er Unterbrüdfer, ber 
fid^ mit i^rem SRamen bedft, ift ber. ärgfte UnterbrüdEer, ben e§ 
giebt. 6r fügt Süge jur S:t)rannei unb ©ntl^ciligung jum Unred^t; 
benn ber SWame ber greil^eit ift l^eilig. ^ütet @ud^ öor benen, bie 
ba fagen: g^^eil^eit! greil^eit! unb fie burd^ il^re 2;i^aten unter* 
brüdfen!" 



432 I^ie tomantifiiie Sd)ttle in itattkreiift. 



ff^tx Sauer trägt bic gange SBud^t beg Siageö, fe^t fid^ bem 
Siegen, ber Sonne, bem SSinbe aug, um burd^ feine Slrbeit bie 
@mte öorjubereiten, bie im ©pfitl^erbft feine ©d^eune füHen foU. 

3)ie ©ered^tigfeit ift bie 6mte ber SSöffer. 

S)er |)anbtt)erfer fielet öor 2^ogeSgrauen auf, jünbet feine Meine 
ßompe an unb plagt ftd^ ol^ne SRaft, um ein ttjenig SBrot für fic^ 
unb feine Sinber ju öerbienen. 

S)ie (Sered^tigfeit ift bag »rot ber SBöIfer. 

3)er Saufmann fd^eut fid^ öot feiner Slnftrengung, Magt über 
feine SKül^e, nu|t feinen Körper ab unb öergi^t ben ©d^Iaf, um 
fid^ Sleid^tum ju fammeln. 

Die greil^eit ift ber Sleid^tum ber Sßölfer, 

S)er ©eemann fäl^rt über ba^ SReer, fe^t fid^ ben ©türmen, 
ben fifi|)pen, ber Sälte unb ber §i|e auS, um fid^ bie Shi^e für 
feine alten Jage ju fidlem, 

©ie grei^eit iff bie SRu^e ber Sßölfer, 

3)er ©olbat unterwirft fid^ ben l^ärteften ©ntbel^rungen, toad^t 
unb fämpft unb giebt fein 95Iut für ba^, tt)a§ er Slul^m nennt 

S)ie greil^eit ift ber 9iul^m ber SSöIfer. 

SBenn e§ ein SSoIf giebt, baö bie QJered^tigfeit unb grei^eit 
geringer fd^äfet afö ber 95auer feine ®xnkf ber ^anbtoerfcr fein 
95rot, ber Kaufmann feinen 9ieid^tum unb ber ©olbat feinen Shii^m, 
fo bauet eine l^ol^e SRauer um biefeö SSoIf, bamit nid^t fein ftinfem 
ber Sltem bie fiuft in ©uropa öerpefte," 



„3unger ©olbat! too gel^ft S)u l^in? 

3d^ gel^e fort, um für bie ®ered^tigfeit, für bie l^eilige ©ad^t 
ber SSöHer, für bie enjigen Siedete beg SRenfd^engefd^Ied^tg, für bit 
greil^eit gegen bie Jtirannen ju fämpfen. 

SRögen ®eine SBaffen gefegnet fein, junger ©olbat! 

Sunger ©olbat, ujo gel^ft ®u l^in? 

Sd^ gel^e fort um bie ©d^ranfen eiujuftürjen, »eld^e bie SSöffer 



Die fo}taipolitifd)e Übeenbnuegung mti bie |toe|te. 438 

1 : 

trennen unb fie ^inbem fid^ gegenfeitig in bie Slrme ju fallen afö 
©ruber, bie in lieBeöoHer ©intrad^t leben foHten. 

3Wögen 5)eine SBaffen gefegnet fein, junger ©olbat! 
.Sunger ©olbat, roo gel^ft 3)u l^in? 

Sd^ ge^e fort um bm QJebanfen, baö SBort, ba^ ®ett)iffcn 
öon ber !£t)rannei ber äJJenfd^en ju befreien. 

©cfegnct, fiebenfad^ gefegnet feien ®eine SBaffen, junger 
©ofbat!"^. 

Slbftraft unb eintönig finb biefe ^u^fprüd^e unb Stefrain^ 

ganj getuig, aber öon jener 95erebtfamfeit geprägt, bie einen unge* 

.l^euren (SinbhidE auf ben gemeinen SRonn mad^t. 3Ran fielet, ba§ 

biefen revolutionären ©timmung^au^brüd^en wenig fel^It, um 5ßoefte 

JU fein. @ie tourben 5ßoefie bei SSictor ^ugo. 

Sieft man §ugo'^ ©ebid^te au§ ben öierjiger Salären, fo fül^It 
man, toie er mit feinem ©id^terol^r ben ®ang unb ben bumpfen 
Särm ber Sleöolution unter ber @rbe l^ört unb cg al^nt, ba§ fie 
i^ren ^ater in ^ßariö öffnen njerbe, ©d^on in ber SSorrebe ju 
ben „FeuiUes d'automne" erf fingt feine Slage über ©ngtanb, baö 
Srianb ju einem Siird^l^of umtoanbfe, über bie fjürften, "bie Stafien 
JU einem ®efängnig für ©alecrenjHaöen mad^en, über ben Sjar, 
ber Sibirien mit ben 5ßoIen beööHere, ©d^on bort fprid^t er mit §in== 
bfidE auf ben @aint*@imonigmu§ öon ben alten JRefigioncn, bie 
fid^ l^äuten, unb t)on ben ueuen, bie il^re l^albwegS gcfuuben, l^alb* 
toegg unmol^ren gormein l^eröorftammeln. Unb öon jenen Siagen 
ab tritt er in au feinen a33erfen auf atö gürfpred^er ber SSöHer* 
freil^eit, ber Dcmofratie unb ber Siefigion ber |)umanität. @r l^atte 
ate 5)ramatifer mit einer Steöolution ber Äunftform angefangen. 
S9alb jcbod^ begann er bamit, ba^ S)rama im 3)ienfte feiner 
Sbeen ju öertDenben, ganj njie in btm trorigen Sal^rl^unbert SSoftaire 
bie Xragöbie jum Organ ber feinigen umgebilbet ^tte. 6ine§ 



1 Paroles d'im Croyant. ^a^, XX, XXXVI unb XXXIX. 

»tttnbc», SittetaturgeTc^. be8 19. gfa^^.v. 28 



434 ^it romantifdie ^djule in itanhteidl). 



feiner S)romen („Le Roi s'amuse") tft ein Singriff auf bie ttjillte 
lid^e Äöntg^mad^t, gegen ben brutatften ber gefrönten SBüft= 
Unge granfreid^ö, S^^nj I, gerichtet, ein jnjeiteS („Stngeto"), bef|cn 
Sßorrebc rein @aint=®imoniftifcl^ ift, fteHt bie fjrau innerl^att. unb 
bie i^ian au^erl^olb ber ©efeüfd^aft gegen einanber auf, giebt ber 
j^erunijie^enben Sd^aufpiclerin 2;ugenben, bie ber öornel^men j)ainc 
f eitlen, unb erteilt jeber öon i^nen il^re 3bealität, ein britte§ (9lu^ 
S3la^) ift bie f^mbotifd^e Jl^ronbefteigung beg niebrigften ©tanbel. Sn 
SÄoliere'g „Les Pr^cieuses ridicules" njurbe ber Safai noc^ afö ein 
2^ier ober eine ©ac^e bel^anbelt; bort ttfurbe er, fo gefd^eut er aut^ 
n^ar, mit @todff(^lägen regaliert, felbft njo er in feiner Sßerfieibimg. 
nur feinem §erm gel^ord^t l^atte; furj öor ber groj^en 9leöolutton 
^atte ©ca^jin fid^ f obann in gigaro öertoanbelt, ber nod^ in ber Sime 
bie feinen §errfd^aften nad^ feiner 5ßfeife tanjen läj^t; in ,,9iu^ SIa§'' 
f)at ber 95ebiente, ha^ f)d^t ba§ ^oll, feine Siöree abgeujorfen, er^ 
greift bie 3Kad^t unb regiert. — SBenn man aud^ für bie großen 
©d^ttJäd^en biefer S)ramen ein offene^ Stuge l^at, !ann e^ @inen bot^ 
erfreuen, ben §aud^ großer Sbeen einjuatmen, ber fte bur^nje^t. 
|)ugo ift öon Statur ein fo bogmatifd^er (Seift, ba| jeber 
Sbeenlrei^, in ben er im SBerlauf ber Saläre eingetreten ift, fid^ in 
ber Siegel für t^n in ein Stiftern öon 2)oftrinen friftaßifiert ^ol. 
©einem ©efe^bud^ ber Humanität gel^ört feit fünfjig Salären bie 
Slbfd^affung ber Jobegftrafe an. @r l^at fie mit bic^terifc^en 
SSaffen in „Le demier jour d'un condamn^" unb „Claude Gueux*' 
befämpft; er l^at tl^re 95ered^tigung praftifd^ in jal^treic^en 
Briefen unb SRanifeften beftritten; er l^at perfönlid^ für ba^ 2e6en 
ber jum Jobe SSerurteilten gebeten; er l^at il^re @ad^e bor franjö- 
fifd^en Königen unb fremben ©efc^njomengerid^ten ptäbiert. @inb 
bie Slnfid^ten aud^ nod^ fel^r geteilt barüber, ob ber redete S^^' 
pnnft für Slufl^ebung ber S3eftrafung gemeiner äJJörber mit bem 
2^obe eingetreten ift, fo fann bod^ ba§ Streben §ugo§, ba§ Seien 
:politifd^er SSerbred^er ju erretten, auf ungeteilte @t)mpat^ie ?(n^ 



Die fo^ial|}olitif(l)e Jbeenbemegung unb bie |)oefte. 435 

fprud^ mad^en. SRel^r ate ein SRenfci^enlcBen l^at er gerettet. Um 
ttur ha^ befanntefte S3eifpiel ju nennen, er toax e^, ber burd^ feine 
in öier rül^renben SSer^jeüen an Snbnjig 5ß^ili^p gerid^tete fjürbitte 
ben ebelften Sleöotutionär beä Sa^r^unbert^, Slrmanb Söarbe^, öon 
bem ©d^afott befreite. Sine fold^e §anbtung n^iegt öiel njeit^ 
fc^njeifigen ^ßatl^o^ nnb ettna^ S)o!trinarigmu§ in feinen ntenfd^en^ 
frennblid^en 93eftrebungen reid^lid^ anf. 

5)en fd^önften unb allein angemeffenen 2lu§brudE für bag 3been^ 
leben beg größten franjöfifd^en ß^rüer^ ntufe man jebod^ fetbftöer^ 
ftänblid^ in feiner (^rifd^en ^ßoefie fud^en. SlKe§ tnag er toäl^renb- 
feiner erften ^ßeriobe in bem bramatifd^en %aä), toäl^renb feiner 
jtoeiten — bie au^erl^alb unfere§ Slal^meng liegt — im 9toman= 
fad^ l^eröorgebrad^t l^at, ift aU toenig bebeutenb anjufel^en im SSer* 
gleid^ mit ben unfterbüd^en 5ßoefien au§ ben breijsiger unb öierjiger 
Salären, bie er in ben jtnei Sänben (Sebid^te gefammett l^at, tuetd^e 
ben Xitel „Les Contemplations" fül^ren. |)ier l^aben benn auc^ fein 
gortfd^ritt^glaube, feine politifd^e Überzeugung, feine fojialen §off* 
nungen, fein religiöfeä (Sefül^tgfeben bie Äunftform gefunben, 
tt)eld^e bie einjige ift, bie für biefelben pa^t 2)iefe Äunftform 
tä§t fid^ nid^t auflöfen ober umfd^reiben, man mufe fid^ im Original 
an il^r erfreuen.- 

3Äit öoHer SBal^rl^eit tonnte §ugo in biefer (Sebid^tfammlung 
fagen: „^d) l^abe in SSüJ^ern, burd^ ©d^aufpiete, in 5ßrofa unb in 
SSerfen bie ©ad^e ber steinen unb ber UnglüdEtid^en öerf ödsten; id^ 
l^abe 3RiIbe geprebigt gegen alle bie, toeld^e bie äJJenfd^l^eit öer^ 
bammt; id^ l^abe für baä SSeib unb ba§ ^nb Siedete geforbert; id^ 
^aht gerufen: (Sebt il^nen Äenntniffe, SBorte, @(^rift! id^ ttjoöte 
ba^ (Sefängnig burd^ bie ©d^ufe auffangen."^ 



^ Marquis, depuis vingt ans je n'ai, comme aujourd'hui 
Qu'une id6e en esprit: servir la cause humaine. 
La vie est une cour d'assises; on amene 
Les faibles k la barre accoupl^s aux pervers. 

