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Full text of "Collektenreise nach Holland und England, nebst einer ausführlichen darstellung des kirchen-, schul-, armen- und gefängnisswesens beider länder, mit vergleichender hinweisung auf Deutschland"

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ribraicii  Sncirrtnc  et  iUiärrnc  | 

FREDERIK   MULLEr' 


AMaTEKDAM^ 


5HL 


X 

'*.<■'. 


\- We:i^'''«^^ 


S 


£n>t  Mrt^  JUltet;   reatv  .«t.  firrneioä  ^idi  u, 


CoUektenreise 

nach 

'nebst 
einer   aasfiihrlichen    Darsteüong 

des 

Kirchen -9  Schul-,  Armen-  und  Gefangniss- 
wesens beider  Länder, 

mit  vergleichender  Hinweisung 

anf  Deatschlandf   vorzüglich  Preassen, 

von 

Theodor  FKedner, 

*  evangel.  Pfarrer  in  Kauenwerth  bei  DüMeldorf. 


3!oetttr  ßani. 


Nebst  Kupfern  und  Fianen  . 
und  einer    "^ritik   der  wichtigeten  theologiechen   Literatur 
Jlollande  vom  fgten  Jahrhundert, 


E  s  s  e  n, 

bei  G.  D.    B  &  d  e  k  e  r. 


1831« 


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I  j. 


^  * 


Vorrede. 


i^or  Ober  Einen  Abschnitt  dieses  Bandes,  fiber 
die  Kritik  der  wichtigsten  theologischen 
Literatur  Hollands  vom  IQted  Jahrhan* 
dert,  habe  ich  hier  Einiges  sn  bemerken. 

Der  Zweck  des  Bachs  erlaubte  mir  nnr  die 
wichtigste  theologische  Literatur  anzugeben 
und  EU  beurtheilen.  Ich  habe  daher  selbst  von 
den  aufgeführten  Schriftstellern  nur  ihre  beurtheil- 
teU)  nicht  aber  ihre  andern  Schriften  angegeben, 
weil  Zweck  und  Raum  einen  Bücherkatalog 
durchaus  nicht  £uliess. 

IDas  Wortt  wichtigste  ist  freilich  relatiVj 
und  so  werden  vermuthlich  manche  hollän- 
;  dtsche   Recensenten   behaupten,    dass  ich 


IV 

noch  mehrere  andere  Bücher,  als  in  diese  Kate- 
gorie gehörend,  hätte  angeben  nnd  benrtheilen 
müssen* 

Mit  der  Beartheilnng  selbst  werden  "Viele 
noch  weniger  zufrieden  sein,  namentlich  die  le- 
benden Schriftsteller,  deren  theologische  Ansich- 
ten ich  habe  tadeln  müsseu.  Da  die  meisten  der- 
selben noch  am  Leben  sind,  so  begreift  sich's 
leicht,  dass  Ich  bei  dieser  Kritik  viel  gewagt  ha- 
be, und  mehr  als  jeder  andere  Kritiker,  indem 
einige  jener  Schriftsteller,  wie  meine  CoUektenge- 
schichte  nachweist,  persönlich  meinen  Gollekten- 
zweck  freundlich  gefördert  haben*  Diese  werden 
mich  nun,  fiirchte  Ich,  der  Undankbarkelt  be- 
schuldigen* Es  würde  mir  dies  $ehr  wehe  thnn, 
da  Ich  solchen  Vorwarf  nicht  verdiene*  Mögen 
sie  denn  vor  allem  hier  die  Yer^ichemng  hinneh- 
men, dass,  wie  Ich  ihrer  Liebe  in  der  Collektenge- 
schichte  nicht  vergessen  habe^  so  auch  mein  Herz 
derselben  nicht  vergessen  hat,  noch  vergessen 
wird!  Mögen  sie  ferner  erwägen,  dass,  da  sie 
ihre  Schriften  und  die  darin  enthaltenen  theolo- 
gischen Ansichten  durch  den  Druck  der  öffentli- 
chen Bcurtheilun^  hingegeben,    ich   nichts  Un- 


V 


recbtcs  gelhan  habe,  das3  auch  ich  sie  öffentlich 
heartheilt!  Am  liebsten  hätte  ich  allerdings  we« 
gen  ihrer  persönlichen  Beziehnng  za  mir  sie  ganz 
mit  Stillschweigen  firi)ergangen.  Allein  gerade 
dann  bätte  ich  mich  der  Ungerechtigkeit  gegen 
sie  schuldig  gemacht,  da  sie  ohne  Widerrede  n 
den  wichtigsten  theologischen  Schriftstellem 
Hollands  gehören.  Non  sie  also  einmal  der  Kri- 
tik anheim  fielen,  yermocfate  ich  aber  nichts  wi- 
der die  Wahrheit 

Mögen  sie  mir  darum  meine  Kritik  zu  gute 
halten! 

Ja,  lieben  Brüder,  mögen  wir  nns  alle  mehr 
and  mehr  im  Licht  des  Evangelii  prüfen,  ob  wir 
im  rechten  Glauben  stehen,  und  brünstig  und 
fortwahrend  nm  erleuchtete  Augen  des  Verständ- 
nisses bitten,  dass  wir  wachsen  in  der  Gnade  und 
Erkcnntniss  nnsers  Herrn  und  Heilandes  Jesu 
Christi!  O,  dann  wird  £r  es  keinem  fehlen  las- 
sen, sondern  durch  seinen  heiligen  Geist  in  alle 
Wahrheit  leiten!  — 

Schliesslich  bemerke  ich  noch,  dass  ich  die 
Correctur  jdicses  Bandes  nicht  selbst  habe  be- 
sorgen können,  daher  ist  wegen   der  sich  cingc- 


VI 

schlichencn  Druckfehler  auf  Eniscbuldigang  An- 
spruch machen  darf«  Die  sinnentstellenden  unter 
denselben  sind  im  angehängten  Verzeichnisse 
berichtigt.  —  £in  besonderes  Sachregister  ist 
nicht  angefertigt  worden,  weil  das  ansfiihrlicbe 
Inhaltsvcrzeichniss  dasselbe  wohl  entbehr- 
lich machen  wird. 

F  1  i  c  d  n  o  r. 


-•• 


vif 


f  *  ■ 


IbhaJlsverzeichniss 

des    zweiten    Bandes. 


MM 


Seite 

Cfüllektiren  im  Haag      ..,..«^....        1 
Alte  und   neue   Verfassung   der   reformirteu   Kircbe. 

Licht-  und  Schattenseiten  derselben  «..«•«  6 
Besoldung  der  reformirtcn  Prediger  ••••*»  35 
Französisch-reformirte,  presbyterianisch-englische  und 

schottische  Gemeinden      «•• 36 

Protestantische  Gemeinden  in  Südniederland,  Militärr 

gemeinden,  ost- und  westindische  Kirchen  •  •  .  38 
Verfassung  der  evangelisch -lutherischen  Kirche  .  .  42 
Scherelingen«  Fischerei,  Schule ^  Seebad  daselbst  .  52 
Geföngniss   im   Haag«      Niederländischer   Assisenhof. 

Kabinet  der  Seltenheiten  •    •    •    « 58 

Rjmswoud'sche  Waisenstiftung.     Cresellschaft  zur  Et- 

muthigung  und  Unterstützung  des  Kriegsdienste»  62 
Uebersicht  des  niederländischen  Armenwesens  ...  64 
Entstehung  der  Armenkolonien  durch  die  Gründung 

der  GeseUschaft   der  Wohlthätigkeit 73 

Heise  über  die  Südersee.    Friesische  Sprache«.    Har- 
lingen.    Künstliches  Himmelsgebäude  und  Athenäum 

zu  Franeker      • «•••      79 

Zuchthaus  zu  Iteeuwarden.   Friesische  Trachten»   Torf- 
moore     »» «.      tK) 

Jleschaffeuheit    der    freien   Annenkolunien    zu   Frie- 
drichsort und  M^ilhelmsort «    >    »      ^^ 


VIII 

,  Seite 

Kolonial -Erziehungsanstalt  zu  Watereh U7 

Waisen -9  Invaliden-  und  Bettlerkolpnien  zu  Veenhui- 

zen«    Friesischer  Bauernhof 122 

Unfreie  Bettlerkolonie  und  Strafkolonie  zu  Ommerschans  133 
Beurtheilung  der  freien  und  unfreien  Armenkolonien     141 

Arnienkolonien  in  Südniederland       165 

CoUektiren  in  Leiden.    Rückblick  auf  meine  Gemeinde  lt)7 
Lateinische  Schulen     «,••••••..••    169 

UniTersitäten ••••••#•••    175 

Theologisches  Studium.    Wi^enschaftliche  Studenten- 

▼ereine.    Theo!.  Kandidaten -Examen 182 

Sfldniederländische  UniversitSten  •    •    .    .    ^    •    .    •    191. 
Mangel  specieller  Seelsorge  auf  den  preussischen  Uni> 
lersitSten.    Vorschlag  zur  Anstellung  eines  Uuiver* 

sitätsseelsorgers ••••••••    192 

UnYoUkommnnheit  der  theologisch -praktischen  Bildung 
auf  den  preuss.  Universitäten.  Verbesserungs vor- 
schlage in  Betreff  der  homiletischen  Anweisung,  der 
prakt.  Schrifterklärung 4  der  Anleitung  zur  Seelsor- 
ge» zur  Bekanntschaft  mit  der  kirchlichen  Gesetz- 
gebung und  Kirchenverfassung,  zum  Kirchengesang, 
zur  Obern  Leitung  der  Schule,  zur  Bekanntschaft 
mit  den  besten  Volks>- Lesebüchern,  mit  der  Bibel- 
und  Missionssache.  Paränetische  Lectionen.  Ge- 
schäfte des   Uuiversitätsseelsorgers  in  Betreff  der 

Studirenden     .    « 206 

Nothwendigkeit  der  Errichtung  besonderer  tbeolog. 
praktischer  Seminare.  Beschaffenheit  eines  solchen 
Seminars  für  unsere  Rheinprovinz.  Seminar  für 
Westphalen.  UnzulängUehkeit  der  prakt,  Anleitung 
iler  Kandidaten  durch  einzelne  Pfarrer.  Nothwendig- 
keit eines  Uuiversitätsseelsorgers  und  eines  Seminars  257 
Merkwürdigkeiten  Leidens.  Militärgefängnisse.  Privat- 
Erziehungsanstalt  von  de  Ra.id.  Mündung  des 
Rheins  in  das  M($er  ,  ••.•••••»••  ^^ 
CoUektiren  in  Harlere.  TKyLOnsche  Stiftung.  Kle- 
meiitar^cKulcn  ,    •    ,    , 285 


IX 


8«ite 

Or^aniBation  des  Elementarschulweieni«  BesehaflCen- 
heit  der  Schulen,  Lehrgegenstfinde,  Lehr-  uqd  Le- 
sebücher       - 292 

Besoldung  der  Schullehrer.    Schulhäuser      •    •    .    •    308 

Schullehrerseminar  zu  Harlenu  Bildung  zum  Schul- 
amte  durch  Schullehrer.  Concurrenzprüfungen«  An- 
stellung der  Schullehrcr*  ....'•.....    312 

Liciit-  und  Schattenseiten  des  niederländischen  Ele- 
mentarschul Wesens  und  der  Schulen,  Vorzuge  des 
preussischen  ElemeDtarschnlivesens 322 

Lacht-  und  Schattenseiten  der  niederlSndischen  Schul- 
lehrerseniinare.  Vergleichung  der  preussischen  mit 
denselben«    Besondere  Rücksicht  auf  das  zu  Mors     352 

Allgemeiner  Unterricht  von  Jacotot 377 

Blumengärten  zu  Harlem,   Orgel,  Kosters  Denkmal   < 
und  Fest.    Gang  nach  den  Dunen      ' 383 

CoUektiren  in  Dördrecht.   Merkwürdigkeiten  der  Stadt* 

Literarische  Gesellschaften.  Maattchappy  toi  Nut 
van't  Algemeen ''....     300 

Wasserland  zwischen  Dördrecht  und  Gorkum.  Col- 
iektiren  in  Utrecht  und  Zeist.  Akademische  Merk- 
>vürdigkeiten.  Nachrichten  von  Haus.  Predigten 
LoRRERG's  für  meine  Gemeinde    ..•..,.    408 

Kirchlichkeit«  Predigtweise.  Bybeioefeningen.  Kir- 
chengebet.   Anreden.    Lehre  der  Prediger     .    .    •    420 

Vergleichung  der  SEMLERschen  Zeit  in  Deutschland 
mit  der  neuesten  theol.  Zeit  in  Holland.  Aehnlich- 
keit  Bwischen  beiden 433 

Kritik  der  nichtigsten  theol.  Literatur  des  IQten  Jahr- 
hunderts.  I.  Exegetische  Theologie.  Van  Voorst, 
VAN  DER  Palm  9   Müntinghe^   Stronck^    Bosvkld, 

VAN   KOOTEN,     VAN    IIenGEL,    HeRINGA  ,     ROYAARDS, 

DK  Geer <    .    •    .     .    447 

n.  Historische  Theologie«  Ypcv  und  Dermolt^  Broes  481 
Hl.  Systematische  Theologie.    A)  Dogmati k.    Mün- 

TTNG11E>   VAN   VOORST,    UeRINGA,   BoRGER,   BrOWER   40$) 

B)  Moral.    Clarisse,  Kist 507 


m    < 

X 

Seite 
IV«  Praktische  Theologie«  A)  Prcdigtliteralur»  Kist> 

VAN  »ER  ROEST,  VAN  DKR  PaLM,  DERUOUT,  BOR- 

QER^  Wys •...••    513 

B)  Katechetik.   Egeuno»  Prins,  va»  Kooyen  529 

C)  Pastoraltheologie.    Ueringa  «    •    •    .^  *    335 
V.  Theologische  Zeitschriften,     yaderiandiche  Lei- 

ieroefmittgen ,    Boekzaat,    Godgeleerde     B^drage», . 

Nieuw  Chrütelyk  Maandsehrift    ..•..••    530 
Grosser  Unglaube  in  der  Kirche.    Entstandener  Kampf 

gegen   den  Unglauben  und   hierdurch  entstandenes 

neues  Leben  des  Glaubens.    (Liturgische  Formulare 

8.  552.  553).    Aussiebten  in  die  Zukunft  •    .    .    •    54^ 

Jlansenisten 55U 

CoUektiren  in  Schiedam  und  Delft.   Merkwürdigkeiten 

zu  Delft 571 

Die  Kirchengesellschaft:  Christo  Sacrum 574 

Abreise  nach  England 584 

Erster  Anhang.     Berichtigung,   die  Arbeitsdnstalt  zu 

Brauweiler  betreffend 587 

Zweiter  Anhang.  Die  Beaufsichtigung  der  Studirenden 

auf  den  preuss«  Universitäten  betreffend    •    •    •    .    587 

Dritter  Anhang«    Ministerielle  Verordnung  über  den 

Bibelgebräuch  in  den  EleHientarschulen,  und  Verbot 

des  Gebrauchs  der  Bibelauszügc  in  denselben    .    .    5dU 

Vierter  Anhang.    Die  Mildthäiigkeit  Hollands  gegen 

ausländische  nothleideudc  Kirchen  beUeffend    .    .    uDj 


Verbesserungen. 


S.     49  2«  13  V.  u.  lies  nimmer  ftatt  Immer. 

—  67  —    1  V.  o.  h  Unter  dieser  »t  Und  dieser^ 

—  104  —  10  f,  .„  l.  Ommerschans  st  AnnerscKs&iia^ 

—  108  —  13  „    „  1.  en  reglementaire  st  et 

—  111  —    1  y.  u.  1.  Ommerschans  st  Annerschana. 

—  129  —  10  f,    y>  1.  welcher  st  welche. 

— 9  „    ,,  t  Heerspin k  st  Heerspin«;« 

—  154  —  12  V.  o.  L  S.  104  st  S.  114. 

—  161  — '  13  ,,    n  1.  kein  st  keim. 

—  —  —    6  V«  u.  1.  sowohl  st  sugleieh^ 

—  1Ö2  —  12  V.  ü,  1.  nun  st  um. 

—  165  —     1  M    >j  l.  in  St.  im. 

— ' 14  „    M  t  RykcTorsel  st  KykeweseL. 

-*  170  <»    6  „.  f,  1.  sind  6  st  sinds. 

—  172  —    3  ,»    »9  I.  Diöcesan  st  Diocöfcn^ 

—  —  —    1  V«  u.  L  S.  5.  8t.  8.  8« 

—  174  —    1  T.  o.  1.  Solaren  st«  Slaven. 

—  182  —    7  V.  u.  1.  brauchen  st«  brauchte». 

—  202  —  10  »,    »,  1.  nimmermehr  st  immermehr. 

—  205  «—    3  T.  o.  1.  manchen  st  manchem. 

<—  207  —    5  »    »  füge  nach  dem Mf ort:  ist  hinzu:  und. 

—  213  *    9  „    „  1.  that  st  hat 

—  21S  —    6  »    ,9  1.  seiner  st.  seine. 

—  221  —  13  ,>    „  1.  beiden  st  bei  den. 
— 12  V.  u.  1.  Witzen  st  Sätzen. 


*i3l  —    7  „    „  l.  ohne  st  ihre. 


—  237  —     5  V.  u.  1.  unwichtiger  st.  umichliger. 

—  —  —     1  >,    „1.  sollte  st  sollten. 

—  252  —    6  „    y,  1.  unsere  iit  unseren. 

—  205  —    8  „    ,>  1.  gleichen  st  glücklichen. 

—  2(>(^  —  IS  V.  ü.  1.  rüstigsten  st.  rüstigeii: 

—  272  —    3  V«  u.  ist  das  Wort:  können  wegzustreichen* 

—  278  —    2  V.  ü.  1.  Militärgefängniss  &t  MiUtärgCv 

i'ängnisse.  J 


S.  279  Z.  12  V.  o.  1.  Exegeteast.  Exegesen. 

—  287  —    7  „    „  1.  Vrouwenhofje  st.  Vrauwenhüfjc. 

—  288  —  13  >,    n  1*  Chamouny  st.  Chamoury« 

—  294  —  15  »    9,  1.  van  st.  Taan. 

—  301  —  10  V.  u.  1.  D«  van  Da^peren^  der^eine  der 

Pestalozzischen  Zöglinge   st,  Prediger 

van  Dapperen. 
<—  305  —  16  T.  Q«  1.  raadgeringen  st«  raadgewingen. 
— .  337  —    9  „    „  1.  Beuggen  st.  Brüggen« 

—  349  -.  14  T.  o.  1.  das 8  st.  doch« 

—  367  —    8  „    „  1.  No.  2  —  6  st.  No«  11  —  6. 

— .  371  —    3  T.  o.  1.  den  Gemeinden  st.  der  Gemeinde. 

—  —  ..    9  ,,    „1.  die  st«  sie. 

—  374  —    1  «    »  1.  in  st-  »»it. 

— •  10  ,y    n  Gerechtigkeit  st  Gereehtigung. 

—  375  —    7  V.  u.  1,  Schülern  st  Schulen. 
•—  385  -r    1  T.  o«  1«  durfte  st  durften. 

—  389  ~.    1  „    „  I.  dess  st  dass. 

393  —  l5  „    yy  1.  Verscheidenheid  en  st.  Verschei- 

denheiden. 
.^  404  ..    1  ,y    ,,  \,  unerkannte  st  unbekannte. 

^^ 8  y,    ,,  1,  geschahen  St.  geschehen. 

.—  410  —    3  T.  u.  1.    'glattgeschnittene    st.    plattge- 
schnittene. 
.^    -i-  —    2  M    9»  L  Räumen  st  Säumen. 

—  412  —    5  T.  o.  1.  widerstehen  st  stehen« 

—  413  ..    3  ,^    „  1.  den  Riesenstengeln  st.  dem  Rie- 

senstengel. 
«-    —  .^  14  ,y    y,  1.  Ilugenhuiz  st.  Augenholz. 
*>    -^  —    7  V.  u.  1.  Koupmans  st.  Knupmans. 
— •  414  —    3  V.  o«  1.  gleichen  st  solchen. 
.»    ..  —    4  „    n  h  Beusichem  stBersichem. 
«—  ^  ^  —  IS  9»    9>  1«  Ittcrsuni  st  Ittersani« 
r—  415  "^    5  99    »>  1.  llarpen  st  .Happen. 

—  —  —     1  V«  u,  1.  Huydekoper  st.  Huydcruper. 

—  426  —  2  V.  o.  1.  währen  st,  während. 
— .  — .  —  12  V.  u.  1.  E geling  st  Egelnig. 
— •  432  —    2  „    ,y  1.  um  st.  nur. 

—  433  —  10  V.  0.  1.  und  ihren  st.  in  ihren. 

-^  438  —    4  )>    »9  1.  waren  st.  wären. 

-—  441  —  11  99    99  1.  einen  st.  einem. 

— 3  >9    9,  1.  PredigeriJroesstProfe&süiHrüCis 

— 12  „     „  l.  fast  St.  fus. 

^  448  —  12  V.  u.  1.  traditae  st  truditac. 

—  453  «.  10  „    ^1«  äiHuioavytj  st  iir^aioavvi^v. 

—  459  —  17  „    „  1.  Neologien  st  Neologen. 


S.   459  Z.   10  V.  0.  t  Geiiasi  st.  Gehosi« 

—  462  —  13  „    „  1.  Raphidiin  st.  Kaphiden. 

—  464  —  13  y^  u.  1.  «charfsic&tigeB  st  sdiarsidiCige. 

—  466  —    6  V.  o«  1«  zu  8t.  zo« 

—  469  —  17  ,«    n^  den  Bybel  st  der  Bybei. 

— 20  ,,    ,»  l.  Herder's  st  Hrrdkr'su 

..  469  —    4  >y    Pf  1.  zeigen  st.  zeigt 

—  472  —  18  „    ,>  1*  demselben  st  derselben. 

—  —  —  17  V.  u,  nach:  Fundament  setze  ein  Comma. 

—  474  —  17  V«  o.  ist  das  Wort:  sich  wttzastreichen 

—  476  ^    S  „    „  1.  hoffte  st  hofft 

—  477  —    5  r.  o«  I.  fein-  st  frei-, 

— 9  ,,    y,  ist  das  Wort:  tob  wetgzastreichen. 

—  478  —  17  >,    „  1.  feine  st  freie. 

—  48L  —    7  „    „  1.  über  st  aber. 
— >  489  —    1  ,9    »  t  in  St.  ziu 

—  —  —    7  „    „1.   van  der  Meer  en    st    Tan  der 

Meeren. 

—  503  —  12  9,    „  L  Engelerscheinungen  st.  Engel* 

erscheinung. 

—  510  —    5  V,  u.  1.  Prediger  st  Professor, 

—  512  —    1  „    ,,  t  Prediger  st  Professor, 

—  516  —    4  T.  o.  1.  wilden  st  milden. 

—  534  —  16  V.  u.  1.  wieder  nicht  st  nicht  wieder. 

—  541  —    3  ,,    »»ist  nach:  eine  das  Wort:    neue  zu- 

zufügen. 

—  546  —    8  „    ,y  1.  hineinflicht  st.  hineinfliesst. 

—  549  —    2  V.  o.  1.  van  st.  vak. 

—  —  —  13  „    „  ist  nach:    Unglaubens  —  ein  Comma 

St.  des  ;  zu  setzen. 

—  550  —  14  T.  Ui  ist  nach:  Seite — das  Wort:  stattge- 

habten zuzufügen* 

—  564  —  13  f»    99  1.  worden  st  werden. 

—  588  —    9  f,    „  nach:  Rheinprovinzen  —  ist  das  Wort: 

Westphalen  zuzufügen. 

—  589  —    1  V.  o.  1.  auszeichnet  st.  ausgezeichnet 

—  —  —  10  V.  u.  1.  gebraucht  st  gebracht 


# 


Nachricht  für  den  Bachbinder. 


Das  Frauen  -  und  Männerhaus  ist  als  Titelkupfer  zum 
1.  Bande  einzuheften.  Das  Zuchthaus  zu  €fent  am 
Schlüsse  des  I.  Bandes, 


Das  Bild  von  BismoA  ist  als  Titelkupfer  zum  II.  Bandei  der 
Auf-  und  Grundriss  yon  den  Armenkolonialhäusem  zu 
S.  O69  der  Grundriss  des  Veenhuizer  Stifts  zu  S.  124, 
das  Bifd  ron  K18V  zu  8«  609  einzuheften. 


Collcktiren  im   Haag, 


Am  29»  OcCober  reiste  Ich  nach  dem  Haag,  nachdem 
ich  schon  10  Tage  vorher  einmal  von  RQtterdam  ans 
dort  gewesen ,  und  die  Cgllektensache  hei  einigen  re- 
formirten  Predigern  vorbereitet  hatte.  Unter  diesen 
nahmen  sich  der  älteste  Prediger  NoORDiNK  nnd 
Hofprediger  Dbrmout  meiner  mit  besonderer  Hera« 
Hchkcit.an,  verschafüen  mir  ein  von  allen  hollän- 
disch- und  fr anzösisch-re formirten  Predi- 
gern der  Stadt  unterzeichnetes  Empfehlungsschreiben^ 
»in  ähnlicher  Art,  wie  ich  in  Amsterdam  und  Rotter- 
1  dam  erhalten,  sammelten  für  mich^  und  halfen  mir 
mit  ihrem  Rathe.  NooRDiNK  hatte  schon  vor  meiner 
Ankunft  IM  fL  bei  verschiedenen  Freunden  gesammelt. 
Dem  Prediger  Sluiter  verdankte  ich  eine  warme 
Empfehlong  bei  dem  berühmten  Grafen  Gtsbert  Karl 
lAif  HogendorP)  welcher  im  Jahre  1813  mit  küh- 
11.  1 


ner  Hand  die  StaatsnmwälzuQg  gegen  die  Franzosen 
sn  Gunsten  des  Prinzen  von  Oranien  geleitet  hatte. 
Hierdurch  gelang  es  mir,  Zutritt  zu  dem  ehrwürdigen 
Staatsmanne  zu  erhalten.  £r  litt  sehr  an  der  Gicht, 
welche  ihn  auch  von  den  Staatsgeschäften,  • —  er  war 
früher  Staatsminister,  —  sich  zurück  zu  ziehen  gezwun- 
gen h^tte»  Er  empfing  mich  liebreich  und  zeichnete 
4iZ  f).  Ein  frommer  Baron,  VAN  BoetzelAAR, 
zeichnete  auch  52  fl.,  und  als  ich  ihm  Einiges  von  dem 
Äusseren  Zustande  meiner  Gemeinde  erzählt  hatte^ 
sagte  er  mich  tröstend  beim  Abschiede  mit  -herzlichem 
Händedruck:  Houdt  Christus  %yne  Kerk  in  stand, 
7J00  ma§  de  hei  tfry  woeden! 

Die  Unterschrift  YAlf  Hogendorps  machte  mir 
anch  bei  .  mehreren  Ministem  Bahn.  Finaiuuninister 
£lout  zeichnete  sehr  liebreich.  Der  Jnstizminister 
VAN  Maanen  beschied  mich  durch  den  Bedienten  in 
die  ^öffentliche  Audienz.  Ich  wartete  hier  in  einem 
grossen  Saale  zwei  Stunden  lang  in  Gesellschaft  von 
30  Herren,  die  mich  verwundert  anstaunten,  was  ein 
^  Domine  wohl  in  der  Audienz  des  Justizministers  zu 
thnn  haben  möge*  Als  endlich  die  Reihe  an  mich 
kam,  vorgelassen  zu  werden,  erstaunte  der  Minister 
nicht  weniger,'  da  er  einen  Gollektanten' vor  sich  sah* 
Lächelnd  sagte  er:  Es  ist  hier  zwar  der  Ort  nicht,  zu 
coUektiren.  Indess  will  anch  ich  gerne  zeichnen.  Es 
thttt  mir  leid ,  dass  ich  zu  Hanse  den  Zweck  Ihres 
Kommens  nicht  wusste,  sonst  würde  ich  Sie  nicht 
hierher  bemüht  haben.  Aber  nun  habe  ich  kein  Geld 
'h«i  mir.    O  Ew.  Excellenz,  erwiederte  ich»    Ihre  Un- 


terschrif^  ist  völlig  hinreidiend.  Er  war  jedoch  nicht 
eher  znfrieden,  bis  er  die  nnterieichneten  2ft  fl.  von 
einem  Unterbeamten  geliehen  vnd  mir  gegeben  hatte. 

Noch  mehrere  andere  Minister,  StaatsriSthe,  Kam* 
merherrcn  und  andere  Grosse,    so   wie   manche  vor« 
nehme  Damen  nnterxeichneten   frenndlich,   nnd   offen- 
karten  zum  Tbeil  einen  so  tief  christlichen  Sinn ,   dass 
kh  mich  innigst  freate,  auch  in  dieser  H6he  nnd  die« 
sem  Glanz  des  Lebens  so   viele   demSthige  Seelen  sn 
finden,  in  denen  Christas  herrschte.     Von  Baron  Fa- 
ce L   erhielt  ich    zugleich    einen  Empfehlungsbrief  m 
leinen  Bruder,    der  damals  niederländischer  Gesandter 
in  London  war«    Da  seit  dem  Tode  des  alten  ehrwiir« 
digen  Jo RISSEN   die   hochdeutsche  Predigerstelle  an 
der  reformirten  Gemeinde  eingegangen  war,   eine 
solche    aber  noch    an    der    evangelisch-lutheri- 
sehen  Gemeinde  bestand,   so  hielt  ich  in  deren  gros- 
sen schönen  Kirche   einfe  Abendpredigt,   welcher   auch 
einige  reformirte   Prediger   beiwohnten«      Die    lutheri- 
schen Prediger,   unter  ihnen  besonders  der  menschen- 
freundliche Schultz,   der  Secretär   der  lutherischen 
;.  Synode,   unterstützten  mein  Unternehmen  in  ihrer  Ge- 
■einde  liebreich,   und   sowohl   die  Aeltesten,   als   die 
iKilonen  gaben  Beiträge.     Auch    der  remonstran- 
tiiche    Prediger,    VAN    DER    Breggen    PaAVw, 
ttpfahl    mich    bei    einigen    reichen   und   wohlthätigen 
Geneindsgliedem  mit  günstigem  Erfolge.     Ein  90jäh- 
ripr  blinder  Greis  hatte,   als  ich  zu  ihm  kam^  schon 
fagst  eine  bedeutende  .Gabe  für  mich  aurechtgelegt, 
«d  empfing   mich    rait  «oleher  Wärme  und   Freude. 

1  ♦ 


\ 


■4 
• 


^gleich  alft  brachte  ich  ihm  ein  grosses  Glück«  So  hell 
fjUnd  ich  das,  Liqht  der  Liebe  noch  in  ihm  leuchten, 
'wenn  schon  das  Licht  der.  Sonne  seinen  Augen  nicht 
mehr  schien«  Wohl  äun!  Für  ihn  wird  jetzt  keine 
Nacht  mehr  sein«  Er  wird  wandeln  im  Lande  des 
Schauen»  9   wo  der  Herr  sein  ewiges  Licht  ist. 

Im  Klingelbeutel  meiner   der    reformirten   Kirchen 
fand   man  an  einem   IVlittwochsgottesdicnst  ein  Zettel- 
eben,   wprin  38^2  Stüber  eingewickelt  waren,  mit  fol-. 
genden   Worten:     Voor  de   gemente  i^an  Kei- 
'S.grsu^aerd  is   dit  ^t^einigey    kon  niet  meer^ 
•Om  t^erborgen  te   zyn  vp  dexe   u^ys.      /  Cftr.^ 
'^9^   ^9*    ^^^  Bibi^lstelle  sollte  wohl  mir  gelten.    Habe 
^)ank  für   deine  Liebe  gegen  Prediger  und  Gemeinde, 
du  edle,  unbekannte  Seele!     Der  Herr  wird  auch  Dir 
^in  I^us  bauen,   das  ewiglich  bleibet. 

Besonders  viele  Liebe    fand  ich   im  Biirgerstande, 

••unter  andern    bei /den  Brüdern  A^^    oben  erwähnten 

Missionärs    KiCHEEER,     bei    der    Familie    JOBIS- 

S  E.JN  '»6 ,    und   bei    vielen   von    deutscher   Abkunflt.  — 

So  ward  denn  auch  in  der  Residenzstadt  die  Collekte 

*«iae  reich  gesegnete* 

Ak  der  K^ö  n  i  g  von  meinem  glücklichen  Collekti- 
reu  erfahr,  sagte  er  ;nim  Minister  desCultus:  Wenn 
dieHaagjer  Gemeinden  so  viel  überflüssiges  Geld  für 
fremde  -Gemeinden  hatten ,  so  brauche  er  wohl  künftig 
nichts  mehr  aus  der  Staatskasse  für  ihre  eignen  Bedürf- 
nisse «uzuschiessen.  .  D^r  Mim*ster  bemerkte  darauf» 
^^s  meine  Gemeinde  keine  fremde  ^u  nennen  sei,  da 
sie  .immer  als   eine    der    nothleidenden  .  ausländischen 


*  • 


.-*  •-«'■'.-.* 


Kirchen  ven  Holland  -  Untersfutzang  empfangen  babe^ 
worauf  der  König  sich  beruhigte«  Es  wurde  mir  nach- 
her von  Jemand  der  RaA  gegeben,  mich  nun  lieber 
möglichst  bald  in  der  Stille  aus  dem  Haag  zu  machen, 
kh  erklärte  aber,  dass,  da  ich  ein  gut  Gewissen  bei 
der  Sache  hätte ,  ich  ruhig  meine  CoUekte  vollenden- 
wurde,   was  ich  auch  ungestört  that. 

Von    den   C all ekten leiden^,  deren    idi   auch., 
hier  manche  zu  tragen   hatte,   thut   es    bei  der  Menge»^ 
von  Coliektenfreuden  nicht  Noth ,  viel  zu  realen«. 
Genug,   ich  fand  auch  hier  wieder  bestätigt >.  dass  die- 
jenigen,  welche  die  Menge   der  einheimischen  Bediirf-. 
nisse,    für  die  sie  so  viel  gaben,   vorwenden,  um  we^ 
nig  oder    nichts    für   ausheimische   mitzutheilen ,    aucb. 
fnr  die  ersteren  in  der'^egel  am  wenigsten  geben»,  vnd 
iass   ebenso   die,-  welche   die  Gäbda    ihrer  Mitbürger 
als  kärglich  zu  bekritteln  jpflegen-,    darum  scHbst  toichis 
röchHeher geben.  Wie  der  Herr,  s»  der  Knechff 
i^es    Sprichwort    sah    ich    häufig  in^  £rfiiiluflg  |(efae«.^ 
Wenn  die    Bedienten   smerst    den    fremden    JDömine, 
drfnrchtsToll  behaadelten,  so  wurde,   sobald   sie  die- 
Herrschaft  ihn  barsch  abweisen  sahen,     auch    ihr  Be- 
tragen  gegen    ihn   meist  gewaltig  verändert.      Jedoch., 
kalte    ich   bisweilen    den  ^rost,     dasJs    die  Bedienter^ 
ttdeidiger  als  die  Herrschaft/  mein^  Fehlbitte   berzJirir- 
Mauerten.  ' 


A 


i*«M 


i*dMaM>M 


Kirchenverfassung  der  reformirten 
und  der  evangelisch -lutherischen 
Kirche. 


vrleichwie  das  Ministerium  des  protesUntSschen  Cnl- 
ftus  seinen  Sita  im  Haag  bat,  so  versammelt  sich  hier 
auch  die  oberste  kirchliehe  Gesellscbaflsbebdrde  der 
beiden  sahlreicbsten  protestantischen  Confessionen,  die 
Gcineralsyno  de  der  Aeformirten  und  der 
Evangeiisch-Liptherischen.  £s  ist  daher  hier 
3er  Ort,  von  der  KirchenverJTassnng  beider 
Confesfionen  zu  reden. 

!•  Verfassun^''der  reformirten  Kirche. 

Die  alte  Verfassung,  welche  vom  Ende  des  16. 
Jahrhunderts  bis  zum  Jahre  1785  >  so  lange  die  refor- 
mirte  Kirche  Staatskirche  war,  sich  erhielt,  bestand 
dem  Wesentlichen  nach  in  Folgendem: 

Jede  Gemeinde,  einige  in  Gelderland  und 
Nordbrabant  ausgenommen,  hatte  ihren  Kirchen- 


% 


rath  (Kirehenrorstand ,  Presbjterxam) ,  welcher  aus 
mehreren  Aeltesten  und  dem  oder  den  Predigern  be- 
stand» Die  Diakonen  gehörten  eigenüich  nicht  daxa, 
und  worden  nur.  bet  Berufung  eines  Predigers  zum 
Beralhen  und  Stimmen  hinzugezogen,  welche  Versamm- 
lung dann  der  grosse  Kirchenrath  hiess,  wozu  mei- 
stens auch  alle  gewesenen  Kirchenrathsglieder ,  die 
Altäitesten  und  Aitdiakonen  hinzutraten^  im 
Gegensatz  gegen  den  kleinen  oder  gewöhdlieheiv 
Der  Kirchenrath  hatte  die  nächste  Leitung  der  kirchli- 
chen Gemeindeangelegenheiten  ji  so  wie  di^  AufsiciU 
über  die  Schulen« 

lyie  darauf  folgende  KirchenbehÖrde  war  die 
Klasse  (Kreissjnode) ,  deren  jede  Provini  mehrere 
hatte,  in  welche  sie  eiugetheilt  war.  Die  höchste  Zahl 
der  Klassen  einer  Provinz  war  11^  z.  B.  in  Südhol- 
iandy  die  geringste  Zahl  3,  z.  B.  in  den  Provinien 
Utrecht  und  Drenthe.  Auch  die  Zahl  der  Gc«* 
meinden,  die  zu  einer  Klasse  gehörten,  war  sehr  ver#- 
schieden.  Die  Klasse  von  D.ordrecht  in  SüdhoIIaad 
zählte  Sl  Gemeinden  mit  60  Predigern,  die  Klasse,  voji 
\Val  ehern  in  Seeland  sogar  54  Gemeinden  mit  77 
Predigern,  dagegen  die  Klasse  von  Kämpen  m 
Overjssel  nur  9  Gemeinden  mit  12  Predigern*  Di^ 
Klasse  versammelte  sich  in  den  meisten  Provinzen  9 
oder  4mal  phrlich,  in  einzelnen  sogar  monatlich,  in 
einzelnen  andern  dagegen  nur  einmal^  des  Jahres.  Zu 
leder  dieser  Klassikalversammlungen  sandte  der  Kir« 
chenrath  jeder  Gemeinde  1  Prediger   und  1  AeUesteo 


8 

nit  Vollmachten ;  in  einzelnen  Provinzen  jedoch  wur- 
den keine  oder  nur  wenige  Aelteste  dazu  gesandt. 
Von  den  Beschlüssen  des  Kirchenraths  konnte  man  au 
die  Klasse  appelliren.  Die  Klasse  hatte  die  obere  Auf- 
sicht über  Lehre  und  Leben  der  Prediger ,  Kirchenrä- 
the  und  GemeindsgHeder ,  hatte  das  Recht,  die  Kir- 
chenzucht nicht  bloss  durch  Ausschliessung  vom  h« 
Abendmahle  9  sondern  auch  bis  zur  völligen  AusschüeS'* 
sung  aus  der  Kirchengemeinschaft  zu  üben,  Prediger 
und  Kirchenvorsteher  zu  suspendiren  und  abzusetzen« 
Auch  examinirte  sie  die  Kandidaten,  besültigte  den  Be- 
ruf der  neugewählten  Prediger ,  und  gab  den  nach  ei* 
ner  andern  Gemeinde  ausserhalb  der  Klasse  Berufenen 
ein  Zeugnis»  über  Reinheit  der  Lehre  und  des  Leben^. 
.Tut  die  Leitung  der  Klassikalversaminlung  wurde  ein 
Präses,  ein  Assessor  und  ein  Scriba  gewählt, 
meist  durch  freie  Wahl  aus  der  Mitte  der  versammel- 
ten Predtga:*,  oder  auch  nach  einej^  gewissen  Reihen- 
folge, welche  3  Moderatoren  nur  während  der 
Daner  der  Versammlung  fungirten,  und  bei  jeder  Klas- 
äikalversammlung  neu  gewählt  worden.  Zur  Ausfüh- 
rung 'der  Beschlüsse  der  Klasse  wurden  von  derselben 
2  bis  4,  auch  wohl  mehrere  Deputati  claaais  er- 
Irahlt,  die  zugleich  die  Visitation  der  Kirchen  und 
Schulen  hielten,  welche  letztere  meistens  jährlich,  in 
einigen  Provinzen  alle  2  Jahre  geschah,  und  in  der 
Klassikalversammlung  darüber  Bericht  abstatteten,  wo 
sie  gleich  den  übrigen  Mitgliedern  Sitz  und  Stimme 
hatten.  Sie  fungirten  gewöhnlich  2  —  3  Jahre.  Diese 
D&putäii  waren  bloss  aus  den  Predigern  gwählt,     aus- 


V 


0 


genommen  lu  Friesland,  wo  neben  6  Predigern 
auch  6  Aelteste  data  erwählt  worden. 

In  der  Winteneit  warde  in  einigen  Prorinxen. 
deren  Gemeinden  weit  von  einander  entfernt  waren, 
nicht  die  vollständige  Klasse ,  sondern  nur  eine  soge- 
nannte das 8 18  contracta  versammelt ,  welche  aus 
den  Moderatoren  der  ietsten  Klassikalversammlung  wA. 
einigen  dazu  erwählten  Predigern ,  im  Ganzen  ans  B 
—  10  Mitgliedern  bestand«  Die  meisten  Klassen  wa- 
ren in  kleinere  Kreise  (Ringen)  getheilf,  welche 
Cintheilung  jedoch  fast  ansschliessfich  auf  das  beque- 
mere und  geregeltere  Wahrnehmen  ^^s  Dienstes  in  ei- 
ner vacanten  Gemeinde  von  Seiten  der  benachbarten 
Prediger  Bezug  hatte. 

Von  der  Entschetdang  einer  Klasse  konnte  man 
an  die  Provinzialsjnode  appelliren.  Diese  ver- 
sammelte sich  in  jeder  der  8  Provinzen  jährlich  ein- 
mal,  mit  Ausnahme  von  Drenthe,  wo  sie  nur  je- 
des dritte  Jahr  sict^  vtoammelte,  und  von  Seeland, 
wo  die  Haltung  einer  Provinzialsjnode  von  den  Pro- 
vinzialstaaten  seit  der  Mitte  des  17^  Jahrhunderts, 
in  dessen  erster e  HäK^e  sie  einigemal  hatte  dürfen  ^fy- 
h&Iten  werden,  fortdauernd  untersagt  blieb. 

Jede  Klasse  der  Provinz^  sandte  einige  Abgeord- 
nete ans  ihrer  Mitte  zu  dieser  Sjnode,  in  den  mei- 
sten Provinzen  2  Prediger  und  2  Aelteste,  in  einigen 
9  Prediger  und  1  Aeltesten,  in  der  Provinz  Utrecht 
3  Prediger  und  2  Aelteste,  in  der  Provinz  Grö'nin- 
gen  3  Prediger  ohne  Aeltesten,  ausgenommen  die 
Klasse     Groningen,     welche    2    Prediger    und 


10 

i  Aeltesten  schickte.  Die  Klassen  der  Provinz  Dren- 
the  sandten  jede  drei  Prediger ,  aber  gar  keinen  Ael- 
testen. Diese  Abgeordneten  hatten  specielle  Voll  mach- 
ten von  ihren  Klassen,  an  welche  sie  gebunden  wa- 
ren, und  welche  sie  nicht  überschreiten  durften. 

Jede  der  verschiedenen  Provinzialsynoden ,  die 
von  Drenthe  ausgenommen,  beschickte  die  andere 
durch  einen  sogenannten  Correspondenten,  d*  h. 
eines  ihi'er  Mitglieder,  vrelcher  der  Schwestersynode 
die  Beschlüsse  der  seinigen  mittheilte,  dieser  die  Be- 
schlüsse jener  überbrachte,  und  hierdurch  ein  wechsel- 
seitiges Band  kirchlicher  Gemeinschaft  zu  unterhalten 
suchte. 

Die  Provinzialstaaten  beschickten  die  Synode 
durch  1  oder  2  Abgeordnete,  sogenannte  CommUaa" 
rissen "  Ihäilek ,  denen  sich  meist  noch  ein  Abge- 
ordneter des  Stadtmagistrats,  wo  die  Synode  gehalten 
Wurde,  anschloss,  welche  bloss  Zuschauer  und  Zuhö- 
rer waren,  ohne  eine  Stimme  in  den  Berathungen  und 
Beschlüssen  zu  haben,  aber  darüber  zu  wachen  hatten, 
dass  keine  dem  Wohl  und  den  allgemeinen  Gesetzen 
des  Staats  zuwiderlaufende  Beschlüsse  gefasst  würden. 
Indess  unterblieb  das  Beschicken  durch  Kegiernngsab- 
geordnete  häufig.  Jedoch  musste  j,edesmal  um  die  £r- 
laubniss  zur  Haltung  der  Synode  bei  den  Provinzial- 
staaten nachgesucht  werden.  Aus  der  Mitte  der  geist- 
lichen Synodalglieder  wurde  bloss  für  die  Dauer  der 
Synode  ein  Präses,  Assessor  und  Scriba  ge- 
wählt« Zur  Ausführung  der  Synodalbeschlüsse  wurden 
einige  Veputati  Synodi  aus   der  Synode  gewählt, 


11 

I 

meistens  1  Deputatua  für  jede  Klasse,  welche  geitolio- 
ilcli  3  Jahre  lang  fangirten,  aoch  Sits  und  Stimme  in 
der  Synode  hatten.  Die  Zahl  der  Synodalglieder  war 
in  den  verschie<denen  Provinzen  sehr  yerschieden»  In 
der  GeldeVscben  und  Siidholländischen  Sj- 
node  war  sie  am  grössten,  da  sie  in  der  ersteren,  aus- 
ser den  6  Correspondenten  und  den  Eegierongsabge- 
ordne(en,  45,  und  in  der  letzteren  48  betrug«  la 
der  Utrechtschen  und  Drenthesch^n  war  sie 
am  niedrigsten;  denn  in  dev  ersteren  betrog  m  1B^ 
und  in  der  letzteren  nur  12  Mitglieder.  Der  Ort  der  , 
Synode  war  meistens  die  Hauptstadt  der  Provinz.  la 
einigen  Provinzen  wurde  sie  abwechselnd  in  den  grös- 
seren Städten  gehalten. 

Die  ProYinzialsjnode  war  der  Nationalsjraodey 
als  der  höchsten  Instanz,  untergeordnet  Diese  sollte 
sich  alle  3  Jahre  versammeln ,  und  von  jeder  Provin- 
xialsynode  durch  2  Prediger  und  2  Aelteste  beschickt 
werden.  Indess  wurden  in  den  3  letzten  Jahrzehnten 
des  16.  Jahrhunderts  nur  4,  die  letzte  im  Jahre  1588 
gehalten;  darauf  erst  wieder  im  Jahre  1618,  seit  wei- 
cher berühmten  Nationalsynode  keine  mehr  gehalten 
wurde.  Diese  letzte  Synode  wurde  von  jeder  Provin- 
xialsynode  durch  4  Prediger,  und  2,  auch  3  Aelteste 
beschickt  Da  aber  die  hier  entworfene  Kirchen- 
ordnung von  keiner  Provinz,  als  von  Geldern 
und  Utrecht  angenommen  wurden,  so  blieben  die 
bbherigen  Verschiedenheiten  in  der  Kirchenverfassung 
der  einzelnen  Provinzen  bestehen,  und  jede  Provin- 
zialsTnode    bildete  in  ihrer  Provinz   fortwährend    die 


i^r^  <-t*.  r,^  .J  - 


10 

i  Aeltesten  schickte.  Die  Klassen  der  Provinz  Dren- 
the  sandten  jede  drei  Prediger ,  aber  gar  keinen  Ael- 
testen. Diese  Abgeordneten  hatten  specielie  Vo  lim  ach- 
ten von  ihren  Klassen,  an  welche  sie  gebunden  wa- 
ren, und  welche  sie  nicht  ilberschreiten  durften. 

Jede  der  verschiedenen  Provinzialsjmoden ,  die 
von  Drenthe  ausgenommen,  beschickte  die  andere 
durch  einen  sogenannten  Correspondenten,  d*  h. 
eines  ihi'er  Mitglieder,  ^reicher  der  Schwestersynode 
die  Beschlüsse  der  seinigen  mittheilte,  dieser  die  Be- 
schlüsse jener  überbrachte,  und  hierdurch  ein  wechsel- 
seitiges Band  kirchlicher  Gemeinschaft  zu  unterhalten 
suchte. 

Die  Provinz iaistaaten  beschickten  die  Synode 
durch  1  oder  2  Abgeordnete,  sogenannte  CommUaa- 
rUten '  PoUtiek ,  denen  sich  meist  noch  ein  Abge- 
ordneter des  Stadtmagistrats,  wo  die  Synode  gehalten 
wurde,  anschloss,  welche  bloss  Zuschauer  und  Zuhö- 
rer waren,  ohne  eine  Stimme  in  den  Berathungen  und 
Beschlüssen  zu  haben,  aber  darüber  zu  wachen  hatten, 
dass  keine  dem  Wohl  und  den  allgemeinen  Gesetzen 
des  Staats  zuwiderlaufende  Beschlüsse  gefasst  würden. 
Indess  unterblieb  das  Beschicken  durch  Kegierungsab- 
geordnete  häufig.  Jedoch  musste  j,edesmal  um  die  £r- 
laubniss  zur  Haltung  der  Synode  bei  den  Provinzial- 
staaten  nachgesucht  werden.  Aus  der  Mitte  der  geist- 
lichen Synodalglieder  wurde  bloss  für  die  Dauer  der 
Synode  ein  Präses,  Assessor  und  Scriba  ge- 
wählt«. Zur  Ausführung  der  Synodalbeschlüsse  wurden 
einige  Deputat i  Synodi  aus   der  Synode  gewählt, 


11 

I  I    " 

meistens  1  Deputatua  für  jede  Klasse,  welche  geitöbo- 
iicli  3  Jahre  lang  fangirten,  aoch  Sits  und  Stlmrae  in 
der  Synode  hatten.  Die  Zahl  der  Synodalgiieder  war 
in  den  verschiedenen  Provinzen  sehr  verschieden.  Id 
der  Geld  ersehen  und  Südholländischen  Sj- 
node  war  sie  am  grössten,  da  sie  in  der  ersteren,  aus- 
ser den  6  Correspondenten  und  den  Regierangsabge- 
ordneten,  45,  und  in  der  letzteren  48  betrug,  la 
der  Utrechtschen  und  Drenthesch^n  war  sie 
am  niedrigsten;  denn  in  der  ersteren  betrag  sie  18, 
und  in  der  letzteren  nur  12  Mitglieder.  Der  Ort  der  , 
Sjflode  war  meistens  die  Hauptstadt  der  Provinz.  la 
einigen  Provinzen  wurde  sie  abwechselnd  in  den  gWJs- 
seren  Städten  gehalten. 

Die  Provinzialsjnode  war  der  Nationalsjraodey 
als  der  höchsten  Instanz,  untergeordnet  Diese  sollte 
sich  alle  3  Jahre  versammeln ,  und  von  jeder  Provin- 
xtalsynode  durch  2  Prediger  und  2  Aelteste  beschickt 
werden«  Indess  wurden  in  den  3  letzten  Jahrzehnten 
des  16.  Jahrhunderts  nur  4,  die  letzte  im  Jahre  1588 
gehalten;  darauf  erst  wieder  im  Jahre  1618,  seit  wel- 
cher berühmten  Nationalsynode  keine  mehr  gehaltea 
wurde.  Diese  letzte  Synode  wurde  von  jeder  Provin- 
üalsynode  durch  4  Prediger,  und  2,  auch  3  Aelteste 
beschickt  Da  aber  die  hier  entworfene  Kirchen- 
ordnung von  keiner  Provinz,  als  von  Geldern 
und  Utrecht  angenonunen  wurden,  so  blieben  die 
bisherigen  Verschiedenheiten  in  der  Kirchenverfassong 
der  einzelnen  Provinzen  bestehen,  und  jede  Provin- 
zialsynode    bildete  in  ihrer  Provins   fortwährend    die 


12 


h((ch8te  Kirchenbeh({rde  in  allem,  was   nicht  die  kirch« 
liebe  Lehre  betraf.  *). 

Die    Staatsnmwälznng    im  Jahre  1785    durch    die 
Franzosen,    welche    die   alte  politische   Verfassung 
über  den  Hänfen  warf,   gab   auch   der  so   eng   damit 
verbundenen  kirchlichen  einen  starken  Stoss.    Die 
T^ormirte  Kirche  hörte  nicht  bloss  auf,  die  herrschende 
tta  sein,  sondern  wurde  auch   in  Absicht    der  Bestrei- 
tung ihrer  iBediiHhisse  vom  Staate  sich   selbst  überlas- 
sen,  obgleich  derselbe  ihre  meisten  Güter  in  Beschlag 
genommen  hatte,     so  -dass    mannicfa faltige  Verwirrung 
und  Unordnung  einriss.    Die  Provinaialsynoden  hörten 
allmählich  auf,   und  obgleich  die  Kiassikalversammlun- 
gen  fortdauerten,   so  konnten  diese   doch   sowohl,  we- 
gen ihrer   mangelhaften   Einrichtung,    als   auch  wegep 
Mangel   an  aller  Unterstützung  von  Seiten   des  Staats 
wenig  ausrichten. 

•  Nachdem   das    Haus   Oranien   im  Jahre    1818 
wieder  zur  Regierung  gekommen  und  in  derselben  be- 


*)  Wer  Mehreres  über  diese  merkwürdige  Kirchen- 
Verfassung  lesen  will,  vergleiche  1)  Bachiene's 
Kerkelyke  Geographie  der  vereenigde  Ne- 
d4r landen,  in  zieh  beheizende  eene  Betchryvingc  van 
den  Staat  der  Synoden ,  ßÜasBen  en  Gemtenten  der 
hervormde  kerk  in  en$  vaderlamd,  met  ve^  byzon' 
derheden,  versehen  mit  trefflieben  kirchlich  •  geo- 
graphischen Charten  über  jede  Provinz.  4  Stücke 
in  2  Bänden«  Amsterdam  bei  P.  onder  de  Linden 
1768.  2)  Ge^chiedenis  der  Nederlandsthe 
hervormde  Kerk  daor  A»  YtVY  en  /.  /.  Der- 
MovTy  1.  Theil  Breda  1819  bei  W.  VAN  Bergen 
et  Comp,    S.  337  ff.  und  361  ff. 


13 

festigt  war,  Hess  der  König  im  Jabre  1815  durch  eine 
kirchliche  C  o mmission  von  11  Predigern,  dereo 
aas  jeder  der  10  Provinzen  einer,  nnd  einer  aas  der 
französisch -reformirten  Kirche  war,  ein  Re- 
glement SU  einer  neuen  Kirchenverfassung  entwerfen, 
welche ,  auf  den  Grund  der  alten  gebaut,  sich  jedoch 
durchs  grössere  Einheit  nnd  Kxaft  auszeichnen  seilte, 
vnd  bestätigte  dies  Reglement  unterm  7«  Jan.  laiG. 
Biese  besteht  dem  Wesen  nach  in  Folgendem : 
Die  erste  kirchliche  Behörde  ist  der  Kir- 
chenrath,  bestehend  aus  dem  oder  den  Predigern 
der jGremeinde,  ond  mehreren  Ael testen,  weiche 
ans  iea  achtungswerthesten,  kenntnissreieh- 
sten  und  yornehmsten  Gemeindsgliedern  zu  wäh- 
len sind.  Die  Diakonen  gehören  nicht  im  engsten, 
aber  im  weiteren  Sinne  zum  Kirchenrath.  Derselbe 
bat  die  Sorge  fuir  den  öffentlichen  Gottesdienst,  den 
christlichen  Unterricht  und  die  Aufsicht  über  die  Ge- 
meindsgUeder ,  in  Betreff  weicher  er  die  Kirchenzucht 
in  erster  Instanz  nach  dem  darüber  neu  verfassten 
Keglement  auszuüben  hat 

Die  zweite  kirchliche  Behörde  ist  das  Klassi« 
kalmoderamen  (KloMsikaalbeatuur),  welches  in  je- 
der Klasse  ans  einem  Pipses,  einem  Assessor,  einem 
Scriba  und  2,  3  oder  4,  je  nach  der  Grösse  der 
Klasse  oder  Menge  ihrer  Geistlichen,  committirten  Pre- 
digern besteht,  so  wie  ans  Einem  Acltesten  oder  Alt- 
ältesten  (gewesenen  Aeltesten).  Dieses  beaufsichtigt  die 
Gemeinden  und  Prediger  seiner  Klasse,  hält  die  Kir- 
chenvisitationen  ducdi  2  ans  seiner  Mitte  dazu   bevoll- 


B^^w     ^ 


14 


mSchtigteii  Mitglieder ,  übt  die  Kircbenzncht  gegen  die 
Kircbenrathsglieder,  Kandidaten  und  Prediger  in  er- 
ster  Instanz^  und  darf  sie  saspendiren,  sorgt  beson- 
ders für  vacante  Gemeinden  und  leitet  die  ßenifung 
des  nenen  Predigers  ein ,  hat  die  Oberanfsicht  über 
die  Wittwenkasse  der  Klasse  und  sorgt  für  ünterstut- 
ZBOg  der  Predigerwittwen  und  Waisen,  bildet  endlich 
die. zweite  Instanz  für  die  Fälle ,  welche  bei  den 
Kirchenräthen  in  erster  Instanz  behandelt  worden  sind« 
Die  Moderatoren  versammeln  sich  alle  2  Monate  ein- 
nuiL  Jedoch  darf  der  Präses  anch  ausserordentliche 
Versammlungen  berufen*  Daneben  ist  jährlich  einmal 
eine  Klassikal Versammlung,  bestehend  aus  allen 
Predigern  der  Klasse  und  so  viel  Aeltesten,  als  von 
Alters  her  zur  Klasse  zu  kommen  pflegten*  Diese  Ver- 
sammlung hatte  jedoch  nur  das  Recht,  zur  Erwählung 
dt»  Scriba,  des  Aeltesten  und  der  zum  Moderamen 
la  kommittirenden  Prediger  für  jeden  eine  Sechszahl 
la  bestimmen ,  welche  von  dem  Provinzialmode- 
ramen  zu  einer  Dreizahl  vermindert  wird,  aus  wel- 
cher der  König  Einen  ernennt.  Dabei  hat  sie  die 
Bechnung  über  die  Klassikalwittwenkasse  abzunehmen 
und  den  Schatzmeister  (Qua stör)  dafür  zu  ernen- 
nen* Der  Aelteste  bei  dem  Klassikalmoderamen  fun- 
girt  nur  Ein  Jahr,  die  committirten  Prediger  2  Jahre, 
der  Scriba  drei.  Alle  können  jedoch  bei  ihrem  Ab- 
treten aufs  neue  gewählt  werden*  Für  die  Unkosten 
der  Klt3sikalmoderamina  gibt  der  Staat  jährlich  14000  fl* 
Die  dritte  kirchliche  Behörde  bildet  das  Pro- 
vtnzialmoderamen  (pnmndal^terkbesiuur)^  Jede 


<5 

Provinz  ist  nach  alter  Weise  in  Klassen  vertheilt,  wel- 
che  ]edoch    der  Zahl    nach  yermindert  worden   sind« 
Der   hierher  gehörigen  Provinzen  sind   statt  der  9  al- 
ten  jetzt   11 5    in    folgender  Rangordnung:     1)  Gel- 
dern,   2)  SiidholUnd,    3)  Nordholland,    4) 
Seeland-,   5)  Utrecht,  6)  Friesland,   7)  Over« 
yssel,   8)  Groningen,   8)  Nordhrabant,    des- 
sen Gemeinden  früher  za  den  Klassen  der  benachbar« 
ten  Provinzen,    s.  B.   Geldern,    geschlagen  waren, 
10)  Drenthe,  11)  Limburg,   wozu  alle  protestan- 
tische GreiQeinden  in  SSdniederland  gehören.    Die  Ge- 
meinden jeder  Klasse  sind  in  mehrere  Hingen  (Kreise) 
eingetheilt ,'  welche  nichts  mit  Lieitang  der  Kirchenan- 
gdegenheiten  zu  thun  haben ,    sondern  deren  Prediger 
bestimmt  sind ,   den  Dienst  bei  den  vacanten  Gemein- 
den wahrzunehmen,  und   sich    jährlich   zu  Zeiten   ver- 
sammeln sollen ,   um    sich  über  Seelsorge   u.   dgl«  zn 
besprechen,    und    im   Wissenschaftlichen    fortzubilden, 
3ede  solche  Ringt^ergadering  (Kreisversammlung) 
hat  sich  einen  Präses  unter   dem  Namen  Prätor  und 
einen  Saiba  zu  wählen,    und  jährlich  dem  Klassikal- 
moderamen  über  ihre  Wirksamkeit  Bericht  abzustatten. 
Die  höchste  Zahl  der  Klassen  ist  6,  wie  in  Geldern 
und    SüdhoUand,    die    geringste   3»    wie  in    Ut- 
recht,  Overyssel  und  Drenthe,   in  Limburg 
sogar  nur  2*    Die  Zahl  aller  Klassen  ist  45,   die  Zahl 
s^er  Ringe  140,    die  Zahl   aller  Gemeinden,    mit  In- 
begriff der  22  protestantischen  in  Südniederland,  1250, 
die  Zahl  der. Prediger  1470,   und  die  gesammte  See- 
.leisahl  der  Beformirten  M00,000. 


\' 


16 


Das  Provinziaimoderamen  wird  dadurch  ge- 
bildet,   das8   Ein  Prediger  aus   jeder  Klasse   dazn    ge^ 
wählt  wird,   so  wie  Ein  Aeltester,  jedoch  nur   aqs  Ei- 
ner Klas&e^   welche   Klassen  jährlich    mit  Sendung  des 
Aeltesfen^   abwechseln.      Daxa     kommt    überdies    ein 
Scriba,    welcher  in    der   Regel    aas    den  Predigern 
der  Provinzialhauptstadt  ernannt  wird.    Zur  Wahl  der 
Prediger  und    des  Aeltesten,  bilden   die  Klassikalmode- 
ratoren   eine  Sechszahi,   welche  .die  ProviosiaUnodera'- 
toren   in    eine  Dreizahl  vermindern  y    aus  welcher   der 
Kctnig  einen  ernennt.    Der   Scriba   wird  von   ihm  ans 
einer,  unmittelbar  vom  Provinziaimoderamen  gebildeten 
Dreizahl  ernannt,     für  einen  jeden  Provinzial-    und 
Klassikalmoderator  9    auch   für  jedes  Synodalglied  wird 
ein.  8ecundu9   (Stellvertreter),   in   derselben  Weise 
wie  die,  Primi^   erwählt ,  welcher  jedoch  nur  bei  Ver- 
hinderung seines  Primus   an   dessen  Stelle  tritt«    Aus 
der  Mitte  der  geistlichen  Glieder  des  Provinzialmodera- 
mens  wird  der  Präses  desselben  vom  König  ernannt, 
und  fungirt  nur    Eid  Jahr*      Auch  der  Aelteste   iiiü. 
'jährlich,  ab,    die   übrigen  Glieder  und    der  Scriba   alle 
3  Jahre«    Jedoch  sind  alle  wieder  wählbar.    Der  geist- 
liche Abgeordnete  von  jeder  KJasse  ist  per  se   Präses, 
des  Moderamens  semer  Klasse,  und  sein  Stellvertreter 
der  Assessor  desselben. 

Daa  Provinziaimoderamen  versammelt  sich  ordent-. 
lieb  3mal  des  Jahres,,  im  Mai^   August  un<^  Octo-. 
ber^.  und  zwar  in  der  Provinzialhauptstadt.     Es  schlich- 
tet die   Streitigkeiten    der  .  Klassikal  -  Moderamina  und 
Versammlungen,    prüft  die  tum  Predigtamte  sich  vor- 


17 


bereitet  habenden  Theologen,  und  gibt  die  Wahlfa- 
higkeitszengnisse,  übt  die  Kirchenzncht  gegen  Kirchen* 
rathsgUeder,  Kandidaten  und  Prediger  bis  zur  Abse- 
tzung, welche,  wenn  sie  wegen  unsittlichen  Betragens 
abgesetzt  werden,  ein  solches  Amt  nie  wieder  beklei-. 
den  dürfen ,  verwaltet  die  Provinzialwittwenkassen  und 
bildet  die  zweite  Instanz  für  die  Fälle,  wo  das  Klas« 
siiaimoderamen  die  erste  Instanz  war.  Ist  die  Sache 
aber  schon  bei  dieseiki  in  zweiter  Instanz  entschieden, 
so  wird  kein  weiteres  Appelliren  zugestanden.  Denn 
nberall  gelten  nor-xwei  Instanzen. 

Die    höchste    Kirchenbehö'rde    ist    die    allge- 
meine Synode.    Zu  dieser  sendet  jedes  Provinzial- 
moderamen  jährlich  Einen  Prediger,   den   es    aas  sei- 
ner Mitte  frei  wählt»     Auch  erwählt  Ein  Provinzialmo* 
deramen  Einen  Aeltesten  oder  Altältesten  zum  Synodal- 
gliede,    mit   dessen    Wahl   die    Provinzialmoderamina 
der  Keihe  nach  jährlich  abwechseln.    Ueberdies  hat  die 
Synode   «snen    permanenten    Secretär,     welcher 
ans    den  Predigern  im    Haag,    und   zwar    ans    einer 
durch  die  Synode    gebildete  Dreizahl    vom  Könige  er- 
nannt wird.     Dieser  übt   einen   bedeutenden    Einfinss 
ans,   da  er  das   einzige   geistliche   permanente  Mitglied 
ist.    Dieses  Amt  bekleidet  seit  der  ersten  Synode   der 
kenntnissreiche,  vielgewandte   L.  J.  Dermout,  Hof- 
prediger des  Königs,    berühmt   durch    seine  Kanzelbe- 
fcdtamkeit,   so  wie   durch   seine  mit  Professor  Ypxt 
n  Groningen  herausgegebene,    ichoii  öfters  erwähnte 
Gcidiichte    der    niederländischen    reformirten    Kirche. 
FcmeK.htt  die  Synode  einen  permanenten  Schatz- 
JL  2 


18 

meist  er  cQuastor),  welcher  stets  aus  den  Aeltesten 
oder  Altältesten  Amsterdams  in  ähnlicher  ^Weise 
wie  der  Secretär  ernannt  wird.  Beide  haben  Sitz  und 
Stimme  gleich  den  andern  Mitgliedern«        ^ 

Die  französisch  -  reformirten  Gemeinden, 
welche  wie  die  presbyterianisch -englischen 
upd  schottischen  den  holländischen  Klassen  einver- 
leibt worden  sind,  schicken  ).edoch  jährlich  ans  ihrer 
Mitte  Einen  Prediger  auf  die  Synode,  der  gleiche 
Rechte  mit  den  andern  GUedem  hat.  Auch  die 
kirchliche  Gommission  für  die  protestantischen 
indischen  Kirchen  schickt  Einen  reformirten 
Prediger  aus  ihrer  Mitte  auf  die  Synode.  Sonach 
besteht  die  Synode  aus  nicht  mehr  als  sechzehn 
eig^tlichen  Mitgliedern.  Zwar  ernennt  auch  jede  der 
3  reformirten  theologischen  Fakultäten  der  Universitä- 
ten zu  Leiden,  Utrecht  und  Groningen  jährlich 
Einen  ihrer  Professoren  zum  Abgeordneten  auf  die  Sy- 
node; allein  diese  haben  keine  mitbesc.h liessende, 
sondern  nur  eine  mitberathende  Stimme«  Aus 
den  abgeordneten  Predigern,  ernennt  der  König  einen 
Präsidenten  und  einen  Y  icepräsid  enten  der 
Synode,  welche  aber  nur. während  der  Sitzungen  dcr*- 
selbcn  fungiren. 

Als  königlicher  Bevollmächtigter  wohnt 
der  Minister  des  protestantischen  Cultus, 
wenn  -et  rcformirt  ist ,  und  nach  Belleben  in  Beglei- 
lang  seines  Secretärs,  der  Synode  bei,  ohne  jedoch  an 
den  Berathungen  und  Beschliisseu  Theil  zu  nehmen« 
Im  Fall  er   nicht  refprmirt  wäre,    hat   sich  der  König 


19 

vorbehsiliCBf   Einen  ocbr  mehrere  refbrmirte  CommU* 
tarissen '  JFbUifek  der  Sjnode  beiwoliiiea  iii  hsseo. 

Die  Spkoie  versammelt  sich  jährlich  Einmal  am 
ersten  Mittwoch  des  Jali  im  II  a  a  g«  Keins  ihrer  Mit- 
glieder, so  wenig  wie  die  der  untern  Kirchenbebö'rden, 
sind  an  schriCdiche  Vollmachten  von  ihren  Com- 
jnittenien  gfhooden,  sondern  jedes  stimmt  frei-  nach  sei» 
ner  UeAerzengnng.  Die  Synodafglieder  können  za 
konft^eo  Sjnoden  wieder  gewählt  werden* 

Die  Synode  Int  die  allgemeine  Aufsicht  über  die 
Gemeinden  9  Prediger  nnd  nntcrn  Kirchenbehörden^ 
die  Sorge  für  das  Wohl  der  reformirten  Kirche  iiber- 
Winpt,  insbesondere  für  die  Handhabung  ihrer  Lehre, 
für  die  Beförderung  des  öffentlichen  Goltcsdienstes, 
dts  Religtonsunterrichtes,  der  Sittlichkeit  n.  s.  w.,  ver- 
fassi  die  kirchlichen  Reglemcnte  und  Verordnungen, 
velche  jedoch  erst  durch  die  königliche  Genehmigung 
Gesetzeskraft  erhalten,  und  bildet  die  zweite  Instanz 
fiir  die  Streilfäne,  welche  bei  dem  Provinzialmodera- 
men  als  erster  Instanz  entschieden  wurden.  In  den 
Fällen,  wo  die  Synode  die  erste  Instanz  bildet,  kann 
um  eine  IVevision  ihres  Urtbeils  an  das  Cultusministe* 
riem  appellirt  werden,  jedoch  mit  Hinterlegung  von 
1200  ü.  bei  dem  Synodaischatzmeister  fSr  die  dnrch 
die  Revision  entstellenden  Kosten.  Darauf  beruft  der 
Kfinig  eine  synodale  Re visionsversammlnng, 
«ckhe  ans  11  Gliedern  besteht,  dem  SecretSr  der 
Synode,  zweien  derjenigen  Synodalglieder,  welche 
fir  das  erste  ürtkeii  gestinnit,  «nd  zweien,   die  dat- 

2* 


1-t  -^  ■ 


,  V^  -  -  a-  iT  ■  r^*^  "^ 


HO 

gegen  gestimmt  haben,  «und  aus  sechs  Stellirertretern 
der  svr  Bevision  nicht  berufenen  Synodalglieder* 

Die  Sjnode  ist  zugleich  das  Mittelglied,  durch 
welches  alle  Erlasse  des  Staats  an  die  Kirchenbehörden 
gelangen« 

Die  erste  Synode  hatte  am  3.  Juli  1816  statte 
und  ist  seither  regelmissig  Jedes  Jahr  gehalten  worden. 

Wenn  über  die  Vorzüge  und  Mängel  dieser 
neuen  Kircbenverfassung  ein  griindliches  Urtheil  ge- 
fallt werden  soll,  so  darf  man  ^sie  nicht  l>loss  mit  4er 
alten  Verfassung  yergleichen,  sondern  muss  sie  zu- 
gleich nach  den  Grundsätzen  der  urchristlichen  Pres- 
byterial-  und  Synodalverfassung  ^überhaupt 
beurtheilen. 

Die  alte  Verfassung  war  ohne  äussere  Einheit» 
da  die  meisten  Provinzen  unabhängig  für  sich  standen 
als  Provinzialkirchen ,  und  jede  ihre  Verschiedenheiten 
von  der  andern  behielt.  £$  war  keine  allgemeine 
Landeskirchen  Verfassung.  Indess  darf  dieser 
Mangel  nicht  zu  hoch  angeschlagen  werden,  well  den- 
noch eine  Landeskirche  bestand,  indem  theils  die 
Einheit  in  der  Kirchenlehre,  und  in  dem  Wesen  der 
kirchlichen  Verfassung,  theils  die  fortwährende  Car- 
respondenz  der  meisten  Provinzialsynoden  mit  einander, 
theils  die  gemeinsame  politische  Verfassung,  endlich, 
was  nicht  zu  vergessen  ist,  die  Einheit  des  Geistes  ein 
fcand.  der  Gemeinschaft  um  die  getrennten  Provinzial- 
kirdien  schlang.  AUein  immer  blieb  die  Entbehrung 
grösserer  äusserer  Einheit  ein  Mangel. 


2t 

Ein  aaderer  Mangel  war  die  groite  Langiamkeit 
«ud  SchwerfiÜligkctt  der  Klasaen  und  Provinsiabynoden 
im  BeschlieMen,  ein  dritter  die  häufige  Kraftlosigkeit 
in  Ausführung  der  Beschlüsse,  An.  jenem.  Mangel 
war  zum  Theil  die  grosse  Menge  der  Glieder  in  eini- 
gen Proyinzialsjnoden  und  noch  mehr  in  vielen  Klas* 
sen  Schuld  9  zum  Theil  das  Gehundensein  an  die 
Vo/Zmacht  der  Gommittenten ;  an  di.esem  die  häufigjen 
Reibungen  zwischen  Staat  und  Kirche.. 

Diesen  Mängeln  hUfl  die  neue  Kirch enverfassung 
allerdings  ah  durch  grössere  Einheit ,  Baschheit  und 
Kraft  der  mehr  concentrtrten ,  mit  dem  Staate  genauer 
verbundenen,  Kircheubehörden,  und  besitzt  in  diesen 
Poncten  unbestreitbar  manche  Vorzüge.  Indcssi  ist 
eben  sq  wenig  zu  verkennen ,  dass  die  neue  Verlas* 
sang  mehr  weltking  sich  um  die  Beförderung  der  £  i  n- 
heit  des  Glaubens  weniger  bekümmert,  hat,  als 
die  alte,  auch  die  apostolischen  Grundregeln  einer 
christlichen  Kirch enrerfassung  minder  berücksichtigt, 
und  Ton  einem  Extrem  der  alten  sich  bisweilen  nur 
entfernt  hat,  um  in  das  entgegengesetzte  zu  fallen. 

Als  Beweiss  diene  zuerst  Artikel  8&  des  kirchlir- 
eben  Grundgesetzes,  des  oben  erwähnten  ^igemeen 
Begiemeni  poar  h§t  Beu-tuur  der  Heruormde 
K%rk  in  he*  Koningryk  der  Nederlatkden. 
Hier  wird  bei  der  Angabe  der  Art  der  Zusammense« 
hang,  des  Kirchenraths,  dieses.  Fundamentes  der 
linhenverfassung,  als  Hrfordernlss  zur  Wahl  der  Ael- 
tetten  angegeben,  dass  sie  aus  den  achtungswer- 
thesten»  kenntnissreichsten    und   vornehm- 


■BBM^HiMMIHMiMhMUCiB '-«•«'<  •  ■  «•'•■.„JS 


22 


steh  GIMetti  diet  l^f^meiii^  ttd' wählen  Men.  Sieber 
ist  Aäs  nicht  den  Gtunüsttih  "iiaiefa  der  Apostel  Welse 
gfelegty  wenn  man  weltliches  AhseheAf  ak  die  erstie  und 
wichtigste  Eigenschaft  an  den  Hansfaiilteni  Gottes  ver- 
latigty  nnd  hietanf  mehr  als  atif  das  Gesnndsein 
im  Glauben  (vgl  Tit.  cap.  I  und  tl)  ächtet. 

'  Welcher  Nachthl?il  der  Kirche  dadorch  droht, 
zeigte  Unter  ändern  der  im  Anfang  des  Jahres  1825 
xtt  Amsterdam  entstandene,  viel  Aufsehen  erregende 
Streit  wegen  der  Ernennung  eii^es  gewissen  ungläubi- 
^^  reformirtcn  Gemefodegliedes,  R.  Bbass,  zum 
Aeltesten  iin  dasigen  reformirteh  Kirchenrathe.  Ein 
anderes  Gemeindsglied,  A,  Gapadose,  Dr.  Med, y 
klagte  ihn  kurz  vor  seiner  Einsetzung  bei  dem  Kir- 
chenrathe  äii,  dass  er  die  Grundlehreh  der  reformir- 
tcn Kirche  verwerfe.  Bei  der  darauf  Vom  Kirchenrathe 
angestellten  Untersuchung  ergab  es  sich,  dass  er  nicht 
bloss  die  Gnadenwahl ,  sondern  auch  die  Grundlehren 
^t%  C bristen thu ms ,  die  Versöhnung  durch  Christi  Ver- 
dienst; diiB  Nöth wendigkeit  der  Wiedergeburt,  die 
Dreieinigkeit  elc.  verworfen  halte,  soweit  ans  den  vie- 
len in  dem  /Von  -Dr.  O APADOSE  hierüber  erschie- 
nenen Buche  *)  mitgeth eilten  Actenstncken  zu  ersehen 
ist.     Wiewohl    der  Kirchcnrath    nun    den    Angeklagten 


^)  Omstandig  verhaal  van  de  Wederroeping  der  BenoC' 
miHfi  vetn  den  Heer  H»  Bti  Asz  ah  ouderHng  der 
nederlündsche  /tervormde  Gemeente  le  Amsterdam, 
^met  bygero^gte  Aanmerkingen ,  betreffende  den  toe- 
f^iand  der  Vaderlandsche  Kerke  door  A,  CAP  AD  OSE, 
Med,  Dr,     Amsterdam  hy  >.  H,  DEN  OuDSS  1825. 


23 


nir  Dicht  YÖllig  überwiesen  crklSrte,  lo  nahm  er  doch' 
dessen  Kmennuag  nrm  Weitesten  lurück.  Dieser  Streit 
blieb  nicht  ohne  wohltbätigen  Einfluss  aaf  die  refor- 
mirte  Kirche«  Er  lehrte  auf  die  christlichen  Er- 
fordernisse za  dem  wichtigea  Ael testen -Amte  wieder 
fltehr  Acht  geben,  und  mag  wobl  nicht  gani  ohne 
EinfliMfi  aaf  das  unterm  16.  Kot.  182«  vom  König 
sanctiaiiirte  allgemeine  Reglement  für  die^Zo* 
sammensetzang  und  Wirksamkeit  der  Kir- 
chen räthe  geblieben  sein. 

Eine  tweite  Schattenseite  der  nenen  Ver-^ 
Fassung  ist,  dass  sie  das  Wesen  der  presbjteria- 
n Ischen  Kirchenverfassung  verletzt  durch  den  Mangel 
an  gehöriger  Vertretung  der  Laien  <h]rch  Aelteste 
{Presbyter),  In  jeder  der  Kirchenbebörden  ist  neben 
6  —  13  Predigern  nur  Ein  A  ehester«  Die  alten  Klas« 
stkalyersammloDgen,  in  welchen  jede  Gemeinde  durch 
Einen  Geistlichen  und  Einen. Aeltesten  auf  eine  gleich- 
massige  und  äcbtchristliche  Weise  vertreten  war,  •— 
wenigstens  in  den  meisten  Provinzen,  —  sind  in  Ab- 
sicht ihrer  BecDte  gegenwärtig  fast  auf  Null  reducirt^ 
da  sie  nichts  zu  thun  haben,  als  eine . Secbszahl  zur 
Erwählung  einiger  Klassikalmoderatoren.  zu  bilden  und 
Rechnutagen  abzunehmen.  Warum  konnte  man  nicht 
das  Wohllhätige  jener  KlassikalversammliiDgen  in  dem 
schwesterlich eo  Zusammentreten  aller  Gemeinden  zur 
Ausübung  ihrer  kirchlichen  Rechte  bebalten ,  und  den- 
noch ihren. Mängeln  abhelfen  durch  Yermebrung  der 
Klassen  und  somit  Verminderung  der  Zahl  der  Klassi- 
kalglicder,  durch  Entbinden  derselben  von  den  Fesseln 


\ 


4cr  Vollmachten,  dorch  eiä  seltneres  Versamnieln  der 
Klassen   und   durch  Anstellung  eines  Klassikalmodera- 
mens  von  2  —  3  Gliedern,  das  die  Klassikalbeschiasse 
ausführte,  das  Ganze  regelte,    und    die  Klasse  in  der 
Zwischenzeit  vertrat?  —  Sieht  man  endlich  auf  die  Zn- 
sammensetzung der  allgemeinen  Synode«   welche 
im  Ganzen  nur  aus  sechzehn  stimmfähigen  Gliedern 
besteht,  und  auf  welcher  1250  Gemeinden  mit  1,400,000 
Seelen,   (wobei  die  Gemeinden  und  die  Seeleniahl  des 
niederländischen     protestantischen     Ost-     und 
Westjadiens  noch    nicht   einmal   geredtnet   sind) 
von  £inem  Aeltesten  vertreten   werden,    während  in 
der  schottischen  Nationalkirche  eine  kleinere 
Zahl  Gremeinden  und  Seelen  von  89  Aeltesten  vertre« 
ten  wird,   dann   nimmt  man  aufs  neue  wahr,    wie  ein 
Extrem  der  alten  Kirchenverfassung  verlassen  worden 
ist,    um  in  der   neuen   zum  entgegengesetzten  über- 
zugehen«   Billig  hätte  doch  jede  Provinz   aufs  minde- 
ste £inen  Aeltesten  senden  müssen,  wodurch  eine  Zahl 
von  26  Sjmodalgliedem   entstanden   wäre,    eine  gewiss 
nicht  zu  grosse  Zahl.     Ja  wenn   selbst   mit  Rücksicht 
auf  die  Gewohnheit  bei  früheren  Generalsynoden  jede 
Provinz   2   Geistlichen  und  1  Aeltesten    gesandt  hätte, 
so    würde    eine  Zahl    von    36   Gliedern   immer    noch 
nicht  das  Maass  überschritten  haben.     Dass   auch  hier 
ein  gewisses  Maass  zu  halten  ist,    und   eine  zu    grosse 
Anzahl  schadet,  —  wie  denn  eine  Zahl  von  361  Syno- 
dalgliedern auf  der   (Uneral ^ j^saemhfy   der   schotti- 
schen Kirche  wohl  zu  gross  genannt  werden  mag,  gebe 
ch  gerne  zu.      Durch   diesen  Mangel  an  hinreichender 


25 


Anxjhl  von  Aeltetten  in  solchen  wichtigen  Kirchenver« 

sammlangen  reiait  nur  in  leicht  ein  Geist  der  Hie. 

rarcbie    ein,    der    noch    niemals    weder   dem  Staat 

noch    der  Kirche   Christi  Nutzen   gebracht  hat.     Das« 

dieser    Mangel   ein  grosses  Versehen   bei  der  Entwer- 

fnng  der  neoen  Kirchenverfassung  gewesen ,  fangt  man 

wirkUch  in  der  reformirlen  Kirche  selbst  xa  fühlen  an* 

Mao  gesteht,    dass  man   es  ändern    würde,    wenn  das 

Grondreglement  noch  einmaf  xa  entwerfen  wäre,  nnd 

da  diese  Einsicht   nnn  xn  spät  kommt,   so  bat  man  je* 

nem  Mangel   einigermassen   bei   der  Zusammensetxmig 

der  9j nodalen  Commissie  abzuhelfen  gesucht,  iu- 

dem  mau  xn   den  7  Gliedern,   woraus   sie   besteht,  S 

Aelteste  gewählt  hat« 

Als  ein  dritter  Mangel  der  neuen  Kirchenrer- 
iassnng  ist  anxnfuhren  das  zu  schnelle  Wechseln  der 
Glieder  der  Kirchenbehörden.  Die  Sjnodalgliedeo  der 
Präses  des  Provinxialmoderamens  und  der  Aelteste  bei 

I 

diesem,  wie  bei  dem  Klassikalmoderamen  wechseln 
jährlich;  die  committirten  Prediger  bei  dem  letxteren 
jedes  2te  Jahr  und  die  Glieder  des  ersteren  alle  3 
Jahre.  Daxn  kann  der  Aelteste  bei  der  Sjnode  wie 
bei  dem  Provinxialmoderamen  nicht  einmal  das  nächste 
Jahr  wieder  gewählt  werden ,  sondern  es  ist  jedes  Jahr 
ein  neuer,  weil  die  Provinzen  und  Klassen  mit  der 
Sendung  desselben  abwechseln.  Obgleich  nun  die 
inurige  Erfahrung  der  Jahrhunderte  satbam  gelehrt 
hat,  dasi  nicht  bloss  ein  lebenslängliches,  sondern 
audi  ichon  ein  ▼ieljähriges  Bekleiden  kirchlicher  Wür- 
den nnr  ni  oft  eine  nnchristliche,  unbriiderliche  (Matth 


"■       *   A«  ^     ^.   • 


36 


23y  •)  der  Kirche  des  Herrn  vcrderbliclie  Herrschsucht 
erzeogt,  —  denn  die  Herrschaft  ist  süss,  —  so 
lehrt  die  Erfabrohg  aof  der  andern  Seite,  das)  ein  so 
schneller  Wechsel,  wie  der  erwähnte,  den  Kirchen- 
heaa»tcn  die  Gelegenheit  nimmt,  die  Gebrechen  in  den 
Gemeinden  gründlich  zu  erkennen,  und  fast  alle  Kraft 
entzieht,  denselben  abzuhelfen.  Kaum  hat  ein  solcher 
Moderator  diese  einzusehen  begonnen,  kaum  sich  ei- 
nige Routine  in  der  Greschäflsfübrnng  erworben,  so 
tritt  er  gerade  dann,  wenn  er  seine  erlangte  Einsicht 
und  Gewandtheit  zum  Segen  der  Gemeinden  anwenden 
könnte,  schon  wieder  ab.  Auch  lässt  der  jährliche 
Wechsel  die  Präsidenten  der  Kirchenbehörden  nicht 
das  nöthige  Ansehen  genicsseo.  Besonders  nachtheilig 
wirkt  es  auf  die  Kirch  envisitaticnen,  wenn 
diese  auf  solche  Weise  jedesmal  von  neuen  Moderato- 
ren gehalten  werden,  und  nicht  wenigstens  2-  bis  3mal 
von  denselhen.  Eine  4-  bis  (Sjährige  Daner  des  Amts 
der  verschiedenen  Moderatoren  würde'  nicht  zu  lang 
sein« 

In  dieser,  wie  in  vielen  andern  Hinsichten  hat 
die  Presbyterial-  und  Sjui^odalverfassong 
nnsrer  Provinz  Jülich,  Cleve,  Berg,  besonders 
nach  der  tieuen  Revision  derselben,  welche  die  Provin- 
zialsjmode  ta  Elberfeld  im  J.  1820  unter  Leitung 
nnsers  ehemaligen  Generalsnperintendenten  R  o  S  s  (jetäst 
wirkliehen  04bcrkonsistorialrathes,  Ijrobstes  und  General- 
superintendenlcn  der  Provinz  Brandenburg  in  Berlin) 
mit  grosser  Weisheit  und  Umsicht  besorgt  hat,  und  wel- 
che ietzt   zur  Allerhöchsten  Genehmigung  vorliegt,   — 


27 

in  vielen  Paneten  auch  dieKirchenrerfassang  der  Graf- 
scliaffc  Mark,  —  wesentlicle  Vonnge, 

Als  eia  vierter  Mangel  kann  endlich  die  zn 
grosse  Langsamkeit  des  Geschäftsganges  angeführt  wer- 
den, welche  dadurch  entsteht,  dass  der  Präsident  der 
Synode  nur  während  der  Sitzungen  derselben  fungirf, 
so  dass  die  in  der  Zwischenzeit  d^  Jahres  eintretenden 
•Synodalgeschäfte  bis  zur  Sjnode  des  nächsten  Jahres 
liegen  bleiben  müssen.  Dieser  Uebefstand  ist  so  fühl- 
bar geworden,  dass  man  demselben  im  Novbr.  18S7 
abinhelfen  gesncht  hat  durch  Ernennung  einer  Syno- 
dalcommission, {synodale  Commiaale)  von  Sei- 
ten des  Königs  auf  Antrag  der  Synode.  Sie  besteht 
ans  7  Gliedern,  zu  welchen  der  Secretär  der  Synode 
und  der  jedesmalige  Präsident  derselben  gehören.  Von 
den  übrigen  Gliedern  tritt  jährlich  eins  ab,  für  wel- 
ches der  König  aus  einer  von  der  Synode  vorge^hla- 
genen  Zweizahl  ein  neues  ernennt.  3  dieser  Glieder 
sind,  wie  erwähnt,  Laien  -  Aelteste.  Die  Synodalcom- 
mission  sorgt  für  die  Ausführung  der  Synodalbeschlüsse, 
vertritt  die  Synode,  so  lange  diese  nicht  versammelt 
ist,  und  ist  derselben  verantwortlich.  Die  evange- 
lisch-lutherische Kirche  hatte  jenen  Uebelstand 
vermieden ,  indem  sie  gleich  bei  der  £ntwerfung  ihrer 
neuen  Verfassung  im  Jahre  1818  eine  solche  Synodal- 
commission  festsetzte. 

Was  nun  die  Wirksamkeit  der  Synode  wäh- 
rend der  14  Jahre  ihres  Bestehens  betrifft,  so  hat  sie 
mit  rühmlichem  Eifer  eine  würdigere  und  zweckmässi- 
gerc    Einrichtung    der    öffentlichen    Gottesdienste    zu 


MMHI 


28 

IreförderB  getucht  durch  Ennahniiiigevif ;«!  die  Prediger, 
Hin  die  vor  der  Predigt  sii  leiendea  biblischen  Ab- 
schnitte *)  passender  aosxuwä'hlen,  häufiger  Predigten 
lA  Homiüenforin  (hybehefming^n)  zu  halten  ^  die 
Predigten  und  Gebete  abaukiirzeu,  ferner  durdi  Fest- 
setzung einer  kirchlichen  Frier  für  mehrere  dem  Chri- 
sten wichtige  Tage  des  Jahres,  welche  ich  oben  1.  Bd. 
S«  70  angeführt  habe.»  «•  s.  w.  Einzelne  dieser  Rath- 
schlSge  möchten  zwar  nicht  die  Billigung  eines  ^eden 
evangelischen  Christen  erhalten,  z.  B.  der,  dass  an 
hohen  Festen  einer  der  Gottesdienste  fast  ansschliess- 
lieh  der  Sing*  und  Tonkun&t  gewidmet  werden 
möge  J[Tgl.  1.  Bd.  S.  6a);  Ob  die  Synode  gegen  die 
Bestimmung  des  Gedenktages    des  Siegs   bei  Water- 


"*}  Die  Auswahl  der  BibeUectioa  durch  den  Prediger 
ivird  für  sich  allein  der  Unaufmerksamkeit  und  An- 
dachtslosigkeit  der  meisten  Zuhörer  noch  nicht 
gründlich  steuern.  Sondern  das  wird  helfen,  wenn 
der  Prediger  selbst  nach  dem  AnCangsited  den  Bi- 
belabschnitt Torliest,  wie  dies  auch  die  Prediger  in 
derschottischen,  englischen,  schwedischen 
Kirche  und  in  denjenigen  evangelischen  Gemeinden 
Deutschlands  thun,  wo  eine  Bibellection  statt 
findet  Dadurch  würde  die  Lesung  mehr  Würde 
«rhalten»  und  wieder  mehr  als  zum  Gottesdienst 
selbst  gehörend  betrachtet  werden,  denn  jetzt,  wo 
bloss  der  Küster  oder  Vorsänger  die  Bibellection 
liest,  meist  ohne  Ausdnitik  und  monoton,  so  dass 
in  sehr  vliAen  Kirchen  die  mei«te^  Leute  sich  erst 
während  der  Lesens  versammeln,  die  wenigsten 
nachlesen  oder  zuhören,  und  die  Meinung  zu  herr- 
schen scheint,  als  gehöre  die  Bibeilectiun  nicht  ei- 
gentlich zum  Gottesdienste. 


29 

ioo  zum  jährlichen  Betüige  (1.  Bd.  S.  90}  Yontellim- 
gen  gemacht  hat,  ist  mir  unbekannt  '  Aber  gewiss  ist 
die    Unpasslichkeit    dieses    Siegs-,    Danks-    nnd 
Frendentages   zn    einem  Boss-    und    Bettage, 
der  doch' ein  heiliger  Trauer  tag  seui   soll,    so   in 
die  Augen  fallend,   nnd   die  Gefühle  an  einem  Siegs- 
tage sind  den  Gefühlen  an   einem  Bnsstage  so    entge- 
gengesetst,  —  an  den  Gedenktagen  schwerer  Nieder- 
lagen hat  man  in  vielen  Ländern  wohl  Basstage  gehal- 
ten,  aber  nie  an  einem  Siegestage,  —  dass  kaum  sn 
sweifeln  ist,    die  Synode  würde  dorch  einen  bündigen 
nnd   dringenden   Vortrag  über  diesen  Uebelstand   ans 
Cnltnsministerium    die   Festsetzung   eines    passenderen 
Tages  tum  Bettage,    und  somit  einen  wirklichen  jähr- 
lichen Buss-    und   Bettag,   welcher  für  die  Kirche 
so   wohldäUg  ist,   in  der  Art,    wie  er  in  Preussen 
itarck  die  Bestimmung  unsers  frommen  Königs  besteht, 
erhalten  haben. 

Ferner  ist  die  Thätigkeit  nnd  Umsicht  der  Synode 
'  in   der  Entwerfung    mehrerer  Reglemente  für  die 
inneren  und  äusseren  Angelegenheiten  der  Kirche  zn 
rühmen.    Es  sind  deren  nean : 

1)  für  dte  Prüfung  und  Zulassung   zum  Predigtamte, 

2)  für  die  Klassikalen  Kosten, 

3)  für  den  Religionsunterricht, 

4)  für  die  Kirchenvisitation, 

ft)  für  die  Yacanzen  ,^  so  wie  für  die  Berufung  nnd 

Entlassung  der  Prediger, 
6)  für   die  Ausübung  der   kirchlichen  Aufsicht   und 

Zucht, 


so 

I 

7)  für  die  ZusanunensetuiBg  und  Wirksinikeit  der 
Kirchenräthe» 

8)  für  die  Terwaltinig  der  kirchlichen  Fonds  und 
der  Kosten  des  Gottesdienstes.  Diesei  Reglement 
ist  for  jeie  ProFine  besonders  tnt^  orfen. 

0)  für  eine  allgemeine  Wittwenkasse. 

Durch  vorstehende  Reglemente  ist  eine  wünschens- 
werthe  Ordnung  und  Gleichmässigkeit  in  die  Behand- 
lang der  äusseren  lijrchenan£elegenbeiten  gekommen. 
Manche  Bestimmungen  darin  möchten  für  nnsere  deut- 
sche evangelische  Kirche  nachahmungswerth^  Anderes 
dagegen  nicht  zn  billigen  sein. 

Im  ersten  Beglemeol  i$t  die  neue  Yerpflich- 
tangsformel  auf  die  symbolischen  Bii eher 
4er  joiederiäyidischen  reformbten  Kirche  enthalten,  wd-* 
che  die  S^andidaten  zu  unterschreiben  haben ,  und  die 
so  viel  Änstoss  bei  vielen  Anhängern  der  symboUschen 
Bücher  erregt  bat«  Sie  heisst  also :  »Wir  Unterzeich- 
^^qete,  von  dem  Provinzialmoderamen  N.  N,  zum  Pre- 
ydigtaqile  in  der  niederländischen  reforimrten  Kirche 
„zugelassen,  erklären  hierdurch  aufrichtig,  dass  wir 
^das  Jntere^e,  sowohl  des  Chri&tenthumf  im  Allgenpei- 
„nen,  als  auch  der  niederländischen  refonnirten  Kir- 
„chengesellschaft  insbesondere,  durch  Lehre  und  Wan- 
„del  sorgfältig  beherzigen  wollen;  dass  iirir  die  Lehre, 
^welche,  übereinstimn^endmit  Gottefrh.Wort, 
„in  den  angenommenen  symbolischen  Büchern  der  nie- 
„derländischen  refonnirten  Kirche  verfasst  ist ,  aufrich- 
„tig  annehmen  nnd  herzlich  glauben;  dass  wir  dieselbe 


31 

.{leissig  lehrea  and  handhubea  woUen,  nnd  diM  wir 
,der  Beförderong  religiöser  Erkenntnin,  chrtsdicher 
«SiUen,  Ordoong  und  Eintracht  uns  mit  allem  Eifer 
^befleissigen  wollen,  indem  wir  uns  durch  diese  vnsre 
^Unterschrift  «u  allem  Vorerwähnten  verpflichten,  und, 
jfio  wir  befunden  werden,  gegen  irgend  einen  Theil 
^dieser  Erklämng  und  dieses  Verspredieas  gehandelt 
,yza  haben,  nns  deshalb  den  Aussprüchen  der  bdugten 
«lircUichen  Versammlungen  unterwerfen  zu  wollen.*. 

Dass  den  der  Dordrechtischen  Kirchenlehre  nicht 
anKängenden  reformirten  Geistlichen  eine  offene  Thnre 
für  ihre  Lehrmeinung  gemacht  werden  sollte  durch 
obigen  Ausdruck:  ^dass  wir  die  Lehre,  welche,  über- 
einstimmend mit  Gottes  h.  Wort  in  den  .  .  • 
symbolischen  Büchern  .  .  .  verfasst  ist,  aufrichtig  an- 
nehmen etc^^i  liegt  am  Tage.  Denn  das  Partidpium 
, übe  rein  stimmend*  konnten  sie  sich  sehr  gut  auf- 
lösen durch:  insofern  sie  (die  Lehre  der  symboli- 
schen Bücher)  übereinstimmt  mit  Gottes  h,  Wort. 
Auch  sagte  mir  eins  der  angesehensten  und  einfluss- 
reichsten Glieder  der  Synode  hierüber :  die  Auflosung 
durch:  weil,  sage  zu  viel,  die  durch:  insofern, 
sage  zu  wenig.     Ob   es  aber  ein  Drittes  hier  gibt?  — 

Den  Vorwurf,  welchen  die  Anhänger  der  sjrmbo- 
Uschen  Bücher  der  Synode  machen^  dass.  sie  sich 
4iirch  diesen  Ausdruck  absichtlich  eine  Zweideutig- 
keit bei  dieser  b.  Handlung  der  Verpflichtong  der 
Kandidaten  erlaubt  habe,  kann  man  in  JLeinem  Falle 
nagegründet  nennen  (vgl.  1.  Bd.  S.  103.  104}» 


IMMiÄläHHP 


aa 

Die  Kandidatenprtifungy  welche  nach  die- 
sem Reglement  vor  dem  Provinzialmoderamen  geschieht, 
möchte  wohl  an  drei  Fehlern  leiden: 

1)  dass  sie  zu  kurz  ist,  -^  sie  soll /die  Probepre- 
digt  nilübt.  eingerechnet,  wenigstens  zwei  Stunden 
dauern  -i, 

2)  dass  die  Kandidaten  keine  Probekatechese 
mit  Kindern  zu  halten  brauchen,   und 

3)  dass  sie  bloss  vor  Predigern  geschieht. 
Die  Krfahrnug  lehrt  noch  jetzt  in  der  schotti- 
schen Nationalkirche  *),  sie  lehrte  es  in  unsern 
preussischen  Provinzen  Jülich,  Cleve,  Berg 
und  M^ark,  als  die  Kirchen  Verfassung  darin  noch  in 
ihrer  unrevidirtcn  Gestalt  bestand ,  dass  bei  Prüfungen 
der  Kandidaten  bloss  vor  Predigern,  welche  sich  vor- 
zugsweise in  praktischer  Seelsorge  bewegen,  in  der 
Regel  zu  wenig  Strenge  in  Absicht  der  wissenschaftli- 
chen Anforderungen  statt  findet,  was  nur  zum  Scha- 
den des  theologischen  Studiums  gereichen  kann.  Auf 
der  andern  Seite  ist  eine  Prüfung  der  Kandidaten  vor 
lauter  Stubengelehrten,  wie  sie  in  manchen  Ländern 
geschieht,  eben  so  einseitig.  Beiden  Mängeln  ist  auf 
eine  nachahmnngswürdige  Weise  bei  den  evangelischen 
Kandidatenprüfungen  in  der  Provinz  Westphalen 
vorgebeugt.  Hier  werden  die  Kandidaten  zu  Mün- 
ster von  einigen  Königl.  Konsistorialräthen  und  von 
einigen  durch  die  märkische  Provinzials)iiode  depu- 
tirten  erfahrnen  Predigern  geprüft*     Die  Provinzialsj- 


«)  S.  Gbnberq's  ichoti.  NationaUdrohe  .8.  221,  222. 


33 


node  zn  Köln  m  diesem  Jahre  hat  auf  eine  'ilinliclie 
Einrichtasg  des  Consistorialexamens  zu  Coblent  (lax 
imsre  Rlieinprovioz  angetragen. 

Das  vierte,  fünfte  und  sechste  Regleneiil» 
welche  im  Jahre  1816  zum  erstenmal  TerCust  waren, 
nnä  in  den  Jahren  1823,  1825  nnd  1826  völlig  nm- 
gearbeitet  nnd  in  dieser  veränderten  Gestalt  heransge- 
geben  irordeüL  Jedoch  sind  nicht  alle  Veränderangen 
dann  Ferbesseningen  zn  nennen. 

Eine  Verbesserung  ist  im  vierten  Reglement 
von  der  Kirchenvisitation  clie  Veränderung  m 
nennen,  dass  die  persönliche  Visitation  nicht  jährlich, 
sondern  jedes  8.  Jahr  gehalten  werden  soll.  In  den 
beiden  andern  Jahren  soll  die  Visitation  schriftlich  ge- 
schehen. l)agegen  ist  eine  Verschlechterung  zu 
nennen  das  viel  gelindere  und  in  oberflächlicher  Allge- 
monhot  bleibende  Visitatlonsfrerfahren ,  welches  das 
nencfe  Reglement  von  dem  älteren  unterscheidet« 

Bas  fünfte  Reglement,  für  die  Vacanzen, 
Berufungen  u.  S.  w.  enthält  eine,  aus  *  der  alten 
Kircfaenverfassung  beibehaltene  sehr  nützliche  Einrieb- 
'  tnng,  welche  in  unserer  deutschen  Kirche  naehge* 
ahmt  zu  werden  verdient.  Für  jede  Gemeinde  wird 
«unlieb  ein  benachbarter  Prediger  znta  Consnlent 
derselben  ernannt,  der  bei  dem  Sterben  oder  längerer 
Ktankheit  oder  Wegbemfung  oder  Suspension  etc.  ih- 
ics  Predigers  verpflichtet  ist,  ihr  sogleich  an  Hülfe 
in  kommen,  die  erste  Yacanzpredigt  zu  halten,  dem 
PrÜtor  der  Ringpergadering  zur  Anordnolig 
der  Vacanspffdigten  durch  die  Prediger  des  Bmg 
II.  s 


iiirtr^   11 


34. 

Nachricht  zu  gcbm,  ebenso  dem  Klassikalmoderaraen, 
ferner  die  Seelsorge  und  Katechisation  der  Kinder  der 
Gemeinde  wöchentlich  oder  zu  bestimmten  Zeiten  zu 
übernehmen,  die  nöthigen  Versammlungen  des^  Kir- 
chenratbi  zu  leiten,  welche  ohne  seine  Gegenwart  kei* 
nc  Gi]ltfg)Eeit  haben,  kurz  für  das  Wohl  der  hirten- 
losen  Gemeinde  als  ihr  interimistischer  Seelsorger  be- 
stens bift  zur  Ankunft  eines  neuen  Predigers  zu  sor- 
gen. Für  seine  Bemühungen  wird  ihm  theils  von  der 
JRingpergadering^t  Afüs  von  der  Gemeinde  eine  Ver- 
gütung gegeben. 

Die  Erwählung  und  Berufung  der  Prediger 
geschieht  nfbht  überall  auf  dieselbe  Weise,  meistens 
jedoch  durch  den  grossen  Kirch enrath. 

Das  sechste  Beglement,  für  die  Ausübung 
der  kirchlichen  Aufsicht  und  Zucht,  enthält 
zwar  (feine  sehr  genaue,  '>fast  juristisch -präcise  Bestim- 
mung der  Verfahmngsweise  bei  den  verschiedenai  In- 
stanzen in  Betreff  Aergerniss  gebender  Handlungen  und 
kirchlicher  Streitigkeiten;  allein  in  Betreff  der  Haupt- 
sache hält  «s  sich  mit  unevangelischem  Geiste  in  oher- 
•  üächlieher  Allgemeinheit.  Es  macht  keine  Handlungen 
nabmhaft,  welche  als  Aergernias  erregend,  kirchliche 
Rüge-  verdienen,  nicht  einmal'  solche ,  welche  nicht 
bloss  nach  dem  Worte  Gottes,  sondern  seihst  nach 
den  Gesetaen  der  biirgerlicben  Obrigkeit  Strafe  verdie- 
*  neu,  als  offenbare  Fleischesvergehen,  Dieb- 
stahU  Trunks&cht  u.  s.  w.  Das  Zugegensein- 
Müssen  der  nn ehelichen  Mutter  bei  der  Taufe 
ihner  Kinider  und    die   öffentliche  Vermahnung  an  sie^ 


35 

woTön  ich  I.  Bd.  S.  02  spracfa,  ist  daher  nicht  sowohl 
Zwang,  darch  ein  noch  heslehendes  Kirchengesets,  wie 
froher,  «ondem  nur  Zwang  durch  die  kirchlidie  Sitte, 
welche  io  vielen  Gemeinden,  Gott  sei  Dank!  noeh 
strenger  ist,  als  der  Gei^t  der  neuen  kirchlichen  Ge-* 
seUgebnng« 

Das  siebente  Reglement  für  die  Zusammen- 
setzung und  Wirksamkeit  der  Kirchenrä- 
t  h  e  enthält  bloss  allgemeine  Grundziige.  Specielle 
Reglemente  für  die  Kirchenräthe  jeder  Provinz  sind 
gegenwärtig  bei  der  Sjnode  in  Berathang. 

Was  die  Besoldung  der  Prediger  betrifH,  so 
ist  sie  in  Amsterdam  2500  fl«,  in  Rotterdam 
2000  fl«,  im  Haag  1800  fl.  u«  s.  w.,  welches  xwar 
viel  scheint,  aber  wegen  der  ausserordentlichen  Theue- 
mng  in  den  grossen  Städten  und  der  kostspieligen  Le- 
bensart in  Holland  überhaupt  auch  bei  grosser  £in- 
fadihttt  des  Lebens  bei  einer  grossen  Familie  kaum 
zureicht,  indem  die  Prediger  gesetzmässig  keine  Ac- 
cidenzien  erbalten.  In  kleineren  Städten  und  Ge- 
meinden ist  die  Besoldung  geringer,  auf  dem  Lande 
in  vielen  Orten  600  — -  800  fl.,  in  vielen  aber  auch 
noch  unter  600  fl.  Seit  dem  Jahre  1814  hat  der  Kö- 
nig viele  Stellen  verbessert,  besonders  aber  die  Nah- 
rongssorgen  der  Prediger,  welche  Kinder  haben,  durch 
£e  Verordnung  im  Jahre  1816  vermindert,  welche 
die  Kindergelder,  die  früher  bloss  in  den  Provin- 
len  Holland  und  Seeland  üblich  waren,  allen 
reformirten  Predigern  zugestanden  hat  Hiernach  er- 
kalten  alle  Predigerkinder  unter  22  Jahren  jährlich  25 


-  •    '  -■  ■ 


36 

fl*  Kindergeld,  die  Söhne,  wenn  sie  die  lateinische 
Schule  hesnohen,  ausserdem  25  fl«  jährliches  Schulgeld, 
und  wenn  sie  die  Universität  beziehen,  jährlich  50  fl. 
Akademiegeld« 

Den  lutherischen  und  remonstrantischen 
Predigern  ist  dies^e  Vergiinstigung  zu  TheQ  ge^ 
worden. 

Hier  ist  der  Ort,   auch  £iniges  über  die 

fransö'sisch-reformirten  Gemeinden 

Hollands      ' 
IQ  bemerken. 

Diese  Gemeinden  nennen  sich  selbst  lea  Egliaes 
ßKalionnes,    well  sie  ursprünglich  grossentheils  aus 
den  Wallonischen  Provinzen  (Hennegau,  Flandern 
und  Brabant)    nach   Holland    herübergekommjcn   sind. 
Dies  geschah  luerst  gleich  bei  dem  Anfang  der  Refor- 
mation in  den  Niederlanden.     Nach  der  Aufbebung  des 
Edikts  von  Nantes   kamen  eine  grosse  Menge  Re- 
formirter  mit  200  Predigern  aus  Frankreich,  welche 
liebreich  aufgenommen   wurden,'  und   theils  neue  Ge- 
meinden   bildeten,    theils    mit   den   alten   wallonischen 
sich  vereinigten.     Ums  Jahr  1688  war  daher   die  Zahl 
der  wallonischen  Gemeinden  62.     Von  Anfang  an  bil- 
deten sie  eine  eigne  Synode  für  sich,    ohne  nähere 
Verbindung   mit  der    holländisch  -  reformirten   Kirche, 
selbst  ohne  Correspondenten  zu   deren  Provinzialsjno- 
den  SU  schicken.    Die  Syno  d  alkosten  u.  s.  w«  be- 
zahlte nicht  der  Staat,   wie  bei  den  holländisch  -  refor- 
mirten, sondern  solche  bestritten   sie   selbst     Jedoch 
beschickten   tie  alle  Nationalsynoden,    auch   die   letste 


37 

Dordrechtsdie  9  hatten  auch  im  Ganxen  dieselbe  Kir* 
ckonrerfMiaBg,  nur  da»  ihre  Gemeinden  nicht  lo 
Klassen  getheilt  wurden,  und  waren  durch  das  Band 
schwesterlicher  Gemeinschaft  mit  der  Landeskirche  rer- 
hnnden.  Auch  wurde  in  ihren  Kirchen  des  Sonntags 
Nacbnuttags  nicht  über  den  Heideibergischen» 
sondern  über  den  Genfer  Katechismus  Galyirs 
gepredigt,  welchef  von  Anfang  an  bei  ihnen  als  sym- 
bolisches  Buch  eingeführt  war. 

Da  die  wallonischen  Gemeinden  allmähiig  an  ZäU 
xnsammenschmolzen ,  und  viele  geringere  Gemeinds* 
glieder  die  französische  Sprache  nicht  einmal  mehr  ver* 
standen,  so  wurde  das  Bedürfniss,  viele  solcher  Ge- 
meinden zu  haben,  immer  geringer,  und  nur  in  grds* 
seren  Stiidten  erhielten  sie  sich  in  ihrer  Grösse  durch 
die  Mode  9  welche  seit  der  franzö'sischen  Herrschaft 
bei  vielen  Beichen  und  Vornehmen  einriss,  znr  franzö* 
zischen  Grcmeinde  zu  gehören,  obgleich  sie  selbst  Hol- 
ländisdi-Befbrmirte  waren*  Der  König  hat  daher  bei 
der  neuen  kirchlichen  Organisation  ihre  Synode  au&e- 
hoben,  welche  schon  seit  dem  Jahre  IftlO  nicht  mehr 
zusammengekommen  war,  und  die  Gemeinden  mit  den 
holländisch  -  reformirten  Klassen  vereinigt»  Für  die 
hinslichen  Verwa  1  tun gssa eben  der walloniKheir 
Erchen  hat  er  jedoch  eine  besondere  Commission  aas 
ihrer  Mitte  niedergesetzt,  aus  (^  Predigern  und  Einem 
Aeltesten  bestehend,  welche  das  finanzielle  Interesse 
ihrer  Gemeinden  zu  wahren,  die  zum  Predigtamte  in 
den  französischen  Gremeinden  sich  meldenden  Kradida- 
ten  ta   priife6,    nberhaapt   die  Geschäfte  der  Provin« 


38 


f 


zlai-  md  Klwikalmaderamina  wabnunehinea,  ond 
mn  geiftliqbcss^  Crlied  avs  ihrer  Mitte  zur  allgeiiieinen 
Synode  sn  scl^i^e^  bat. 

AncH'  bat  der  König  im  Jahre  1817  die  Orte  be- 
nimmt, wo  künftig  nur  noch  wallonische' Gemeinden 
besteben  sollen.  Es  bleiben  hiernach  22  Gemeinden 
mit  29  Predigern ^  nämücb :  zu  Amsterdam  eine 
Gemeinde  mit  4, Predigern ,  im  Haag  mit  3^  zu 
Rotterdam  mit  3,  zu  Leiden  mit  1  Prediger^ 
«tUnso  an  allen  folgenden  Orten,  zu  Voofburg, 
Utrecht,  Hariem,  Middelbnrg,  Groningen, 
Dordrecht,  Leeuwarden,  Delft,  Nymwe- 
gen,  Arnheim,  Herzogenbusch,  Breda,  Zie- 
riksee,  Vlissingen,  Zwoll,  Scbiedam,  De- 
Tenter  und  Zütpben. 

Pie  presbyteriauiscb -englischen  und  die 
«ch Otttscben  Gemeinden  sind  gleich  den  walloni- 
schen den  bolläpdisch  -  reformirten  Klassen  einverleibt 
worden.  Aueb  besteht  überhaupt  nur  noch  Eine  der 
erfteren  Art  mit  1  Prediger,  und  Eine  der  letzteren 
i|ut  2  Predigern ,   und  zwar  beide  zu  Rotterdam. 

Was  die  eya nge lisch en  Gemeinden  in  Süd- 
niederland betrifft,  so  sind  es  meistens  ursprüng- 
lich reformirte  Gemeinden,  sind  afucb  alle  mit  re- 
formirten  Predigern  besetzt,  ausgenommen  die  deut- 
sche gemeinde  su  Masti^icbt,  welche  einen  1  tt- 
^beriscb.en  Prediger  bat,  und  gehören  auch  zum 
Verband  der  reformirten  Kirche^,  zum  Provinzial- 
moderamen  von  Limburg,    wie  S.  :|%  erwähnt 


** 


39 

-ist*  Indess  haben  GemeindeD  und  Prediger  den  Na* 
Bien:  reformirt,  abgelegt,  nndheisscn  p rotes tan- 
tiscb,  nmiassen  auch  unter  ihren  Oemeindsglicdern 
alle  Pfoteitanten. 

Die  Ortsnamen  der  Gemeinden ,  deren  22  mit 
^8  -Predigern  sind,,  heissen:  Brüssel,  wo  zwei 
holländische  Prediger  sind,  und  einer,  der  d  e  u  t s  cli 
und  französisch  predigt,  Mast  rieht  mit  3  hol- 
ländischen, einem  französischen  und  einem 
deutschen  (lutherischen)  Prediger,  Venlo,  Gen- 
nep«  Stevenswaard  ^  ürmnnd>  Sittard, 
Geul  und  Beck,  Meerssen,  Heerle,  Valken- 
bnrg,  Giilpen,  Yaals,  Eysden,  Verviers, 
Gent,  Maria  Hoornbeke,  Rongy,  Dour 
und  Antwerpen.  An  einigen  dieser  Orte  muss  der 
Prediger  holländisch  und  deutsch,  an  andern 
holländisch  und  französisch,  an  noch  andern 
deutsch  and  französisch  predigen.  Die  Namen 
der  zwei  letzten  an  den  22  Gemeinden  noch  fehlenden 
Orte  kann  ich  nicht  angeben,  da  sie  weder  in  dem 
königlichen  Organisationsdekrete  vom  16«  Apnl  1810, 
noch  auch  in  den  mir  vom  Cultusministerium   hochg^ 

neigt  mitgetheilten  statistischen  Notizen  angegeben  sind* 
i 
Ueberdiess  gibt  es  noch  in  Slidniederland  6  Gar- 

nifionsprediger,    stehend    zu   Briigge,    Door- 

nik,     Mons,     Namur,     Liittich     und    einer    im 

Grosshera^ogthum.   Luxeiihburg    fürs   dasige    Militär. 

Jeder  derselben  bedient  mehrere  M  i  H  t  ä  r  g  e  nue  i  n  d e  n,         1 

deren  jede   einen  l^rcheurathhal.     Dlf:  Prediger         ] 


.jmMil. 


40 

g^Örta  ni  den  Klassen  der  Provirtt  Limbnrgy  «nd 
sind  in  der  Regel  ältere  erfahrene  Geistlicbe.  *) 

-Die  Oberaufsicht  über  die  evangelischen  Kif<- 
chen  in  den  ost-  und  westindischen  Koloniien 
Lieferlands  führt  eine  vom  König  im  Jahre,  1820  nie» 

*)  Sehr  ZQ  ivünschen  iiäre  für  unsere  preussische 
Militärgemeinden»    dass   %u  Predigern  dersel- 
ben  auch  nur   ältere    erfahrene  Geistliche   ernannt 
ivürden,  und, nicht,   wie  leider  die  Regel  ist,  jun- 
ge»   aller   Amtserfahrung    entbehrende   Kandidaten« 
,      Wenn  diese  auch  in  gläubigem  Geiste  predigen  und 
wirken,  so  ist  Jhre  Wirksamkeit  doch  für  die  er- 
sten Jahre  eine  sehr  beschränkte ,  ueil  ihnen  theils 
die  äussere  Würde,   theils  meistens    auch   di(i  Ge- 
wandtheit und  Festigkeit  abgeht ,  welche  zur  spe- 
ciellen  Seelsorge,  in  so  schwierigen   Verhältnissen, 
.  als    eine    Militärgemeinde  darbietet,    durchaus    er- 
forderlich sind.     Kaum  aber  haben   sie   sich  einige 
Erfahrung   und    Gewandtheit  in   diesem   Wirkungs- 
kreise  erworben,    so  gthen  sie  gewöhnlich  zu  Ci- 
▼ilpfarrstellen  ab,   und   es  treten-  neue  Anfönger  an 
ihre  Stelle.     Hierdurch  leidet  die  Militärseelsorge 
unsäglichen  Schaden.      Leicht   wäre  diesem  Uehel- 
Stande   abzuhelfen,   wenn   der  Staat  den  Gehalt  der 
Militärpredigerstellen  und  ihre  übrigen  Verhältnisse 
etwas    Tcrbesserte.     Man    würde    dann    erfahrene 
Seelsorger  zu  diesen  Stellen  ernennen  können,  und 
es  würde  zugleich    dem  zu  häufigen  Wechsel  der- 
selben vorgebeugt. 

Ferner  würde  es  sehr  heilsam  sein,  wenn  die 
,  pren SS i sehen  Militärgemeinden ,  ebenso  wie  die 
niederländitchen,  einen  eignen  Kirchenvor- 
atand  hätten.  Der  Prediger  würde  dadurch  eine 
grössere  Stütze  und  Hülfe  in  seiner  Wirksamkeit 
erhalten,  und  die  Gemeinde  sich  dem  Verhältniss 
der  christlichen  CirilgemeitfUen  nähern. 


41 

dergesetxte    besondere    kircliliche  Commiialoa 
los  7  Predigern,  wornnter  stets  die  Secretlre  der 
refomnTten    snd    der   erangeliscli  -  Intheri« 
sehen   Synode   und   der  Secretifar   des  Proyinsial- 
moderamens  von    Siidhollind  sind.     Ancli  ut 
ein    remonstrantisehev  Prediger   darunter.     Hof- 
prediger   Dehmout    ist    Präsident,    der    latkerische 
Prediger  Schultz  Vicepräsident   und  der  emeritirte 
reformirte  Prediger  Yerwet  Secretär  der  Cominis* 
sion ,  welche  ihren  Sitx  im  Haag  hat 

Sie  hat  mit  den  indischen  Kirchen  xn  correspoa- 
diren,    die    dahin    abgehenden  Prediger    dnsnsegnen, 
die  xam  Predigtamte  dafiir  sich  meldenden  Kandidaten, 
Missionäre  nnd  Schallehrer  in  prüfen  nnd  einzusegnen, 
mit  der  niederländischen  Bibel-   nnd  Missionsge- 
sellftcbafty  so  me  mit  den  theologischen  Fa* 
kul täten    und    Professoren    der    verschiedenen 
protesl  antischen  Universitäten ,   Athenäen  nnd  Seminare 
Yerbindnng  sa  nnterbalten,  nnd  von   den   reformirten 
Gliedern  ans  ihrer  Mitte  jährlich  einen  Deputirten  snr 
reformirten  Synode   xn  schicken.     Daneben   sind  noch 
ausserordentliche   Mitglieder    oder   Consulen- 
ten   der   Commission   aus   den  theol.   Fakultäten   der 
reformirten    Universitäten ,     aus    Predigern    and 
Aeltesten  der  evangelisch -lutherischen  Kirche^ 
•US   den  remonstrantischen  nnd   tanfgesinn- 
ten   Predigemi     aus    einigen  GHedom   der   General- 
fftaaten,    aus   dem   Generaldirector  der  mittleren  und 
Volksschulen  etc.  ernannt,   deren  Rath  in  betreffenden 
FiUen  einsuholen  ist. 


E^g£ 


43 

'  — zii 

Obgleich  <iie'  reformirten  und  lutherischen  Ge- 
meinden in  d&  indischen  Kolonien  noch  nirgends, 
ausser  auf  der  westindischen  Insel  Cura^ao  verei- 
nigt sind,  so  werden  doch  die  beiderseitigen  dahin 
abgehenden  Prediger  nur  proteslantischti  genannt. 

Nähere  Auskunft  über  die  protestantisch -kirchli- 
chen Angelegenheiten  der  Kolonien  zu  ei;b alten,  ist  mir 
unmöglich  gewesen,    da  sie  noch  nicht  geregelt  sind» 

II«    Verfassung    der    evangelisch  -  lutheri«* 

sehen  Kircbc. 

Die  VerlFassung  dieser  Kirche  ist  durch  das  allge» 
meine  Reglement  vom  6.  Febr.  1818  festgestellt,  und 
in  vielen  Stiickeli  der  reformirten  Kirchenverfassung 
nachgebildet  9  hat  dagegen  die  oben  gerügten  Mängel 
dieser  letzteren  in  manchen  Puncten  glücklich  vermie- 
den. Ich  kann  mich  daher  bei  der  Darstellung  dersel- 
ben kurz  fassen,  und  mehr  auf  die  Angabe  ihrer  Ver- 
fichiedenheiten  von  jener  beschränken. 

Die  Zahl  aller  evangelisch  -  lutherischen  Gemein- 
den beträgt  46,  11  Filiale  nicht  mitgerechnet,  mit  57 
Predigern,  und  ist  in  6  Hingen  abgetheilt,  welche 
Abtheilung  jedoch  keinen  weitern  Zweck  hat,  als  be- 
quemere Bedienung  der  vacanten  Gemeinden. 

Zum  ersten,  dem  Amsterdamer  King,  ge- 
bart bloss  die  dasige  Gemeinde. 

Zum  Rotte|u4amer  King  gehören  die  Ge- 
meinden von  Rotterdam^  Dordrecht,  Middel- 
b«rg,  Vliasingen,  Breda,  Zieriksee,  Ber- 
gen op  Zoom,   Groede  und   Brielie  mit  Hei- 


43 

roeisl a i s.  ^, Oiese  letztere  Bneiier  Gemetndef hat  «ich 
erst  im  Jahre  X828   gebildet 

.  Zam  Haager  Bing  gehören  die  Gemeinden 
vom  Haag,  yon  Leiden,  Delft,  Gonda,  Schie- 
dam,   Woerden  und  Bodegra  ven; 

Zürn  Utrecht  er  Ring  die  Gemeinde  von«  Ut- 
recht, Weespy  Arnheim,  Nymwegen,  Her* 
s  ogenbu^ch,    Amersfort  und  Kuilenburg; 

Zorn  Harlemer  Bing  die  Gemeinden  Toa 
Harlem,  Zaandam,  Alkmaar»  Hporn,  Pnr- 
merende,  Edam»  Alonnikend  am»  ^everwyk 
und  Byp; 

Zorn  G  von  in  ger  Bing  die  Gemeinden  von 
Groningen,  Leeuwarden,  Derenter»  Zwoll, 
Pekel-A,  Eampen,  Zütphen,  Wildervank, 
Sappemeer,  Harlingen,  Winschoterzyl, 
Doesbnrg  und  Den ti ehem. 

Die  grösste  aller  dieser  Gemeinden  ist  die  an 
Amsterdam,  welche  an  22,000  Seelen  mit  $  Predi- 
gern ilhlt«  Ihr  zunächst  stehen  die  Gemeinden  im 
Haag  nnd  zu  Rotterdam,  deren  jede  9000  See- 
len mit  3  Predigern  hat.  .  Die  Seelenzahl  aller  Ge- 
meinden ist  47,000. 

Auch  über  alle  evangelisch  -  lutherische  Gemeinden 
ilAt  ab  oberste  Kirchenbehdrde  eine  Synode. 

Sie  besteht  aus  14  Gliedern,  7  Predigern  nnd  7 
Laien,  von  welchen  letzteren  4ie  Amsterdamer 
Gemeinde  3,  die. Haager  1,  die  Rotierdamer 
1>  und  die  übrigen  Gemeinden  xosammen  2  wählen* 
Yen  den  ersteren  ist  einer  ans  der  Amsterdamer  Ge- 


I 


44 

meitide  tu  wSyeH,  nnd  einer  ans  jeden  der  übrigen 
6  Ringen*  Das  siebente  geistliche  Mitglied  ist  der 
Secretär  der  Sjnode,  welcher  aus  den  Predigern 
des  Haag  oder  der  Nachbarschaft  fBr  8  Jahre  gewählt 
wird.  Der  jetzige  Secretär  ist  der  sehr  gewandte  und 
umsichtige  Prediger  im  Haftg,  J,  Schultz,  welcher 
seit  Einführung  der  neuen  Kirchenverfassung  stets  die- 
ses Amt  bekleidet  hat.  Von  den  übrigen  Synodalglie« 
dern  treten  jährlich  2  Prediger  und  2  Laien  ab;  alle 
jedoch  sind  aofs  neue  wählbar.  Der  ordentliche  Pro- 
fessor  des  theologischen  Seminars  cti  Am- 
sterdam wohnt  der  Synode  bei,  jedoch  ohne  eine 
beschliessende,  bloss  mit  einer  beratfaenden  Stimme. 
Für  jede  jährliche  Versammlung  derselben  ernennt  der 
König  aus  ihren  geistlichen  Gliedern  einen  Präsident 
«nd  einen  Vicepräsident.  Der  Minister  des  protestan- 
tischen Cultus  wohnt  der  Sjnod,e  bei ,  nach  Belieben 
auch  von  seinem  Secretär  begleitet.  Ueberdies  kann 
der  König  noch  einen  oder  mehrece  Commissarissen' 
JR)läiek  beiwohnen  lassen,  welche  jedoch  evangelisch- 
lutherischer  Confession  sein  müssen.  Die  Synode  ver- 
sammelt sich  jährlich  einmal  am  letzten  Mittwoch  des 
Mai.    Die  erste  Synode  war  im' Jahre  1819. 

Die  Synode  hat  die  oberste  Aufsicht  und  Leitung 
der  kirchlichen  Angelegenheiten,  verfasst  die  kirchli- 
chen Reglemente  und  Verordnungen,  hat  das  Recht, 
die  Prediger,  Kandidaten  und  Kirchenrathsglieder  ab- 
sQsetzen,  nnd  bildet  die  zweite  Instanz  für  die  Streit- 
ßllc,  welche  vor  der  Synodalcommission  als  er- 
ster  Instani   behandelt  werden.     In  Fällen,    wo   bie 


45 

die  erste  lostam  badet,  wird  für  den  Appellanten» 
der  800  ^..iKi  hinterlegen  hat,  In  ähnlicher  Art  wie 
bei  der  reformirten  Sjmode  eine  sjnodale  Re- 
Tisions versammlang  von  9  Gh'edern  berufen« 

Aas  der  Art  der  Zasammensetzang  der  Sjnode 
erg;ibt  sich,  dass  die  evangelisch -lutherische 
Kirche  weislich  mehrere  der  oben  gerügten  wicbtigen 
Fehler  vermieden  hat,  welche  bei  der  Zasammense- 
tznng  der  reformirten  Synode  begangen  worden 
sind»  Denn  erstens  wird  sie  sowohl  durch  eine  an« 
gemessenere  Zahl  Sjnodalglieder  überhaupt  vertreten^ 
als  auch  ein  richtigeres  Verhältniss  der  abgeordneten 
Aeltesten  nnd  Geistlichen  durch  eine  gleiche  Zahl  bei- 
der festgestellt  Zweitens  ist  der  Wechsel  der  Sy- 
nodalglieder nicht  za  schnell ,  indem  er  nicht  jährlich, 
sondern  nur  jedes  dritte  Jahr  eintritt 

Die  zweite  evangfslisch  -  lutherische  Kirchenbebö'r- 
de    ist  die  Synodalcommission  {Synodale   Com* 

Sie  besteht  aas  6  Gliedern  der  Synode,  3  Aelte- 
sten nnd  3  Predigern.  Unter  diesen  ist  der  Secretär 
der  Synode.  Da  die  Versammlungen  der  Synodalcom- 
mission zu  Amsterdam  gehalten  werden,  and  zwar 
Smal  )äfarlich,  im  April,  July  und  October,  so 
werden  zo  Mitgliedern  solche  3ynoda]glieder  gewählt, 
die  nicht  zu  weit  von  Amsterdam  entfernt  wohnen» 
Die  Synodalcommission  erwählt  selbst  die  neuen  Glie- 
ds. Wie  oft  sie  wechseln,  ist  im  Reglement  nicht 
angegeben. 


46 

Bi<!se  Behörde  föhrt   die   Be^cIiKisse   der  Sjnode 
aas,  und  behandelt*  alle   gewöhnlicfae  ' laufende  Sachen 
vom  Schlnss    einer  Sjnodalversammlnng    bis   zuiA  An- 
fang der  nächsten,    beaufsichtigt  alle  Gemeinden,   be- 
sonders die   vacanten,    leitet   di4  Berufung  neuer  Pre- 
diger, bildet  die  aweite  Instanz  für  die  vor  dem  Klr- 
chenrath  als  erster  Instanz   verhandelten  Fälle,    darf 
Prediger,  Kandidaten  und  Kirchenriatbsglieder  suspen- 
diren,    und  leitet  die  Prüfung  der  zum  Kandidatenexa- 
men sich  Meldenden.      Zu  diesen  Prüfungen  zieht   sie 
jedoch  noch  2  Prediger   ans   Amsterdam,   oder  dessen 
Nachbarschafl  hinzu,    welche  bloss  für  diese  Fälle  Sitz 
nnd  Stimme  in  der  Versammlung  haben«     Der  Präsi- 
dent der  Sjnodalcommission   ist   bisher   stets  G.  H. 
Lagers,   Prediger  zu  Amsterdam,   der  hierdurch 
mit  dem  Secretär  Schultz    den   wichtigsten  Einfluss 
auf  die  evangelisch  -  lutherische  Kirche  ausübt.  —  Auch 
bei   dieser  unteren   Kirchenbehörde   bemerkt  man    ein 
richtiges  Verhältniss    dto  Aeltesten   zu    den  Geistlichen 
in  der   gleiphen  Anzahl  beider,    welches   bei   den  re- 
formirt elf  untern  Kirchenbehörden  vermisst  wird* 

Die  dritte  nnd  unterste  Behörde  ist  der  Kir- 
chenrath  einer  jeden  Gemeinde.  Ihm  kommt  die 
Sorge  für  den  öffentlichen  Gottesdienst,  den  Religi- 
onsunterricht und '  die  nächste  Aufsicht  über  die  Ge- 
meindsglieder und  deren  Gensur  zu. 

Der  Kirchenrath  besieht  aus  dem  oder   den  Pre- 
digern, aus  Aeltesten,  Kirch  euren  tmeistem  nnd  Diako- 
.    nen.    Die  Kirchenrentmeister  (die  Kirchenmeister 
in   unsern    Provinzen)    haben    die   Aufsicht   über    die 


47 

Urcblldien  C^ebäade»  Güter  und  Einkünfte»  und  die 
Verwaltong  dieser  letiteren«  In  den  Gemeinden,  wo 
nur  Ein  Prediger  steht,  gehören  ausser  diesem  ram 
Kirchenrath  3  Aelteste,  3  Kirch enrentmeister  nnd  3 
Diaconen,  in  Gemeinden  von  2  oder  8  Predigern,  4^ 
¥on  )eden,  in  der  Gemeinde  zu  Amsterdam  7  Aelte- 
ste,  6  Kirchenrentmeister  nnd  18  Diakonen.  In  klei- 
neren Creraeinden  kann  jedoch  die  Person  des  Aelte- 
sten  nnd  des  Kirchenrentmeisters  dieselbe  sein.  In  den 
Filialgemeinden  besteht  der  Kirchenrath  aas  1 
Aeltesten,  1  Kirchenrentmeister  und  1  Diacon.  Jedes 
Jahr  scheidet  ein  Drittel  der  Kirchenrathsglieder  aus, 
nnd  wird  durch  neue  ersetzt. 

Ueberdies  besteht  in  jeder  Gemeinde  noch  ein 
grosser  Kirchenrath,  der  aus  allen  dienenden 
(wirklich  im  Amt  stehenden),  nnd  den  Alt-Kirchen- 

■ 

ratbsgliedern  (den  gewesenen  iLirchenrathsgliedern) 
losammengesetzt  ist  Er  ist  das  Wahlkollegium,  das 
die  Kirdienratbs  -  nnd  Sjfnodalglieder,  so  wie  die  Pre« 
diger  wählt  nnd  die  Kirchenrechnnngen  abnimmt  In 
«inigen  kleineren  Gemeinden  stimmen  jedoch  bei  der 
Wahl  des  Predigers  alle  männliche  konfirmirte  Ge- 
meindsglieder  mit 

Die  evangelisch  -  lutherische  Synode  hat  gleich  der 
reformirten  mehrere  Regiemente  verfasst: 
1)  far  die  Prüfung  und  Zulassung  zum  Pre- 
digtamte. Hierin  ist  den  zu  Prüfenden  das 
Halten  einer  Katechisation  mit  Kindern  vorgeschrie- 
ben, also  -der  Mangel  vermieden,  der  bei  den 
reformirten    Prüfungen,     wie    oben    bemerkt, 


48 


statt  findet  Die  ansländischen  Kandidaten, 
welche  sicli  etwa  zu  den  dentsch  *  lutl^eri- 
sehen  Stellen  melden,  deren  noch  3  sind,  zu 
Amsterdam,  im  Haag  imd  za  Nymwegen, 
müssen  zwar  nicht  im  Seiiiinar  zu  Amsterdam  stu- 
dirt  hahen,  sich  aber  derselben  Prüfung  unter- 
werfen, wie  die  daselbst  gebildeten  Theologen» 
Die  Yerpflichtungsformel  auf  die  symbo- 
lischen Bücher  der  lutherischen  Kir- 
che ist  ganz  dieselbe,  wie  im  reformirten  Regle- 
ment. (Vgl.  I.  Bd.  S.  loa,  104.) 
2)  für  den  |^  el  igi  o  ns  u  n  terr  icht.  *) 


^)  Der  kleine  Katechismus  Luthers  ist  nicht 
mehr  .  eingeführt.  Jeder  Prediger  gebraucht  einen 
li^ebigen  Katechismus,  ivodurch  der  ungläubigen 
Willkühr  freilich  Thor  und  Thüre  geöffnet  ist.  Un- 
ter den  im  Schooss  dieser  evangelisch  -  lutherischen 
Kirche  erschienenen  Katechismen  ist  einer  der  be- 
rühmteren der  ton  J.  W.  Statius  Mukllkii, 
Prediger  zu  Amaterdam,  unter  dem  Titel:  O«- 
derwyt  in  de^  christei$fken  Godsdienst  voor 
de  Jeugd,  Anäterdam  bei  /.  van  des  Hey  1812. 
Dies  Lehrbuch  ist  von  den  Herstelden  wegen 
seines  Unglaubens  öffentlich  angegriffen  worden, 
weicher  sich  auch  allerdings  nicht  verkennen  lasst. 
Um  nur  Einiges  anzuführen,  so  gilt  dem  Verfasser 
der  Tod  Christi  nur  als  Bestätigung  seiner 
Lehre,  s.  &  42  des  Katechismus.  Auch  hält  er  die 
Wiedergeburt  nicht  für  alle Hlenschen  nothwen- 
dig,  sondern  nur  für  die  groben  Sünder,  welche 
diese  Veränderung  aber  selbst  in  sich  bewirken,  so 
dass  sie  in  Absicht  dieses  neuen  Herzens  Schö- 
pfer und  Geachöpf  nugleieh  sind.  a.  S.  &5  des 
Katechismus* 


.      40 

5)  für  die  V  a  c  a  n  i  e  n ,  so  wie  für  die  B  e  r  u  f a  n  g 
und  Entlassang  der  Prediger; 

4)  für  die  Ansiibang  der  kirchlichen  Auf- 
sicht and  Zucht,  und  die  Behandlang 
kirchlicher  Anklagen  und  Streitigkeiten! 

5)  fiir  die  örtliche  Kirchenbehörde  (Kir- 
chenrath) ; 

6)  für  eine  allgemeine  Wittwenkasse» 
Diese   Reglemente   sind   den    reformirten    in  den 

meisten  Stücken  nachgebildet ,  daher  in  demselben  la- 
xen, inm  Theil  noch  laxeren  Geiste  verfasst.  Na- 
nentlich  ist  dies  bei  dem  fünften  Reglement  der 
Fall,  wo  als  Erforderniss  zum  Kirchenrathsgliede  nichti 
wdter  angegeben  ist,  als  dass  sie  aus  den  vornehm- 
sten,  a  cbtnngs  w  erthesten  und  passendsten 
ihetwaamsten)  Gemeindsgliedern  gewählt  werden  sollen, 
also  der  Reinheit  der  Lehre  gar  nicht  einmal  Erwäh- 
anug  geschehen  ist,  gleich  als  hätte  immer  ein  Apo- 
stel die  Erfordernisse  an  einem  Aeltesten  der  Gemeinde 
doUes  angeieigt. 

Im  Jahre  1820  hat  die  Synode  beschlossen,  dasa 
am  letzten  Jahresabend,  nnd  im  Jahre  1822, 
btt  auch  am  C  h  a  r  f  r  e  i  t  a  g  e  ein  Gottesdienst  in  al* 
len  lutherischen  Gemeinden,  wo  dies  bisher  noch  nicht 
ibiich,  gehalten  werden  solle.  Da  die  reformirte 
Synode  im  Jahre  1819  beschlossen  hatte,  dass  die 
Kirchenräthe  auch  die  Kirchenzeugnisse  anderer.  Prote- 
rtanten  an  den  Orten,  wo  diese  keine  eigne  Gemeinden 
kitten»  annehmen  nnd  ins  Regist»  ihrer  Gemeinde-- 
gliedcr  einschreiben  sollten,  so  fasste  die  Inlheruche 

II.  4 


50 


Sjnode   im  Jahre  1^20   einen    ähnilchen    gegenseitigen 
Beschluss. 

Von  dem  theologischen  Seminar  zu  Am- 
sterdam bemerke  ich  noch  nachträglich,  dass  seit  ei- 
nigen Jahren  ancfa  der  evangelisch  -  lathensche  Predi- 
ger Sahtorius  daselbst  als  aasserordentiicher 
Professor  an  demselben,  vorzüglich  fiir  die  prakti- 
sche Theologie,  angestellt  ist,  welcher  eine  mehr  gläu- 
big« Denkweise  haben  soll. 

Dies  ist  eins  der  Zeichen,  welche  nene  Hoffnun- 
gen für  eine  dereinstige  günstige  Umänderung  in  dieser 
Kirche  erregen.  Bergleichen  gibt  es  noch  einige  an- 
dere, ao  niederschlagend  auch  manche  Erscheinungen 
in  derselben  fortdauernd  sind,  z.  6.  dass  keine  prote- 
stantische Kirchengesellschaft  Hollands  so  wenig  An- 
tfaeil  an  der  Bibel-  und  Missionsgesellschaft 
bisher  genommen  hat,  arls  sie.  Auf  der  ersten  luthe- 
rischen S3rnode  erklärten  mehrere  Sjnodalglieder ,  dass 
sie  an  der  Uneinigkeit,  in  Hinsicht  auf  die  Herstel- 
den,  keinen  Autbeil  genommen,  auch  diese  noch 
beständig  als  Glaubensgenossen  betrachtet  und  behan- 
delt hätten.  Auch  hieraus  ergibt  ^ch,  dass  in  einigen 
Predigern  und  Gemeinden  der  Geist  des  Glaabeus 
s{ch  uodi  lebendig  eraeigt.  In  der  Gemeinde  zu  Nym- 
wegen  namentlich  liimmt  dieser  Geist  wieder  kräftig 
iiberhmd,  da  der  neue  gläubige  Prediger  Westhoff 
auf  demsetb««  Grunde  fort  baet^  den  sein  Yorgän- 
gerFELDHOFF  gelegt  hat«  Dass  der  Geist  dieser 
Gemeinden  auf  die  andern  evangelisch  -  lutherischen 
Gemeinden   allmählig  wohlthätig  einwirken,    dass    auch 


51 


der  gläabige  Geist  bei  der  herstelden  Parthei  auf 
ihre  Schwesterkirche  nach  und  nach  wieder  mehr  Ein- 
Bus8  gewinoen,  und  mit  der  Einheit  im  Glauben  Lu' 
ihers  dann  anch  die  änssere  Einheit  bald  wiederkeh- 
ren wird,  das  darf  man  ja  mit  Vertrauen  mm  Herrn 
der  Kirche  hoffen  and  erwarten. 


\ 


k- 


52 


■.f- 


t  ■ 


Seheveltngeh.  Gefängniss  im  ffaag. 
Assisen.  Rynswoud' sehe  Waisenstif- 
tung.  Qesellschajt  zur  Ermuthigung 
des  Kriegsdienstes.  Uebersicht  des 
Armenwesens.  Gründung  der  Gesell- 
schaft der  W ohlthätigkeit. 


Um  auch  von  der  Anstrengung  des  Gollektirens  zu 
erholen,  und  den  herrlichen  Anblick  des  Meeres  vx 
genictsen,  wandelte  ich  an  einem  hellen  November- 
morgen nach  Scheveiingen,  dem  bekannten  Fi- 
scherdorfe  an  der  See.  Es  liegt  nur  Eine  Stande  vom 
Haag,  und  der  Weg  dahin  führt  durch  Alleen  und 
ein  frenndlicbes  Wäldeben.  Sobald  man  durch  die 
lange  Hauptstrasse  des  Dorfs  gegangen  ist,  und  vor 
dasselbe  hinaustritt,  liegt  die  endlose  Flüche  des  Oce- 
ans  vor  den  staunenden  Blicken,  und  die  Seele  versenket 
sich  gerne  in  die  Betrachtang  dieses  Bildes  der  Ewigkeit« 
Als  ich  an  die  See  kam ,  fand  ich  die  Wellen  in 
gewaltigem  Aufruhr.  Ein  heftiger  Stnnn  trieb  sie  bald 
wie  grosse  Hügel  vor  mir  hin ,  bald  warf  er  sie  mX 
furchtbarem  Tosen  an  die  Küste.  Auf  einmal  sam- 
melt sich  halb  Scbevelingen  um   mich  her.     Was  ist? 


58 

Sie  sehen  ihre  Fischerboote  in  der  Feme  aof  der  ho- 
hen See,  mid  sie  streben  vergeblich  an  die  Küste  her- 
annikomaien*      Oft  sind   sie  kaam  500   Schritte  vom 
Linde,    da   ergreift  sie   aber  der  Sturm  wieder   und 
wirft  Bifi  ebe   halbe  Stunde  weit  ia    die   offene  See* 
'dast  man  sie  kanm  mehr  mit  den  Augen  unterscheidcu 
kann.     Bald   schlagen    schäumende  Wogen  über   sie, 
nnd  sie  stSriten  in  tiefe  Abgründe  hinunter,    dass  mir 
bange  um  sie  wurde.     Allein  die  kühnen  Schiffer  hst- 
ten  den  Mast  heruntergelassen ,    und   Hessen  sich  ruhig 
im     dichtrerschlossenen    Schiffe    umherwerfen.      Bald 
tanaten  ihre  Boote  wieder  auf  den  Gipfeln    der  Was- 
scrikiigel  und  flogen  pfeilschnell  dahin.    Als  indess  alle 
Tenuche,   an  landan,  scheiterten,  und  die  Gewalt  des 
Windes  sie  imiDer  wieder  zurück   warf,    da  ward  es 
Manchen  vm  mich  her  doch  auch  nicht  wohl  ta  Mathe, 
und  Tiele  Weiber  und  Kinder  fingen  an   su  jammern. 
Endlich  liess  die  Wuth    des  Sturmes  etwas  nach,  und 
Hess  ein  Boot  näher   herankommen.      Schnell  sprang 
ern  Matrose  aus  demselben  und   brachte  schwimmend 
ein  um  seinen  Leib  -  gebundenes  Seil  an  das^  Ufer,  an 
welchem  das  Boot  nun  viSllig  ans  Land  gezogen  wurde. 
Allmählig  kamen  auch  die  andern  Schiffe ,   und  Freude 
sah   man    selbst  auf  den   rbhesten  Gesichtern*      Nun 
wurde  die  Beute  ans  den  Schiffen  gethan,    die    breiten 

k  Meer  hatten,  die  stachlichten  Rochen,  vielerlei 
Arten  von  Schollen,  lange  Ton  gen,  die  grossen 
Ilommern  (Scckrebse)   u.  s.  w.     Der  Aasrufer  ver- 

.  lundigte  mitllerweile  dem  Dorf  die  Ankunft  des  Fan- 
ges ,  und  versteigerte   darauf  am  Strande   die  in   klei« 


-  'tkiä  ■  1  .  '    ,  ^aaW. 


54 


nen  Haufen  aaf  der  Kfde  Htgeaden  Flieh«  dep  Bleist- 
bietenden.  Mit  grosser  Hast  Wtdeteitf  die.-  anflaUend 
hSssIichen  Fischweiber  am  ihn  eben  Kreis  i  steigerten 
mit  sichtbarer  Gier ,  Mrfea  die  Fisch«  ii^  ihre  flachen 
Körbe,  und  eilten  nnn^  mit  diesen -> auf  dem  Kopfe^ 
in  ihren  schmutzig  gelben  Strohkiiten,  in  schwarzer 
Jacke,  gelbec  Sdhiirse  und  weissem  Rocke  nach  der 
Stadt ,  um  die  Waare  recht  frisch  feit  bieten  zu  kön- 
nen. Andere  warfen  die  Fische  in  kleine  Kärmchen, 
vor  welche  3  Hunde  gespannt  waren,  die  in  raschem 
Laufe  das  Gefähr  samt  dem  fahrenden  Jungen  nach 
der  Stadt  zogen» 

Die  Männer  waren  unterdess  theiis  nach  Hause 
gegaagen).  um  sich  zu  erquicken,  Ikeils  machten  sie 
die  Schiffe  wieder  zu  neuem  Ausla«fea>  fertig  ,i  Iheilf 
sasten  sie  ruhend  am  Strand,  Ich  nahte  mich  einem 
der  letzteren,  einem  alten ^  treuherzigen  Seemanno, 
und  fragte  ihn  nach  ihrer  Fischerei  und  Lebensart* 
Freundlieh  gab  er  mir  dariiber  ausführlichen  Bescheid* 
Die  grösseren  Fischerboote,  deren  jedes  mit  Zubehör 
an  4000  d.  kostet,  und  einem  kleinen  Kauffahrthei- 
schiflTe  gleicht,  und  deren  m^n  78  zählt,  sind  mit  6 
—  7  Leuten  bemannt  .  Sie  fahren  6  —  8  Stunden 
weit  in  die  See,  im  Sommer  beim  Häringsfang  selbs^ 
bis  an  die  englischen  und  schottischen  Küsten. 
Ihre  einträglichste  Fangzeit  ist  kurz  vor  Ostern  im 
Märt  und  April,  wo  sie  jedesmal  2  -—  3  Tage, 
und  kurz  vor  Pfingsten,  wo  sie  10  —  12  Tage  auf 
der  See  bleiben.  Alsdann  verdienen  sie  wohl  10  •— > 
16   jy.  wöeheutlich,    im  Sommer  wie  3  —  4  fl.     Die 


55 

Netse»  welche  4  schwere  Strogen  und  2  Eisen  haben, 
und  über  IM  Pfand  schwer  tkd,  lassen  sie  an  Tancofe 
welche  120  Faden  (zu  ft  Fnss)  lang  kind ,  bis  auf  den 
.Meeresgrund  fallen,  weil  sie  sonst  die  meisten  Fische 
und  die  Hämmern  nicht  fangen  würden.  6  Stunden 
bleibt  das  KeÜE  über  Bord.  Beim  Herausziehen  finden 
Mch  darin  biiweilen  an  1000  Pfand  Fische ,  bisweitea 
aber  aäcb  imr  30  —  50  Pfand.  Jedes  Schiff  hat  2 
solcher  Netze.  Im  November  und  December  werden 
die  Schellfische  und  Kabeljaue  in  hleinere« 
Schifiieny  deren  10  vorhanden  sind,  gefangen.  Für 
sie  ist  im  nntem  Theile  des  Schiffs  ein  grosser  Behal« 
ter  mit  Lödiem,  worein  das  Seewasser  kömmt. 

Von  dem  Erlös  der  Fische  erhält  der  Rheder 
(der  Eigenthiimcr  des  Schiffs)  vorab  20  Procent,  theils 
all  Zinsen  fär  sein  Kapital,  dieils  für  die  Erneuerang 
des  Holzes  am  Schiff,  die  alle  8  —  9  Jahre  nölhig 
wird.  Der  übrige  Gewinnst  wird  zwischen  dem  Rhe- 
der und  den  Schiffern  zu  gleichen  Hälflen  getheilf,  sp 
jedoch,  dass  die  uuter  diesen  vertheilte  Quoten  nicht 
gleich  sind,  und  der  Steuermann  natürlich  mehr  erhalt, 
ab  der  Schiffsjunge.  Mit  dem  lOten  Jahre  fangeti 
diese  das  Seeleben  schon  an.  Ihr  erstes  Geschäft  ist, 
das  Essen  auf  dem  Schiff  zu  bereiten ,  worauf  ale  all- 
mählig  höher  steigen.  Aus  diesen  vielen  Quoten,  in 
welche  der  Erlös  des  mühevollen,  oü  l^ärglichen  Fan- 
ges getheilt  wird,  erheilet  leicht,  dass  das  Gewerbe 
der  kühnen  Fischer  nicht  gewinnreich  ist.  Dazu 
konat,  dass  bei  ihrer  rauhen  Arbeit  die  Kleidung 
sehr  schnell  verschleisst,   so  dass  sie  z.  B.  8  KamisÖler 


.Uurrö^C*^- 


56 

des  Jahftf  braacheii.  Sie  könoen  ihre  Familie  daher 
nur  kümmerlich  ernähren,  und '  haben  im  Winter  oft 
nicht  einmal  gedag  Kartoflela.  Hierdorch  herrscht 
grosse  Armuth  und  Bettelei  im  Dorfe.  Noch  grösser 
wird  die  Notb  solcher  Familien ,  wenn  der  Hausvater 
in  seinem  Bemfe  veranglückt.  Beispiele  hiervon  sind 
leider  nicht  selten,  wie  mir  denn  erzählt  wnrde,  daa 
t  Jahre  Tprher  hei  einem  heftigen  Sturme  5  -<-  8 
SchifTe  mit  der  ganzen  Mannschaft  untergegangen  seien, 
wodurch  eine  Menge  Familien  Schevelingens  in  gros- 
sen Jammer  gesliint  wurden«  Zwar  wurden  alsbald 
von  den  piildthätigen  Landslenten  viele  tausend  Gul- 
den far  pie  gesammelt;  allein  wer  kann  das  Men- 
sdienleben  ersetzen?  -— 

'Des  Nachmittags  besuchte  ich  die  Schule  des 
Dorfes,  welche  neu  gebaut  und  für  400  Kinder  ein- 
gerifihtel  ist,  auch  in  Schönheit  mit  jeder  Stadtschsle 
wetteifert  Leider  waren  die  Schulstunden  zu  Ende, 
Indess  führte  mich  der  freundliche  Lehrer  in  das  Lo- 
kal, welche^  ein  einziger  Saal  ist.  Die  Einrichtung 
darin  gefiel  mif  im  Ganzen  wohl,  nur  nicht  das 
ßckandbrett  (jachandbord)  und  das  Ehrenbrett 
IjBerbord)^  «reiche  an  der  Wand  mit  einigen  Namen 
von  Schülecn  prangten,  die  sich  rühmlich  oder  un- 
rühmlich angezeichnet  hatten.  Diese  Namen  bleiben 
H  Tage  lang,  darauf  stehen.  Auch  den  Prediger 
des  Dorfs  lernte  ich  kennen,  einen  begüterten,  aber 
auch  sehr  wohlthatigen  Mann,    welcher,   sobald  er  von 

dem  Cellektenzwecke   hörte,  meine  Gemeinde  üreund- 

ieh  bedachte« 


57 

AU  ich  im  Sommer  1827  Holland  besacbt«!  onA 
auch  Schevelingen  wieder  sah,   genoss  ich  lugleieh  die 
Erqnicknng  eines   Seebades.     Ich  löste  eine  Karte 
an   dem   Gasthans  auf  den  Dünen ,   welches   den  Ba« 
depiatz  gepachtet  hat,  für  1  fl.,  stieg  in  eine  der  Ba- 
dekotschen  aof  einer  kleinen  Leiter,  welche  hinter  mir 
aufgewogen  wnrde,  und   ward  min  ins  Meer  gefahren, 
ioweit  his  die  Kader  über  die  Hjäfie  im  Wasser  stan- 
den.    Dann  drehte  der  Matrose  die  Kntsche  nm ,  dass 
ihr  Hintertheil  nach  der  offenen  See  in   stand ,   liess 
die  Treppe  herunter,  und  das  grosse  Tuch,  welches  nm 
die  Kutsche  gespannt  ist,    um  den  Badenden   zu  ver- 
decken, spannte  das  Pferd  ab,  und  brachte  es  wieder 
an  den  Strand.     Unterdessen  entkleidete  ich  mich  im 
Innern  der  Kntsche,    wi^hes  mit  Stiefelknedit,   Spie- 
geln,   Handtüchern    etc.   versehen    ist,    stieg  auf  der 
Treppe  in  die  See  hinunter,    deren  Boden  hier  eben 
vnd  sandig  ist,  und  schwamm  in  der  grünen,  salxigea 
Flnth  mit  Wohlbehagen  herum.    Als  ich  hier  nur  mit 
dem  Haupte  über  die  Wasserfläche  emporragte,    vor 
mir  den  unennesslichen  Ocean  mit  seinen  hohen  Wo- 
gen and  Schiffen,    hinter  mir  die  unabsehbare  Hügel- 
kette der  Dunen;  und  mich  als  einen  so  kleinen  Pund 
in  dicMr  grossen  Schöpfung,    als   einen  Tropfen  am 
Eimer  sah,    da  ergriff  mich   lebhaft  das  Gefühl   der 
menschlichen  Kleinheit    und    Ohnmacht,    und    unwill- 
kührlich   musste   ich   mir  zurufen:     Wie   gross   ist 
Gott!  .Wie  klein  bist  du!  ^—  Nach  einer  halben 
'  Stade  kehrte  ich  neugestärkt  zur  Kntsche  zurücL    Der 
dienstfertige   Matrose,    den    ich    unlerdess   in   meiner 


58 

Nähe  hatte  warfen  lassen,  damit  er,  wenn  ich  mich 
im  Schwimmen  zo  weit  wagen  nUkhte,  mir  zur  Hülfe 
kommen  könnte ,  holte  darauf  das  Pferd  wieder ,  und 
fuhr  mich  an  das  Land. 