28* 



486 Ilie totnantifttie dd)nU in itanktei(i)* 

aber, Magt er, immer begegnete mir baö fürd^terlid^e ©eftcm, 
njetd^e^ ba^ SRorgen öerf d^Iingen toill. Äaum l^ot man bie fd^toärjeften 
ber ©d^recfen l^inter fic^, fanm ift man einen ©d^ritt öcrrtoärtS ge^^ 
fommen, nid^t öon bem Sd^fed^ten fonbcm öon bem Ärgftcn l^in^ 
n^eg, ba feiert bie alte 3^^ jnrüdE, bei§t ung in bie ^adtn unb 
mft i^r „\kf)t ftifl!" un« jn. 

5)od^ man ftanb ni^t fttl S)aS 3a^r 1848 ' lief mit 
feinem lang roHenben, reinigenben S)onner über (Suropcu @§ 
fam, bag 3a^r 1848, ba^ 3a^r beg ©rbbeben^, ber SSöKer- 
befreinng, ber l^etbenmütigen Kämpfe, nnb ad^! ber romantifd^cn 
Siaiöetäten. Did^ter unb ©d^toörmer »anftatt ber Staatsmänner 
am Shiber granfreid^g : @aint=@imoniftif d^e, neud^riftlid^e, poetifd^ 
Sb^n anftatt poütifd^er ®ebanfen in granfreid^S 3fiat! SBie öiel:= 
fagenb ift nid^t ein folc^ Meiner SHf ^^^ ^^f ^^% ^^^ ^^ 
erften §anblungen ber prob\forifd^en 9iegierung ttjar, auf SBor^ 
fc^lag Samartine'S bie 9legerfffat)erei für aufgehoben ju erflären! 
3n bie Steöolution bon 1848 münbet ber Sbeenftrom beS romanti^ 
fd^en granfreid^g. 



J*ai dans le livre, avec le drame, en prose, en vers 

Plaid^ pour les petita et pour les miserables, 

Suppiiant les heureux et les inexorables; 

J'ai r^habilite le buffon, rhistrion 

Tous les damn^s humains, Triboulet, Marion, 

Le laquais, le for9at et la prostitu^e. 

J'ai r6clam6 des droits pour la femme et l'enfant 
J'ai täche d'^clairer l'homme en le rechauffant. 
J'allais criant: Science! 6criture! parole! 
Je voulais r^sorber le bagne däns l'^cole. 



XXXV. 

aSenn man eine ßitteratur überfd^aut, einige Qdt nad^bent 
ein ftarter ©urd^brud^ ftattgefunben, in bem Slugenblitf, ba ba§ 
^eer ber neuen ©pod^e ben @ieg errungen l^at, fo. njirb ©inent 
junmte, afö überblidEte man ein ©d^Iad^tfelb* 3n ben S^riuntpl^^ 
jug ber ©iegenbeit mifd^en fid^ öor unferm Dl^r gebämpfte S^tage^ 
laute, Sd^ gebenfe nid^t ber SSel^erufe ber ©efd^Iagenen auf 
bem 9iüdEjuge; fte l^aben il^re 9üeberlage berbient, unb il^re ge^ 
bläuten SRüdfen flöjsen mir fein SÄitgefül^I ein; aber id^ benfe an 
bie S3ertt)unbeten unb SSergeffenen be§ ©ieger^, S)enn aud^ bie 
litterarifd^en Äömpfe l^aben il^re SSermi^ten unb ©etöteten, ffi§ 
ift öon Sutereffe einen Shtnbgang über baä ©d^ad^tfelb ju untere 
nel^men unb einen S5IidE auf biejenigen an^ ber (Generation öon 
1830 ju tt)erfen, n^eld^e in ber Shraft il^rer 3ugenb l^intt)eggerafft 
ober bod^ fo bemjunbet ttjurben, bafe fte feitbem, gefnidft unb 
ftumm, nur nod^ eine gebrod^ene ©fiftenj bal^infd^Ieppten. 

S)ag litterarifd^e Seben ift ja fo befd^affen, ba§ t)on l^unbert, 
toeld^e bie 9iennbal^n betreten unb il^ren Sauf beginnen, faum jtoei 
ober brei ba§ 3i^I erreid^en. S)ie Slnberen bleiben ermattet läng§ 
be^ SBege^ liegen. B^^^^ft unterliegen bie ^rmften, beren gä^igfeit 
bireft nid^t au^reid^te, bie fragmentarifd^en S^atente, todä)t, bnxö) 
bie |)offnung auf Sftul^m unb ©rfolg in biefe Söal^n getrieben, 

• 

in einem "iftthd leud^tenber SHuftonen fo lange bonoärt^ laufen, 
big bie SSeine unter il^nen jufammenbred^en unb fie im §ofpitat 
crttjad^en. ^'^ ®emnäd^ft ftürjen alle bie oft auggejeid^net 95e* 



438 Ilte rotnantif4)e Sd)nle in itankreid). 



gabten, bencn bie eigenartige Äontpüfation öon x^äi)iQhxten fcl^ft, 
n?elc^e erf orber lid^ ift, um fic^ in ber ©efeUfd^aft,. ber fte ange^ 
l^ören, geltenb ju mad^en, benen e§ nid^t ntöglid^ ift, ft(^ ben gc= 
gebenen SSerl^ältntffen anjupaffen unb bie noc^ Weniger bie »eit 
größere Äraft bcfifeen, bie ©efeUfc^aft jujuftu|en nnb umjubilbcn, 
bi^ biefelbc für fie pa^t Sie ttjerben regelmäßig t)on ben me^r 
ober »eniger gefd^idten SRittetmäßigfeiten befiegt, in toeld^en ba§ 
große 5ßubli!um ^feifd^ t)on feinem gleifc^, Slut t)on feinem S3Iut 
erfennt, 

Sd^on bie ärt ber Slrbeit bemii^tet öiele: eine 2lr6eit, bie 
il^rer 9latur gemäß öon feinem Sonntag tt)eiß; bie ba^ 9iert)en= 
ftiftem aufreibt; bie nic^t mit SSequemfid^feit betrieben werben fann, 
toeil nur ba^, toa^ nid^t bequem l^ertoorgebrad^t morben ift, ben 
fiefer ettoaö t)on ber Äraft ber ©emüt^betoegung empfinben läßt, 
toeld^e ber Sd^reibenbe fül^Ite, unb baju eine Slrbeit, bie in ber 
Siegel ju ben am menigften einträglid^en gel^ört — eine Slrbeit rein 
geiftiger Slrt, ttJeld^e ba^ <ginnen== unb ®efül^föleben, bie Smpfäng^ 
lid^feit unb ©mpfinblid^feit be^ ©d^affenben toeit über ben ßi^f^^^^^ 
ber Umgebung l^inau^ verfeinert, unb ttjeld^e ii^n bod^ biefer Um- 
gebung einverleibt unb mit benfelben Siegeln unb Äonöentenjen 
tt)ie bie anberen binbet 2)al^er ein S)urft nad^ Seben, nad^ reid^cn 
unb feinen SinbrüdEen, ber nid^t geftiHt toixb, ber bie ßungen ober 
ba^ SRarf öerjel^rt, unb ben bie SBelt aföbann ©d^toinbfud^t, Süt«^ 
jel^rung ober S^olC^eit nennt» 

Slnbere njerben öon ben Sd^tnierigfeiten öemid^tet, bie öon 
ber Stellung beS Sd^riftfteHerg unjertrennlic^ ftnb. ®aS ®leic^^ 
getoid^t ber ©efeUfd^aft berul^t in jjebem gegebenen Slugenbltrf auf 
bem ftiUfd^toeigenben Übereinfommen , ba^ bie ganje unb öoße 
SBal^rl^eit nic^t au^gefd^rieen toirb. SBenn e^ nun aber innerl^olb 
ber (SefeUfd^aft burd^ eine Slnomalie ein SBefen giebt, beffen einjige^ 
Slmt eg ift, bie ganje öoKe SBal^rl^eit ju fagen, wenn ber 2)i(^ter, 
ber Sc^riftfteHer überl^aupt, ber bei Strafe, jeglid^e S3ebeutung ju 



Die libttfeljenen unb Uergeffenen. 439 

verlieren, ein angcnel^mer äJJann, ein unfd^ulbige^ ©c^af ju tnerben, 
bie SBal^rl^eit fagen mu§, fo fie^t biefer 3Wann fid^ immer bem 
©ifemma gegenübergeftettt, enttueber ba§ ju verleugnen, tt)a§ er 
fagen fottte — unb bie^ SSerlangen ftumpft il^n ab unb mad^t i^n 
unnü| — ober ben offenen- Slu^fprud^ ju todgen, ber il^m leidet 
anwerft gefäl^rlid^ tüerben fann, inbem er il^m bie fürd^terlid^en 
geinbfd^aften einträgt, bie nur in ber ßitteratur möglid^ ftnb, 
geinbfc^aften; bie l^unbert ©prad^rol^re ju il^rer SSerfügung ^aben, 
njenn fie reben, l^unbert S^nebel, toenn fte feinen 9?amen tot=» 
fdEjtoeigen ttJoHen. gür benjenigen aber, beffen fieben auf bem S3e= 
fanntfein berul^t, ift feine ©efal^r größer at^ bie, ber l^eud^Ierif(^en 
unb lautlofen ©rmorbung mit ber SBinbbüd^fe beg ©d^ttjeigen^ 
}u unterliegen, 

®od^ alle Slnftrengungen, ©efa^ren unb ©d^toierigfeiten mußten 
ft(^ nottuenbigerttJeife öerboppeln in einer ^ßeriobe, tuie berjjenigen 
nac^ 1830, in toeld^er tnie burd^ einen Sauhtv^d^ia^ gleichzeitig 
eine ganje &xvppt reid^er 2;alente entftanb unb alle§, toa^ (Seift 
unb 5ßl^ontafie befa§, fic^ jur 5ßoefie unb S^unft ^ingejogen füllte* 
®enn tt)äl^renb'' ber Slul^m, ber fi(^ burd^ fünftlerifd^e fieiftungen 
gewinnen lie§, öor ben Singen ber Sugenb fo reijenb ftral^lte, 
wk jur Qdt SWapoleonS bie friegerifd^e @^re, njar e§ fd^mieriger 
afö je, nid^t überftral^lt ju toerben, unb ba ber §afe gegen bie 
gebal^nten SBege unb baS rul^ige, bürgerlid^e fieben atö bie 99e^ 
bingung, ettoa^ in ber S^nft augjurid^ten, betrad^tet tourbe, öer=» 
fd^mä^ten nur atljuüiele btQaik unb begeifterte 3ätiglinge einen 
bürgerlid^en 95eruf, um ber romantifc^en fiofung ju folgen, bie ba 
war, mit öerjel^renber fieibenfd^aft ju lieben unb geliebt ju tuerben, 
ein SReiftertDerf ju fc^reiben, ba^ SWenfd^engefd^led^t ju erretten ober 
ju öerad^ten, unb fobann ju fterben. 