Hierauf  besah  ich  das  neue  grosse  Badehan s, 
das  man  eben  im  Begriff  war ,  auf  den  Dünen  zn  er^ 
banen,  und  das  64  Badestuben  enthalten  sollte,  sam« 
melte  mir  noch  einige  Muscheln  am  Strand  und  kehrte 
frohen  Muthes  nach  dem  Haag  zurück.  Beim  Gehen 
doith  Scfaevelingen  bemerkte  ich  mehrere  Laden  mit 
aehr  artigen  Figuren,  Matrosen,  Fischweibern,  YS« 
geln,  Hunden  ete«,  ganz  ans  Muscheln  verfertigt,  ebenso 
MSfa-^und  TabackskjSstchen  rings  mit  farbigen  Muscheln 
nnd  Sbnlidien  Seeprodnkten  besetzt,  welche  von  eiBii« 
gen  Einwohnern  des  Dorfes  in  müssigen  Standen  zum 
Varkaofe  Terfertigt  werden. 

Im  Jahre  1^27  sah  ich  attd 

das  Gefängnis»  im  Haag. 

Das  Gefa'ngniss  im  Haag,  {Iliäa  vtm  hurger^ 
fyke  en  müitaire  f^erzekerirtg)  ist  för  Inqoisiten  und 
fiir  Verurtheiite  unter  6  Monaten  bestimmt,  nnd  hat 
im  Durchschnitt  nur  40  Gefangene.  D^e  Kerker  sind 
nicht  gross ,  zum  Tbeii  im  Keller.  Die  Gefangenen 
brauchen  nicht  zn  arbeiten,  auch  wird  für  BescbäfU- 
gwig  der  zur  Arbeit  Willigen,  deren  mehrere  da  wa- 
ren, nicht  gesorgt  Viele  der  Weiber  hätten  gern  ge- 
näht, entbehrten  aber  aller  Näherei.  Einige  Männer 
nachten  aus  eignem  Antriebe  Pfeifendeckel  nnd  lebrfeft 
es   andere.      Klassifikation    ist  nicht    vorhanden. 


59 

Zwei  Schwestern  von  8  und  11  Jabren  aus  Scheve- 
liogen,  welche  Fisciie  gestohlen  hatten,  sassen  mit- 
tea  unter  den  abgefeimtesten  Dirnen.  Die  Männer 
dürfen  taachen,  auch  fand  ich  Spielkarten  auf  allen 
Stoben  9  aber  nur  auf  einigen  die  h.  Schrift  und  an- 
dere £rbavungsbiicber.  Schulunterricht  wird  nicht 
gegeben.  Dass  bei  solchen  Umständen  das  Gefängniss 
eine  Schale  des  Lasters  ist,  wird  Niemand  befremden. 
Seit  dem  Jahre  1828  sind  jedoch  einige  Verbesserun- 
gen eingefahrt.  Die  Gefangenen  haben  ein  ganz  ne», 
«od  wie  es  heisst,  zweckmässig  erbautes  Geföngnisf 
bezogen«  Die  correctionellen  Gefangenen  sind 
iroB  den  criminellen  abgesondert.  Auch  ist  Hoff- 
oang  da  zur  Einfahrung  von  Arbeit  und  Scbulauterrieht» 

Ich  wünsehte  der  Sitzung 

eines  niederländischen  Assisenhofes 

boznwohnen,  um  die  Abweichungen  seiner  Form  von 
der  französischen  und  rheinpreussischen  ken- 
nen zu  lernen.  Durch  die  Gefälligkeit  eines  Advoka- 
ten im  Haag  wurde  mein  Wunsch  erfüllt,  und  ich  in 
eine  Sitzung  eingeführt,  ehe  noch  das  Publikum  der^^ 
selben  beiwohnen  durfte.  Ich  fand  den  Gerichtshof' 
aas  4  Richtern  und  dem  Präsidenten  bestehend, 
welche  nebst  dem  Procureur  in  derselben  Weise  und 
Tracht,  wie  bei  den  rheinischen  Assisen ,  auf  ei- 
ner erhöhten  Bühne  vor  einen»  halbrunden  mit  grünem 
T«ciie  ansgeschlagenen  Tische  sassen.  Die  Richter 
fertreten  die  Stelle  der  Geschwornen,  deren  seil 
EinfiUinuig  der  veränderten  Form  keine  mehr  cfwihll 


eo 

werden«  Zar  Seite  sitzt  der  Procnrear;  auf  der 
andern,  jedoch  etwas  tiefer ,  der  Gerichtsschrei- 
ber (gr^ff^r)*  Der  Ricbterbiihne  gegenSber  sassen, 
auch  etwas  tiefer,  zwei  mehrfachen  Diebstahls  Beschul- 
digte, hinter  ihnen  der  Gerichts  die  ner;  zu  ihrer 
Seite,  jedoch  zu  ebener  Erde,  der  AdTOcat,  ein 
grunüb erzogenes  Pult  vor  sich  habend.  Er  trägt  kei- 
nen Mantel,  wie  die  Richter  und  der  Procureur,  son- 
dern bloss  einen  kleinen  Kragen  und  Mantel  nach  Art 
der  Geistlichen.  Das  Zengenverhör  wurde  nnn 
ohne  Zutritt  des  Publikums  gehalten,  und  dies  ist  die 
iweite  Abweichung  in  der  Form.  Die  weiblichen 
Zeogen  schwören  mit  aufgehobenen  Fingern,  gldch 
^en  Männern,  nicht  die  Hand  auf  die  Brust  legend, 
wie  bei  uns.  Nach  dem  Abhören  der  Zeugen  wurden 
die  Thtiren  geöffnet,  und  das  Publikum  strömte  her- 
ein« Der  Procureur  hielt  seinen  Anklagevortrag,  wor- 
auf der  Advocat  die  Angeklagten  vertheidigte.  Der 
erster e  las  alles  eintönig  ab,  der  letztere  sprach  frei, 
jedoch  ohne  Würde  und  KrafL  Beide  waren  indess 
blutjunge  Männer,  so  dass  ich  hiervon,  wie  überhaupt 
▼on  dieser  Einen  Sitzung  keinen  Schluss  auf  die  gerichtli- 
che Beredsamkeit  Niederlands  machen  kann.  Die  Richter 
traten  darauf  zur  Berathschlagung  ab;  auch  wir  Zuhörer 
mussten.  abtreten.  Ich'  konnte  das  Aussprechen  des  Ur- 
theils  nicht  abwarten,  und  veriiess  das  Gerichtsgebände. 
Die  Gründe  für  die  geschehene  VerSnderung  in 
der  Form  der  Assisen,  nebst  Vergldchung  derselben 
mit  den  rheinischen  hat  /^.  Y.rjtN  Ha  mslS'^ 
rMLD^   Rath  am  ^  hohen  Gerichtshof  im  Haag ,   ver^ 


61 

anlasst  darch  eine  Erklärung  des  Grafen  v  av  Ho» 
GS rr j}ORp  in  seinen  Bydragtn  tot  de  Huit" 
houding  i^an  Staat  etc,  fiir  die  Jury,  wie  sie  in 
England,  Frankreich  und  Rh  einpreussen  be- 
steht, in  dem  ersten  Stück  des  von  ihm  herausgege- 
benen JÜg&meen  regtagelurd  Magas^n,  Delft  bei 
fF^XJD.  jizZAMT  1^2B  S.  75  ff.  dargelegt  und  sich  ge- 
gen die  Rheinpreussische  Jury  erklärt  Er  war 
ein  Oheim  des  gerälligen  Advocateu,  der  mich  ein- 
führte. Jch  lernte  ihn  kennen,  und  erhielt  das  Heft 
Ton  ihm  mm  Geschenk. 

Welche  Form  der  Assisen  die  bessere  sei,    dar- 
Sber  masse  ich  mir  nicht  an,   ein  Urtheil   abzugeben« 
Das«  .die  Gegenwart  des  Publikums  bei  den  Zengenver- 
hSren  in  Ehebruchssachen  und  dgL,    deren  einem  ich 
bei    einem  englischen  Gerichtshofe  beiwohnte,   de- 
monlisirend  auf  Viele  wirken  müssen ,    unterliegt  kei- 
nem   ZweifeL      Indess   wird   die  öffentliche  Ver- 
handlung in  solchen  Fällen ,    wo  die  Sittlichkeit  ge- 
fährdet wird,  auch  an  unsern  rheinischen  Gerichts- 
höfen   auf  den  Antrag  des  Königl.  Prokurators   sus- 
pendirt,    in  Folge   einer   Allerhöchsten   Verordnung 
Tom  31.  Jan«  1822. 

Mit  der  Beschreibung  des  Reichthums  von  natnr- 
historiscen  und  ethnographischen  Merk- 
•  wSrdigkeiten,  welche  das  köm'gliche  Kabinet 
der  Seltenheiten  im  Haag  darbietet,  worunter  die 
Zimmer  voll  chinesischer  und  japanesischer 
Merkwürdigkeiten  mich  besonders  anzogen,  mit  der 
Beechrabnng   des   Naturalienkabinets    und   des 


61 


Gemäidemvseoms,  in  welchem  die  Potteri- 
«cben  Tfaierstücke  zu  den  trefflichsten  gehören  etc., 
kann  ich  mich  hier  nicht  befassen,  obgleich  ich  jedem 
Fremden,  der  den  Haag  besucht,  rathen  möchte,  sich 
den  Geouss ,   sie  xn  s«hen ,    nicht  za  versagen. 

Ich  gehe  daher  über  so  einor  kurzen  Darstellaag 
einiger  besonderer  Wohlthätigkeitsanstalten  im 
Haag,  und  des  Armenwesens  im  Klinigreich  der 
Niederlande  überhaupt. 

Ausser  den  wie  in  allen  grossen  Stitdten  Hollands, 
so  auch  hier  vorhandenen  Alt€-Frauen-  und  Mifin- 
nerhänsern,  Hofjes,  WaisenhS«sern  etc.,  gibt. 
es  hier  noch  eine  besondere  Stiftung  für  Wai- 
senmäSdchen,  4ie  JRynswoudsehehehseady  wel- 
che nur  Deift  und  Utrecht  noch  mit  dem  Haag 
gemein  haben.  Sie  hat  ihren  Namen  von  einer  Fra« 
VON  Btmswouds,  welche  für  diese  9  Sädte  8  Mid- 
ch«nhänser  stiftete,  und  dotirte,  um  arme  Waisen- 
mädchen ^  welche  entweder  aus  vornehmem  Stande 
wären,  oder  sich  durch  besondere  Anlagen  auszeichne- 
ten, eine  höhere  Bildung  als  die  gewöhnliche  zu  ge- 
ben. Je  schöner  der  Zweck  ist,  den  die  edle  Frau 
im  Auge  hatte,  desto  mehr  bedaure  ich  über  ihren  jet- 
zigen Zustand  das  Urtheil  eines  sehr  kompetenten  hol- 
Tändischen  Sachkenners  mittheflen  zu  müssen,  dass  die 
Erziehung  darin  der  Art  sei,  dass  die  Mädchen  rieh 
wohl  in  äusserer  Bildung,  aber  auch  in  der  Koketterie 
and  deren  üblen  Folgen  auszeichneten« 

Eine   andere  sehr  wohlthätige    Anstalt  hat   ihren 
Mitteipunct' Im  Haag,  nemlich: 


63 


die  Gesellschaft  zar  Ermuthignng  und 

Unterst iitxung  des  Kriegsdienstes 

in  den  Niederlanden 

{ßl€uU9chapj[j  ter  aanmoediging  en  ondersieuning  pon 
d^n  gewapenden  dienst  in  de  Nederlanderi^. 

Sie    hat    sich    kan    nach    der    Schlacht    von     Wa- 
te rloo  gebildet  9   nm   die  zunächst  in   den  Kriegsjah- 
ren 1813  —  1815   invalid    gewordenen  Militärs   nnd 
die  Wittwea  npd  Waisen  der  in  diesen  Jahren  Gefal- 
lenen an  onterstiitien  9    auch  9    soweit  der   Ueberschass 
der  Einnahme  dazu  in  den  Stand  setzen  würde  9   noch, 
die  Invaliden  aus  früheren  Kriegesjahren.    Durch  jähr- 
liche Sammlungen  und  Unterzeichnungen  ist  ihr  Fonds  so 
bedeutend  gewachsen  9  dass  sie  nicht   bloss    ein  beson- 
deres Invalidenhaus  zu  Leiden  errichten  konnte, 
worin  gegenwärtig  117   Invaliden  sind^    sondern  auch 
ein  Kapital  von  29351,450  fl«  anzulegen  im  Stande  war, 
von  dessen  Zinsen,   so  wie  von  den  Zinsen  der  durch 
die  sogenannte  Waterloo-Committ^e  zu  London 
zQ    diesem  Zwecke  geschenkten   71,000  fl.  9    und  vom 
Ertrag   der   Collekten    sie   jährlich   mehrere    Tansende 
dieser  tapfern  unglücklichen  Krieger  und  ihrer  Hinter- 
lassenen  vom  General  bis  zum  Gemeinen  herab  unter- 
stützt.     Diese   Hülfeleistung   ist    um    so   wohlthätiger, 
weil  die  niederländischen  Invaliden   bei   der   gänzlichen 
Eulbehmngvon  Invalidenhänsern,  wie  sie  unser  prens- 
siache    Staat   so    reichlich    darreicht 9     und   bei   den 
hSchsC  geringen  Pensionen  dem   bittersten  Mangel  aus- 
gcaeCat  gewesen   wXren.      Erst  seit  einigen  Jahren  ist 


mmmü 


64 

eine  Aniahl  lavalidenfamilien  vom  Staate  in  den  Ar- 
menkoloDien  m  Veenhuizen  versorgt  worden. 

Die  Zahl  der  unterstütEten  Personen  war  im  Jahre 
1827  2178,  die  Ausgabe  betrag  108,301  fl.»  die 
Einnahme  87,483«  Der  Präsident  der  Hanptdirektion 
der  Gresellschaft,  welche  in  viele  Hülfsdirektionen 
(eommissien  und  diatrietcommissien)  getheilt  ist,  ist 
der  Oeneral  Graf  Lbopold  von  Limburg-Sti- 
auM  im  Haag. 

Um  den  ganzen  Umfang  der  Wohlthätigkeitsan- 
sialten  Niederlands  und  den  ganzen  Reichthum  des 
mildthäUgen  Sinnes  seiner  Bewohner  besser  zu  würdi- 
gen,   wird  es  nicht  unpassend  sein,   hier  eine 

Uebersicht  des  niederländischen  Ar« 

menwesens 

überhaupt  zu  geben,    und  zwar  in  einem  Auszug  aus 
dem  Bericht  über  das   Armenwesen   im  Jahre 
1827,   welchen  der  Minister  des  Innern    den  Ge^ 
nerälstaaten  am  18.  Mai  1828  vortrug,  mit  Einstreuung 
einiger  Bemerkungen  und  Yergleichung  derselben  mini- 
steriellen Berichte  über  die  Jahre  1825  und  1828. 
Der  Bericht  theilt  sich  in  3  Theile: 
I.  Anstalten  zur  Ertheilung  von  Unterstatzung, 
IL  Anstalten  zur  Verminderung  der  Zahl  der  Armen, 
III.  Anstalten  zur  Verhütung  der  Armuth« 

I.  Anstalten  zur  Ertheilung  von  Un- 
terstützung. 

1)  ArmenVerwaltungen,      Es   sind   deren   im 
Königräch  5840.    Die  Zahl  der  von  ihnen  unter- 


■#!■ 

■   I. 


65 


sliifzten  Personen  beträgt  7559621.  Das  Verbält- 
niss  der  Unterstütiten  xu  den  Einwohnern  Nieder- 
lands ist  wie  122*%oo  *«  1000,  ist  jedoch  in  den 
einielnen  Provinzen  so  verschieden,  dass  es  in 
einigen  wie  227^iöo  ««  1000,  dagegen  in  an- 
<iern  wie  «^Vioo  *u  1000  steht 

Die  Gesa  mm  tan  8  gäbe  ist  5,706,895  fl.,  die 
Gesaaunteinnahme  5,782,445  fl»,  worunter  an 
iSchenknngen  und  Vermächtnissen  438^688  ü*  (im 
Jahre  1826  331,934  fl.}^ 
2}  Gesellschaften  aar  Unterstützung  ver- 
schämter Armen.  Der  bekannt  gewordenen 
Gesellschaften  sind  5,  welche  2460  Personen  un- 
terstützen, and  10,309  fl.  dafür  ausgegeben  haben. 

3)  Gesellschaffen,  die  während  des  Win- 
ters Lebensmittel  und  Brandstoff  ans- 
tfa eilen.  Deren  sind  47  und  8976  Subscriben- 
ten»  Auch  einige  Gemeindekassen  geben  dazu 
Beiträge.  Die  Ausgabe  betrug  im  Jahre  1827 
102,210  fl.  Die  Zahl  der  Unterstützten  ist  unbe- 
kannt. Unter  andern  Lebensmitteln  etc.  sind 
1,692,147  Portionen  Suppe  ausgetheilt  worden* 

4)  Gesellschaften  mütterlicher  Wohl- 
thätigkeit  (zur  Unterstützung  armer  Wöchnerin- 
nen) gibt  es  6,  und  zwar  zu  V  er  vi  er  s,  Gent, 
Ilarlem,  Rotterdam,  Leiden  und  Gro- 
ningen. Sie  haben  1557  Mütter  unterstützt  und 
14,686  fl.  ausgegeben. 

ft)  Gotteshäuser  (Krankenhäuser,  Alte-F'rauen- 
und  Hännerhäuser ,  Waisenhäuser  und  dg!.)  gibt 
IL  » 


66 


es' 745,  wovon  595  ia  den  Städten  sind.  Die 
Bevölkerung  derselben  beträgt  4I9748  Personen, 
worunter  15,002  alte  Leute,  19,291  Kinder 
und  7449  Kranke*  Unter  diesen  sind  1543  Gei- 
steskranke (Wahnsinnige),  von  welchen  allein 
bei  den  Einwohnern  der  Landgemeinde  Gheci 
in  der  Provinz  Antwerpen  324  untergebracht 
sind.  Bekanntlich  eignen  sich  diese  Landleute 
ganz  besonders  s^ur  Behandlung  dieser  Unglückli- 
chen, welches  sowohl  wie  die  Landluft  und  die 
ländliche  Arbeit  zu  ihrer  Genesung  sehr  wohlthä- 
tig  wirkt  Viele  der  andern  Irren  sind  in  den 
Armenhäusern  und  mit  den  Einwohnern  derselben 
vermischt«  Auch  die  iibrigen,  welche  in  Irrenhäu- 
sern sind,  gemessen  nicht  die  geeignete  Pflege, 
so  dass  die  Regierung  mit  Benutzung  der  Erfah- 
rungen anderer  Länder  einige  neue  geräumige  Ir- 
renhäuser errichten,  die  in  vielen  kleinen  Anstal- 
ten zerstreuten  Irren  darip  vereinigen ,  sie  in  ver- 
schiedene Klassen  fheilen  und  andere  Verbesse- 
rungen in  ihrer  Behandlung  vornehmen  will. 

Im  ganzen  Reich  gibt  es  GOOO  Irre,  worunter 
3000  dürftige,  welche  unterhllten  werden  müssen. 
In  der  Provinz  Antwerpen  sind  die  meisten, 
wo  18  auf  10,000  Seelen  kommen,  in  den  Pro- 
vinzen Friesland  und  Luxemburg  die  wenig- 
sten, indem  in  ersterer  3*yioo>  nnd  in  letzterer 
2^^100  auf  10,000  Seelen  kommen. 

Die  Gesammtausgabe  der  Gotteshäuser  be- 
trog 4,249,001.  f1.,    dieGesamrafeinnahme    ' 


:;:_•  ..^t- 


67 


4,2S3,249  fl.  Und  dieser  sind  an  Schenkangcn 
und  Vermächtnissen  114,061  (1.  (im  Jahre  1826 
95,232  fl.). 

7)  Geseilschaft  zur  £rmuthigang  und  Un- 
terstützung des  Kriegsdienstes  s.  S.  03. 

8)  Königliche  Stiftung  zu  Meessen  (in 
Westfiandern),  eine  Erziehungsanstalt  für  Tochter 
von  invaliden  oder  gefallenen  Militärs  auf  Kosten 
des  Staats.  Ihre  Zahl  ist  140.  Die  Ausgabe 
beträgt  21,000  fl.,  so  dass  jedes  Kind  ungefähr 
123  fl.  kostet. 

« 

II.  Anstalten  zur  V^rminderang  der  Zahl 

d  e  r  A  r  m  e  u* 

1)  Armenschulen. 

Schülern. 

a)  Oeffen tliche    Armenschulen, 
auf  Kosten  der  Civilgemeiudcn,  gibt  es 

262  mit 56,950, 

der  Armenschüler ,  welche  in   die   ge* 

wohnlichen  Schulen  gehen,  sind     •    88,987. 
Die  Ausgabe  für  die  ersteren 

Schüler  beträgt      .     .     .     237,883  fl., 
die  Ausgabe  für  die  letzleren 

Schüler  beträgt      .     .     .     133,170(1. 

Summe  371,053  il. 

b)  Privatarmenschulcn  (f'^y^c/ioÄn), 
welche  von  Gesellschaften  oder  Privat- 
lenten  unterhalten  werden,  sind  251  mit    26,535. 

Macht  eine  Summe  von  172,472. 

5  ♦ 


66 

Unter  den  Privatarmenschnlen  sind  jedock  52 
Sonntagsschnlen  und  28  Wartschalen 
(bewaarscholen)  £ur  Kinder  unter  6  Jahren  mit- 
begrifien. 

2)  Arbeitsschnlen  für  Mädchen  gibt  es  50, 
in  welchen  2514  Mädchen  sind  und  welche  25|287 
ü»  kosten* 

3)  Freiwillige  Arbeitshäuser  {u^rhplaatsen 
ifon  üefdadighsidi  s.  L  Bd.  S.  347. 

4)  Zwi^ngsarbeitshäuser  fiir  Bettler  {Bede- 
laar9werkhuizjBn)  sind  noch  6,  nämlich  zu  Ter- 
kameren  in  Sadbrabant,  zu  Reckheim  in 
limburg,  su  Brügge,  zu  Namnr,  zu  Bergen 
in  Hennegan,  und  zu  Hoogs traten  in  der  Pro- 
vinz Antwerpen.  Zwei  zu  V eere  in  Seeland  und 
H  o  o  r  n  in  Nordholland  sind  im  Jahre  1826  und 
1827  aufgehoben  und  die  Bettler  nach  den  Ar* 
menkolonien  versetzt  worden,  weil  sie  daselbst 
weit  weniger  kosten,  und  mit  mehr  Nutzen  für 
ihr  späteres  Fortkommen  durch  Ackerbau  beschäf- 
tigt werden  können. 

Die  Bevölkerung  der  6  Arbeitshäuser  ist 
im  Durchschnitt  2943.  Die  Gesammtausgabe 
beträgt  234,687  fl.,  der  Ertrag  aller  Arbeit 
nur  12,460  fl.,  so  dass  nach  Abzug  dieser  Summe 
jeder  Kopf  auf  77  fl.  zu  stehen  kommt. 

Die  besteingerichteten  Anstalten  sind  die  zu 
Hoogstraten  und  Terkameren.  In  erste- 
rer  sind  Fabriken  und  viel  Ackerbau,  der  mit 
grossem  Erfolge    getrieben    wird»     Auch  worden 


69 


wüste  Haiden  urbar  gemtdit     In  letiterer  iit  ein 
ansgedelinter   'Gartenban,    und    viele,    besonders 
Tuch  -   nnd  Leinenmannfactaren,  ancb  iwel  grosse 
Handwerksscbulen,    eine  Mäbscbule   fdr  Mädcben 
und   eine   grosse  Scbnle   cum  Lesen   etc.     Jeder 
Kopf  verdiente  bier  im  DurcbschniU  an  Arbdtsiobn 
im  Jabre  1825  18  f).  17  Cts.,  in  Hoogstraten 
12  fl.  85  Cts.    ]n  den  übrigen  Anstalten  dagegen, 
wo  kein  Landban,    und  wenige   oder  keine  Fabri- 
ken sind ,    betrug  der  Arbeitslohn  für  den  Kopf 
in  Brügge  nar  4  fl.,    an  Bergen  1  fl.  45  Cts^ 
10  Reckheim  bloss  78  Cts.  und  za  Namnr  gar 
nur   47    Cts.      Auch   kostete    der  Kopf,    der  im 
Dorcbschnitt  in  den  Arbeitshäosern  täglich  - 16  Cts. 
kostete   (im  Jahre  1826  147yioo  Cts.),    in   Ter- 
kamerea   nur  B^/km  Cts»,   in  Hoogstraten 
nicht  Yiel   mehr,    in   einer   der    schlechteren  An- 
stalten sogar  28^/iQo  Cts.      Wieder    eine  Bestäti- 
gung meiner  Bemerkung  Bd.  L  S.  376,  wie  wohl- 
thätig    nnd    kostenersparend    der   Landban    für 
ähnliche  Anstalten,   als  Landarmenhäuser  etc. 
ist.     In    der   Anstalt  zu   Brügge   werden  einige 
Spitzen  verfertigt  nnd  feine  Leinwand  gewebt.    In 
Keck  he  im.    Bergen   und    Namnr  geschieht 
fast  nichts  als  Spinnen  und  Stricken«     Selbst  an 
dieser  Arbeit  fehlt  es  bisweilen.     Beweise  genug, 
wie  schlecht  diese  Anstalten  eingerichtet  sind,  und 
wie  sehr  sie  noch  der  Verbesserung  bedürfen,  wo- 
mit die   Regierung    auch    gegenwärtig    beschäfUgt 
isL    Die  Zahl  der  Bettler  in   den  Arbeitshäosern 


■~,i^V  _      -  .     ' 


70 


und  Arraeukolonien  betrug  im  Jahre  1821  im 
Durcbschiütt  5454,  am  1.  Jan.  1828  5412.  Diese 
Zahl  der  Bettler  yetbält  sich  su  der  Zahl  der 
Einwohner  Kiederlatids  wie  8^%oo  lu  tOfiOO. 

5)  Kolonien  der  Gesellschaft  der  Wohl- 
thätigkeit  (Armenkolonien)  s.  unten. 

6)  Erziehiingsanstaltcn  für  Taabstumme 
sind  4|  zwei  za  Gent,  wovon  1  für  die  Knaben 
tind  1  fiir  die  Mädchen,  eine  zu  Lütt  ich  und  eine 
Sit.  Groningen,  welche  zwei  letztere  Knaben 
und.  Madchen  aufnehmen*  Die  Anstalten  haben 
znsaaimen  240  Personen,  worunter  die  zu  Gro- 
ningen die  meisten,  nämlich  158  enthält*  Die 
Gesammtansgabe  der  Anstalten  ist  42,085  fl., 
so  dass  jeder  Lehrling  109  fl*  kostet  —  Ausser 
diesen  gibt  es  im  Reich  noch  2166  Taubstumme, 
meistens  zu  den  Armen  gehörend.  Daher  die 
Bcgicrung  erklärt  hat,  Maasregeln  zur  Ausdeh- 
nung und  Vermehrung  solcher  Erziehungsanstalten 
treffen  zu  wollen. 

7)  Erziehungsanstalt  fiir  Blinde,  zu  Am- 
sterdam s.  Bd.  L  S.  219. 

8)  Gesellschaft  zur  sittlichen  Besserung 
der  Gefangenen  s.  Bd.  I.  S.  233. 

UL  Anstalten  zur  Verhütung  der  Arniutb. 

l)  Leihhäuser  {banhea  van  leeniag).  Deren  gibt 
es  106 ,  wovon  34  auf  Rechnung  von  Gemeinden 
oder  wohlthäiigen  Anstalten,  74  aber  verpachtet 
littd.     Die  in  den  ersteren  im  Jahre  1827   ans- 


71 


gciichciien  Kapitalien  Lelni^cn  4,ttä'i,335 
11.9  <lie  Zahl  der  darm  versetzten  Pfandor 
2,215,755,  der  wiedereingelöste  II  2,0U,*1TI' 
und  der  verkauften  120^609.  Die  Zabl  der 
Personen,  welche  von  diesen  Anstalten  Gebrauch 
gemacht  haben,   ist  ungefähr  128,570. 

Die  Gesammtausgabe  beträgt 7,414,354  f1. 
Uieranter  sind  die  für  aufgenommene  Kapitalien 
bezahlten  Interessen  mit  138,350  f].,  die  Verwal- 
tiHigskotten  mit  200,312  fl.,  die  gegen  Pfänder 
avsgeliehenen  Summen  mit  7,016^038  fl.,  die  we- 
gen beschädigter  oder  vermisster  Pfänder  bezahl- 
ten Vergütungen  mit  1887  fl.,  die  Kosten  des 
Verkaufs  von  Pfändern  mit  10,124  ü.,  und  der 
an  die  Eigenthiimer  bezahlte  Mehrwerth  der  ver- 
kauften Pfänder  mit  50,451  fl.  Die  Gesammt- 
einnahme  betrug  7,576,476  (1« 

Bei  den  74  verpachteten  Leihhäusern  ist  die 
Zahl  der  im  Jahre  1827  versetzten  Pfänder 
877,385,  der  eingelösten  668,302,  der  ver- 
kauften 41,280.  Die  Zahl  der  Personen,  welche 
zu  diesen  Anstalten  ihre  Zuflucht  genommen  ha- 
ben, ist  ungefähr  5656. 
2)  Kranken-  und  Begräbnissladen  {ziehen- 
£(*  begrafenis-buasen)  sind  413,  der  Thcilneh- 
luer  daran  699025.  Nur  über  341  dieser  Anstal- 
ten hat  die  Regierung  bis  jetzt  Auskunft  erhalten. 
Unterstützung  haben  erhalten  15,726  Personen. 
Die  Gesammtauagabe  betrug  287,914  f).,  die 
Gesa  mm t  einnähme  318,114  fl. 


72 

3)  Wittwen-  and  Waisenfonds.  Die  Regie- 
rung kann  noch  nicht  über  alle  Auskunft  geben. 
26  sind  in  den  Provinsen  Nordbrabant,  Gel- 
derland, Holland,  Seeland,  Overys- 
sel  und  Groningen,  die  meisten  in  Amster- 
dam, Die  Zahl  der  an  diesen  Fonds  tbeilnehmen* 
den  Personen  ist  wenigstens  13,000,  die  Pensio- 
nen, die  sie  bezahlen,  betragen  mehr  als  225,000 
iL,  die  Kapitalien  der  Fondf  ungefihr  800,000  fl. 

4)  Sparkassen  (spcuirbanheji)  sind  53,  der  Theil- 
nehmer  13,332.  Die  meisten  Sparkassen  geben  4, 
einige  5,  andere  3  Procent  Die  Kapitalien  betragen 
2,312,166  fl.,  dieGesammtansgabe  1,01*7,890 
f).,    die  Gesammteinnahme  1,061,877  fl. 

Nach  Summimng  aller  Anstalten  gibt  es  also 
11,440  wohlthatige  Anstalten  (die  Gefa'ngnissge* 
Seilschaft  nnd  die  Wittwen-}  und  Waisenft)nda 
nicht  mitgerechnet),  und  die  Zahl  der  Personen, 
welche  von  diesen  Anstalten  Genuss  gehabt  ha» 
ben,  ist  1,214,055.  Von  ihnen  haben  803,704 
Personen  Unterstützung  erhalten,  172,761  Unter-» 
rieht,  20,457  Arbeit,  217,133  von  den  Leihhäu- 
sern, Laden ''und  Sparkassen  Gebranch  gemacht 

Die  Gesammt ausgäbe  der-  wohlthätigen 
Anstalten,  «-««  die  zur  Yerhiitnng  der  Armuth 
^  nicht  mitgerechnet,  —  betriig»  12,821,359  (I.,  die 
Gesammteinnahme  derselben  12,94(^529  fl. 
Hierzu  die  7,194,501  fl«  gerechnet,  welche  die  Ka- 
pitalien der  Anstalten  aar  Verhütung  der  Armnth, 
so  weit  sie  bekannt  sind,  btlragen,   macht  eine 


73 

Summe  von  209141,030  11. ,  sage  zwanzig  Mil* 

lionen  und  141,030  {)• 

Am  Schlass  des  Berichts  sagt  der  Minister,  dass 
die  Regiening  trachten  werde,  die  Anstalten  zur  £r- 
theilang  von  Unterstützung  zu  yerbessern,  die  zur 
Vermindemng  der  Armuth  auszudehnen,  und  die  zur 
Verhütung  der  Armuth  mehr  zu  regeln  und  zu  ermn- 
tfaigen,  damit  ihr  Einfluss  sich  vermehre. 

Aus  dem  Ueberhlick,  welchen  der  vorstehende 
Bericht  über  den  Umfang  des  niederländischen  Armen- 
wesena  darbietet,  und  aus  den  Blicken,  welche  die 
Darstellung  der  Armenhäuser,  Waisenhäuser  etc.  Bd* 
I.  S.  188  —  225  in  das  Innere  seiner  einzelnen 
Theile  thun  lässt,  erhellet,  dass  Kiederland  grosse 
'  Unache  bat,  den  Herrn  für  die  Mildthätigkeit  zu  rüh- 
men, die  er  den  Herzen  seines  Volks  gegeben,  und 
fiir  die  hohen  Vorzüge,  die  es  hierdurch  vor  vielen 
andern  Völkern  Kuropa's  geniesst  Und  wenn  schon 
diese  in  der  neueren  Zeit  grossentbeils  in  ihren  Ar- 
meneinrichtungen  demselben  rühmlich  nacheifern,  ja 
zum  Tbeil  mit  ihm  wetteifern,  so  bat  es  doch  noch 
in  der  neuesten  Zeit  in  einer  seiner  Armenanstalten 
den  übrigen  Völkern  ein  glänzendes  Vorbild  gegeben, 
'  dia  lie  nachzuahmen  haben,  ich  meine  in  seinen 

Armenkolonien. 

Da  diese  nicht  zur  bloss  augenblicklichen  Stillung 
der  Noth ,  sondern  zur  gründlichen  Abhülfe  derselben 
nnd  lur  dauernden  geistigen  und  leiblichen  Wieder- 
aoüriditaog  der  meist  in  beiderlei  Hinsicht  tiefgesunke- 


74 


nen  Armen  mit  grossem  Erfolge  dienen,  und  demnacli 
selbst  in  finanzieller  Hinsicht  dem  Staate  vortheilhaflie 
ErxiehuDgsanstalten'  der  Armen,  Bettler  und  selbst 
vieler  Sträflinge  jedem  Volke  sich  von  selbst  aufs  drin- 
gendste empfehlen,  —  wie  denn  nicht  wenige  Staaten, 
anch  der  unsrige,  auf  dieselben  aufmerksam  geworden 
sind,  •—  so  ist  eine  etwas  ausführlichere  Darstellung 
derselben  um  so  mehr  meine  Pflicht,  da  sich  mir  bei 
neinem  Besuche  derselben  im  Jahre  1827  mehr  Gele- 
genheit, als  vielen  andern  Reisenden  dargeboten  hat» 
sie  in  ihren  YorzUgen  und  Mängeln  genan  kennen  zu 
lernen.  Ueberdiess  hat  mir  die  pernumente  Commisßie 
der  Gesellschaft  der  Wohithätigkelt  selbst  Ende  Dccbr. 
182d  sehr  wohlwollend  die  in  Beziehung  auf  jene  mir 
in  einigen  Puncten  noch  fehlende  Auskunft  gegeben, 
so  dass  die  in  der  folgenden  Darstellung  der  Kolonien 
gegebenen  Notizen  bis  zum  Ende  des  Jahres  1828 
reichen. 

Im  Jahre  1817  gab  der  niederländische  General 
J.  V AN  DSN  Bosch  in  Folge  der  durch  die  Noth- 
jahrc  181€  und  1817  ungewöhnlich  zunehmenden  Ver- 
mehrung der  Armen  eine  Schrift  heraus  *),  worin  er 
ein  Miltel  angab,  wie  den  vielen  Tausend  Armer,  — 
man  zählte  bloss  in  den  nördlichen  Provinzen  72,000 
arbeitsfähige,   und  im  ganzen  Königreich  über  700,000 


"*)  Heber  die  Möglichkeit,  die  beste  Art  der  Ausfüh- 
rung und  die  wichtigen  Vortheile  einer  allgemei- 
nen Amiencinrichtung  im  Reich  der  Niederlande, 
Amsterdam  1817  bei  /•  tav  »eb  Utr. 


75 

Anne,    —  ein  ehrliches   Bestehen    verschaff ,   sie  zu- 
gleich aus  ihrer  tiefen  sittlichen  Versunlccnheit  erhohen, 
zu    einer    bessern  Erziehung  ihrer  Kinder  angehalten, 
dadurch  die  Quellen  der  Armuth  und  des  Elends  ver- 
stopft, und  somit  den   wohlhabenden  Mithürgern  und 
den    Gemeinde -Armcnverwaltungen   die  Last   der   Ar- 
me nversorgnng    gründlich    erleichtert    werden    könnte, 
weiche  sie  bisher  ohne  Aussicht  auf  dauernde  Vermin- 
derung der  Noth  getragen  hatten. 

Der  General,  welcher  früher  anf  Java  wüste 
Strecken  darch  Sclavenhände  zu  blühenden  Pflanxnn- 
gen  angelegt,  und  die  Cultur  seiner  dasigen  Güter 
unter  Anleitung  eines  chinesischen  Mandarins  vier- 
ter Klasse,  Tjan-Lock,  welcher  einer  seiner 
Pachter  und  ein  trefflicher  Oekonom  war,  sehr  vcr- 
volikommuet  hatte,  schlug  darin  vor,  die  grossen 
Haide-  und  Torfmoorstrecken  der  nördlichsten  nie- 
derländischen Provinzen,  welche  noch  an  800,000 
Morgen  davon  enthalten*,  durch  die  Hände  der  müssi- 
gea  Armen,  Bettler  und  Landstreicher  in  fruchtbare 
Kolonien  zu  verwandeln.  Diese  Art  der  Arbeit  sei  fiir 
sie  der  Fabrikarbeit  weit  vorzuziehen«  Denn  der  Land- 
han, dessen  Producte  der  Arbeiter  nicht  bloss  selbst 
enenge,  sondern  auch  grösstentheils  selbst  verbrauche, 
und  deren  Ueberschuss  immer  noch  einen  günstigen 
Absatz  finde,  fessele  die  Menschen  zugleich  mehr  an 
den  Boden,  und  gebe  ein  bleibenderes  Unterkommen. 
Die  Fabrikarheit  dagegen  bedürfe  mehr  Fleiss  und  Ge- 
schicklichkeit,  als  von  ihnen  fdr  den  Anfang  erwartet 
werden  könne,    und   müsse,    wenn   sie  hinreichenden 


^^mmm^^m^^ 


_   _     —  -*  ■■■J-'  IP^i».- # ^j'J J«»>l«;»J;^iJj 


76 


Absatz  habea  solle,  m  gleicher  Gute  und  Wohlfeilheit, 
als  von  andern  Arbeitern,   geliefert  werden. 

Auf  diese  Anregung   bildete    sieb  nun    im  Jahre 
1818    zuerst    im    Haag    eine    Gesellschaft    der 
Wohlthätigkeit  (nhaatschappy  pan  u^eldadig7ieid)y 
am  obigen  Vorschlag  zum  Besten    der  Armen   zu  ver- 
wirllichen.      Für    die  Leitung    ihrer  Angelegenheiten 
bildete  sich   ein  Hauptausschuss  {hoofdkammissle)    von 
12  Mitgliedern,     dessen  Präsidium   der  jüngste   Sohu 
des   Königs,   Prinz   Friedrich,    übernahm,    und 
dessen  Sitz  im  Haag  ist    General  van  DEUf  Bosch 
vrurde  zum  zweiten  Assessor  des  Ausschusses  ge- 
wählt,   und   zugleich   zum    Präsidenten    eines    engeren 
Ausschusses  {permanente  Kommissie)  von  3  Mitgliedern, 
welcher  die   Besorgung    der    laufenden    Sachen,     die 
Ausführung  der  Beschlüsse  des  Hauptausschusses,   und 
da   dieser   sich  selten   versammelte,    die    Hauptleitung, 
des   Ganzen   erhielt      In    den   Städten    und   Dörfern 
suchte  man  Hülfsausschüsse  (jsnblrommUsien^  zu  bilden, 
welche  aus  2  obrigkeitlichen   Personen,    2   Geistlichen 
der  verschiedenen   Konfessionen ,   und   2  angesehenen 
Privatleuten  bestanden.    Jeder,  der  2  fl«  60  Cts.  jähr- 
lich  beitrug,    ward   Mitglied   der   Gesellschaft.      Auch 
wurden  Ehrenmitglieder  und  korrespondirende  Mitglie- 
der ernannt*     Zugleich  ward  bestimmt,    dass  ein  von 
der  Gesellschaft  jährlich  neu  zu  erwählender  Aufsichts- 
ansscbuss  von  24  Mitgliedern  {Komniissle  uan  toepoor* 
TZgt)  jedes  Jahr  das  Verwaltungswesen   und   die  ganze 
Wirksamkeit  des  Hauptausschusses  prüfen  und  revidiren 
solle.  Der  Kronprinz  übernahm  das  Präsidium  desselben. 


77 


Im  Anfange  fand  die  Gesellschaft  ausserordentli- 
chen  Beifall,    so   dass  im   ersten  Jahre  über  20,000 
heitragende  Mitglieder   waren«     Anch   war  auf  26,000 
Ellen  Leinen   sabscrihirt   worden,    um   den  Dcbit  des 
von  den  Kolonisten  zn  spinnenden  Garns  zu  versichern. 
Es  wurde  eine  Haidestrecke  in  der  Provinz  Drenthe, 
an    den    Grenzen    von   Overyssel,    unweit    der   Stadt 
Strenwjk,  angekauft  und  im  Novbr.  1818  der  erste 
Versuch  mit  50  armen  Familien   gemacht,    für  welche 
daselbst   eben   so   viele   Häuschen,    ein  Magazin,    ein 
Spinnsaal  y    ein  Schnihaus  und  2  Unteraufseherwohnun- 
gen  gebaut  worden   waren.     Als    der  Versuch   gelang, 
so  wurde    das  Unternehmen    weiter   ausgedehnt,    und 
mehrere   Kolonien   angelegt,    von   welchen   die    erste 
den  Kamen  Friedricbsort  zu   Ehren  des   durch- 
lauchtigen Präsidenten  der  Gesellschaft,  und  eine   an- 
dere zu  Ehren   des  Königs  den  Namen  Wilhelms« 
ort  erhielt 

Im  Jahre  1827  hatte  ich  die  Freude,  den  edlen 
Stifter  der  Armenkolonien,  General  van  den  Boscr, 
im  Haag  kennen  au  lernen.  Er  musste  sich. eben  zu 
einer  Reise  nach  den  westindischen  Kolonien 
fiertig  machen,  deren  Revision  ihm  das  Vertrauen  sei- 
nes Königs  aufgetragen  hatte.  Er  äusserte,  nur  sehr 
nngeni  von  seinen  lieben  Kolonien  zu  scheiden ^  in 
deren  Mitte  er  zu  Friedrichsort,  wo  er  sich  ein 
Haas  gebaut,  die  meiste  Zeit  des  Jahres  zugebracht 
und  sie  mit  unermüdeter  Thätigkeit  gepflegt  hatte. 
Mit  grosser  Freundlichkeit  gab  er  mir  einen  Empfeh- 
Inogsbrief  an  den  Adjunktdirektor  des  Schulunterrichtf 


78 


in  den  Kolonien«  van  JVozüA.  Nach  seiner  Rück- 
kehr aus  Westindien  hat  ihn  der  König  znm  Gene- 
ralgonverneur  der  ostindischen  Kolonien  er- 
nannty  wohin  er  Ende  1828  abgereist  ist.  Er  ist  auch 
der  Verfasser  eines  sehr  empfehlungswerlhen  Werkes 
über  die  niederländischen  Besitzungen  in  Asien,  Ame- 
rika nnd  Afrika.    2  Bände  1818. 

Mit  einem  Empfehlungsbriefe  versehen,  eilte  ich 
nun  im  August  1827,  die  Armenkolonien  in  den  Pro- 
vinzen Friesland,  Drenthe  und  Overyssel  selbst 
SU  besuchen,*  auf  welcher  Reise  meine  Leser  sich  da- 
her gefallen  lassen  mögen,  mich  jetzt  zu  begleiten. 


79 


Reise  nach  den  Armenkolonien  über 
die  Süderscc.  Künstliches  Himmels^ 
gebäude  zu  Franeker,  Zuchthaus  zu 
Leeuwarden.  Friesische  Trachten. 
Torfmoore.    Friedrichsort. 


An  einem  scliüncu  Augustabend  setzte  ich  mich  zu 
Amsterdam  in  ein  SchifT,  das  nach  Uarlingen 
ging,  um  über  die  Siidersee  nach  Friesland  za 
fahren.  Die  Schiffsgesellschaft  war  nicht  gross,  auch 
nicht  besonders  anziehend.  Doch  bedurHe  man  deren 
anch  nicht,  um  sich  zu  nnterhaltcn.  Lange  ergötzte 
ich  mich  an  der  majestätischen  Hauptstadt  im  Hinter- 
gmnd,  dann  umgaben  mich  links  and  rechts  die  grü- 
nen Ufer  der  See  mit  ihren  Weiden  und  Heerden, 
ihren   Dörfern,    Thürmen   und  Windmühlen;    Mon- 

• 

nikendam  und  Kdam  zeigten  sich  links,  einige  In- 
seln rechts ;  Schiffe  flogen  an  uns  vorbei,  Möven  am- 
gankelten  in  Schaaren  nnsre  Segel,  die  BraonfiscLe 
erhoben  sich  glänzend  über  das  Wasser,   bis   die  ein- 


^  '      "  lll    J.M^ 


80 

brechende  DHmmernng  einen  dünnen,  durchsichtigen 
Schleier  über  das  Ganze  warf.  Mondeshellc  bewirkte, 
obgleich  der  Mond  selbst  lange  hinter  den  Wolken 
blieb,  ein  liebliches  Zwielicht,  das  den  Augen  immer 
noch  Stoff  zam  Schauen  gab*  Auf  einmal  stieg  am 
fernsten  Horizont  etwas  glühend  am  Himmel  auf. 
Ist's  der  Mond  in  seiner  Pracht?  •—  Nein,  es  ist  der 
Lenchtthurm  von  Enkhuysen.  Immer  näher 
kommen  wir  ihm,  sehen  ihn  auf  der  langen  Erdzunge 
seine  helle  Strahlen  nach  allen  Seiten  werfen,  und 
haben  ihn  endlich  im  Rücken*  Doch  die  müden  Au- 
gen begehrten  Ruhe*  Ich  stieg  in  die  Kajüte  in  mein 
kleines,  schaukelndes  Bett,  und  ward  schnell  vom 
Schlummer  überwältigt* 

Sobald  ich  am  frühen  Morgen  wieder  aufwachte» 
eilte  ich  aufs  Verdeck*  Die  Scene' hatte  sich  verän- 
dert* Wir  waren  auf  offener  See.  Zur  Linken  we- 
nigstens breitete  sich  das  Meer  in' unabsehbarer  Ferne 
vor  uns  aus*  Zur  Rechten  tauchten  die  friesischen  Kü- 
sten in  der  Ferne  mehr  und  mehr  aus  den  Wogen 
empor,  und  schienen  uns  näher  za  schwimmen*  Vor 
uns  zeigte  sich  der  Rumpf  eines  dänischen  Schiffes 
über  der  Wasserfläche »  das  vor  Kurzem  von  Amster- 
dam kommend  einen  Leck  erhalten  hatte  nnd  hier  ge- 
sunken war*  Das  Schiffsvolk  hatte  sich  in  Boote  ge- 
rettet, nachdem  sie  den  Mast  gekappt,  und  ihn,  wie 
die  Segel  etc*  mitgenommen  hatten*  Da  das  Schiff 
nur  Ballast  geladen  hatte,  so  war  der  Schaden,  ausser 
dem  Verlust  des  Schiffes  selbst,  nicht  gross  gewesen* 
Indess   war  es  für  uns  eine  grosse.  Erinnerung ,    wie 


81 

nosicher  wir  anf  den  schwachen  Brettern  uher  der  gros- 
sen Tiefe  schwebten,  wenn  nicht  die  Hand  der  AU- 
macht  uns  über  derselben  erhielte. 

Stärker  erhob  sich  der  Wind«  Brausend  schlugen 
die  Wellen  äa  unser  Schiff.  Nene  Segel  wurden  auf- 
gezogen, und  pfeilschnell  fuhren  wir  Friesland  ent- 
gegen, nnd  seinen  Küsten  entlang,  obgleich  immer  in 
hedeotendem  Abstände.  Nun  bemerkten  wir  die  drei- 
bchen  Reihen  grosser  Pfahle  von  Nordhols  (einer 
Art  Tannen,  die  ans  Norwegen  und  Schweden  kom- 
men), mit  welchen  die  Friesen  mühsam  die  Dfer  ihres 
niedrigen  Landes  gegen  die  Wuth  der  Wellen  be- 
schütien  müssen,  da  es  weder  durch  Berge,  noch 
dordi  Dünen  gedeckt,  und  sein  Boden  fetter  Klei- 
gmnd  ist*  Eine  Menge  Kirchthürme  ragten  uns  aus 
dem  firuchtbaren,  reichbevölkerten  Lande  entgegen, 
von  Stavereu,  Hindelopen,  Workum,  Bols- 
weri,  Makkum,  Franeker  etc.  Man  machte 
mich  aufmerksam  auf  die  nahe  Verwandtschaft  der 
friesischen  mit  der  englischen  Sprache,  wie  i. 
B.  das  Wort:  tjerky  Kirche  mit  dem  englischen  chureh 
CmI  dasselbe  sei ,  indem  das  tj  auch  wie  tsch  ausge- 
^rodien  werde,  und  nannte  noch  andere  Beispiele. 
Aach  könnten  die  englischen  Schiffer  sich  mit  den 
friesischen  Küstenbewohnern  recht  gut  verständigen, 
•kae  weiter  der  Andern  Muttersprache  xu  verstehen. 
Interessant  war  es  mir  auch,  bei  meinem  Aufenthalte 
in  Fricsland  m  bemerken,  dass  die  friesische  Sprache, 
wie  sie  in  dem  angeführten  und  vielen  andern  Wör- 
tern den  Uebergang  bildet  von  der  deutschen  sur 

IL  e 


■^■■ji  m^* 


82 

englischen^  sie  ebenso  in  nicht  wenigen  Wörtern 
4en  Uebergang  von  der  deutschen  zur  holländi- 
schen macht,  und  somit  auf  die  gemeinsame  Ab- 
ttamimuig  dieser  Sprachen  von  der  deutschen  hinweisf. 
So  c.  B.  heisst  tm  Holländischen  das  Wort  Wald: 
fifoudf  (ßpc.  u^ud)'f  im  Friesischen s  ft^ld^  Mrobei  die 
Ansapcflu&e  des  ö  wie  can  dunkles  a  es  dem  Deutschen 
Rocli  aiher  hrmgt;  englisch  u^ood,  <spr«  wiuf).  Eben 
fo  kalt:  holländisch  coud,  friesisch  cold,  englisch 
coidL  Ebenso  Stiiber  holländisch:  ßtidttr^  (spr. 
Wimper)^  friesisdi:  stuuer*  Ebenso:  neu,  hollän- 
disch nieutf^  friesisch  ny,  (spr.  neu)^  englisch  neu^^ 
(spr.  IM»).  Auch  endigen  sich  viele  friesische  Wörter 
auf  tf  9  wie  im  Altdeutschen. 

Harlin^en,  das  Ziel  unserer  Fahrt,  war  mit 
meinen  spitzen  nnd  stumpfen  Thiirmen  uns  schon  längst 
im  Gesicht.  Endlich  gegen' 11  Uhr  des  Morgens  fah- 
ren wir  xwischen  den  beiden  Leuchtthiirmen  in  den 
Hafen  der  Stadt.  Es  ist  ein  freundlicher  Ort,  von 
6 ragten,  die  mit  Bäumen  besetzt  sind,  wie  die 
liolländiscben  Städte  durchschnitten.  Nachdem  ich  des 
Nachmittags  die  Stadtschule  besucht  hatte,  fuhr 
icU  iiiit  der  Schult  nach  Franeker.  Der  Weg  ist 
angenfehsn  nnd  abwechselnd,  fuhrt  bald  durch  Wei- 
4eB,  bald  dnrdi  fette  Kornfelder,  bald  an  Höfen  und 
Dörfern,  bald  an  Kalkbrennereien  von  Seemuscheln 
▼orhei. 

Des  Abends  besah  ich  noeh  an  Franeker  das  be* 
rohmte  künstliche  Iltmm'elsgei>äude  im  Hause 
dci  ScUiebten  WbllkSmmers  qmI  Sayet&brikaoten  Etsm 


83 

EtiinoA^    welcher   es   lo   den  Jahren   17T4  «  1781 
ausgedacht  und  verfertigt  haf« 
Es  besteht' aus  3  Thellen: 

1)  dem  Planetarium, 

2)  der  Himmelsfläche  mit  den  Sonnenseigern  tind 

3)  den  Mondzcigern. 

Das  Planetarium  ist  an  der  flachen  Decke  des 
Wohorifflmers  befindlich,  wo  um  die  Sonne  die  8 
Haap4>hn€ten 9  —  der  Uranus,  welcher  damals  noch 
licht  entdeckt  wir,  ist  nicht  darauf  befindlich,  —  sich 
in  verhältnissmässigen  Entfernungen ,  nebst  ihren  Tra- 
binten,  ia  derselben  Zeit  wie  am  Himmel  in  ihren 
eMenlriscben  Kreisen  bewegen.  Sonne,  Hanpt-  nnd 
Ndienplaneten  sind  durch  kleine  Kugeln  vorgestellt. 
Aach,  der  Ring  des  Saturnus  fehlt  nicht  Ausser- 
kalb dieser  Kreise  ist  noch  der  Kreis  der  Ecliptik 
mit  dem  12  Sternbildern,  und  als  der  ausserste  ein 
Kreis  mit  den  12  Monaten,  worauf  auch  die  Tage 
eines  jeden  angegeben  sind» 

Der  Band  jedes  Planetenkreises  ist  in  Sternbil- 
der nnd  Grade  gethellt,  so  dass  man  deutlich  ihre 
LSnge  sehen  kann«  Auch  ist  ihr  nächster  iind 
fernster  Pnnct  von  der  Sonne  darauf  mit  Bnchsta- 
licn.  bezeichnet.  Zugleich  zeigt  jeder  Planet  seine 
Breite  an,  indem  nicht  nur  die  beiden  Puncte,  in 
w^den  er  die  Ecliptik  durchschneidet,  auf  dem  Rand 
abgegeben  sind,  sondern  auch  durch  eine  doppelte 
Ycrtheibng  des  Kreises  auf  dessen  Süsserem  Rand  die 
nördliche,  und  auf  dem  inneren  Rand  die  südli- 
che Breite  zu  finden  ist. 

e* 


i 


84 

Di«  ungleiche  Geschwindigkeit  des  Laufs  der 
Planeten  ist  dadurch  angegeben,  dass  die  Grade,  wel- 
che auf  dem  Längenkreise  jedes  Planeten  gezeichnet 
fiind^  nicht  gleich  gross,  sondern  grösser  bei  dem 
fernsten  und  kleiner  bei  dem  nächsten  Puncte  sind, 
indem  sie  von  dem  ersteren  zu  dem  letzteren  Puncte 
in  demselben  Verhältnisse  abnehmen,  als  die  Ge- 
schwindigkeit des  Planeten  zunimmt.  Zwischen  den 
zwei  äussersten  Kreisen,  dem  KreLs  der  Ecliptik, 
und  dem  Monatenkreis,  bewegt  sich  ein  Zeiger, 
der  dadurch' -sowohl  die  scheinbare  Länge  der  Sonne, 
als  auch  die  Monate  und  Tage  angibt  Der  Mond 
bewegt  sidi  hier  in  derselben  Zeit,  wie  am  Himmel, 
xtm  seine  Axe,  um  die  Erde  und  mit  dieser  um  die 
Sonne.  Die. übrigen  Trabanten  zeigen  sich  wohl,  be- 
wegen sich  aber  nicht. 

Der  «weite  Theil  dieses  beweglichen  Himmels- 
gebäudes ist  die  H i  m  m e  1  s  f  1  ä  ch  e  {hemelsplein)^  wel- 
che die  scheinbare  Bewegung  der  Sonne  und  Fixsterne 
anzeigt  Sie. besteht  aus  einer  Kreisfläche  von  28  Zoll 
im  Durchmesser,  und  ist  an  der  einen  Wand  der 
Stube -ai^ebcacht  Die  wichtigsten  Sterne,  welche  zu  >. 
Franeker  gesehen  werden  können,  sind  darauf  ge- 
zeichnet Der  Aequator  ist  in  Grade  getheilt.  Die 
Ecliptik,  welche  excenfrisch  von  dem  Aequator  ist,  ond 
ihn  durchschneidet,  ist  in  die  12  Sternbilder  :getheilt 
Auch  ist  auf  der  Jiimmelsiläche  der  M  e  r  i  d  i  a  n ,  die 
lArendekrv4eise  des  Krebses  und  des  Steinbocks 
und  der  nördliche  Polarkreis.    Die  Himmelf  fläche  wird 


85 

fQo  dem  Iloriionty  einer  Kreisfläche  Ton  18  Zoll, 
omgebeD,  der  in  24  Stunden  eingetheilt  ist 

Die  Hinunelsflache  dreht  sich  mit  den  Sternen  In 
28  Stonden,  56  Minuten  und  4  Sekunden  hemm,  die 
Sonne  dagegen ,  die  aU  eine  kleine  Kugel  im  Kreis 
der  EcUptik  sich  bewegt,  in  24  Stunden,  so  dass  sn- 
glelcb  die  scheinbare  tägliche  Bewegung  der  Sterne 
und  der  Sonne  und  die  jährliche  Bewegung  der  lets- 
teren  angezeigt  wird«  Auch  sieht  man  darauf  das  Län- 
ger* und  Künerwerden  der  Tage  durch  die  £xcen- 
tricität  der  £cliptik  von  dem  Aequator  und  der  Him- 
melifiSche  von  dem  Horizont 

Zu  beiden  Seiten  der  Himmelsfläche  sind  die  swei 
Soanenseiger,  d.  u  Halbkreise,  in  deren  Mittel- 
pvnct  die  Sonne  als  eine  kleine  Kugel  ist,  und  auf 
deren  einem  der  Uhrzeiger  anweist,  zu  welcher  Stunde 
das  Jahr  hindurch  die  Sonne  aufgeht,  und  auf  deren 
anderem,  wann  sie  untergeht* 

Der  dritte  Theil  des  künstlichen  Himmelsge- 
bäades  und  die  Mondseiger. 

Eine  Kreisfläche  mit  einem  Zeiger  an  der  Ded^e 
der  Stube  zeigt  die  24  verschiedenen  Mondsphasen 
an ,  wobei  auch  jedesmal  der  Abstand  des  Mondes  voa 
der  Sonne  zn  sehen  ist,  und  die  Zeit  ihres  Umlaufes 
«m  die  Erde  (das  Alter  des  Mondes).  Eine  zweite 
Kreisfläche  an  der  Stubendecke  zeigt  den  fernsten  Punct 
des  Mondes  von  der  Erde  an,  wobei  die  Sternbilder 
am  Rande  verzeichnet  sind.  Eine  dritte  Krebfläch«^,. 
welche  an  der  Wand  sn  sehen  ist,  zeigt  den  Abstand 
des  Mondes  von  dem  fernsten  Punkte  an.  Eine  ricrtc 


86 

Kreisfläche  zeigt  die  beiden  Pancte,  worin  der  Mond 
die  Ecliptik  durcikschneidet ,  an,  und  die  nördliche 
Mid  südliche  Breite  des  Mondes«  Eine  fünfte 
teigt  dien  Abfftand  des  Mondes  vpn  dem  nördlichen 
BtQPdisefanittspuncte  (jnorderknoop)  an;  eine  sechste 
dttt^liänge  des  Mondes  auf  der  Ecliptik,  Eine  sie- 
b^eilJte  und  achte  Kreisfläche  an  der  Wand  mit  ei- 
nenii  SiMidenzeiger  weisen  den  verschiedenen  Auf- 
uttd  U  B  t  erging  des  Mondes  an. 

Die^  ganze  merkwürdige  Kunstgetriebe  wird 
dmdi  IM  hölzerne  Räder  und  einen  kleinen  Pendel 
in  Bewegung  gesetzt ,  welche  einmal  wöchentlich  auf« 
gtstfogtttt*  werden.  Alle  3  —  4  Jahre  wird  das  ganze, 
sehv  einfech  zusammengesetzte  fiäderwerk  auseinander- 
gttegty  um  es  abzustäuben  und  mit  Baumöl  einzu- 
schmfwreiai 

kb^  sah  den.  damals  84jährigen  Erfinder,  dessen 
beigefugtes  Bildniss  wohl  getroffen  ist,  einen  sin- 
xagi»i  aBftpmehlosen^  allgemein  verehrten  Greis,  und 
konnte  nicht  umhin,  den  berechnenden  Schai*&inn  und 
dJwB  fechniBche  Erfindungskraft  des  Mannes  zu  bewun-» 
d^ern,  der  ohne  alle  gelehrte  Bildung,  ohne  Unter- 
fMiC  in  der  Sternkunde,  sich  durch  seines  Geistes 
Kraft  so  w€tt  emporschwang,  dass  er,  überdiess  bloss 
«n  d)en  wtnigen  Mussestunden ,  die  sein  bürgerlicher 
Beraf  ilim  übrig  Hess,  ein  Kunstwerk  zu  Stande  brachte, 
an  d^am  selbst  Gelehrte  lernen  kennen.  Der  berühmte 
Plroftssor  der  Naturkunde  zu  Franeker,  später  zu 
Amsterdam,  J.  H.  van  S^vinden,  gab  daher 
schon  im  Jahre  1780  eine  mit  Begeisterung  vcrfasste 


67 

Beschreibung  davon  heraus,  welche  im  Jahre  1824 
sum  zweitenmalc  mit  einigen  Znsatzen  und  drei  Rup- 
fertafelPs  «o  wie  dem  Blldniss  Eisinga's  herausgege- 
ben winden  ist,  Franeker  bei  T,  J*  TvilfSTBA.  Auch- 
genoss  der  Erfinder  die  Ehre,  dass  der  König  der 
Niederlande  selbst  sein  Kunstwerk  besah,  welcher  es 
ihm  nachher  fiir  10,000  £1.  and  ftir  200  fl.  Pension, 
welche  nach  seinem  Tode  auf  seinen  Sohn ,  und  nach 
dessen  Tode  auf  seinen  Enkel  übergeht,  hat  abkaufen 
lassen.  Jedoch  bleibt  es  noch  sein  Eigenthnm  und  in 
seinem  Hause  bis  an  seinen  Tod.  Auch  hat  er  den 
untersten  Grad  des  niederländischen  Löwenordeos  er-' 
halten.  *) 


*)  In  verflossenem  Jahre  hat  3  Stunden  ton  hier,  im 
Dorfe  llomherg,  ein  Drechsler  Aeuer  gleichfalls 
ohne  allen  gelehrten  Unterricht  genossen  su  haben, 
ein  Planetarium  zu  Stande  gebracht,  welche« 
mit  dem  obigen  yiele  Aehnlichkeit  hat  Es  ist  io 
einem  kreisrunden  Kasten  von  etwa  3  Fuss  Durch- 
messer ausgeführt,  auf  dessen  oberen  Fläelie  sich 
die  Planeten  in  ihren  Bahnen  bewegen.  Neben  die- 
sem befindet  sich  eine  inwendig  hohle  Säule>  worin 
dtis  L'hrwerk  ist,  welches  die  Bewegung  henor- 
bringt  in  seinen  Leistungen  kommt  dieses  Werk- 
zeug^ fast  ganz  mit  obigem  überein.  In  demselben 
ist  überdies  die  wahre  Neigung  der  Bahnen 
durch  eine  sehr  einfache  Vurricbtung  herrorgebracht. 
Nämlidi  die  bewe«^Uchen  messingenen  Kreise,  wor- 
auf die  Plabetcn  befestigt  sind,  haben  keine  Achse» 
sondern  der  Umfang  eines  jeden  ist  an  verschiede- 
nen Puncteu  auf  eine  Rolle  gelegt ,  die  selbst  von 
einer  kleinen  auf  dem  Tisch  befestigten  Säule  ge- 
tragen wird.     Die  flöhe  dieser  Säulen  ist  nicht  für 


»H 


88 

In  Franeker  ist  auch  eia  sogenanntes  Athe* 
na  Hin  9  eine  Universität  sweiten  Ranges,  welche  den 
Unvennögenden  das  Stndiren  erleichtern  soll»  indem 
sie  sie  in  einen  Theil  der  Universitätswissensdiaften 
dnfuhrt^  so  dass  sie  nur  noch  ein  oder  zwei  Jahre  auf 
einer  der  Universitiiten  ersten  Ranges  (Leiden,  Ut- 
recht oder  Groningen)  zu  stndiren  brauchen. 

Zq  diesem  Zwecke  sind  7  Professoren  angestellt: 
einer  fSr  die  reformirte  Theologie,  welcher  die 
Kirchengeschichte,  Hermeneutik  und  natür- 
liche Theologie  liest^  einer  für  die  Jurisprn- 
dens,  welcher  die  Institutionen,  Pandekten, 
das  Maturrecht  und  das  neuere  bürgerliche 
Recht  vorträgt;  zwei  iür  die  Medicin,  deren  ei- 
ner die  Anatomie  und  Ph/siologie^  der  andere 
die  Boianika  Chemie^  Pharmacie  undmateriam 
medicam  vovtrilgi;  einer  für  die  Philosophie  und 
Mathematik;  einer  für  die  griechische  und  la- 
teinische Sprache  und  Geschichte,  und  einer 
für  die  morgenländischen  Sprachen« 


jede  Rolle  gleich,  sondern  so  abgemessen,  dass  die 
durch  die  Mittelpnncte  aller  Rollen  gelegte  Ebene 
gegen  die  des  Tisches,  welche  die  Ecliptik  dar- 
■tellt,  die  wahre  Neigung  hat 

Auch  hat  der  Künstler  durch  einen  ihm  eignen» 
sehr  einfachen  Mechanismus  bewirkt,  dass  sich  die 
Planeten  bei  ihrem  Umlauf  um  die  Sonne  zugleich 
um  ihre  Achse  drehen ,  und  diese  stets  sich  selbst 
parallel  bleibt  —  Auch  das«  Aeussere  dieses  Werk- 
zeugs ist  so  sauber  gearbeitet,  das  es  zur  Zierde 
jedes  Zimmers  dienen  kann. 


89 

Die  Theotogen  und  Mediziner  müssen  noch  swel 
Jahre,  nnd  die  übrigen  Studenten  noch  Ein  Jahr  auf 
einer  der  höheren  Universitäten  stodiren.  Auch  kön- 
nen sie  auf  dem  Athenänm  nicht  promoviren.  Die 
Zahl  der  Studirenden  anf  den  Athenäen  ist  daher 
nicht  bedeutend.  In  Franeker  waren  damals  40  Stu- 
denten, worunter  15  Theologen.  Die  Besoldung 
der  Professoren  auf  den  Athenäen  ist  nur  1600  fl., 
an£  den  Universitäten  zu  Utrecht  und  Groningen 
dagegen  2200  ü.,  nnd  zu  Leiden  2800  fl. 

Unglücklicher  Weise  war  bei  meiner  Anwesenheit 
za  Franeker  gerade  Vacanz,  so  dass  ich  wenig  inter- 
essante Bekanntschaften  machen  konnte. 

Auch  in  D eventer  ist  für  die  Provinz  Over- 
yssel  nnd  in  Amsterdam  für  die  Provinz  Hol- 
land ein  solches  Athenäum.  Das  zu  Franeker 
wird,  weil  ea  ehemals  eine  Universität  war,  vom  Staate 
unierhalten,  die  übrigen  aber  von  den  Städten,  wo 
sie  erriditet  sind.  Unter  dieser  Bedingung  haben  auch 
die  Provinzen  Seeland  und  Nordbrabant  £r- 
laubntss  erhalten,  Athenäen  zu  Middelburg  und 
Breda  zu  errichten,  haben  bisher  aber  noch  keinen 
Gebrauch  davon  gemacht,  sowohl  wegen  der  Kosten, 
als  der  Menge  der  schon  vorhandenen  gelehrten  An- 
stalten. Ebenso  ist  das,  welches  zu  Haxderwyk 
(Sr  die  Provinz  Gel  derland  auf  Kosten  des  Staats 
errichtet  werden  sollte,  unterblieben. 

Wer  Näheres  über  die  Athenäen  lesen  will,  vgl. 
in  dem  königl*  organischen  Deere te  über  den  hö- 
heren Unterricht  vom  2.  Aug.  1815  Artv36  — 52. 


wo 

Des  andern  Morgens  (Hlhe  eilte  ich  in  einer  Schult 
nach  der  Hauptstadt  Fries  1  an ds,  dem  grossen, 
schöngebauten  f   von  vielen  Gragten  durchschnittenen 

Leenwarden» 

Hier  hoffte  ich  nicht  bloss  mit  dem  Gefaingniss 
der  Stadt,  sondern  auch  mit  den  Sitten,  und  der  re- 
ligiösen und  sittlichen  Cultur  des  Landes  genau  be- 
kannt zu  werden,  da  Suebingar,  einer  der  Stif- 
ter der  bolländischen  Gefangnissgesellschaft,  daselbst 
wohnt,  der  mich  eingeladen  hatte,  ihn  ta  besuchen. 
Unglücklicher  Weise  hatte  ee  des  Tagca  vorher  eine 
Reise  nach  A  m  st  er  dam^  zur  Jahresversammlung  der 
MdoJtBchappy  toi  nuS  t^an^t  Jllgemeen  angetreten,  so 
dass  wir  auf  der  See  an-  einander  vorbeigefahren 
waren« 

Ich  besuchte  daher  allein  das  Zuchthaus  da- 
selbst, welches  zugleich  ein  Hma  van  Burgerfyhe  en 
MiätauB  perzekering  ist,  und  ward  von  dem  gefalli- 
gen Commandanten,  Major  Steffenson,  überall 
herumgeführt.  Es  ist  für  800  Gefangene  eingerichtet, 
enthielt  damals  aber  nur  570,  worunter  179  Weiber« 
Die  Arbeitssäle  sind  gross,  meistens  neugebaut;  an 
einigen  baute  man  noch«  Die  Hauptbeschäftigan- 
gen  sind  Spinnerei  und  Wollenweberei,  er- 
sterc  vorzugsweise.  Für  letztere  arbeiten  94  Weber, 
welche  wollene.  Decken  zu  Pferdedecken  und  zu  Bett- 
decken für  die  Marine  verfertigen.  Ueberdies  gibt  es 
80  Schneider,  welche  Monturen  fürs  Militär  machen, 
und    einige   Zimmerleute  für   das   Bedürfniss    des 


dl 


Hauses.  Die  Schl-afsäle  sind  nach  dem  nenen  all- 
gemeineh  Plan  sehr  gross,  so  dass  80  —  150  m  £i^ 
nem  Saal  in  Hangmatten  schlafcu.  Gottesdienst 
wird  des  Sontags  fiir  die  Evangelischen  von  einem  Ka- 
techisirmeister  und  für  die  Katholischen  von  einem 
Stadtgeisilichen  ihrer  Confession  gehalten ,  für  Männer 
und  Weiber  besonders.  Bisweilen,  seit  dem  Jahre 
1829  Smal  wöchentlich ,(  findet  Katechisation  statt, 
auch  einmal  wöchentlich  in  dem  Uuis  fon  ^erzekering, 
wo  es  bisher  an  aller  geistigen  Pflege  gebrochen  hatte« 
Aber  noch  immer  ist  bei  dieser  Masse  von  Gefange- 
aen  kein  Scbulu  nterricbl  eingeführt.  Klassifi- 
katioa  ist  nicht  vorhanden.  Die  Condnitenlisten  ent- 
balteo  bloss  die  Disciplinarstrafen.  Alle  balbe  Jahre 
werden  Prämien  [an  Geld  ausgetheilt,  und  die  Strafe 
Eines,  der  sich  am  meisten  ausgezeichnet,  gemildert. 
Die  Stadt  hat  ein  grosses  prachtvolles  Rathbaus. 
Es  herrscbt  viel  Reichtfaum  in  der  Stadt  und  auf  dem. 
Laade,  und  grosser  Luxus  in  der  Kleidung  der  Frauen, 
welche  in  keiner  Provinz  so  häufig  völlig  verschieden 
von  einander  ist,  noch  so  treu  von  Geschlecht  auf 
Geschleckt  unverändert  überliefert  wird,  ^als  in  Fries- 
]aod  *),    Ein  allgemeiner  Schmuck  aller  Mädchen  und 


«^*< 


^)  Wer  ein  leliiendiges  Bild  dieser  mannichfachen  inter- 
essautea  Kleidertrachteii  Fricslaiuiß  und  der  übri- 
gen Provinzen  der  nördiichea  Niederlande  vor  Au- 
gen haben  will,  wird  vollständige  Befriedigung  er- 
halten in  dem  Werke»  welches  bei  E.  Maaskamp 
EU  Amsterdam  erschienen  ist,  in  holländischer 
und  französischer  Sprache,  unter  dem  Titel:  J/beel- 
i!iMg€H   ran   de  KUeding,    Zeden    d:   Getcoonten   m  de 


02 


Frauen,  die  vornehmen  neumodischen  ausgenommen, 
ist  das  sogenannte  Ohreisen,  ein  goldnes,  breites 
Band,  welches  an  beiden  Schläfen  sehr  breit,  am 
Hinterkopf  schmaler^  um  den  Kopf  getragen  wird, 
und  100  —  200  ü.  kostet.  Selbst  die  Dienstmägde 
tragen  solche,  und  sparen  oft  mehrere  Jahre  den 
Lohn,  um  dieses  Schmuckes  nicht  zu  entbehren.  Schon 
im  5.  bis  6.  Jahre  erhalten  die  Mädchen  welche,  mei- 
stens nur  von  Silber,  im  12.  bis  13.  Jahre  erhalten 
sie  ein  zweites  grösseres,  und  im  18.  bis  20«  ein  drit- 
tes, das  alsdann  dir  das  ganze  Leben  dauert.  Arme 
haben  welche  von  Silber,  selbst  von  Kupfer  oder 
Zinn,  doch  sieht  man  diese  nicht  häufig.  An  nebeli- 
gen Winterabenden  geschieht  es  wohl  auf  den  Stras^ 
sen  Leeuwardens,  dass  den  Frauen  ihr  Ohreisen  mit 
der  Mütze  vom  Kopfe  abgestreift  und  geraubt  wird. 
Auch  begegnet  solches  wohl  den  über  Feld  Gehenden, 
daher  sie  selbige  aus  Vorsicht  bei  solchen  Gelegenheiten 
meistens  zu  Hause  lassen.  Nur  die  Frauen  und  Mäd- 
chen der  feinen  Taufgesinnten  tragen  keine, 
oder  höchstens  kleine  nach  altem  Stjl.  Zu  dem  Ohr^ 
eisen,  welches  von  einer  grossen  Musselinhaube  mit 
feinen  Spitzen  bedeckt  ist,  tragen  viele  noch  ein  gol- 
denes Stirnband,  jedoch  in  anderer  Form,  als  die 
Nordholländerinhen    (s.  Bd.  L  S.   22),    welches 


BataafieAe  RepuhUek  $  mei  d$n  Äanvang  der  ntgen- 
tümde  Eetäb  ete.  Es  enthält  22  sehr  schöne,  kolo- 
rirte  Kupfertafeln  in  grösstem  Quartformat,  mit 
ausführlicher  holländischer  und  franzosischer  Be- 
schreibung. 


93 

mit  Juwelen  besetzt  ist,  and  worin  diamantene  Na- 
deln stehen,  feraer  eine  Halskette  von  Gold  oder 
Ton  Korallen  mit  goldenem  Schloss,  nnd  kostbare 
Ohrringe,  ein  Kopfputz,  welcher,  wie  man  leicht 
begreifen  wird ,  biswellen  an  2000  fl.  kostet  Hierza 
kommen  endlich  noch  Armbänder  von  Korallen  mit 
goldenem  Schiösschen.  —  Der  Kopf  der  Friesinnen 
ist  gewöhnlich  so  rund ,  dass  er  sich  der  Kugelgestalt 
nähert.  Als  ich  nach  der  Ursache  fragte,  sagte  man 
mir,  dass  man  den  Mädchen  in  dem  ersten  halben 
Jahre  den  Kopf  rund  zu  drücken  pflege,  weil  man 
dies  für  eine  Schönheit  halte.  Auch  die  Ohreisen  be- 
fördern diese  Gestalt  des  Kopfes. 