SBenn man ba? Sluge über biefeg ©c^lad^tfelb, too bie Un* 
bcrül^mten aufgeatmet l^aben, gleiten lä^t, fo liegen bort bie armen 
öergeffenen Jalente in bid^ten SReil^en, 






440 Sie romontif^e Si^ttle In itankteii^. 

SJa finb retd^e, fräftig cntoidcftc ^Begabungen toie ©ufebe be 
Sattel (geboren in SRarfetHe 1801), @raf, Slrjt, Drientreifenber, 
^ofeffor ber arabifd^en ©prad^e unb Sitteratur, ber, obttjol^l fein 
JRoman „Sacontala k Paris" (1838) eine ber originettften unb 
beften pf^d^ologifd^en ©d^ilberungen ber ©pod^e ift, nie mit irgenb 
einem feiner Sudler eine jttjeite Sluflage, gefd^weige benn Anfeilen 
unb Sftul^m erreid^te. Unb bod^ l^atte er unter feinen Sugenb^ 
erinnerungen einen ©onntag hü Siobier, tt)0 er unb 35ictor ^ugo 
in gleid^ §o^em ®rabe bie gelben beg Siage^ toatttt 

S)a finbet fid^ 8iegnier^3Deftourbet, beffcn JRoman ,,Souife", 
ber Sonin genjibmet ift unb bieHeid^t i^m ettoag üerbanft, einen 
peinüd^en ©toff mit ®eiftegüberlegenl^eit unb geinl^eit bel^onbelt 

3)a ift ßl^arle^ DoöaHe, ber, nur jn^anjig Saläre alt, in einem 
5)ueIIe fiel, beffen Oebid^tfammlung „Liö Sylphe" aber ein Salent 
öerrät, bai^ SSictor §ugo mit SSärme anerfannte unb nad^ bem 
Sobe be« S)id^terg prieg. 

S)a ift @ugene |)ugo, ber ältere, fd^mermütige 83ruber öon 
JBictor, beffen treuer ^amerab unb greunb, ber mit öertoanbten, 
tt)enn aud^ öiel geringeren I^rifd^en Slnlagen au^gerüftet, ben erften 
romantifd^en tJ^Ibjug an feiner ©eite mitmad^e, aber fd^on 1837 
im SBal^nfinn ftarb, 

S)a finb fo biftinguierte unb abiige Xalente, ttjie ba^ fpurioS 
öergeffene gontane^'«, S)er 5)id^ter war einer t)on §ugo'« @t= 
tr^en, eine S^M^^9 ®efanbtf(^afti^fefo:etär in 3Kabrib, eine ftolje, 
biöfrete unb feine SRatur. 3n feiner SloöeHe „Adieu" (Revue des 
deux mondes 1832) l^at er eine« ber f d^merjlid^en , romantift^en 
Slbenteuer feine« Seben« erjä^ft; in ber ©etbftbiogropl^ie ®eorge 
©anb« ift ba« |>erjeleib angebeutet, ba« im Saläre 1837 feinen 
%t>b öerurfad^te» 

3)a giebt e« feine, jarte, I^rifd^e ^Begabungen foie %iXv^ SCröer«, 
beffen 9lame fid^ j|e|t nur an ein anmutige« ©onett fnüpft, ober 
toie ßaben«fi, öon \>tm man ftd^ nur einer Dbe erinnert, ober mie 



50ie äberfel)enen unb IJetgeffeneti. . 441 



©meft g^witt^t ^^^ ^^^ ©onctt „A deux heureux" an bcn Ülanb 
ber Slu^gabc öon Üionfarb fd^rieft, meldte fämttid^e 2)icl^ter ber 
©d^ule auf @ainte==Seut)e'g SSeranlaffung SSictor |)ugo fd^enften 
unb ju bcren poetifd^cr Slu^ftattung fie alle 83etträge lieferten» 3ft 
er aud^ l^eutjutage ganj öergeffen, fo fottte bod^ bie folgenbe Qdk 
t)on il^m ber SSergeffenl^eit entriffen werben: 

Pour que l'encens parfume il faut que l'encens brüle, 

benn ba§ ber SBeil^raud^ gtül^en ntu§, um buften ju fönnen, ba^ 
ift in einem @a^ bie ganje 5ßoeti! be^ 9lomanti§mu§. . , 

2Ran finbet arme ©aint=@imoniftifd^e ß^rüer toie ^ßo^at, 
©atirifer tüie %^iop^k gerriere, metd^er im ©tite öon (Sautier§ 
„Les Jeunes - France" bie jungromantifd^en Sluöfd^reitungen öer^ 
fpottete, unb in feinem ,,ßorb ßl^atterton" bem 3)rama be 3?ign^'^ 
eine parobierenbe gortfe^ung gab. 

äRan begegnet enblid^ Flamen n)ie Utric (äuttinger, ber je|t 
allein be^^alb nid^t ganj öergeffen ift, tüeit Sltfreb be äJiuffet in 
feinen erften ^oefien i^m ein jugenblid^eg bemunbembe^ ®ebid^t 
jugeeignet l^at. 

Um inbeffen einen einigermaßen lebenbigen (Sinbrud^ öon bi'efen 
©tieffinbern be^ ©äiidffatö ju geben, miß id^ bei einzelnen öon 
il^nen fo lange öertoeilen, mt notwenbig ift, .um i^re ^ßl^^fiognomie 
imb baburd^ bon einer mntn Seite biejenige be§ ä^^alter^ ju 
jeid^nen; benn. ber ^^ttd^^rafter prägt fid^ oft mit merftoürbiger 
©d^ärfe eben in ben 5ßerfönlid^!eiten ab, bie megen ©ftraöaganj 
ober SSijarrität nid^t burd^ jubringen -öermod^ten. 

2)er erfte, ben id^ nennen möd^te, ift g)mbert öattoif , nid^t 
tpeil er eine (Sröße, fonbem »eil er ein X^pug ift. ®r toar ein 
armer gfingling au§ (Senf, '@oI|n eine^ ©d^uHel^rerg , öorjügtidj 
gebilbet unb außergetoöl^nüd^ beantagt, ber, ol^ne genug ®elb in ber 
a;afd^e JU l^aben, um einen SRonat baöon leben ju fönnen, öon 
feiner SSaterftabt nad^ 5ßarig reifte, öon bem ©iege^ruf ber 9loman* 
tifer angejogen, boQ ©el^nfud^t all' bie SRänner in ber 9iäl^e ju feigen. 



442 I^te tomantifit)e 3it)ttle in ^Frankteiii). 



für bte er in bcr ©ntfcmuttg gcfd^tüärmt ^attc, unb totnn möglich 
atö i^reg (Slcid^cn ancrfannt ju werben. 

©eine crftcn SBcgc in 5ßarig tüatcn nad^ bem Slrfcnat ju 
S^artc^ SWobicr, bem 5ßatriatc^ett ber neuen ©d^ule, ju $ugo, 
i^rem Häuptling, ju ©ainte^Seuöe, beten Sannerträger, ^ugo f)ai 
OaflotE' erften 93efuc^ bei i^m befc^rieben. ^ä) gebe bie ©c^itbe^ 
rung in gebrängter S^ff^^Ö» 

„@g toax im Dftober 1827, an einem falten SRorgen, afö 
ein l^ol^er junger ÜÄann^ ju mir ^ereintrai @r trug einen tt^eijsen, 
jiemtid^ neuen Überjiel^er unb einen alten §ut. @r f^nrad^ mit 
mir öon 5ßoefie; er l^atte eine Stoße ^ßol^ier unter bem %mL 3<^ 
bemerfte, ba§ er mit einer gettjiffen 95erlegen^eit feine %ü%t unter 
bem ©tu^I berbarg. @r l^uftete ein menig. — Slm folgenben Jag 
regnete e^ in Strömen; ber junge 9)iann !am tt)ieber. ®t blieb 
brei ©tunben unb fprad^ anwerft aufgeräumt über bie englifd^ 
S)icl^ter, bie er beff er f annte afö iä) ; er f d^ttJärmte für bie ©eef c^ule, 
Sr ^uftete öiet. @r öerbarg bie ganje S^^^ f^^^^ S^B^ ^^t^^ ^^^ 
©tul^L S^i^^i merfte id^, ia^ feine ©tiefet grofee Söd^er l^atten 
unb gegen ba^ SBaffer feinen @d^u| gemalerten. Sc^ ttiagte nid^t, 
barüber mit il^m ju reben. @r ging feinet SBege§, ol^ne öon ettoa^ 
Stnberem atö ben englifd^en SJid^tern gefprod^en ju l^aben." 

@r eilte alfo ju ben erften ©d^riftftettem granfreid^S. ©eine 
SBorte, feine SSerfe offenbarten, bafe etttja^ in il^m ftedtte; er ttjurbe 
gut aufgenommen, man l^alf il^m fogar, unb feine 93riefe nad^ ©enf 
verrieten bk Sefriebigung ber unfd^utbigen (Sitetfeit, mitteilen ju 
fönnen, toeld^e Oeifter i^n atö il^re^gteic^en entpfingen unb todd^e 
berül^mte g^^i^ttbe er fid^ erttjorben l^abe. Slber gleid^jeitig tourbe 
er burd^ l^arfttädRge SRetanc^oIie jerrüttet: er pa|te nid^t in bie 
©efeüfd^aft, auf toeld^e er angettjiefen ttjar. 2)ie Trauer feinet 
Sebeng ttjar bie fonberbar flingenbe aber ttjal^re, bie tt)ie SRanie, tt?ie 
eine fije 3bee bei il^m immer ttjieberf eierte, bie 2;rauer nid^t aU 
©ngtönber geboren ju fein.. (Sr fünfte, ba§ feine ©emütgrid^tnng 



Die äbetfeljenm unb Hecgeffenen. 443 

in bie engfifd^e ßitteratur l^inein pa^tt, niä)t in bie franjöfifd^e; 
er (a§ öont SüRorgen bi^ äunt Slbcnb (Snglifc^ unb träumte nur ba^^ 
t)on, fo öiet ®elb ju fammeln, bafe er nai) Sonbon reifen unb in 
ber englifd^en ©prad^e S)icl^ter ttjerben fönne. 211^ man ein 3al^r 
nad) feiner Slnfunft in 5ßarig ben bon 9?ot unb 3?erjtt)eiflung 
Untergrabenen tot auf bem Sette in feinem unttJOJ^ntid^en 3^^^^^ 
fanb, l^iett er eine englifd^e Orammatif in ber §anb. 

3Ran ^öre ben 2;on in feinen ^Briefen: „O mein einziger 
f^reunb ! »ie finb bie ungtüdlid^, bie unglüdlid^ geboren finb ! ♦ « « . 

id^ l^atte geftem 5lbenb einen gieberanfaÖ feit id^ l^ier bin, 

l^at meine Dual fünf bi§ f ed^g formen ■ angenommen , aber ber 
SRittelpunft meinet Ungtüdf^ ift ber, nid^t in (Snglanb geboren ju 
fein, Sd^ bitte 3)id^, lad^e nid^t, id^ bin fo unglüdftic^, ^ä) bin 
jtoar ie|t in freunbfd^aftlid^e SSer^ältniffe ju ben auggejeid^netften 
©d^riftfteHern getreten unb empfinbe in ©efettfd^aft bi^toeiten einige 
Slugenblidfe oberftäd^Iid^er greube, toenn id^ mit meinen SSerfen @r^ 
fo(g l^abe. 3d^ !ann über biefe Meinen 2;rium:pl^e eines SlbenbS, 
eines SlugenblidfS tt)ie berauf c^t fein ; aber bod^ ift ber ®runb meiner 
©eele nid^t nur Unglüdf, fonbem ein trodfener ÄrebSfd^aben. @S 
läuft gefd^moIjeneS 95Iei in meinen W>ttn. SBenn man in meine 
Seele l^inein feigen fönnte, toürbe man SKitleib mit mir ^aben, @iel^, 
@ng(anb l^at SlHeS, fünfjig S)id^ter, bie ein abenfeuerlic^eS fieben 
gefül^rt l^aben unb beren 95üd^er öoß 5ßl^antafie finb; in granfreid^ 
giebf § nid^t brei fotd^er Slrt. Unb bann toürbe ic^ ein Sßaterlanb 
gel^abt l^aben, bag id^ fogar mit feinen SSorurteilen geliebt l^ätte; 

e8 liegt fo öiet ^oefie in (Snglanbg alten Sitten Sine eng* 

lifd^e S)ame, bie mir Unterrid^t giebt, fagt mir, ba^ iä) in j»ei 
Sauren fe^r gut ©nglifd^ fd^reiben fönne," 

@g ift eine rül^renbe Sßufion. S)er arme SBurfd^e, ber feine, 
eigene ©prad^e noc^ nid^t ööDig bel^errfd^te, beffen Dben leidet furj^ 
atmig tourben', beffen Sßerf en , ' f o fünftterif c^ fie aud^ jugef (pfiffen 
toaren, ber S)uft fel^Ite, träumte baöon, in ein paar Salären ttjeit 



444 Sie tomantifdie dit)ttle in franktei^. 



genug ju fein, um eine frembe Sptaäjz mit 5<irbe unb ©lanj 
fc^reifien ju fönnen. 93alb üerlor er i^oä) ba^ SBertrauen ju feiner 
SBegabung unb beurteilte felbft feine ^oefie toeit* ftrenger, aU fie 
öon Slnbem beurteilt iourbe. ffir jog fid^ in fic^ felbft jurfirf, 
looßte niemanb mel^r feigen, nic^t mel^r üon ber umgebenben SBeÖ: 
reben pren. Sr xoax mit Sntereffe für ?(ttcg unb Wit, mit be* 
geiftertem ©elbftöertrauen auö ®enf gefommen, Sn $ari§ fing 
er an fein latent in ®efpräc^en, in 2)igputen ju üerfd^menben, 
big er gule^t faum nod^ eine unberührte, jungfräulid^e Sbee in 
feinem Äopfe l^atte, 2)ann führte er Slrbeiten für SSerieger an^r 
fc^rieb 9iecenfionen, SBiogra^l^ien u. f, tt)., big e§ il^n anefelte, SIÖ 
er in feinem 22, Sa^re öerfd^ieb, l^atte er fd^on lange in ber 
tief ften ©teid^gültigfeit für bie Umgebung unb ol^ne ®lauben an fein 
eignet latent gelebt @r Iie§ fid^ ftei:ben.^ 

3c^ gel^e ju gebiegneren unb bebeutenberen ®eiftem über. 3c^ 
tmäf)lt brei: Souig 83ertranb, 5ßetrug SBorel, ^iopf)ik SDonbe^. 
ßg finb 9iamen, bie, alg il^re Jräger nod^ tebten, im $ubfr 
fum unbefannt geblieben, bie aber je^t t)on mand^' einem Sitteratur* 
freunb in granfteid^ gefannt ftnb. 3l^te SBüc^er »erben in 2n^u^ 
ausgaben auf J^oQänbifd^em Rapier neu gebrudft, unb bie Original^ 
ausgaben finb, befonberg feit E^arleg äffelineau bag Sntereffe für 
fie »ieber emierft l^at, faft ate SBertpa^iere ju betrad^ten, beren 
5ßreife immer fteigen. SBäl^renb fie lebten], tonnten biefe armen 
Xeufel nad^ »enig Salären feinen SSerleger mei^r finben; jt^t al^mt 
man fogar Jitelblatt unb ©ignet il^rer erften ©d^riften, bie in bm 
SJerf auf gf atalogen mit bem S^f^^ „feiten unb foftbar" figurieren, 
getoiffenl^aft nad^. 

Souig 93ertranb, geboren 1807 in SJijon, ber ©tabt, bie er 



^ 9mbett dJaUoif^ „Pönales posthumes" crfd^ienen in ®cnf 1834. ^kt 
tft burd^ einen fonbcrbarcn Srrtum — bcnn eS wäre ungereimt dn ein Plagiat 
JU benfen — ha9 ©cbicfit @amte=S3eut)e'§ „«Suictbe'' unter hit ^ocftcn 
öon ©alloiy aufgenommeu. 



Die liberfeljtnttt unb Hetgeffenen. 445 

fo fd^ött befungen l^at, am bcften unter btm ^fcubon^m ®afpatb 
be (a ytnxt gefannt^ öertritt innerJ^atb ber romantifd^en (Sruppe 
boDftänbiger unb ausgeprägter ate irgenb ein Slnberer eine ^aupt^* 
feite ber Söeftrebungen ber ©d^ule, bie (Srneuerung beg ^ßrofaftite, 
•SSäl^renb feine geftgenoffen ber ffürmifd^en ßeibenfd^aft poetifd^en 
SluSbrudf öerliel^en, entnjidette er in feiner 3?aterftabt bie Äunft eines 
93itbfd^ni^erS ober (SoIbfd^ntiebeS in ber Se^anbtung ber ©prad^e» 
SWiemonb l^atte einen §a§ tt)ie er gegen bie abgetrcigene SBettbung, 
ben abgebrofd^enen SluSbrudf. Sr l^at, beöor er fd^rieb, aße SSorte 
ber ©prad^e gfeid^foni burd^ ein Sieb gefd^ütteft unb aße bie, beren 
Slong buml)f , beren gorbe matt, beren (Gepräge abgenu^t toar, ent= 
fernt, um nur biejenigen barunter aujutoenben, bie malerifd^en SBert 
unb mufüatifd^e Valuta l^atten. 3n einem ©ebid^t muffen btm 
Sleim unb Sll^^tl^muS ju Sieb immer einige ^^ü& unb güllttjorte — 
fo njenig n)ie möglid^ — fid^ finben; bie Sunft 83ertranbS beruht 
barauf, bafe jebeS auSfüßenbe ober fd^maro^enbe SBort auS feinem 
@til öerbannt ift^ 3)aS SBerf feines ithtn^ gel^ött einem ©eure 
an, baS er erfanb unb baS mit il^m geftorben ift; er l^at in 5ßrofa 
ganj furje, nie mel^r als ein paar ©eiten einne^menbe ©d^ilberungen 
in ben öerfd^iebenen äRanieren 9flembranbtS , SaßotS, beS ®amU 
95reug]^efö, ®erarb ®on)S unb ©atöator SRofaS geliefert, unb bie 
beften biefer Keinen 5ßrofagemätbe finb öoüenbet n)ie ein Sitb biefer 
ÜÄeifter. 

3m 3al^re 1828, in ber erften rein unpotitifd^en ^eriobe ber 
romantifd^en 95ett)egung, trug er jur ©rünbung eines litterarifd^en 
DrganS in feiner ®eburtsftabt bei. S)ie ^Beiträge 83ertranbS jU 
,,Se ^rot)inciaI" mad^tcn bie großen ^rifer, S^ateaubrianb, SWobier, 
aSictor ^ugo, auf il^n aufmerffam,. unb balb fül^Ite er fid^ fo ftar! 
nad^ ber ^auptftabt gejogen, ba§ er unaufprlid^ auf ber SReife 
jtt)ifc^en ©ijon unb 5ßariS lag. (gr l^iett feinen ©injug, nur 
21 3a]^re alt, ctneS ©onntagS SlbenbS bei ©l^arteS SRobier, njo eS 
ii^m erlaubt ttjurbe, eine 83attabe öorjulefen. §ier machte er bie 



446 Xlte tomantifd)e 34ttle in frankreitt). 



SBefanntfd^aft bc^ ganjcn ^cifed, nal^m lebod^ feine bcfonbere S^-- 
flucht ju Sainte-Seuöe, ber fein Slatgebcr mürbe; bei biefem too^nte 
er, fo oft er ftc^ in 5ßari§ auffielt, unb i^m gab er feine 9Ranu= 
ffripte in 9Sertt)al^rnng. @r njar linfifc^ njie ein ^roöinjiafe unb 
ejaltiert mie ein Dilettant, aber .man a^nte btn S)i(i^ter, menn man 
bag 5^uer in bem 93Iicf ber Keinen fd^njarjen,. umJ^erfd^tpeifenbcn 
Singen fal^. 

öleid^ nad^ ber Sulireöolution ftürjte fid^ 95ertranb in bie 
^otitif nnb fd^tofe fid^ ber am tneiteften gel^enben Dppofition 
an. 2Kg ttja^rer ©ol^n eineö alten Dffijierg ber SRe^Jublif unb 
beg Äaiferreid^^ gab er bem friegerifd^en ©ntl^nfta^mn^, bem er 
öorl^er ©d^tüeigen geboten l^atte, in einer ^olemif gegen bie gro|* 
bürgerlid^e |)errfd^aft Snft. (£r niar nnr 23 Saläre alt, nnb ein 
83tatt ber Gegenpartei l^atte ang biefer feiner Sugenb 2lnta| ge^ 
nommen i^n boppelt l^ö^nifc^ jn bel^anbeln. @r jmang ben ^t^ 
bafteur, in feinem 83Iatt einer Slntmort 9lanm jn geben. „3c^ 
jiel^e (ivitvn ^oi)n @uerm Sob öor. (Sner Sob ttJÜrbe für mid^ öon 
fel^r geringer Söebeutnng fein nad^ bem 83eifall, mit njeld^em SSictor 
§ugo, @ainte==93ent)e, gerbinanb 3)eni§ n. a. m. mein Salent tt^ 
muntert l^aben. 2)a ^f)x mic^ baju jtoingt, toitt id^ @urer Unöer* 
fc^ämtl^eit gegenüber einige SBorte citieren, beren bag ®enie feftft 
mic^ geUJÜrbigt ^at. SSictor |)ugo fd^reibt mir: 3d^ lefe S^re 
3?erfe in einem greunbe^freife öor, wie id^ biejenigen änbri 
Sl^^nier'^, ßamartine'g ober be SSign^'g öorlefe; e^ ift unmög^ 
tid^, in l^öl^erem ®rabe im SSefi^ ber ©el^eimniffe ber gorm ju 
fein u. f. tt). ©0 fd^reibt §ugo bem SÄanne, ben i^r einen ©ommie 
JU nennen magt. ©^ ift toal^r, ba§ id^ nid^t bie Sl^re l^abe, öon 
irgenb einem abiigen Speid^eKedEer abjuftammen, unb ba§ ic^ loeber 
mäl^Ibar nod^ SSäl^Ier bin [b. f), ben |)öd^ftbefteuerten nid^t on^ 
gel^öre]; mein SJatermar nur ein 5ßatriot öon 1789, ein ®Iücf§* 
ritter, ber, ad^tjel^n Sal^r alt, fein 83tut am SR^ein öergo^, unb 
ber, fünf jig Sal^r alt, brei^ig ©ienftja^re, neun ^^t^ä^ig^ ^^^ W^ 



K^it iiberfe^cnen unb Utrgeffentn. 447 

aSunben aufjumeifen ^atte» @g ift aud^ toai)x, ba^ xä) ann 6m; 
mein SSatcr Iiat mir nur bie ©l^re bererftt unb feinen 2)egen, ben 
@ie nid^t ben SJiut l^aben, gejogen ju fe^en," 

2)iefe§ ift franjöfifd^er Sournaliftenftil öon 1832, gett)ife nid^t 
Befd^eiben, afier nid^t öerjagt» Sertranb geprt ber fd^on erwähnten 
©ruppe öon jungen Seuten an, afe beren Häuptling (Sobefro^ 
ßaöignac Betrad^tet n^erben !ann unb bie in bem Sargon ber ba= 
maligen Qtit hm Flamen „Les bousingots" fülirten. S8ei 83ertranb 
tt)ar bie repufitüanifd^e ©erbl^eit mit ber Iiöd^ften romantifd^en 
Überöerfeinerung mertoürbig gemifd^t. 