Des  Nachmittags  eilte  ich  auf  einem  Postkarren 
Bodi  bis  Heerenveen,  um  des  andern  Tages  frühe 
in  den  Kolonien  sein  zu  können.  Im  Anfang  war  der 
^%  gut»  so  lange  wir  auf  der  eben  im  Bau  begrif- 
fenen Landstrasse,  welche  über  Steenwyk  nach 
Zwoll  fuhren  soll,  bleiben  konnten.  Auch  die  Dör- 
fer, durch  die  wir  kamen,  waren  schön  gebaut,  doch 
schon  etwas  anders,  als  in  Holland;  die  Kinder 
lachten  uns  freundlicher  an,  auch  die  Erwachsenen 
waren  fröhlicher  und  gesprächiger,  so  dass  ihr  Cha- 
rakter sich  schon  mehr  dem  deutschen  zn  nähern 
schien.  Bald  aber  kamen  wir  in  Öde,  hier  stuuden- 
bnge  Torfmoor  strecken,  wo  kein  Haus,  kein 
Saum,  kein  Gesträuch  zn  sehen,  keine  lebende  Stimme 
n  hören  war,  als  das  gellende  Geschrei  der  Kibitse, 
wo  rechts  nnd  links  von  dem  schmalen  Damm,  worauf 
wir   fahren,    Snmpf,    Moor  nnd  todter,    schwaner 


94 

■  II'"         lim     ■■■ 

Wasserpfuhi  mit  einander  abwechselten,  wp  nur  Torf- 
kaufen  und  einzelne  Strohhütten  Tur  die  Arbeiter  •  sich 
über  die  wüste  Fläche  erhoben.  Noch  nie  hatte  ich 
das  Bild  einer  so  traurigen  Einöde,  einer  so  unwirth« 
baren  Wüste  gesehen,  daher  ich  herzlich  froh  war' 
als  ich  mit  einbrechender  Nacht  in  dem  Städtchen 
Heerenveen  anlangte. 

Des  andern  Morgens  fuhr  ich  nach  dem  noch  B 
Standen  entfernten  Friedrichsort.  Zuerst  kamen 
wir  durch  Büsche,  dann  durch  ein  sehr  freundliches 
Lustwäldchen  ^  Oranienwoud,  wo  einige  Keiche  aas 
Leeu  war  den  Landhäuser  gebaut  haben,  darauf  aber 
durch  sandige,  unfruchtbare  Strecken,  wo  nnr  hier 
und  da  etwas  Buchweizen  wachs,  and  endlich  über 
lange,  Öde  Haiden«  Es  war  daher  ein  lieblicher  An* 
blick  für  mich|  ^Is  ich  Huf  einmal  mitten  in  der  Wü- 
stenei üppige  Fruchtfelder  vor  mir  sah,  so  weit  das 
Auge  reichte,  abwechselnd  mit  Obstbäumen  und  nied- 
lichen Häusern,  und  Gärtchen  vor  denselben,  mit 
Blumen  bepflanzt.  'Selbst  mein  Fuhrmann,  so  sehr 
er  unterwegs  über  die  Kolonien  räsonnirt  hatte,  konnte 
hei  diesem  Anblicke  sich  nicht  der  Verwunderung  und 
des  Geständnisses  enthalten:  Wahrlich!  diese  Felder 
können  mit  jeder  andern  Fruchtgegend  wetteifern. 


85 


—     .  ji  ■■■       ■■*  *^— »i—l— MPifHP 


«•««■»«•*— ^ 


Freie  Kolonien   zu    Friedrichsort    und 

WilhelmsorL 


Ich  stieg  an  dem  Gasthause  der  Kolonie  zn  Frle- 
drichsort  ab,  und  etite  darauf  za  dem  Adjanktdlrek- 
tor  des  Scbulanterrichts,  F^iN  IVoii^A^  an  welchen 
General  VAN  den  Bosch  mir  den  Empfehlungsbrief 
tnifgegeben  halle.  Dieser  führte  mich  alsbald  mit  vie- 
ler Freundlichkeit  in  der  ersten  Kolonie  herum. 

Die  Iläu&er  liegen  meistens  einander  gegeniiber 
an  breiten  Fahrwegen,  welche  sich  rechtwinklicht  durch* 
schneiden,  dadurch  grosse  regelmässige  Vierecke  bä* 
den,  und  schon  vielfach  mit  Obstbäumen,  auch  sum 
Theil  mit  andern  Säumen  besetzt  sind.  Man  hatte 
aucli  Kanäle  gegraben,  welche  die  Kolonien  dorck- 
sduuiten,  und  zur  leiohteren  Comomoication  dienein 
sollten.  Attein  sie  enthalten  kein  Wasser,  da  der 
BodcB  lu  hoch   liegt,    und  sind    daher  unbrauchbar« 


rfjjTn 


96 

Die  übrigen  Hauser  liegen  immer  eine  Strecke  von 
den  beiden  andern  entfernt ,  weil  jedes  Haus  das  dazu 
gehörige  Land  dicht  um  sich  herum  hat  Die  Häuser 
sind  einstöckig,  von  Backsteinen  gebaut,  16  Fuss  im 
Quadrat  gross,  und  haben  ein  Dach  von  Schilf. 
(Vgl.  die  beigefügte  Zeichnung  A,  und  den  Gmnd- 
riss  G.)  Es  ist  nur  eine  Stube  darin ,  in  welche  die 
Hauptthure  (a)  von-  der  Seite  führt,  Sie  ist  mit  ro- 
then  Sandsteinen  belegt,  und  hat  2  Fenster  nach  der 
Fronte  (b  und  c),  zwischen  beiden  steht  der  Tisch  (d), 
in  beiden  Yorderecken  ein  Schrank  an  der  Wand  und 
zwei  Bretter  fiir  das  Küchengeräthe  (e),  dem  Tisch 
gegeniiber  an  der  Hinterwand  der  Heerd  mit  dem  Ka- 
min (0*  An  der  Seite,  wo  die  Thiire  ist,  steht  in 
manchen  Häusern  ein  Bett  *(m).  An  der  einen  Hinter- 
ecke fuhrt  eine  Treppe  (g)  auf  den  Söller  über  der 
Stube,-  wo  die  Schlafstätte  für  die  Uebrigen  und  3 
Bettstellen  sind.  Neben  der  Treppe  fuhrt  eine  Thiir 
(h)  aus  der  Stube  in  die  Scheune  (i),  und  von  da  in 
den  Stall  (k),  wo  Kaum  für  2  Kiihe  (1)  ist.  Scheune 
nnd  Stall  sind  hinten  am  Hause  angebaut,  so  dass 
sie  von  der  Fronte  des  Hauses  ans  nicht  zu  sehen 
sind,  haben  Wände  bloss  von  tannenen  Brettern  und 
eine  Breite  von  16,  auch  wohl  20  Fuss,  und  eine 
Länge  von  20,  auch  wohl  25  Fuss. 

In  der  zweiten  Kolonie  sind  die  Häuser  be- 
quemer and  grösser  gebaut,  (vgl.  die  beigefügte 
Zeichnung  B  and  den  Grandriss  D) ,  so  dass  neben 
der  Wohnstnbe  (a)  zwei  kleinere  Schlafstuben  (b  und 
c)  sind.     Anch  ist  Scheone  (d)  und  -Stall  (e),    worin 


97 

gleichfalls  Ranm  für  2  Kiihe  (Q  ist,    bei  vielen  von 
Steinen,   bei  andern  von  Holz  gebaut  and   mit  dem' 
Hans  unter  Einem  Dach. 

Jeder  Kolonist  erhält  wenigstens  1050 »  in  der 
Regel  1700  Ruthen  Land  (600  g  l^nthen  »  1  Mor* 
gen).  B50  Ruthen  davon  sind  vor  seiner  Ankunft 
schon  urbar  gemacht  und  bestellt,  damit  er  bei  seiner 
Ankunft  etwas  zu  leben  habe.  Zugleich  erhält  er  eine 
Kuh,  und  im  zweiten  Jahre ,  wenn  sein  Land  mehr 
behaut  ist,  die  zweite  Kuh,  ^-  diese  erhält  jedoch 
nicht  Jeder,  in  der  neuesten  Zeit  nur  die  Wenig- 
sten, —  und  ein  junges  Schwein,  um  es  zu  mästen« 
Einzelne  erhalten  auch   wohl  noch  6  —  10  Schaafe» 

Die  Arbeit  verrichtet  er  nach  folgender  Ordnung! 

Jede  Kolonie  besteht  aus  100  Familien,  und  ihr 
ist  ein  Unterdirektör  vorgesetzt.  Zugleich  ist  sie 
wieder  in  4  Reviere  {uyhen)  abgetheilt,  jede  von 
24  Familien,  deren  jedem  ein  Revier  meist  er  iu^k» 
meester)  vorsteht,  wo  möglich  ein  ehemaliger  Unter* 
ofBzier.  Jedes  Revier  ist  wieder  in  2  Abtheilungen 
oder  Rotten  (sectien)  getheilt,  und  jede  Abtheilung 
steht  unter  einem  Rotten fiihrer  {sectienieeater)^  dar 
wo  möglich  aus  dem  Bauernstande  gewählt  ist,  und 
seine  Abtheilung  in  der  Feldarbeit  zu  unterrichten  and 
sa  beaufsichtigen  hat. 

Des  Abends  vorher  holen  alle  Reviermeister  bei 
dem  Unterdirektor  die  Befehle  für  den  folgenden  Tag« 
Des  andern  Morgens  um  5  Uhr  im  Sommer,  am  8 
Uhr  im  Winter,  wird  durch  die  Glocke  das  Zeichen 
nun  Aufstehen  :gegeben.     Eine  Stande  später,  i>eim 

H.  7 


"■''>^*'^  rb' v-Wrf>je«i-A. 


98 

tweiten  GelHate,  versammeln  sieb  alle  Männer  und 
Jungen  über  12  Jahren  vor  dem  Hause  ihres  Revier- 
meisters, wo  die  Namen  verlesen,  nnd  die  Abwesen- 
den aufgezeichnet  werden,  welche  für  diesen  Tag  nun 
keinen  Lohn  verdienen. 

Jeder  Rottenführer  führt  seine  Abtheilnng  alsdann 
nach  dem  ihm  angewiesenen  Land,  und  la'sst  sie  unter 
seiner  Aufsicht  arbeiten.  Der  Boden  in  ddn  freien 
Kolonien  ist  meistens  sandige  Haide,  wo  unter  dem 
Haiderasen  nur  ein  Paar  Daumen  breit  Veen  (torfar- 
tiger Boden)  liegt,  und  dann  der  Sand  folgt.  Die. 
erste  Arbeit  der  Kolonisten  besteht  daher  im  Abste- 
chen des  Haiderasens ,  der  aaf  Haufen  gesetzt  wird. 
Darauf  wird  der  Boden  2  Fuss.  tief  umgegraben,  da- 
mit der  Sand  sich  mit  dem  Veen  vermische,  und  bleibt 
während  des  Sommers  und  Winters  liegen.  Im  näch- 
sten Frühjahre  werden  die  Rasen  mit  langsamem  Feuer 
verbrannt  und  mit  dem  Mist  untergepflügt,  und  der 
Boden  besäet.  Zum  Pflügen  wird  für  jede  Abtheilung 
ein  Paar  Ochsen  oder  Pferde  gehalten. 

Auch  alle  andere  Feldarbeit  wird  auf  erwähnte 
Welse  gemeinschaftlich  verrichtet,  und  jedem  Koloni- 
sten nach  seinem  Fleiss,  indem  alles  per  Stück  gear- 
beitet wird,    ein  Taglohn  dafür  gegeben. 

Jeder  Samstag  ist  bloss  zur  Bereitung  von  Dün- 
ger bestimmt«  Jede  Familie  muss  wöchentlich  3  —  4 
Fuder  Dünger  (das  Fuder  =«=  1000  Pfund)  bereiten, 
indem  sie  einen  Haufen  Haiderasen  an  den  Mistplatz 
setst^  welchen  sie  mit  dem  Kuh-,  Schaaf-  und  Men- 
sdenmist  und   einem  Scheffel   Kalk   vermengt      Auf 


99 

diese  Art  kann  sie  jeden  ■  Sommer  80  Fuder  Dünger 
madien,    der  50  Fader  Koihmist  gleichgerechnet  wird« 

In  dieser  Berechnung ,  welche  man  in  den  ersten 
Jahren  aufstellte,  hat  man  sich  jedoch  geirrt,  wie  die 
Erfahrung  bald  lehrte*  Denn  nachdem  die  Haidte  and 
das  Yeen  der  nächsten  Umgegend  verbraucht  war, 
man  gelte  es  zur  Düngerbereitnng  an  diesem  Hauptmist- 
stoff. Da  die  angelegten  Kanäle  wasserleer  waren  und 
blieben,  so  wurde  es  zu  kostbar,  die  Ilaide  and  das 
Veen  aus  der  Ferne  auf  der  Axe  za  holen«  Dem  hier- 
durch entstehenden  drückenden  Mangel  an  Dunger  hat 
man  auf  mancherlei  Art  abzuhelfen  gesucht,  seit  dem 
Jahre  1827  vorzüglich  dadurch ,  dass  man ,  wie  es  in 
manchen  Gegenden  Brabants  Sitte  sein  soll,  Gin- 
stern (drem)  unter  den  Roggen  säet,  nach  geerndte- 
tem  Roggen  die  Ginstern  stehen  lässt,  welche  im  zwei- 
ten Jahre  hoch  aufschiessen ,  und  darauf  sie  entweder 
noch  im  Herbst  des  zweiten ,  oder  im  Frühling  des 
dritten  Jahres  unterpflügt.  Für  ein  solches  Feld  hat 
man  bei  dem  Besäen  mit  Roggen  oder  Flachs,  oder 
bei  dem  Bepflanzen  mit  Kartoffeln  keinen  Dünger 
nöthig,  ja  es  soll  für  mehrere  Jahre  hinreichend  dün- 
gen. Da  die  damit  seither  gemachten  Proben  nach 
der  Versicherung  der  permanenten  Kommistie  befrie- 
digend ausgefallen  sind,  so  fängt  man  jetzt  an,"  diese 
Weise  mehr  allgemein  einzuführen. 

Die  Zqit,  welche  die  Feldarbeit  im  Jon!  and  in 
der  ersten  Hälfte  des  Juli  übrig  lässt,  wird  ange- 
wandt, die  Kolonisten  Torf  für  den  Winter  stechen 
lu  lassen,  wofür  ihnen  ebenfalls  Taglohn  bezahlt  wird« 

7  * 


100 

I>ie  850  —  900  Rathen  von  ihrem  Lande,  welche 
man  vor  ihrer  Ankanft  zubereitet  und  besteilt,  werden 
in  folgender  Art  bestellt: 

Nämlich    50  Ruthen  mit  groben  Küchengewächsen, 
,  1-00    9    y%      9    Friihkartofieln, 

275     9    9      n    Spätkartoffein, 
455    9    9      9    Hafer  oder  Buchweiien,  oder 
Spörgel  (qjurry),  mit  Klee  u.  Reihgras. 

Summe  880  Ruthen. 
Im  xweiten  Jahre  werden  875  Ruth,  mit  Roggen  bestellt. 

125  «  ,,  FnihkartofTein, 

250  0  0  Spätkartoffeln, 

150      9  ^  Klee, 

300  9  9  Gras  und  Heu, 

100  ^  ,1  Gartengewächs. 

Summe  1300  Ruthen. 
Im  dritten  Jahre  werden  500  Ruth,  mit  Klee  bestellt, 

COO      „       „    Roggen, 
437^2  9       9    Kartoffeln, 
62*4  »       y»    Stallfutter, 
100      ff       „    Gartengewächs. 

Summe  1700  Ruthen. 

Wo  dem  Kolonisten  2100  Ruthen  statt  1700  ein« 
geränmit  werden,  was  vielfach,  ja  gegenwärtig  allge- 
mein geschieht,  werden  die  400  übrigen  Ruthen  noch 
mit  Roggen  besäet ,  der  in  den  Kolonien  vorzüglicfai 
gat  geräth. 

Das  Roggenland  wird  nach  geerndtetem  Roggen 
mit  Spörgel    und    der    weissen   Futterrübe   (turrups) 


101 

besäet,  nm  eine  zweite  Erndte  zu  erhalten,  and  der 
Garten  ond  ein  Theil  des  Spätkartonellandes  mit  Win- 
terroggen, der  im  Frühjahr  als  Stallfntter  dient.  Nach 
dem  Ablauf  des  dritten  Jahres  tritt  ein  regelmässiger 
Wechsel  mit  den  Feldfrilchten  ein,  der  sich  nach  den 
Umständen  richtet  Als  allgemeine  Regel  wird  festge- 
halten, dass  für  jede  Familie  jährlich  zu  ihrem  Bedarf 
nötliig  sind: 

100  Ruth,  für  Gartengewächse  n.  Friihhartoffelni 

200      «      „    Spätkartoffeln, 

400      ,      ,    Roggen, 

600      -      ,    Sommer-  und  Winterstallfutter. 


Sum.  1300  Ruthen. 

Das  übrige  Land  wird  angewandt,  wie  es  (lir  die 
Kolonisten  und  für  die  Gesellschaft  am  vorth eilhafte- 
sten ist,  daher  die  Art  des  Bestellens  der  Felder 
jährlich  durch  einen  besondern  Beschluss  bestimmt  wird. 

Die  weiblichen  Glieder  der  Familie  werden  in  der 
Spinn  schule,  welche  für  jede  Abtheilung  in  der 
Scheuer  eines  Kolonisten  eingerichtet  ist,  im  Spinnen 
von  Flachs  und  Werg  unterrichtet,  und  dürfen,  wenn 
«ie  ileissig  sind,  darnach  zn  Hause  spinnen,  sonst  im 
allgemeinen  Spinnsaale.  Die  Jungen  unter  IS  Jahren 
spinnen  in  der  Zeit,  wenn  die  Feldarbeit  sie  nicht 
beschäftigt,  Wolle.  Auch  die  erwachsenen  Kolonisten 
können  in  den  3  ersten  Jahren,  so  lange  ihr  Land 
noch  nicht  völlig  urbar  gemacht  ist,  in  der  Winter- 
seit  sich  durch  Spinnen  etwas  verdienen.  Die  Spinn- 
arbeit wird  nach  ^em  Pfiind  bezahlt. 


102 

Id  jedem  Revier  soll  ein  Schuhmacher  .und 
ein  Schneider  sein,  2  oder  3  Strumpfstricke- 
rinnen, 2  oder  3  Leinennähterinnen,  «in 
VVebcr  und  2  oder  3  Wollen  -  Nähtefinnen. 
In  jeder  Kolonie  sollen  wo  möglich  2  Zimmer- 
leate  sein,  1  oder  2  Maurer,  1  Schmidt,  1  oder 
2  Untmaeher  n.  dgl.  Wenn  deren  unter  den  Ko- 
lonisten nicht  sind,  sollen  welche  dazu  angeleitet  wer- 
den. Die  genannten  Fabrikarbeiten,  welche  mit  Eifer 
zunf  grossen  Nutzen  der  Kolonisten  betrieben  werden, 
sind  in  der  letzten  Zeit  noch  vermehrt  worden  mit  dem 
Drehen  beinerner  Knöpfe  und  einer  Seilerei.  Ueber- 
haupt  sollen  aber  alle  diese  Fabrikarbeiten ,  Flachs- 
spinnen ausgenommen,  nur,  soweit  es  der  eigne  Be- 
darf der  Kolonisten  erfordert,  verrichtet  werden,  in- 
dem der  Landbau  die  Hauptsache  für  sie  bleiben 
nrass.  Die  Grundstoffe  fiir  die  Fabrikarbeiten  sollen 
allmählig  in  den  Kolonien  selbst  erzeugt  werden« 

Bei  ihrem  Eintritt  in  die  Kolonie  erhält  jede  ge- 
wöhnliche Hanshaltung  von  der  Gesellschaft  vorge- 
«chossen:  täglich  6  Pfund  Brod,  welches  aus  25  Pfand 
Kartoffelmehl  und  30  Pfund  Boggenmehl  gebacken 
wird,  nnd  wöchentlich  3  —  4  Scheffel  Kartoffeln,  so 
wie  25  Stiiber  für  Ladenwaaren,  welche  sie  aber,  am 
möglichem  Missbrauche  vorzubeugen,  statt  haaren  Ge;l- 
des  in  Kärtchen  bekommt,  die  in  den  Kolonialladen 
%\$  MSnie  angenommen  werden.  Solcher  Laden  aind 
an  jeder  Kolonie  zwei.  Einen  darf  der  Unterdirektor 
halten  tür  Vermebrang  seines  Gehalts,  jedoch  nur 
nach   einem  von   der  Gesellschaft  festgestellten  Tarife. 


103 

Einen  zweiten  lasst  die  Gesellschaft^  damit  kein  La- 
denzwang entstehe,  von  einem  Kolonisten  oder  Re- 
viermeister haken.  Jedoch  erhalten  die  Kolonisten 
auch  vom  Buchhalter  baares  Geld  gegen  ihr  Papiergeld 
aasgewechselt,  wenn  sie  ausserhalb  der  Kolonien  La- 
denwaaren  kaufen  wollen,  wozu  sie  Einen  Tag  in  der 
Woche  Erlaubniss  bekommen,  jedoch  unter  der  Be- 
dingung, dass  sie  das  Gekaufte  bei  der  Rückkehr  dem 
Reviermeister  vorzeigen.  —  Den  Ilaushaltangen,  worin 
Waisenkinder  sind,  werden  8  Pfund  Brod  statt  B  täglich 
gereicht,  und  y^  Pfund  Fleisch  oder  Speck  für  jedes 
Kind.  Die  Kolonisten,  welche  Ein  Jahr  in  der  Kolo- 
nie sind,  erhalten  monatlich  8  fl.  33  Cts.  für  Klei- 
dangsstiicke. 

Das  den  Haushaltungen  Vorgeschossene  wird  ih- 
nen von  dem  Arbeitsverdienst  abgebalten,  und  später, 
wenn  sie  von  ihrem  Lande  erndten  können,  zum  Theil 
von  den  Feldfrüchten  und  zum  Theil  von  dem  Tag> 
lohn»  Dazu  müssen  sie  noch  10  Procent  von  ihrem 
gesammten  Verdienste  für  den  Verwaltungsfonds 
abgeben,  woraus  die  Beamten  und  das  Zugvieh  bezahlt 
werden.  Der  Rest  des  Verdienstes  wird  ihnen  zur 
Hälfte  ausbezahlt,  und  zur  Hälfte  gutgeschrieben,  um 
dafür  später  ein  Schwein,  Kleidungsstücke  und  andere 
Bedürfnisse  zu  erlangen*  So  lange  der  Verdienst  we- 
niger beträgt,  als  der  Vorschuss,  wird  das  Fehlende 
ihnen  zur  Last  geschrieben,  und  bei  der  Erndte  von 
den  Fcldfrüchlen  abgehalten. 

Ist  jedoch  der  geringere  Verdienst  Folge  der  Faul- 
heit,   so    wird   zuerst   jedem  Glied    der  Familie  ein 


■■./^^»i^rz.  i,-ev.*-Hht  -. 


104 

.^sdmmtes  Arbeits  -  Pensam  anfgegeben«  Hiifit  dies 
oicht,  80  versammelt  der  Direktor  den  Aufsichtsratb 
der  Kolonie  [Raad  uän  Ibexigt),  welcher  ans  dem  Un- 
lerdirektor,  2  Reviermeistem  und  2  Kolonisten  bestebt, 
zur  Untersachang.  Venirtheiit  dieser  deli  Kolonisten, 
fo  wird  derselbe  darch  den  Direktor  vor  eine  Kommis- 
tion von  Ehrenmitgliedern  der  Gesellschaft  zu  Steen- 
w yk ,  den  sogenannten  Polizeirath  (Ilaad  t^an 
PoÜcie)^  gestellt,  und  wenn  schuldig  befunden,  zur 
Strafkolonie  nach  Annerschans  versetzt  ^ 

Ferner  müssen  die  Kolonisten  fährlich  60  fl.  Rente 
bezahlen  von  dem  Kapital,  was  ihr  Gütchen  gekostet 
hat     Dieses,   das  Häuschen  mit  den  dazu  gehörigen 

1700  Ruthen  Land,  wird  auf  folgende  Weise  ange- 
rechnet : 

Ankauf  des  Landes 100  fl. 

Die  Gebäude 500  „ 

Hausgeräthc  und  Kleidung       .    •    .    .    •    250  ^ 

Uebertrag    850  fl. 


*)  Die  proTisorische  Kommission  Cprovisiouele 
Kommissie)  der  Gesellschaft  hatte  in  ihrem  im  Jahre 
1818  herausgegebenen  allgemeinen  Bericht  S.  58  u. 
00  als  Strafe  für  die  Faulen  vorgeschlagen,  dass 
man  ihneq,  nur  Im  Verhältnjss  ihrer  Arbeit,  zu  es- 
sen geben,  und  die  Hartnackigen  in  das  Haus  eines 
der  Aufseher  versetEen  j^olle,  ivo  sie  so  lange  ar- 
beiten müssten,  bis  sie  das  Essen  verdient  hätten. 
Man  fühlte  indess  bald,  dass  diese  Strafart  nicht 
auszuführen,  "wenigstens  nicht  immer  anzuwenden 
sei.  Daher  ist  sie  auch  meines  Wissens  gar  nicht 
in  Anwendung  gekommen. 


105 

Uebertrag  850  fl. 

Urbarmachung  \or  ihrer  Ankoiift     .    •    •  200  „ 

Allgemeine  Vorschüsse    •••.«••  50  » 

Ankauf  der  Kiihe  • 150  ^ 

Urbarmachung  nach  ihrer  Ankunft    •    •     •  200  „ 
Ankauf  von  Flachs  und  Wolle  zum  Spin- 
nen,  und  Spinnlohn  im  ersten  Jahr     •  200  y, 
Besondere  Torschüsse 50  „ 

Summe  1700  fl. 

Von  den  1200  fl*  fiir  Hans,  Land  und  Kühe  be- 
lahlen  sie  die  Rente  von  60  fl*  Die  Ausgabe  von 
800  fl.  für  Hausgeräthe,  Kleidungsstücke  und  Vorschüsse 
wird  ihnen  als  Schuld  zur  Last  geschrieben,  die  sie 
mit  25  fl.  jedes  Jahr  abtragen  müssen.  Ueberdles  hat 
jede  Haushaltung  jährlich  50  fl.  zu  dem  Fonds  für 
Feldarbeit  beizutragen,  woraus  der  Taglohn  für  die 
Feldarbeiten,  welche  alle  yon  den  Kolonisten  gemein- 
schaftlich gethan  werden,   bezahlt  wird. 

Die  Kleidung,  welche  sie  ziemlich  theuer  be- 
sahlen  müssen,  weil  sie  in  den  Kolonien  bereitet  -wird, 
erhalten  sie  sowohl  dem  Stoff  ab  dem  Schnitt  nach 
Ton  der  Gesellschaft,  und  müssen  die  bestimmte  Form 
beibehalten,  damit  der  Modesucht  vorgebeugt  werde. 
Die  Farbe  der  Kleidung  ist  dunkelblau,  mit  einem  hell- 
bhaen  Rande.  So  lange  sie  nicht  abbezahlt  ist,  wird 
Qir  Zustand  wöchentlich  untersucht 

So  lange  ein  Kolonist  noch  nicht  zuverlässige  Be- 
weise von  Fleiss  und  Sparsamkeit  gegeben  hat,  gehört 
er  lur  dritten  (letzten)  Klasse,  und  ist  verpflichtet, 
der  Kolonialdirektion  jährlich: 


IQo 

1)  60  fl.  oder  dea  Werth  davon  fiir  die  Miethe  des 
Haases  und  der  Kiihe,  und  50  fl.  zu  dem  Fonds 
fiir  Feldarbeit  zu  entrichten ; 

2)  30  Scheffel  Roggen  einzuliefern,  um  6  Pfund 
Brod  täglich  davon  zu  erhalfen; 

3)  160  Scheffel  Kartoffeln  als  Wintervorrath  einzu- 
liefern, vovon  ihm  wöchentlich  4  Scheffel  vom 
1.  Novbr,  his  1.  August  gereicht  werden; 

4)  25  fl.  zur  Abbezahlung  seiner  Schuld  zu  entrichten ; 
6)  10   Procent  seines  Verdienstes   fiir  den  Verwal- 
tungsfonds ; 

6)  die  HälHe  seines  Verdienstes,  mit  Ausnahm^  der 
wöchentlich  ihm  für  Laden waaren  gegebenen  25 
Stüber; 

7)  das  nöthige  Saatkorn  einzuliefern. 

Die  übrigen  Feldfriichte  werden  zu  seiner  Dispo- 
sition gestellt. 

Dieser  strengen  Einschränkung  und  Bevormundung 
muss  sich  jeder  Kolonist  so  lange  unterwerfen,  bis  er 
sich  ein  grösseres  Vertrauen  erworben  hat.  Sie  ist  nö- 
thig  geworden  durch  die  sittliche  Beschaffenheit  der 
meisten  Familien,  da  di^se,  seit  langer  Zeit  in  Dürf- 
tigkeit lebend,  und  vielfach  durch  Unordnung  und 
Verschwendung  dazm  herabgesunken,  nicht  zu  sparen, 
noch  einzutheilen  wUssten^  wenn  sie  über  einen  Werth 
von  200  ^ —  30p  fl.  an  Feldfnichten  disponiren  könn- 
ten, wovon  sie  das  ganze  Jahr  hindurch  leben  sollen. 
Auch  der  Leidenschaft  de«  Branntweintrinkens,  welcher 
sehr  Viele  qnterthan  isind ,  soll  obige  £iarichtttng  ent- 


107 

gegcnwirken,   so  wie   denn  anch  in  keinem  Laden  der 
Kolonien  Branntwein  verkauft  werden  darf. 

Die  Kolonisten,  welche  dnrch  Fleiss  und  gutes  Be- 
tragen sich  ein  grösseres '  Vertrauen  erworben  haben, 
erhalten  zur  Auszeichnung  eine  kupferne  Medaille, 
die  an  einem  orangegelben  Bändchen  getragen  wird, 
ond  mit  der  UmschriA:  Belohnung  guten  Betra* 
gens,  so  wie  mit  dem  Namen  des  Trägers  versehen 
ist,  und  steigen  zur  zweiten  Klasse  auf.  Sie  sind 
nur  verpflichtet,    die  60  fl.  filr  die  Miethe  und  die  60 

fl.  zum   Fonds   für  Feldarbeit   zu    entrichten,    sodann 

• 

36  Scheffel  Roggen  für  das  Brod  einzuliefern,  und 
nachzuweisen,  dass  sie  160  Scheffel  Kartoffeln  Win» 
lervorrath  haben,  womit  sie  bis  zur  neuen  Erndte  der 
Frühkartoffeln  im  nächsten  Jahre  auskommen  müssen. 
Kommen  sie  nicht  damit  aus,  und  müssen  sie  die  Un- 
terstützung der  Gesellschaft  ansprechen,  so  verlieren 
sie  die  Medaille,  und  sinken  wieder  zur  3.  Klasse 
hinab.  Auch  erwirbt  die  Medaille  das  Recht,  an  Sonn- 
nnd  Festtagen  aus  der  Kolonie  zu  gehen,  ohne  £r- 
laubniss  einzuholen. 

Wer  einen  noch  grösseren  Grad  von  Vertraoen 
sich  errungen  hat,  erhält  eine  silberne  Medaille, 
und  steigt  zur  ersten  Klasse  auf.  Er  hat  alsdann 
'  das  Vorrecht,  dass  er  sein  Land  nach  Belieben  ent- 
weder allein,  oder  gemeinschaftlich  bebauen  kann.  Im 
ersten  Falle  isl  er  anch  des  Entrichtens  der  50  fl.  zum 
Fonds  für  Feldarbeit  enthoben.  Ueberdiei  darf  er  je- 
den Tag  ohne  besondere  Eriaobniss  aus  der  Kolonie 
geben« 


108 

Wer  alle  Schnlden  abbezahlt  hat,  erhält  eine  g  o  I- 
d  e  n  e  Medaille,  und  ist  von  allen  Kolonialbestimmnn« 
gen,  ausser  in  Betreff  der  Kleidnng  und  der  Erzie* 
liung  seiner  Kinder,  entbanden^  so  dass  er  wie  ein 
gewöhnlicher  Pächter  behandelt  wird« 

Innerhalb  der  11  Jahre  des  Bestehens  der  Kolo- 
nien haben  nur  70  Kolonisten  die  kupferne,  28  die 
silberne,  und  einer  die  goldene  Medaille  erhal- 
ten« Man  hat  daher,  da  sich  der  aus  diesem  Anf- 
munterungssjstem  erwartete  grosse  Nutzen  nicht  erge- 
ben hat,  in  der  letzten  Zeit  mit  diesen  Preisverthei- 
langen  autgehört.  —  Nach  S.  62  der  ^erzameling  f^an 
reglementaire  ^  ufetten  etc*  sollte  auch  alle  14  Tage 
ein  Fest  gegeben  werden,  wozu  die  sich  durch  gu* 
tes  Betragen  Auszeichnenden  eingeladen  werden  soll- 
ten. Indess  sind  diese  Feste  entweder  gar  nicht,  oder 
nur  eine  kurze  Zeit  hindurch  gehalten  worden,  da  man 
auch  sie  ihrem  Zweck  nicht  entsprechend  fand. 

Die  Beförderungsmittel  der  sittlichen 
und  religiösen  Ersiehung  der  Kolonisten  sind, 
ausser  der  Arbeit: 

1)  eine  strenge  Beaufsichtigung  und  äussere  Zucht; 

2)  die  Bestrafung  der  hartnäckig  Schlechten; 

3)  die  Belohnung  der  sich  rühmlich  Auszeichnenden ; 

4)  Beligions-   und  Schulunterricht. 

1)  Beaufsichtigung  und  äussere  Zucht. 
Der  Reviermeister  ist  gehalten,    wenigstens 
einen  um  den  andern  Tag   alle  Haushaltungen  seinem 
Reviers  zu  besuchen,  und  über  Reinlichkeit  und  Ord- 
nung  darin   lu   wachen.     Der  Rottenführer  muss 


109 

auf  dem  Felde  dafür  sorgen,  dass  von  den  Arbeitern 
nicht  geflucht  9  noch  sonst  Ungesiemendes  geredet  oder 
gethan  werde.  Der  Unterdirektor  hat  wenigstens 
einmal  wöchentlich  jede  Familie  za  besuchen,  nnd  nach* 
snsehen,  ob  die  Reviermeister  ihre  Pflicht  thnn*  Der 
Adjanktdirektor  hat  wenigstens  alle  14  Tage  alle 
Haushaltungen  der  seiner  Au&icht  untergebenen  Kolo- 
Bien  zu  besuchen ,  zuzusehen ,  dass  die  Unterdirekto- 
Ten  nicht  lässig  sind  in  ihrem  Amt,  und  wöchentlich 
dem  Direktor  darüber  schriftlichen  Bericht  zu  erstatten. 
Der  Direktor  soll  jeden  Monat  in  jeder  Kolonie 
eine  gewisse  Anzahl  Familien,  besonders  solche,  wel- 
che die  meiste  Aufmerksamkeit  in  Anspruch  nehmen, 
beiuchen  und  die  Unterbeamten  kontrolliren* 

Jeden  Samstag  versammelt  sich  ein  V erwaltungs- 
rath,  aus  dem  Adjunktdirektor  und  den  Unterdirekto- 
ren bestehend,  worin  die  Angelegenheiten  der  Kolo- 
nien und  der  einzelnen  Familien  berathen  werden. 

2)  Strafen. 
Der    Aufsichtsrath   und   der  Polizeirath 
nntei suchen   und  bestrafen  die  Vergehen  der  Koloni- 
sten auf  die  S.  104  angegebene  Weise« 

3)  Belohnungen. 
Sie  finden  statt  durch  Aufsteigen  in  eine  höhere 
Klasse  u.  s.  w.,  wie  eben  bemerkt  worden  ist; 
4)    a)  Religionsunterricht. 
Die  Protestanten  zu  Friedrichsort  gehen 
lA   die    reformirte   Kirche   zu  VIedder,    einem    ^/^ 
Stande   davon  entfernten  Dorfe.     Der  dortige  Pfarrer 
hilt  jedoch  auch  des  Sonntags  Abends  in  einem  Schul- 


IIQ 

saale  einer  der  Kolonien  fiir  die  Kolonisten  Gottes- 
dienst Wöchentlich  gibt  er  den  grössten  Theil  ^es 
Jahres  faindorch  zweimal  den  Kolonisten  in  verschiede- 
nen Klassen  Religionsunterricht  Für  die  katholi- 
schen Kolonisten  zu  Friedrichsort  Ist  ein  Kaplan 
des  katholischen  Pfarrers  zu  Steen^ykerWolde  ei- 
gens  von  der  Regierung  angestellt  und  mit  600  fl.  be- 
soldet« Jedoch  erhält  er  für  jede  katholische  Koloni- 
stenfamilie,  die  zu  seiner  Gemeinde  gehört,  von  der 
Gesellschaft  eine  Zulage  von  iy2  fl-  Für  den  katholi- 
schen Gottesdienst  jst  ein  besonderes  Gebäude  zu  Frie- 
drichsort errichtet,  das  zugleich  zur  Schule  dient 
Auch  der  katholische  Pfarrer  zu  Steenwykerwolde, 
dessen  Kirche  und  Katechitationen  die  katholischen  Ko- 
lonisten zu  Wilhelmsort  besuchen,  erhält  eine  sol- 
che Zulage,  desgleichen  die  reformirten  Prediger  zu 
Yledder  und  S  teen  wykerwolde.  Die  Protestan- 
ten zu  Wilhelms  ort  gehen  nämlich  in  die  refor- 
mirte  Kirche  zu  Steenwykerwolde,  wovon  sie  zum 
Theil  nur  yi,.,  zum  Theil  aber  auch  %  Stunden  ent- 
fernt sind.  Des  Sonntags  Abends  hält  in  dieser  Kolo- 
nie der  Schul  lehr  er  eine  gottesdienstliche  Vorlesung. 
Die  wöchentliche  Katechisation  geschieht  vom  reformir- 
ten Pfarrer  zu  Stecnwjkerwolde  in  derselben  Art 
wie  von  dem  Pfarrer  zu  Vledder. 

Bibeln,  Gesangbücher  und  Traktate  werden  hin- 
reichend nnter  sie  vertheilt,  und  nach  den  Berichten 
der  Geistlichen  übt  die  Religion  einen  wohlthStigen 
Einfluss  aaf  ihre  Sittlichkeit  und  Zufriedenheit  Noch 
im  letcten   gedruckten   Jahresberichte  von  1828  S.  43 


HI 

rübint  die  permanente  KommUsie  sehr  den  religiösen 
Sinn  der  Kolonisten,  und  bemerkt,  dass  diejenigen  un- 
ter ihnen,  welche  sich  in  letzterer  Hinsicht  besonders 
auszeichneten,  zugleich  die  vergnügtesten,  fle^igsten 
nnd  gehorsamsten  seien. 

Die  Zahl  der  Kolonistenfamilien  zu  Friedrichs- 
ort und  Wilhelms  ort  ist  gegenwärtig,  Ende  1829, 
ivsammen  350,  ^\t  Seelenzahl  2250,  worunter  1782 
Protestanten,  521  Katholiken  und  47  Juden. 
Hierunter  gehören  82  Seelen  den  Beamtenfamilien  an. 
Die  Sterblichkeit  der  Bevölkerung  betrug  wahrend 
des  Jahres  1827  nur  1  von  140.  Seelen. 

b)  Schulunterricht. 

In  Friedrichsort  nnd  Wilhelmsort  sind 
0  Schulen  mit  8  Lehrern,  welche  500  Kindern  Un- 
terricht geben.  Diese  gehen  bis  zum  13*  Jahre  in  die 
Schule,  ein  Th eil  einmal,  ein  Theil  zweimal  täglich 
2  Stunden.  Die  älteren  erhalten  überdies  noch  eine 
Stunde  des  Abends  Unterricht.  Lesen,  Schreiben 
nnd  Rechnen  sind  die  Hauptunterrichtsgegenstände. 
Anch  vaterländische  Geschichte  wird  gelehrt, 
nnd  etwas  Erdbeschreibung,  aber  keine  bibli« 
sehe  Geschichte.  Seit  einiger  Zeit  gibt  es  auch 
Sonntagsschulen,  welche  die  Schullehrer  halten 
und  worin  biblische  Abschnitte  gelesen  und  erklärt  wer- 
den. —  Die  Kolonisten,  welche  ihre  Kinder  nicht  fleis- 
sig  zur  Schule  schicken,   bekommen  keinen  Urlaub. 

Der  Adjunktdirektor  VAN  WoLDA  hat  die  obere 
Leitnng  über  diese  Schulen ,  so  wie  iiber  die  in  den 
Kolonien  za  Annerschan»  und  Yeenhniien*    Er 


i 


112 

ist  gehalten,  wenigstens  einmal  v5chentllch  jede  Schule 
zu  besuchen,  und  monatlich  die  Schulberichte  dem  Di- 
rektor der  Kolonien  einzuhändigen« 

Mach  dem  letzten  Jahresberichte  von  1828  sind 
die  Schulen  in  blühendem  Zustande,  und  hat  sich  darch 
die  Thätigkeit  des  VAN  WoLDA  unter  den  Schul- 
lehrern ein  Verein  gebildet,  welcher  zu  gewissen  Zei- 
ten zusammen  kommt,  und  sich  die  Beförderung  des 
Schulunterrichts,  so  wie  ihrer  eignen  wissenschaftlichen 
Bildung  angelegen  sein  lässt. 

Für  die  leibliche  Pflege  der  Kolonisten  sorgt 
ein  in  Friedrichs  ort  eigens  angestellter  Arzt,  wo 
auch  eine  Apotheke  eingerichtet  ist. 

Was  die  äusseren  Verhältnisse  der  übrigen 
Kolonialbeamten  betrifft,  so  erhält  jeder  Unter- 
direktor, ausser  seiner  Wohnung,  einen  Gehalt 
von  365  fl.,  der  bis  zu  500  steigen  kann,  und  die 
Aussicht,  einen  Laden  zu  halten,  der  300  —  500  fl. 
jährlich  eintragen  kann«  Durch  Eifer  und  Treue  kann 
er  zum  Amt  eines  Adjunktdirektors  der  IL 
Klasse  aufsteigen,  welcher  1000  fl.  Gehalt  und  die 
Aufsicht  über  5  Kolonien  hat.  Ein  Adjunktdirektor 
der  IL  Klasse  kann  zum  Adjunktdirektor  der 
ersten  Klasse  aufsteigen,  welcher  1800  f).  Besol- 
dung geniesst,  und  die  Direktion  über  die  Anlegung 
einer  neuen  Kolonie  erhält. 

Der  Reviermeister  erhält,  ausser  freier  Woh- 
nung, für  jede  Haushaltung,  die  durch  eigenen  Fieiss 
besteht«  und  keine  Schulden  macht,  wöchentlich  4 
Stüber,   und  für  eine  Haushaltung  mit  Waisenkindern 


113 

I 

in  gleichem  Falle  6  Stiiber»  so  dass  sein  Einkommen, 
wenn  er  eifrig  sein  Amt  thnt,  an  5  —  6  fl.  w8chen^• 
lieh  steigen,  im  Gegendieil  aber  auch  in  2  —  8  fl« 
sinken  kann.  Bei  gutem  Betragen  und  Handhabong 
der  Ordnung  in  der  Kolonie  erhält  er  nach  Einem 
Jahr  2  il.  wöchentlich  Zulage.  Er  hat  die  Anssich^ 
zum  Unter  dir  ektor  u.  s.  w»  aufinsteigen« 

Der  Rottenftihi'er  geniesst  12  Stabes  für  ]e* 
den  Tag,  an  welchem  e^  die  Kolonisten  unterrichtet 
Er  kann  zum  Aufseher  bei  der  Anlegung  neüfir 
Kolonien  aufsteigen,  wo  ef  5  ^^  6  f).  wöchentlich  et* 
halt,  u.  s.  w.  zum  Revier meister  titd. 

Der  Kolonist  kann  zum  Rottenführer  beför^ 
dert  werden,  tl»  s.  w«  bis  zum  Adjunkt  direkt  dr 
steiget!. 

Auch  der  Buchhalter,  welcher  neben  freier 
Virohnung  7  fl*  wöchentlich  geniesst,  und  deren  in  je-? 
der  Kolonie  eiaer  zur  Führung  der  Rechnungen  ange- 
stellt ist,  kann  bis  zum  Adjunktdirektor  steigen; 
ebenso  der  Aufseher  über  die  Fabrikarbeil 
bis  zum  Adjunktdirektor  über  die  Fabrikate« 
Auch  deren  befindet  sich  einer  in  jeder  Kolonie,  und 
steht  unter  dem  Direktor  der  Fabrikate,  wel- 
cher die  gesammte  Fabrikarbeit  in  den  Kolonien  i^eitet* 

Auf  diese  Art  ist  dem  Eifer  ^  der  Treue  und  dei^ 
Geschicklichkeit  jedes  Kolonisten  und  Beamten  eine 
weite,  günstige  Aussicht  geöffnet. 

Die  Kolonisten  selbst  sind  theils  dürftige,  je-> 
doch  bürgerlich   ehrbare,    den  Armenverwaltungen  zQf 
II.  8 


( 


114 

Litt  gefallene  Familien,   theils   Waisen-   und  änderte 
Annenkinder,   z.  B.  Findlinge,  welche  von  den  Städ- 
ten ond  Dörfern,  die  sie  nnterfaalten  mnssten,  vermöge 
daes  Contraktf  mit  der  GeBelUchaft  hierher  geschickt 
worden  sind.     Mach   diesem  Contrakt  übernimmt  die- 
selbe von  ihnen  je  0  Waisenkinder,  6  Jahre  und  dar- 
Hber  alt,   welche  for  Eine  Familie  gerechnet,   und  ei- 
nem   kinderlosen    Ehepaare,    oder    einer    kinderlosen 
Wittwe  aur  Erziehong  sngetheilt  werden,  und  2  andere 
arme  ü^amilien, ,  jede  höchstens  zu  6  Personen.    Dage- 
gen bezahlen  sie  jährlich  60  fU  für  jedes  Waisenkind, 
(wogegen  für  die  beiden  andern  Familien  nichts  bezahlt 
wird),   so  lange,    bis  sie   eine   Summe  von  5100  £!•, 
welche   die  Gesellschaft  zum   Behuf  der  Wohnungen, 
Ländereien  und  ersten  Einrichtung  der  3  Familien  auf- 
genommen hat,    also  1700  fl.  (ur  jede  Familie^  nebst 
den  jährlichen  Zinsen   von  5^4  P^ocent  völlig  bezahlt 
haben«     Ebenso  können  auch  die  kontrahirenden  Be- 
hörden, wenn  sie  keine  Waisenkinder  zu  schicken  ha- 
ben,  bloss  arme  Familien  senden,  und   müssen  dann 
lur  jeden  Kopf  einer  Familie,    so   viele   diese   beim 
Eintritt  in  die  Kolonie  hat,  jährlich  25  fl.  so  lange  be- 
aahlen,  bis  eine  Summe  von  1700  fl.  nebst  den  Zinsen 
von   5V2   Procent  für  jede  Familie   völlig   bezahlt  ist. 
Bagegen  verbindet  sich  die  Gresellschaft,    das   von  ihr 
In  Bezug  auf  das  Gütchen  einer  jeden  Familie  aufge- 
Itoramene  Kapital  von  1700  fl.  höchstens   innerhalb  16 
Jahren  abzulösen  und  zu  tilgen,   so  dass  sie  nach  Ab- 
lauf dieser  16  Jahre  den  Kontrabenten  das  Eigenthums- 
.»redit  itif  diese  Kolonistenwohnungen  nebst  den  zu  je- 


115 

<ler  gehörigen  Ländereien  von  wenigstens  1650  Rnthea 
übergibt,    rait    dem   Vorbehalt   jedoch,     dass   sie  (ür 
arme  Familien  oder  Waisen  über   diese  Giitchen  (äö»- 
t^n)  nur  den  Kolonialgesetzen  gemäss  disponiren,  und 
dass  die  Bewohner  jedes  Gütchens  jährlich  der  Gesell- 
schaft 50  fl»  bezahlen ,   wofiir   diese  die  Wohnnngsre- 
paraturen    und    Grandsteuern    fortdauernd    übernimmt. 
Den    erwähnten    Kolonialgesetzen    zufolge    dürfen    die 
Kontrahenten   die   einmal   eingesetzten  Kolonistenfami- 
lien, so  lange  sie  sich  gut  betragen,  gegtfn  ihren  Wil- 
len nicht  versetzen  oder  andere   an  ihre  Stelle  Hetzen^ 
selbst  nicht  nach  Ablauf  der  16  Jahre.     WoUeü  aber 
die   Kontrahenten   eine  Veränderung  der  Familien  mit 
deren  Zustimmung   vornehmen,    so   müssen  sie  zuvor 
das   von  den  Abgehenden  der  Gesellschaft  etwa   noch 
Verschuldete    bezahlen,    so    wie    die   Kosten,    welche 
diese  für   die   Anschaffung  neuer  Kleidungsstücke  und 
Hausgeräthe    hat.      Sollte    jedoch    eine    ganze   Familie 
während    der  16  Jähe  aussterben,   so  dürfen  die  Kon- 
trahenten  eine  andere  Familie  ohne  alle  Vergütung  an 
deren  Stelle   setzen.      Auch   dürfen  sie  sowohl  vor  als 
nach  den  16  Jahren  ohne  Vergütung  die  Personenzahl 
der  Familien  vollzählig  erhalten,    und  anstatt  der  ster- 
benden,  oder  20  Jahre  alt  gewordenen  Waisenkinder 
oder   eignen  Kinder   der  Kolonisten,   — •    welche  beide 
von   diesem  Alter  an  nicht  mehr  bei  den  Aeltern  blei- 
ben  dürfen,    sondern   in   die   gewöhnliche   bürgerliche 
Gesellschaft   zurück   müssen,   —  andere   Kinder   oder 
Personen    einschieben,     jedoch    nur    mit    Einwilligung 
der  Kolonisten  and  der  Gesellschaft«     Lassen  sie  aber 

8* 


IMH 


116 


S  Monate  verlaufen ,   ohne  eine  solche  Lücke  aaszuHil- 
len,  dann  hat  die  Gesellschaft  das  Recht  dazu»  ^ 


*)  Die  oben  stehende  Darstellung  der  freien  Kolo- 
nien ut  aus  der  rersutmeiing  van  regiementaire  en 
organieke  wetten  en  verordeningen  der  Maatschappy 
van  tVeidadigheit  f  Amsterdam  bei  J.  yan  der  Hey 
1820  y  aus  den  huishöudelpke  bepalingen  voor  de  rrpe 
Kolonien  volgens  de  jongste  beeluiten  der  permanente 
.  Kommissie  etc.  eerste  Stukje ,  Amsterdam  bei  J.  van 
DER  Hey  1822,  welche  beide  Schriften  die  Gesell- 
sehaft  herausgegeben  hat,  so  wie  aus  ihren  gedruck- 
ten Jahresberichten  geschöpft»  und  aus  meiner 
Autopsie  im  JlaHre  1827,  so  wie  aus  den  erwähn- 
ten gütigen  schriftlichen  Mittheilungen  der  perma- 
nente Kommietie  selbst,  Ende  1829,  ergänzt.  Sehr 
leid  that  es  mir,  des  in  Edinburg  im  Jahre  1828 
erschienenen  Werkchenjl:  An  aecount  of  the  poor 
eohnies  and  agrieulturai  workhouses  of  the  benevolent 
Society  of  HoUand  nicht  habhaft  geworden  zu  sein. 


117 


«» 


Kolonial '  Erziehungsansiali  zu  Wate- 
ren. Waisen-  und  Bettler stif\e  zu 
Veenhuizen. 


k 


Hihe  MTir  über  die  Licht-  und  Schattenseiieo  der 
freien  Kolonien  nrtheilen,  wollen  wir  zuvor  aacii  die 
andern  Kolonien  der  Gesellschaft  darchwandem,  was  uns 
zugleich  Gelegenheit  geben  wird,  interessante  Vergleichun- 
gen  zwischen  den  ersteren  und  den  letzteren  anzustellen. 
V/ill  man  von  Friedrichsort  aus  die  Kolonien 
zn  Yeenhuizen  besuchen,  so  fuhrt  der  Weg  dicht 
an  der  von  der  Gesellschaft  errichteten  landwirth- 
schaft liehen  Erziehungsanstalt  zu  Waterea 
vorbei«  Diese  liegt  2  Stunden  von  Friedriebsort 
nnd  3  Stunden  von  Veenhulzen,  und  bietet  dem 
Wanderer  auf  dem  Sstündigen,  fast  ununterbrochen 
durch  Öde  Haiden  fuhrenden  Weg  sogleich  einen  an- 
genehmen Unhepunkt  dar.  Ich  vemumte  nicht,  die 
Anstalt  zu  besuchen,  welche  seit  dem  Jahre  1823 
besteht. 


»cS 

Der  Umsicht  der  permßnenie  Kommissie  war  es 
nämlich  nicht  entgangen,  dass  es  der  Gesellschaft  bei 
dem  grossen  Umfange  der  Kolonien  allmäblig  an  tüch- 
tigen Subjekten  zn  Unterdirektoren,  Revier  meistern  u. 
s.  w.  mangeln  werde«  Sie  fasste  daher  den  Plan,  eine 
Erziehungsanstalt  für  die  fähigsten  und  gntgesinntesten 
Kinder  der  Kolonisten  and  Waisenkinder  zu  gründen, 
worin  sie  theoretisch  und  praktisch  den  Ackerbau  er- 
lernten, um  sie  nachher  zu  den  genannten  Beamten- 
steilen  zu  befördern. 

Es  wyrde  auf  einer  kleinen  Anhöhe  ein  Gebäude 
fiir  die  Anstalt  errichtet,  mit  einem  Esssaal,  2  Schlaf- 
sälen, hinreichend  zur  Aufnahme  von  65  Zöglingen, 
mit  einer  Küche,  einer  Wohnung  für  den  Direktor 
und  2  Zimmern  für  Reviermeister.  Das  Gebäude  mit 
den  Bötbigen  Wirthschaftsgebäuden  für  20  Kühe  und 
£iir  die  Ackergeräthschaßen  steht  im  IMittelpunct  von 
100  Morgen  Haideland,  welches  in  4  gleiche  Theile 
Tertheilt,  an  den  Kreuzwegen  mit  Kanadischen  Pap- 
peln besetzt  ist,  sowohl  für  die  Unterhaltung  der  An- 
stalt selbst,  als  auch  zum  praktischen  Unterrichte  im 
Ackerbau  dienen  soll,  und  schon  zu  y^  urbar  ge- 
macht ist. 

An  die  Spitze  der  Anstalt  ist  ein  Schüler  Fbl- 
LENBERG/6,  der  lange  zu  Hofwjl  gewesen,  Mül- 
DBR,  gestellt« 

lA  fand  50  Zöglinge  in  der  Anstalt,  —  im  Jahre 
1828  waren  deren  nach  dem  letzten  Jahresberichte 
59  —,  alle  über  12  Jahre,  alt,  und  ward  von  dem 
geßliigen  Direktor  in  derselben  herumgeführt.    Um  5 


119 

CJhr  des  Morgens  stehen  die  Zöglinge  auf,  geben 
uach  genossenem  Fiiihstiicke  des  Sommers  von  7  — 12 
Uhr  an  die  Feldarbeit^  rohen  von  12  —  2,  arbeiten 
\on  2  —  6  wieder  anf  dem  Felde,  nnd  erbalten  von 
6  —  8  Abends  Unterricht  Im  Winter  werden  'sie 
auch  von  6  —  8  des  Morgens  unterrichtet  Im  Un- 
terrichte sind  3  Klassen*  Die  erste  Klasse  hat  Le- 
sen, Schreiben,  Rechnen,  Anfsätzemachen 
nnd  Yerstandesiibangen.  Die  zweite  hat  theo- 
retischen  Landban,  Naturkunde,  Pflanzen- 
kunde und  Sprachknnde.  Die  dritte  hat  noch 
Geometrie,  Chemie  und  Werkzeugknnde. 
Auch  zeichnen  sie  nnd  werden  zu  gymnastischen 
Uebungen  angeleitet  £iner  der  Schiafsäle  dient  als 
Schullokal,  nachdem  die  Hangmatten  an  die  Decke 
hinaufgezogen  sind»  Die  Bänke  sind  zugleich  Kasten, 
worin  die  Knaben  ihre  Kleider  haben.  Sie  sind  alle 
in  blaues  Tuch  gekleidet.  Auf  den  Knöpfen  steht: 
Opt'oedlngslnstitut  (Erziehungsanstalt),  und  in  der 
Mitte  M.  f.  IP.  (Maatschappy  fan  Weldadigjieid). 
Um  den  Hut  ist  ein  Band  mit  derselben  Aufschrift. 

Jeder  Knabe  erhält  38  Ruthen  Land,  die  er  für 
sich  bearbeiten,  und  nach  seinem  Geschmack  anlegen 
kann.  Die  Erzeugnisse  verkauft  er  an  den  Direktor. 
Um  Dünger  zu  bekommen,  darf  jeder  einige  Schafe 
halten,  die  des  Tags  über  bei  der  He^e,  des  Nachts 
aber  auf  seinem  Lande  sind.  Einelr  derselben  ist  Buch- 
halter, ein  anderer  Unterdirektor,  und  dieser 
hat  2  Ileviermeister  nnttr  sich.  Die  zwei  erste- 
ren  erhallen  wöchentlich  1  fl.,  die  zwei  letzteren  8  Stübr. 


über  den  gewöhnlicbeii  Verdienst«  Die  andern  arbel« 
ien  im  AcGord,  nicbt  im  Taglobn,  um  Faulheit  zu 
verhindern,  und  erhalten  alles  bezahlt.  ^3  des  Ue- 
beryerdienstes  bekommen  die  Knaben  (ur  sich,  %  wird 
als  Kesenrefonds  fut  Krankheitszeit  etc.  aufgehoben. 
Ueber  das  eine  der  ersten  zwei  Drittel  diiHen  sie  dis-* 
poniren ,  da^  andere  wird  bis  zu  ihrer  Entlassung  ver^ 
wahrt  Der  Unterdirektor  muss  für  die  Erhaltung 
der  Geiäthschaften  sorgen.  Auck.  viele  andere  Knaben 
haben  ein  besonderes  Amt,  um  ihre  Kräfte  zu  üben, 
und  müssen  darüber  genaue  RechensohafI  geben. 

Sie  bleiben  in  der -Anstalt  bis  zum  21.  Jahre, 
worauf  sie  entweder  angestellt,  oder  nach  ihrer  bür« 
gerlichen  Heimath  entlassen  werden. 

Der  Religionsunterricht  ist  dürftig.  Nur 
Einmal  wöchentlich  werden  sie  von  dem  Pfarrer  zu 
Vledder  katechisirt*  Des  Sonntags  gehen  sie  wohl 
nach  Vledder  in  die  Kirche,  jedoch  steht  dies  In  ih- 
rem Belieben.  Jeden  Montag  Morgen  wird  in  der  Bi-" 
bei  oder  in  yAn  der  Palms  bybel  poor  da  Jeugd^ 
meistens  aber  in  SalzmAnn's  religiösen  SchriflLea 
gelesen.  Mit  Bedauern  bemerkte  ich  hieraus,  wie  aus 
manchem  Andern,  dass,  wie  sehr  auch  die  Anstalt  in 
ökonomischer  Hinsicht  ihrem  Zwecke  entspricht,  das 
Christenthum  hier  nicht  der  Sauerteig  ist,  der  die 
ganze  Masse  durchgäbret. 

Die  Anätzt  bat  für  ihre  Oekonomle  20  Milchkühe, 
8  Pferde  und  400  Schafe. 

Von  Wateren  wanderte  ich  nach  den  Kolonien 
<a  Veeahüizen»   3  Stunden  von  da.     Der  Weg 


121 

nihrte  vieder  durch  öde,  menschenleere  Haiden,  und 
dieser  Kontrast  Hess  mich  desto  mehr  das  WohlthStige 
der  Unternehmungen  der  Gesellschaft  fühlen ,  welche 
mehrere  tausend  Morgen  Wiuteneien  seit  wenigen  Jah- 
ren in  blühende  Fluren  verwandelt  hat.  Bisweilen  kam 
ich  an  einzelnen  Häuschen  Torbei,  die  mitten  in  der 
Halde  lagen,  von  einigen  wilden  Bäumen  umgeben* 
Einzelne  Bauern  begegneten  mir,  an  deren  Hemdkra- 
gen die  goldenen  Knöpfe  nach  Landessitte  nicht  fehl- 
ten, wie  dürftig  sie  auch  gekleidet,  und  wie  grob  und 
schmutzig  die  Hemden  auch  waren.  2  Taglöhner  gin- 
gen an  mir  vorbei,  jeder  mit  zweierlei  Spaten.  Ich 
liess  sie  mir  zeigen.  Der  erste  war  ein  Spaten  far 
Veengrnnd.  Die  hintere  Hälfte  desselben  war  nn« 
gefähr  wie  unsere  Spaten,  breit  und  viereckig;  aber 
beide  Seiten  nahmen  nach  unten  hin,  sich  etwas  ein- 
wärts kriimmend,  gleichmässig  ab,  so  dass  sie  in  eine 
starke  Spitze  endigten.  Der  zweite  war  ein  Spaten  fär 
Sandgrund,  ungefähr  wie  unsere  Spaten,  mit  dem 
Cnterschiedie,  dass  hier  nur  der  vordere  Theil  und  die 
Rander  von  Eisen  sind,  der  hintere  Theil  aber  von 
hartem  Holz  ist.  Der  Stiel  an  beiden  Spaten  ist  ziem» 
lieh  kurz. 

Ich  durchschnitt  jetzt  einen  Theil  Frieslands, 
und  bemerkte  leicht  wieder  an  der  Sprache  der  Ein- 
wohner, dass  viele  ihrer  Wörter  der  deutschen  Mut- 
tersprache, wie  oben  erwähnt,  ähnlicher  geblieben  sind, 
als  im  Holländischen.  Auch  sah  ich  iiberall  die  einzel- 
nen Bauernhöfe  und   ihre  Aecker  nach   alter  nieder-* 


122 

deaUcher  Sitte  mit  Eichenheclen  und  Bäumen ,    deren 
Beiserholi  alle  8  — -  10  Jahre  gehauen  wird,  umgeben. 
Ermüdet  Ton   der  Uaide  und   von  Regen  durch- 
luUst  kam  ich  des  Abends  nach  den 

Kolonien  an  Veenhuizen. 

*  Sie  bestehen  aus  3  grossen  Gebä'nden ,  gesHcliU 
(Stifte)  genannt^  deren  jedes  ungefähr  10  Minuten  von 
dem  andern  entfernt  ist,  und  waren  ursprünglich  alle 
BOT  Anfjoahme  von  Waisenkindern  bestimmt. 

Die  Untersuchungen  Yolleivhovens  (s.  Bd.  I. 
S.  212)  über  die  Ersiehung  der  Waisenkinder,  beson- 
ders in  dem  Amst^damschen  Alrooseniershaus  und  an- 
dere  susammentreffende  Umstände  hatten  das  Bedürf- 
niss  fühlbar  gemacht,  diese  Kinder  auf  eine  für  Leib 
nnd  Seele  woblthätigere  Art,  als  es  bisher  in  den  mei« 
•ten  städtischen  Waisenhäusern  geschah,  zu  erziehen. 
Die  Wohithätigkeitsgesellschaft  erbot  sich  hierzu,  und 
zwar  auf  eine  für  den  Staat  und  die  Cdrporationen 
viel  wohlfeilere  Weise,  indem  sie  nur  60  fl.  jährlich 
für  jedes  Waisenkind  verlangte,  welches  bei  der  bis- 
herigen Erziehung  im  Durchschnitt  jährlich  114  fl.,  und 
aufs  wohlfeilste  100  fl.  kostet.  Daneben  versprach  sie^ 
zu  je  6  Waisenkindern  noch  2  arme  Familien  unent- 
geltlich zu  übernehmen,  und  je  6  Waisen  ein  Paar 
kinderlose  Aeltern  oder  eine  solche  Wittwe  zu  ihrer 
Erziehung  beueugeben,  '  Dies  geschah  in  den  freien  Ko* 
ionien  schon  von  der  ersten  Zeit  an.  Da  aber  die 
Zahl  dec^  darauf  der  Gesellschaft  theils  von  Waisen- 
baosregenten,  vorzüglich  aber  vom  Staate  angebotenen 


133 

Waisen  zu  gross  wurde,  nm  sie  allein  in  den  frmen 
Kolonien  unterzubringen  und  genug  passende  Pflegeal- 
tern  für  je  6  zu  finden,  so  unternahm  die  Gesellschaft, 
8  grosse  Gebäude  zu  ihrer  Aufnahme  zu  erbauen,  de- 
ren jedes   1200  Waisen  und  100  arme  Familien  auf- 
nehmen sollte.     Diese  letzteren,  die  sogenannten  Ar» 
beitersfamilien  (arbeidershuisgesuvien)  sollten  die 
Waisen  in  der  Feldarbeit  unterstützen,   und  die  Bes- 
seren   derselben   sie   verpflegen   und    erziehen   helfen« 
Zugleich  sollten  diese  Familien,    welche  gemeinschaft» 
lieh  wohnen  und  essen,   und  weniger  freie  Disposition 
Sber  ihren  Verdienst  haben,    als  die  freien  Koloni* 
sten,  aber  doch  mehr  als  die  Strafkolonisten  sn  Om- 
merschans  eine  Mittelklasse  zwischen  beiden  bilden, 
und   das   Kolonislrungssjstem    dadurch   gewissermassen 
vollständig  machen. 

Zu  diesem  Zwecke  wurden  dOOO  Morgen  Haide 
angekauft,  und  ein  breiter,  eine  Stunde  langer  Kanal 
gegraben,  theils  um  die  3  Stifte  selbst  mit  Wasser  zu 
umgeben,  und  eine  leichte  Communikation  mit  Nach- 
barorten zu  bewirken,  thells  um  den  dürrei|  Haidebo- 
den  sowohl  zur  Bewässerung  als  zum  bequemen  Trans« 
pOrt  der  Feld  fruchte  zu  durchschneiden.  Das.  erste  - 
Stift  wurde  im  Jahre  1823  gebaut,  die  beiden  andern 
im  Jahre  1824. 

Da  das  erste  und   dritte  Stift  ganz   gleich  einge- 

I     richtet  sind,  — •  an  Grösse  sind  sich  alle  drei  gleich, 

wie   denn  auch   das  zweite  in  Absicht  der  Säle,   der 

daiwiscbcotiegenden    Aufseberstuben    und  Küchen  auf 

I     dieselbe  Art  gebaut  ist,   —    so  folgt  hier  eine  kurze 


'/ 


124 

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\ 

Beschreibung  de§  dritten  SlUU,  wobei  inao  den  bei- 
gefügten Grundrifis  desselben  vergleiche« 

Dies  Gebäude  ist  ein  Quadrat ,  wovon  jede  Seile 
461  Yi  ^vLss  lang  ist«  £s  schliesst  einen  freien  Raum 
ein,  welcher  an  jeder  Seite  390'  in  der  Länge  hat,  mit 
einem  Zaun  eingeschlossen  ist,  und  zum  Theil  ak 
Spielplatz  der  Kinder  dient.  Die  Vorderseite  des  ein- 
stöckigen Gebäudes,  in  welches  b  der  Haupteingang 
ist,  hat  3  Hauptabtbeilungen.  Die  mittelste,  a  be- 
zeichnet, besteht  aus  22  Wohnzimmern  für  Beamte« 
Sü^ur  Linken  ist  der  Schulsaal  c,  126'  lang,  16'  breit; 
snr  Rechten  ein  Magazinsas^i  fiir  Lebensmittel,  d,  lll' 
lang  und  16'  breit,  unter  welchem  der  Vorrathskelier 
ist.  Darüber,  unter  dem  Dach,  ist  das  Kleidermaga- 
zin. Die  3  andern  Aussenseiten  des  Gebäudes  sind  in 
102  Arbeiterwohnungen  vertheilt ,  e  bezeichnet.  Jede 
dieser  Wohnungen  hat  2  Schlafalcoven,  jede  für  2 
PenPonen^  und  ein  Kamin.  Die  Innenseiten  des  Ge- 
bäudes sind  in  14  Säle  vertheilt.  12  derselben ,  f  be- 
zeichnet, wovon  jeder  96'  lang,  16'  breit,  lO'  hoch 
ist,  sind  für  die  Kinder  zur  Wohnung  eingerichtet« 
Mädchen  und  Knaben  sind  abgesondert«  Auf  jedem 
Saale  sind  80  Kinder,  möglichst  von  gleichem  Alter« 
ßei  je  15  ist  ein  älteres  als  Führer,  bei  den  Knaben 
Marienjo,  bei  den  Mädchen  M a r i n j a  heissend« 
2  Säle  stehen  unter  der  Aufsicht  eines  Saalaufsehers 
und  seiner  Frau,  deren  Wohnung,  h  bezeichnet,  zwi« 
sehen  beiden  Sälen  dergestalt  liegt,  dass  diese  in  der- 
selben der  Länge  nach  übersehen  werden  können.  Je- 
des Kiad  schläft  in  diesem  Saal  iq  seiner  Hangmatte, 


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125 

welche  des  Tags  in  die  Höhe  geiogen  wird.  Des  Som- 
mers stehen  sie  um  5  Uhr,  des  Winters  etwas  spater 
auf,  nnd  nach  genossenem  Frühstück,  wosn  statt  Kaf- 
fee oder  Thee  ^/^  Maass  {half  pirU)  Milch  gegeben 
wird,  gehen  nm  6  Uhr  die  Knaben  über  12  Jahre  mit 
ihren  Marienjos  aufs  Feld,  begleitet  von  den  RcYier- 
meistern  nnd  den  nöthigen  Anfsehem,  welche  aus  den 
Arbeiterfamilien  genommen  sind.  Die  Mädchen  über 
IZ  Jahren,  welche  znr  Feldarbeit  bestimmt  sind,  ge- 
hen um  6  Uhr  in  die  Schule,  und  um  8  Uhr  aufs 
Feld.  Die  kleineren  Knaben  und  Mädchen  werden  un- 
terdessen ans  Seilzupfen,  Wollpflücken  und  Spinnen, 
die  grösseren  Mädchen  ans  Stricken  und  Nähen  ^eseiixL 
Sie  gehen  klassenweise  abwechselnd  in  die  Schule,  2  Stun^ 
den  des  Morgens  und  2  des  Nachmittags.  Die  Knaben 
von  12  — 14  Jahren  gehen  2  Stunden  täglich,  Sommers 
Ton  6  —  8  Abends,  Winters  von  6  -—  8  Morgens 
in  die  Schule.  Die  von  14  —  16  Jahren  haben  3 
Stunden  wöchentlich,  die  von  16  —  20  Jahren  1 
Stunde  wöchentlich  zur  Wiederholung  des  früher  Ge- 
lernten. Des  Mittags  erhalten  sie  zu  ihrem  Essen  im- 
mer Yb  Pfund  Fleisch  oder  Speck,  des  Abends  ein 
Butterbrod  mit  '/^  Maass  Milch ,  so  dass  jedes  Kind 
täglich  Yz  Pfand  Brod,  3  Pfund  feste  Speisen,  % 
Pfund  Fleisch  oder.  Speck  und  1  Maass  Milch  erhält. 

Bei  je  2  Kindersälen  ist  eine  Küche,  i.  2  der  14 
lonem  Säle,  g,  jeder  lOO'  lang  und  16'  breit,  sind 
XU  Arbeitssälen  eingerichtet,  der  eine  für  Leinen-  und 
WoUenweberei,  der  andere  zur  Näb-  und  Strickschule. 
Dazwischen  ist  der  hintere  Ausgang,  k.     Düber  diesen 


-f*«^-*T2., 


12ß 

SSlen  i;it  onter  dem  Dach  ein  dllgemeiner  Arbeitssaal, 
192'  lang,  32'  breit,  aod  dient  zn  einer  Schneiderei, 
einer  Schu&terei,  für  die  Wollkämmer,  für  die  Wolle- 
und  Flachsspinner  und  andere  Fabrtkarbeit,  welche  ver- 
schiedenen Arbeiter  jedoch  von  einander  abgesondert 
sind.  .Das  Dach  ist  ein  gebrochnes.  —  Um  das  Ge- 
bände  geht  rings  ein  Kanal,  sowohl  zur  leichteren  Zn- 
fohr,   als  auch  zur  Abschliessnng  dienlich« 

Für  die  600  Kinder  in  diesem  Stift  sind  3  Lehrer 
angestellt,  nnd  6  (ur  das  erste  Stift,  wo  1200  Kinder 
sind.  Aach  erhalten  sie  regelmässigen  Religionsunter- 
richt von  dem  evangelischen  und  katholischen  Pfarrer« 

Die  Disciplin  wird  von  einem  Rath,  der  ans 
dem  Adjanktdirektor,  den  beiden  Unterdirektoren  nnd 
2  Saalaafsehern  besteht,  geübt,  welcher  die  schuldig 
befundenen  Kinder  nach  einem  festen  Reglement  straft^ 
nnd  zuerst  zu  einer  Verminderung  der  Essensportion 
für  1  oder  mehrere  Tage,  oder  zur  Einsperrung  ver- 
urtheilt  Hilft  das  nicht,  so  wird  das  Kind  für  1  oder 
mehrere  Wochen  auf  den  Disciplinarsaal  gethan,  wo 
es  körperliche  Züchtigung  erhält. 
Ein  Kind  v.   6  —  9  Jahr,  muss  wöchent  35  Cts.  verdienen, 

»»        yy     fi     9  —  12      „         ^        ,,     ,,       70     99       99        99 
n        i»!wl2  — 16      „         rt        „      lfl.5      „        „         y^ 

„Kniibe„  16-20     „       „„1„40„^       „ 
„Mädch.„  16-20     „        „       ,,1^25„      „       ^ 
Von   dem  Ueberverdicnst  erhalten  sie  V3  als  Ta- 
schengeld,   %   wird  für  sie  in   die  Sparkasse   gethan, 
und  %  erhält  die  Gesellschaft  für  Zeiten,    wo  sie  ih- 
ren Unterbilt  nicht  ganz  verdienen  können« 


127 

Das  mitttelste  Stift,  welches  «nprungUcb 
auch  (ur  Waisen  bestimmt  war,  mnsste  jedoch  znr 
Aa&ahme  von  Bettlern  eingerichtet  werden,  weil 
die  Zusendung  von  Waisen  bald  nach  Errichtung  die- 
ser Anstalten  ins  Stocken  kam.  Das  Publikum  war  gros- 
WAtheils  von  Anfang  schon,  nnd  wurde  noch  mehr 
dieser  Art  der  Waisenerziehung  abhold,  theils  aus  al- 
ler Liebe  zu  seinen  von  den  Yätern  gestifteten  und  so 
bage  mit  vielen  Aufopferungen  erhaltenen  städtischen 
Waisenhäusern,  theils  aus  Erkenntniss  der  Mängel,  wel- 
At  die  Waisenerziehung,  vorzüglich  in  den  freien 
Kolonien  hatte,  und  die  von  der  Gesellschaft  selbst 
nicht  geleugnet  werden  konnte,  theils  ans  Vomrtheil 
gegen  die  Armenkolonien  und  aus  Erbitterung  über  die 
«nianfte  Art,  womit  von  der  Regierung  die  Kinder 
ans  den  Waisenhäusern,  zu  welchen  sie  Unterstützung 
gab ,  gegen  den  Willen  der  Regenten  in  die  Kolonien 
transportirt  wurden. 

Die  Einrichtung  der  Bettleranstalt,  welche  die 
innere  Seite  des  Stifts  einnimmt,  ist  ganz  in  der  Weise, 
wie  zu  Ommerschans,  weshalb  ich  die  Beschrei- 
bvog  dahin  versparen  will. 

Die  äussere  Seite  des  Stifts  bewohnen  freie,  und 
iwar  Invalidenfamilien,  welche  der  Staat  hierher- 
geschickt hat.  Auch  die  äussere  Seite  des  dritten  Stifts 
wird  theils  von  Invalidenfamiiien,  deren  mit  denen  im 
2.  Stift  jetzt  180  sind,  theils  von  Arbeiterfami- 
lien bewohnt»  Die  Gesellschaft  kontrahirte  mit  dem 
Staat  und  den  Korporationen  so^  dass  für  jedes  Wai« 
lenkind  jährlich  45  fl.  bezahlt  wurden,   dagegen  sn  je 


128 

I 

9  Kindern  1  anne  FamiKc  and  3  arbeitsfähige  BCttler 
unentgeltlich  geschickt  werden  durften,  oder  dass  auch 
bloss  Bettler  gesandt  werden  konnten^  für  deren  jeden 
aber  jährlieh  35  &  bezahlt  werden  mussten.    Die  freien 
arbeitsfähigen  Familien  müssen  ihren  Unterhalt  verdie- 
nen.     Der  Ueberverdienst  im  Sommer   wird  von  der 
Gesellschaft  theilweise  zurückgehalten  für  die  Winter^ 
und   Krankheitszeit,    theilweise  ihnen  als   Taschengeld 
gegeben.  —  Da  der  Staat  Indess ,   »tatt  kontractmässig    ^ 
bloss   arbeitsfähige  Bettler  ond  Waisen   zu   schicken^   ^ 
auch  viele  arbeitsunfähige  schickte,  so  hat  er  seit  dem.  "jS 
Jahre  1827  sich  verpflichtet,   der  Gesellschafi  zur  Yer^ 
gütung  für  jedes  Waisenkind  unter  13  Jahren  jährlich 
30  fl* ,  und  für  die  arbeitsunfähigen  Bettler  und  andere  . 
erwachsene  Arme  d>^%  £!•  zu  geben,  und  hat  bestimmt^ 
dass  künftig   die  Gemeinden  für  jedes  nach  den  Kolo-  ^ 
nlen  gesandte  Waisenkind  unter  13  Jahren  45  fl*  jähr«» 
lieh,   für  jedes  über  13  Jahren  25  fl«,    für  jeden  ar*-. 
beitsunfähigen  Bettler  52^2  A*»    für  jeden  arbeitsfähl-    2 
gen  25  fl.  jährlich,  und  für  jeden  kränklichen,  gebrech'*    I 
liehen  oder  mit  unheilbarer  Krankheit  behafteten  Bett^ 
1er  und  Waisen  jährlich  65  ü,  zu  bezahlen  haben.   Zn* 
gleich    hat   der  Staat  nach   Aufhebung  der   Zwangsar* 
beitshäus er  für  Bettler  zu  Hoorn  und  Yeere  die  Be*. 
wohner  derselben  nach  den  Kolonialbettleranstalten  aa  . 
Yeenhuizen    und    Ommerschans   .versetzt,    und 
beide  Anstalten  für  Staatsanstalten  erklärt. 