ßouig 58ertranb gelangte nie baju, 9lul|m ju gettjinnen» @r 
l^atte JU gettjattfam begonnen, feine ^aft nid^t aufgefpart» 2lrm 
unb überanftrengt burd^ bie Slrbeit, mit ttjeld^er er feine . äßutter 
unb ©d^tnefter emäl^rte, ftarb er fd^on 1841 in einem ©pital jü 
^ari§. 3)at)ib b'Slnger^, ber gro^e romantifd^e 93ilbl|auer, ber 
treu an bem Söette be§ hänfen au^gel^arrt l^atte, Iiej3 au^ feiner 
SBol^nung ein feinet mei^e^ ßeintud^ Idolen, um bie Jßeid^e barein ju 
pHen; er ttjar ber einjige, ber 93ertranb ba^ Ie|te ©eleit gab.^ 
2)aöib fegte il^m ein ©enimal; ©ainte=58eut)e unb ißictor ^aöie 
gaben feinen „Gaspard de la Nuit'* l^eraug, Sm Saläre 1842 
ti>urben mit genauer 9iot stüanjig ©jentplare öerfauft, aber 1868 
l^at iä romantifd^e Sibliopl^ite Kl^arleg Slffetineau eine ßuju§:= 
"Slu^gabe öeranftattet. 

9Äan tefe al^ 5ßrobe ber (Srjäl^Iung^meife 93ertranb§ ba§ 
(Stüd „Madame de Montbazon", beffen äRotto, au§ ben äRemoiren 
@ain{=@imong entnommen, fo tautet: äJiabame be äßontbajon mar 
eine munberfd^öne 3)ame, bie in bem vorigen [b. f). bem fed^^ 
jel^nten] Sa^rl^unbert öor ßiebe jum ^Ritter be la 3iue ftarb, ber 
il^re ßiebe nid^t ertoiberte: 



^ Sfflan fel^e hen feelcnöotten S3rief öon 3)at)ib b'^lngerS über ben Xoh 
SöcrtranbS in ©l^arlcg 5(ffelineau: Melanges tir^s d'une petite biblioth^que 
Tomantique. ©. 181 ff» 



448 Die romatttifdie ^djule in itankreidi. 



„^k QD\t [teilte auf ben lacfierten lifd^ eine SSafe mit 
Slutnen unb Slmtleuc^ter mit SBad^dlid^tern, beten SBiberfd^ein 
atö rote unb gelbe ©lanjflecfen auf bie Blaufeibnen ®arbmen am 
Äopffiffen ber Sranfen fiel. 

®Iaubft 3)u, SJiariette, ba§ er fommen tt)irb? — D fc^Iafen 
Sie boc^ ein, gnäbige grau, fd^tafen @ie bod^ ein tt)enig! — - 3a, 
ic^ »erbe balb in Sd^taf fallen, um bie ganje Stüigfeit öon i^m 
ju träumen. — 

9Äan prte Scmanb bie S^reppe hinauf fteigen. D, ö)enn er 
e^ ttjäre! flüfterte Die ©terfienbe fd^tüac^ läd^eliib, toä^renb ber 
©d^metterling be^ ßeben^ fd^on im 95egriff njar, üon il^ren Sippen 
gu flattern. 

@g mar ein Heiner $ßage, meld^er öon ber Königin ber grau 
'|)erjogin ffiingemad&teg, öacfmer! unb ©tipre auf einer fitbemen 
©d^üffel Brachte. • 

Std^, er fommt nid^t, jagte fie mit berfagenber ®ümmt, er 
fommt nid^t! -7 SÄariette, gieb mir eine ber 83Iumen ba, ba§ ic^ 
ben S)uft einatmen fann unb. bie 93Iätter öorSiel&e ju i^m füffe! 

2)ann lag äJiabame be ÜKontbajou unbemegüd^ mit gefd^Ioffenen 
"äuQtUr fie tüav bor Siebe geftorben; fie gab il^ren ®eift in bem 
S)uft einer ^^acint^e auf." 

m 

@^ fiel)t oft au§, atö ttJürben bie, meiere in ber Stttethtur ju 
frü^. f ortgel^en, ein tt)enig frül^er ober fpäter erfe|t 3tt ftrengercm 
@inn erfe^t aber nie eine 3nbit)ibuatitöt eine anbere. ©0 mirb 
ba^ SBerfjeug, bag Soui^ SBertranb au§ ben ^änben fäHt, ganj 
getoi^ öon 2;i^^op^iIe ©autier ergriffen, ber mit feinem toeit um* 
f angreic^eren S^alent SBertranb öergeff en liefe ; aber bem S5üdE feinet 
Äennerg mirb ed entgelten, bafe bei Sßertranb etttw^ Stu^gcfud^tc^, 
unenbtid^ ©eetenöoßeg toar, bag ®autier mit feiner fätteren ^faftif 
nid^t JU erreid^en bermod^te. 

SBir l^aben fd^on öfter $ßetru^ 93oret genannt, beffen einfache 
^äu^Iid^feit eine Qzxt lang ba^ Hauptquartier für ^ugo'S junge 



Die iiberfejienen nnt Dergeffenen. 449 



greunbe abgab. (Sr tpar jugteid^ Äünftter unb ©id^ter, orbeitete 
ate SÄater in S)^t)^ria'§ Sitetier unb fd^rieb unter bem Spanten ße 
S^cantl^rope (ber SBerUJoIf) Iierau^forbernbe 5ß^efien. @r ftö^te 
ben 3[nbem großen SRefpeft ein. @r njar einem Spanier ober 
Slraber be^ 15. Sal^rl^unbcrtg äl^nlid^, unb tomn feine Äameraben 
t)om Stl^eater nad^ §aufe gingen, n)o fie ben in ben Flotten 
S)clat)igne'g unb@cribe'§ gebilbeten ©d^aufpieler girmin at^ §emani 
gefeiten l^atten, toie oft bebauerten fie bann, ba^ man e^ nid^t 
^etru§ überlaffen Iiatte, ben ibealen 93anbiten ju fpieten. SBie 
ein Äönig^meil^ ttJürbc er auf bie 93ül^ne niebergefd^offen fein. Unb 
toie fd^ön ttJürbe er fid^ nid^t mit bem roten %nä) um ben Äopf 
unb in htm ßeber!üra§ mit ben grünen 3trmetn aufgenommen ^aben ! 
Sein SBunber, benn er ttjar ja in feinem gangen ®efü^föleben bag 
Original ber SRoHe. » 

93orefö (Sebid^tfammlung „Les Eapsodies" ift ein fel^r jugenb== 
lid^cg unb unreif e§ 83ud^; e^ entl^äft unter njertöoHen (Sebid^ten 
finbifd^e 5ßrotefte unb SBerbammungen ; aber e§ jeigt fo öiet: ba^ 
e^ in ber ganjen romantifd^en ®ru^3pe fein ftoljerc^ §erj gab afö 
bag be§ Süngßngg, ber e^ gefd^rieben l^at. @§ tritt etma^ öon ber 
SScrjnjeiftung ber Slrmut, etnja^ öon bem ©infamfeit^gefül^I ber 
Sünftterfeele, öon brennenber ßiebe jur ^reil^eit unb quätenbem 
®urft nad^ ®ered^tig!eit in biefen 3?erfen juS^age.^ §ier trifft man in 
ber tt)ir!Iid^en SBctt bagfelbe ©efüJ^I^Ieben, ba§ in ^^Slnton^" auf bie 
93ä^ne gebrad^t njurbe. ©d^on bie Slugftattung be§ 93ud^e§ ift be^ 
jeid^nenb. .2)er Siitetfupf erftid^ jeigt 93ore( felbft an einem 2;if d^e fifeenb, 
mit ber pl^r^gifd^en 3Rü^e auf bem Sopf; §ate unb 5lrme finb 
entblößt; in ber §anb ^ält er einen 3)oId^ mit breitem Slatt, 



^ SJlan •lefe Mefc ©tropl^ au8 bem ®ebic^t „D^sespoir": 
Comme une louve ayant fait chasse vaine^ 
Grin^ant les dents, s'en va par le chemin, 
Je vaiS; hagard, tout chargä de ma peine 
Seul avec moi, nulle main dans ma main; 
Pas une voix qui me dise: k demain! 
»tanbeS, Bitteraturgefc^. beS 19. 3a^r^. V. 29 



450 Sie tomonttfitie S^uie in itankteii^. 



bcn er, in tiefe ®ebanfen öerfunfen, fietrad^tet S)ie SSorrcbc bc§ 
SBud^g giebt einen lebl^aften (SinbrudE öon bcm Sion in ber rcpuMi* 
fanifc^en graftion ber romantifd^en Sugenb im 3öl^re 1832, g« 
l^cifet barin: 

„SBenn Sentanb fragen foßte, ob id^ Äepublifaner fei, fo ant^ 
tt?orte id^ frei: 3d^ bin eö. Slber möge er lieber ben ^erjog öon 
Orleans [ben Äönig] fragen, ob er fid^ ber Stimme erinnert, bic 
i^n am 9. Slngnft, ate er fid^ gu ^ferbe in bic Sf^Äammer begab, um 
ben @ib abzulegen, mitten unter bem 3ubelgefd^rei eine^ betrogenen 
aSoffeg mit bem «uf „grei^eit unb JRepubliÜ grei^eit unb afiepublif!'^ 
unabtäffig verfolgte. SBenn id^ öon ber ?RepubIi! rebc, fo ift e§ 
nur, tt)eil biefeö SBort bie möglic^ft weite Unabl^ängigfeit bejeic^nct, 
toeld^e ?tff ojiation unb Eiöififation geftatten. 3d^ bin Sle^jublitancr, 
n)eil. id^ nic^t Earaibe fein fann. 3c^ bebarf eine^ ungeheuren 
SWafeeg t)on ^rei^eit, unb ttjenn man fo gefteltt ift n)ie id^, fo arm 
»ie ic^, fo gequält bon UnglüdE jeber 3lrt tt)ie id^, fo toürbe man, 
felbft wenn man bon abfoluter ®kiä)f)dt träumte, felbft wenn nton 

ein argrarifd^eg (Sefe^ oerlangte, feinen Zabel öerbienen 

3)enen, bie mein 58ud^ plump finben, antworte id^, ba§ ber Ser^ 
faffer in ber Z^at nid^t ba§ 93ett beg Sönigg mad^t. aber foOte 
er fid^ nid^t tro^bem auf ber §ö^e eineg ßtitalttx^ befinben, »o 
man öon bummen 93anquierö regiert wirb unb gum SRonard^en 
einen 9Kann l^at, beffen SBal^Ifprud^ lautet: „Dieu soit loue et 
mes boutiques aussi!'^ 

@g bebarf feiner weitläufigen (Srflärung, ba§ da junger 
aWann, ber fo fd^rieb, feine Karriere mad^te. @r litt 9lot, hungerte 
oft, l^atte bigweilen fein S)ad^ über bem Äopfe, mußte fid^ manc|* 
mal ein SWad^tlager in einem SWeubaij fud^en. ©ein jugenb- 
lid^er $a§ gegen alleg Unred^t fd^abete il^m inbeffen auc^ ofö 
S)id^ter. 3n feinem großen jweibänbigen ?Roman „Madame Puti- 
phar" ift ber Sl^arafter ber |)elbin, SRabame 5ßompabour, burd^ 
bie repubtifanifd^e ©ntrüftung De^ SJerfaffer« entfteHt 3)ie leit^t^ 



Die llbet|ej)enen unb Detgeffenen. 451 



fertige, funftlieftenbe äRufe ber Sloccocojeit, bie eine Keine Ieid^t= 
finnige SSorüebe für bie g^eil^eit beg ®ebanfeng ^atte, bie ©nc^* 
Mopäbiften befc^ü^te nnb nnter SBoud^erg Slnleitung rabierte, ift 
\)kx eine 3Regäre genjorben, bie fid^ an ben ^afö eined fremben 
SKanneg wirft, ber t)on i^r nid^t^ n^iffen n)ill, nnb bie il^n für 
feine Mttt . mit unterirbifd^em (Sefgngni^ in ber SSaftiBie ftraft. 
S)a§ 95ud^ gewinnt erft gegen ben @d^Iu§. S)ie ©innal^me ber 
93aftiKe, ein (Segenftanb, ber fo red^t für SBorel lag, ift in einem 
lebl^aften, feurigen @tit, ber nad^ ^ulber ried^t, gefd^ilbert» 

2)a§ britte feiner 3Berfe ift „Champavert, contes immoraux" 
(1833), 3)ag SBud^ mad^te nic^t ba^ geringfte 5luffe^en ober 
Olüd, brad^te nid^t einmal feinem 95erfaffer ein bürftige^ Honorar 
ein, nnb biefe Ungered^tigf eit beg @d^itffat§ lä^t fid^ öerftel^en; 
benn mel^rere biefer SWoöeßen finb burd^ ben frül^ften jäl^nefletfd^en^^ 
ben @tit Söorefö öerberbt S)od^ in ben beften berfetben ift ber 3^^ 
bel^errfd^t unb fünftferifd^ bel^anbelt, wie man ßaöa fünftterifd^ öer^ 
wertet, wenn man Kameen barau^ fd^neibet, @^ finb immer 2lb* 
fd^eulid^feiten, um welche e^ fid^ in biefen (Srjäl^tungen l^anbett, 
©d^eu^üd^feiten fo abfto^enber, fo unnennbarer 3[rt> ba§ fie eben 
nur baburd^ begangen werben fönnen; benn niemanb ift leidster 
ftraffrei, aU berjenige, weld^er ein SSerbred^en begel^t, an bag fein 
SBenfd^ glauben wiö. ©§ finb Slbfd^eulid^fciten, weld^e bie 2)id^tfunft 
fetten berülirt; benn 5ßoefien foßen ja öor aKem öerfauft werben, 
ober bann mu§ man fie in einem g^milienfreife öortefen fönnen. 

„Dina, la belle Juive" fpielt in S^on im Saläre 166L ©in 
junger männtid^er unb borurteit^freier ©beimann ^at fid^ in eine 
junge fc^öne Sübin öerliebt unb reift ju feinem SSater, um beffen 
©inwißigung ju ber SSerbinbung ju Idolen. 2)iefer öerftud^t il^n unb 
feuert feine Slrfebufe auf ben @o^n ab, bod^ ol^ne i^n ju treffen. 
SBäl^renb Sigmar fort ift, wanbert 3)ina eine^ Stage§ am Ufer ber 
©aöne. @ie befommt Suft ju fegetn, ruft einen SBoot^fü^rer an 
unb legt fid^ träumenb jur SRul^e unter ba^ 3)ad^ ber ©onbeL 3)er 

29* 



452 )Die YmaattTdie SdiitU ia fnmltretdi. 



93ootdfä^rer beraubt bte fc^ötte Sfibüt i^rer 9ttnge utib Si 
^adfcn, bittbet i^r bte Srme, tnebett utib fc^äxtbet fte, mnt 
fte in ben f^Iug/ unb a(d ber ^ebel im gN^en au§ tferem 
fOlvaibt ^inauSgleitet, ftögt er mit ber ^or^ne noc^ i^r, fo oft 
fte auf bem 9EBaf|erfpiege( loieber emportauc^t. Tmm jie^t er bie 
Zote ^eraud uttb ge^t jum Stat^aud, um bie jtDei ^fotot ju 
erratet, bie jebem gegeben n^erben, ber eine Seiche ouS bein %tn 
^erauSgefifc^t ffat 

3ft bie fieic^e toiebererfannt toorben? fragt ber 9?at§^err. 

3a, 3Reffire. (Sd ift ein junget äRobc^en, 9iamenS 3)tna, 
Xoc^ter eines genjiffen 3frael SnbaS, eines SutoeüerS. 

(£ine 3übin? 

Sa, JKeffire, eine Äc|erin ober ^ugenottin ober 3ubin, fo mos. 

^u ftfc^eft a(fo 3uben auf, ^u Schlingel, unb bift fred^ genug, 
bafür nod^ eine 93e(ol^nung ju forbem? ^oDa 9Rartin, ^oQa 
fiefabre fomrnt l^erein unb werft ben Äerl l^inauS! 

Die ©jenen im 3nbcnöiertel unb bie ©jenen im 93oot finb 
in i^rer fd^neibenben SBa^r^ett untabcll^aft. ^eine ^at fein beffcrcS 
Silb öon jübifd^cm Scben im JKittelalter geliefert ate ^icr SBoreL 

3nt 3al^re 1846 ^alf 2:^^op^iIe @anix^ burc^ bie einflu§^ 
reid^c ^tau öon ®irarbin S3oreI für furje Qtri auS feinem @Icnb 
l^erauS. @r tonxbt jum ÄoIonifationSinfpeftor tief hinten in SKgier 
in ber 3l&f)t öon SWoftaganem ernannt. 8luS biefem fleinen 
fc^Ied^ten Slmt, in tocld^em er mit ber SRenfd^enfci^eu feiner S33cr^ 
njoIfSnatur fid^ jufriebcn füllte, n)urbe er jebod^ balb entlaffen, toeil 
er mit feinem eifrigen JRcd^tSfinn einen ^öl^cr ftel^enben SSeamten 
beS 93etrugS gegen ben Staat gejie^en l^atte. @r f al^ granfreit^ 
nie njieber; er ftorb in Slfrifa, einige fagen am ©onnenftid), 
anbere öor |)unger. 

@S ift fd^on ertoäl^nt, ba§ SW^rimte baS ®enre, loeld^eS SBoref 
fid^ gettJä^ft l^tjtte, aufnahm unb in feinen SReiftemoöeHen grelle 
©toffe mit fefterer |)anb bel^anbefte. 3)od^ bei ^Jlinmit öerfd^Iang 



Die äberfcicncn unb Uergeffenen. 453 



bie njeltmännifd^e 3ronte unb bie l&ofmännifd^e ©teganj jene ßeiben^ 
fd^aft, meldte bie ©tärfe 83oretö tüar. SSei äß^rimfe ftnben tt)tr einige 
ber §eraugforberungen, bie 95oreI ber (Sefeßfd^aft feiner Stit ju^ 
gefd^Ieubert i)attt, in einer fotd^en ©prad^e untf daneben, ba§ fie 
auf einem ©atontifd^ möglid^ mürben. 2)ie flamme, bie bei SBorel 
in ban SlHerl^eitigften ber ©eele brannte, öererbte fid^ nid^t^ 

3)er Ie|te biefer jungen, frü^ ju Orunbe gegangenen 2)id^ter, 
auf ben id^ bie Slufmerffantfeit l^inleiten ntöd^te, ift Z^iopf)xk 
®onbe5, genannt ^i)iiotf)it D'5Rebb^. 

D'SWebb^ tnurbe 1811 geboren unb bebütierte 1833 mit ber 
©ebid^tfammlung „P^u et Flamme", bie ba^ ^ubtüum, n^eld^e^ 
eben ju jener 3^it in einem Überfluß öorjügtid^er 5ßoefien fd^n^elgte, 
fo öoUftänbig überfa^, ba^ ber arme 2)id5ter, ber feine SRutter 
burd^ eine Heine Stellung im ginanjminifterium ernäl^ren mu^te 
unb ba^ S8ud^ auf feine Soften l^atte bruden taffen, ben äßut unb 
bie äRögtid^feit öerlor, jemals tokbtv an bie Öffentlid^feit ju treten, 
®^ h% P^ ^i^ ^i^ t)ertt)unbeteg 2;ier in feine ^'6f)k jurüd Site 
%f). ®autier ilin brei^ig Saläre fpäter ergraut ttjieberfal^ unb il^n 
mit ber grage begrüßte: ,,2öann fommt bie näd^fte ©ebid^tfamm^ 
tung?" anttDortete ber alte D'5Rebb^ feufjenb: „SBenn e§ leine 
©piepürger mel^r giebt." äJian fönnte glauben, ba§ feine 5ßro= 
buftiöität ertofd^en n^ar. SWadö feinem SEobe fanb man aber 
einen großen Raufen I^rifd^er ®ebid^te in feinem 5Rad^Iafe t)or; 
©meft |)at)et gab alle§ Iierau^, unb bie ^olge n^ar, bafe ©jem^ 
plare feiner erften ®ebid^tfammtung je^t mit 800 ^raufen bejal^lt 
UJerben, ol^ne 3^^if^t eine größere Summe, aU bem ®id^ter feine 
gange ^robuftion jemafe eingebrod^t l^at. 

%f)iop^k ©onbe^ begann nid^t ttjeniger unreif unb l^erau^- 
f orbemb afö ^etru^ 83oreL 3n ber SSorrebe ju „Feu et Flamme-^ 



^ 3Ran fel^e 93orel: Eapsodies, Bruxelles 1868. Madame Putiphar, 
Paris 1878. 5Bon (S,^ampa'ottt fenne idj nur bk Originalausgabe. — guIeS 
ßlaräie: Petras Borel, le Lycanthrope, 1865. 



454 Üe tmuwtifäie 3dnUt hi Haakx^ 



bittet er feine größeren fiampfgenoffen, t^n unter fK§ onl^aieipneB, 
benn n^te fie ^tierac^tet er t)on gonjer Seele bie gefeUfc^aftlk^ 
Crbnimg uitb bie polittfc^, todäft al^ bad g^tiemcui (!) twn 
jener ju betrachten ift, mte fie Derac^tet er ba^ 9nciennitats)nrt]^ 
in ber fiitteratur unb ber Sfobenrie; toit fie ^ört er irngfonbig 
unb fatt bie großen SBorte ber 9teligionen, unb toie fie fä§(t er 
fronmteS Sntjäcfen fiber bie ^oefie, bie 3^i0ntgSf(^Uiefter@otte$(!;''. 
9(Ue$ ift ^ier unruhig unb gefpannt, ^fig äberfponnt, e^ finb 
ftranf^eit^äugerungen, Selbftmorbgebanfen; aber aKeS ift in Serien 
au^gefproc^en, bie t)on einer Mnftler^anb gti^ännnert toorben. Sin 
befonberer Äuöbrud^ ber Sieigung jum Selbftmorb ift fe^r be^ 
jeicl^nenb. ^urc^ f^ft^atten bed ^reieinigteitSbogmaS, an rodd^e^ 
er übrigens fonft nid^t glaubt, finbet er in beut Dpfertob S^rifti 
baS SBorbilb beS <SeIbftnu)rbe§. @S ^eigt bei i^ni: 

Va, qae la mort soit ton refage 
A Texemple du Redempteur 
Ose k la fois etrc juge, 
La victime et Fexecuteur. 

3Bic ai)t romontifd^, toie tief eigentümlich für bie ^riobe 
ein fold^er fleincr 3^9 iftf betoeift ber Umftanb, ba§ man bei 
®eorge @anb in ben „Lettres d'un vojageur*^ faum einige Sa^rc 
fpäter (Sanuar 1835) benfclben ©ebanfen finbet. Sie fd^rcibt: 
Jesus, en soufErant le martjre, a donnö un grand exemple de 
suicide. SKertoürbig, ba§ beutfd^e JRomantifer, ba§ SRobaliS unb 
2;iccf nid^t barauf verfallen finb! 