Auch  in  Yeenhuizen,  wie  in  den  freien  Kolonien, 
sind  Laden,  wo  gegen  koloniales  Papiergeld  gekauft; 
werden  kann.     Die  Fabrikarbeit  ist  nicht  ausgedehnt. 


weil  Landbau  immer  die  Hauptsache  bleiben  soll.  Aus- 
ter der  Spinnerei  ist  auch  eine  Weberei  vorhanden, 
eine  Gerberei^  eine  Schmiede,  eine  Schneiderei  und 
Schusterei,  dife  aber  bei  weitem  nicht  hinreichelid^  Ar- 
beit fiir  das  Bedürfniss  der  Anstalt  liefern« 

Zu  jedem  der  3  Stifte  gehören  1000  Morgen  Iläi- 
deland.  Es  sollten  60  Bauernhöfe  (bouwJioepien)  ^  20 
in  jedem  Stift,  deren  jeder  50  Morgen  Land  hätte, 
gebaut  werden.  Bis  )6tzt  sind  aber  erst  21  im  Gan- 
len  gebaut.  Jeder  derselben  hat  16  — ^  20  Kiihe,  und 
muss  eine  bestimmte  Quantität  Butter,  Milch  und  But- 
termilch in  das  Stift  abliefern.  Die  Zahl  aller  auf  den- 
selben befindlichen  Kühe  ist  278,  die  der  Pferde  53, 
und  die  dei*  Schaafe  786.  Von  den  3000  Morgen 
Haideiand  sind  nngeföhr  1000  Morgen  gebaut. 

£ine  besondere  Apotheke  ist  fdr  Veenhulzcfn  ein- 
gerichtet, und  ein  eigner  Apotheker  und  Arzt  ange- 
itellt  Auch  ist  eine  evangelische  und  eine  katholische 
Kirche  gebaut,  und  bei  jeder  ein  besonderer  Pfarrer 
Vom  Staate  angestellt.  Für  die  protestantische 
Gemeinde,  welche  der  würdige,  unerniüdlich  thätige 
Hebrspijng^  früher  reformirter  Prediger  zu  VI  ed- 
der, vorsteht,  ist,  da  sie  alle  Protestanten  der  vcr- 
•chiedenen  Confessionen  umfasst,  ein  besonderes  kirch- 
liches Reglement  entworfen,  und  unter  Genehmigung 
des  Ministeriums  des  Cultus  eingeführt  worden.  Die- 
sem zufolge  hat  sie  auch  dnen  Kirchenratfa,  der 
ans  4  Aeltesten,  4  Diakonen  und  2  Kirchenmeisteru 
besteht,  welche  zur  Hälfte  aus  den  Kolonialbeamten 
liud  znr  Hälfte  aus  den  Hausvätern  der  Kolonistenfa" 
IL  9 


130 

milien  gewählt  werdeo.  Unter  den  3500  Bewohnern 
im  August  1827  waren  2800  evangelisch ,  700  katho- 
lisch. Am  Ende  des  Jahres  1827  hatten  die  3  Stifte 
3590  Bewohner 9  indem  das  erste  1519,  das  aweite  • 
1096,  das  dritte  975  Seelen  zählte,  worunter  jedpch 
die  Arbeiter-  und  Invalidenfamilien  und  die  Bewoh- 
ner der  Bauernhöfe  mitbegnffen  sind«  Unter  diesen 
3590  Seelen  gehörten  208  den  Beamtenfämilien  an. 

Die  Sterblichkeit  betrug  während  des  Jahres 
1827  im  ersten  Stift  1  von  63,  also  die  Hälfte  weni- 
ger, als  die  mittlere  Sterblichkeit  im  Königreich;  im 
dritten  Stift  dagegen  1  von  11,  welches  der  Menge 
der  unter  diesen  Waisen  und  Findlingen  befindlichen 
unehelichen  Kindern  zugeschrieben  wird«  Von  den 
1800  Waisen  in  beiden  Stiften  zusammen  sterben  1 
von  18.  Im-  zweiten  Stift  starb  1  von  13  Bettlern^ 
wdches  Verhältniss  man  der  Menge  alter  und  gebrech- 
licher aus  der  Anstalt  zu  Hoorn  hierher  versetzten 
Bettler  beimisst.  —  61  Waisen  haben  im  Jabre  18'f7 
die  Stifte  heimlich  verlassen,  wovon  jedoch  19  wieder 
zurückgekehrt  sind«  Zu  diesem  Entlaufen  haben  viele 
Bewohner  der  Umgegend  durch  Lockung  und  Verlei- 
tung mitgewirkt.  Nachdem  daher  die  Gouverneure  der 
Provinzen  ernste  Maassregeln  dagegen  ergriffen  haben, 
sind  im  letzten  halben  Jahre  nur  6  entlaufen,  wovon 
4  zurückgekehrt  sind. 

Nach  dem  letzten  Jahresbericht  der  Gesellschaft' 
vom  Jahre  1828  ist  der  Ackerbau  dieser  Kolonien  in 
fortwährendem  Gedeihen,  auch  der  Eifer  und  die  Ge- 
schicklichkeit der  Waisen  in  der  Arbeit  in  erfreulichem 


131 

Zanehiiien,  und  ein  grosser  Thdl  der  freien  Arbeiter- 
familien deissig  und  zufrieden^  so  6äss  IS  derselben 
im  Jahre  1827  zur  Belohnung  für  ihreil  Fleiss  und 
Wandel  m  die  freien  Kolonien  versetzt  worden  sind. 
Der  religiöse  tind  sittliche  ZiisUnd  det  Kolonien  ist 
biernach  dnrch  deti  Eifer  der  beiden  Pfarrer  in  einem 
blühenden  Zustande»  tind  nicht  weiiiger  die  Seholen. 

Von  Veenhtiizen  kehrte  ich  nach  Friedrichs- 
ört  zurtick.  Nicht  weit  von  Veenbüizeü  wurde  icb  auf 
der  Halde  vom  Regen  überrascht ,  nnd  gezwungen, 
mich  in  einen  naheliegenden  friesischen  Baoetn- 
kof  zu  flüchten,  der  Von  mäch'tigen  Eichen  umgeben 
War.  Ich  fand  die  ganze  Bauernfamilie,  die  alten  Ael- 
tern  mit  Tochter,  Schwiegersohn,  dem  kleinen  Edkel, 
der  Magd  und  2  Knechten  am  Tisch  sitzen^  die  Wei- 
ber mit  silbernen  Ohreisen  geschmückt,  und  Thee  ans 
winzigen  Tässchen  trinken,  wozn  sie  Butterbrod  mit 
abgesottenen  Kartoffeln  assen.  In  friedlicher  Eintracht 
liefen  eine  Menge  Küchlein  durch  die  Stube,  junge 
Schwalben  zwitscherten  in  dem  Neste  >  und  der  Hand 
schlief  an  dem  Heerde,  auf  dem  das  Feuer  knisterte» 
Zwei  mächtige  altfränkisöhe  Schränke,  mit  vielfachen 
Schnörkeln  geziert,  nahmen  einen  Theil  der  Stube  ein, 
zwischen  welchen  an  100  porcellanene  Schüsseln  und 
Teller,  mit  einigen  Dutzend  Löffciu  an  der  Wand  zier- 
lich aufgestellt  prunkten. 

Mein  Eintreten  erregte  ihre  Aufmerksamkeit  in  ho- 
hem Grade,  besonders  mein  Regenschirm,  derglei- 
chen Ding  sie  npch  nie  gesehen  hatten.  Ich  musste  ihn 
aufspannen,    und  seine  Beschaffenheit  näher  erklären. 

9  * 


I 


133 

(i  ,1        ■ I 

Sie  wurden  bald  iuti'anlicher,  nnd  der  Schwiegersohn 
fragte  mich  wis9begierig  ^  ob  in  Deutschland  Wiesen- 
oder Feldbau  sei.  Ich  erkundigte  mich  näher  nach  ih- 
ren Sitten  und  ihrer  Lebensart  ^  besah  ihren  reinlichen, 
grossen  Yiehstall^  in  den  unmittelbar  aus  der  Stube 
eine  Thiire  fuhrt ^  da  er  mit  dem  Hause  unter  Einem 
Dache  ist,  nnd  worin  an  20  Kühe  standen.  Aus  al- 
lem ergab  sich,  dass  es  fleissige,  schlichte  Landleute 
Yon  altem  Schrot  und  Korn  waren.  Ich  fragte  weiter 
nach  Bibellesen  und  Ilausgottesdienst^  aber  das  wa- 
ren ihnen  fremde  Sachen ^  und  leider  fand  ich,  dass 
sie  gerade  im  wichtigsten  Puncte,  im  Glauben  an  das 
Wort  Gottes  und  dessen  Gebrauch,  die  väterliche 
Webe  verlassen  hatten.  Auch  hierdurch  bestätigte  sich 
die  mir  öfter  mitgetheilte  Bemerkung,  dass  in  Fries - 
land  vorzugsweise  vor  vielen  andern  Provinzen  Hol- 
lands das  Gift  der  falschen  Aufklärung  tief  eingedrun* 
gen  sei.  —  Ich  ermahnte  sie,  ihre  Pflichten  gegen 
Gott  und  sein  Wort  treuer  zu  erfüllen,  und  verliess 
die  verwundert  mir  Nachstaunenden« 

In  Friedrichsort  gab  mir  der  gefäliige  Direktor 
der  gesammlen  Kolonien,  Vi ss er,  der  Schwager  des 
Generals  tan  den  ßoS€H,  noch  manche  Auskunft 
über  dieselben. 


133 


Beitleransialt  zu  Ornmer$chans.  Be 
urtheilung  der  Kolonien.  Gesell 
schaß  der  Wohlthätigkeit  in  &üdnie- 
derland  und  ihre  Kolonien^ 


Hierauf  reiste  ich  über  Meppel,    lum  Tlieil  wieder 

durch  öde  Haidestrecken,   nach  der  Bettleranstalt 

zu  Ommerschans. 

Sie  liegt  in  der  ProTinx   Overyssel,   und   dient 

Aeils  als  StraAoionie   für  die  fanlen  nnd   nnordentli- 

cben  freien  Kolonisten,  theils  als  Aafbewahmngs -  nnd 

Bessernngsort  der  Bettler. 

Das  Bedürfnis«,  welches  nach  Anlegung  der  freien 

Kolonien  sich  bald  zeigte,  fdr  die  Widerstrebenden, 
TiiSgen  und  Unsittlichen  unter  ihren  Bewohnern  eine 
Straf-  und  Besserungsanstalt  xu  besitxen,  so  wie  der 
Wunsch,  dem  Staate  durch  bürgerliche  nnd  sittliche 
Besserung  der  Bettler  eine  schwere  Last  absunehmen, 
liess  die  Gesellschaft  im  Jahre  1821  m  Ommerschans, 


134 

einem  alten ,  verfallenen  Fort ,  vretches  mitten  in  ei- 
ner Haidegegend,  jedoch  von  fruchtbarem  Boden  liegt, 
und  welches  die  Regierung  ihr  abstand,  diese  unfreie 
Kolonie  anlegen. 

Das  hierzu  ganz  ^nenerrichtete  Gebäude  ist  in  ähn- 
licher Art  wie  die  Stifle  zu  Veenhuizen  gebaut,  und 
unterscheidet  sich  von  denselben  nur  dadurch,  dass  es 
von  keinen  Arbeiterwohoungen  an  der  Aussenseite, 
sondern  von  einer  Mauer  umgeben  ist,  dass  es  2 
Stockwerke  hat,  während  jene  nur  eins  haben,  und 
dass  seiqe  Säle  nur  halb  so  gross,  dah^r  auch  nur 
mit  der  Hälfte  Personen  bevölkert  sind.  Uebrigens 
sind  die  Aufseherstuben  und  Küchen  in  derselben  Art 
zwischen  den  Sälen  angebracht,  wie  zu  Veenhuizen, 
welche  Art  der  Einrichtung  der  Grundriss  des  III.  Stifts 
zeigt. 

Die  Kolonie  hat  2  Hanptabtheilungen,  die  Bett-i 
leranstalt  ui|d  die  Strafkolonie« 

Die  Bcttleranst^lt  hat  2  Theile,  das  Männer^ 
quartier  und  das  W^iberquartier,  deren  jedes 
seinen  besondern  mit  einem  hölzeriien  Gitter  abge-p 
schloss^nen  Hof  hat,  so  dass  die  beiden  Geschlechter 
zwar  nicht  zu  einander  kommen,  aber,  da  bloss  ein 
mehrere  Fns«  breiter  Gang  swiscben  beiden  Höfen  hin- 
läu£t,  doch  einander  sehen,  und  mit  einander  spre«. 
cken  können« 

Ausser  dieser  Ges^hlechtsabsonderung  werden  die 
Bettier  nock  in  5  Klassen  getheilt: 

1)  die  der  Erwachsenen, 

2)  die  der  Disciplinären, 


135 

3)  die  der  Ileranwachseudeu  {JlankomeUngen)^ 

4)  die  der  Kinder,   und 

5)  die  der  Kranken. 

Jede  Klasse  wohnt  in  besonderen  Sälen.  Jeder 
Saal  hat  42  Personen,  welche  des  Nachts  darin  in 
Hangmatten  schlafen,  die  des  Tags  in  die  Höhe  ge- 
zogen werden. 

1)  Die  Klasse  der  Erwachsenen. 

Sic  besteht  sowohl  hei  den  Männern  als  Weibern 
aus  allen,  die  über  16  Jahre  alt  sind.  Die  erwachse- 
neu Männer  müssen  wöchentlich  im  Durchschnitt  IV2 
fl.  verdienen,  und  zwar  120  Cts.  durch. Feldarbeit  und 
30  Cts.  durch  Fabrikarbeit.  Seit  Atn  letzteren  Jahren 
niuss  die  erste  Abtheilung  der  Männer  1  fl.  70  Cts. 
verdienen,  die  zweite  1  fl.  35  nnd  die  dritte  1  fl.  6 
Cts.  Die  erwachsenen  Weiber  müssen  im  Durch- 
schnitt 80  Cts.  durch  Feldarbeit  und  60  Cts,  durch 
Fabrikarbeit  verdienen.  Die  erste  Abtheilung  derselben 
niuss  1  fl.  51,  die  zweite  1  fl.  26  und  die  dritte  98^2 
Cu.  verdienen.  Wenn  die  Jahreszeit  für  die  Fabrik- 
arbeit günstiger  und  im  Feld  wenig  zu  arbeiten  ist,  so 
müssen  sie  so  viel  mehr  durch  die  erstere  verdienen, 
dass  obige  Summe  doch  immer  herauskommt.  Ebenso 
umgekehrt,  wenn  die  Feldarbeit  dringend  ist.  Von 
diesem  Arbeitslohn  wird  ein  bestimmter  Theil  als  Re- 
servefonds für  Krankheitszeiten  zurückgehtiten,  ein  an- 
derer Thcil  für  den  Yerwaltungsfonds ,  woraus  die 
Beamten  etc.  bezahlt  werden,  ein  dritter  für  Feuer  und 
Licht ,  und  ein  vierter  für  die  Kleidung.  Das  Uebrige 
ist  für  das  Essen,    welches  die  Verwaltuiig  nach  einer 


\ 


136 

I 

beätimqatea  Speiüeopdaung  für  jeden  Satl  bereitet»  Was 
sie  über  den  bestimmten  Arbeitslohn  verdienen ,  wird 
ihnen  gutgeschrieben.  Sobald  sie  25  fl.  Ueb  erver  dienst 
haben.  Wenigstens  £in  Jahr  in  der  Anstalt  waren  und 
sich  durch  gutes  Betragen  auszeichnen,  werden  sie  der 
Regierung  zur  Entlassung  vorgeschlagen«  Ebenso  wer 
12^2  fl*  Ueberverdienst  hat  und  wenigstens  2  Jahre  in 
der  Anstalt  war;  endlich  wer  7  Jahre  darin  war,  wenn 
ev  auch  kein  Ueberverdienst  hat. 

2)  Die  Klasse  der  Discipiinären. 

Wer  durch  Faulheit  oder  schlechtes  Betragen  sich 
auszeichnet,  wird  vor  den  DIsciplinarrath  gestellt,  der 
aus  dem  Direktor  der  Anstalt,  2  Unterdirektoren,  dem 
Buchhalter  als  ProtokoUfiihrer  und  2  unpartheüschen 
Saalaufsehem  besteht,  und  im  Fall  der  Schuld  auf  den 
Discipiinarsaal  versetzt.  Hier  bekommen  sie  schlechter 
res  Essen,  können  weniger  Lohn  verdienen  und  wer- 
den nicht  eher  in  ihren  gewöhnlichen  Saal  entlassen, 
bis  sie  120  Cts.  wöchentlich  verdient  und  ihr  Betragen 
geändert  haben.  Bei  schwereren  Vergehen  erhalten  sie, 
fl  wie  mir  in  den  Kolonien  mitgetheilt  wurde,  ebenso  wie 
die  Waisenkinder,   Schläge  mit  dem  Stock« 

3)  Die  Klasse  der  Heranwachsenden,  wel« 
che  aus  den  Knaben,  und  im  Weiberquartier  aus  den 
Mädchen  von  8  —  16  Jahren  besteht.  Die  Knaben 
müssen  wöchentlich  80  Cts.  durch  Feldarbeit  und  40 
Cts.  durch  Fabrikarbeit  verdienen ,  die  zweite  Abthei-» 
lung  derselben  jedoch  nur  1  fl.  1  Ct.  Die  Mädchen 
der  ersten  Abtheilnng  müssen  85  Cts,  und  die  der 
^weiten  15  Cts.  verdienen.     Sie  sind  in  Hinsicht  des 


137 

Essens  in  3  Abtheilungen  vertheilt,  deren  jede  an  ei» 
nem  besonderen  Tische  isst.  Die  von  14  — -  16  Jah-* 
ren  erhalten  y^,  die  von  11  —  14  Jahren  '^d  und  die 
von  8  —  11  Jahren  die  Hälfte  der  den  Erwachsenen 
gegebenen  Nahrang.  Wer  den  bestifnmten  Arbeitslohn 
nicht  verdient,  vrird  entweder  ^uf  den  Disciplinarsaal 
oder  auf  den  I(indersaal  versetzt,  je  nachdem  Faulheit 
ocler  körperliche  Schwäche  d^ran  Schuld  ist. 

4)  Die  Kinderklasse. 

Die  Kinder  unter  8  Jahren  beiderlei  Geschlecht^ 
wohnen  in  eine^l  besopderen  3aale,  unter  der  Auf* 
siebt  von  2  Frafien*  Die  Mütter  von  einem  oder  meh- 
reren Kindern  unter  8  Jahren  dSrfen,  wenn  sie  sicli 
gqt  betragen,  und  ihren  Arbeitslohn  verdienen,  auch 
auf  dem  Kindersaale  wohnen,  und  werden  voriugs- 
weise  zu  Aufseherinnen  gewählt.  Die  grösseren  der 
Kinder  unter  8  Jahren  müssen  wöchentlich  30  Cts. 
durch  Feldarbeit  und  20  Cts.  durch  Fabrikarbeit  ver- 
dienen. Die  Hälfte  ihres  Arbeitslohnes  wird  für  das 
Essen  angerechnet,  */*  "^^  ^^^  Kindern  gutgeschrie- 
ben, y^  erhält  die  Gesellschaft  für  Kleidung  etc.  Das 
Fehlende  für  die  Speisung  gibt  die  Gesellschaft,  indem 
sie  täglich  4  Cts.  für  jedes  Kind  zuschiesst. 

5)  Die  Krankenklasse. 

Der  Yerwaltungsfonds  gibt  wöchentlich  7  fl.  für 
den  Krankensaal,  und  aus  dem  Beservefpnds  jedes 
Kranken  werden  2  Cts.  wöchentlich  genommen.  Dazu 
erhält  jeder,  der  üeberverdienst  hat,  davon  täglich 
5  Cts.  Dem,  der.  kein  üeberverdienst  hat,  wird  diese 
Summe  als  Schuld  ^^igcschriebco ,  die  er  später  abzu- 


138 

rerdicnen  hat.  Es  wird  eine  besondere  Krankenkost 
gegeben,  aoch  bess&e  Betlnng.  Für  je  20  Kranke  ist 
ein  Aofwärter  angestellt,  welclicr  aus  dem  Kranken- 
fonds V/j  fl.  wöchentlich  erhält.  *) 

Die  Strafkolonie  nimmt  einen  abgesonderten 
Theil  ^es  Gebäudes  ein,  und  bat  den  Zweck,  die 
Faulen  oder  Unsittlichen  ans  dcu  freien  Kolonien,  so 
wie  aus  den  Arbeiterfamilien  zu  Vecnhuizen  durch  grös- 
sere Strenge  und  Einschränkung  zu  bessern.  Erst  nach 
einem  2)äLngen  Aufenthalte  in  dieser  Anstalt  und  nach 
gegebenen  Beweisen  von  Besserung  können  die  Straf- 
kolonisteu  hoffen,  in  die  freien  Kolonien  entlassen  zu 
werden» 

Die  Hauptbeschäftigung  auch  zu  Ommerschans  ist 
Ackerbau*  1000  Morgen  Haideland  gehören  dazu, 
wovon  700  urbar  gemacht  sind,  und  100  zur  Scbaaf- 
weide  benutz^  werden.  18  Bauerngüter  sind  von  der 
Gesellschall  um  die  Kolonie  gebaut,  welche  zusammen 
48  Pferde,  357  Stück  Hornvieh  und  144t  Schaafe  be- 
sitzen. Auch  viele  Fabrikarbeit  ist  indess  hier 
eingeführt,  und  mehr,  als  In  den  übrigen  Kolonien, 
namentlich  Weberei,  eine  Schmiede,  Schreinerei,  Kü- 
ferei,  Schneiderei,  Schusterei,   Wagenmachcreij  Spiu- 


♦)  Diese  Einzelheiten  sind  aus  der  am  U.  Decbr.  1822 
für  die  Bettleranstalt  zu  Vecnhuizen,  welche  mit 
der  zu  Ommerschans  gleiche  Einrichtung  und  Ge- 
setze hat,  sanctiouirten  ungedruckten  Hausurdnung 
genommen,  \vclche  mir  durch  die  Güte  des  Ad- 
junktdirektors zu  Veenhuixen  mitgetheiU  worden  ist 


/  139 

nen  von  Flachs  und  Wolle  etc.,   lo   dass  ia  der  Re- 
gel 200  Menschen  damit  beschäftigt  sind. 

Für  die  religiösen  Bedürfnisse  der  Be- 
wohner der  Ommerschans  wird  dadurch  gesorgt,  dass 
für  die  Protestanten  der  reformirte  Prediger  der  ^/f^ 
Stunden  davon  entfernten  Dorfgemeinde  zn  Avereest 
alle  Sonn  -  und  Feiertage  einmal  in  der  Anstalt  Gottes- 
dienst, und  einmal  wöchentlich  Katechisation  hält.  Für 
die  Katholiken  ist  ein  besonderer  Kaplan  vom  Staate 
angestellt,  der  zu  Ommerschans  wohnt.  Zur  letzteren 
Gonfession  gehören  im  Durchschnitt  400 ,  zur  ersteren 
800  Personen. 

Für  den  Schulunterricht  ist  ein  besonderer 
Schullehrer  angestellt.  Alle  Kinder  unter  13  Jahren, 
deren  100  sind,  müssen  die  Schule  besuchen.  Des 
Abends  wird  den  Erwachsenen,  welche  Lust  dazu  ha- 
ben, eine  Stunde  Unterricht  gegeben.  Eine  Sonntags- 
schule ist  hier  nicht.  Pas  Schulhaus  dient  auch  als 
Gotteshaus  für  beide  Confesslonen,  ist  aber  in  schlech- 
tem Zustande,  daher  es  die  Gesellschaft  ausbessern  und 
vergrössern  will. 

Die  SIcherheitsmaassregeln  zur  Verhütaog 
des  Entlanfens  der  Bewohner  bestehen  theils  in  der  Lage 
des  rings  verschliessbaren  Gebäudes ,  und  eines  um 
dasselbe  laufenden  breiten  Wasserkanales ,  theils  darin, 
dass  25  Feldwächter  in  je  5  Minuten  von  einander 
entfernten  Hütten  um  die  Ommerschans  herum  Wache 
halten.  Die  Feldwächler  sind  theils  aas  den  zuverlüssi- 
geren  Bettlern,  theils  aus  den  Invaliden  genommen, 
und  haben  um  ihre  Hütte  ein  Stück  Land  erhalten,  das 


140 

S 

Sie  bebauen  und  von  dessen  Erseagnisse  sie  leben. 
Sie  sind  mit  Flinte  und  Säbel  bewaffnet,  dürfen  aber 
anf  die  Entlaufenden  nicbt  scfaiessen.  Der  Entlaufen- 
den waren  im  Jabre  1827  68,  im.  Durcbschnitt  nacb 
Angabe  der  permanente  Komnüesie  j'abrlicb  25«  Sie 
will,  um  dies  Verhältniss  zu  vermindern,  kiinfUg  keine 
Bettler  mehr,  sondern  bloss  noch  rüstige  Invaliden  zu 
Feldwäcbtern  anstellen. 

Das  Bettlerstift  zu  Veenbuizen  ist  in  äbnlicber 
Art  mit  Feldwäcbtern  umgeben,  welche  jedoch  10  Mi- 
nuten von  einander  entfernt  sind,  weil  das  Terrain 
hier  weniger  Gelegenheit  zum  Entfliehen  gibt.  Auch 
und  der  jährlich  Entlaufenden  hier  im  Durchschnitt 
niur  5. 

Die  Bevölkerung  der  Ommerschans  betrug  Ende 
des  Jahres  1827  1279  Seelen,  worunter  1006  Bettler, 
87  Strafkolonisten,  102,  welche  auf  den  Bauernhöfen 
wohnen  und  84,   die  den  Beamten  angehören. 

Die  Sterblichkeit  betrag  im  Jahre  1827  1  von 
19  Seelen,  und  speciell  von  den  Bettlern  1  von  16, 
wornach  unter  ihnen  die  Sterbh'chkelt  doch  immer  nur 
halb  so  gross  ist,   als  in  den  Bettlerhäusern  des  Staats. 

298  Bettler  sind  im  Jahre  1827  entlassen  wor-t 
den,  wovon  49  auf  den  Antrag  ihrer  Verwandten  oder 
Gemeindebehörden,  114,  die  sich  unter  die  Kolonial- 
truppen anwerben  liessen,  und  135  auf  den  Antrag 
der  Gesellschaft,  weil  sie  nach  einem  jährigen  Aufent- 
halte sich  ein  gutes  Sittenzeugniss  und  über  25  fl.  Ue- 
berverdienst  erworben  hatten,  so  dass  ihnen  3935  Q. 
b9%  Cts.  bei  ihrem  Weggang  ausbezahlt  wurden,  also 


141 


29  fl.  30  Cts.  für  jede  Person.  Der  rückfälligen 
Bettler,  welche  früher  schon  eibmal  aus  den  Bettleran- 
stalten zu  Ommerschans  nnd  Yeenhaixen  entlas- 
sen worden  waren,  befanden  sich  in  beiden  Anstalten 
am  Ende  des  Jahres  1821  35,  welches  nnter  fast  800 
seit  den  4  Jahren  1824  bis  1827  entlassenen  Bettlern 
sicher  eine  kleine  Ansahl  ist 

Dass  die  Sittlichkeit  nnter  dieser  sehr  ver- 
wilderten Klasse  Ton  Menschen  im  Zunehmen  ist,  und 
d^r  Beligions  -  nnd  Schulunterricht  wohlthätig  anf  sie 
einwirkt,  bezeugt  auch  der  letzte  Jahresbericht  von  1828« 

Indem  ich  nun  von  dieser  gewiss  hinreichend  aus- 
ftihrlichen  Darstellung  der  Kolonien  zur  Benr- 
th eilung  derselben  übergehe,  bedarf  ich  wohl  nicht 
erst  ausdrücklich  die  grossartige  nnd  rastlose  Thätigkeit 
%n  rühmen,  welche  der  edle  Stifter  der  Gesellschaft 
und  sie  selbst  in  ihrer  Unternehmung  bisher  entwickelt 
haben.  Die  gegebene  Darstellung  rühmt  sie  von  selbst. 
Ans  eben  diesem  Grunde  bedarf  ich  nicht,  mich  über 
Ihre  grossherzige  Menschenfreundlichkeit  zu  verbreiten, 
welche  sich  eine  gründliche  und  dauernde  Errettung 
der  Masse  Armen  und  Bettler  aus  ihrem  leiblichen  und 
geistlichen  Elende  zum  Ziel  ihres  Wirkens  gesteckt, 
nnd  praktisch  gezeigt  hat,  wie  dies  durch  ibr  Koloni- 
salionssjslera  auf  eine  sowohl  für  die  Unglücklichen  als 
für  den  Staat  selbst  wohlthätigere  Weise  geschehen 
kann ,  als  durch  alle  andern  bisher  angewandten  Mittel. 

£s  ergibt  sich  daher  von  selbst,  dass,  sowohl  für 
die  ^iiederlande,  wie  für  alle  andere  Länder,  welche 
«utcr   der  Last  von  Armen  und  Bettlern  seufzen,  — 


142 

und  welches  Land  seufzt  darunter  nicht?,  wenn  auch 
das  eine  minder  als  das  andere »  —  *)  das  Kolonisa- 
tionssjstem  sowohl  vom  staatswirthschaAlichen  als  vom 
christlichen  Standpancte  aus  höchst  wichtig  sein  muss. 
Um  so  mehr  ist  es  aber  meine  Pflicht ,  strenge  in 
der  Beurtheilang  der  ersten  praktischen  Ausführung 
dieses  Systems  zu  sein,  damit  andere  Länder  bei  der 
Nachahmung  desselben  die  Mängel  und  Gebrechen  ver-* 
meiden  mögen,  an  welchen  die  niederländischen  Ar- 
menkolonien noch  leiden«  **)  Man  sieht  hieraus  schon, 
dass  ich  nicht  in  den  Ton  unbedingten  Lobens  und 
Bewnnderns  derselben  einstimmen  kann,  der  in  der 
Denkschrift  des  niederländischen  Bitters  VOM  KiacK« 
HOFF  über  dieselben  herrscht«  ***) 


^)  Die  Niederlande  hatten  im  Jahre  1821,  ti'o  sie 
5,500,000  Seelen  zählten,  753,218  Arme  zu  emäh-> 
ren,  also  über  14  Proeent.  England  hat  16  % 
Arme  zu  ernähreni  Dänemark  SVs  %'  Ganz  Eu- 
ropa hat  von  178  Millionen  Ein\vohnem  17  Millio- 
nen, also  '/lo  Einwohner  auf  Gemeindekosten  zu 
ernähren. 

**)  Meines  Wissens  hat  noch  kein  anderer  Staat,  als 
Dänemark,  welches  die  Kolonie  Fredericks- 
gabe gegründet  hat,  die  Armenkolonisation  nach- 
geahmt. 

***)  Memoire  sur  tes  Colontes  de  hicnfaisance  de  Frederickt" 
oord  ei  de  Wortel  par  le  Chev.  J,  JR.  £,,  de  KjrcK" 
HOFF,  Brüssel  che»  FR.4NK  1827.  (Er  besuchte  die 
ersterc  Kolonie  im  Jahre  1822,  die  letztere  im  Jahre 
1823).  Mehrere  deutsche  Uebersetzungen  dieser 
Schrift  sind  erschienen,  z.  B.  lieber  die  \Yohlthätig- 
keitskolonien  zu  Friedrichsoord  und  Wortel  vom 
Kitter  von  Kirckhoff,  übertragen  von  F«  A.  RuE« 


i4:t 

Fürs  erste  liegt  es  ichon  in  der  Natur  einer  to 
grossartigen  Unternehorang,  dass  sie  in  ibrer  ersten 
Gesbll  sich  schwerlich  aUbald  gina  Tollkommen  dar-  • 
stellen  wird,  sondern  dass  manche  Fehler  mit  unterge- 
laufen sein  werden.  Fürs  iwelte  spricht  dafür  die  seit 
mehreren  Jahren  fortdanemde  Vermindernng  der  Theil- 
nähme  des  niederländi^cben  Pnbliknms  an  den  Kolo- 
nien, besonders  den  freien  nnd  den  Waisenstiften, 
wie  denn  in  den  ersten  Jahren  die  Gesellschaft  über 
20,000  Mitglieder  lablte,  «eiche  sich  daraof  Tast  jähr- 
lich vermindert  haben,  so  dass  im  Jahre  1826  nur 
13^49  Mitglieder  waren,  and  im  letzten  JahresLericble 
von  1828  über  abermalige  Abnabine  derselben  und 
über  die  forlnährende  gäniliche  Unihäligkeit  vieler  Suli' 
tommitsUn  geklagt  wird.  Wiewohl  nun  nolängbar  man- 
che Vorurtheile  bei  Vielen  hierzu  mitgewirkt  haben, 
nnd  dagegen  anf  der  andern  Seile  Manche  eine  erhä- 
faete  Tbeilnahme  bezeigen,  was  namentlich  mehrere 
belHichtliche  Vermächtnisse  an  die  Gesellschaft  im  Jafare 
1827,  worunter  eins  von  10,000  11.  beweist,  so  findet 
(Ich  doch  hei  nühercr  Erforschung,  dass  nicht  jeder  in 
Betreff  der  Kolonien  ansgesprochcner  Tadel  ohne 
Gmnd  ist. 

Die  Kolonien  theüen  sieb  in  3  Ilanplxweige,  in 
die  Betticranstalten,  in  die  Waisenstifte  nnd 
in  die   freien  Kolonien.     Keiner  der  dret.Zwecke, 

DKA,  Leipzig  ILuiTNAN!«  1S28.  L.  Gam.b  Men- 
schenfreund liclie  Butter  i.  lieft  Trier  1828.  II. 
Wachs  Iteitrüge  znr  Geschichte  der  Vulksbililung 
und  Armciiiini'ge.    Kassel  I82U  Iiei  Boh.v£. 


144 

den  Aitse  drei  Anstalten  erreichen  sollten,  ist  Terfehlt, 
der  eine  jedoch  besser  nnd  YolIständigeE*,  als  der  an- 
dere erreicht  worden* 

Ohne  Widerrede  befriedigen  die  Bettleranstal- 
ten am  meisten  die  an  sie  gemachten  Ansprüche»  wo- 
{Br  schon  das  deutlich  genug  spricht,  dass  der  Staat 
sie  für  Staatsanstalten  erklärt,  und  öffentliche  Bettler- 
häuser  aufgehoben  hat^  um  die  Bettler  aus  diesen  in 
jene  zu  versetzen.  Hier  kosten  die  Bettler  jährlich  35 
fl.,  dort  77  fl.  Während  dort  1  von  1  stirbt»  sterben 
hier  haum  halb  so  viele.  Hier  werden  sie  strenger  zur 
Arbeit  angehalten»  und  dadurch»  so  wie  durch  stren- 
gere Zucht  mehr  zur  Arbeitsamkeit,  zur  Sparsamkeit 
nnd  zu  einem  regelmässigen  Leben  gewöhnt.  Hier  ma- 
chen sie  überdies  dem  Staate  seine  Wüsteneien  urbar^ 
ond  erwerben  dadurch  auch  diesem  einen  dauernden 
Gewinn. 

Gani  ohne  Mängel  sind  aber  au<?h  diese  Anstalten 
nicht.  Ein  Hauptmangel  in  beiden  ist  der  AI  an  gel  an 
aller  Klassifikation»  ausser  nach  dem  Alter  und 
Geschlecht»  welche  bei  der  tiefen  Verdorbenheit  räler 
von  diesen  Sträflingen  besonders  nothwendig  wäre.  Ein 
zweiter  Mangel  ist»  dass  die  Bettler  meistens  erst 
im  Herbst  nnd  gegen  den  Winter  hin  entlassen  wer- 
den» und  die  Subkommissien  der  Orte»  wohin  sie  zu« 
rückkehren»  sich  selten  um  ihre  Unterbringung  bekün»- 
mern.  Beides  erschwert  ihnen»  Arbeit  und  Unterkom- 
men zu  finden.  Sehr  wilnschenswerth  ist  es  dabei  auch» 
dass  auch  ihnen  (xelegenheit  gegeben  werden  möge, 
bei  ihrer   Entlassung  in  die   freien  Kolonien  ilberzu' 


145 

gehen,  ^  wo  sie  alsdano  einen  bcson^ern  Theil  der- 
selben  einnehmen  könntea,  wenn  die  andern  Koloni- 
sten sich  durch  ihre  Gcmeinscbaft  veninehrt  glaoben 
sollten,  —  weil  sie  alsdann  nicht  bloss  ein  danenid« 
Unterkommen  für  sieb  and  die  Ihrigen  ßnden,  son- 
dern auch  dieselbe  Landarbeit,  die  sie  in  der  Bedler- 
kolonie  erlernt  haben.  Es  würde  d;inn  nicht  gesche- 
hen, was  jetil  t.  B.  in  Ommerschans  nicht  selten 
geschieht,  dass  entlassene  Bettler  nach  knraer  Zeit 
freiwillig  wieder  kommen ,  manche  noch  mit  einem 
Theil  ihres  Sparpfennings ,  um  abermalige  Aufnahme 
bittend,  weil  sie  keine  Arbeit  erhatten  könnten.  Aach 
dann  erst  kann  mau  im  etgentUchen  Sinne  von  Bettler- 
Kolonien  sprechen.  Ferner  ist  in  Ommerschans 
die  vielfache  Comninnication  Ewischen  beiden  Geschlech- 
Icrn  nicht  la  billigen,  deren  nnsittliche  Folgen  denn 
anch  schon  nicht  selten  sichtbar  geworden  sind.  End- 
lich ist  hier  bei  der  Menge  evangelischer  Bettler  der 
Mangel  eines  eigens  ftir  sie  angestellten  Seelsorgers 
sehr  fühlbar.  Eine  hinreichende  Pflege  dieser  800» 
grossenllieils  tiefgesunkenen  Seelen,  die  täglich  des  Zn- 
spruchcs  bedürfen,  kann  onnifiglich  darch  einen  Pr^ 
diger  statt  finden,  der  alle  V^oche  einmal  %  Stnaden 
weit  hierher  kommt,  um  in  predigen,  nnd  einmal,  um 
sn  katecbisiren ,  nnd  der  diese  Seelsorge,  wenn  er 
uicht  seine  eigne  Gemeinde  vernachlässigen  will,  nnr 
als  Nebenamt  behandeln  kann,'  Ancb  wird  sicher  darch 
die  Kicbtan  siel  long  eines  besonderen  Predigers  finan- 
siell  wenig  gewonnen.  Redioet  nun  die  Kosten,  wel- 
che das  Yerfolgeo,  Wiedernfgrcifen  nnd  ZorUckbnngen 
II.  10 


■  I  ■■!  fHi^m^m^m^^^m^m^f^la^^^mmmmi^'mmm-mam»^^^  »  inn  IM 


/ 


146 

von  68  Entlaufenen,  —  so  viele  waren  im  Jahre 
1828  entflohen,  —  betragen,  während  ans  der  Bettler- 
anstalt zu  Yeenhuizen,  wo  ein  besonderer  Prediger 
angestellt  ist,  nur  5  entflohen,  zu  welchem  veränder- 
ten Verhältniss  die  fortwährende  wohithätige  Einwir- 
kung desselben,  wenn  auch  nicht  alles,  doch  sicher 
Welei  beigetragen  hat,  so  werden  schon  diese  Kosten, 
addirt  zu  der  Vergütung,  welche  der  Prediger  von 
Avereest  jährlich  erhält,  gewiss  nahe  an  die  Summe 
hinanreichen  j  welche  die  Besoldung  eines  besonderen 
Predigers  kostet  —  Uebrigens  ist  zu  hoffen,  das»,  da 
Ommerschans  jetzt  Staatsanstalt  geworden  ist,  der  Staat 
solche  Besoldung  nicht  sparen  wird« 

Was  die  Waisenstifte  zu  Veenhuizen  be- 
trifft, so  ist  die  physische  Erziehung  hier  in  vieler  Hin- 
sicht besser,  als  die  der  städtischen  Waisenhäuser. 
Die  Luft  ist  reiner,  die  Bewegung  häufiger,  die  Räume 
mm  Wohnen  und  Schlafen  sind  grösser,  die  Gelegen- 
heit zur  Arbeit  durch  den  Ackerbau  mannigfaltiger,  die 
Sterblichkeit  daher  auch  mehr  als  um  die  Hälfte  gerin- 
ger. Jedes  Kind  schläft  hier  allein  in  einer  Hang- 
matte,  welche  mit  einer  Art  dürren  Seegrases  als 
Unterlage  gefüllt  ist«  Ob  aber  dies  Gras,  das  im 
Sommer  zwar  kühlt,  aber  im  Winter  erkältet,  und 
sich  in  Klumpen  zusammenrollt,  die  beste  Unterlage 
ist,  und  oh  die  schräge  Lage  des  Körpers  in  der  Hang- 
matte, wo  die  Brust  zuviel  auf  den  Unterleib  drückt, 
nnd  es  im  Winter  an  beiden  Seiten  des  Schlafenden 
kalt  ist,  wodurch  Gatarrh  und  Diarrhoe  befördert  wer- 
den, der  Gecondheit  so  förderlich  ist,  als  das  Schlafen 


147 


in  Bettstellen,  das  ist  nach  dem  Urtheil,  welches  ein 
sehr  kompetenter  Sachkenner  in  Yeenhuizen  bei  meiner 
dortigen  Anwesenheit  aussprach ,  sehr  zu  bezweifeln, 
£in  grosser  Mangel  ist  ferner,  dass  keine  Klassifika- 
tion unter  den  dortigen  Kindern  ist.  Da  nun  die  Kin- 
der je  80  zusammen  in  einem  Saale  wohnen^  so  findet 
sich  hier  derselbe  Uebelstand  wieder ,  das  massenweise 
Zusammenwohnen  mit  seinen  bösen  Folgen,  das  mit 
I^echt  an  den  städtischen  Waisenhäusern  getadelt  wurde, 
und  das  die  Gesellschaft  anfangs  beseitigen  und  in  eine 
mehr  häusliche  Erziehung  verwandeln  wollte  durch  Ver- 
setzung der  Waisen  in  die  freien  Kolonistenfamilien. 
Der  Geist  militärischer  Zucht,  der  in  allen  Anstalten 
der  Gesellschaft  weht,  findet  sich  daher  auch  hier, 
wirkt  aber  nicht  so  vortheilhaft,  wie  er  auf  die  erwach- 
senen Bettler  wirkt,  auf  die  Erziehung  der  Kinder, 
und  ganz  naliirlich,  weil  bei  dieser  väterliche  Liebe 
vorwalten  soll.  Auch  die  Strafen  sind  daher  streng,  — 
nicht  selten  wird  der  Stock  angewandt,  —  dabei  ist 
die  Art  der  Anwendung  der  Strafen  bisweilen  unzweck- 
mässig, indem  z.  B.  oft  viele  der  straffälligen  Kinder 
zugleich  in  dasselbe  Cachot  gesteckt  werden.  In  die« 
scm  Punkte  mochte  die  liebevolle  Aufsicht  der  Regen- 
ten und  Regentinnen  in  vielen  städtischen  Waisenhäu- 
sern, welche  den  schönen  Vater-  und  Mutterna- 
mcn  mit  so  viel  Recht  verdienen,  den  Waisenstiflen 
den  Vorrang  abgewinnen.  Wie  man  ferner  in  Jenen 
Anstalten  in  Absicht  der  Beschäftigung  der  Waisen  das 
eine  Extrem  befolgt,  dass  fast  alle  zu  Handwerken 
angeführt,  und  nur  sehr  wenige  dem  Ackerbau  gewidmet 

10  * 


u^a»w,«-« 


14S 

werden,  so  war  man  in  diesen  Anstalten  anfanglicL 
zum  entgegengesetzten  Extrem  übergegangen,  dass  die 
Waisen  fast  ausschliesslich  dem  Ackerbau  leben  muss- 
ten,  und  nicht  einmal  die  gewöhnlichsten  Handwerke, 
Schneiderei,  Schusterei  etc.,  sogar  nicht  einmal  für 
den  Selbstbedarf  getrieben  wurden,  um  ja  den  Vor- 
wurf zu  vermeiden,  dass  man  den  Handwerkern  in 
der  bürgerlichen  Gesellschaft  Abbruch  thuc.  Bloss 
Wolle  und  Flachs  wurden  gesponnen.  Indess  gestand 
man  mir  schon  im  Sommer  1827  bei  meiner  dortigen 
Anwesenheit,  dass  man  fühle,  darin  zu  weit  gegangen 
%u  sein,  und  einige  Handwerke  einzuführen  anfange. 
Auch  im  Jahresbericht  1828  wird  bemerkt,  dass  We- 
berei, Schneiderei,  Schusterei,  Färberei,  Maurerei - 
etc.  eingeführt  seien,  und  viele  Knaben  grosse  Ge- 
lehrigkeit in  Handwerken  bewiesen.  Für  solche  Kna- 
ben wäre  es  das  Beste,  wenn  die  Gesellschaft  sie  an 
Waisenhäusern  in  Städten,  wo  mehr  Gelegenheit  zur 
gründlichen  Erlernung  vieler  Handwerke  ist,  als  das 
Sdft  darbieten  kann,  gegen  andere  Waisen  austauschte, 
die  zum  Landbau  fähiger  sind. 

Indem  wir  nun  zu  den  freien  Kolonien  zu 
Friedrichs-  und  Wilhelmsort  übergehen,  müs- 
sen wir  in  ihrer  Beurthcilung  ausführlicher  sein,  wie 
wir  es  auch  in  ihrer  Darstellung  waren.  Denn  unter 
den  verschiedenen  Kolonien  haben  sie  die  meiste  Auf- 
merksamkeit des  In-  und  Auslandes  auf  sich  gezogen, 
das  meiste  Lob  und  den  meisten  Tadel  erfahren.  Ja 
fast  alle  von  In-  und  Ausländern  über  die  Kolonien 
erschienene  Schriften  befassen  ^ich  ausschliesslich  mit 


14t) 

diesen.  Aucb  Italteii  sie  ubiie  ZvreiFcl  die  scImicrigsLe 
Aufgabe  tu  losen,  da  es  hier  darauf  ankam,  den  frei- 
en Armen,  die  durch  keine  Gesetze  des  Staaln  koun- 
ten  gezwangen  werden,  ihre  heimalfaliche  Stadt  mit  der 
Haidc  in  vertanschen,  aach  nicht  lur  Arbeit  in  der 
Art,  vile  die  Bettler,  konnten  gezwungen  werden,  Lnat 
zu  machen,  freiwillig  diesen  scheinbar  wenigstens  ühlen 
Tansch  in  treffen,  freiwillig  sich  in  anhaltender  schwe- 
rer Arbeit  za  bequemen. 

Fragen  wir  nnn  nach  dem  Erfolg,  den  die  Anle- 
^ng  der  Kolonien  hatte:  in  den  enteo  Jahren  war 
er  g!jinzend.  Mehrere  hundert  Familien  wurden  hier 
angesiedelt  und  grosse  Haidcfläclien  nach  allen  Seiten 
in  liebliche  Fruchtfclder  umgewandelt.  Anch  sparte  die 
Gesellschad  keine  MÜhe,  den  Kolonisten  hülfreich  ent- 
gegenzukommen. Sie  gab  ihnen  Vorschnu  an  Lehens- 
luilteln,  an  Kleidern,  an  Geräthichaften ,  an  Vieh, 
■elhst  an  Geld,  um  die  kleineren  Lebensbedürfnisse  lu 
kaufen.  Sie  baute ,  als  die  erste  Art  der  Kolonisten« 
bäuser  zn  wenig  Raum  und  Bequemlichkeit  in  enthalten 
schien,  eine  zweite  Art  Iliiuser,  geräumiger  und  be- 
quemer, als  die  erste.  Sie  legte  Schulen,  SpinosSle, 
Magazine  an.  Viele  Städte  beeilten  sich,  Verträge 
wegen  Zusendung  von  Familien  in  schliessen.  In  we- 
nig Jahren  waren  6  Kolonien  angelegt,  deren  jede 
100  Familien  zu  enthalten  bestimmt  war.  311  dersel- 
ben waren  bereits  im  Jahre  1824  angesiedelt.  Die 
öbrigen  sollten  in  Kurzem  volliählig  werden.  Schon 
dachte  man  an  die  Anlegung  neuer  Kolonien.  — 


tNn«Wi«ai> 


150 


AllinäLlich  aber  fing  die  Theilnahme  des  Publi- 
kums an  zu  sinken,  statt  zu  wachsen.  Nicht  wienige 
Kolonisten  liefen  davon,  und  erfüilten  die  Heimath 
mit  ihren  Beschwerden  über  die  Kolonien.  Die  Un- 
zufriedenheit mit  der  Gesellschaft  wuchs  in  vielen  Städ- 
ten, besonders  durch  die  Wegsendung  der  Waisen  aus 
ihren  Waisenhäusern  nach  Veenhuizen  (vgl.  S.  114]« 
Die  Subscribenten  verminderten  sich  zusehends«  Viele 
Subcommissien  wurden  lau,  und  schickten  keine  Fa- 
milien mehr,  obgleich  die  Häuser  dafür  bereit  stan- 
den« Selbst  die  Zahl  der  vorhandenen  kolonistenfa- 
milien  verminderte  sich,  weil  viele  theiis  ihre  Entlas- 
sung suchten,  theiis  wegliefen,  so  dass  man  die  ß  be- 
stehenden Kolonien  in  3  zusammenziehen  musste,  was 
im  Jahre  1826  geschah.  Nicht  wenige  Häuser  blieben 
leer  stehen,   und  noch   im   letzten  Jahresbericht  von 

1828  wird  geklagt,  dass  von  den  für  40  Familien  be- 
reit stehenden  Häusern  nur  12  durch  neue  Ankömm- 
linge besetzt  worden  seien*  Ebenso  wird  darin  gemel- 
det, dass  71  Personen  im  letzten  Jahre  aus  den  Ko- 
lonien entlaufen  seien«     Selbst  am   Ende  des  Jahren 

1829  überstieg  die  Anzahl  der  Kolonistenfamilien  nicht 
mehr  die  Zahl  von  350. 

Diese  Thatsachen  bezeugen  wenigstens  die  Ab- 
nahme des  äusseren  Umfanges  der  Kolonien,  die  Ver- 
minderung der  Theilnahme  des  niederländischen  Publi- 
kums, und  der  Lust  der  armen  Familien,  Kolonisten 
tu  werden«  Wenn  gleich  dies  letztere  meistens  kein 
gutes  Zeichen  fiir  diese  Familien  selbst  ist,  so  ist  es 
doch  auch  kein  gates  Zeichen  fiir  die  Kolonien,  und 


151 

die  Unichen  hiervon  müssen ,  wenn  incli  nun  Tbeil 
iu  der  Beschaßie&lieit  jeno-  Familien,  docii  nm  an- 
dern Tbeile  in  der  Beichaffenheit  der  Kolouialeioricli- 
tungen  gesncht  werden. 

Die  erste  Ursache  hiervon  liegt  in  der  in 
strengmilitäiischen  Zncbt,  welcher  die  freien 
Kolonisten  unterworfen  sind.  Dass  es  n&thig  war,  diese 
Menschen,  die  meisleni  darcb  Mangel  an  Sparsamkeit, 
Ordnaog  und  FIdss  in  Armnlh  gesunken  waren,  einer 
gewissen  Aufsicht  und  einigen  liescIirSfakungen  in  Be- 
treff der  Arbeit  and  der  Verwendang  des  Erarbeitelen 
an  nnterwerfen,  erhellet  von  seihst.  KLen  so,  dau 
et  hier  schwer  war,  die  rechte  Mitte  in  hallen,  nud  In 
der  Beschränkung  der  Freibett  durchaus  keinen  Schritt 
weiter  tu  geben,  als  die  Krreichnng  der  Kolonialiwe- 
cke  absolut  erforderte.  Diese  Mitte  ist  aber  nicht  ge- 
halten  worden,  was  hei  dem  militärischen  Stande  de« 
Stifters  freilig  um  so  mehr  tu  entschuldigen  ist. 

fiiicbt  bloss,  dass  sie  täglich  auf  das  Zeichen  der 
Glocke  aufstehen  und  an  die  Arbeit  gehen  müssen, 
nnd  bei  der  von  der  Gesellschaft  feslgesetiten  Arbeit 
nnter  steter  Aufsicht  sind  (vgl.  oben  S.  91  and  Miü' 
haudelykt  bepaiM^en  [Hausordnung]  «w  rf»  vrya 
Ksionien,   jImaUrdam  i8aS  S.  n)  *),   londem  diese 

*)  L.  Gii.i.  gibt  düher  mit  Unrecht  in  seinen:  Men- 
Bchenfrruntllicheii  BIAttcrn  I.  Heft8.22,  dent 
Oberberghauptmann  S.  vojt  Gkounkr  eina  Ver- 
wechsflung  der  Strafkolonien  mit  den  freien  Schuld, 
wenn  diesfr  in  seiner  „Reise  durch  das  KOnlf- 
reich  der  Niederlande",  Pusau  1826,  tob  den 


ir.2 

Aufsicht  erstreckt  sich  auch  aof  ihr  Haus  durch  zu 
häufige  und  dadurch  mit  Recht  lästige  Visitationen. 
Nach  S.  108  (vgl.  HuUhoud.  Beped.  S.  43)  hat  der 
Revier nieister  fcde  Haushaltung  wenigstens  alle  2 
Tage  persönlich  zu  inspiciren,  der  Buchhalter  wie 
der  CJnterdirektor  wenigstens  einmal  wöchentlich, 
der  Adjunktdirektor  wenigstens  alle  14  Tage, 
und  der  Direktor  wenigstens  monatlich  eine  gewisse 
Anzahl  Haushaltungen.  Hiemach  hat  eine  Familie  wo* 
chentlich  5  Inspectionen  in  ihrem  Hause  auszustehen, 
in  der  Woche,  wo  der  Adjunktdirektor  kommt,  6, 
und  wenn  sie  gerade  der  Besuch  des  Direktors  trifft, 
1  Inspectionen  in  £iner  Woche.  Dazu  kommt,  dass 
die  Reviermeister  fast  alle  ehemalige  Unteroffiziere  sind, 
und  nicht  immer  die  besten,  sondern  die  selbst  oft 
nnriihmlichen  Schiffbruch  im  Leben  gelitten  haben,   da 


freien  Kolonisten  behauptet,  dass  sie  durch  die 
Glocke  zur  Arbeit  gerufen  ^Mürden,  unter  strenger 
Aufsicht  eine  bestimmte  Zahl  Stunden  arbeiten  müss- 
ten,  durch  Medaillen  zur  Ordnung  und  Thätigkeit 
ermuntert  würden,  und  des  Sonntags  die  Kolonie 
nicht  ohne  specielle  Erlaubniss  %-erlassen  dürften. 
Dies  finde  bloss  in  den  Strafkolonien  statt.  —  Kei- 
neswegs. Alle  diese  und  noch  mehr  Beschränkun- 
gen finden  in  den  freien  Kolonien  statt,  wie  aus 
meiner  obigen,  wörtlich  aus  der  Hausordnung 
und  der  Verzameling  van  rrglsmeniaire  &  organieke 
wetten  en  vcrardeningen  der  Maatichappy  pan  Wel- 
äadigheid^  Amsterdam  1820,  genommenen  Darstel- 
lung derselben  henorgeht.  Gall  braucht  beide 
gedruckte  Schriften  nur  nachzulesen,  um  sich  von 
seinem  Irrthum  zu  überzeugen. 


„  ^ii.  «i.f  ,  j|,j|  ,    .ufi^nm 


153 


bei  ihrer  Wahl  zuviel  auf  die  Anstellangsscbeine  Rück- 
sicht genommera  wird.  Ihre  luspection  geschieht  daher 
nicht  immer  auf  eine  zarte  nnd  passende  Weise ,  so 
dass  die  arme  Familie  kein  noch  so  unschuldiges  Ge« 
heimniss  in  ihrem  Hause  haben  kann,  dass  der  Topf 
in  der  Küche  und  die  Kiste  in  der  Schlafkammer  vor 
dem  Yisitiren  nicht  sicher  sind.  —  Die  Visitation  des 
13uchhalters  hat  zwar,  wie  ich  aus  den  mir  schrift- 
lich gemachten  Mittheilungen  der  Permanente  Kommia-^ 
sie  erfahre,  jetzt  aufgehört;  aber  dennoch  sind  der 
Visitationen  immer  noch  zu  viele« 

Ferner  erhält  der  Kolonist  als  Arbeitslohn  nicht 
bloss  statt  haaren  Geldes  nur  Papiergeld,  was  nirgends 
als  in  den  Kolonialladen  gilt,  sondern  er  ist  auch  ge* 
Wissermassen  gezwungen,  in  einem  bestimmten  Laden^ 
dem  Laden  seines  Vorgesetzten,  zu  kaufen,  da  der 
Unterdirektor  in  jeder  Kolonie  einen  Laden  halten 
darf,  ja  diese  Vergünstigung  ihm  gewissermassen  als 
Besoldung  angerechnet  wird  (vgl.  oben  S.  112  nnd 
Huishoud.  BepaL  S«  8).  Zwar  wird  eben  daselbst  be- 
stimmt, dass,  um  nicht  hierdurch  Ladenzwang  entste- 
hen zu  lassen,  in  jeder  Kolonie  ausserdem  noch  ein 
aweiter  Laden  bestehen  solle,  wo  jeder  Kolonist  kau- 
fen dürfe.  Wer  indess  den  Gang  der  Welt  kennt, 
weiss,  wie  der  arme  Kolonist  es  als  das  Gerathenste 
ffihlen  muss,  sich  seinen  Vorgesetzten  durch  Besuchung 
seines  Ladens  zum  Freund  zu  halten.  Zwar  ist  es 
auch  dem  Kolonisten  nicht  unbedingt  verboten,  sich 
in  einem  Laden  ausserhalb  der  Kolonien  etwas  zu  kau- 
fen, es  ist  ihm  dies  sogar  an  Einem  Tage  wöchentlich 


SB..'  *f 


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Aufsicht  erdtreckt  slcii  auch  aof  ihr  Haus  durch  xu 
häufige  und  dadurch  mit  Recht  lästige  Visitationen. 
Nach  S.  108  (vgl.  Huiahoud.  Bepal.  S.  43}  hat  der 
Reviernieister  Jede  Haushaltung  wenigstens  alle  2 
Tage  persönlich  zu  inspiciren ,  der  Buchhalter  wie 
der  Unterdirektor  wenigstens  einmal  wöchentlich, 
der  Adjunktdirektor  wenigstens  alle  14  Tage, 
und  der  Direktor  wenigstens  monatlich  eine  gewisse 
Anzahl  Haushaltungen.  Hiemach  hat  eine  Familie  wo* 
chentlich  5  Inspectionen  in  ihrem  Hause  auszustehen, 
in  der  Woche,  wo  der  Adjunktdirektor  kommt,  6, 
and  wenn  sie  gerade  der  Besuch  des  Direktors  trifft, 
1  Inspectionen  in  Einer  Woche.  Dazu  kommt,  dass 
die  Reviermeister  fast  alle  ehemalige  Unteroffiziere  sind, 
nnd  nicht  immer  die  besten,  sondern  die  selbst  oA 
nnrUhmlichen  Schiffbruch  im  Leben  gelitten  haben,   da 


freien  Kolonisten  behauptet,  dass  sie  durch  die 
Glocke  zur  Arbeit  gerufen  bürden ^  unter  strenger 
AufHicht  eine  bestimmte  Zahl  Stunden  arbeiten  müss- 
len»  durch  Medaillen  zur  Ordnung  und  Thätigkeit 
ermuntert  ^vürden,  und  des  Sonntags  die  Kolonie 
nicht  ohne  specielle  Erlaubniss  verlassen  dürften. 
Dies  finde  bloss  in  den  Strafkolonien  statt.  —  Kei- 
neswegs. Alle  diese  und  noch  mehr  Beschränkun- 
gen finden  in  den  freien  Kolonien  statt,  >vie  aus 
meiner  obigen,  wörtlich  aus  der  Hausordnung 
und  der  Verzameling  van  regiemeniaire  cfc  organieke 
wetten  en  verordeningen  der  3Iaatschappy  van  Wel- 
dadig/teidj  Amsterdam  1820,  genommenen  Darstel- 
lung derselben  hervorgeht.  Gall  braucht  beide 
gedruckte  Schriften  nur  nachzulesen,  um  sich  von 
seinem  Irrthum  zu  überaeugen. 


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153 

bei  ihrer  Wahl  zuviel  auf  die  Anstellangsscbeine  Rück- 
sicht genommera  wird«  Ihre  luspection  geschieht  daher 
Dicht  immer  auf  eine  zarte  und  passende  Weise,  so 
dass  die  arme  Familie  kein  noch  so  unschuldiges  Ge« 
heimniss  in  ihrem  Hause  haben  kann,  dass  der  Topf 
in  der  Küche  und  die  Kiste  in  der  Schlafkammer  vor 
dem  Yisitiren  nicht  sicher  sind,  —  Die  Visitation  des 
13uchhalters  hat  zwar,  wie  ich  aus  den  mir  schrifl-« 
lieh  gemachten  Mittheilungen  der  Permanente  Kommie^ 
sie  erfahre,  jetzt  aufgehört;  aber  dennoch  sind  der 
Visitationen  immer  noch  zu  viele« 

Ferner  erhält  der  Kolonist  als  Arbeitslohn  nicht 
bloss  statt  haaren  Geldes  nur  Papiergeld,  was  nirgends 
als  in  den  Kolonialladen  gilt,  sondern  er  ist  auch  ge* 
Wissermassen  gezwungen,  in  einem  bestimmten  Laden^ 
dem  Laden  seines  Vorgesetzten,  zu  kaufen,  da  der 
Unterdirektor  in  jeder  Kolonie  einen  Laden  halten 
darf,  ja  diese  Vergünstigung  ihm  gewissermassen  als 
Besoldung  angerechnet  wird  (vgl.  oben  S.  112  und 
Huishoud.  BepaL  S«  8).  Zwar  wird  eben  daselbst  be- 
stimmt, dass,  um  nicht  hierdurch  Ladenzwang  entste- 
hen zu  lassen,  in  jeder  Kolonie  ausserdem  noch  ein 
aweiter  Laden  bestehen  solle,  wo  jeder  Kolonist  kau- 
fen dürfe.  Wer  indess  den  Gang  der  Welt  kennt, 
weiss,  wie  der  arme  Kolonist  es  als  das  Gerathenste 
fühlen  muss,  sich  seinen  Vorgesetzten  durch  Besuchung 
seines  Ladens  zum  Freund  zu  halten.  Zwar  ist  es 
auch  dem  Kolonisten  nicht  unbedingt  verboten,  sich 
in  einem  Laden  ausserhalb  der  Kolonien  etwas  zu  kau- 
fen, es  ist  ihm  dies  sogar  an  Einem  Tage  wöchentlich 


J(--i 


154 


erlaubt y  and  er  belommt  alsdann  hierza  baares  Geld. 
Allein  er  ist  verpflicbtet,  bei  seiner  Rückkehr  das  Ge- 
kaufte seiDem  Beviermeister  Torznzeigen  (vgl.  oben  S. 
103  und  HuUkoud.  Bepal.  &  31).  Nach  einer  frühe- 
ren Bestimmnng  sollte  sogar  ein  Aufseher  ihn  in  die- 
sen Laden  begleiten. 

Erwägt  man  zu  den  erwähnten  Beschränkungen  des 
Kolonisten  noch  die,    dass  er  nicht  nach  eigner  Wahl 
sein  Feld  bestellen  kann,   dass  er  ausser  der  Last  der 
Buckzahlung  des   ihm    gegebenen  Vorschusses  und  der 
Bezahlung   der  Renten   fürs  Haus   etc.   (vgl.   oben  S. 
114)  sich  noch  die  Last  gefallen   lassen   muss,  fremde 
Kinder   aufzuziehen,    und   seine   eignen  im  20.  Jahre 
Ton   sich  in    die  Fremde  zu  treiben ,    gerade  zu   der 
Zeit,    wo  er  alter  und  schwächer  geworden,   zu  seiner 
Stutze  sie  am  ndthigsten  hat,  und  wo  auch  die  Kinder 
in  den  gefährlichsten  Jahren  der  Versuchung  stehend, 
des  Raths  und   der  Mähe  der  Aeltern   am  meisten  be- 
dürfen; erwägt  man  endlich  noch  die  Gefahr,   die  ih* 
nen  hier  droht,   selbst  von  Haus   und  Familie  weg  in 
die  Strafkolonie  versetzt  zu  werden,    alles.   Gefahren, 
Lasten  und  Freiheitsbeschränkungen,   die  er  an  seinem 
früheren  Wohnorte  nicht  kannte,  so  wird  es  Niemand 
wundem,  wenn  der  Kolonist  bei  dem  geringen  Ersätze, 
der  ihm  hier  für  jenes   alles    geboten  wird,   sich  aus 
der  Kolonie  weg  in  die  Heimath  sehnt« 

Denn  was  für  Ersatz  wird  ihm  hier  dargeboten, 
der  ihn  reizen  soll,  Armenkolonist  zu  bleiben?  ^- 
Die  Gewissheit,  in  diesem  Verhältnisse  immer  Arbeit 
und  Brod  zu  finden?  — *  Aber,  wer  die  Armen  kennt. 


J   ■   '     "   .*    .i-'i      ■■■•■Ni»..        laii.         iifw... 


155 


weiss,  dass  sie  In  der  Regel  so  ernsdich  nicht  an  die 
Zukunft  denken,  noch  denken  wollen,  dass  sie  iininer 
hoßen,  doch  wohl  Unterhalt  su  finden,  ohne  dabei  so 
anhaltende  und  lästige  Arbeit,  als  die  Landarbeit  den 
Städtern  dünkt,  than  zu  müssen,  ohne  so  streng  be- 
aufsichtigt und  controllirt  zu  werden,  als  in  den  Ko- 
lonien, und  dass  sie  für  ihr  Alter  um  so  weniger  be- 
sorgt sind,  weil  der  Wohlthätigkeitssinn  Kiederlands 
und  dessen  viele  Anstalten  für  alte  Arme,  als  Alte 
Frauen-  und  Männerhäuser,  Uofjes  etc.  ihnen  Hülfe  ver- 
bürgen« Oder  etwa  die  Aussicht,  M  e  d  a  i  1 1  e  n  zu  erhalten 
und  Feste  mitzufeiern?  —  Aber  wir  haben  oben  ge- 
sehen, wie  wenig  dieses  gefruchtet  hat.  Oder  die  Aus- 
sicht, Pächter  auf  seinem  Gütchen  zu  werden?  — 
Aber  fürs  erste  entmuthigt  ihn  schon  der  Gedanke, 
dass  er  niemals  das  Recht  erhalten  wird,  was  jeder 
andere  Pächter  geniesst,  seine  Kinder  bei  sich  zu  be- 
halten. Fürs  zweite  kann  er  nicht  eher  Pächter  wer- 
den, bis  er  seine  Schulden  an  die  Gesellschaft  bezahlt 
'  bat.  ]Xun  gestanden  mir  aber  die  einsichtsvollsten  Be- 
amten der  Kolonie  selbst,  dass  der  Kolonist,  welcher 
Jährlich  hinreichenden  Unterhalt  für  sich  und  seine  Fa- 
milie auf  dem  Haideboden  erwerbe,  und  keine  neue 
Schulden  zu  den  alten  hinzumache,  nicht  zu  den  trä- 
gen Arbeitern  gehöre,  und  dass  sie  mit  ihm  zufrieden 
sein  müssten.  Solcher  Kolonisten  von  gewöhnlichem 
Fleisse  gibt  es  nun  viele;  dass  aber  von  der  alten 
Schnld  noch  abgetragen  wird,  ist  eine  Seltenheit.  Sehr 
viele  im  Gegentheil  vergrössern  jährlich  ihre  Schuld, 


im.  il'.wi.PWgiegaaMigeeg««g 


15B 

me  ich  denn  z.  B.  im  Sclmldbüchlein  eines  Koloniitteu 
fand :  im  Jahre  1822  267  fl*  Schulden,  im  Jahre  1824 
513  fl.9  im  Anfang  des  Jahres  1827  772  ü:,  im  Au- 
gust 1827  853  11.  2  Cts.  Auch  erklärten  mir  Manche 
sehr  sorgenlos  für  die  Zukunft,  wenn  ich  allein  sie  in 
ihren  Häusern  besuchte:  sie  arbeiteten,  so  viel  sie 
miissten ;  im  Uebrigen  yerliessen  sie  sich  auf  die  ge- 
füllten Magazine  der  Gesellschaft,  und  auf  die  Un- 
möglichkeit, jeden  Trägen  in  die  Strafkolonie  zu  schi- 
cken. — 

Man  ersieht  hieraus,  es  miissen  noch  andere,  als 
die  bisherigen  Mittel  angewandt  werden,  wenn  man 
mehr  als  gewöhnlichen  Fleiss  bewirken,  mehr  als  bloss 
Miethlings-  und  Taglöhnerarbeit  ton  ihnen  haben  will» 
Das  Mittel  hierzu  ist  einfach  s  Man  gebe  ihnen  mehr 
als  blossen  Taglohn,  man  gebe  ihnen  Liebe  zn  Land 
nnd  Heerd,  indem  man  sie  nicht  bloss  zur  Miethe  darin 
wohnen  lässt.  Dann  wird  auch  der  Miethlingssidn  wei«. 
ehern  Mit  Einem  Wort;  Man  gebe  ihnen  eine  Hei- 
math, nnd  Aussicht  auf  ein  Eigenthum!  Wo  diese 
beiden  Antriebe  irgend  Kolonisten  beseelten,  da  be- 
geisterten sie  solche  zu  ungewöhnlichen  Anstrengun- 
gen, und  Hessen  sie  das  Ziel  erreichen.  So  lange 
beide  den  Kolonisten  hier  fehlen,  werden  diese  ferne 
vom  Ziele  bleiben.  Man  gebe  ihnen  also  wenigstens 
die  Aussicht,  Erbpächter  zu  werden,  man  lasse 
ihre  Kinder  bei  ihnen,  und  erlaube,  dass  die  Erwach- 
senen derselben,  welche  in  den  Kolonien  zu  bleiben 
wünschen,  und  sich  dessen  nicht  unwürdig  gemacht 
haben,   unter  einander  heirathen;    man  räume  ihnen^ 


»■HJfclWLKi  I 


157 

wenn  das  älterliche  Haus  für  sie  keinen  Platz  hat,  in 
dessen  Nähe  eins  der  vielen  Häuser  ein,  die  jetzt  leer 
stehen  und  verfallen.  Man  wird  dann  sehen ,  dass  die 
Familien  durch  die  von  der  Natur  selbst  so  fest  ge- 
kniipüen  Bande  der  Verwandtschaft  verbunden,  sich 
weit  mehr  in  der  Arbeit  gegenseitig  unterstützen  und 
dazu  aufmuntern,  als  jetzt,  wo  sie  alle  einander  fremd 
sich  nur  mit  Mistrauen  betrachten,  einer  in  dem  an« 
dern  einen  Spion  der  Gesellschaft  argwöhnt,  und  sie 
daher  ohne  Gemeinsinn  fern  von  einander  bleiben. 
Man  wird  dann  mit  Verwunderung  sehen,  wie  das  Ge- 
fühl, das  süsse  Gefühl  der  Heimath,  die  Besseren  zur 
angestrengtesten  Thätigkeit  spornen,  sie  williger  zum 
Gehorsam  gegen  die  -Anordnungen  der  Gesellschaft  ma- 
chen, — •  deren  oben  erwähnte  Freiheitsbeschränkungen 
freilich  noch  viel  gemildert  und  gemindert  werden  kön- 
nen und  müssen,  -—  und  mehr  als  alles  noch  so  strenge 
Controlliren  und  noch  so  anhaltende  Antreiben  ihren 
Muth  und  Eifer  beleben  wird,  mit  Anstrengung  aller 
Kräfte  nach  dem  Ziele  zu  streben. 

Aber  ist  dann  keine  Uebervölkerung  der  Ko- 
lonien zu  fürchten?  -^  Diese  hat  die  Gesellschaft  al- 
lerdings im  Anfange  gefürchtet,  und  darum  jenes  Prä- 
servativ, die  Entfernung  der  erwachsenen  Kinder,  an- 
gewandt, das  aber  schlimmer  gewesen  ist,  als  das  Ue- 
bel  selbst.  Kaum  wird  sie  das  Uebel  jetzt  noch  fürchten, 
da  sie  schon  seit  6  Jahren  die  Kolonien  sich  nicht 
vermehren,  sondern  vermindern  sieht«  Und  ist  denn 
nicht  Urbarmachung  und  Bevölkerung  der  Haiden  der 
Zweck  der  Gesellschaft?     Wo  ist  aber  bei  den  nner- 


S  ^.'■'"'•«HM*'*»^-''- 


158 

noesslicheii  Haidestrecken,  die  In  diesen  Provinien  noch 
vorhanden,   die  selbst   die  Kolonien  noch  nach  allen 
Seiten   umringen ,    in  vielen  Jahrzehnten  Uebervölke- 
rnng  xu  fürchten?  —  S.  von  GrouneR  hält  in  sei- 
nen erwähnten  Bemerkungen  über  die  Armenkolonien 
swar  auch  jenes  Präservativ   für  nothwendig ,  indem  er 
sagt:     Diirflen  sich  die  Nachkommen   der  Armenkolo- 
nie darin   heirathen   und    ansässig  machen,   so  würden 
sie  über  kurz  oder  lang  die  ganze  Kolonie  inne  haben, 
und   man   hätte  zwar  für  die  Gegenwart,    aber  nicht 
für  die  Zukunft  gesorgt.    Dabei,  meint  er,  blieben  In 
andern    Gegenden    Hollands    noch    Sandsteppen    und 
Sumpfländereien  genug  übrig,   um  die  Kinder  der  Ar- 
menkolonisten,   welche   anderwärts  kein  Unterkommen 
fänden,  darauf  neue  Kolonien  anlegen  zu  lassen.    Diese 
vermehrte  Urbarmachung   der  Haiden   sei   überdiess  in 
staalEswirthschaftlicher  Hinsicht  zu  wünschen.  Auch  seien 
jene  Kinder,    die   auf  den   Haiden   erzogen   worden 
schon  gewöhnt   an   die  Anstrengungen  und  Besiegung 
der   Hindernisse,    welche    deren   Urbarmachung  erfor- 
dere,  und  daher  besonders  dazu  geeignet.  -— 

Aber,  wenn  man  sie  dazu  besonders  geeignet  und 
die  Yermehrnng  der  Urbarmachung  wünschenswerth  fin- 
det, wieviel  natürliclter  ist  es  dann  doch,  die  Kinder 
in  der  Mähe  der  Adlern  sich  ansiedeln  zu  lassen,  wo 
sie  wechselseitig  Hülfe  geben  und  nehmen  können,  in 
der  Gegend,  die  als  ihre  Heiroath  ihnen  besonders 
lieb  ist,  nnd  wo  sie  mit  etwas  Yorschuss  und  Unter- 
stützung von  Seiten  der  Gesellschaft  sich  weit  leichter 
würden  forthelfen  können^  als  in  einer  fremden  Haidc- 


■mMHSaaaaH^ 


159 

gegend  mit  doppelt  soviel  Vorschuss !  Denn  Vorscboss 
müssen  sie  zur  Ansiedelung  auf  llaiden  doch  immer 
haben.    Wer  soll  ihnen  den  aber  anderswo  geben  ? 