2)ieienigen unter ben ©cbid^tcn D'SRebb^'ö, bie nid^t feine 
eigene $ßerföntid^feit be^anbeln, finb alle einem Äultuö be§ freien 
®eban!enö unb ber fünftigen Slepubtif getnibmet; bie meiften finb 
jcbod^ tief perfönlid^, fieben Sld^tel ttjol^t erotifd^er 9?atur. ®ine 
feine, ^od^öornel^me 3)ame Iiatte i^n, ben namenlofen, armen ^le^ 
bejer, mit il^rer Siebe au^gejeid^net, unb bie ©ebid^te ftrömen über 
t)on ttjel^mütigem ©ntjüden über bie angebetete ®dkitt; aber franf 
tote er ift unb fid^ fül^It, unb überjeugt, bafe bog ®iM mä)t für 



Die l(betfel)enen unb Hetgeffenen. 455 

i^n CEiftiert, gicbt er bcm ©ebanfcn an bie ßtc6e unaufj^örficl^ bcn 
®cbanfen an bcn Siob jum ^intergrunb. 

2)te poctifd^e gortn, bie er afö Süngßng fud^te unb fonb, tüar 
eine, bie il^n felbft befriebigte, ttjeit fie ftd^ feinen ©efül^ten unb ®e= 
banfen genau anfd^Iofe, aber er öerftanb nid^t tüie bie gtücMid^eren unb 
begabteren ©id^ter bie gorm jugteid^ für bie gro^e Seferttjelt burd^== 
fid^tig unb anjiel^enb ju mad^en. @o ttjanbte benn bie gro§e ßefertt)ett 
if)m ben Üiüdfen ju. Sr fül^ft fid^ immer mel^r tt)ie öom Seben öergeff en, 
toie verurteilt mit ungebraud^ten Säften ju flerben; immer tnieber 
nennt er fid^ in feinen l^interlaffenen ©ebid^ten eine tebenbige ßeid^e. 

3d^ überfe^e beifpiefettjeife einige ©tropl^en au§ bem Sonett 
„3)ic jtt)ei "Degen". 

,,@in @ol^n ber (Sebirge l^atte einen öorjüglid^en 3)egen, ben er 
in einer bunfeln ©de öerroften Iie§. @ineg S;age§ fagte bie ßtinge 
il^m: SBie biefe Stulpe mir l^art ift! D Srieger, tnenn bu moKteft! 
mein Stallt ift fo gut, 

3d^ bin tt)ie jeneS @d^tt)ert, unb id^ fage bem ©d^idffal: SBei^t 
bu benn nid^t, toit meine ©eele gel^ärtet ift unb tnie prad^tboö bie 
Älinge bfi^en fönnte, wenn bcine Siedete fie in ber ©onne fpieten 
taffen tvoUttl Sie ift au^ ebtem ©tal^I — o ©d^icffal, ttjenn bu ttjoßteft!" 

W)tt bag ©d^itffal ttjar, ttjie e§ bie ©etnol^nl^eit unb bie ©ad^e 
beg ©d^idEfalg ift, unerbittlid^, SBie ber ©d^iprüd^ige, ber im 
3Reere auf einem gelfen ftel^t unb n)artet, ba§ ein ©d^iff am §ori== 
jonte entportaud^en unb il^n mitnel^men toerbe, fo »artete er bie 
langen Saläre l^inburd^, aber ba^ ©d^iff beg ©d^idffafö glitt vorbei 
unb Iie§ il^n allein auf feinem g^tfen. ©eine ®eliebte üerliejg il^n, 
unb er prte auf ju l^offen, 3nbeffen nal^m feine 2)id^tung ein 
immer tiefere^ unb pl^ilofopl^ifd^ereg Gepräge an. 3n einem feiner 
©ebid^te ^ei§t eö mit geiftöoßer 3?erbre^ung be^ Karteftanifd^en 
©a^e§: „^i) teibe, alfo bin id^", unb in mehreren anbern fd^önen 
5ßoefien tritt ein in ber fi^rif be§ Jftomantigmu^ n)enig gettjöl^nlid^er 
^efftmi^mu^ ^eröor. äRan lefe ba§ ©onett, meld^e^ fo anfängt: 



456 Sie romantif4)e ddjuie in ßtonkttü^. 



Or qu*est-ce que le Vrai? le Vrai c*est le malheur; 
il soaffle, et Tbeur vaincu s'^teint, yaine apparence: 
Ses pourvoyeurs constants le d^sir, Tesp^rance 
Soos leuT flamme nous fönt mürir pour la douleur. 

Le Vrai c*est rincertain; le Vrai, c^est Tignorance, 
. . C'est le tfttoxmement dans Tombre et dans Terreur; 
C'est un concert de föte avec un fond d'horreur; 
C'est le neutre, Toabli, le froid, rmdiff(6reiice. 

@r ücrfud^tc fid^ eine SBeile afe ^itifer; aber bcr 3^itpi^ft 
ttjar ungünftig. @r fing an,, ^go ate ©ramatifer ju öerl^errücl^cn, 
tbtn als in ben üierjiger 3al|ren bie 5ßopu(arität beSfelbcn ftorf 
im ©infen toax. Seine leibenfc^aftüd^ begeifterte SBerteibignng bc§ 
3)ramaS „Les burgraves" ift fd^ön burd^ bie grifd^e bcS ®efül^^. 
©ein Singriff auf bie fititiler, bie ttjegen ber „Lucröce" t)on ^on= 
färb SSictor §ugo l^erabgefe|t l^atten, toar gegen 5ßonfarb nid^t im^ 
geredet unb öon ebler 5ßietät infpiriert. 2ltö er aber aufö neue 
aU ber gürf^^red^er §ugo'g auftreten tooütt, toax bie 9flebaftion 
ber „Patrie" umgefc^Iagen, unb er erljielt feinen Slrtifel äurürf. 6r 
nal^m feinen Stbfd^ieb atö geuiüetonift unb fd^rieb nie mel^r in einem 
Xagebtatt. ®r jog fid^ in feine innere SBeft jurüd, e§ toar i^m gu 
SKute n)ie S)on Duijote nad^ ber Stüdfunft ober toie SRdlierc'^ 
SKifantl^rop, aU er IjinauS in bie ©infamfeit ftiel^t; er fd^rieb in feinem 
legten (Sebid^t, bafe er jtoar nid^t an eine perfönlid^e Unfterbfid^feit 
glaube, toenn aber feine gelben einmal fiegreid^ über boS &t(A 
beö armen SSergeffenen reiten foHten, fo toürbe er gett)ijj fein §erj 
flopfen fül^Ien im Xaft mit bem (Salopp il^rer 5ßferbe: 

Et qui tendra roreille, ou'ira mon fier coeur 
Bondir k l'unisson du fier galop vainqueur. 

S)iefe feine gelben, für toetd^e er bie entfd^iebenfte SBetounbermig 
liegte, toaren unter ben SÄännem ber Sl^at ®aribalbi, unter 
ben ©id^tem §ugo, unter btn ©d^riftfteHem äRid^elet unb Ouinet, 
fpäter 9tenan. (Seine (e|ten Saläre njaren fc^toer; er öcrior feine 
9Rutter, nad^bem er feine beliebte öerloren l^atte; er njar lange 



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Die Übctfel)encn unb Uergeffenen. 457 



fran!, gegen fein (Snbe geläJ^mt. Sine eitiäige greube l^atte er in 
feinem SlÜer, bie greube, fid^ öon %f)io)()f)xk Oautier rül^mlid^ 
genannt jn feigen in einem geuißeton, ba§ fpäter in „Histoire du 
romantisme" 5ßla| gefnnben i)at (£r ftarb' erft im 3al^re 1875 
naä) einem 42iä]^rigen ©d^ttjeigen ate ©id^ter, 

SRid^t ttjal^r, e^ ift, atö l^örte man einen %vantxmax\d) anf ftor* 
umtt).nnbenen frömmeln f dalagen, toenn man biefe Dpfer ber litte* 
rarifd^en ßäntpfe unb Siege auffnd^t? Unb ttjenn man bemerft, toie 
jal^treid^ fte finb, fommt man unttJißfürlid^ baju, ein 95ucl^ toie 
be SSign^'^ „Stello" ober ein ®rama toie „Chatterton" in einem 
fd^öneren ßid^te ju feigen. 3ene Qdt tüax eine, njetd^er mel^r atö 
irgenb einer anberen ber (Sebanfc an ben leibenben S)id^ter ober, 
^nftler nal^e gelegt toax, unb bod^ l^at fte fo 9SieIe, toeld^e ein 
6effere§ Sog öerbient l^ätten, öerfd^mad^ten (affen^ @§ fd^eint bann, 
aU f)&ttt e§ für bie ^^ttfl^^^ffen immer gro|e ©d^ttjierigfeit, ben 
öerbienftöoßen unb leibenben Äünftler bort, tt)o er ift, ju entbedfen. 

S)er gorfd^er, ber nid^t rül^ren, fonbem öerftel^en tt)itl, jiel^t 
biefe ^intergrunbfiguren l^eröor, tt)ei( bie Signatur be§ Qtitait^x^, 
bie fid^ in ben SBerfen ber ®enie§ öorfinbet, bei il^nen in nid^t 
weniger leferlid^en unb fd^tagenben 3^8^^ gefd^rieben ftel^t S)ie 
®enie§ fteHen ben SRomanti^mu^ in feiner Äraft, in feiner rela* 
tiöen ®efunbl|eit bar; bie ßranfl^eit^gefd^id^te be^felben fann an 
biefen armen SerjtoeifeÜen ftubiert njerben, bie balb fo ftarf für 
eine frembe ßitteratur fd^toärmen, ba§ fie bie 95el^anb(ung il^rer 
eignen @|)rad^e öerfäumen, balb in poetifd^em unb politifd^em 
Streben ftüd^tig auftobem, balb afö SBagel^älfe l^eröorftürmen, um 
nad^ einigen 5RieberIagen ben 3Äut für immer ju verlieren, balb 
t)on ber (Steid^gültigfeit be^ 5ßublifumg töblid^ öerle^t ttjerben, balb 
ilire ^Begabung frampfl^aft anfpannen, bi§ fie jerberftet Sie finb 
fo gut tt)ie bie anbem (Stüdlid^eren ed^tgebome Äinber be^ 9ioman* 
ti^mug ber ad^tjel^nl^unbertbrei^iger Saläre» Sie finb feine ed^ten 
enfants perdus. 



XXXVI. 

So ttjar biefe ©c^ulc, fo toaxtn i^rc Xriuntpl^atoren unb il^rc 
UngtücHicI^cn, il^rc mcnfd^üci^ unb fünftferifd^ Scgciftcrten, ©o cnt* 
ftanb fic, fo tourbc fic gro^ burd^ eine mäd^tige Summe bon ®cnie 
unb Zaknt @o löfte fie fid^ atö ©d^ule auf/ um il^r geiftigeä fieben 
in reid^ begabten öerfc^iebenen ^erf önlid^feiten f ortjufül^ren, bie, felbft 
ttjenn fie fid^ am meiften t)on bem Slu^gang^punft ju entfernen 
fd^ienen, bennod^ bem SBefen ber ©d^ule treu blieben; benn toir 
belialten alte lange an ber Sd^ufter baS SKerfmat ber gal^ne, bic 
tt)ir juerft trugen. 3)ie romantifd^e Sd^ule ttJurbe jerftreut unb 
jerfpfittert, aber beöor fie ftarb, l^atte ber SRomantigmuS bm 
poetifd^en @til auf aßen (Sebieten erneuert, bie ©toffttjett ber Äunft 
bis JU einem öorl^er nie gefel^enen Umfang ertt)eitert, fid^ bon bem 
ganjen fojialen unb religiöfen 3been(eben ber ßeit befruchten 
laffen, bie S^rif, bag S)rama, ben SRoman, bie SRoöelle, bie Äritif 
umgefd^affen, bie l^iftorifd^en SBiffenfd^aften neu belebt, unb toar 
befeelenb in bie 5ßoIitiI eingebrungen. 