Auch   würde  die   Gesellschaft   keinen   besonderen 
Schaden  von  einer  solchen  Familien -Kolonisation  ha- 
ben.    Was   hat   sie  jetzt   für   Vortheil?     Sie  hat  die 
meisten  Kolonisten  in  ihrem  Schuldbuche   mit  grossen 
Vorschüssen,   die  sie  ihnen  jährlich  gemacht,   und  von 
ihnen   bei  den   bestehenden   Yerhältnissen   nie   wieder 
erhält;   sie  muss  noch  jährlich  diese  Zuschüsse  fortset- 
zen,   so   dass   am   Ende   der  16  Jahre   die  laufende 
Schuld  der  meisten  Kolonisten  grösser  sein   wird,   als 
die  erste  Summe  von  1700  fl*     Wer  gibt  der  Gesell- 
schaft diese  ungehenre  Summe  wieder?    Bisher  hat  sie 
durch   die  immer  noch  bedeutenden  freiwilligen   Bei- 
träge,    und    die   grossen   Summen,    welche   sie    vom 
Staate  für  Ueb ernahme  von  Waisen   und  Bettlern  er- 
hielt,  auch  die  grossen  Ausfälle  in   den  Kolonien  de- 
cken können«    Wie  aber  dann,   wenn  jene  Einnahmen 
aufhören,  die  ohnedies  auch  jetzt  grösstentheils  für  die 
Waisen-     nnd    Bettlerstifle   selbst    verwendet  werden 
müssen?  — 

Man  möchte  jedoch  einwenden:  Die  kontrahiren- 
den  Subkommissien ,  Armenverwaltungen  oder  andere 
I  Behörden^  welche  gegen  Zahlung  der  1700  fl.  nach 
dem  Verfluss  der  16  Jahre  das  Eigenthumsrecht  über 
die  Koloriistengütchen  haben,  werden  nicht  einwilligen, 
dass  die  Kolonisten  Erbpächter  werden I  —  Ich  habe 
grosse  Ursache,  das  Gegentheil  in  glauben«  Denn  fürt 
erste   habeo  die  Kontrahenten  nach  16  Jahren  noch 


mttsvm- 


160 

gtf  nicht  die  freie  Disposition  über  dis  GStchen.  Die 
Kolonisten -Aeltem  haben,  me  oben  bemerkt,  das 
Recht,  lebenslänglich  darin  za  wohnen,  und  nur  mit 
ihrer  Einwilh'giing  sich  fremde  Kinder  zur  Erziehung 
zutheilen  zu  lassen.  Selbst  nach  der  Aeltern  Tode 
dürfen  die  Kontrahenten,  so  lange  noch  minderjährige 
Kinder  da  sind,  nicht  eine  volle  Familie  schicken,  son- 
dern nur  die  Personenzahl,  Tiir  die  sie  zuerst  kontra- 
hirt  haben,  vollzählig  erhalten.  Bis  also  die  alte  Fa* 
milie  theils  ausgestorben,  theils  volljährig  geworden  ist, 
können  weit  mehr  als  16  Jahre  vergehen.  Wollen  die 
Kontrahenten  aber  die  alte  Familie  auf  deren  Wunsch 
oder  mit  deren  Einwilligung  mit  einer  neuen  vertau- 
schen, so  müssen  sie,  wie  oben  erwähnt,  die  ganze 
Schuld  der  ersteren  übernehmen,  eine  Last,  die  sie 
selten  zu  tragen  geneigt  sind.  Hijerzu  kommt,  dass 
die  volljährigen  Kinder  der  Kolonisten  in  der  Regel 
zunächst  an  ihre  väterliche  Heimathsorte  zurückkehren, 
also  den  kontrahirenden  Armenverwaltungen  meistens 
wieder  zur  Unterbringung  anheimfallen,  welche  so  leicht 
nicht  sein  mag,  da  sie  meistens  bloss  den  Ackerbau 
erlernt  haben,  und  die  Ileimathsorle  gewöhnlich 
Städte  sind. 

Dieser  Last  sind  die  Kontrahenten  enthoben,  sobald 
die  Kolonisten  Erbpächter  werden.  Auch  wird  es  ih- 
nen, wenn  das  Loos  der  Kolonisten  auf  diese  Weise 
angenehmer  geworden,  weit  leichter  werden,  Armen- 
iamilien  zur  Ansiedelung  in  den  Kolonien  willig  za 
machen,  was  ihnen  jetzt  so  schwerfällt,  und  es  wer* 
den  nicht  so  viele  Kolonisten  aus  den  Kolonien  nach 


^6l 

ihrer  alten  Iletmath  enllaurun,  und  ibncn  wieder  tm 
Versorgung  anlicimfallea,  als  bisher  Jcr  Fall  gewesen, 
Grade  das  bisherige  Beslchea  all  dieser  Lasten  nnil , 
Sorgen  in  Absicht  ihrer  Ärmenkolonlstcn  hat  die  Ar- 
ncnvernallungco  in  den  meisten  Städten  bewogen,  sich 
von  der  Thcilnahmc  an  den  Kolonien  zuriic'Kztiiiehen, 
niid  keine  neue  Kolonisten  mehr  zu  schicken,  ja  wohl 
selbst  die  Kolouistengillchen ,  worüber  sie  contrahlrt, 
im  Stich  zu  lassen.  Das  Wegfallen  dieser  Lasten  und 
Sorgen  und  die  Ans  steht  auf  eine  dauernde  und  gÜick- 
licbc  Versorgung  ihrer  Armen fainilien  überwiegt  daher 
das  jetzige  precäre  Eigcnthumsrecht  der  KontrabenLen 
an  den  Kolon  istengütcben  soweit,  dass  sie  keim  Betlen- 
ken  tragen  werden,  in  eine  Erbpachtnng  einzuwilligen, 
wobei  sie  immer  nocb  Kigenlhümer  bleiben,  und  eine 
jäbrlicbe,  feste  Kcntc  für  ihr  angewandtes  Kapital  er- 
halten. 

Nachdem  ich  die  beiden  Ilaup (gebrechen  der  freien 
Kolonien  aasnibrlicher  behandelt  habe,  brauche  ich  die 
übrigen  Miingel  nur  tun  zu  berübren. 

Der  Kolonist  hat  nicht  genug  Miststoff  für  sein 
Land,  das  ist  ein  drittes  Gebrechen.  Da  er  jetzt 
meistens  nur  Eine  Kuh  erhält,  so  ist  der  Dünger  hier- 
von nicht  hinreichend  fiir  2100  Kotben  Land,  Weil 
es  ihm  aber  zugleich  an  Veen  als  Mislsloff  fehlt,  so 
bat  man,  wie  oben  bemerkt  wurde,  in  den  letzten  Jah- 
ren allerhand  Versuche  gemacht,  künstliche  Surrogate 
für  den  animalischen  Dünger  «tt  erballen,  namentlich 
dnrch  das  Säen  der  Ginstern.  Oh  es  den  erwünschten 
Erfolg  haben  wird,    nrnss  die    Erfahrung   lehren.     Ich 

IL  " 


m^e9iM^M-«!^>4*M*«ia 


J62_ 

hörte  viele  erfahrne  holländische  Landwirthe  daran  zwei- 
feln, —  Warum  die  zweite  Kuh  den  meisten  Kolonislen 
vorenthalten  wird,  die  anfangs  doch  für  alle  verspro- 
chen war,  weiss  ich  uicht«  Die  bisherige  Erfahrung  der 
Gesellschaft,  dass  anch  mit  2  Kühen  die  Kolonisten 
doch  nicht  aus  den  Schulden  sich  herausarbeiten,  mag 
wohl  dazu  mitgewirkt  haben*  Nun  wird  sie,  wegen  der 
unaufhörlichen  Vorschüsse  an  jene,  meinen,  von  dieser 
Seite  sparen  tu  müssen.  Dadurch  aber  werden  die 
Kolonisten  noch  mehr  entmuthigt,  und  kommen  noch 
tiefer  in  Schulden,  weil  ihr  schlecht  gedüngtes  Land 
um  desto  weniger  Erzeugnisse  liefert. 

Ein  viertes  Gebrechen  besteht  darin,  dass  der 
bei  weitem  grösste  Theil  der  freien  Kolonisten,  näm- 
lich der  evangelische  Theil,  nicht  Seelsorge  genug  ge- 
niesst.  Die  Prediger  zu  Vledder  und  Steenwy- 
kerwolde  können  bei  aller  Thätigkeit  die  specielle 
Seelenpflege  bei  den  Kolonisten  nur  in  sehr  geringem 
Grade  ausüben,  weil  Jeder  seine  eigne  Gemeinde  von 
fast  800  Seelen  zu  bedienen  hat,  und  von  den  einzel- 
nen Kolonisten  %  und  %.  Stunden  entfernt  wohnt. 
Grade  die  specielle  Pflege  eines  treuen  Seelsorgers^ 
welcher  die  höchsten  und  wirksamsten  Motive  zum  Fleiss, 
tur  Sparsamkeit,  zur  Zufriedenheit  den  einzelnen  Ko- 
lonisten nahe  brächte,  welcher  täglich  mit  väterlicher 
Liebe  nnd  Ernst  unter  ihnen  weilte,  in  dessen  Schoos 
sie  ihre  Klagen^  und  Sorgen  ausschütten  könnten  und 
würden,  da  sie  in  ihm  keinen  Spion  der  Gesellschaft 
argwöhnen,  würde  kräftiger  zur  Beförderung  einer 
pflichtmäsffigea  Thätigkeit   wirken  ^    als   alle   Beamten- 


■mi  ■  !llL^r>i?'^gJt^*>**    . 

■1^  ■!■    II     1— afci<fc 


161 

Controlle,  und  würde  manchen  Aufseher  ersparen.  — 
Da  überdies  fiir  die  3  —  400  Katholiken  in  Frie- 
drlchsort  ein  besonderer  katholischer  Geistlicher  an* 
gestellt  ist,  so  verdienen  auch  die  1800  Protestanten 
wohl  einen  besonderen  Seelsorger« 

Endlich  klagten  mir  manche  einsichtsvolle  Freun- 
de der  Kolonien,  dass  eine  kn  grosse  Anzahl  Be- 
amter in  den  gesammten  Kolonien  sei.  Diese  geht 
natürlich  aus  dem  strengmilitärischen  Aufsichtssysteme 
hervor,  wovon  ich  oben  bereits  bemerkt  habe,  dass  es 
für  die  freien  Kolonien  nicht  gan2  geeignet  sein  möge« 

Die  vorstehende  Kritik  der  Kolonien  henrkundet 
wohl  deutlich  genug,  welchen  hohen  Werth  ich  diesen 
Anstalten  beilege,  nnd  für  wie  wünschensWerth  ich  es 
halte,  dass  jeder  Staat  ähnliche  Kolonien,  mit  Vermei- 
dung ihrer  Mängel  anlegen,  nnd  dadurch  seinen  Armen 
nnd  Bettlern  ein  dauerndes,  selbsterworbenes  Brod  mit 
Beförderung  ihres  Seelenwohls  verschaffen  möge*  Auch 
unser  Preussen  hat  noch  unangebauete  Ilaiden  ge- 
nug in  Westphalen,  Niederrhein,  Pommern 
und  andern  Provinzen,  um  solche  Kolonien  anzulegen^ 
und  seine  Bettler-  nnd  Landarmenhäuser  sind  vielfach 
noch  solcostspielig)  — -  man  denke  nur  an  die  Pi^o- 
vinzial-Arbeitsanstalt  zu  Branweiler,  wo  ein  Bettler 
dem  Staat  jährlich  66^^  Thlr.  kostet,  nnd  6  —  7  Thlr. 
jährlich  verdient,  und  erreichen  so  unVoUkommen  ihren 
Zweck,  die  Menschen  gebessert  der  bürgerlichen  Ge- 
sellschaft als  nützliche  Glieder  toriickzugeben,  dass  sehr 
Vieles  von  jenen  Anstalten  Kiederlands  mit  gros* 
sem  Nutzen  nachgeahmt  werden  könnte. 


=.Tr=nr-«w\  ■ 


i6i 


Wie  in  dem  LAndarmenhansc  zn  B c  n n i  gh  a n  - 
sen  schon  manche  Ideen  derselben  mit  Erfolg  benutzt 
worden  sind,  habe  ich  im  Band  I.  S.  376.  377,  be- 
merkt. Auch  hier  bildet  freilich  die  Summe  von  53 
Thlrn.,  welche  jeder  Bettler  jährlich  kostet,  noch  einen 
grossen  Abstand  gegen  die  35  fl.  (19  Th.  13  Sg.  4  Pf.) 
der  Bettlerkolonien*  Mag  man  dieser  niedrigen  Summe 
nie  in  Deutschland  ganz  gleich  kommen^  wegen  de^ 
in  Holland  viel  höheren  Arbeitslohnes,  so  würde 
man  sich  derselben  doch  auf  obige  Weise  sehr  nähern 
können. 

Sehr  wünschenswerth  wäre  ferner,  wenn  fiir  die- 
jenigen entlassenen  Gefangenen,  welche  entwe- 
der heimathlos  sind,  oder  in  ihrer  Ileimath  kein  Un- 
terkommen finden  können,  weil  das  Publikum  ihrer 
Besserung  nicht  tränt,  ihnen  keine  Arbeit  gibt  und  Nie* 
mand  es  mit  ihnen  riskircn  will,  wodurch  sie  denn  zn 
nenem  Betteln  oder  Stehlen  gleichsam  gezwungen  wer- 
den, Kolonien  ähnlich  denen  zu  Friedrichs  ort  er- 
richtet würden.  Alsdann  würde  sowohl  den  arbeits- 
scheuen Entlassenen  alle  Ausflucht  benommen,  dass  sie 
keine  Arbeit  finden  könnten,  als  auch  den  arbcitslnsti- 
gen  Gelegenheit  gegeben,  ihre  Besserung  zu  bcthäli- 
,  gen,  und  ehrlich  ihr  Brod  zu  verdienen.  Dass  die 
niederländische  Gcfängnissgescllschaft 
schon  längst  mit  einem  solchen  Kolonisirungsplane  für 
Entlassene  umgeht,  habe  ich  S.  239  des  1.  Bandes 
bemerkt. 

Zur  vollständigen  Ucbersicht  der  niederländischen 
Armenkolonieu  folge  hier  noch  eine  kurze  Notiz  über 


165 

die  im  Süduiederiaad  bestehenden«     Im  J.  1822 
bildete  sich ,  au%emuntert  durch  die  Erfolge   der  Ko- 
lonien in  Jen  nördlichen  B^vinxen,   auch  im  Siidoie- 
dorland  eine  Gesellschaft  der  Wohlthätigkeit 
zur  Anlegung  von  Armenkolonien.     Ihr  Mittelpunkt  lA 
in  Brüssel,  und  ihre  Statuten  sind  dieselben,  wie  die 
der  Gesclkchaflt  in  Mordniederland,  ohne  dass  sie  übri- 
gens  mit  dieser  nähere  Verbindung  hat.    Die  Anzahl 
iljrcr  Mitglieder  war  im   Anfang  über  13,000;   gegen* 
wärtig  schätzt  man  sie  auf  11,000.    Sie  hat  2  freie 
Kolonien  zu  Wortel   in   der  ProTini  Antwerpen 
in  einer  grossen  Haideßäche  angelegt,  worin  gegenwSr-* 
tig  540  Seelen  in  133  Häusern  wohnen.    Im  J.  182ft 
legte  s^e  nicht  weit  davon  sn  Rjkewesel   auch   eine 
Dcttlerkolonie  an,  worin  gegenwärtig  816  Perso- 
nen sind,  und  deren   Ilauptbeschäftigung  ebenfalls  Be- 
bauung der  Ilaiden  ist.    Auch  hier  gibt  der  Staat   der 
Gesellschaft  nur  35  fl.  jährlich  für  jeden  Bettler.    Der 
Dircctor    dieser    Kolonien    ist   Hauptmann   VAN  DEir 
Bosch,   ein  Bruder   des   Generals.     Ihr  Zustand  soll 
bUibend  sein.    Die  Gesellschaft  gibt  zur  grösseren  Be- 
lanntwerdung  ihrer    Wirksamkeit  und    des   Zostandes 
der  Kolonien  seit  dem  J.  1822  eine  Zeitschrift  heraus: 
Z,e  Philanthropen  recueil pubüe par  ordre  de  la  Com» 
jtiisslon  Permanente  de  ia  Societe  de  hienfaisance^  eta- 
hUe  dans  les  Propinces  meridionalea  du  Royaume  des 
^ayS'Bas,  Bruxellee  chez  Weiesenbruclu    Alle  2  Mo- 
nate erscheint  ein  Heft.   In  ähnlicher  Art  gibt  die  nörd- 
liche Gesellschaft  seit  längerer  Zeit  eine  Zeitschrift  her- 
aus, zuerst  unter  dem  Titel :  de  Siar,  seit  dem  J.1827 


i 


166 


jbc^pntcip  dem  Titel:  Vriend  des  Faderlanda^  een 
tydachrifij  toegeuyd  aan  den  roem  en  de  weU^ßort 
U€m  Nederland,  en  in  kit  byzonder  f>an  de  hidpbe- 
hmfügen  in  hetMeU^e,  AflAlerdam  bei  /•  van  der  Hey. 
Sie  eotbült  auch'  Recensionen  über  andere  landwirth- 
ichafiliche,  philantropische  und  belletristiscbe  Schriften. 
Nach  dem  ministeriellen  Bericht  über  das  Armen- 
weHsn  im  J,  1827  betrog  am  Ende  des  J.  1827  die 
Beyölkerang  der  Kolonien  beider  Gesellschaften 
«oaammen  8140  Seelen,  worunter  3486  in  Familien, 
2078  Waisen  nnd  andere  verlassene  Kinder,  nnd  2579 
Bettler.  Das  bebaute  Land  betrag  3599^Vioo  Bun- 
<J(0r«*).  Die  gesammten  Aasgaben  betrogen  1,518,415 
fl«,  die  gesammten  Einnahmen  1,578,527(1. 


*)  Ein   Bu%der  igt  700   rheinländische   Quadratrutheu 
oder  10,000  niederländische  Quadratellen. 


Ib7 


T .';. 


■  .  j 


"•^ 


Kollecliren  in  Leiden.     Rückblick  auf 
meine   Gemeinde.    Lateinische  Schu- 
len.       Universitäten.        Theologische 
Bildung  auf  denselben. 


j^uch  111  der  Universitätsstadt  Leiden,  wohin  ich  am 
22.  November  aus  dem  Haag  reiste»  fand  ich  eine  sehr 
freundliche  Aufnahme.  Durch  meinen  langen  Aufent- 
halt in  Holland  war  mein  Zweck  hier  schon  bekannt, 
und  so  bedurfte  es, keiner  langen  Yorbereitong.  Die 
Prediger,  besonders  PROPER,  VeRwEY,  Egeliug 
und  IM o UNIER  empfahlen  liebreich  meine  Gemeinde, 
so  dass  ich  in  den  meisten  Familien,  die  ich  besachte* 
gütig  aufgenommen  ward.  Besonders  erwiesen  sich  meh- 
rere reiche  Frauen  freigebig,  nnter  ihnen  eine  edle  be- 
jahrte Jungfrau,  welche  30  fl.  gab.  Als  ich  von  ihr 
Abschied  nehmen  wollte,  kamen  aoch  ihre  4  Mägde  her- 
bei, und  gaben  jede  4  fl.,  darch  welches  Beispiel  er- 
muntert selbst  die'  grade  anwesende  Nähterin  3  fl«  bei- 
fügte.   Einige  Professoren,  unter  ihnen  VAN  VooRST 


<M*W,  'ii' 


168 

I 

nnd'  VAii  DtyfL  Pai:.m,  sammelt|k^ri!r meine  Gemeinde 
unter  ihre*  Collegen  und  Freunden,  und  mehrere 
Tbeflogie  Studirende  eröffneten  unter  den  Studenten 
eine  Subscription,  welche  über  200  fl.  betrug. 

So  ward  ich  auch  hier  wieder  mit  Liebe  und  Güte 
überhäuft,  und  konnte  nur  loben  und  danken.     Indess 
wurde  mir  das  Herz  doch   manchmal  schwer,    bei   der 
Erinnerung  an  meine  liebe  Gemeinde,  von  welcher  ich 
nun  schon  so  lange  abwesend  war,  und  meine  Besorgt- 
heit um  ihrea  Zustand  wuchs  mehr   und   mej|)r«    Zwar 
wurde  der  Gottesdienst  von  den  benachbarten  Pfarrern 
und  Kandidaten  treulich  verrichtet,  und  mein  Kirchen- 
Torstand  sandte  mir  wiederholt  durch  meine  Schwester 
sehr  beruhigende  Versicherungen  über  den  Zustand  der 
Gemeinde,  mij;;h  ermunternd   in  dem  schweren  Werke 
.tu  einer  sichern  Begründung  ihrer  Existenz    fortzufah- 
ren.   Ich  fühlte  freilich,   dass  dies  nöthig   sei,    indess 
ward  dadurch  pieine  Sorge  nicht  weggenommen,  denn 
die  specielle  Scelcnpflege  unterblieb  doch  fortwährend. 
Ich  suc)i.te  zu  thun,   was  in  dieser  Ferne  möglich  war* 
Ich  schrieb  Anfang  Octobers  von  Rotterdam  aus  einen 
Hirtenbrief  an  meine  Gemeinde,  sie   zur  Treue  gegen 
ihren   Heiland  ermunternd    und    herzlich    bittend    um 
fieissigen  Gebrauch  der  Gnadenmittel,  des  Worts  Got* 
les  und  des  Gebets,  insonderheit  um  treue  Fürbitte  für 
ihren  Hirten  in   der   Fremde«     Ich   korrespondirtc  mit 
einigen  Confirmanden  und  Gemeindegliedern  über  ihren 
Seelenzustand ,   und  ging,   so   weit  ich   aus  der  Ferne 
..konnte,  meiner  Schwester  mit  Rath  an  die  Hand,  wel- 
che mich  durc|^  treue  Berichterstattung  .mit  den  Ver« 


169 

Lältnissen  in  der  Gemeinde  bekannt  erhielt,  und  ndit 
Hülfe  der  Kirchenvorsteher  die  Pflege  der  Armen  nnd 
Kranken  treulich  fortsetzte* 

Als  ich  jedoch  in  Leiden  schon  den  Winter  her- 
annahen sah,  und  noch  so  manche  Städte  Hollands  vor 
mir  lagen,  die  ich  zu  besuchen  hatte,   selbst  noch  eine 
Reise  nach  England  nöthig  schien,  da  fühlte  ich  mich 
gedrangen,  andere  Maassregeln  zur  interimistischen  Ver- 
sorguDg  meiner  Gemeinde   zu   treffen.     Ich  schrieb  an 
einen  meiner  Schulfreunde  im  Nassauischen,  Kandidat 
NöLL,    gegenwärtig   Pfarrer  zu   Waldbröl,    ob  er 
nicht  in  meiner  Abwesenheit  die  Gemeinde  zu  Kai- 
serswerth  als  mein  Stellvertreter  weiden  wolle.     Er 
übernahm  es  mit  der  geneigten  Bewilligung   der  kirch- 
lichen Behörden,  und  da  er  ordinirt  war,   so  hatte  ich 
die   Freude,    meine   Gemeinde  in  allen  pfarramtlichen 
Beziehungen  versorgt,  und  selbst  meinen  Geschwistern 
daselbst  eine  Stütze  gegeben  zu  sehen. —  Buhiger  konnte 
ich  nun  den  Bettelstab  weiter  setzen. 

W'ährend  ich  ihn  in  Leiden  umhertrug,  benutzte 

ich  diesen  Aufenthalt,  um   zugleich    die  Art   des   Stu- 

dipms    auf  den   holländischen  gelehrten  Schulen, 

.besonders  des  Universitätsstudiums,  näher  ken- 

^nep  zu  lernen. 

Die  erste  gelehrte  Bildung    erhalten    die   jungen 
Stadirenden  auf 

den  lateinischen  Schalen, 

in  welche  sie  im  lOten  Jahre  aus  den  Elementar- 
sch uleQ  übergehen.     In  kleinern  Städten  haben  die 


< 


170 

■  ■■■■■^1.    ■■     i^f^m^^tm^^ 

lateiniMhea  Schulen  mir  Einen  Lehrer,  Rector  ge- 
nannt, in  grösseren  vier,  einen /iec/or,  einen  Co/zr^^^or, 
und  2  Prtieceptores,  In  Städten  unter  20,000  Seelen 
niuss  bloss  der  li€ct<^  Doctor  Liter ar um  sein,  in 
Städten  über  20,000  Seelen  auch  der  Conrecior.  In  den 
grösseren  lateinischen  Schulen  sinds  Klassen,  von  wel-  ] 
chen  die  Präceptoren  jedoch  einige  zugleich  unter- 
richten. 

Die  Schüler  werden  hier  nicht  so  weit,  als  auf  den«, 
deutschen  Gymnasien   gefördert,   im  Lateini- 
schen nur  bis  zum   Virgil  und  HoraZy  auch  wohl  bis 
zu  Cioeronia  Officio^  im  Griechischen  nur  bis  zum 
Honier,   auch   wohl    bis   zum    Thucydides,     Das    He- 
bräische wird  hier  noch  nicht  gelehrt.     Die  iibrtgen 
Unterrichtsgegenstände  sind:    Mathematik,   alte  und 
neue     Erdbeschreibung,     alte    und    neue     Ge- 
schichte,  griechische  und  römische  Mythologie. 
4  Stunden  täglich  von  den  5  Unterrichtsstunden  in  den 
3  Wintermonaten  und  eben  so  viele  von  den  6  Lehr- 
stunden der  übrigen  9  Monate  müssen,  auf  die  beiden 
.alten  Sprachen  verwandt  werden.  —    In    der  neuesten 
Zeit  wird  der  Unterricht  in  den  meisten  Fächern  VfAfS^   *. 
geführt,    als   früherhiu.      Namentlich   ist   dies    füi^  ditf 
Mathematik    durch   ein   königliches   Decret   vomy^  *' 
September  1826  befohlen.     Auch  heissen  die  grösseren 
lateinischen  Schulen  jetzt  Gymnasien.     Auf  den  la- 
teinischen Schulen  zu  Utrecht   wird   seit    den    letzten 
Jahren   in   Folge    des    Vorschlags    des   Professors  der 
Geschichte   VAN   Heusde    daselbst   in    seinen   im  J. 
1B28  erschieiienen :    Brint^n    ouer  Hooger    Onderwys 


171 

der  Unterricht  f  a  c  h  w  e  i  s  e  ertheilt,  so  dass  nicht  mehr 
wie  früher  Ein  Lehrer   alle  Unterrichtsfächer  in   seiner 
Klasse  lehrt,  sondern  jeder  Lehrer  ein  besonderes  Fach 
hat,   das  er  durch   alle  Klassen   unterrichtet.     Auch  iu 
Amsterdam  u.  a.  O.  wird  dies  bereits   nachgeahmt 
Religionsunterricht  ist  von   dem  Lehrplane 
ganzlich  ausgeschlossen«    Eine  betrübende   Erscheinung 
In    einem   christlichen   Lande!     Wo  4  Standen  täglich 
for  Latein  und  Grie ethisch  verwandt  werden,    we 
die  hei  dnische  Götter  lehre  mit  allem  Fleiss  ge- 
lehrt wird,    da  wird  nicht  Ein  Wörtlein  von  Gott  in 
Christo,   ja   nicht  einmal  von   natürlicher   Gottcser- 
kenntniss  gelehrt,    da  wird  zu   den   geistigen  Büdungs« 
mittein  einer  solchen  höheren  Lehranstalt  das  geistigste, 
Religion,  nicht  gerechnet.    Diese  Anstalten  können 
daher  auch  nicht  einen  Schein   von  Anspruch   auf  den 
Ehrennamen :  christlicher  Schulen  machen,  sondern 
sie  entfremden   vielmehr   die   Herzen    nothwendig  von 
I    Christo  und  seinem  Heil.     Verdienen  sie  sonach  nicht 
vielmehr  den  Namen:  unchristlicher  Schulen? 

Welch  einen  grossen  Vorzug  hat  hier  wieder  un- 
ser preussisches  Vaterland  durch  die  christliche 
Finorge  der  hohen  und  höchsten  Sch'ulbehörden  I  Auf 
alleii  unseren  Gymnasien  und  höheren  Bürgerschulen 
ist  Religion  einer  der  Unterrichtsgegenstände,  und  auf 
den  ersteren  ist  zum  Theil  ein  besonderer  Religions- 
lehrer angestellt  Auch  sollen  die  von  den  Gymnasien 
anf  die  Universität  abgehenden  Schüler  sich  nach  einer 
Verfiigaog  des  IVlinisterü  des  Gultus ,  Unterrichts  etc. 
vom  28.  Mai  1829  Sber  ihre  Religionskenntnbse  einer 


äiB^mmmmmmmmmmsmmmmmSS 


17i 

besonderen  schriftlichen  Prüfung  unterwerfen.  Zu 
diesen  Keligionsprti fangen  der  katholischen  Schüler  hat 
derDiöceseu-Bischof,  zu  denen  der  evangelischen  Schü- 
ler das  Consistorium  einen  geistlichen  Commlssarius  zu 
ernennen. 

Nur  ist  noch  zu  wünschen,  dass  die  Zahl  der  l\e-  ^ 
ligionsstunden  im  Vergleich  mit  der  Zahl  der  der  la* 
teinischen  und  griechischen  Sprache  gewidmeten  Stun- 
den nicht  so  unverhältnissmässig  klein  bleiben  möge«*) 
Denn  in  den  oberen  Gymnasialklassen  werden  gcgeh- 
wärtig  für  die  lateinische  Sprache  10  —  12  Stun- 
den, für  die  griechische  6  —  8,  für  die  ßeli-« 
gion  aber  nur  2  Stunden  wöchentlich  verwendet. 

Wenn  nämlich,  was  nicht  geläugnct  werden  kann, 
die  Religion  wenigstens  ein  gleich  wichtiges  Bildungs-^ 
mittel,  wie  die  lateinische  und  griechische  Sprache  fUr 
die  Schüler  dieser- Anstalten  ist,  wenn,  was  die  ErCah- 
rung  lehrt,  für  alle  nicht  Theologie  Studirende  mit 
ihrem  Abgehen  vom  Gymnasium  jeder  fernere  Reli- 
gionsunterricht ein  Ende  hat,  mögen  sie  nun  ins  bür- 
gerliche Leben  zurückkehren,  oder  die  Universität  be- 
ziehen, was  selbst  mit  der  lateinischen  und  griechischen 


*)  lieber  die  Nothwendigkeit,  dem  Religionsunterrichte 
mehr  Raum  in  den  Schulen  zu  geben,  vgl.  das  treff- 
liche Buchlein  des  Gynmasialdirectors  C.  L.  Ro  tu 
in  Nürnberg;  Ueber  Bildung  durch  Schulen  christ- 
licher Staaten  im  Sinne  der  protestantischen  Kirche. 
1825  Nürnberg  bei  Schräg.  Auch  des  Konsistorial- 
raths  Dr.  Mutzel  Schrift:  "EtMas  über  l^rediger-  ^ 
seminarieu.    S.  S.  Breslau  Dieterici  1816* 


asasaöBfii" 


173 

Sprache  nicht  so  der  Fall  ist,  wenn  endlich,   was  eben 
so  unbestreitbar  ist,  Halbheit  und  Uiigründlichkeit  der 
Erkenntniss  in  keinem  geistigen  Gebiete  so  nachthciHg 
auf  Kopf  und  Merz  wirkt,   und    so  leicht  aufbläht",    als 
grade  in  der  Religionserkenntniss,  dann  folgt  von  selbst, 
dasi§  zwei  Stunden  wöchentlich   Tur  einen  gründlichen 
Religionsunterricht  in  den  höheren  Klassen   der  Gym- 
nasien,    wo    der  Confirmandenunterricht   ohnehin   ge- 
wöhnlich   schon   beendigt  ist,    nicht  hinreichen.     Um 
eine  tiefere  Einsicht   in   die  wichtigsten  Bücher  des  A» 
und  N.   T«    zu   erlangen,    ohne   welche  die  christliche 
Glaubens  -  und  Pflichtenlehre  einer  ihrer  festesten  StuN 
zen  entbehrt,    ist  mehr  Zeit,  wenigstens  vier  Standen 
wöchentlich  erforderlich.    Auf  diese  Weise  würde  eher 
,    eine  feste  religiöse  üebcrzeugung  herbeigeführt  werden^ 
welche  sowohl  dem  Schwärmen   im  Unglauben   wie  im 
Aberglauben  wehren,    den  egoistischen  Dünkel  auf  die 
eigne  \^cishcit,  der  in  diesen  Flegeljahren  des  Geistes 
so  mächtig  emporstrebt,  brechen,   ja   selbst   den  Fleiss 
nnd  Elfer  für  alle  andern  Gegenstände  des  Gymnasial* 
Unterrichtes  nicht  wenig  befördern  würde,  weil  der  re- 
ligiöse Jüngling  aus  höheren  und  darum  stärkeren  Mo- 
tiven fleissig  ist,   als   der   unreligiöse.     Diese   Früchte 
würden  selbst  diejenigen  Philologen,  welche  dem  Reli* 
gionsunternchte   von    seinen    wenigen    Stunden    noch 
möglichst  viel  abzudringen  suchen,  weil  sie  die  ihm  ge- 
gönnte Zeit  für  jeden  andern  Unterrichlsgegenstand  hes* 
scr  augewandt  glauben,  auf  eine  ähnliche  Art  umstim- 
men, wie  viele  Pflanzer  in  den  west-  und  ostindischea 
Kolonien  in  Absicht   des    Religionsuuterrichtes    ihrer 


•V. 


175 

mit  den  Gefühlen  der  Kammer,  wie  das  Decret  sich 
ausdrückt,  dass  gegenwärtig,  —  wohl  vorzüglich  wegen 
der  durch  den  Factionsgcist  bei  einem  grossen  Theile 
der  Nation  veranlassten  Gähmng  über  diesen Punct,—^ 
kerne  günstige  Zeit  für  Feststellung  eines  neuen  Ge- 
setzes hierüber  sein  möge« 

Um  jedoch  den  Grundsätzen  von  Freiheit  in  Ab- 
sicht des  Unterrichts  mehr  Raum  zu  geben,  sind  in 
diesem  Decrcte  vorläufig  einige  liberalere  Bestimmun- 
gen, zunächst  das  Elcmentar-Schulwesen  be- 
frefTend,  gemacht  worden«  In  Hinsicht  der  Erlheilung 
des  mittleren  und  höheren  Unterrichts  und  des 
Haltens  öffentlicher  Vorlesungen  bestimmt  der  erste 
Artikel  des  Decrets,  dass,  ebenso  wie  bei  dem  niede- 
ren Unterrichte,  jeder,  der  die  nöthigen  Kenntnisse  be- 
sitze 9  wo  er  sie  auch  erbalten  haben  möge,  zur  Leh- 
rerprüfung zugelassen  werden  solle.  —  Die  näheren 
Bestimmungen  des  Decrets  hinsichtlicb  des  Elcmcntar- 
Schulwesens  s.  unten  bei  der  Darstellung  desselben. 

Nach  beendigtem  Cursus  auf  der  lateinischen  Scha- 
le besucht  der  Studirendc  entweder  zuerst  ein  Athe- 
nänm,  (s.  S.  88,}  oder  sogleich  eine 

der  Universitäten.* 

Der  Universitäten  {hooge  schalen,  academien)  sind 
1',  in  Mordniederland  drei,  zu  Leiden,  Utrecht  und 
pf  Groningen.  Die  erste  ist  die  vornehmste,  auch  we- 
gen ihres  Alters,  und  hat  mehrere  Vorrechte.  - 


m 


17i 

besonderen  schriftlichen  Prüfung  unterwerfen.  Zu 
diesen  Keligionsprti fangen  der  katholischen  Schüler  hat 
der  Diöceseu-Bischof,  zu  denen  der  evangelischen  Schü- 
ler das  Consistorium  einen  geistlichen  Commlssarius  zu 
ernennen, 

Nur  ist  noch  zu  wünschen,  dass  die  Zahl  der  Re- 
ligionsstunden im  Vergleich  mit  der  Zahl  der  der  la« 
teinischen  und  griechischen  Sprache  gewidmeten  Stun- 
den nicht  so  unverhältnissmässig  klein  bleiben  möge.*) 
Denn  in  den  oberen  Gymnasialklasscn  werden  gegen- 
wärtig fiir  die  lateinische  Sprache  10  —  12  Stun- 
den, für  die  griechische  6  -^  8,  für  die  ßeli-« 
gion  aber  nur  2  Stunden  wöchentlich  verwendet. 

Wenn  n'amlich,  was  nicht  geläugnct  werden  kann, 
die  Religion  wenigstens  ein  gleich  wichtiges  Bildungs- 
mittel, wie  die  lateinische  und  griechische  Sprache  fUr 
die  Schüler  dieser^  Anstalten  ist,  wenn,  was  die  Erfah- 
rung lehrt,  für  alle  nicht  Theologie  Studireude  mit 
ihrem  Abgehen  vom  Gymnasium  jeder  fernere  Reli- 
gionsunterricht ein  Ende  hat,  mögen  sie  nun  ins  bür- 
gerliche Leben  zurückkehren,  oder  die  Universität  be- 
ziehen, was  selbst  mit  der  lateinischen  und  griechischen 


*)  lieber  die  Nothwendigkeit,  dem  Religionsunterrichte 
mehr  Raum  in  den  Schulen  zu  geben,  vgl.  das  treff- 
liche Büchlein  des  Gymnasialdirectors  C.  L.  Ro  th 
in  Nürnberg;  Ueber  Bildung  durch  Schulen  Christ-» 
lieber  Staaten  im  Sinne  der  protestantischen  Kirche. 
1825  Nürnberg  bei  Schräg.  Auch  des  Konsistorial- 
raths  Dr.  Mutzel  Schrift:  Etwas  über  Prediger- 
seminarieu.    S*  S.  Breslau  Dieterici  1816« 


173 


Sprache  nicht  so  der  Fall  ist,  wenn  endlich,   was  eben 
so  unbestreitbar  ist,  Halbheit  und  Ungründlichkeit  der 
Erkenntnlss  in  keinem  geistigen  Gebiete  so  nachthcilig 
auf  Kopf  und  Herz  wirkt,   und   so  leicht  aufbläht",    als 
grade  in  der  Religionserkenntniss,  dann  folgt  von  selbst« 
dass  zwei  Stunden  wöchentlich   für  einen  gründlichen 
Religionsunterricht  in  den  höheren  Klassen   der  Gym- 
nasien,    wo    der  Confirmandenunterricht   ohnehin   ge* 
wohnlich    schon   beendigt  ist,    nicht  hinreichen.     Um 
eine  tiefere  Einsicht  in  die  wichtigsten  Bücher  des  A« 
und  N.   T.    zu   erlangen,    ohne  welche  die  christliche 
Glaubens  -  und  Pflichtenlehre  einer  ihrer  festesten  Stüt« 
zen  entbehrt,    ist  mehr  Zeit,  wenigstens  vier  Standen 
wöchentlich  erforderlich.    Auf  diese  Weise  würde  eher 
eine  feste  religiöse  Ceberzeugung  herbeigeführt  werden^ 
welche  sowohl  dem  Schwärmen   im  Unglauben   wie  im 
Aberglauben  wehren,    den  egoistischen  Dünkel  auf  die 
eigne  Wcislicit,  der  in  diesen  Flegel  jähren  des  Geistes 
so  mächtig  emporstrebt,  brechen,   ja   selbst    den  Fleiss 
nnd  Elfer  für  alle  andern  Gegenstände  des  Gymnasial* 
Unterrichtes  nicht  wenig  befördern  würde,  weil  der  re- 
ligiöse Jüngling  aus  höheren  und  darum  stärkeren  Mo-* 
fiven   flelsslg  ist,   als    der   unreligiöse.     Diese   Früchte 
würden  selbst  diejenigen  Philologen,  welche  dem  Reli* 
gionsunternchte   von    seinen    wenigen    Standen    noch 
mdglichst  viel  abzudringen  suchen,  well  sie  die  ihm  ge- 
gönnte Zeit  für  jeden  andern  Unterrichlsgegenstand  bes- 
ser au  gewandt  glauben,  auf  eine  ähnliche  Art  umstim- 
mco,  wie  viele  Pflanzer  in  den  west-  und  oslindischen 
Kolonien  in  Absicht   des    Religionsunterrichtes    ihrer 


174 


Slaven  umgestimmt  worden  sind.  Sie  wollten  bekannt- 
lich lange  Zeit  denselben  keinen  Religionsunterricht  zu 
Theil  werden  lassen,  weil  auch  sie  die  Zeit  für  andere 
Beshäfligung  besser  angewandt  glaubten.  Bald  aber 
bemerkten  sie  mit  Erstaunen,  dass  die  an  jenem  Un- 
terrichte theilnehmenden  Sclaven  in  der  übrigen  Zeit 
viel  fleissiger,  geduldiger  und  treuer  arbeiteten,  als  je 
zuvor,  und  dadurch  die  Unterrichtszeit  ihnen  reichlich 
vergüteten.  *) 

Wer  die  nähern  gesetzlichen  Bestimmungen  über 
die  lateinischen  Schulen  Niederlands  lesen  will,  s.  daa 
königliche  organische  De  er  et  aber  den  böheren 
Unterricht  vom  2.  August  1815  Art.  4  bis  35.  Im 
verflossenen  Jahre  ist  vom  Könige  eine  Commission 
niedergesetzt  worden,  um  eine  Reorganisation  des  nie-  * 
deren  und  mittleren  Schulwesens  einzuleiten.  Auch 
find  viele  Schriflen  mit  Vorschlägen  hierüber  erschie* 
nen,  welche  aber  grade  den  einen  faulen  Fleck,  die 
Ausschliessung  des  Beligion<anterrichtes, 
gar  nicht  oder  nur  wenig  berührt  haben»  Durch  ein 
Beeret  des  Königs  vom  27*  Mai  1830  über  den  Unter- 
richt hat  der  König  indess  den  durch  die  Gommission 
ausgearbeiteten  und  von  dem  Minister  den  General- 
staaten vorgelegten  neuen  Geseties^Entwurf  über  die- 
sen Gegenstand  2urückgenommen,  in  Uebereinstimmung 


*)  Das  merkwürdige  Zeugniss  des  englischen  Colonial« 
ministers  Huskisson  hierüber  vom  22.  Sept.  1827 
■.  im  Basler  Missionsmagazin  IL  Quartblheft 
1830  S«  364.  vgl.  S.  317  und  S34.  | 


175 


mit  den  Gefühlen  der  Kamjuer,  wie  das  Dccret  sich 
ausdrückt,  dass  gegenwärtig,  —  wohl  vorzüglich  wegen 
der  durch  den  Factionsgeist  bei  einem  grossen  Theile 
der  Nation  veranlassten  Gähmng  über  diesen Punct,—^ 
keine  günstige  Zeit  für  Feststellong  eines  neuen  Ge- 
setzes hierüber  sein  möge« 

Um  jedoch  den  Grundsätzen  von  Freiheit  in  Ab- 
sicht des  Unterrichts  mehr  Raum  zu  geben,  sind  in 
diesem  Decrete  vorläufig  einige  liberalere  Bestimmun- 
gen ,  zunächst  das  Elementar-Schulwesen  be- 
treHend,  gemacht  worden«  In  Hinsicht  der  Ertheilung 
des  mittleren  und  höheren  Unterrichts  und  des 
Haltens  öffentlicher  Vorlesungen  bestimmt  der  erste 
Artikel  des  Decrets,  dass,  ebenso  wie  bei  dem  niede- 
ren Unterrichte,  jeder,  der  die  nöthigen  Kenntnisse  be- 
sitze, wo  CT  sie  auch  erhalten  haben  möge,  zur  Leh- 
rerprüfung zugelassen  werden  solle.  —  Die  näheren 
Bestimmungen  des  Decrets  hinsichtlich  des  Elcmcntar- 
Schulwesens  s.  unten  bei  der  Darstellung  desselben. 

Nach  beendigtem  Gursus  auf  der  lateinischen  Scha- 
le besucht  der  Studirende  entweder  zuerst  ein  Athe- 
nänm,  (s.  S.  88*}  oder  sogleich  eine 

der  Universitäten." 

Der  Universitäten  {hooge  scholerty  acaderruen)  sind 
In  Nordniedorland  drei,  zu  Leiden,  Utrecht  und 
Groningen.  Die  erste  ist  die  vornehmste,  auch  we-* 
gen  ihres  Alters,  und  hat  mehrere  Vorrechte.  - 


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176 


Jede  Universität  ist  in  fünf  Facultäten  eingethcilt: 

1)  in  die  der  reformirten  Theologie, 

2)  —    —    Rechtsgelehrsamkeit, 

3)  —     —    Heilkunde, 

4)  —    —    Mathematik  und  Natnrwissenschaf* 

Ml,  und 

5)  —     —    Philosophie  and  Literatur. 

Der  Bang  der  Facultäten  wechselt  jährlich  ab,  so 
dass  die,  zu  welcher  der  Rector  gehört,  die  präsidi-* 
rende  ist. 

Von  der  theologischen  Facnltät  müssen  Je- 
des Jahr  folgende  Vorlesungen  gehalten  werden:  1) 
die  natürliche  Theologie,  welche  jedoch  aach 
von  der  fünften  Facultät  gelesen  werden  kann,  2) 
die  Kirchengeschichte,  3)  die  Hermeneutik, 
4)  die  Dogmatik,  5)  die  christliche  Moral,  6) 
die  Homiletik  und  Pastoralwissenschaft«  Die 
Katechet ik  fehlt  ganz. 

Die  Professoren  der  Theologie  sind  zugleich  aus- 
serhalb der  Ferien  Univ er sitätsp rediger,  und 
erhalten  dafür  zusammen  den  Gehalt  Einer  Prediger- 
stelle« 

Von  der  juristischen  Facultät  sind  zn  le- 
sen: 1)  die  Institutionen,  2)  die  Pandecten, 
8)  das  Naturrecht,  4)  das  Staats  "  und  Völker-. 
recht,  5)  das  gegenwärtige  Civilrecht,  6)  das  ge- 
genwärtige Crimlualrecht.  Au  der  Universität  tu 
Leiden  muss  noch  7)  die  Staatengeschichte* 
Enropa's,  8)  die  Statistik  und  9)  die  Diplo- 
matik  gelesen  werden. 


177 


Dl«  mediciaiscbe  Fakultät  hat  iu  late«: 
1)  die  Anatomie,  9)  die  Physiologie,^  3}  die 
Pathologie,  4)  das  Practicnm,  5)  die  Pharmacie 
und  Materiam  medicam^  6)  die  Chirurgie^  7)  die 
Geburtshiilfe,  8)  die  Diätetik  und  d\  M^did- 
natn  politicam  et  foreruem. 

Von   der   mathematischen   und   naturwis- 
senschaftlichen Fakultät  muss  gelesen  werden: 

1)  die  Elementarmathematik,  2)  die  höhere 
Mathematik,  3)  die  Mathematik  auf  Hydrau- 
lik und  Wasserbaukunst  angewandt,  4)  die  Ex- 
perimentalphysik, 6)  die  mathematische  Na- 
tsrlehre,  6)  die  physische  Astronomie,  7)  die 
mathematische  Astronomie  verbunden  mit  dem 
Unterricht  in  astronomischen  Beobachtungen 
m  der  Schifffahrt,  8)  die  Chemie,  8)  die  Bo- 
tanik und  Physiologie  der  Pflansen,  10) 
die  Naturgeschichte  der  Thiere  etc.  und  11) 
die  Landwirthschaftsknnd  e  (landhuiaköud" 
kunde^y 

Die    philosophische    und   literarische 
Fakultät  endlich   muss  vortragen:    1)  die  Logik, 

2)  die  Metaphysik,  3)  die  Geschichte  der  Phi- 
los.ophie,  4)  die  philosophische  Moral,  5) 
die  lateinische  Literatur,  6)  die  römischen 
Alterthümer,  7)  die  griechische  Literatur, 
8)  die  griechischen  Alterthümer,  8)  die  he- 
bräische Literatur,  10)  die  arabische^  syri- 
aehe  and  chaldäische  Literatur,  11) die  )ii- 
diachen  Alterthämer,  12)  di€(  allgemeine 

n.  12 


MAIA! 


17i 

besonderen  schriftlichen  Prüfung  unterwerfen.  Zu 
diesen  Keligionsprü fangen  der  katholischen  Schüler  hat 
derDlöcesen-Bischof,  zu  denen  der  evangelischen  Schü- 
ler das  Consistorium  einen  geistlichen  Commlssarius  zu 
ernennen, 

Kur  ist  noch  zu  wünschen,  dass  die  Zahl  der  l\e-  j 
ligionsstunden  im  Vergleich  mit  der  Zahl  der  der  la- 
teinischen und  griechischen  Sprache  gewidmeten  Stun-  | 
den  nicht  so  unverhältnissmässig  klein  bleiben  möge.*) 
Denn  in  den  oberen  Gymnasialklassen  werden  gegen- 
wärtig für  die  lateinische  Sprache  10  —  12  Stun- 
den, für  die  griechische  6  —  8,  für  die  Beli-> 
gion  aber  nur  2  Stunden  wöchentlich  verwendet. 

Wenn  nämlich,  was  nicht  geläugnet  werden  kann, 
die  Religion  wenigstens  ein  gleich  wichtiges  Bildangs«4 
mittel,  wie  die  lateinische  und  griechische  Sprache  für  ■ 
die  Schüler  dieser- Anstalten  ist,  wenn,  was  die  Erfah- 
rung lehrt,  für  alle  nicht  Theologie  Studirende  mit 
ihrem  Abgehen  vom  Gymnasium  jeder  fernere  Keli- 
gionsunterricht  ein  Ende  hat,  mögen  sie  nun  ins  bür-^ 
gerliche  Leben  zurückkehren,  oder  die  Universität  be- 
ziehen, was  selbst  mit  der  lateinischen  und  griechischen 


*)  Ueber  die  Nothwendigkeit,  dem  Religionsunterrichte 
mehr  Raum  in  den  Schulen  zu  geben,  vgl.  das  treff- 
liche Büchlein  des  Gynmasialdirectors  C.  L.  Roth 
in  Nürnberg:  Ueber  Bildung  durch  Schulen  christ- 
licher Staaten  im  Sinne  der  protestantischen  Kirche. 
1825  Nürnberg  bei  Schräg.  Auch  des  Konsistorial- 
raths  Dr.  Mutzel  Schrift:  Ctwas  über  Trediger- 
semioarien.    S.  S.  Breslau  Dieterici  18lt>« 


173 

*W— ^W  ■  ■!■■■■» 

Sprache  nicht  so  der  Fall  Ist,  wenn  endlich,   was  eben 
so  nnbcstreilbar  ist,  Halbheit  und  Ungründlichkeit  der 
Erkenn tniss  in  keinem  geistigen  Gebiete  so  nachthcillg 
auf  Kopf  und  llerz  wirkt,   und   so  leicht  aarbläht",   als 
grade  in  der  Religionserkenntniss,  dann  folgt  von  selbst, 
dass;  zwei  Stunden  wöchentlich   für  einen  gründlichen 
Religionsunterricht  m  den  höheren  Klassen    der  Gym- 
nasien,    wo   der  Confirmandenunterricht   ohnehin   ge- 
wöhnlich   schon   beendigt  ist,    nicht  hinreichen.     Um 
eine  tiefere  Einsicht  in  die  wichtigsten  Bücher  des  A. 
und  N.   T.    zu    erlangen,    ohne  welche   die  christliche 
Glaubens  -  und  Pflichtenlehre  einer  ihrer  festesten  Stiit* 
len  entbehrt,    ist  mehr  Zeit,  wenigstens  vier  Standen 
wöchentlich  erforderlich«    Auf  diese  Welse  würde  eher 
eine  feste  religiöse  üeberzeugung  herbeigeführt  werden, 
welche  sowohl  dem  Schwärmen   im   Unglauben   wie  im 
Aberglauben  wehren,    den  egoistischen  Dünkfel  auf  die 
eigne  Weisheit,  der  in  diesen  Flegcljahren  des  Geistes 
so  mächtig  emporstrebt,  brechen,   ja   selbst   den  Fleiss 
nnd  Eifer  für  alle  andern  Gegenstände  des  Gymnasial- 
unterrichtes nicht  wenig  befördern  würde,  weil  der  re- 
ligiöse Jüngling  aus  höheren  und  daram  stärkeren  Mo* 
tiven  fleissig  ist,   als    der   unreligiöse.     Diese   Früchte 
würden  selbst  dieienigen  Philologen,  welche  dem  Reli* 
gionsunterrlchle   von    seinen    wenigen    Stunden    noch 
möglichst  viel  abzudringen  suchen,  weil  sie  die  ihm  ge- 
gönnte Zeit  für  jeden  andern  Unterrlchlsgcgenstand  bes- 
ser angewandt  glauben,  auf  eine  ähnliche  Art  umstim- 
men, wie  viele  Pflanzer  in  den  west-  und  ostindischen 
Kolojnlen  in  Absicht   des    Religionsunterrichtes    ihrer 


i 
174 

Slaven  rnngestimmt  worden  sind.    Sie  wollten  bekannt* 
lieh  lange  Zeit  denselben  keinen  Religionsunterricht  zu 
Theil  werden  lassen,  well  auch  sie  die  Zeit  (ur  andere 
Beshäfligung  besser  angewandt    glaubten.     Bald   aber 
bemerkten  sie  mit  Erstaunen,    dasa   die   an  jenem  Un-  ^ 
terricbte  theilnehmenden   Sclaven  in   der  übrigen  Zeit  1 
viel  fleissiger,    geduldiger  und  tffoer  arbeiteten,    als  je    ! 
zuvor,  und  dadurcb   die  Unterrichtszeit  ihnen  reichlich   i 
vergiitetcn.  *)  ' ! 

Wer  die  nähern  gesetzlichen  Bestimmungen  iibef 
die  lateinischen  Schulen  Niederlands  lesen  will,  s.  das 
königliche  organisch e  Decret  über  den  höheren  J 
Unterricht  vom  2.  August  1815  Art  4  bis  35.  Im 
Terflossenen  Jahre  ist  vom  Könige  eine  Commission 
niedergesetzt  worden,  um  eine  Reorganisation  des  nie-  1 
deren  und  mittleren  Schulwesens  einzuleiten.  Auch  ^ 
find  viele  Schriften  mit  Vorschlägen  hierüber  erschie« 
nen,  welche  aber  grade  den  einen  faulen  Fleck,  die 
Ausschliessung  des  Religionsanterrichtes^ 
gar  nicht  oder  nur  wenig  berührt  haben.  Durch  ein 
Decret  des  Königs  vom  27.  Mai  1830  über  den  Unter- 
richt hat  der  König  indess  den  durch  die  Commission 
ausgearbeiteten  und  von  dem  Minister  den  GeneraU 
ataaten  vorgelegten  neuen  Gesetxes^Entwurf  über  die- 
sen Gegenstand  2urückgcnonunen,  in  Uebereinstimmung 


*)  Das  merkwürdige  Zeugniss  des  englischen  Colonial-> 
ministers  Huskisson  hierüber  vom  22.  Sept,  lfi[27    * 
s.  im  Basler  Missionsmagasin  IL  Quartklheft  ^ 
1830  8,  2ßL  vgl.  S.  317  und  B34.  | 


I » 

■  I 


*: 


175 


mit  den  Gefühlen  der  Kammer,  wie  das  Decret  sich 
ausdruckt,  dass  gegenwärtig,  •—  wohl  vorzüglich  wegen 
der  durch  den  Factionsgeist  bei  einem  grossen  Theile 
der  Nation  veranlassten  Gähmng  über  diesen Pnnct,—^ 
keine  günstige  Zeit  für  Feststellung  eines  neuen  Ge- 
setzes hierüber  sein  möge. 

Um  jedoch  den  Grundsätzen  von  Freiheit  in  Ab- 
sicht des  Unterrichts  mehr  Raum  zu  geben,  sind  in 
diesem  Decrete  vorläufig  einige  liberalere  Bestimmun- 
gen, zunächst  das  Elementar-Schulwesen  be- 
treffend, gemacht  worden«  In  Hinsicht  der  Ertheilung 
des  mittleren  und  höheren  Unterrichts  und  des 
Haltens  öffentlicher  Vorlesungen  bestimmt  der  erste 
Artikel  des  Decrets,  dass,  ebenso  wie  bei  dem  niede- 
ren Unterrichte,  jeder,  der  die  nöthigen  Kenntnisse  be- 
sitze, wo  er  sie  auch  erhalten  haben  möge,  zur  Leh- 
rerprüfung zugelassen  werden  solle.  —  Die  näheren 
Bestimmungen  des  Decrets  hinsichtlich  des  Elcmentar- 
Schnlwesens  s.  unten  bei  der  Darstellung  desselben. 

Nach  beendigtem  Cursus  auf  der  lateinischen  Schu- 
le besucht  der  Studirende  entweder  zuerst  ein  Athe- 
näum, (s.  S.  88.)  oder  sogleich  eine 

der  Universitäten.' 

Der  Universitäten  {hooge  scholen,  ctcademUn)  sind 
in  Nordniedflrland  drei,  zu  Leiden,  Utrecht  und 
Groningen»  Die  erste  ist  die  vornehmste,  auch  we- 
gen ihres  Alters,  und  hat  mehrere  Vorrechte.  - 


ÜLIÄJJJJILU. 


176 


Jede  Universität  ist  in  fünf  Facultäten  eingetheilt: 

1)  in  die  der  reformirten  Theologie, 

2)  —    —     Rechtsgelehrsamkeit, 

3)  —     —     Heilkunde, 

4)  —    —    Mathematik  und  Natunrissenschaf* 

Ml,  und 

5)  —     —    Philosophie  nnd  Literatur. 

Der  Bang  der  Facult'aten  wechselt  jährlich  ah,  so 
das«  die,  zu  welcher  der  Rector  gehört,  die  präsidi« 
rende  ist. 

Von  der  theologischen  Facnität  mlissen  Je* 
des  Jahr  folgende  Vorlesungen  gehalten  werden:  1) 
die  natürliche  Theologie,  welche  jedoch  ancn 
von  der  fünften  Facultät  gelesen  werden  kann,  2) 
die  Kirchengeschichte,  3)  die  Hermeneutik, 
4)  die  Dogmatik,  5)  die  christliche  Moral,  6) 
die  Homiletik  und  Pastoralwissenschaft.  Die 
Katechetik  fehlt  ganz. 

Die  Professoren  der  Theologie  sind  zugleich  aus- 
serhalb der  Ferien  Universitätsp rediger,  und 
erhalten  dafür  zusammen  den  Gehalt  Einer  Prediger- 
stelle. 

Von  der  juristischen  Facultät  sind  zn  le-> 
sen:  1)  die  Institutionen,  2)  die  Pandecten, 
3)  das  Naturrecht,  4)  das  Staats '-  und  Völker- 
recht, 5)  das  gegenwärtige  Civilrecht,  6)  das  ge- 
genwärtige Crimiualrecht.  An  der  Universität  ZVL 
Leiden  muss  noch  7)  die  Staatengeschicbte' 
Europa's,  8)  die  Statistik  und  8)  die  DIplo-' 
matik  gelesen  werden. 


177 

Dl«  mediciaisclie  Fakultät  hat  ^u  \titm 
1)  die  Anatomi^y  9)  die  Physiologie,'^  3}  die 
Pathologie,  4)  das  Practicnm,  5)  die  Pharmacie 
-und  McUeriam  medicam^  6)  die  Chirurgie«  7)  die 
GeburtshÜlfe,  8)  die  Diätetik  und  B)  M^td- 
nam  pollticam  et  forensem. 

Von   der   mathematischen   und  natnrwis* 
senschaftlichen  Fakultät  muss  gelesen  werden: 

1)  die  Elementarmathematik,  2)  die  höhere 
Mathematik,  3)  die  Mathematik  auf  Hydran* 
lik  und  Wasserbaukunst  angewandt,  4)  die  Ex- 
perimentalphysik, 6)  die  mathematische  Na- 
tsrlehre,  6)  die  physische  Astronomie,  7)  die 
mathematische  Astronomie  verbunden  mit  dem 
Unterricht  in  astronomischen  Beobachtungen 
m  der  Schifffahrt,  8)  die  Chemie,  8)  die  Bo- 
tanik und  Physiologie  der  Pflansen,  10) 
die  Naturgeschichte  der  Thiere  etc.  und  11) 
die  Landwirthschaftskund  e  (landhuishöud' 
kunde^y 

Die    philosophische   und  literarische 
Fäkal  tat  endlich   muss  vortragen:    1)  die  Logik, 

2)  die  Metaphysik,  3)  die  Geschichte  der  Phi- 
los.ophie,  4)  die  philosophische  Moral,  5) 
die  lateinische  Literatur,  6)  die  römischen 
Alterthümer,  7)  die  griechische  Literatur, 
8)  die  griechischen  Alterthümer,  8)  die  he- 
bräische Literatur,  10)  die  arabische^  syri- 
•ehe  nnd  chaldäische  Literatur,  11) die  iä- 
diechen  Alterthämer,  12)  di€(   allgemeine 

n.  12 


178 

G««cbichte5  13)  di#  vaterländische  6c- 
8€liiclite,  14)  die  holländische  Literatur  lind 
Beredsamkeit 

Die  Zahl  der  ordentlichen    Professoren   ist 
festgesetitt 

zu  Leiden  -—  Utrecht  — »  Groningen 


hei  der  theol.  Fakullät 

4 

.    «       3 

>•    •«       3 

<—    jaristisehen     • 

4 

.    .       3 

.     .       3 

—    nedicioisdien 

4 

•     .       3 

3  •     a 

— •    mathemat  etc. 

4 

.,  ..       4 

.    •       4 

-!-*    Philosoph«  etc. 

5 

.     •       5 

.     .       5 

An  de»  UniversilSt  zu  Leiden  kifonen  überdies 
noch  aas  serordentliche  Professoren  angestelk 
werden. 

Jede  Wissenschaft,  welche  den  Gegenstand  einer 
besonderen  Vorlesung  aasflsacht,  mnss  der  Regel  nacb 
in  Einem  Jahre  abgehandelt  werden.  Auch  soll,  soTiel 
mj^lidi,  in  aUen  Vorlesungen  von  den  Professoren  nnd 
von  den  Studenten  respondirt  werden. 

Weil  die  lateinischen  Schalen  in  Spra- 
chen und  Wissenschaften  nicht  soweit  fSfaren,  als  un- 
tere deutsche  Gymnasien,  so  darf  kein  Stadirendcr 
auf  der  Universität  eher  zu  den  eigentlichen  Fakultäts- 
studien übergehen,  als  bis  er  zuvor  die  Vorbereitnngs- 
Wissenschaften:  Philologie,  Philosophie,  Ge* 
schichte  und  Mathematik  noch  einige,  gewöhn- 
lich 2  Jahre  stadirt  und  durch  ein  Examen  den  Grad 
eines  Kandidaten  der  Literatur,  wenn  er  sich 
zur  ersten  oder  zweiten  Fakultiit  wenden  will,  und  den 
Grad  eines  Kandidaten  der  Mathematik  und  Nä^ 


17a 

larwiisenscliaften,   wenn  er  ncli  lor  dritUn  wen- 
det, errorbeii  hat. 

Philosophie  wird  wenig  betrieben.  Die  künfti- 
gen Theologen  hören  meistens  nnr  Logik,  und  etwa 
M  G  [  a  p  h  y  s  iV  Fast  alle  holländische  Philosophen  jtnd 
Kklektiker.  Mar  Professor  KiNKER  in  Lüttich,  und 
der  verstorbene  Professor  VAN  Hehert  waren  Kan- 
tianer, konnten  aber  diese  Philosophie  nicbt  in  Aof- 
nahmc  bringen. 

Der  Student,  der  lom  Fakultätsstndinm  übergegan- 
gen ist,  muss  die  Theologie,  oder  JnrispmdenS» 
oder  Philosophie,  oder  Literatur  wenigtiensS Jäh* 
le,  die  Medjcin  wenigstens  4  Jahre  stndireu«  Aach 
die  Theologen  slndiren  ihr  Faeh  gewöhnlich  4  Jahrd.: 

Auf  die  Promotion  tum  Doctor  wird' hei  a(- 
leo  Fakultäten  viel  Werih  gelegt,  und  manche  "Vor- 
ruhte  sind  damit  verbunden,  so  dass  Viele,  auch  ia 
der  Theologie,  tum  Doctor  noch  während  ihrA 
Uoiversiüitszeit  promoviren.  Nur  müssen  sie  wenigslepr 
Ein  Jahr  vorher  ihr  theologisches  Kandidqteneiaa»^ 
gemadit  haben.  —  Kinc  ausführliche  Darstellung  die«^ 
Eromotionen  lu  den  verschiedenen  akademischen  (Ba^ 
ben  gehört  nicht  in  meinen  Plan.  Wer  sie  wniueh^ 
den  muss  ich  auf  das  königliche  organische  Decret 
vom  Zien  Angusl  181S  über  den  höheren  tThter- 
ricitt  Art,  77  —  127  verweisen,  welches  Decret  auch 
iD  diesem  Pnnkte  die  Haaptqoelle  Ist 

Jede  Torlesnng   von  2  Sfamden  wUchentlich  wird 
mit  U  fl. ,   und,   wenn  «e  mehr   als    iweimal  in  air 
Wodie  gehallen  wird,  ntil  30  fl.  beiablt.  Jedoch  kostet 
12* 


180 


i^mt 


et  dum,  aichti  weiter^  wenn  die  Yorietnnf  über  den* 
jelben  Gegenstand  aoch  länger  als  Ein  Jahr,  währt 
Die  Hwiiisnma  werden  nach  hesonde^^er  Ueberein* 
hmft  bezahlt. 

Jeder  Professor  wird,  sobald  er  70  Jahre  alt  ist; 
■iit  Beibehaltung  seines  ganzen  Gehaltes  fdr  emeriiu» 
erklärt,  und  ein  neuer  Professor  statt  seiner  berufen. 
Indess  steht  es  in  seinem  Belieben ,  noch  Vorlesungen 
m  halten. 

Die  Studenten  haben  bei  Ihrer  Aufnahme  nnter  die 
akademischen  Bürger  vor  dem  Rector  bloss  die  Statu- 
tea  XU  unterschreiben,  müssen  aber  bei  dem  Anfang 
eines  jeden  akademischen  Jahres  sich  aufs  neue  in  die 
Liste  einschreiben  lassen,  welche  Einschreibung  siel» 
mar  anf  em  Jahr  gilt  Einige  Tage  vor  der  neuen 
EiBSchreibnng  sendet  der  Unirersitätssecretär  dem  De* 
kan  jeder  Fakultät  die  Liste  der  zu  derselben  gehären** 
den  Studenten  snr  Circulation  an  die  einzelnen  Pro-> 
fessoreui  welche  darauf  rerzeichnen,  wer  ihre  Vorlesun- 
gen besucht.  Welche  Studenten  ron  keinem  Professor 
vcneichnet  sind,  werden  ans  der  Zahl  der  akademi- 
ichen  Burger  ausgestrichen.  —  Eine  nützliche  Elnrich« 
lBO|^  welche  wohl  Nachahmung  verdiente! 

Zur  Ermunterung  in  den  Studien  werden  jähr- 
lich von  der  Universität  zu  Leiden  10,  von  der  an 
Utrecht  6,  und  von  der  zu  Groningen  6  lateini-^ 
icfae  Preisfragen  ausgeschrieben,  deren  beste Beant* 
wortnng  dne  goldene  Medaille  von  BO  fl.  Werth^  oder 
daett  Snant  selbst  erwirbt. 


181 

Zur  UnterstStmog  inner  boffoiiigiToIler  Sla* 
direnden  der  Tcrschiedeneu  FalmltSten  hat  der  Stui 
liir  Leiden  30,  für  Utrecht  20,  und  fdr  GrSnin* 
gen  20  Geldstipendien  gestiftet,  deren  jedes  ta 
der  ersteren  Universität  jährlich  dOO  fl.»  an  den  beiden 
anderen  200  fl«  beträgt,  und  dem  Fleissigen  «nd  siA 
gut  Betragenden  jedes  Jahr  anfs  neue  verliehen  wird^ 
•o  jedoch,  dass  er  es  längstens  nur  8  Jahre  hinter  ein- 
ander geniessea  kann« 

Die  hSchate  UniTersitätsbehSrde,  welcbenn- 
mittelbar  unter  dem  Ministerinm  des  Unterricht« 
(lagleich  dem  des  Innern)  steh^  ist  für  jede  Univer- 
aität  ein   CoUegiom  von  5  Gnratoren,  welche  von 
Ministerio  ernannt  werden,  und  deren  wenigstens  8  am 
der  Provinz,   worin  die  Universität  liegt,,  sein  müssen* 
Die  oberste   Magistratsperson   der  Universitätsstadt  ist 
jedesmal  Mitglied  des  Cnratoriums.    Die  Gnratoren  ver* 
aehen  ihr  Amt  nneotgeldlich«    Sie  haben  die  oberste 
An&icht  über  die  Professoren,  den  Unterricht,  die  Uni- 
versitätsgebäade,  Kabinette  etc.,   über  die  Verwaltung 
der  Universitätsfonds ,   haben   das  Recht,   die  Stipen- 
dien   zu  vergeben,  wobei  sie  jedoch  die  Empfehlungen 
iet  Fakaltäten  berücksichtigen  sollen,  haben  bei  einer 
cricdigten  Professor  eine  Zweizahl  von  geeigneten  Män^ 
nem  dem   Ministerio  vorzuschlagen,    fiberhaopt  Vor- 
«cUäge  rar  Befördemng  des  Wohls  der  Universität  in 
vnehen,  nnd  jährlich  im  Octoher  anen  Etat  über  dit 
■Bthmasslichcn  Kosten  dersdbcB  tm  iblgead*  Jahr 
•BS  MiaistiriBni  eimmesdeD. 


182 


^K     zweite   akademische    Behörde    ist   der 
cS^tK«!  « echselade  und   jedes  Jahr  aus   einer  andern 
':<ci^-.itlaC  gewählte  Rector  nebst  dem  akademischen 
>4J4te,  der   Gesammtheit  aller  ordentlichen  Profes- 
wen«  Ueberdles  steht  dem  Rector,  um  die  laufenden 
Sachen  besorgen  zu  helfen  und  als  Beirath  ein  engerer 
Ausschuss  von  4  Assessoren  zur  Seite,  deren  aus 
den  Professoren    jeder   Fakultät    einer    erwählt    ^ird. 
Stellvertreter  des   Rectors   ist  der  zuletzt  abgegangene 
,  Rector,  welcher  nun  Prorector  heisst.    Der  Rector 
mit  dem  Senate  hat  die  Aufsicht  aber  die  Sttadien  und 
über  die  akademische  Zucht.  — -   Wenn  in  sehr  wichti- 
gen Fällen    eine   gemeinschaAlIche    Versammlung    des 
Curatoriums  und  des  akademischen  Senates  nöthig  wird, 
so  heisst  diese  Versammlung  Senatus  ampliaaimus, 
Wa$  nun  insbesondere  die  Theologie  Studio 
r enden  betriff]^  so  mussten  diese  bis  zum  J.  1820  In 
ihrem  vorbereitenflen  literacischen  Curstis  auch  grie- 
chische   Alterthiimer,     Physik,     Astronomie, 
philosophische  Moral  und  holländische  Gram- 
matik hören,  welche  seit  dieser  Zeit  Ihnen  aber  erlas- 
sen sind,  so  dass  sie  bloss  noch  über  den  holländi- 
schen Styl  und  die  Beredsamkeit  hören  müssen« 
Uta  Vorlesung^  über  die  Landwirthschaft  braucht- 
en' sie   seitdem  statt  2  Jahren  nur  1  Jahr  lang  beizu- 
wohnen.   Im  ersten  Jahre  ihres  Fakultätsstudiums  hö- 
ren    sie.  natürliche    Theologie,    Kirchenge- 
schichte, Hermeneutik,    Exegese  des  A.  und 
Nk  T«, 'spjftef,I)ogmatik,  christliche   Moral  uad 
Pasioralthcologie.        Auch    die    Nebendialectc   de» 


Hebriiisclieo,  das  Chaldäisciie,  Syrische  «nd  ArA- 
bische  werden  voo  Tiden  fieissig  betrieben^  dagegen 
die  Homiletik  theoretisch  und  practisch  wenig.  Zwei- 
mal    wenigstens    müssen    sie    sub  praeside  prqfiu$an 
gepredigt  haben  ^    ehe  sie  sich  snm  theologischen  Kan- 
didatenexamen melden  dürfen«    Diese  Predigten  gesche- 
hen in  der  Woche  in  einer  Kirche  in  Gegenwart  des 
Professors  und  der  zu  dieser  Zeit  die  Homiletik  mit- 
besnchenden  Stndirenden ,  nicht  grade  öffentlich    Je- 
doch ladet  der  Predigende  seine  männlichen  and  weih- 
lichen Bekannten,  Freunde  und  Gönner  zur  Anhönung 
seiner  Predigt  durch  Einladungskarten,  gewöhnlich  150 
—  200  ein,  welche  er  umher  trägt  oder  schickt    Erst, 
wenn  der  Theologe  auf  diese  Art  einmal  gepredigt  hat, 
worüber  er  ein  Zeugniss  erhält,   darf  er  auch  aaf  be- 
nachbarten  Dörfen»    predigten,    jedoch   nur  praesinie 
paatore^    was   aber  nicht    häufig    geschieht,    da   man 
^ich  auf  der  Universität  wenig  im  Predigen  übt.    Ka- 
techetik  wird  fast  gar  nicht,    weder  theoretisch ,^  und 
noch  weniger  praktisch,  betrieben,  indem  der  Professor 
sie  nicht  mit  Kindern  katechisiren   lässt,   noch  in  ihrer 
Gegenwart  Katechisation  hält.     Eine  traurige  Schatten- 
seite des  theologischen  Studiums,   zum  Theil  Folge  der 
Ueberschätzung   der   Predigt   und  der  Greringschätiimg 
der  Katechisation,  wie  dies  bekanntlich  auch  in  unsetm 
Deutschland  zu  Speners  Zeit  der  Fall   gewesen 
war,    welcher,    als  er,  um  die  Katechese  wieder  zu  he« 
ben,  selbst  in  Dresden  nocb  eifktg  mit  den  Kindern 
katechisirte>  mitleidig  bespöttelt  würde»  dass  aus  einem 
Oberhofprediger  eiaSeknlmeisttr  gewordea sei. 


184 

Oad  leider  wird  doch  aach  jetil  noch  die  Kitecbetet 
wenn  gleich  wir  ihren  Werth  theoretisch  allgemein 
anerkennen  mögen,  bd  uns  in  praxi  vielfach  Temach- 
iSssigt.  Obiger  Ansicht  gemäss  überlässt  man  in  Hol* 
land  das  Katechisiren  zum  grossen  Theiie  den  Kate- 
chisirm eiste rn,  eben  nicht  zam  Katzen  der  christ- 
Hdien  Jugend,  wie  S.  62  —  65  des  I«  Bandes  gezeigt 
worden  ist  —  Nor  in  Leiden  pflegen  einige  )ange 
Theologen  freiwillig  zn  dem  berühmten  Prediger.  £  ge- 
ling an  gehen  2  nm  sich  bei  ihm  im  Katechisiren  lu 


Alle  theologischen  CoUegien  werden  lateinisch 
gdesen,  nor  die  Homiletik  und  Pastocaltheo- 
logicj  —  letitere  las  Professor  VAN  Voobst  an 
Leidea  nach  dem  deatschen  Leitfaden  Ivon  Profies- 
cor  Ppkiffer  in  Marburg,  —so  wie  über  die 
Mattersprache  und  Landwirthschaft  in  hol- 
ländischer Sprache« 

Auch  die  theologischen  Professoren  fragen  in  al- 
len Vorlesungen  über  das  Vorgetragene,  —  in  den  la- 
teinischen lateinisch  —  und  die  Stadirenden  respondi- 
ren  in  gleicher  Sprache»  Eine  nützliche,  naduhmungs- 
werthe  Einrichtung,  weil  hierdurch  theils  das  so  oft 
langweilende  ununterbrochene  Dociren  und  todte  Doc- 
liren  vermieden,  theils  die  Verständlichkeit  des  Vortrags 
gefordert  wird,  theils  die  Aufmerbamkeit  der  Zuhörer 
and  ihr  Interesse  an  den  W^issenschaßen  so  wie  ihr 
Vertrauen  zu  dem  Lehrer  zunimmt 

Unter,  den  Theologen,  so  wie  unter  den  andernScu- 
denlen  kerrsc|it  gröirtentheils  ein  ernster  Eifer  im  Sta- 


185 

dimn  and  anageseichnete  Wissenschaftltcbkeit«     DSete 
wird  hauptsächlich  befördert  durch    die  vielen  kleinen 
wissenschaftlichen  Yereine>  welche  die  Stu- 
denten, sowohl  die  literarischen,  als  auch  die  theologi- 
schen und  aus  andern  Fakultäten  sn  8  —  12  unter  sich 
wöchentlich  £in  bis  zweimal  Abends  halten«    Hier  liest 
abwechselnd  eins  der  Mitglieder  eine  über  einen  selbst- 
gewählten.  Gegenstand    Terfertigte   lateinische '  Abhand- 
lung vor,  worüber  nun  lateinisch  disputirta  und  sowohl 
äberdiese^  aU  aucb  über  andere  thesea  opponirC  wird« 
Bei  solchen  Vereinen  können  «nch  einige  Ehrenmitgli^ 
der  sein,  welche  hlosa  manbören  brauchen«    Audi  für 
bebräiscbe  und  ^dere  orientalische  Spradien  gibt 
CS  solche  Vereine.  leb  hatte  iibJ«  1824  in  Utrecht  die 
Freude^  einem  solcbem  literarischen  Vereine  Ton  10  — 12 
geistreichen  jungen  Theologen  und  Juristen  (unter  letz- 
teren war  ein  Sohn  des  Justizministers  VAn  Maanen), 
welcher  jeden  Dienstag  Abend  yon  7—10  yersammelt 
war,  beizuwohnen«    Zuerst  wurden  die  jdcta  der  letzten 
Yersamminng  vorgelesen,  —  denn  es  wird  ein  förmliches 
Protokoll  gefdhrt,  und  ein  Mitglied  ist  zum  Secretär, 
ein  anderes  zum  PrSisident  gewählt;  -—  sodann  las 
ein  wirkliches  Mitglied  eine  lateinische  Abhandlung  über 
einen  literarischen  G^eustand  vor^  worüber  die  andern 
Mitglieder  Bemerkungen  machten.    Darauf  wurden  von 
einem  Andern  30  Verse  aus  Homer  erklärt;    dann 
von  einem  Dritten  6  —  8  Thesea  hingestellt,   welche 
er  Tcrtheidigte,  und  wogegen  die  Uebrigen  opponirten, 
alles  laCeiu'sGfa«    Endlich    warde  bolländisch  dedaairt 
■nd  imprcmsirt^   dicsü  Icbtcre  selbst  von  einem  Mit« 


m 

gliede  ia  htdnischer  Sprache.  Allei;  gesdiaU  dabei  in 
einer  so  wiirdigea,  erasteo  und  wisse^schaftlidieii  Wei- 
se, dass  ich  nicht  umhin  konnte,  die  Bildung  solcher 
Vereine  fiir  unsere  deutschen  Universitäten  in  ahm- 
licher  Weise  zu  wünschen« 

In  firiiherer  Zeit^  wo  auf  den  holländischea  Uni- 
versitäten vielen  Studireuden  neben  der  gepieinscfaaft- 
lichen  Uebung  in  der  Wissenschaftlichkeit  auch 
die  gemeinsame  Uebung  in  der  Gottseligkeit  thener 
war,  .gab  es  neben  den  wissenschaftlich'eii  ähnlidie  £r- 
ba  au  Dg  SV  ereine  unter  den  Studenten,  wie  unter 
andern  aus  des  Missionärs  M.  G  ft.  V  o  s  Leben  und 
Schiksaleu,  (aus  dem  Holländischen  iibersetzt,  Basel  bei 
Schneider  182»)  5.  OB  erbellet.  ,,Ich  £and%  enShlt 
er  darin,  ,,bei  meinem  Studiren  in  Utrecht  üb  J. 
1^1781,  eine  fromme  Studentengesellschaft,  die  damals 
„aus  1*7  Junglingen  bestand ,  welche  feden  Saäistag 
„Abend  auisammenkamen,  um  mit  einander  in  beten, 
„lu  singen  und  von  Herz  su  Herz  über  Gottes  Wort, 
„ihr  Seelenheil  und  ihre  Ldbenserfahrungen  re  reden« 
„Ich  ward  Mitglied  dieser  Gesellschaft,  und  fand,  dass 
„dieser  Verein  nicht  bloss  für  den  Abend,  sondern  für 
„die  ganze  folgende  Woche  nützlidi  war^  nta  auf  ein- 
„ander  Acht  zu  geben^  und  uns  gegenseitig  knm  Glau- 
„ben  und  zur  Liebe  in  guten  Werken  zu  ermuntern* 
^Darbei  standen  die  Glieder  dieses  Vereins  in  allgemei- 
^ner  Achtung  als  Jünglinge,  welche  die  Zeit  ihrer  aka- 
„denuschen  Laufbahn  nützlich  verwandten  und  sebrflcis- 
„sig  itttdirten.'*—  Jetit  hüten  sich  die  Studenten  aber 


187 

wohl  vor  solchen  Vereinen ,    denn  das   w'ire  ia  IMysli- 

CUQIUS  I ! 

Der  häufige  freundschaftliche  Verlehr,    den   jeder 
solide    Studirende  mit   den  Professoren    hahen  kanji, 
trägt  ferner  nicht  wenig  tn  der  grösseren  Wissenschaft- 
iichkeit  und  Bildung  der  Studirenden  hei.    Jeder  Pro- 
fessor hat  nämlich  wöchentlich    einen  Ahend  bestimmt^ 
wo  alle  mit  ihm  in  näherer  Besiehung  stehend'en  oder 
solche  wünschenden   S.tudenten^  besondei's  von  seiner 
Fakultät,  zum  Thee  lu  ihm  kommen,  lind  dnige  Stun- 
den sich  vertraulich  mit  ihm  unterhalten  können«  — 
Aach  auf  einigen    preussischen  Universitäten   ist 
gegenwärtig    bei    mehreren   Professoren    diese    schdne 
Sitte.     Mög«  sie  mehr  und  mehr  sich  Verbreiten  1 

Den  einzelnen  Studirenden  wird  es  überdies  nidit 
schweri  noch  näheren  Umgang  mit  dem  einen  oder  dem 
andern  Professor  anzuknüpfen,  auch  bei  gebildeten  Fa- 
milien Zutritt  zu  erhalten,  welches  nicht  wenig  dazu  bei- 
trägt^  dass   die  Spuren   der  burschikosen  Rohheit  bei 
sehr  vielen  Studirenden  verwischt  werden,  und  ein  ed- 
leres Wesen  ihrem  Aeusseren  sich   aufdrückt*    Daher 
fallen  auch  sehr  selten  Duelle   unter   ihnen  vor,    nnd 
dennoch  wissen  sie  Ehre  und  Anstand   recht  gat  ohne 
diese  sündhaften  subtilen  Raufereien  zu  behaupten,  wel- 
che  so  vielen   deutschen   Studenten  zur  Erhaltung 
ihrer  burschikosen  Ehre  nnentbehrlich  scheinen«^) 


*)  Auch  auf  den  schwedischen  Universitäten  sind 
Duelle  ToWig  unbekannt.  8.  vöW  Schubert 's 
Schwedens  Kirchen  «Erfassung  tod  Unterrichts  wese» 
II.  Band  S.  528. 


18B 

In  kirchUcber  Hinsicht  werden  die  StodenteoL  bei 
ihrer  Ankunft  aaf  der  Universität  Glieder  ihrer  kon- 
fessionellen Gremeinde  daselbst  Zu  diesem  Zwecke 
bringen  namentlich  die  reformirten  Stadenten,  tndi 
die  Nichttheologen ,  ein  Kircfaenzengniss  mit,  das  sie 
dem  Kirchenrath  ihrer  Gemeinde  auf  der  Unhrenitit 
überliefern«  Eine  spedelle  Seelsorge  geniessen  slt  übri* 
gens  nicht,  sowenig  von  den  Gemeindepfarrem,  als  tob 
den  Universitätspredigem.. 

Nur  Einmal  im  Jahr^  un  Sommer^  sind  Ferien, 
alsdani»  aber  3  Monate  lang.  Aach  Ostern  und  Christ- 
fest sbd  14  Tage  frei.  Es  ist  daher  nur  Ein  Stadien- 
korsns,  der  durchs  ganze  Jahr  geht.  -*'  Die  Kosten 
des  UniTersitäts leben*  in  Holland  sind  sehr  be- 
dentend,  sie  betragen  jährlich  anft  mindeste  000— -800 
fl.y  da  die  Ziaunermiethe,  gering  berechnet,  100—190 
fl.,  und  ein  einfadies^  Mittagessen  täglich  12  Slnber 
holL  kostet 

Da  wegen  dieser  Theorang,  wegen  der  hohen 
Kolleggelder  und  ins  andern  Ursachen,  vor  einiger  Z&t 
Mangel  an  Theologie  Studirenden  eintrat, .  so  hat  der 
König  seit  dem  J«  1820  alle  theologischen  Kollegien 
fiel  gegeben,  und  den  Professoren  eine  Vergütung  da- 
für zugestanden,  so  dass  bloss  die  literarischen  zn  be- 
aahlen  sind.  Auch  hat  er  für  alle  Predigersöhne,  wel« 
che  Theologie  studiren,  die  jährliche  Unterstütisag 
auf  der  Unifersität,  deren  oben  Erwähiinng  geschah, 
aof  200  fl«  eriiöht 

Alle  Stadmaden,  aach  die  Theologen ,  müsseii 
eilte  Zcäfamg  als  ÜBlilBr  diniieB,  wtaa  sie  bis  inoi 


satten  Jahre  noch  kein  Amt  laben.  Da  die  Tkeolo- 
gen  aber  22  Jahre  alt  sein  müssen  9  ehe  sie  ein  geist- 
liches Amt  bekleiden  können,  so  ist  for  sie  erwirkt 
worden,  dass  sie,  sobald  sie  das  Examen  eines  Kan- 
didaten der  Theologie  bestanden  haben,  vom 
Militär  frei  sind,  und  den  katholischen  Subdiaconen 
gleich  stehen«  Dies  £xamen  machen  sie  gewöhnlich 
nach  des  ersten  2  oder  3  Jahren  ihres  theologischen 
Studiaras,  ond  sind  dadarch  gewissermassen  in  dea 
geistlichen  Stand  getreten,  werden  nicht  mehr  als  Laien, 
sondern  als  Geistliche  angesehen,  und  gemessen  deren 
Rechte.  Hierdurch  gewinnen  die  Professoren  denn 
auch  noch  mehr  £inflass  auf  sie,  welche  nach  diesem 
präparatorischen  Examen  noch  bis  ans  Ende  des 
Werten  theologischen  Jahres  stadiren,  und  darauf  ein 
peremptorisches  Examen  vor  dem  propincial 
Kerkbettuur  bestehen  müssen.  Hier  werden  sie 
geprüft  in  alt-  und  neutestamentlicher  Exe- 
gese, in  Kirchengeschichte,  Dogmatik  und 
Dogmengeschichte,  christlicher  Moral,  Ho- 
miletik und  der  Pastoraltheologie,  und  müssen 
eine  Probepredigt  halten.  —  Dass  die  Katcche- 
tik  als  Prüfungsgegenstand  fehlt,  habe  ich  bereits  oben 
bemerkt  Hierin  behauptet  die  evangelische  Kirdie 
Deutschlands,    Dänemarks*),    Schwedens, 


*)  Nach  einer  KönigU  Dänischen  Verordnnng  Ton 
Christian  VU.  unterm  5ten  Oct  1702  sollen  die 
Kandidaten  djBs  Predigtamts  ror  ihrer  Beförderung 
«ine  Sirentliche  Probe  ihrer  GeschickUchkeit  im 
Katechisiren  in  der  Kirche  abiegea.    S.W.Fr, 


190 
Finalands*),  und   andere  einen  wesentUdien  föf* 

Auch  alle  practische  Anleitung  za  der  eigentlichen 
Seelsorge»  zum  Krankenbesuch  u«  s.w.  fehlt 
grünlich,  was  den  grossen  Mangel  ad  Seelsorge  in  <^^ 
Gemeinden  freilich  erklären  hilf^. 

Diejenigen  Kandidaten,  welche  zu  JDoctoret' 
Theologiae  promoviren,  werden,  weil  sie  hierfür 
noch  ein  schwereres  Universitätsexamen  za  machen, 
eine  Dissertation  zn  schreiben  und  zu  ver(heidigen  ha- 
ben,  von  dem  pröpincial  Kerkbestuur  bloss  in 
Dogmatik  und  Dogmengeschichte,  christli- 
cher Moral,  Homiletik  und  Pastoraltheologie 
geprüft. 

Alle  Kandidaten  haben  nach  bestanderer  Priijfonjg 
die  oben  angeführte  Erklärung  in  Betreff  der  symboli- 
schen Bücher  zu  unterschreiben.  Hierauf  erhalten  sie 
das  Kandidatenzeugniss  der  Wahlfähigkeit,  und  naeh  ge- 
schehener Berufung  von  einer  Gemeinde  eine  s  c  h  r  i  f  t  - 
liehe  Bevollmächtigung  zur  Bedienung  der  Taufe 
«nd  des  h.  Abendmahls,  und  der  Wahrnebmung  aller 
andern  Theile  des  h.  Dienstes.    Eine  eigentliche  feier- 


M Unters  Magazin  für  Kirchengeschichte  und  Kir- 
chenrecht des  Nordens  I.  Band  IV.  Stück.  S«  348. 
Altena  bei  Hammerich  1792. 

*)  Heber  die  theoretische  und  practische  Anweisung 
aar  religiösen  Katechetik  uuf  den  schwedi- 
schen und  der  finnischen  Universität.  S.  von 
Schubert'b  Schwedens  Kirch enrerfassung und  Un- 
tariehtsweien  I.  Band  S*  207  ff. 


m 


liehe  Ordination,  wie  in  unserer  preaiaischen 
und  anderen  deutschen  Kirchen,  findet  nicht  statt« 
.(Vgl  I.  Band  S*  *I1.) 

An  den  3  Universitäten  Siidniederlands» 
m  Löwen,  Lüttich  und  Gent  bestehen  noch  keine 
Geologische  Facultäten,  da  die  katholischen  Theologen 
auf  den  Seminarien  der  Bischöfe  gebildet  werden. 
'VVeil  es  nicht  mein  Zweck  ist,  sie  näher  zu  beschrei- 
ben, so  folgt  hier  nur  eine  Uebersicht  der  Zahl  der 
Stodirenden  an  den  6  Universitäten   des  Reichs   vom 

J^b  1827« 

zu  zn  zn  zn         zn         sn 

Zieideu  Utrecht  Groningen  .Löwen  Iiüttich  0«ut 

TheoL  Stud.     158  169        92        --        —        — 

Jurisprud.  191         95 

Medizin  62         21 

'Wissensch.iihpL  10         45 

Philos.  u.  Lit.  167  168 

Summa     588       498       287       678       506       404 

Totalsumme  2961  Studirende. 
Im  J.  1826  war  die  Totalsumme  2774,   also    im 
J.  1827  eine  Mehrzahl  von  187  Studirenden. 


68 

158 

185 

207 

29 

70 

89 

165 

14 

83 

78 

11 

84 

373 

154' 

21 

m 


«i«a 


Mangel  einer  speciellen  Seelsorge  der 
Studirenden  auf  den  preussischen 
Universitäten.  Unvollkommenheit 
der  theologisch  ' pr,aktischen  Bil- 
dung auf  denselben.  Verbesserungs^ 
vorschlage* 


WerfcD  wir  nnn  einen  vergleichenden  Blick  anf  an- 
dere dentscbe,  namentlich  preussische  Univer- 
sitäten in  Hinsicht  der  Seelen  pflege  der  evange- 
lischen Studirenden  überhaupt,  und  der  praktischen 
Bildung  der  evangelischen  Theologen  insbesondere, 
so  finden  wir  auch  hier  noch  bedeutende  Mängel  und 
Lucken« 

Eine  specielle  Seelsorge  ist   auf  eine  unbe- 
greifliche Weise  bisher  meines   Wissens    auf  keiner 
Universität  Deutschlands  den  evangelischen  Stndi-    . 
renden  gewidmet  worden,   gleidi  ab  sei  sie  entweder"^ 
gans  tSberflüssig^  öder  gans  unmöglich.    Dass  ii 


I9i 


von  den  hohen  Uehorden  Prcussens  das  Bediirfoiss 
einer  solchen  Scelsorge  gefühlt  wird,  ergibt  sich  aus 
der  Verfügung  des  Ministeriams  der  geistlichen  etc. 
Angelegenheiten  vom  29.  Sept.  1827,  dass  alle  evan- 
gelische Theologie  Sludirende  bei  ihrer  Meldung  zum 
ersten  geistlichen  Examen  nachweisen  müssen,  zu  wel- 
cher Kirche  sie  sich  auf  der  UniversilUt  gehalten,  so 
vfle  dass  sie  während  der  akademischen  Zeit  das  h. 
Abendmahl,  und  von  welchem  Pfarrer  sie  es  empfan- 
gen haben. 

Wenn  gleich  nun  diese  Verfügung  den  ihr  zum 
Gmnde  liegenden  heiligen  Zweck,  die  Studenten  zu 
einem  engeren  Anschliessen  an  das  kirchliche  Gemcin- 
deleben,  und  damit  zu  einer  näheren  Verbindung  mit 
dem  Gemeindeseelsorger,  zu  bringen,  nicht  erreichen 
möchte,  weil  sie  theils  den  grössten  Theil  der  evange- 
lischen Studirenden,  allen  Nichttheologen,  welche  doch 
dieselben  christlichen  Gemeindepflichten  haben*),  von 
jener  Verpflichtung  ausschliesst ,  und  dadurch  bei  die- 
sen den  verderblichen  Wahn,  von  solchen  Pflichten 
frei  zu  sein,  befordern  hilft;  theils  den  Theologen 
darch  obige  Vergleichuug  eine  Art   peinlichen  Gewis- 


*)  In  Schweden  muss  daher  nach  einer  Koni";!«  Ver- 
ordnung vom  12.  Nov.  176G  ein  Jeder,  welcher  nach 
dem  Abgange  von  der  Universität  in  ein  Staatsamt 
einzutreten  wünscht,  auch  ein  Zeugniss  darüber  bei- 
bringen ,  dass  er  an  der  Feier  des  K  Abeiulniahles 
Theil  genommen  habe.  S.  von  Schuberts  Soh we- 
dens  Kirchenverfassung  und  Unterrichts u  escn  JI. 
Band  S.  538. 
II.  13 


194 

seoszwangs  auflegt,  weil  die  kirchlichgesinnten,  welche 
vorher  aas  eignem  freien  Herzensdrange  das  h,  Abend- 
mahl feierten,  nun  zum  Schaden  ihrer  Erbauung  bei 
der  Feier  durch  die  Besorgniss  gestört  werden,  dass 
Tielleicht  mehr  das  äussere  menschliche  Gebot,  als  die 
Liebe  zum  Herrn  sie  treiben  möge,  und  somit  an  sich 
irre  werden:  so  hat  man  sich  doch  jedenfalls  sehr  dar- 
über zu  freuen,  dass  aus  dem  Erlassen  der  Verfügung 
die  grössere  Aufmerksamkeit  erhellet,  welche  unsere 
geistlichen  Behörden  jetzt  der  Befriedigung  des  so  drin- 
genden Bedürfnisses  einer  näheren  Seelsorge  der  Stu- 
direnden  schenken* 

Unsäglichen  Abbruch  hat  es  der  Kirchlichkeit  und 
dem  Glauben  in  der  erangelischen  Kirche  gethan^  dass 
bisher  nicht  bloss  die  Theologen,  sondern  auch  alle 
andere  evangelische  Stndirende,  welche  doeh  nachher 
in  ihrem  amtlichen  Leben  auf  die  Kirche  wie  auf  den 
Staat  einen  so  hochwichtigen  Einfiuss  ausüben,  während 
der  3  bis  4  Jahre  ihres  Universitätslebens  ausserhalb 
alles  kirchlichen  Gemeindeverbandes  und  aller  regel- 
mässigen Seelsorge  gestanden  haben,  also  grade  wäh- 
rend der  Lebenszeit,  wo  das  Herz  am  stärksten  von 
den  Leidenschaften  hin  und  her  geworfen  wird,  und 
wo  der  Verstand  in  seinem  Forschen  auf  allen  Gebie- 
ten des  Wissens  so  leicht  in  Hinsicht  des  Beligiösen 
die  Demuth  verliert  und  dem  Unglauben  Raum  gibt. 
Grade  in  dieser  Zeit  können  Kopf  und  Herz  am  we- 
nigsten eine  geistige  Stütze  und  einen  höheren  Halt- 
punkt entbehren,  welchen  nur  die  geistliche  Seelsorge 
auf  eine  so  freundliche  und  die  akademische  Freiheit 


m 

so  wenig  beschränkende  Welse  darbietet,  wie  dies  das 
eigenthümliche  Verbältniss  der  Universitäten  erfordert. 
Nun  aber,  da  sie  aller  Stiitze  nnd  alles  Halts  von  aus- 
sen entbehrend,  und  zum  grössten  Theile  innerlich  noch 
in  der  Erkenntniss  des  Heilsweges  schwach  und  schwan- 
kend als  Schafe  ohne  Hirten  dem  zügellosen  Gelüsten 
and  Vernünfteln  des  Herzens  nnd  Kopfes  Preis  gffgc- 
len  werden,  ist*s  da  ein  Wunder,  dass  ein  grosser 
Theil  derselben  sich  von  Christo  und  den  .Gnadenmit- 
teln  seiner  Kirche  losreisst,  und  in  den  üniversitäts- 
jahren  nie  anders  von  ihm  hört,  als  wenn  etwa  in  phi- 
losophischen oder  geschichtlichen  Vorlesungen  Hinwei- 
langen  auf  das  Christenthum»  meist  eben  nicht  zur  Er- 
schütterung, sondern  mehr  zur  Bestärkunlg  ihres  Un^ 
^laubens,  vorkommen? 

Keineswegs  will  ich  in  Abrede  stellen,  dass  auch  auf 
nanche  Studirende  in  jeder  Fakultät  die  einzelnen  Pro- 
fessoren, mit  welchen  sie  in  näherer  Verbindung  ste- 
hen, und  so  denn  auch  insbesondere  die  theologischen 
Professoren  auf  manche  ihrer  Studenten  wohlthätigcn 
Einfluss  selbst  in  sittlicher  Hinsicht  ausüben;  tnd  es 
ist  SU  wünschen,  welchen  Wunsch  ich  schon  eben  aus*- 
sprach,  dass  solche  nähere  Verbindung  zwischen  den 
Stadirenden  und  ihren  Lehrern  zunehmen  möge.  Allein 
dabei  ist  andererseits  nicht  zu  vergessen,  dass  dieser 
wohltfaätige  Einfluss  sich  bei  den  meisten  hauptsächlich- 
aaf  das  Wissenschaftliche  erstreckt,  nnd  bloss  mittel- 
bar ftnf  die  Sittlichkeit  wirkt  durch  Beförderung  des 
'  AnstaQds  and  äusserer,  guter  Sitten;  dass  femer  auf 
den  Theil  der  Stodirenden,  welche  sich  vom  Umgang 

13* 


196 


mit  ihren  Lehrern  ferne  halten,  und  das  ist  die  grösstc 
Zahl,  gar  kein  derartiger  Eiafluss  Statt  findet."*) 


*)  Die  Sitte,  dass  jeder  Studirende  bei  dem  Antritt  sei- 
nes akademischen  Studiums  sich   bei  dem   Dekan 
seiner  Fakultät  za  melden  und  einschreiben  zu  lassen 
hat,  bringt  in  der  Keg^el  wenig  Nutzen,  da  sein  Yer- 
hältniss  zum  Dekan  ein  äusseres  uad  ganz  allgemei- 
nes bleibt,  auch  bei  dem  jährlichen  Wechsel  des  De- 
kanats die  Aufsicht  nicht  eine  fortwährende,  stetige 
ist.    Die  Dekanatsaufsicht  könnte  freilich  viel  Gutes 
wirken,  wenn  sie  besser  und  mehr  in  der  Art  einge- 
richtet Aiäre,  wie  sie  bei  der  theologischen  Fa- 
kultät zu  Halle  zur  Zeit  A.H.  Frayicke's  war. 
Die  damaligen  jungen  Theologen  wurden  ron  deip 
Decan,  bei  dem  sie  sich  meldeten,   und  der  sie  ein- 
schrieb, nicht  bloss  befragt  über  ihren  Aufenthalt 
auf  der  Schule  nnd  ihre  Fortschritte  in  den  Schul- 
studien, sondern  auch    angewiesen  9    wie  sie  jetxt 
nach  Beschaffenheit  ihres  Zwecks  und  ihrer  Anlagen 
ihre  Studien  einznrichten,  worauf  sie  sich  besonders 
zu  legen,    wie  sie  ihre  Zeit  einzuth eilen,  und  was 
für  Vorlesungen  sie  in  dem  bevorstehenden  halben 
Jahre  zu   hören  hätten.    Zugleich  waren  aie  aber, 
was  vorzüglich   wichtig  ist,    angewiesen,    sich   in 
jedem  halben  Jahre   von   neuem   bei  der  Fakultät 
zu  melden,  um  von  ihren  bisher  gehörten  CoUegien 
Rechenschaft  zu  geben,  und  sich  dieselben  aufs  neue 
einricliten   zu   lassen.    Jedoch  wurde  ihnen  in  der 
Mrahl  der  Collcgien  eine  billige  Freiheit  gelassen. 
Auch  in  der  Zwischenzeit  wurde  es  Jedem  verstat- 
tet,   vor   dem  Fakultätsconvente,    wozu  wö- 
chentlich einige  Stunden  im  Hause  des  jedesmaligem 
Dekans  ausgesetzt  waren,   zu  erscheinen,   so  oft  er 
wollte,  wenn  er  in  Absicht   seines   Christenthuma, 
seines  Studirens,  oder  seiner  äusseren  Angelegenhei- 
ten Rath  bedurfte.    S^iFrjlnckkn's  Stiftunges 


197 


Auch  die  bioher  angestellten  Uniyersitätspre- 
diger  können    die  genannte  verderbliche  Lücke  nicht 


II.  Bandes  I.  Stück  S.  65.  66.  —  Auch  auf  der  Uni- 
versität zu  Tübingen  wird  noch  immer  am  Ende 
jedes  akademischen  Semesters  zum  grossen  VortheLlc 
der  Wissenschaftlichkeit  eine  kurze  Prüfung  über 
die  gcliörte  Vorlesung  mit  den  Studirendcn  jeder 
Fakultät  vorgenommen,  nicht  bloss  mit  den  Zöglin- 
gen des  theologischen  Stifts^  dessen  übrige 
Freiheitsbeschränkupgen ,  soviel  Löbliches  es  auch 
in  seiner  Einrichtung  hat,  ich  nicht  unbedingt,  noch 
in  allen  ihren  Theilen  zur  Nachahmung  empfehlen 
möchte.  —  Selbst  die  oben  angeführte  Einrichtung 
auf  den  holländischen  Universitäten,  dass  allv 
Studirende  sich  am  Anfang  jedes  akademischen  Jah- 
res aufs  neue  einschreiben  lassen  müssen,  gibt  we- 
nigstens eine  gewisse  äussere  fortgesetzte  Controlle 
über  sie. 

Aber  auf  unseren  preussischen  und  den  mei- 
sten deutschen  Universitäten  ist  eine  solche 
schrankenlose  Ungcbundenheit  und  AufgichtsloKi«>:- 
kcit  in  wissenschaftlicher  und  sittlicher  Hinsicht, 
wie  sie  kann  grösser  gedacht  werden  kann.  Hat 
der  Student  sich  da  einmal  bei  seinem  Decan  ge- 
meldet und  einschreiben  lassen ,  so  braucht  er  nun 
für  die  3  Jahre  seines  akademischen  Lebens  keinem 
Professor  mehr  zu  Gesicht  zu  kommen,  kann  trei- 
ben, was  er  will,  wenn  er  sich  nur  vor  Polizeiver- 
gehen hütet,  kann  hören,  was  er  will,  kann  unter- 
lassen zu  hören,  was  er  will,  und  nichts,  gar  nichts, 
als  der  Gedanke  ans  Examen,  der  aber  oft  erst  ge- 
gen das  Ende  des  Trienniums  aus  der  Tiefe  der 
Heele  auftaucht,  ist  der  Stern,  der  den  zügellosen 
lidelen  Burschen  in  seinem  flotten  Leben  zu  Zeiten 
lässt  stille  stehen,  und  ihn  auf  das  Ziel  und  den 
Zweck  seines  Uuirersitätslebens,  —  dann  aber  mei" 


S^  TtT 


196 

aui^leD,  was  schon  daraas  hervorgeht,  dais  sie  bloss 
zu  gewissen  Zeiten  zu  preaigen  haben,  aber  durchaus 
auf  keine  Seelsorge  berufen,  auch  gewöhnlich  mit  ge- 
lehrten Professurarbeilen  überladen  sind. 

Wie  lässt  sich  aber,  wird  man  fragen,  eine  Theil- 
nahme  der  Studirenden  an  diesem  kirchlichen  Gemein- 
deverbande  und  Gemeindeleben,  dessen  segensreiche 
Einwirkung   nicht   geläugnet  werden  soll*},   wie  lässt* 


■tens  zu  spät,  —  hinweist  Ist's  da  zu  verwunden, 
dass  80  manche  die  edle  Zeit  ihres  Trienniuras  nutz- 
los für  ihren  Geist  und  verderblich  für  ihr  Ilen 
verschwenden,  und  alle  Sorgen,  Schweiss  und  Thrä- 
nen  der  armen  für  ihr  Studir^  sich  plagenden  Ael- 
tern  nur  vergelten  mit  Verursachung  von  noch  bit* 
terem  Sorgen  und  Thränent  Dass  so  viele  andere 
nur  aufs  Nothdüftigste  die.  unentbehrlichen  Brodatu- 
dieg  treiben,  sich  mit  Muhe  durchs  Examen  schlep- 
pen, und  nun  Taglöhner  bleiben  ihr  Lebenlang.  — 
Da  würde  die  edle  akademische  Freiheit  doch 
auf  eine  Hei  dauernder  und  allgemeiner  beglücken- 
de Weise,  und  ohne  so  bitteres  Nach  weh  genossen, 
wenn  zur  Berathung  und  Zügelung  der  Unberathe- 
nen  und  Zügellosen  einige  Leitung  und  Beaufsichti- 
gung in  dem  akademischen  Studium  statt  fönde,  m 
ähnlicher  Weise  wie  zu  Halle  unter  Franckk 
und  zu  Tübingen, 

*)  Luther  sagt  hiervon  in  seiner  Auslegocg  des828ten 
Psalms,  Walch.  Ausgabe  V.  Theil  S.1035:  „Denn 
>,dies  Wort  „Gottes  Gemeinde'S  ist  ein  theuer 
„werthes  Wort,  und  wer  sich  darinnen  fünde,  dai 
„sollte  ihm  billig  zehnmal  lieber  sein,  denn  dass  er 
„in  der  R3fiicr  Bürgerschaft  geschrieben  wäre,  welr 
„ches  etwan  ein  gross  herrlich  Dingauf  Erden  war; 
„aber  die  Vernunft  achtet  es  nicht^ 


199 

sich  das  Geniessea  eiaer  ipeciellen  Seelsorge,  welche 
als  eins  der  heilsamsten  Fdrdemngsmittel  eines  gottse- 
ligen Lebens  anzuerkennen  htf  bewerkstelligen?  — 

Dies  lässt  sich  ohne  grosse  Schwierigkeiten  in  fol- 
gender Art  einrichten.  Namentlich  hat  sich  an  unserer 
Kheinuniversität  die  Einrichtung  nur  an  das  be- 
reits kirchenordnongsffiässig  nach  unserer  gesegneten 
Presbjterialverfassung  Bestehende  anznschliessen. 

Der  Staat  beauftragt  nämlich  einen  der  Pfarrer  der 
evangelischen  Gemeinde  oder  Gemeinden  der  Univer- 
sitätsstadt, der  dazu  am  geeignetsten  ist,  mit  der  spe- 
ciellen  Seelsorge  aller  evangelischen  Studirenden.  Dit 
Wirksamkeit  dieses  Universitätsseelsorgers  (so 
möchte  ich  ihn  am  liebsten  nennen,  auch  wohl  Univer- 
siläts- Pastor  oder  Pfarrer,  am  wenigsten  Univer- 
sitäts-Prediger, weil  dieser  Name  nur  einen  Theil 
seines  Amtes  ausdrückt)  beginnt  damit,  dass  jeder  evan- 
gelische Studirende  bei  dem  Beziehen  der  Universität 
von  dem  Pfarrer  der  Gemeinde  seines  Gymnasial-  oder 
sonstigen  Wohnortes,  zu  welcher  er  bisher  gehörte, 
ein  Kirch enzengniss  mitbringt|  —  wie  solches  nach 
unserer  Kirch enverfassnng  ohnehm  jedes  Gemeindsglied 
beim  Wegziehen  von  einem  Orte  zum  andern  zu  thun 
gehalten  ist,  und  wie  dies  auch  die  reformirten  Stu- 
denten auf  den  holländischen  Universitäten  thun,  — - 
ond  dies  Zeugniss  in  den  ersten  Tagen  nach  seiner 
Ankunft  dem  Universitätsseelsorger  persönlich  über- 
reicht. Dieser  nimmt  ihn  hiermit,  indem  er  es  in  Ver-^ 
wahr  behält,  unter  seine  Gemeindsglieder  auf.  Aus  dem 
Zeugniss  und  noch  mehr  aus    der .  durch  es  veranlass- 


-f 


.sSSSBäSSSSn.:  r: 


200 


teil  Unterredung  mit  dem  Studireaden  über  seine  bis- 
herigen äusseren  und  inneren  Verhältiiisse  zur  Kirche 
des  Herrn  ersieht  der  Seelsorger  vorläufig,  auf  welcher 
Stufe  christlicher  Bildung  er  steht ,  und  von  welcher 
Seite  er  künftig  anzufassen  sein  wird.  Ist  der  Seelsor- 
ger ein  liebevoller,  milder,  entschiedenglänbiger  und 
besonnener  Mann,  —  und  nur  ein  solcher  kann  diese 
schwierige  Scelenpflege  mit  Seegen  führen,  —  so  wird 
er  sich  schon  in  dieser  ersten  Unterredung  bei  Vielen 
ein  gewisses  Vertrauen  erwerben,  so  dass  sie  sich  freuen 
werden,  in  der  neuen  fremden  V/elt  einen  väterlichen 
Freuud  zu  finden,  der  durch  seinen  amtlichen  wie  in- 
neren Beruf  sich  verpflichfet  fühlt,  ihnen  in  geistlichen 
und  leiblichen  Nöthen  beizustehen« 

Damit  dies  Vertrauen  nun  wachse,  und  eine  wirk- 
liche  fortdauernde    Scelenpflege    stattfinde,   muss   der 
Seelsorger   wenigstens   halbjährlich    jeden    Stndirenden 
in  dessen  Wohnung  besuchen,  wie  er  ja  auch  bei  sei- 
nen  übrigen   Gemeindsgliedern  nach   unserer  Kirchen- 
ordnnng  jährlichen  Hausbesuch  zu  halten  hat    Der  Be- 
such ist  bei  den  Studirenden  aber  halbjährlich  nü- 
thig,  weil  manche  nur  Ein  Semester  auf  einer  Univer- 
sität bleiben,  damit  auch  diese  wenigstens  £inMal  eine 
vertrauliche  Ansprache  an  ihr  Herz  erhalten.    Dass  nicht 
allen,   ja  vielleicht  nicht   der   Mehrzahl,    besonders  im 
Anfange,   diese    Hansbesuche   angenehm   sein   werden, 
das  liegt   in   der  Beschaffenheit    des  natürlichen  Menr- 
schenherzens ,    und  kaim  daher  nicht  verwundern.     Da 
aber  die  wenigsten,  zumal  in  diesem  jugendlichen  Alter, 
gegen  das  Heilige  schon  verhärtet  sind,   so   wird   der 


201 

Seelsorger  vielen,  selbst  den  Leichtsinnigeren  allmäh- 
lich eine  gewisse  Achtung  gegpn  sich,  und  somit  ia  der 
Regel  auch  gegen  die  Religion^  deren  Diener  er  ist, 
abnölhigen.  Er  wird  bei  ihnen  den  Stachel  des  Ge- 
wissens aufwecken,  dadurch  zu  sittlichem  Ernste  hin- 
rühren,  und  somit  ein  entschiedenes  Hinwenden  zum 
Herrn  vorbereiten.  Er  wird  ihnen  die  Pflicht  einer  grös- 
seren Heiilgiing  des  Sabbathtages  wichtig  machen,  und 
das  Wohlthätige  einer  Verwendung  dieses  Tages  nicht 
bloss  ZU'  keiner  Befriedigung  roher  Sinncnlust,  sondern 
auch  nicht  zum  gelehrten  Studium,  vielmehr  zur  reli- 
giösen Belehrung,  Erweckung  und  Erbauung,  zurSelbst- 
priifung  und  Uebung  in  der  Gottisellgkeit  durch  Hören 
und  Lesen  des  göttlichen  Wortes,  das  alsdann  auch 
von  den  Theologen  nur  zur  Erbauung,  nicht  zur  ge- 
lehrten Forschung  gelesen  werden  soll^,  durch  Lesen 


^)  So  sagt  A.  H.  Francke  in  der  VL  Lection  seiner 
Leciiones  paraeneticae  S.  126  zunächst  zwar 
in  Beziehung  auf  die  Theologen,  was  aber  auch  al- 
len andern  Studirenden  gilt,  die  ja  ihr  gelehrtes 
Studium  die  Woche  über  noch  weit  weniger,  als  die 
Theologen,  oft  gar  nicht  auf  religiöse  Gegenstände 
führt:  „Weil  das  zwei  unterschiedene  Dinge  sind, 
„Studiren  und  Beten,  so  ist  es  auch  den  Stu- 
„diosis  der  Theologie  recht  gut  und  heilsam,  das» 
„solclie  Zwischenzeiten  kommen,  und  dass  sie  zu 
„solcher  Zeit,  wenn  hohe  Feiertage  sind,  einmal 
„von  ihrem  Stadiren  ein  wenig  abgezogen  werden» 
„Es  thun  auch  Studiosi  der  Theologie  da  recht  wohl, 
„dass  sie  so  lange  das  Stadiren  bei  Seite  setzen,  so 
„lange  diese  Tage  währen,  und  dass  sie,  wenn  sol- 
„clie  Tage  gefeiert  werden,   an  kein  Studiren  ge- 


202 


lo  anderen  bewibrten  Andachtab&cheru,  als  einem 
Abmd,  Kempis,  Fsnxlon,  BAZTjBfty  Thomas 


99 


n 


„denken,  sondern  dass  sie  ihr  Hen  nur  dahin  rich- 
ten, dass  es  auf  die  Weide  Gottes  gehen,  dass  es 
rechte  Kraft  des  Glauhens  empfahen,  dass  es  in 
der  Liehe  Christi  wachsen  und  sunehmen,  dass  es 
„hrünstiger  in  Gott  werden  möge;  davon  werden  sie 
„gewiss  einen  grossen  Vortheil  haben.  Das  soll 
„hillig  ein  Studiosus  der  Theologie  alle  Sonntage 
„thun,  dass  er,  wenn  der  Sonnabend  lu  Ende  läuft, 
„sein  Studiren  heiseit  setse,  und  sich  su  dem  Sonn- 
„tag  recht  zubereite,  und  dann  den  Sonntag  recht 
„dazu  widme,  dass  er  sein  ganzes  Herz  in  Gott  eiu- 
„fliessen  lasse,  und  alles,  was  er  höret  oder  lieset, 
„dahin  richte,  dass  er  nicht  gelehrter,  sondern  fröm- 
„mer  und  besser  werden  möge.  Würden  das  Stu- 
„diosi  wöchentlich  thun,  o  was  würden  sie  für  einen 
„unsäglichen  Vortheil  in  ihrem  Christenthum  daron 
„haben !  So  aber,  wenn  nlan  das  Studiren  nicht  Ter- 
„läugnet,  wenn  der  Sonntag  herannahet,  sondern 
„daran  kleben  bleibt,  so  dringt  Gottes  Wort  nicht 
„recht  ins  Herz,  man  horchet  nur  in  den  Predigten, 
„wo  man  etwas  erschnappen  möge,  wodurch  man 
„gelehrter  werde,  und  Andern  dereinst  wieder  vor- 
„schwatzen  könne,  und  so  wird  man  vom  Teufel 
„betrogen,  dass  man  immermehr  zu  einer  rechten 
„Kraft  im  Christenthum  gelanget  Wenn  man  aber 
„so  nur  drei  Tage  (er  redete  zunächst  zur  Vorbe- 
„reitung  auf  die  Charwoche  des  J.  1709)  nach  ein- 
„ander  auf  seine  Seele  wendet,  und  sein  Herz  recht 
„mit  Gott  zu  Tereinigen  sucht,  so  kann  man  von 
„solchen  Tagen  einen  rechten  Vortheil  haben,  wie 
„ein  dürres  Erdreich,  wenn  ein  langwieriger  Regen 
„kommt,  der  nach  und  nach  sich  hineinsenket,  und 
„dasselbe  erquicket  und  fruchtbar  macht." 


303 

—     i'"*i  I 

Scott  etc.,  andi  religitfser  und  dock  nnterlialtender 
Lesebucher,  f.B«  LebensbeschreibQngeii  von  ans« 
gezeichneten  gottseligen  Minnern,  als  von  L0TRBB, 
Melai^chthoii,  Bvgemhagsn»  Speneh,  Frait- 

CKE,    ZlirZENDORF,    WeSLET,    ChTSOSTOMUS, 

Bernhard  von  Clairyauz,  Gregor  von  Na- 
ziANz,  Newton,  Hailer,  Moser,  Howard 
etc.,  der  £rzählungen  der  Oraoe Kmn^tfy^  von  Pater 
Clemens  u.  s.  w.,  Schuberts  Altes  und  Neu- 
es, und  ähnlicher  Schriften,  je  nachdem  sie  grade  für 
den  Standpunkt  eines  Jedien  liebliche  und  nahrhafte 
Speise  bieten* 

So  wird  er  den  einen  Hilch,  den  andern  feste 
Speise  reichen,  den  willig  Aufnehmenden  und  Geför^ 
derten  viel,  den  andern  nur  wenig  sein  können;  bei 
allen  aber  wird  er  Vater-  und  Mattar-Stelle  an  ihrem 
Innern  Menschen  vertreten,  und  sie,  soviel  an  ihm  is^ 
auferziehen  helfen  sn  Bäumen  der  Gerechtigkeit 


Ganz  derselben  Meinung  war  Spbner,  der  auf 
den  Rath  des  Hofpredigers  8t oll  den  Soonti^ 
\i'ährend  seines  theologischen  Studiams  heiligte  durch 
Enthaltung  nicht  bloss  von  aller  weltlichen  Ergdtz- 
iichkeit,  sondern  selbst  von  solchen  tiieologischen 
Studien,  die  zwar  gelehrter,  aber  nicht  frömmer 
machten.  Daher  beschäftigte  er  sich  des  Sonntags 
nach  der  Theilnahme  am  öffentlichen  Gottesdienste 
nur  mit  Lesen  ascetischer  Schriften,  oder  mit  dem 
Aufsetzen  frommer  Meditationen  in  Prosa  und  Ver- 
sen, versanmielte  auch  wohl  einige  gleichgesinnte 
Freunde  um  sich,  mit  denen  er  geistliche  Lieder 
sang  und  fromme  Gespräche  führte-  S.  Hoii- 
B4CHB  Spenbr  uud  sclne  Seit, 


1 


204 

Ferne  ist  es  von  mir,  die  von  einer  solchen  Seel- 
sorge zu  hoffenden  Früchte  zu  übertreiben.  Wer  selbst 
eine  längere  Reihe  von  Jahren  Seelsorger  gewesen, 
weiss  ja  am  besten,  wie  meist  nnr  der  kleinere  TheSL 
des  ansgestrenten  Samens  dreissig-,  sechzig  •  oder 
hunderträltige  Fracht  bringt.  Allein  ganz  ohne  Frucht 
wird  solche  Seelsorge  doch .  nnr  bei  der  Minderzahl 
bleiben,  besonders  wenn  die  Einwirkung  der  abwesen- 
den Aeltern  damit  Hand  in  Hand  geht. 

Mag  seine  väterlich  -  ernste  Aufsicht  und  Zuspräche 
manche  auch  nur  minder  kühn  machen ,  mit  ihren  Lü- 
sten öffentlich  hervorzutreten,  und  mit  ihrer  Schande 
£u  prahlen;  mag  sie  manche  andere  zuerst  nnr  zu  einer 
äusseren  Kirchlichkeit  führen;  auch  die  Beförderung 
dieser  äusseren  Zucht  und  Sitte  ist  schon  ein  Zug  des 
Vaters  zum  Sohne  9  und  macht  ernsteren  Handrücken 
Bahn.  Diejenigen  aber,  welche  schon  das  güdgeWort 
Gottes  geschmeckt,  und  Christum  im  Glauben  ergriffen 
haben,  deren  Herz  aber  noch  nicht  fest  ist,  wie  wird 
denen  ein  solcher  Freund  ihrer  Seelen,  ein  solcher 
Vater  in  Christo  so  wohl  thuni  Wie  gerne  werden 
sie  seinen  Rath,  seine  Gemeinschaft  suchen,  und  sich 
mit  ihm  erbauen  auf  ihren  allerheiligsten  Glauben,  dass 
weder  die  lockenden  Versuchungen  der  Welt  und  des 
Fleisches,  noch  der  Hohn  und  Spott  der  Ungläubigen 
sie  wird  weichen  lassen  von  dem  Fels  ihres  Heils! 

Auch  in  ihren  irdischen  Verhältnissen  wird  den 
Stndirenden  die  Gewissheit,  sich  deshalb  um  Rath  ge- 
trost an  ihren  Seelsorger  wenden  zu  können,  sehr  wohl- 
thätig   werden.     Von  Manchem  wird  sie   in   leiblicher 


205 

Noth  die  Verzweiflung  wehren,  von  Manchem  die  Ge- 
fahr, sich  durch  niederträchtige  Detriigereieii  retten  su 
wollen.  Manchem  Daell  wird  der  Seelsorger  durch  sei- 
nen Einfluss  und  seine  freundlich -ernste  Vermittelung 
verhüten,  obgleich  er  sow^ohl  hierin  als  in  allen  anderti 
irdischen  Beziehungen  sich  von  christlicher  Weisheit 
die  Grenzen  seines  Einwirkens  wird  bestimmen  lassen 
müssen,   und  so  wird   er  in  geistlicher  und  leiblicher 

m 

Hinsicht  ein  Bote  des  Friedens  für  seine  jugendlichen 
Gemeindsglieder  werden. 

Welchen  Trost  wird  es  endlich  christlichen  Acl- 
tern  gehen,  zu  wissen,  dass  ihre  Söhne  auf  der  neuen 
gefährlichen  Laufbahn  nicht  bloss  Gelegenheit  haben, 
in  der  Wissenschaft  su  wachsen,  sondern  auch  einen 
Pfleger  des  Wachsthums  in  der  Gottseligkeit  finden, 
und  dass  sie  selbst  sich  in  Nolhrällen  an  diesen  Mann 
als  an  ihren  Stellvertreter  wenden  können  mit  ihren 
Bitten  und  Rathschlägen  zum  Heil  ihrer  Söhne! 

Wenn  endlich  der  Studirende  die  Universität  ver- 
lässt,  so  erhält  er  vom  Seelsorger  ein  neues  Kirchen* 
zeugniss  ausgestellt,  worin  dieser  der  Kirchenordnnng 
gemäss  über  sein  christliches  Betragen,  über  seine  Theil- 
nahme  am  Gottesdienste  und  dem  h.  Abendmahle  sich 
ausspricht.  Hierdurch  wird  derselbe  Zweck,  den  oben- 
erwähntes Abendmahlszeugniss  erreichen  soll,  auf  eine 
ganz  einfache  Weise,  selbst  ohne  einen  Schein  von 
Gewissenszwang,  sicherer  und  vollständiger  erreicht, 
die  christliche  Kirchenzucht  gehandhabt,  und  der  Ge- 
meinde, zu  welcher  er  von  der  Universität  hinkommt, 
die  Anknüpfung  ihrer  Aufsicht  und  Pflege  an  die  an- 


206 

mittelbar  vorhergegangene  möglich  gemacht,  so^dass 
der  wohlthätige  christliche  Gemeindeverband  (ur  ihn 
ununterbrochen  bleibt 

Ein  anderer  grosser  Schaden  für  das  Reich  Gottes 
ist  die  hö'chst  mangelhafte  und  dürftige  praktische 
Anleitung  der  evangelischen  Theologen  zu 
ihrem  künftigen  Amtsleben,  besonders  zu  der  Seelsorge 
auf  unseren  preussischen  Universitäten,  — 
denn  diese  habe  ich  hier  zunächst  im  Auge,  wenn  schon 
die  meisten  deutschen  Schwestern  denselben  Mangel 
theilen.  ' 

Die  Zahl  der  ausschliesslich  der  gelehrten  Theo« 
logie  sich  widmenden  Stndlrenden  ist  so  ausserordent- 
lich klein,  dass  unbestreitbar  der  Hauptzweck  der  theo- 
logischen Bildungsanstalten  auf  der  Universität  dahin 
jserichtet  sein  muss,  die  jungen  Theologen  zu  tüchtigen 
Lehrern  und  Seelsorgern  der  christlichen  Gemeinden 
%u  erziehen.  Hierzu  gehört  aber  nicht  bloss  gründliche 
theologisch  -  wissenschaflliche  Bildung,  sondern  auch 
gründliche  praktische  Anleitung  zu  dem  praktischen 
Amte*  Nun  sind  für  fast  alle  Theologen  in  PreusseU' 
die  Universitäten  die  einzigen  Anstalten,  worauf  sie  wie 
die  wissenschaftliche  Bildung  bo  auch  die  praktische  An- 
latang  erhalten«  Denn  das  einzige  theologische 
Seminar  im  Yaterlande,  das  zu  Wittenberg,  be- 
schränkt sich  auf  eine  so  kleine  Anzahl  ordentlicher 
Mitglieder,^  —  auf  25,  —  und  erfordert  so  viele  Zeit, 
da  der  Cursos  zweijährig  ist,  und  die  akademischen  Stu- 
dien voriier  absolvirt  sein  müssen,  auch  in  der  Regel 
dai  erste  Kandidaten-Examen,  pro  Ucentia  eondonandi 


207 

schon  bestanden  sein  soll,  verursacht  dabei  den  ans- 
serordentlichen  Mitgliedern,  die  nicht  in  den  25 
Stipendiaten  gehören,  und  sich  selbst  erhalten  müssen, 
so  viele  Kosten,  dass  die  Zahl  der  jene  Seminarbildnng 
Geniessenden  stets  sehr  gering  geblieben  ist,  ihr  £in- 
fluss  auf  die  Befriedigung  des  allgemeinen  Bedürfnisses 
einer  mehr  praktischen  Bildung  unserer  jungen  Geist« 
liehen  nur  unbedentend  sein  konnte. 

Und  wie  ist  nun  die  praktische  Anleitung  der  Theo- 
logen auf  der  Universität  zn  ihrem  künAigen  praktischen 
Amte  beschaffen? 

Nachdem  sie  die  zwei  ersten  Jahre  ausschliesslich 
theoretisch -wissenschaftliche  Studien  getrieben,  gelehr- 
te Exegese,  Kirchengeschichte,  Glaubens»  und 
Sittenlehre  u«  s.  w.  gehört  haben^  auch  wohl  Encj- 
clopädie  und  Methodologie,  welche  ihnen  aber 
in  der  Kegel  bloss  die  Methode  zu  einem  gelehrten 
Studium  zeigt,  und  Biicherkunde  gibt,  so  wenden  sie 
einen  Theil  des  letzten  Universitätsjahres  dazu  an,  dem 
Practischen  etwas  näher  zu  riicken,  hören  Homiletik 
und  Katechetik,  machen  auch  wohl  einige  Predigt- 
und  katechetische  Entwürfe  für  diese  Gollegien,  wenn 
sie  dazu  aufgefordert  werden,  und  damit  beschiiessea 
sie  ihre  akademische  Laufbahn  und  ihre  Bildungsschule 
nun  Seelsorgeramt.  Einige  jedoch,  welche  ihr  künfti- 
ges Amt  nicht  so  leicht  nehmen,  und  eine  praktische 
Vorbildung  dazu  höher  schätzen,  treten  im  letzten  Jah- 
re ins  homiletisch^katechetiscbe  Seminar.  Im- 
mer ist  dies  indess  bei  weitem  die  Minderzahl,  weil  es 
leider  in  ihrer  WillkShr  steht,  ob  sie  es  benutzen  wol- 


206 

mittelbar  vorhergegangene  möglich  gemacht,  so  dass 
der  wohlthätige  christliche  Gemeindeverhand  für  ihn 
ununterbrochen  bleibt 

Ein  anderer  grosser  Schaden  fiir  das  Reich  Gottes 
ist  die  hö'chst  mangelhafte  und  dürftige  praktische 
Anleitung  der  evangelischen  Theologen  zu 
ihrem  kiinfligen  Amtsleben,  besonders  zu  der  Seelsorge 
auf  unseren  preussischen  Universitäten,  — 
denn  diese  habe  ich  hier  zunächst  im  Auge,  wenn  schon 
die  meisten  deutschen  Schwestern  denselben  Mangel 
theilen.  ^ 

Die  Zahl  der  ausschliesslich  der  gelehrten  Theo« 
logie  sich  widmenden  Studlrenden  ist  so  ausserordent- 
lich klein,  dass  unbestreitbar  der  Hauptzweck  der  theo- 
logischen Bildnngsanstalten  auf  der  Universität  dahin 
jserichtet  sein  muss,  die  jungen  Theologen  zu  tüchtigen 
Lehrern  und  Seelsorgern  der  christlichen  Gemeinden 
%u  erziehen*  Hierzu  gehört  aber  nicht  bloss  gründliche 
theologisch  -  wissenschaftliche  Bildung,  sondern  auch 
gründliche  praktische  Anleitung  zu  dem  praktischen 
Amte.  Nun  sind  für  fast  alle  Theologen  in  Preussen- 
die  Universitäten  die  einzigen  Anstalten,  worauf  sie  wie 
die  wissenschaftliche  Bildung  ßo  auch  die  praktische  An- 
Ititang  erhalten.  Denn  das  einzige  theologische 
Seminar  im  Yaterlande,  das  zu  Wittenberg,  be- 
schränkt sich  auf  eine  so  kleine  Anzahl  ordentlicher 
Mitglieder,^  — -  auf  25,  *->  und  erfordert  so  viele  Zeit, 
da  der  Cnrsos  zweijährig  ist,  und  die  akademischen  Stu- 
dien vorher  absolvirt  sein  müssen,  auch  in  der  Regel 
das  erste  Kandidaten-Examen,  pro  ücenUa  concionandl 


207 

schon  bestanden  sein  soll,  verursacht  dabei  den  adft- 
serordentlichcn  Milgliedern,  die  nicht  in  den  25 
Stipendiaten  gehören,  und  sich  selbst  erhalten  müssen^ 
so  viele  Kosten,  dass  die  Zahl  der  jene  Seminarbildnng 
Genicssenden  stets  sehr  gering  geblieben  ist,  ihr  Ein- 
fluss  auf  die  Befriedigung  des  allgemeinen  Bedürfnisses 
einer  mehr  praktischen  Bildung  unserer  jungen  Geist- 
lichen nur  unbedeutend  sein  konnte. 

Und  wie  ist  nun  die  praktische  Anleitung  der  Theo- 
logen auf  der  Universität  zn  ihrem  kiinAigen  praktischen 
Amte  beschaffen? 

Nachdem  sie  die  zwei  ersten  Jahre  ausschliesslich 
theoretisch -wissenschaftliche  Studien  getrieben,  gelehr- 
te Exegese,  Kirchengeschichte,  Glaubens-  und 
Sittenlehre  u.  s.  w.  gehört  haben,  auch  wohl  Encj- 
clop'adie   und  Methodologie,   welche  ihnen   aber 
in  der  Kegel   bloss   die   Methode  zu  einem   gelehrten 
Studium  zeigt,   und  Biicherkunde   gibt,  so  wenden  sie 
einen  Theil  des  letzten  Universit'atsjahres  dazu  an,  dem 
Practischen  etwas  näher  zu  nicken,   hören  Homiletik 
und  Katechet! k,  machen  auch  wohl   einige  Predigt- 
nnd  katechetische  Entwürfe  für  diese  Gollegien,   wenn 
sie  dazu  aufgefordert  werden,  und   damit  beschliessen 
sie  ihre  akademische  Laufbahn  und  ihre  Bildungsschule 
sum  Seelsorgeramt.    Einige  jedoch,    welche  ihr  künfti- 
ges Amt  nicht  so  leicht  nehmen,   und   eine  praktische 
Vorbildung  dazu  höher  schätzen,  treten  im  letzten  Jah- 
re ins  homiletisch^katechetische  Seminar.    Im- 
mer ist  dies  indess  bei  weitem  die  Minderzahl,  weil  es 
leider  in  ihrer  Willkühr  steht^  ob  sie  es  benutzen  wol- 


208 


len  oder  nicht.  Hier  machen  diese  Seminaristen  nun 
einige  Predigtentwiirfe  nnd  Predigten  mehr,  ebenso 
einige  Katechesen,  welche  einer  Kritik  des  Professors, 
auch  wohl  einiger  Seminaristen  unterworfen  werden, 
halten  einige  Predigten,  katechisiren  auch  etliche  Mal, 
wenigstens  auf  einigen  Universitäten,  —  jedoch  kommt 
der  grösstelheii  selbst  der  Seminaristen  gar  nicht  ein- 
mal zu  diesem  Kathechisiren,  theils  wegen  ihrer  Menge, 
(in  Halle  sind  an  200  im  Seminar),  theils  wegen  der 
Seltenheit  der  kathechetischen  Uebnngen, —  und  hö'rea 
auch  wohl  noch  einige  gelehrte  Vorträge  über  Pasto- 
raltheologie überhaupt,  über  Seelsorge,  Litur- 
gik  und  dgU,  mit  einigen  practischen  Bemerkungen, 
Erzählung  einiger  Erfahrungen  vermischt.  Nachdem  sie 
also  einen  Theil  des  letzten  Drittels  ihres  Trienniums 
dem  Praktischen  gewidmet,  — -  denn  ein  anderer  gros- 
ser Theil  dieses  Drittels  blieb  den  gelehrten  Studien 
zugewendet,  — *  kehren  sie  nach  Hause  zurück,  aufs 
beste  zugerüstet,  wie  sie  meinen,  um  nun  Hirten  und 
Seelsorger  von  Hunderten,  ja  Tausenden  unsterblicher 
Seelen,  Prediger  und  Ausleger  des  göttlichen  Worts 
für  die  Erwachsenen,  Lehrer  und  Erzieher  der  Jugend 
zur  Wahrheit  und  Gottseligkeit,  Helfer  der  Armen, 
Tröster  der  Kranken  und  Sterbenden,  Wächter  und 
Pfleger  der  Kirche,  Aufseher  und  Beförderer  der  Schule, 
Ausbreiter  des  Reiches  Gottes  in  jedem  Stand  und  Ver- 
hältniss  zu  sein,  obgleich  sie  in  den  meisten  dieser  hei- 
ligen Geschäfte  theils  nicht  die  mindeste,  theils  nur  sehr 
dürftige  Erfahrung  besitzen.  —  Können  wir  da  deren 
Meinung  von  ihrer  Würdigkeit  nnd  Geeignetheit  thei- 


209 

len ,  hier  wo  das  Unerfahren  -  and  Unberathen  -  sein 
und  der  gewöhnlich  damit  verbundene  Dünkel ,  keines 
Baths  zu  bedürfeo,  eine  Menge  Mlssgriffe  in  der  geist- 
lichen Leitung  und  Pflege  herbeiführt,  AL'ssgriffe,  die 
das  ewige  Heil  der  Seelen  gefährden,  die  mit  dem 
Blute  des  Sohnes  Gottes  erkauft  sind? 

Lasset  uns  noch  näher  die  gerügten  grossen  Män- 
gel unserer  geistlichen  Bildungsanstalten  beweisen,  um 
alsdann  zu  sehen,  wie  ihnen  abzuhelfen  sein  möchte. 

Der  homiletischen  Anleitung  der  Theolo- 
gen wird  in  den  homiletisch -katechetischen  Seminaren 
in  Absicht  auf  das  Praktische  verhältnissmässig  die  mei- 
ste Zeit  gewidmet.  Mit  der  Anleitung  zum  Predigtma- 
chen wird  auch  die  zum  Predigthalten,  zur  Declama- 
tion,  Actio n  u.  s.  w.  verbunden*  Jedoch  wird  fast 
nnr  zu  synthetischen  Predigten  Anleitung  gegeben, 
aoch  die  kleineren,  gewiss  aber  darum  nicht  unwichti- 
gen Amtsreden,  als  Tauf-,  Gonfirmations -, 
Tran-  und  Grabreden,  so  wie  Leichenpredig- 
ten fast  gar  nicht  berücksichtigt.  Der  Geistliche  soll 
aber  nicht  bloss  Prediger  in  der  gewöhnlichen  sjnthe- 
tischen  Form  sein,  sondern  auch,  was  hiermit  gewöhn- 
lich nicht  verbunden  ist,  Erklärer,  Ausleger  der  heil. 
Schrift,  theils  durch  Predigen  in  Homilienform, 
worin  die  holländische  reformirte  Kirche,  wie  oben 
erwähnt,  gegenwärtig  jurch  Beförderung  der  hybeloefe-- 
mngen  ein  schönes  Vorbild  gibt,  theils  durch  Auslegung 
cinxelner  Abschnitte  und  Bücher  des  göttlichen  Worts 
in  noch  einfaoherer  Form 5  in  den  Reden,  welche  in 
denWochengottesdieosten,  den  sogenannten  Betston- 

n.  14 


2iU 


den,   und  iu    den  Land  «gemeinden  auch  in  Jen  sonn- 
tHgliclieu  Nachmittagsgottesdicnsten   üblich   sind.     Dass 
diese  analytische  Predigtweise  und  einfach-populäre 
und   praktische   Krklärongsart   der  h.  Schrifl  dem  Chri- 
steuvolke ungleich   grössere   Bibelkenntnlss   und  Bibel- 
lust verschaff   hat,   so  lange    sie  von  den  Geistlichen 
geübt  wurde,  und  wieder  verschaffen  wird,  wenn  durch 
neues  Aufleben  und   wieder   allgemeiner  Werden  der- 
selben  das    bloss   sjnthetische  Predigen,   wodurch 
die  nur  zu  sehr  herrschende  Bibelunkenntniss  und  Bi- 
belunlust befordert  worden,  beschränkt  wird  *},  ist  eben 
so  unbestreitbar,  als  dass  jene  analytische  Predigtweise 
und    einfach-praktische    Schriflerklärung    viel    schwerer 
anzueignen  ist,  als  3ie  synthetische. 

Hinreichende  Anleitung  hierzu  gibt  aber  keines- 
wegs die  gelehrte  £xegese,  welche  wohl  sehr  nütz- 
lich und  nölhig,  aber  leider  in  der  Regel  die  aus- 
schliessliche Exegese  ist,  welche  auf  den  Universitäten 
gelehrt  wird,     Hierzu   ist  vielmehr   durchaus   erforder-  ] 


1 
*)  Eia  gross  und  herrlich  Ding  wirken   die  Bibeige-  ' 

Seilschaften,  daas  sie  dem  Volke  den  Bibel- 
besit2  so  leicht  gemacht  haben,  und  arbeiten  da- 
durch den  Geistlichen  mächtig  vor.  Soll  aber  der 
Bibelbcsitas  die  rechte  Frucht  bringen,  eine  gründ-., 
liehe  Bibelkenntnlss  und  Bibclbenutzung 
beim  Volke  veranlassen,  namentlich  auch  zur  Wie-  ; 
derbelebung  der  Hausandacht,  welche  so  bejam- 
memswerth  selten  ist,  so  müssen  die  Geistlichen 
bei  dem  Volke  ßibellust  erzeugen,  und  dies  ge- 
«diielrt  durch  einfach  -  herzliche  praktische  Bibel - 
erklftrufif^ 


211 

lieh  das  Lehren  ciaer  einfachen,   ganz   auf  das  t)fakti<i 
sehe  Leben,    auf  Erbanung  nnd  Heiligung  der  Herzen 
hinzielenden  Auslegung  der  Schrift,  welche  ohne  Schau- 
stellung philosophischer,  philologischer  oder  theologi- 
scher  Gelehrsamkeit,    ohne  Anführung    der   gelehrten 
Meinungen,   Hypothesen,  Citate  und  dgl.  den  Gmnd- 
text  bloss  aus  sich  selbst  erläutert,  und, nach  dem  Sinn 
und  Vorbild   eines   Spener,   FrANCKE,  u.  a.    die 
Geschichten  und  Lehren  des  Textes  an  den  Herzen  der 
Zuhörer  fruchtbar  zu  machen  sacht.    Denii  sollen  diese 
Zuhörer  als    künftige  Prediger  und  Lehrei^  ihren  Ge- 
meinden die  praktischen  Lehren  von  der  Sünde  uhd 
der  Versöhnnng,    dem  Fleisch  und  dem   Geist, 
dem  Gesetz  und  der  Gnade,  der  Wiedergeburt 
und  der  Heiligung,  um   welche  sich  di^  praktische 
Bibelauslegung  als  um  ihre  Angeln   dreht,    recht  v6r- 
stätidlich^  wichtig  und  fruchtbar  für  ihre  Seelen  machen 
können,  so  müssen  sie  vorher  selbst  in  den  Geist  die- 
ser Lehren  eingedrungen  sein,    müssen    die   Wahrheit 
derselben   an  ihrem  eigenen   Herzen    erfahren    haben. 
Sonst  bleiben   auch    ihnen,    wenn   schon   sie   noch  so 
grosse  Schriftgelehrten   dem  Buchstaben  nach  sein  mö- 
gen, doch  gleich  dem  Nicodemus  jene  Grandlehren 
des    Evangelii    von    der  Wiedergeburt  u»   s.   w»   eine 
Thorheit    Denn  der  naturliche  Mensöh  vernimmt  nichts 
vom   Geiste   Gottes.     £s  versteht    sich    demnach  von 
selbst,  dass  der  Schriftaasleger,  der  Lehrer  der  jungen 
Theologen,   die  umwandekde  Kraft  des  Evangelii  an 
sich  selbst  erfahren  haben  mnss,  wenn  et  dessen  ganze 
Tiefe  und  Herrlichkeit  vor  den  Schiilert  niit  Vörlaug-» 

14* 


212 

nung  seiner  eignen,  fleischlichen  Weisheit  entfalten, 
nnd  nicht  bloss  ihren  Kopf,  sondern  auch  ihr  Herz 
dafür  soll  gewinnen  können,  nnd  wenn  nicht  die  prak- 
tische Anslegnng  sonst  ein  glaub  -  nnd  kraftloises  Ge- 
wasche werden  soli^  das  den  Schein  eines  gottseligen 
Wesens  haben  mag,  aber  seine  Kraft  verläugnet.  Dass 
dieser  Schriftansleger  aber  dann,  wenn  er  zugleich  in 
einer  praktisch  -  geistlichen  Wirksamkeit  nnd  Seelsorge 
stehend  die  Wirkungen  des  Evangelii  auch  an  andern 
Herten«  vielfach  kennen  gelernt  hat,  mit  noch  weit 
grösserer  Fülle  und  Umsicht  seinen  Schillern  die  rech* 
ten  Wege,  so  wie  die  Abwege  bei  dem  Erforschen 
und  Auslegen  des  göttlichen  Worts  anweisen  kann, 
wird  wohl  Niemand  läugnen. 

Keineswegs  sollen  bei  dieser  Schrifterklamng  die 
Grundsprachen  ganz  bei  Seite  gesetzt  werden.  Es  kann 
und  wird  bei  derselben  vielmehr,  weil  die  Bibellost, 
welche  sie  erzeugt ,  auf  einem  heiligeren  Grunde  mht, 
ab  die  gewöhnliche  anheilige,  dem  Unglauben  Bahn 
machende  Exegese  unserer  Zeit,  —  denn  wie  wenige 
Lückb's,  NfjlNders  und  Tholuck's  gibt  es 
noch!  —  auch  grössere  Lust  zum  Studium  des  Grund- 
teztes  hervorbringen,  wie  das  Beispiel  eines  Spener's 
und  Francke's  bewiesen  hat.  Warum  werden  ihre 
biblische  Uebungsstunden  iexercäaiiones bihäcae 
oder  coüegia  &5fica)*),    worin  sie  die  älterem  Studi- 


•)  Diese  ))ibli8ehen  Uebungsstunden,  welch«  auf 
Sfbnsr^s  Anregung  und  Rath  zuerst  1686  in 
Leipzig  von  den  Magfstern  Anton,  Franckr 


213 

rcndeu  in   der  praktischen  Schriftanslegung  sich  übea 
h'esseo,   nicht  wieder  ins  Leben  gerofen?    Den  vnbe- 


uud  Schade  unter  den  Nameu:  eoiiegia  pk&ohütHem 
begonnen  wurden,  -wurden  darnach  auf  der  llniTer- 
sität  Halle  (später  auch  in  Jena)  unter  der  Direk- 
tion der  theologischen  Fakultät  gehalten.    Viele  Stu- 
denten rercin igten  sich  nämlich  in  rerschiedene  kleine 
Gesellschaften  y   welche  Eine  oder  mehrere  Stunden 
wöchentlich    zusammenkamen,    um    ein  biblisches, 
nicht  alizuschweres  Buch,  und  zwar  zuerst  aus  dem 
N.  T.,  mit  einander  durchzulesen  und  zu  betrachten, 
damit   tie  eine  Fertigkeit  erlangten,  mit  der  heil. 
Schrift  umzugehen.    Ein  akademischer  Priyatdocent, 
oder  ein   Inspector  vom  Waisenhause   führte  dabei 
die  Aufsicht,  und  gab  Erinnerungen,  wenn  sie  nöthig 
waren.    Zuerst  wurde  der  Wortrerstand  erläutert, 
ohne  jedoch  bei  dunkeln  Stellen  zu  lange  zu  ver- 
weilen.     Hierauf  wurden  die  im  Text  liegenden 
theoretischen  und  praktischen  Wahrheiten  heraasge- 
zogen  und  entwickelt,   bisweilen  auch   ein  kurzer 
Entwurf  zu  einer    Predigt   gegeben.     Alles   wurde 
hauptsächlich  auf  die  Erbauung  gerichtet,  und  die 
theoretischen  Materien  beständig  zur  Praxif   gezo- 
gen.   Hier  war  nicht  der  Ort,  in  gelehrte  Forschun- 
gen einzugehen,  sondern  es  sollte  gezeigt  werden, 
wie  jeder  in  einer  Schriftstelle  liegende  Lehrpunkt 
zur  Ermunterung  und  Befestigung^  im   Guten^  zum 
Trost  und  zur  Beruhigung  diene.  •  Eh^er  hat  jedes- 
mal den  Hauptvortrag,    Wenn  dieser  geendigt  war, 
stand  es  den   übrigen  Mitgliedern   der  Gesellschaft 
frei,  etwas  zur  Erklärung  des  Textes  oder  zur  Er- 
bauung hinzuzusetzen.    Man  setzte  voraus,  dass  sich 
jeder  auf  die  su  erläuternde  Schriftstelle  vorbereite. 
Die  Uehungsstunden  wurden  mit  einem  kurzen  Ge- 
bet angefangen  und  beschlossen«    Alle  sollten  sich 
dazu  gewöhnen,  dass  sie  während  des  Vortrags  und 


214 

rechenbtrcn  Segen ,  den  sie  dadarch  bei  Tausenden 
junger  Theologen  und  £omit  in  Tausenden  von  Ge- 
meinden stifteten,   verkennt  man   ja  doch   jetzt   nicht 


auch  nach  Endigung  desselben  die  Zueignung  der 
Wahrheiten  auf  sich  selbst  machten  und  sich  prüf- 
teiiy  wie  ihr  Herz  dagegen  gesinnt  sei,  ob  sie  da- 
von Test  überzeugt  seien,  und  ob  sie  alles  so  bei 
■ich  fanden,  wie  es  in  der  h-  Schrift  vorgeschrieben 
ist.  —  Auch  die  Anfängier  im  theologischen  Studium 
wurden  ermahnt»  diese  Versammlungen  fleissig  zu 
besuchen.  Anfangs  aber  waren  sie  nur  Zuhörer, 
und  mussten  sich  erst  das  volle  Vertrauen  ihrer 
Lehrer  und  Commilitonen  erworben  haben»  ehe  sie 
unter  die  Zahl  derer,  die  Vorträge  hielten,  aufge- 
nommen wurden.  S.  Francken's  Stiftungen 
II.  BcU  II.  Stück  S.  206  —  209. 

Auf  den  holländischen  Universitäten  gibt  es, 
wie  oben  bemerkt  ist,  unter  den  Studirenden  ähn- 
liche, bloss  wissenschafdiche  Vereine,  welche  zur 
Beförderung  der  W'issenschaftlichkeit  wohlthätig  w  ir- 
ken.  Wie  leicht  könnten  da  die  jungen  holländi- 
schen Theologen,  denen  ihr  künftiges  Amt,  Schrift- 
ausleger für  das  Volk  zu  werden,  wichtig  ist,  sol- 
che praktisph-^exegetische  Vereine  unter  sich  bilden, 
damit  sie  darin  die  Schrift  ^zuerst  sich  selbst  unter- 
weisen Hessen  zur  Seligkeit,  und  dann  auch  ihre 
Gemeinden  desto  besser  dazu  unterweisen  könnten! 
Um  die  Aufsicht  in  solchen  biblischen  Uebungsstun- 
den  könnten  »ie  einen  der  Professoren  bitten.  Frei- 
lich möchte  sich  schwerlich  einer  dazu  willig  finden, 
da  er  bei  der  jetzt  in  Holland  weitverbreiteten 
theologischen  Stimmung  alsdann  kaum  derVerdäch- 
ttgni^,  ein  Mystiker  zu  sein,  entgehen  würde* 
Und  wie  viel  Glaubensmuth  gehört  dasu,  solches  ru- 
hig in  ertragen  1 


215 

jiielir;    den  Vorwurf  der  Pietisterei,  weichen  der  Meid, 
Widersprucbsgelfit  und  Unglaube  jener  Zeit  ihnen  mach- 
te,  hat  die  rechtfertigende  Zeit  von  ihnen  genommen; 
man  erkennt  allgemein  an,    das«   das  Licht  einer  ächti- 
cbristllchen   Pietät  sie    umleuchtet,    gesteht  ihnen    da« 
Verdienst  zu,  ein  neues,  frisches,  grünendes  Leben  der 
Gottseligkeit  in  vielen  Ländern  erweckt  zu  haben,  und 
>vü  lischt   dies   anch  wohl   unserer  Zeit    vrieder.     Aber 
soll  man  beim  Wünschen  stehen  bleiben?    Kann  man 
gute  Früchte  gemessen,   ohne  dass  der  gute  Baum  ge- 
pflanzt wird  ?     Warum  wendet  man  die  Mittel  zur  prakr 
tischen  Ausbildung  der  Pfleger   des  geistlichen  Lebens 
der  Gemeinden  so  kümmerlich   and  anvollständig  am 
statt  im  Geist  jener  Männer,  so  dass  grade  jetzt  wieder 
von   unseren   Universitäten  in  vollem  Sinne  gilt,   was 
Franck£   von  den  Universitäten  seiner  Zeit  klagte: 
„Das  ist  das  gemeine  Uebel:   was    wir   im    Amte   alle 
„Tage  brauchen,  das  lernen  wir  nicht;  denn  es  ist  uns 
„zu  gering;    und  was  wir  auf  Universitäten  gelernt  ha- 
lben, das  wissen  wir  hernach  nicht  mit  NuUen  zu  ge- 
„brauchen. —  Auf  Universitäten  fasst  man  meistentheils 
,.bloss  die  Anfangsgründe  der  göttlichen  Lehre  in  den 
„Kopf,    und  bleibt  so.cÜirr,   so  kraftlos,  so  blind  und 
„bloss  dabei,   dass  die  GesAalt,   darin  das  Evangelium 
„die  Menschen  versetzt,   nirgends   anzutreffen  ist    D!e 
„Wissenschaft    wird     nicht    in    die    Praxis    hineinge- 
,,führt."  — 

Dies  Hineinführen  der  Wissenschaft  in  die  Praxis 
ist  aber  heutzutage  den  theologiscbea  Professoren  noch 
viel  schwerer,   daher  aadi  noch  viel  seltener,  ircU  die 


216 

meisten  derselben  bloss  Stubengelehrte  sind,  die  nie 
ein  geistliches,  praktisches  Amt  bekleidet  haben,  was 
in  jener  Zeit  anders  war,  und  die  Bedürfnisse  der  Ge* 
meinden  daher  nur  von  der  Studierstube  kennen,  also 
verkennen,  so  lange  sie  nicht  in  Demuth  die  ihnen  bei 
allen  Schätzen  theologischen  Wissens  eben  sowohl  wie 
den  Ungelehrten  einwohnende  natürliche' Blindheit  nnd 
ErleuchtnngsbedSrftigkeit  erkennen,  sich  zu  dem  wen- 
den , '  der  auch  den  Weisen  zur  Weisheit  gemacht  is^ 
und  die  Theologie  erst  noch,  wie  S pener  sich  aus- 
druckt, im  Lichte  des  h.  Geistes  erlernen. 

Da  nun  ab«  sehr  viele  derselben  gleich  jenen 
Leipziger  Theologen  zu  FrANCKE's  Zeit  sich  nicht 
dazu  gesetzt  glauben,  dass  sie  die  Studenten  fromm, 
sondern  nur  dass  sie  dieselben  gelehrt  machen  sol« 
len,  da  solche  es  also  unter  ihrer  Würde  halten  wur- 
den, ein  Colleg,  das  mit  zur  Erbauung  diene,  zu  baU 
ten,  nnd  dadurch  am  Ende  gar  in  den  Greruch  des 
Mjsticismus  zu  kommen,  zumal  wenn  sie  es  mit  Gebet 
beginnen  und  schliessen  sollten,  was  so  ganz  gegen  die 
Mode  unserer  Zeit  ist,  da  endlich  selbst  von  den  gläu- 
bigen unter  den  gelehrten  Theologen  die  meisten  der 
Erfahrung  einer  praktisch  -  geistlichen  Amtswirksamkeit 
gänzlich  entbehren,  so  erscheint  es  am  passendsten, 
wenn  der  Universitätsseelsorger,  der  natürlich 
ein  gründlich  theologisch  -  gebildeter  Mann  sein  muss, 
nnd  keine  wissenschaftliche  Blossen  geben  darf,  obige 
biblische  Uebnngsstunden  leitet.  Seine  bestäa- 
dige  Uehiing  in  praktischer  Schriftanslegang  anf  und 
unter  der  Kam^el»  in  den  Wochengottesdiensten  und 


217 

in  der  Kinderlehre ,  seine  Bekanntscliaft  mit  den  über 
die  Schrift  und  einzehie  Lehren  derselben  im  Volk^ 
verbreiteten  Yorortheilen,  Irrthümern  und  Missyerständ- 
nissen,  endlich  sein  durch  sein  Amt  stets  auf  die  An- 
wendung und  Fruchtbarmachung  der  Scbrifllehren  ge« 
richtetes  Auge  machen  ihn  zu  solchem  Geschäft  ganx 
besonders  geeignet 

Die  katechetische  Anweisung  der  jungen 
Theologen  wird,  seit  Speiver  und  FuAUCKE^  die 
ausserordentliche  Wichtigkeit  des  katechetischen  Unter- 
richtes für  die  ganze  Gemeinde,  nicht  bloss  für  'die 
Kinder,  ins  Licht  gestellt,  auf  unsern  Universitäten  wohl 
nirgends  ganz  vernachlässigt  Allein  das  Kolleg  der 
Katechetik  zu  hören,  gilt  doch  meistens  als  Hauptsache; 
die  praktischen  Cebungen  werden  in  geringer  Zahl  an- 
gestellt, und  nur  die  wenigsten  der  Theologen  zu  den- 
selben  selbstthätig   angeleitet.  ^    Das    Vorkatechisiren 


*)  Ein  PreussischeB  Provinzialkonsistorinm 
erlässt  nicht  selten  den  Examinanden  aas  Mitleid 
die  Katechisation,  iveil  es  ivahrnehmen  musste,  dass 
Viele  sich  an  derselben  jämmerlich  zerplagten,  und 
doch  nicht  damit  zurechtkamen,  indem  sie  häufig, 
ohne  alle  Anleitung  dazu  genossen  zu  haben,  von 
der  Universität  zu*ückkehrten. 