S)ie öoUftänbige Oefd^id^te be§ 9lomantigmu§ ju geben, toar 
mir nid^t möglid^; baju ift fie aßju reid^. 3d^ l^abe l^ier toie immer 
in biefem SBerf nur bie |)auptftrömung auftoeifen ttJOÜen, 3d^ l^abe 
beöl^alb öorgejogen, lange unb umftänblid^ bei ben |)au|)tperfonen 
JU üerttjeilen, anftatt jal^treid^e SWebenperfonen einjufüliren, bie tro| 
il^rer 95ebeutung unb beg 3ntereffe^, ba§ fid^ mit ilinen oerfnüpft, 
bie S^onjentration, bie id^ erreid^en ttjoßte, öerl^inbert l^ätten. Sc^ 



S^inl 459 

l^abc lieber ©injell^eiten au^ bem Seben einer n^id^tigen ^erfönfici^= 
feit mitgeteilt, al§ bett 5ßla| baju benu^t, bag Seben einer toeniger 
bebentenben ^erfönlid^feit im bloßen Ümrife jn geben; au^rial^m§== 
toeife l^abe ii) enbfid^ bie ©efd^id^te einiger $au|)tperfonen über 
bie (Srenjen ber 5ßeriobe Ijinan^ verfolgt, njenn fie nämlid^ erft 
nad^ 1848 il^re üoße Originalität entfaltet l^aben. 

SSiele eigentümlid&e ^Ii^fiognomien finb l^ier nur ffijjiert, fo 
Sllejanber ®nmag, ben man ttJol^l ben Slrioft be^ franjöfifd^en 
SRomantigmug nennen fann, ober be SSign^, ber fid^ felbft gejeid^net 
l^at in bem @a^: „®ie (£l^re — ba^ ift bie 5ßoefie ber 5ßftid^t." 
Slnbere l^ab' id^ nur nennen lönnen, n)ie 3ute§ 3anin „ben gürften 
be§ x^tmMon^", beffen Sloman „L'äne mort et la femme guil- 
lotin6e" ein fo merftoürbiger SSortäufer beS fpäteren SRaturali^mu^ 
ift, ober mt &ttaxb be ?leröal, ben (Su^l^orion beS 3lomanti^mu§, 
ben geiftigen Slbfömmling ?lobierg, beffen buftige grauengeftalten 
eine gett)id^ttofe ßeid^tigfeit l^aben, beffen übematürlid^e ^l^antafien 
orientalifd^ mörd^enl^aft finb, unb beffen ©onette au§ ber 5ßeriobe 
feinet SBal^nftnn^ ju ben fd^önften unb finnreid^ften gel^ören, n^etd^e 
ba§ Qdtaittr l^eröorgebrad^t I|at 2ln Dielen 2^alenten jttjeiten unb 
britten SRange^ l^abe id^ gang üorbeigel^en muffen, an Slntoni ®e^= 
d^antpg, ber ate ©id^ter brni entf|)rid^t, toa^ ßeopolb SRobert in 
ber aWalerfunft ift, an Slugufte aSacqu^rie, einem @|)igonen SSictor 
^ugog, intereffant burc§ feinen Äöl^lerglauben an ben SRomanti^^ 
mug unb feine unbefd^reiblid^e ßuüerfid^t, ber in feinem S)rama 
„Tragaldabaß" ber franjöfifd^^romantifd^en ©jrtraüaganj eine§ il^rer 
fül^nften ©enfmäler fe|te. 3n ber 9fiegel fonnte unb njoUte id^ 
nur bie t^pifd^en |)auptgeftalten l^erüortreten laffen. S)ie grofee 
grauengeftalt ber ^eriobe, George ©anb, mu§ aüein ate SSertreterin 
ber grauen beS 3^italter§ ftel^en, toie unterl^altenb e§ aud^ ptte 
fein f önnen, mel^rere anbere, mt bie geiftreid^e SRabame be ©irarbin, 
bie elegifd^e äRabame S)e§borbe§'9Salmore, ober bie jtoei freilebenben 
©d^riftftetlerinnen SRabame b'Slgoult unb SKabame SlHart, ju fd&il^ 



460 X^i< tomantifdie B^vit in «iftoitkreu^. 



bem. Bo f)at and) 8aintc==Seuoc aßcin bic ^ttil re^jräfcnticrcn 
muffen mit Übergebung oon 5ßl^ilaretc S^a^feg unb Sulcö Sonfai, 
niie 93aljac alletn ba^ Sßirflici^feitSftubium im ^lomon t)ertretrn 
mu^te Dl^ne äiücffid^t anf toeniger tiefge^enbe S3egabungen toie 
Älp^onfe Sarr ober S^arleö be 95emarb« @§ gicbt in ber ®cne- 
ration t)on 1830 jtoei ®ru))pen t)on ©c^riftftcQcrn, eine Heine, 
bit für bie gange @rbe gefc^rieben f)at, unb eine größere, bie für 
granfreid^ fd^rieb, unb nur bie erftere ^abe id) f)itt in üoIIe§ Sic^ 
fteQen tootten. 

SBir fa^en, toie bk Sleftouration unb ba§ 3ußföntgtum ben 
^iftorifd^en |)intergrunb bilbeten, öon toelc^em ber 9iomantiönui§ fic^ 
ab^ob unb ol^ne toeld^en berfelbe ni(§t üerftonben tt)erben fonn; toir 
fa^en, toie bie romantifd^e Sd^ule fotoo^I frembe STnregungen cm= 
pfing n)ie auc^ eine nic^t gang furge 9Sorbereitungggeit in ^Jranfrcic^ 
fettft ^atte. 3)ie 9ieftauration ,,ftartet*' fie, baö Sulifönigtum rcigt 
fie, ba§ Stubium öon Scott unb S^ron, ®oet^e unb ^offmann 6c= 
reichert fie. 8lnbr< S^ftiier giebt il^r bie I^rifc^e SBci^e, bie Kampfe 
im „®Iobe" enttoicfelit i§re Äritit S^arleö 9iobier bal^nt mit feinen 
im allgemein eurofxiifc^en @inn romantifc^en 2)id^tungen ben großen 
frongöfifc^en Slomantifem ben SBeg. 3)ann tnirft fid^ ^ugo gmn 
^ül^rer ber 93en)egung auf, geigt fid^ biefer Stellung t)oQftanbii) 
gen^ad^fen unb eilt t)on Sieg gu Sieg, be SSign^ unb er tocAm 
fd^neU neben fiamartine als fi^rifer genannt, bis ^ugo üQe uber^ 
ftra^lt Sainte=93euöe unb 3^6)p^ile ®autier ^aben beibe eine 
t^rifc^e aber, aber Älfreb be SRuffet erobert afö I^rifc^cr ^(^ 
baS $ublibtm ben anberen hungeren, balb fogar SSictor ^ugo ab, 
unb toixb für lange 3^^^ ^ Abgott ber Sugenb. 

£er SbmantiSmuS ^atte t)on Anfang an einen ^iftortfd^ 
^ang gehabt; be ^gn^, ^ugo, 93algac, ^(ximit tooOten gnm!^ 
reid^ ben l^iftorifc^en ätoman geben, auf todifm Snglanb ftolg 
mar; ^et, äRfrim^, S((ej[anber ^IhunaS, be SSign^, $ugo fticbten 
baS ^iftorifc^e 3)rama au bie SteDe ber Haffift^ ^agöbie ju 



- 34)ltt|. . 461 

fe^cn» 25er l^iftorifd^e SRoman tourbe fd^nett- t)on bem mobcmen 
9ioman in feinen öcrfd^iebenen %oxmm bei ©eorge @anb, Satjac 
nnb 93e^Ie öerbrängt, nnb aud^ ba§ l^iftorifd^c 2)rama ttjurbe 
balb änrüdgebrängt; e§ tuar in ber Sfieget ju troden, tt)ie bei 
aSitet unb äK^rim^c, ober ju I^rifd^^überfpannt, n^ie bei |)ngo. 
2Reiften§ l^atten bie 2)id^ter auf ber Sül^ne ben größten (Srfolg, 
nad^bem bie Seibenfd^aftlid^feit il^rer erften Sugenb ausgetobt l^atte. 
@§ tarn in ben öierjiger Salären ein gen)iffer ^^i^ii^ftf ^o nid^t 
nur au^erl^alb ber romantifd^en @d^ule eine „(Sd^ute be§ gefunben 
aSerftanbe§" beftanb, fonbern n)o innerl^alb be§ Stomanti^mu^ in 
bem Seben ber ©id^ter eine 5ßeriobe be§ gefunben aSerftanbe§ eintrat 
(g§ njar ju biefer Qtit, ba§ SKfreb be SDiuffet feine Meinen 
n)i|igen bramatifd^en (Singaben für bie SSemunft unb bie @l^e oer- 
fa^te, unb ba| ©eorge ©anb il^re frieblid^en 9?omane unb il^re 
Sauernnoöelfen fd^rieb. SBäl^renb |)ugo aU I^rifd^er ©id^ter immer 
l^öl^er ftieg, (enfte ©autier bie 95a]^n be§ SRomanti^mu^ in bie SRid^- 
tung ber bilbenben ^nft l^inein. 83aljac entoidfelte il|n in pl^^fiolo^ 
'flifd^er, Se^Ie in öölferpf^d^ologifd^er unb anal^tifd^er 9fiid^tung. 
Miximit öermittefte ben Übergang ber romantifd^en 2)id^tung jur 
®ef d^id^tf d^reibung , @ainte=93eut)e jur naturaliftifd^en Äritif. Stuf 
du biefen ©ebieten f)ai bie ©eneration öon 1830 Unöergänglid^cS 
geleiftet 2Ran lann fie benn aud^ ol^ne Übertreibung bie größte 
litterarifd^e Sd^ule nennen, n^eld^e unfer Sal^rl^unbert gefeiten l^at. 
Sn biefem Slugenblitf finb il^re 3Jiänner unb grauen öon ber 
Dberfläd^e ber ©rbe öerfd^tounben. SSiele ftarben frül^, unb in 
bem 3^to^ii^ 1869—76 altein üerlor jene^ ©efd^Ied^t öon ben 
berül^mteften feiner nod^ Ißbenben aSertretem nid^t-ttjeniger atö @ainte== 
Seuöe, äßerim^e, Sllejanber ®uma§, Zf)iopf)ik ©autier, aSitet, 
©eorge @anb. SRur ein einjiger t)on ben ®ro^en, nur ber ©rö^te 
tft nod^ am Seben, berjenige, beffen Seben^Iauf ju erjäl^Ien unnötig 
ttjar, toeil alle benfelbett fennen. aSictor §ugo, ttjetd^er ber ©rfte 
war, ift ber Se^te geblieben, ©ein reic^e§ Seben, überfc^ttJänglid^ 



462 



J^it tonontifi^e $^nit in iranktetd). 



im ®Iü(f ber Sugenb, n)ürbet)D(( unb gro^ im Uttgläcf, S^rftnrd^ 
cinflöfecnb im (Srcifcnalter, ein pompöfc^ unb antit^cfcnrcicl^e§ ^ocm 
toic feine eigenen (Sebid^te, frönt feine Äunft. 

3)ie Sonne ber franjöfifd^en 9iomantif ift untergegangen, aber 
folange SSictor ^ugo lebt, fie^t man nod^ ii^ren roten äLbenbfd^immer 
über bem iporijont. 




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