Um  so  noth wendiger  erscheint  eine  bessere  filn- 
-richtung  zur  Erlangung  einer  grosseren -Uebung  und 
Geschicklichkeit  im  Katechisiren  für  alle  Theologen. 
Denn  die  katechetische  Geschicklichkeit  muss  eine 
unerlftssliche  Bedingung  bei  jedem  Examen  sein. 
Ja  es  wäre  sehr  zu  wünschen,  dasa  neben  der  von 
den  sich  bewerbenden  Kandidaten  bei  vacanten. Ge- 
meinden SU  haltenden  Probepredigt  auch  eint 


218 

I 

des  Lehrers  ist  gut  und  nöthig,  «^  su  Bouii  wird  iu 
einem  sonntäglicheu  Machmittagsgottesdienste  monat- 
lich voip  Pfarrer  und  Professor  Sack  eine  öffentliche 
Katechisation ,  meist  über  einen  Bibelabschnitt  gehal- 
ten»  -*  allein  die  Selbstübung  der  Theologen  im  Ka- 
techisiren  bleibt  doch  iiamer  das  Wichtigste.  Dieses 
mUsste  häufig  sowohl  in  der  Katechisirstobe,  als  in  der 
Kirche  geschehen* 

Auf  dem  theologischen  Seminar  su  Herborn, 
weldies  ich  während  des  Wiuterbalbjahrs  1811^  fre«* 
quentirte,  war  die  zweckmässige  Einrichtung,  dass  jeden 
Sonntag  Abend  um  5  Uhr,  nach  geendigter  JNachmit- 
tagskirche,  der  übliche  Abendgottesdienst,  das  sogenann- 
te Abendgebet,  abwechselnd  von  einem  der  Semi- 
naristen gehalten  wurde,  welches  Torzüglich  in  einer 
öffendichen  Katechisation  mit  den  Schulkindern  über 
einen  biblischen  Abschnitt  bestand.  Viele  erwadisene- 
Gemeindsglieder  wohnten  dem  Gottesdienste  mit  gros- 
ser Aufmerksamkeit  und  Theilnahme  bei,  wie  überhaupt 
das  Volk  von  guten  Eatechisationen  mehr  versteht  und 
mehr  Nutzen  daraus  zieht,  als  aus  Predigten.*) 


Probekate  eh  isati  OD  allgemein  vorgeschrieben 
^vürde,  wie  dies  der  Kreissuperintendent  Pfarrer 
ZiLLESEN  zu  Wickrathberg,  der  neuerwäblte 
Generalsuperintendent  unserer  Provinz  Jülich- 
Cleve-Bcrg>  bereits  den  Kandidaten  in  seine 
Kreissynode  Torgeschrieben  hat, 

*)  So  bemerkt  FrangkE  Lect.  paraenet,  IV,  227  ff.. 
„Die  Studiosi  ^verden  künftig  in  ihrem  Amte  belln- 
„den,  \%eun  sie  Jahr  aus  Jahr  ein   gepredigt  haben, 


219 


■*«» 


£ia  solcher  Abimdgottesdieiist  jakt'  Kat^tbbatton 
würde  sehr  leicht  auch  auf  den  ÜAiyersitäten,  z.  B.  ia 
Boun  einzurichten  $ein^  und  nicht  bloss  den  Kindern 


n 


dass  die  Zuhörer  aus  ihren  Predigten,  auch  TOn 
,,solchen  Dingen,  die  Sie  ihnen  "wohl  hundertmal  ge- 
„sagt  haben,  se  m^nig  gefasirt  haben,  als  ^enn  sie 
„ea  ihr  Lebtag  noch  nic9it  gehört  hätten ,  und  das 
„alles  aus  Mangel  d-er  Katechisationen. 
„Denn  weil  es  mit  den  Predigten  nicht  so  gehet» 
„wie  etwa  in  Schulen,  da  man  ton  Zeit  zu  Zeit 
„Examina  hält,  so  verlassen  sich  die  Leute  darauf, 
„wie  sich  etwa  die  Schuler-darauf  verlassen  und  faul 
„werden  würden,  wenn  kein  EiEamen  angestellt  wür- 
„de.  Die  m'eisten  Menschen  haben  so  wenig  Fas- 
„sungskraft,  dass,  wenn  ein  Periode  gesagt  ist, 
„sie  ihn  schon  wieder  vergessen  haben;  sie  bekoni- 
„men,  indem  sie  zuhören,  fremde  Gedanken  und 
„kommen  aus  der  Verbindung  heraus.  Sie  erlangen 
„also  keine  rechte  Einsicht  in  die  Ordnung  des 
„Heils.  —  Der  Prediger  wird  der  Sache  durch  kein 
„anderes  Mittel  helfen  und  rathen  können,  als  durch 
„die  Katechisation.  Es  ist  also  das  Vornehmste,, 
„nicht  nur  im  Schulamt,  sondern  auch  im  Predigt- 
„anit,  den  Leuten  den  Katechismus  recht  zu  lehren 
„und  zn  erklären.  Daher  ist  selbst  in  den  Predig- 
„ten  immer  auf  den  Katechismus  Rücksicht  zu  neh- 
„men.  Hätten  nun  Studios*  Theoiogiae  hier  einige  Jahre 
„zugebracht,  und  alle  theologische  CoUegia  gehört, 
„aber  nicht  katechisiren  gelernt,  so  wären  sie  zur 
„Hauptsache,  die  sie  einst  thun  sollten,  ungeschickt; 
„und  dieser  Mangel  würde  die  meiste  Frucht  ihres 
„Amtes  verhindern.  — ^.^Vpntlndige  werden  ihre 
„Gelehrsamkeit  nur  in  so  weit  schätzen,  als  sie 
„brauchbar  ist«  und  wahrer  Nutzen  damit  ge- 
„schafft  wird.  ^«  - 


I 

4 


220 


Unterricht  und  den  Seminaristen  Uebung,  sondern  auch 
den  erwachsenen  (jemeiudsgliedern,  besonders  aus  dem 
geringeren  Stande,  ein  neues  Mittel  der  Belehrung  und 
Erbauung  verschafTen.  Es  könnte  hier  sowohl  iiber 
einen  Abschnitt  der  h.  Schrift,  als  auch,  weil  die  Ge- 
meinde unirt  isty  über  die  beiden  nnübertroffenen 
symbolischen  Katechismen,  den  kleinen  luthe- 
rischen und  den  heidelbergischen,  welche  beide 
überhaupt  mehr  allgemein  gebraucht  werden  sollten^*) 
katechisirt  werden. 


*)  Es  würde  zur  F9rienug  des  Glaubens  unä  zur  Ab- 
'wehrung  des  Unglaubens  wesentlich  beitragen,  wenn 
unsere  geistlichen  Behörden  rerordneten«  dass  jedem 
neu   herauszugebenden    Katecbismus   die    beiden 
symbolischen   ( den  Katechismen  für  noch  nicht 
unirte  oder  noch  nicht  für  evangelisch  erklärte  Ge- 
meinden wenigstens  der  eine  konfessionelle  symbo- 
lische) angehängt  werden,  und  bei  den  Uauptlehren 
desselben  die  darauf  Bezug  habenden  Stellen  beider 
Katechismen  (den  Katechismen  für  noch  nicht  unir- 
te etc.  Gemeinden  die  betreffenden  Stellen  des  einen 
symbolischen)  citirt,  wie  dies  so  einfach  und  schön 
in  dem  Unterb armer  Katechismus  geschehen  ist, 
und  auf  die  betreffenden  Artikel  der  Augsburgi- 
schen  Konfession  hingewiesen  werden  müsste. 
Die  Katechisnmsyerfertiger  würden  alsdann  in  Ih- 
rem Katechismus  nicht  so  leicht  mit  Lehren,   wel- 
che im  offenbaren  Widerspruche  mit    den  symboli- 
schen stehen,  herrortreten  künnen,  und  selbst  wenn 
einige  derselben  Unverschämtheit  genug   dazu   be- 
sässen,  welcher  Fall  nach  den  neueren  Erfahrungen 
nur  za  denkbar  ist,  so  könnfee  das  Volk  alsdann 
doch  eine  Vergleichung  «wischen  Jenem  neuen  und 
dieaen  »ymbolisohea  KatechisMM  anstellen,  und  ihm 


213 


In  der  Woche  körten  wir  Seminaristen  theils  den 
brmaligen  Katechesen  des  Seminirdirectors  mit  den 
echumenen  an,  theils  katechisirten  wir  mit  densel- 
I  In  seiner  Gegenwart,  theils  überwies  er  uns  ein- 
ae  verwahrloste  und  hinter  den  andern  anruckgehlie- 
le  Katechisanden,  um  sie  privatim  an  unterrichten 
1  ihnen  nachzuhelfen.  Vorsugüch  dies  letztere  Selbst- 
terrichten  förderte  uns  ia  dar  Kunst  des  Katechisi- 
is,  und  wir  lernten  da  in  4  Wochen  mehr,  als  in 
er  halbjährigen  akademischen  Vorlesung  über  die 
techetik  gelernt  wird,  wenn  solche  auch  mit  der  tief- 
of  Gelehrsamkeit  und  den  glänzendsten  Sätzen  ge- 


der  Glaube  nicht  so  leicht  mehr,  wie  bisher ,  durch 
die  ungläubigen  Katechismuslehren  aas  den  Herzen 
gestohlen  werden. 

Die  DifiTerenz  swisehen  beiden  symbolischen  Ka- 
chiamen  in  der  Liehre  TOm  heil.  Abendmahle  wird 
nicht  Yerwiirea,  sobald  der  Katechet  die  Lehre  ge- 
hörig erklftrt  und  zeigt,  wie  die  einfach  -  biblische 
Lehre  bei  den  Katechismen  gemeinschaftlich  und 
ihr  Vereiniguttgspunkt  ist,  und  beide  nur  da,  wo 
sie  in  der  nftheren  Bestimmung  dieser  Lehre  weiter 
als  die  Schrift  und  fiber  sie  hinausgehen, '  sich  tren- 
nen. Dies  gibt  selbst  Gelegenheit  zu  einem  Finger- 
zeig über  das  unbedingte  Ansehen  der  h.  Schrift 
und  das  bedingte  der  symbolischen  Schriften.  Ver- 
anstaltete man  für  obigen  Zweck  eine  Stereotyp- 
ausgabe  tou  beiden  Katechismen,  wobei  von  der 
Heidelberger  natflrlich  diejenige,  worin  die  Bi- 
bektellen  unter  den  Fragen  stehen,  gewählt  wer- 
den müsste,  so  wfirde  dieser  Anhang  sehr  wenig 
kosten. 


222 

Würzt  und  mit  Belegen  und  Proben  von   Katechesen 
toä  allen  Ländern  «nd  Völkern  ausgestattet  sein  mag. 

Auf  ähnliche  Weise  miissten  die  jungen  Theolo- 
gen unter  der  Leitung  des  Universitatspastors  häufig  la 
der  Katechisirstube  nnd  in  der  Kirche  katechisiren,  auch 
Gelegenheit  erhalten^  nach  erworbener  gr(>5sererUebung 
einzelne  oder  einige  schwächere  Schüler  allein  xn  nn« 
terrichten.  Diese  Gelegenheit  findet  sich  leicht,  da 
thisila  in  jeder  Katechumenen-Zahl  mehrere  hinter  den 
andern  zurückgeblieben  sind,  denen  ein  privat  Kach-» 
üben  und  I<^achholen  wohlthätig  ist>  theils  auch  die 
Armenhäuser  und  Gefängnisse  der  UniTcrsitäts-* 
Stadt,  welche  in  der  Regel  viele  von  Religionskeunt-> 
nissen  ganz  entblösste  Bewohner  enthalten,  eine  für 
Kopf  und  Herz  der  geförderten  Seminaristen  wohlthä'* 
tige  üebungsschule  darbieten.  £s  könnte  in  diesen 
Häusern  mit.  der  Katecbisatlon  der  ÜAwissenden  eine 
kurze  Morgen-*  oder  Abendandacht  aller  evan- 
gelischen Häuslinge  verbunden  werdeji,  welche  mit  Ge- 
sang, Gebet  und  einer  kurzen  Anjsprache  begönne,  und 
auf  gleiche  Weise  schlösse.  Die  erfahrensten  Semina- 
risten würden  unter  Leitung  des  Universitatspastors  ab- 
wechselnd diese  mit  der  Katechisatipn  verbundene  An- 
dacht halten.  Solches  praktisches  Wirken  für  Beleh- 
rang  und  £rbauung  zugleich,  welches  nicht  ohne  heil- 
same, Eindrücke  auf  die  Herzen  der  Häuslinge  bleiben 
wurde,  wie  dies  die  Erfahrungen  der  Gefängnissgeist- 
lichen  zu  Werden,  Düsseldorf,  Köln,  Trier  etc. 
in  Betreff  der  von  ihnen  gehaltenen  täglichen  Andach- 
ten  beweisen,    würde    den  Herzen  der   Semiuaristeit 


! 
4 


-.    t 


233 


selbst  grossen  Segen  bringen,  und  ihre  Liebe  zum  Ar- 
beiten an  den  Seelen  mächtig  stärken. 

Zur    Ausübung  der   specicllen    Seelsorge, 
welche    Spener    das    Kleinod   im    Predigtamt 
nennt,  erhalten  die  Theologen  auf  der  Universität  nicht 
die   geringste  praktische  Anleitung.     Sie   wird  als   ein 
Theil   der  Pastoraltheologie  im  Kolleg    wohl   mit  be- 
rührt,  auch  wohl  bisweilen  eine  eigene  Vorlesung  dar- 
über gehalten ,   und  manche   Regeln  und  Rathschläge 
darin    gegeben,   manche  Erfahrungen  Anderer  m^tge- 
theilty  auch   wohl  Erfahrungen   aus   der  eigenen  ^eel- 
sorge,  wenn  sie  eine  solche  üben,  und  nicht  selbst  un- 
terlassen,   welches  letztere  bei  manchen  dieser  Docen- 
ten  leider  wohl  statt  findet,    wodurch   thre   Anweisung 
natürlich  noch  viel  unfruchtbarer  wird.  — ^  Bei  diesem 
theoretischen  Dociien  verbleibt  es,  und  grade  das  Wich- 
tigste,  die  praktische  Anleitung  unterbleibt.     Eine  sol- 
che  zu  ertheilen,    seheint  nämlich   Vielen   nicht  bloss 
schwierig,  sondern  ganz  unmöglich. 

Dass  Sber  manche  Gegenstände  der  Specialseelenpfle- 
ge z.B.  über  den  Umgang  mit  den  einzelnen  Gemeiuds- 
gliedern ,   über  die  allgemeine  geistliche  Pflege  dersel- 
ben nach  ihren  verschiedenen  Bildungsstufen   und  See- 
lenzuständen  etc.    den  jungen  Theologen   nur  theore- 
tische Anweisung,  durch  Mittheilung  von  Beispielen  und 
Erfahrungen   erläutert,   gegeben    werden  kann,    erhellt 
von  selbst  —   Auch  bei  dem  allgemeinen    H au  s  b  e - 
Buche,   den  der  Seeko^ger  mit  einem  Aeltesten  jähr- 
lich  nach    der    gesegneten   Kirchenverfaissung   unserer 
Lande  in  der  Gemeinde  hXlt,  kann  keiner  der  Theolo- 


224 

gen  sich  als  BeglfHer  anschliessen.  Und  doch  ist  für 
ihn  einige  praktische  Anleitung  zu  diesem  eben  so  wich- 
tigen als  schwierigen  Theile  der  Seelsorge  höchst  wun- 
schenswerth*  Solche  erhält  er  nun,  wenn  der  Univer- 
sitätsseelsorger auf  die  oben  angegebene  Art  an  ihm 
selbst  specielle  Seelsorge  ansiibt,  regelmässig  Hausbe- 
lach  bei  ihm  hält,  über  seinen  Seelenzustand  sich  mit 
ihm  unterredet,  ihn  väterlich  ermahnt,  warnt,  tröstet, 
ihn  zur  fieissigcnTheilnahme  an  dem  Gottesdienste  nnd 
dem  h.  Abendmahle,  zu  einer  würdigen  Sonntagsfeier^ 
zur  häuslichen  Andacht,  zum  Bibellesen  und  Gebet  er- 
muntert, auch  nöthigenfalls  mit  heiligem  Ernste  seine 
Gebrechen  rügt. 

Mag  solche  specielle  Pflege  nnd  Aufsicht  auch 
manchem  Theologen  nicht  sehr  behagen,  so  wird,  wenn 
er  später  selbst  ins  Amt  tritt  nnd  solche  Seelenpflege 
ansSben  soll,  der  väterliche  Ernst,  die  Treue  nnd 
Furchtlosigkeit  seines  ehemaligen  Universitätsseelsorgers 
Ihm  dennoch  ein  willkommenes  Vorbild  für  seine  ei- 
gene Wirksamkeit  sein.  Da  überhaupt  Vorbilder  mehr 
vrirken,  als  blosse  Lehren,  so  ist  es  von  der  äusserstea 
Wichtigkeit,  dass  der  Universitätspastor  das  Beispiel 
einer  treuen,  unermüdlichen,  besonnenen  und  muthigen 
Seelsorge  in  seiner  Gemeinde  gebe,  auch  in  anderen 
Pastoralbeziebungen ,  in  Betreff  seiner  Handlungsweise 
gegen  andere  Konfessionen  Liebe  und  Weisheit,  und 
doch,  wenn  es  gilt,  zugleich  entschiedene  Festigkeit, 
u  B.  bei  Proselytenmachereien  katholischer  Geistlichen 
in  gemischten  Ehen  n.  s.  w.  zeige.  Der  Theologe, 
dem  solches  Hndeln  i^cht  rerboi^en  bleibt,  stärkt  sich 


225 

daran  für  sein  eigene^  künftiges  Amtsleben>  so  wie  dat ' 
€legentheil,    das  Exempel  eines  lässigen^  nienschenge<» 
falligen  oder  furchtsamen  Universitätsseelsorgers  höchst 
nachtheilig  auf  ihn  einwirkt. 

Ein  anderer,  sehr  \vichtiger  Theil  der  SpecialseeU 
sorge  ist  die  Krankenpflege. 

Dass  die  geistlichen  Krankenbesuche  zu  den  schwie- 
rigsten,  aber  auch  wichtigsten  Geschäften  des  Seelsor- 
gers  gehören ,    darüber   ist  nur  Eine   Stimme  *)•    Als 


*)  Statt  aller  weiteren  Zeugnisse  hierfür  wird  dan 
Zeugniss  eines  so  erfahrenen  Seelsorgers,  als  t)r. 
L.  HüFFELti,  Prälatzu Karlsruhe,  ist,  genügen^ 
welches  er  in  seinem  Werke:  Ueber  das  Wesen 
und  den  Beruf  des  evangelisch  -  christli- 
chen Geistlichen,  I.  Theil  der  ersten  Auflage 
8.  441.  ablegt:  „Der  Krailke  kann  nicht  tu  deAi 
„Geistlichen  gehen;  er  kann  auch  keine  Kirche  be-* 
„suchen,  da  Trost  und  Stärkung  zu.  holen ;  es  ver-* 
ylassen  ihn  auch  gar  leicht,  besonders  auf  demLau^ 
)de,  seine  Freunde  und  Angehörigen,  der  nicht  sei- 
lten trüben  Laune  und  der  unausgesetzten  Pflege 
,^des  Leidenden  müde.  Und  doch  bedarf  kein  Le- 
„bensverhältniss  so  viele  Geduld,  so  vielen  Trost^ 
,>so  viele  Stärkung,  s'o  vielen  Glauben  etc.  Hier 
„ist  also  der  Geistliche  so  recht  an  seiner  Stelle; 
„hierher  gehört  er  mit  allen  seinen  verschiedenen 
„Beziehungen,  als  Sprecher,  Liturg  und  Seelsorger, 
„und  hier  kann  er,  versteht  er  seine  Aufgabe  nur 
„einigermassen,  unbeschreiblich  viel  wirken.  Doch 
„eben  hier  ist  auch  die  Probe  des  tüchtigen  Man- 
„nes;  die  Probe  des  Furchtlosen,  des  Gläubigen, 
„des  Liebenden,  des  Menschenkenners  und  des  Pä- 
5,dagogen.  Eine  Predigt  ISsst  sich  allenfalls  aiui 
>,andern  Arbeiten  zusammensetzen;  eine  Katechisa- 
9,tion  kann  einmal  nicht  8<r  gaöar  musterhaft  sein; 

IL  U 


h' 


238 

Anleitung  bienu  baiui  dem  jungen  Theologen  d!e  An- 
gabe einiger  theoretischen  Kegeln ,  und  die  EriShlong 
einiger  am  Krankenbette  gemachten  Erfahrnngen  wenig 
helfen,  und  eine  praktische  Anleitung  lu  Krankenbesu-, 
chen  wird  dadurch  keineswegs  entbehrlicli.  .  Es  war  da- 
her einer  der  pin  deaideria  Spsner'S,  „dass  den 
„jnngen  Theologen  auf  der  Universität  luweilen  Gele- 
„genheit  verschafft  würde  in  einer  Vorübung  derjeni- 
gen Dinge,  die  sie  einst  in  ihrem  Amte  zu  treiben 
„hätten ,  zum  Unlerricbt  der  Unwissenden ,  zur  Trö- 
„stnng  der  Kranken  and  dgl."  Prahcke  fiihrle  dies 
ans,  and  bei  der  Errichtnng  eines  Seminar ii  Itli- 
.nitterii  ecclesiastici  im  J.  1714  dachte  er  zu- 
gleich daranf,  den  Seniioamlen  Gelegenheil  zu  ver- 
schaffen, sich  Pastoralkenntnisse  zu  erwerben,  Kranke 
in  besnchen,  n.  s.  w.,  nm  wenigstens  einige  Vor- 
iibuDg  in  allen  Theilen  des  geistlichen  Amtes  zu  ha- 
ben*). 


„sm  Ki^nkenbette  aber  gilt  nur  der  möglichst  tüch- 
iitige  Seeborger.  Daher  ist  nichts  schwieriger  un- 
„ter  den  Obliegenheiten  des  Geistlichen,  als  Ki&n- 
„kenbesDChe,  und  wer  nur  einige  Erfahrung  besitzt, 
„wird. dem  Verfasser.zugeben,  dass  die  erste  Predigt 
»lange  nicht  so  ichwer  war,  als  der  erste  Kranken' 
'„besuch." 
*)  S.  FRiNcKKN.'a  Stiftungen  11.  Band  II.  Stück 
Seite  133  ~  135.  —  Diesa  praktische  Vorübung, 
Kranke  zu  besuchen,  u.H.  w.  findet  auch  in  den 
Predigerseminaren  Schwedens  und  Finn- 
landB  statt,  welche  an  den  Du iversi täten  zu  Up- 
aala  und  Abo  seit  1800,  und  zu  Lnnd  seit  1809 
angelegt    sind.      In    liieselben    werden    die   junge»,  i 


227 


Diese  Gelegenheit  kann  der  Üniversitätsseelsorger 
den  älteren  Seminaristen  auf  etn%  leichte  Weise  ver- 
schaffen.  In  unseren  westlichen  Provinzen  nament- 
lich, wo  der  Seelsorger,  wenn  er  die  Kranken  besucht, 
mehr  als  Freund  kön^mt,  und  nicht  in  priesterlich- 
beichtväterlicher  Weise,  wie  in  mehreren  der  östli- 
chen Provinzen,  wo  darum  die  Krankenbesuche  auch 
viel  häufiger  sind,  so  dass  sie  selbst  unberufen  gesche- 
hen, und  die  Angehörigen  und  Freunde  der  Krabken 
während  des  geistlichen  Besuchs  oft  zugegen  bleiben, 
kann  der  Seelsorger  bei  der  geringeren  Yolksklasse 
ohne  Schwierigkeit  sieh  von  einem  Seminaristen  als 
geistlichen  Freunde  zum  Krankenbette  begleiten  lassen. 
Niemand,  auch  der  Kranke  nicht,  wird  daran  Anstoss 
nehmen«  Natürlich  wird  der  Seelsorger  nur  mit  Um- 
sicht  und   Auswahl   sich   begleiten   lassen;   denn   nicht 


Theologen  aufgenommen,  sobald  sie  wenigstens  Ein 
Jahr  auf  der  Universität  zugebracht  haben.  Der 
Direktor  des  Seminars  ist  einer  dei"  Ptofessoren 
der  Theologie,  der  Praefectus  ein  Geistlicher,  der 
eine  Pfarrstelle  wirklich  verwalten  muss.  ferner 
sind  ein  Adjunctus  und  ein  Docens  Lehrer  daran. 
Hier  lyerden  homiletische  Und  katechetische 
Uebungen  theoretisch  und .  praktisch  gehalten.  Hier 
wird  über  die  kirchliche  Gesetzkunde  geleseu, 
so  i^ie  über  die  Ministertaiia,  wobei  der  Prae- 
fectus  einige  der  Theologen  bei  manchen  Amts  Ver- 
richtungen in  seinei:  Genieinde  äsugegen  sein  lasst, 
auch  mit  ihnen  Armen"  und  Krankenhäuser  tind 
Gefängnisse  besucht.  S.  von  ScHUBfe:^T*s  Schwe-^ 
dens  Kirchenverfassung  imd  Unterrichtswesen  1.  B&* 
S.  12.  B*  292  m 

15  * 


228 


zu  allen  Krankenbesachen  bei  der  geringeren  Klasse 
ohne  Ausnahme  wird  solche  Begleitung  sieh  eignen. 
Auch  versteht  es  sich  von  selbst,  dass,  sobald  der 
Kranke  etwas  im  Vertrauen  dem  Seeborger  mittheilen 
will,  der  Begleiter  sowohl  wie  die  Angehörigen  sich 
zurückzieht  Noch  weniger  Hindemisse  stellen  sich  der 
Begleitung  eines  Seminaristen  bei  Besudien  des  Seel- 
sorgers in  den  Armenspitälern,  den  Gefäng- 
nisskrankenstuben und  dgL  entgegen. 

In  der  Regel  hat  der  Begleiter  nur  zoiiihdren. 
und  von  dem  redenden  Seelsorger  sn  lefyieii  *), 
Auch  von  den  Kranken  wird  er  lernen.  Von  aian- 
chen  wird  er  lernen  können,  wie  tief  die  Selbstgerech- 
tigkeit im  natürlichen  Menschen  steckt,  und  wie  die, 
die  ihr  ganzes  Leben  lang  ohne  Gott  in  der  Welt  ge- 
lebt, Christum  mit  ihren  Sünden  gekreuzigt,  und  ihre 
Jahre  zum  Theil  sich  selbst  muthwillig  verkürzt  haben, 
dennoch  meinen,  mit  ihrem  unbussfertigen  Herzen  vor 
seinem  Richterstuhle  ohne  Furcht  ersdieinen  zu  kön- 
nen. Von  anderen  dagegen  wird  er  lernen,  welch  eine 
unerschütterliche  Seelenruhe  es  gibt,  den  Grund  ge- 
funden zu  haben ,  in  dem  der  Anker  der  Hoffnung 
ewig  hält,  wie  der  feste  Glaube  an  Christi  verdienst- 
liches Sterben,  Auferstehung  und  Himmelfahrt  auch 
das  in  seinen  Sünden  au&  tie&te  bekümmerte  Herz 
mit  einem  göttlichen  Trost  erfüllt.    Wieder  von  ande- 


*)  Nur  den  bewährtesten  Seminaristen,  welche  ihn  län- 
gere Zeit  begleitet,  wird   der  Seelsorger  erlauben, 
'm,        einselne,  namentlich  langwierige  Kranke  bisweilen 
aliein  xu  besuchen. 


229 

ren  wlvd  er  lemen,  wie  das  Herz,  das  keine  andere 
GewissheU  von  Vergebung  und  ewiger  Seligkeit  hatj 
d\s  die  die  rationalistische  Weisheit  gibt,  im  Angesicht 
des  Todes  ein  ungestüm  Meer  ist,  das  nicht  stille  sein 
kann;  denn  es  hat  keinen  Frieden. 

Dann  werden  die  Theologen,  selbst  wenn  sie  die 
Lehren  eines  Wegscheider  und  eines  Dr.  Paulus 
eingesogen  haben,  sobald  sie  noch  nicht  ganz  verblen- 
det sind,  fühlen,  wie  trostlos  die  naturalistischen  Trost- 
gründe, welche  sie  aus  Jener  Exegese  und  Dogmatik 
gelernt  haben,  am  Kranken-  und  Sterbebette  sind,  und 
wie  deren  Künste  zu  tröstei^,  allesamt  nichts  helfen^  so- 
bald sie  zuvor  den  Glauben  an  Christupa  als  ailgenug- 
samen  Yersöliner  and  allmächtigen  Mittler  aus  dem  Her- 
zen gestohlen  haben.  Bei  solchen  Theologen  werden 
jene  Lehren  des  Unglaubens  alsdann  weniger  Wurzeln 
fassen,  und  die  unaustilgbaren  ewigen  Bedürfnisse  aller 
hcilsbegierigen  Seelen,  die  sie  hier  in  der  Erfahrung 
kennen  lernen,  und  die  sie  befriedigen  lernen  sollen, 
werden  sie  jene  unfruchtbaren  bedenlosen  Hirngespipn- 
ste  leichter  verwerfen  lehren. 

Nimmermehr  hätte  der  Unglaube  in  der  evangeli- 
schen Kirche  so  weit  um  sich  greifen  können,  weder 
unter  den  theologischen  Professoren  noch  Studirenden, 
wären  nicht  zu  ersteren  seit  vielen  Jahrzehenten  meist 
unpraktische  Stubengelehrte  ernannt  worden,  welche  al- 
ler geistlichen  Amts-Praxis  tind  Seelsorge  enthoben  und 
unkundig,  nicht  in  die  Gelegenheit  kamen,  die  Erfah- 
rung zu  machen,  wie  kraftlos  und  ungeschickt  ihre  neo- 
logiscke  W^eisheit  sei,   das  Hungern  und  Dürsten  dor 


230 

Se^en  nach  der  Gerechtigkeit,    die  vor  Gott  gilt,  zu 
befriedigen^  die  göttlich  Bekümmerten  griindiich  zu  trö- 
sten,  und  die    Schrecken    des   Todes    za    vertreiben. 
Nnn  sie  denn  nie  den  Widerspruch  ihrer  Weisheit  nit 
den  Bedürfnissen  des  Menschenherzens  kennen  lernten, 
wurden  sie  auch  nicht  innerlich  gedrungen,  sich   selbst 
ernstlicher   über  die  Wahrheit  ihrer  Lehre  zu  prüfen, 
nach  einer  höheren  Weisheit  zu  suchen  und  darum  <u 
beten.    Vielmehr  verwarfen  sie ,  in   der  Eitelkeit  ihres 
Sinnes  immer  mehr  sich  verfinsternd,    den  Grundsatz 
Luther's,  „dass  die  wahre  Theologie  im  Ge- , 
bet  erlernt  werden  müsse^^,  da  sie  sie  längst  schon 
aus  den  Büchern  erstudirt  zu  haben  meinten,  schafften 
darum  das  Gebet  in  den  Vorlesungen  als  eine  mit  ihrem 
Hochmuth  unverträgliche  Erinnerung  an  die  menschli- 
ch^^  HülfsbedüriHgkeit  ab,   und  lehrten  als   die  neuen 
ontniglichen  VerQu(ifl{>ropheten  nun  ihre,  Gottes  Wort 
und   der   Erfahrung  widerstreitende  Bücherweisheit  mit 
absprechender  Anmassung,    ohne   sich   im   Geringsten 
darum  ?u  kümmern,  wie  die  jungea  Theologen  in  ihrem 
dereinstigen   praktischen   Amtsleben  damit  zurecht  kä- 
men, und  ob  nicht  die  armen  Schafe  derselben  in  ihrem 
Dürsten  nach   dem   lebendigen  Wasser  verschmachten 
müssten,   da  sie  sie  bloss  an   die   löchrichten  Brunnen 
ohne  Wasser  führen  konnten,  an  welche  sie  selbst  auf 
der  Universität  geführt  worden.     Und  wie  konnten  sie» 
welche  xwie  die  Schlachtschaafe  in  solche  Kollegien  gin- 
gen, worin  ihr  keimender  Glaube  und  ihre  beginnende 
Liebe  zum  Heiland  gemordet  wurden,    da  sie  ihn  nnn 
von  ihren  Kathederpfopheten  statt  als  den  Sohn  Gottesi 


23t 

und  den  Herzog  ihrer  Seligkeit,  vielmehr  ab  einen  be- 
triigerischen' Volkslehrer  zu  betrachten  gelehrt  worden, 
nvie  konnten  sie  die  Lügenhaftigkeit  dieser  Lehren  imt- 
decken,  da  die  Wissenschaft  bei  ihnen  nicht  in  die 
Praxis  geführt  wurde,  da  sie  die  Bedürfnisse  der  Men- 
scbenhcrzen  nicht  aus  Erfahrung  kennen  lernten,  und 
selbst  noch  meistens  ihre  tiefere  geistliche  Erfahrung 
an  ihrem  eigenen  Herzen  zu  haben,  ohne  irgend  einer 
Seelsorge  zu  gemessen,  wie  Schafe  ohne  Hirten  um- 
herirrten; da  sie  zugleich  in  den  Jahren  stehend,  wo 
die  Eigenweisheit  am  stärksten  ist,  natürlich  an  ■den'  ^ 
Lebren  grossen  Gefallen  finden  mussten,  welche  ihrer 
Eitelkeit  so  sehr  schmeicheltep ,  und  durch  deren  An'« 
nähme  sie  nun  über  alle  Weisen  aller  früherei^  Jahr- 
hunderte,  ja  über  die  Apostel  und  Christum' selbst  er- 
hoben wurden« 

Wenn  solche  Theologen  nun  mit  ihrer  Schulweis- 
heit ins  Pfarramt  traten,  und  die  im  Glauben  Wanken- 
den stärken,  die  Zweifelnden  beiehren,  die  Angefoch- 
tenen beruhigen,  die  Kranken  und  Sterbenden  trösten 
sollten,*  dann  fanden  bald  diejenigen  tinter  ihnen,  wel- 
che noch  zu  ehrlich  waren,  um  die  ihnen  auf  der  Uni- 
versität empfohlene  rationalistische' Doppelzüngigkeit  und 
betrügerische  materielle  Accomodation  ^)  anzuwenden,.-^ 
ich  kenne  viele  solcher  WegSCHJEIDERSGHEN  Schü- 
ler, —  dass  jene  Schulweisheit  nicht  fürs  Leben  tauge,. 


*)  S.  Wegsgheider'S  iHfU'itttioneg  Theolog.  dogmat, 
VL  Ausgabe  S.  X.  §.  17.  (Röhr's)  Briefe  über 
den  Rationalisniua  S.  36.  37.  57«  446  —  455. 


"1 

1 


232 


«■etiuebr  dir  S*elea  v-«rgiAe  uaiJ  trostlo»  macliei  tlatt 
■ie  in  heilen  und  zu  trösten.  Da  kamen  sie  nun  nach 
vielen  inoereQ  mmpfen,  welche  kürzer  dauerten,  wo 
'  schweres  Kreoz  über  sie  bereiobrach,  welches  sie  gelbst 
dnes  häheren  Trostes,  den  sie  nicht  in  der  Weg- 
5CHEIDESSCHEH  Dogmatik  fanden,. bedorftig  machte 
and  die  Gebnrtsniehen  des  Denen  Menschen  beschleii- 
Digjte,  endlich  wieder  znm  Glauben  an  den  Sohn  Got- 
tes, empfingen  das  Lehen  in  seinem  Namen,  und 
konntea  von  onn  an  auch  ihre  Gemeindsglieder  dam 
führen. 

Ist  es  aber  «änschenswerth ,  dass  alle  Seelsorger 
erst  auf  diesem  laugen  Umwege  znm  rechten  Weg  d« 
Lebens  kommen,  dass  sie  erst,  nachdem  sie  Jahre  lang 
seihst  irre  gelaufen,  nnd  Hunderte  ihrer  Gemeindsglie- 
der den  Irrweg  geführt  and  im  seelenverd  erb  liehen  Irr- 
thum  haben  dahiiK  sterben  lassen ,  nun  unter  tausend 
Gewissensbissm ,  Vorwürfen  und  Thranea  über  ihre 
frühero  verkehrte  Amtswirksamkeit  die  Wahrheit  zur 
Gottseligkeit  finden?  Und  wie  viele  Hnuderle  der  auf 
der  Universilät  zum  Unglauben  geführten  Seelsorger 
bleiben  ihr  Lehen  lang  auf  dem  Irrwege,  und  führen 
weder  sich  noch  ihre  Gemeinde  von  der  Fiusterniss 
nun  Licht  und  von  der  Gewalt  des  Satans  zu  Gott!-^ 
Ist  es  da  nicht  heilige  Pflicht,  schoa  auf  der  Universi- 
Gft  dem  Tieferwurieln  des  Unglaubens  einen  Damm 
entgegen znselzen ,  indem  man  die  Theologen  sowohl  -, 
selbst  Seelsorge  gepiessea  lässt,  als  auch  praktisch  zur  % 
Seelsorge  anfühiit?  Beides  wird  zwar  nicht  Alle  vom 
Ungltnbcn  atuüdLh^ten  oder  ioriickbringeii ,   aber  im» 


238 

mer  wird  es  auf  Vide  Migensrach.  wirken ,  Vielen  wird 
es  ein  Licht  werden,  nm  die  Tragfackeln  der  Irriehrer 
zu  unterscheiden,  Vielen  einen  Stachel  in  die  Seele 
warfen,  der  sie  nicht  mheu  Tässt,  bis  sie  den  wahren 
Weg  und  das  Leben  in  dem  gefanden  haben,  der  al- 
lein der  Weg,  die  Wahrheit  und  das  Leben  ist  Zu- 
dem haben  wir  ja,  Gott  sei  Dank!  auf  unseren  preus- 
s Ischen  Universitäten  neben  einzelnen  entschieden, 
ungläubigen  Professoren  und  neheu  vielen  Unentschie- 
denen doch  auch  auf  allen  diesen  Bildungsanstalten 
manche  Glaubensmänper,  welche,  wenn  schon  meiste 
nur  theoretisch,  doch  aus  eigener  innerer  ErjEahmng 
den  Glauben  an  den  gekreuzigten  und  erhöhten  Sohn 
Gottes  als  den  einzigen  Weg  des  Heils  lehren,  da- 
durch dem  Hinführen  der  Wissenschaft  in  die  Praxis 
wohlthätig  vorarbeiten,  und  der  Arbeit  des  Unrversitäts- 
seelsorgers  Bahn  machen. 

Unsere  Rheinuniversität  hat  dabei  das  Glück, 
einen  NiTZSCH  zu  besitzen,  der  neben  seiner  wissen- 
schaülichen  Tiefe  so  viel  theologisch  -  praktisches  Talent 
und  einen  so  sichern  Takt  in  Leitung  des  homiletisch- 
katechetischen  Seminars  hat,  dass  es  für  das  Praktisehe 
doppelt  zu  bedauern  ist,  dass  seine  Zeit  zugleich  so 
sehr  vom  Lehren  der  systematischen  Theologie  in  An- 
sprach genommen ,  und  er  nicht  Mit  -  Gemeindepfarrer 
ist,  somit  nicht  mit  Seelsorge  üben  kann. 

Zur  speciellen  Seelsorge,  wenigstens  zur  prakti- 
schen Amtswirksamkeit  des  Geistlichen  überhaupt  ge- 
hört nach  unserer  Kirchenverfassung  auch  noch  , 


3M 


die   Armenpflege. 

Dass  es  die  Pflicht  der  Greistllchen  ist,  sich  auch 
der  leiblich  Nothleldeadeo  in  seiner  Gemeinde  vorzugs- 
weise auzanehmen.  nnd  wie  sehr  er  durch  solche  Fiir- 
sorge  für  die  Armen  sich  Bahn  macht  zu  einem  erfolg« 
reichen  Arbeiten  an  ihren  Seelen,  das  ist  von  selbst 
so  einleuchtend^  und  durch  Christi  und  der  Apostel 
Lehren  und  Exempel,  so  wie  durch  die  Erfahrung  der 
ganzen  Kirche  so  deutlich  bewiesen,  dass  ich  hierüber 
nicht  weitiäqfig  zu  sein  brauche«  Aber  auch  zu  die- 
sem Theile  seines  Berufs  bedarf  der  Geistliche  ^nicht 
bloss  viele  Liebe,  sondern  auch  viele  Weisheit  nnd 
Umsicht,  damit  er  fiir  die  einzelnen  Armen  weder  %tL 
wenig,  noch  auch  zu  viel  sorge,  und  sich  eine  geelg- 
net^ Mitwirkung;  der  Diakpnen  verschaffe.  Denn  die- 
*se  apostolische  Einrichtung  kann  ihm  zu  grosser  Hülfe 
und  der  Gemeinde  zu  ig;rossem  Seegen  gereichen,  wenn 
er  sie  gehörig  zu  benutzen  weiss. 

Es  ist  daher  sehr  nutzlich  für  die  jungen  Theolo- 
gen, wenn  der  Universitätsseelsorger  ihnen  auch  über 
diesen  Zweig  ihrer  künftigen  Wirksamkeit  aus  dem 
Schatz  seiner  Erfahrung  Belehrungen  gibt.  Selbst  eini- 
ge praktische  Anleitung  ist  möglich,  in  der  Art  näm- 
lich, dass  der  Seelsorger  bewährte  Seminaristen  beauf- 
tragt, einzelne  Armen  in  seinem  Namen  zu  besuchen, 
und  ihnen  etwas  Unterstützung  zu  reichen,  sich  nach 
ihren  Verhältnissen,  ihrer  Arbeit,  dem  Schulbesuch  ihrer 
Kinder,  ihrer  geistigen  Beschäftigung  an  den  Sonntagen 
u.  9.  w«  zu  erkundigen,  und  ihm  darüber  zu  berichten. 
Hierdurch  werden  sie  sowohl  'die  grosse  leibliche  Noth 


235 

und  das  Elend,  welches  oft  unter  den  Geringen  herrscht, 
als  auch  das  geistliche'  Elend,  was  sich  so  leicht  mit 
der  Armuth  verbindet,  die  besonderen  Fehler  und  La- 
ster, zu  welchen  die  Armen  sich  yorzagsweise  hinnei- 
gen etc.,  näher  kennen  lernen,  und  ihr^  Vorsicht  wie 
ihren  Eifer  bei  der  künftigen  leiblichen  und  geistlichen 
Pflege  der  Armen  verdoppeln« 

Nach  Betrachtung  der  drei  ersten  Haaptgegenstände 
der  praktischen  Anleitung  der  Theologen,  der  homi- 
letischen und  katechetischen  Anweisung,  sowie 
der  Seelsorge,  kommen  wir  zu  einem  vierten  Ge- 
genstand derselben,  sie  nämlich  bekannt  zu  machen  mit 

der    kirchlichen    Gesetzgebung  und  -Kircheq- 

verfassung 
'ihres  Landes. 

Die  Nichtkenntniss  der  Verordnungen  und  Vor- 
schriften, welche  in  Bezug  auf  die  kirchlichen  und  bür- 
gerlichen Verhältnisse  bei  Taufen,  Proclamatio- 
nen,  Trauungen,  Beerdigungen  u.  s.  w.  zu  be- 
achten sind,  fuhrt  natürlich  oft  deren  Nichtbeachtung 
herbei,  und  dadurch  Verlegenheiten  und  Missgriffe,  Be- 
schwerden von  Seiten  der  weltlichen,  Verweise  von  Sei- 
ten der  kirchlichen  Behörden,  selbst  Geringschätzung 
des  Geistlichen,  besonders  von  weltlichen  Beamten,  die 
den  Mangel  der  äusseren  Gesetzkunde  und  Geschäfts- 
g^wandtheit  hoch,  freilich  oft  zu  hoch  anschlagen, 
üeberhaupt  ist  es  wichtig,  die  Stellung  des  Geistlichen 
'  zu  den  weltlichen  Behörden,  besonders  der  Orlsobrig- 
keit  den  jungen  Theologen  klar  zu   macheu,   damit  er 


*     1 


-  i 


?36 


■•»■■...■  ■■■«. 


in  Zukunft  imnöthigen  Reibongen  mit  derselben^  ^or^.^r^ 
beuge,  und  sieb  nicht  obne  Noth  seinen  Wirkungskreu  j 
er«chwere^  yielmebr   die  Hülfe  derselben   xor  Beförde- 
.rang  der  äusseren.  Sittlichkeit  und  £hrbarkei^,  der  StiUe 
und  Ordnung  wihrend   der  gottesdienstlichen  Zeit   m  jj 
Sonn  -  nnd  Festtagen  vu  s.  w.  sich  verschafie  durch  da-  ^ 
geeignetes  Benehmen  lind  Anknüpfung,  eines ,  wenn  et 
möglich  ist,   freundlichen  Verhältnisses  ^mit   derselben. 
Vielen  Unannehmlichkeiten,  vielen  Störungen  derkircb*^ 
liehen  Ordnung  und  Ruhe^  vielen  Hindernissen  der£r-   i 
haltung  der  öftentlichen  Ehrbarkeit  würde  dadurch  vor- ' 
gebeugt    Hierzu  ist  aber  durdians  nöthig  eine  Kennt- 
ni58  der  kirchlichen  und  polizeilichen  Gesetze,    welche 
hiertuf  Bezug  haben,  und  der  vielen  F^rderungs-  und 
Hemnrangsmittel  jener  Ordnung  und  Ehrbarkeit,'  wei- 
die  die  bürgerliche   Ortsbehörde  in  ihrer  fiaiid.  hat» 
Solche  Kenntniss   wird    dem    verständigen  G^tlichea 
sowohl  eine  gewisse '.Gefälligkeit,   als  anch  leine  wohl- 
thätige  Festigkeit   für  den  Nothfall  gegen  die  Ortsbe- 
horde  einflössen. 

!Nieht  minder  nothwendig  ist  es,  den  Theologen 
mit  der  in  seinem  Kreise  herrschenden  Kirchen  Ver- 
fassung, in  nnierer  Provinz  mit  der  Presbyterial- 
und  Synodalverfassung,  gründlieh  bekannt  zu  ma- 
chen. Wenik  sdion  die  .Kunde  derselben  für  die  aus 
andern  Gegenden,  wo  eine  davon  verschiedene  Kirchen- 
verfassung gilt,  kommenden  Theologen  vorzugsweise 
wichtig  ist,,  so  ist  sie  doch  den  im  Schoos  derselben* 
auferzogenen  Sehnen  der  Provinz  keineswegs  entbehr- 
lich.   Mögen  ihnen  die  Hauptumrisse  derselben  aiui  den 


>  ■    ■     f0t 

Übe»  bekannt  sein ,  m  keniwtt  sie   doefa   ichr  tellca  / 
IM  Xircbenvorfassnng  grÜndlicii  iheoretüdi,  witttade-, ' 
her  auch  n!cbt  konsequent  practüch  tn  tandhiben,  u^ '' 
Werirten  durch  ihre  Unknade  nnd  'Unerfahrenhcit.iudit. 
p  listen  in  nachfheiligen  MüsgrillFen  verleiteL     So  ut  s.'  / 
PIA,  das  VerhältDÜs  des  Pfairoi  itt  seinein  Preabirte-' 
[   riam  von  der  grüsrien  Widit^fkeit.    Dieses  Colt^TBin 
Ef  wirkt  unmittelbarer-  p^d  nät  s&Aa  als  die  Orlsobrigkeit  ^ 
r  anf  du  geistige  Wohl  der  Gemeiode,  weshalb  es  iloppelt  J 
'    nichtig  istg'dass   der  Geistliche  sich  ein  freundschaM- ; 
*!flbcs  and  übereinstimmendes  Znsammenirirteii  mit  dem- j 
seihen   m  Terschaflen   nnd  in    eilialten   «nchl.     Denn 
dne  Spannung  oder  gar  Missstimmnng  iwiEchen  beiden 
Theilen  äussert  leicht  einen  yerderblicben  Einilass 
die  kirchlichen  wie  die  sitüicben  Verhältnisse   der   Ge-  ' 
mtiade,  und  stifrt  du  freadige  Wirken  des  Geistlichen, 
^     lomit  seinen  ögnea  Triedeoi     Und  doch  entstehen  sol- 
At  ReibimgeD  nidil  selten,   meist  ans    Nichtkenatnist 
der  eigentbümlidien  Klippen,   welche  er  in  seiner  Stel- 
lung lam  Presbjteriam  sn  vermeiden  hat. 

Auch,  über  diese  wichtige  Pancte  lehren  nnsne 
Universitäten  in  der  Begel  nichts,  oder'  geben  höch- 
stens ein  Paar  dürftige  Notizen,  oder  einen  dürren 
flcbematismas,  der  wenig  hilß. 

Ein  fünfter,  nicht  nnricbtiger  Gegenstand  der 
-  praktischen  Bildung  der  Tbeologen  ist 

die  Anleitung  lam  Kirchengesang. 
Fängt  dieselbe  freilich  erst  auf  der  Universität  an, 
•    10  i&t  es  meistens  ni  spät.    Sie  sollten  billig  auf  den 


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338 


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höheren ,  Bürgerschulen    und    Gymnasien    fortwährend 
;   durch  alle  Klassen  hmdorch  getrieben  werden,  so  dass 
sie  auf  der   Universität    nnr    fortgesetzt    zn    werden 
brauchte.     Denn   eine  lange  Unterbrechntig  grade  in: 
den  J&yglingsiahreu  schadet  hier  am  meisten.     Be|am* 
nemswerth  ist  es  doch,  wie  sehr  der  Kirchengesang. 
in  den  meisten  evangelischen  €remeinden  damiederlieg^ 
^/'dieses  herrliche  und  mächtige  Erhauadgsimttely  das  mit  < 
^  äa  £ntstehnog  nnd  Verbreitang  der  evangelischen  Kir«   ^ 
.  ufhB  so  eng  verwebt,  und  Ihre   Zierde   wie  ihr  Ruhm    i 
von. Anfang  an  gewesen  ist.     Jammer  und  Schande».' 
^dass  der ,  Kirchengesang  an  manchen   Orten   dergestalt 
"  darniederliegt,  dass  einzelne  katholische  Gemeinden  sie 
-  jetzt  darin  Sbertreffen  I    Mag  auch  viele  Schuld  hier- 
von an  den  Schullehrern  und  der  mangelhaAen  Anlei-    > 
long  der  Schuljugend   zum   kirchlichen  Gesang  liegett,^ 
so.  würde  dieselbe  doch  viel  leichter  verbessert  werden 
können,  wenn  nicht  so  viele  Geistliche  des  Kircheng»*  > 
sangs  unkundig  wären,  was  wieder  seinen  Grund  in  dem   * 
Darniederliegen  des  Unterrichts  darin  auf  den  höheren     - 
Schulen  und  Universitäten  hat 

Zn  hoffen  ist,  dass  diesem  Uebel  bald  von  Seiten 
der  Behörden  Werde  gesteuert,  und  dieser  Schande 
ein  Ende  gemacht  werden,  um  so  mehr,  da  nach  den 
neueren  liturgischen  Anordnungen  in  unserer  preus* 
sischen  Landeskirche  dem  Kirchengesang  noch  eine 
höhere  Stelle,  als  früher  gegeben  worden  ist 

Ein  sechster  Gegenstand  der  praktischen  Anlei^r 
tnng  dar  Theologen  ist  eine  Anwranng  derselben 


239 

I 

zur  oberen  Leitung  der  Schale 
oder  Schulen  in  ihrer  kiinfltigen  Gemeinde. 

Nach  der  weisen  Anordnung  onsers  Königs  ist  je- 
der Pfarrer  Präses  des  Schulvorstandes  seiner.. 
Gemeinde,  und  hat  damit  die  Befmfsichtignng  und  ob^a 
Leitung  der  Schule  oder  Schulen  in  derselbeü,  weil 
IKIemand  so  viel  Interesse  hat,  dass  die  Schulen  blü- 
hen und  ihren  Zweck  an  den  Kindern  er^-eichen,  näm- 
lich Pflanzstätten  der  Gottesfurcht .  und  Frömmigkeit, 
der  Verstandes  -  und  Herzensbildung  derselben,  zur  jBe-  * 
(orderung  ihres  zeitlichen  und  ewigen  Wohls  werden, 
als  der  Geistliche,  dessen  Amt  gleichen  Zweck  nnd 
gleiches  Ziel  hat. 

Will  er  aber  gründlich  auf  den  Lehrer  und  die 
Schule  zur  Förderung  der  Schulzwecke  einwirken,  so 
ist  es  durchaus  nöthig,  dass  er  das  Elementarschulwe- 
,  sen  in  seiner  jetzigen  Gestalt  nach  seinen  Vorzügen 
nnd  Gebrechen  genau  kenne,  und  nicht  bloss  literarisch, 
sondern  aus  eigener  Ansicht,  und,  was  di^  Hauptsache 
ist,  aus  eigner  Uebung  dasselbe  zu  beurtheiien  ver- 
stehe. £ine  sehr  weise  und  wohlthälige  Verfügung  hat  , 
unser  Ministerium  der  Geistlichen  etc.  An- 
gelegenheiten in  dieser  Hinsicht  im  J.  1827  durch 
das  Rheinische  Konsistorium  erlassen.*) 


*)  Nach  dieser  Verfügung  Tom  19.Dec.  1827  soll  künf- 
tig  bei  den  geistlichen  Prüfungen  pro  ministe- 
rio  darauf,  gesehen  werden,  dass  die  Kandidaten 
nicht  allein  über  Zweck,  Einrichtung  und  Ziel  der 
Schulen  und  ihrer  Arten  »und  Stufen ,  über  die  Be- 
handlung der  verschiedenes  Unterrichtsgegenstände 


240 

— — »— ^  r»i 

Wie  soll  der  Kandidat  aber  zu  der  in  dieser  Ver- 
(ugang  verlangte]^  praktischen  Uebung  im  Schulun- 
terricbie,  wenn  er  nicht  grade  Hauslehrer  wird,  gelan- 
gen? Das  ist  so  leicht  nicht,  besonders  auf  dem  Lande» 
als  wohl  Manche  glauben  mögen«  Aber  in  einer  grös- 
seren Stadt,  dergleichen  doch  in  der  Regel  die  Uni- 
versitätsstädte sind;  geht  es  viel  eher  an,  wird  wenig- 
stens sehr  leicht  möglich,  und  zwar  wodurch?  •^—  Durch 
Errichtung  von  Sonntagsschulem 

In  jeder  Universitätsstadt,  wo  noch  keine 
Sountagsschule  ist,  möge  daher  eine  solche  errichtet 
werden,  und  hier  können  die  jungen  Theologen  unter 

und  ihreh  Innern  organischen  Zusammenhang,  über 
die  nöthigen  Hülfslehrmittel  bei  den  einzelnen  Lehr- 
gegenständen, über  das  Verhältniss  von  Unterricht 
und  Erziehung  zu  einander,  über  Schuldisciplin  und 
namentlich  über  die  Verbindung  der  religiösen  und 
sittlichen  Bildung  mit  der  intellektuellen,  endlich 
über  Beruf,  Pflicht  und  Verhalten  des  Lehrers  und 
des  Geistlichen  in  Beziehung  auf  die  Schule,  rich- 
tige, klare  und  geordnete  Begriffe,  sondern  auch 
zugleich  selbst  die  erforderliche  praktische  Ge-i 
ivanätheit  und  Lehrfertigkeit  besitzen. 

Zu  diesem  Zwecke  werden  die  Kandidaten  aufge- 
fordert, künftig,  besonders  die  Zeit  zwischen  der 
Prüfung  pro  liceniia  und  der  pro  miniüeri» 
auch  zu  ihrer  pädagogischen  Ausbildung  zu  benu- 
tzen, und  sowohl  durch  das  Studium  der  betreffen- 
den Schriften,  als  auch  durch  das  Besuchen  der 
Schullehrer -Seminarien  und  .  vorzüglicher  Schulen, 
durch  Theilnahme  an  den  methodologischen  Lehr- 
Gursen,  und  den  Lehrerconferenzen,  und  durch  eig- 
nes Unterrichten  sich  die  erforderliche  Einsicht  und 
Fertigkeit  im  Schnlfache  zu  erwerben. 


>* 


^41 

Mitwirkung  des  Universitätsseelsorgers  und  einiger  ande- 
rer Professoren  oder  angesehenen  Einwohner,  und  un- 
terstützt von  einem  oder  mehreren  Schullehrern ,  weit 
che  die  ersten  Anfangsgründe  des  Lesens  lehren,  im  Le- 
sen u,  s,  w.  auf  eine  ähnliche  Art,  wie  in  den  hol- 
ländischen Sonntagsschulen  (vgl.  L  Band  S.  268  — 
271)  unterrichten.  —  Auf  das  Bedürfniss  solcher  Schu- 
len für  unsere  deutschen  Städte  habe  ich  ebenda- 
selbst  hingewiesen. 

Die  Gelegenheit,  wcjche  die  Theologen  hierdurch 
erhalten,  ihre  armen,  unwissenden  Brüder  eines  so 
wichtigen  Elementes  geistiger  Bildung,  als  da«  Lesen 
ist,  theilhafÜg  zu  machen,  ihnen  das  Wort  Gottes  nahe 
zu  bringen,  und  durch  eine  kurze  Erklärung  des  vor- 
gelesenen Bibelabschnittes  zugleich  ihr  christliches '  Ge- 
fühl zu  wecken  und  zu  stärken,  wird  nicht  anders,  als 
wohlthuend  auf  ihr  eigenes  Herz  wirken. 

Auch  in  dieser  Hinsicht  geben  uns  andere  Länder 
bereits  ein  leuchtendes  Vorbild.  20  junge  Theologen 
ans  dem  evangelisch-theologischen  Seminar 
in  Auburn  in  der  Provinz  Neuyork  haben  für  die 
Gefangenen  in  der  Strafanstalt  daselbst  eine 
Sonntagsschule  errichtet ,  wo  sie  im  Lesen, 
Schreiben  und  Rechnen  mit  dem  grössten  Erfolge 
Unterricht  geben.*) 

Bei  dem  vielseitigen  Wirkungskreise,  welchen  ein 
treuer  Hirte  in  seiner  Gemeinde  für  das  Reich  Gottes 


♦>  S.  DiC  JUHÜ8  Jahrbücher  der   Straf-  und  Besse- 
rungsanstalten etc.  X.  Heft  1829. 

IL  1« 


Ävor--- 


242 

findet,  bedarf  es  nicht  erst  bewiesen  zu  werden,  dass 
noch  in  gar  manchen  andern  Punkten,  als  den  erwähn- 
ten, der  künftige  Geistliche  der  Anweisung  bedarf,  um 
sie  zu  Förderungsmitteln  des  christlichen  Lebens  seiner 
Gemeinde  zu  benutzen. 

So  kann  z.  B.  die  Lesesucht,  welche  gegen- 
wärtig auch  in  den  niederen  Ständen  überhand  nimmt, 
Christo  dienstbar  gemacht  werden,  wenn  der  Geistliche 
dem  Volke,  besonders  der  Jugend  nützliche >  aber  zu- 
gleich interessante  Lesebücher,  vorzügliph  religiö- 
sen Inhalts,  zu  lesen  gibt,  indem  er  für  diesen  Zweck  eine 
Gemeindebibliothek  *)  errichtet,  und  hierdurch > 
die  giftig-süsse  Speise,  welche  die  meisten  Romane -und 
andere  Bücher  der  Leihbibliotheken  enthalten,  so 
viel  an  ihm  ist,  abwehrt.  £s  ist  dies  ei^ß  Sache  von 
der  grössten  Wichtigkeit,  besonders  für  die  Städt-Ge- 
mpinden,  und  solche,  welche  in  der  Nähe  grosser,  ja 
selbst  kleinerer  Städte  lieged,  —  denn  in  wie  wenige 
von  diesen  letzteren  haben  nicht  auch  die  Leihbiblio- 
theken schon  den  Weg  gefunden,  —  da  leider  ein  für 


"C)  In  Kngland,    Schottland    und    Nordamerijca 
sind  Ton  eifrigen  Geistlichen  bei  vielen  Gemeinden,, 
auch    bei   vielen   Sonntagsschulen   solche    religiöse 
Büchersammlungen  zum  Verleihen  atn  die  Gemeind8-^>  • 
glieder  und  Sonntagsschüler  errichtet,  welche  unbe*   : 
schreiblich  vielen  Segen  stiften.  —  Auch  die  eva«*'* 
gelische   Kirchenzeitung   macht   im  Jahrgang* 
1828  S.  840  u.  a.  O.   auf  die   Wichtigkeit    der  £r- 
richtnng  solcher  Gemeindebihliotheken  aufmerksam. 
Einige  Prediger  unserer  Gebend  haben  bereits 
mehreren  Jahreil  einen  Anfang  damit  gemacht. 


243 

unsere  zur  Beförderung  der  wahren  Volksbildung  sonst 
so  Ihätige  Behörden  unerklärlicher  faktischer  Mangel 
an  aller  Aufsicht  über  den  Gebrauch  der  Leihbiblio- 
theken, die  doch  notorisch  mit  so  vielen  sittenverderb- 
lichen Büchern  angefüllt  sind,  statt  findet. 

Wie  soll  aber  der  Geistliche  nun  die  verschiede-  • 
nen  Bedürfnisse  der  Leser  auf  eine  stets  unterhaltende 
und  doch  stets  nützliche  Weise  befriedigen?  £r  kann 
es  nur,  wenn  er  mit  der  Literatur  der  gemeinnützlichen 
und  religiösen  Volkslesebücher  bekannt  geworden 
ist,  welche  Kenntniss  grade  bei  diesem  ausserordentlich 
unbekannten  Fache  schwieriger  isty  als  man  glaubt. 
Denn  kein  Professor  hat  ihm  darüber  Aufschluss  gege- 
ben,  kein  theoretisches  noch  praktisches  Colleg  hat  ihm 
darüber  Belehrung  verschafft.  Auch  hier  gilt  wieder 
das  XVort  FrANCKE.'s:  „Was  wir  im  Amt  alle  Tage 
brauchen,  das  lernen  wir  auf  der  Universität  iiicht.^^ 
Ueber  Hunderte  von  Büchern,  welche  der  Theologe  bei 
aller  Wissenschafllichkeit  nie  in  seinem  Leben  liest 
noch  sieht,  empfängt  er  Unterricht  in  der  Encyclo- 
pädie  und  Methodologie.  Aber  von  den  Bü- 
diern,  mit  welchen  er  jeden  Tag  Hungrige  in  seiner 
Gemeinde,  speisen  könnte,  wird  ihm  in  keiner  Vorle- 
sung die  mindeste  Nachricht. 

Da  bt  denn  wieder  die  Anweisung  eines  erfahrnen 

'.   JUniversitätsseelsorgers  unentbehrlich,    der  zum 
.  Himmelreiche  gelehrt,  den  Jünglingen  aus  seinem  Scha- 
tte Altes  und  Neues  mittheilt»    sie  bekannt  macht  mit 
den  besten  Gebet-   und  Andachtsbüchern,   mit 

jF^len  interessantesten  Lesebüchern.,   sowohl  für  das 

16* 


244 

Vo|k,  als  für  Gebildete,  endlich  mit  den  besten  der 
kleinen  religiösen  Schriftchen,  der  sogenannten  T r ac- 
ta te.  Hier  wird  er  zugleich  die  Schärfung  ihrer  ür- 
theilskraft,  wie  die  Erwärmung  ihres  Gemiitbs  beför- 
dern, indem  er  ihnen  solche  Schriften  in  die  Hand 
gibt,  um  sie  durchzulesen  und  ihm  ihr  Urtheil  darüber 
zu  sagen,  ob  sie  zu  empfehlen  seien,  und  für  welchen 
Kreis  von  Lesern,  für  welche  Bildungsstufe  u.  s.  w. 
Dadurch  wird  er  bei  ihnen  eben  sowohl  eine  blinde  - 
Yorliebe  für,  als  ein  blindes  Yorurtheil  gegen  man- 
che Schriften  und  Schriftchen  entfernen,  das  nur  zu 
oft  sich  unbewusst  in  die  Herzen  einschleicht;  wird 
ihnen  deutlich  machen,  wie  sehr  eine  strenge  Vorsicht 
und  Empfehlung  von  Büchern  nöthig  ist,  aber  wie  we- 
nig man  sich  auch  von  vorgefassten  Meinungen  Ande- 
rer gegen  manche  Schriften,  von  deren  Prüfung  und 
resp.  Empfehlung  abhalten   lassen    darf;    wird  sie  dar* 

m 

auf  aufmerksam  machen,    wie   unter    den  kleinen  reli- 
giösen Schriften    die,    welche    eine   geschichtliche  • 
Einkleidung  haben,  am  liebsten  gelesen  werden  u.  s.  w. 

Ein  anderes  wichtiges  Förderungsmittel  des  Rei- 
ches Gottes  in  den  Gemeinden,  welches  uns  die  ge- 
genwärtige Zeit  darbietet,  und  mit  welchem  der  junge 
Theologe  bekannt  gemacht  werden  muss,  ist  die  Ei- 
be 1  -  uud  Missionssache. 

Das  Interesse   für   diese  grosse  Angelegenheit  hat      ^ 
sich,  Gott  sei  Dank  I  in  einem  sehr  grossen  Theile  der 
Gemeinden  wenigstens  unserer  Provinz  als    ein  heiliges 
Feuer  so  weit  verbreitet,  dass  es  sich  weder  mit  ratio- 
nalistischen noch  jesuitischen  Feuerspritz-Röhre«^. 


245 

mehr  dämpfen  lässt,  und  dass  der  angehende  Geistliche^ 
schon  um  nicht  mit  Scham  als  Idiot  in  seiner  Gemein- 
de dazustehen,  wenigstens  historisch  darum  wissen  jnuss. 
Denn  mancher  Schulknabe,  mancher  geringe  Bauers- 
und Bürgersmann  weiss  hier  zu  Lande  aus  den  Mis- 
sionsblättern  und  Missionsmagazinen  mehr  davon,  als 
mancher  Professor  der  Theologie,  als  manche  Docen- 
ten  der  Kirchengeschichte* 

Jedoch  nicht  als  blosse  kalthistorische  Nachricht 
darf  dem  Theologen  die  heilige  Ang;elegenheit  nahe 
gebracht  werden,  eine  Angelegenheit,  welche  mehr  als 
viele  andere,  grade  ihm,  dem  künftigen  Verkündiger 
des  Evangeliums,  matherweckend  und  stärkend  sein  wird 
bei  dem  Hinblick  auf  die  vielen  Hindernisse,  welche 
ihm  bei  der  Seelsorge  in  seiner  Gemeinde  entgegen- 
stehen werden.  Wenn  er  sieht,  wie  die  Missionäre  die 
noch  viel  grösseren  Hindernisse  auf  den  wilden,  wü- 
sten Heidenfeldern  durch  ihren  Glaubensmuth  überwin- 
den, und,  wenn  auch  oft  durch  Jahre -langes,  vergeb- 
lich-scheinendes  Arbeiten  geprüft^  doch  endlich  die 
Todtengebeine  seh^n  lebendig  werden  und  den  Odem 
des  Herrn  sie  aufrichten  als  neue  Kreaturen  ihm  zum 
Preis,  und  die  Jahrhunderte  lang  die  Inseln  des  Mee- 
res bedeckende  Geistesnacht  sehen  weichen  vor  der 
Sonne  der  Gerechtigkeit,  wenigstens  ihr  Morgenroth 
schon  sehen  glänzen,  und  viele  Heiden  in  ihrem  Lichte 
wandeln,  o  wie  wird  dann  auch  seine  Brust  voll  höhe- 
ren Vertrauens  zum  Herrn  der  Erndte  schlagen,  dass 
4er  nicht  minder  seinen  Saamen,  den  er  künftig  im 
Glauben  ausstreuet,    werde  Wachsthum    und  Gedeihen 


243 

geben  zn  seiner  Zeit,  und  ihm  zur  Seite  stehen  alie 
Tage,  wenn  er  nur  für  ihn,  nur  für  seine  Ehre,  nicht 
Tiir  die  eigne,  arbeitet  und  ringet.  —  Und  noch  in  ei- 
ner andern  Hinsicht  wird  der  üniversität«seelsorger  den 
jungen  Theologen  die  Missionssache  sehr  lehrreich  für 
ihr  künftiges  Wirken  machen  können.  Er  wird  Ihnen 
aus  dem  Missionswerke  mit  lebendigen  Beispielen  zei- 
gen, wie  nicht  die  ausgebreitetste  Gelehrsamkeit,  nicht 
das  grösste  Talent,  nicht  das  heftigste  Eifecn  und  Stür- 
men in  eigner  Kraft  die  grössten  und  bleibendsten  Er- 
folge bei  den  zu  Bekehren'den  hervorgebracht  hat,  Son- 
dern das  stille,  sinnige  Wirken  mit  unermüdeter  Liebe 
und  christlicher  Weisheit,  das  geduldige  Harren  darü- 
ber und  Beten  um  den  Morgen-  und  Abendregeo^  das 
Aussäen  vorzüglich  in  die  Herzen  der  Jugend,  um  nicht 
bloss  sie,  sondern  auch  die  Aeltern  dadurch  zu  gewin- 
nen, und  endlich  das  eigne  Vorbild  in  den  Tugenden, 
die  man  lehret. 

Dies  wird  auch  sie  anlreiberv  sich  vor  dem  Eifern 
fürs  Gute  mit  Unverstand  zu  hüten  bei  dem  Eintreten 
in  ihre  Gemeinde,  vor  dem  leidenschaftlichen  gleich 
anfangs  alles  darin  Aufregen- Wollen,  was  meist  in  eiU 
ler  Selbstgefälligkeit,  in  zu  grossem  Vertrauen  auf  eig- 
ne Kraft,  Beredsamkeit,  Gewandtheit  etc.,  so  wie  ia 
Unkenntniss  des  menschlichen  Herzens  seinen  Grund 
hat.  Sie  werden  nun  mit  Missions-Liebe,  und 
Missions- Muth,  aber  auch  Missions- Geduld 
und  Missions- D  e muth  ihr  Werk  an  den  Seelen 
beginnen  und  fortsetzen,  unter  stetem  Anfblick  zu  dem« 
von  dem  alle  Kraft  und  aller  Segen  kommt,  und  dem 


247 


alle  Ehre  allein  gebllhrL  —  Mögen  auch  bereits  kleine 
Bibel-  und  Missionshül  fsver  eine  untec  den  Stu- 
denten  bestehen,  —  und  je  mehrere,  desto  besser,  — 
obige  umsichtige  Belehrungen  des  Universitätsseelsorgers 
werden  darum  nicht  unnöthig,  vielmehr  grade  desto 
heilsamer  sein,  auf  dass  nicht Ueberspanntes  und  Schwär- 
merisches sich  hineinmische,  ujad  die  herrliche  Sache 
Gottes  nicht  verunreiniget  und  verlästert  werde. . 

Auf  welche  Weise  kann  nun  'derUniversitätsseelsor<* 
ger  am  (üglichsten  den  Theologen  Anweisung  ertheilen 
in  den  genannten  und  anderen  wichtigen  Förderungsmit- 
teln des  Reiches  Gottes,  der  Kenntniss  religiöser  Volks- 
lesebücher, der  Bibel-  nnd  Missionssach^ ,  in  Erfor- 
schung der  vielen  Hülfsmittel ,  aber  auch  der  vielen 
Hindernisse,  welche  die  Eigenthümlichkeit  des  Univer- 
sitätslebens ihrem  Streben,  in  christlicher  Erkenntniss 
und  Gottseligkeit  zu  wachsen,  darbietet,  u.  s.  w.  ? 

Die  einfachste  und  zweckmässigste  Art  ist  das  Hal- 
ten paränetis  ch  er  Lectioneii  in  ähnlicher  Weise 
wie  A.  H.  Francke.*) 


*)  In  den  paränetischen  Lectionen  bemühte  sich 
Francke  zu  zeigen,  was  angehende  Theologen  im 
Chris tenth um  und  im  Studiren  an  Erreichung 
ihres  Zweckes  hindere,  und  wie  sie  solche  Hinder- 
nisse zu  überwinden  halten.  Sie  bekamen  hier  einp 
allgemeine  Anleitimg  zur  zweckmässigen  Einrichtung 
des  ganzen  theologischen  Studiums ,  und  zum  Ge- 
brauch der  dazu  erforderlichen  Hülfsmittel.  Die 
meisten  Erinnerungen  darin  waren  auf  Verbesserung 
^  der  Moralität  gerichtet.  Es  war  aber  nicht  die 
bloss  äussei'lichc,  noch  auch  die  gesetzliche, 


i 


248 

Da   iti    der  theologischen   Encyklop'adie    und 
Methodologie  bloss  Anweisung   zum   gelehrten 


sondern  die  innere  und  eyangelische,  aus  dem 
lebendigen  Glauben  an  Christum  entspringende  Sitt- 
lichkeit. Unbestraft  blieb  hier  nichts  von  allem 
Fehlerhaften  und  Anstössigen,  was  er  in  Reden  und 
Handlungen  der  Studirenden  bemerkt  oder  vernom- 
jiien  hatte.  Er  fing  die  Vorlesungen  im  J.  1093  an,  noch 
TOr  der  Inauguration  der  Universität,  und  fuhr  da- 
mit bis  an  seinen  Tod  1727  ununterbrochen  fort. 
Sein  Sohn  hat  sie  noch  mehrere  Jahre  lang  fortge- 
setzt. Der  Anfang  Avar  klein,  wie  bei  allen  seinen 
Instituten.  Er  hielt  sie  damals  in  seinem  Studir- 
zimmer  privatim,  vor  einer  geringen  Anzahl  von 
Zuhörern.  Aber  bald  mussten  sie  bei  mehreren!  An- 
wachs  der  Universität,  in  öffentliche  Vorlesungen 
verwandelt,  und  im  grossen  Hörsaal  der  theologi- 
schen Fakultät  gehalten  werden.'  In  der  dazu  be- 
stimmten Stunde,  Dienstags  von  10  —  11  Uhr,  fie- 
len die  übrigen  theologischen  Collegia  aus,  damit 
alle  studirende  Theologen  gegenviärtig  sein  könn- 
ten; und  gewöhnlich  waren  sie  auch,  besonders  in 
den  ersten  Jahren,  hier  alle  versammelt, .  obgleich 
keiner  dazu  gezwungen  wurde,  so  Avenig  wie  zu 
andern  Collegien.  -^  Francke  redete  hier  so  ein- 
dringend, so  vertraulich  und  herzlich*,  wie  ein 
V^ter  mit  seinen  Kindern  redet  (wie  er 
selbst  sich  darüber  ausdrückte),  bisweilen  freilich 
ernst  und  streng  >  —  sti;engcr,  als  es  vielleicht  ein 
verwöhntes  Zeitalter  ertragen  würde,  —  aber  doch 
immer  so,  dass  man  sah,  es  sei  Väterliche,  die  ihn 
dringe.  Viele  seiner  Zuhörer  haben  diese  Vorlesun- 
gen als  die  eigentliche  Grundlage  zu  ihrem  Glück 
angesehen,  und  das  Bekenntniss  abgelegt,  dass  sie 
hier  zuerst  zur  gründlichen  Herzensbesserung  er- 
weckt, und  zur  nützlichen  Anwendung  ihrer  Univer- 


249 

»tudium  und  zur  gelehrten  Biicherkenntniss  gegeben 
fird^  so  muss  hier  das  praktische  £lement  vorherr- 
chen.  Hier  müssen  dem  Theologen  die  Hinder- 
tisse  eines    fruchtbringenden   theologischen  Studiums 


sitätszeit  angeführt  \«'ären.  Nachdem  sie  Acmter 
erhalten  und  sich  mehr  Erfahrung  erworben  hatten» 
kam  ihnen  Manches  von  dem  erst  recht  zu  statten, 
Avas  sie  damals  hörten,  aber  nicht  ganz  verstanden, 
oder  gehörig  anzuwenden  wiissten.  Er  selbst  ver- 
sichert, er  habe  von  keiner  akademischen  Arbeit  so 
viel  A\ahren  und  bleibenden  Segen  gesehen,  als  von 
dieser.  Bei  der  Wahl  der  Gegenstände  seines  Vor- 
trags band  er  sich  an  keine  festgesetzte  Vorschrift 
und  Ordnung,  sondern  richtete  sich  nach  dem  Be- 
dürfniss  seiner  Zuhörer.  Bisweilen  wurden  Schrift- 
stellen zum  Grund  gelegt,  oder  ganze  biblische  Bü- 
cher praktisch  durchgegangen,  z.  B.  die  Briefe  an 
die  Römer  und  Hebräer;  zu  anderer  Zeit  hielt  er 
wieder  freie  Vorträge  über  einzelne  lehrreiche  Ma- 
terien, und  wenn  die  Sachen  von  der  Art  waren, 
dass  eine  Stunde  nicht  hinreichte,  sie  ganz  zu  er- 
schöpfen, so  handelte  er  sie  in  mehreren  Lectioncn 
nach  einander  ab«  Hier  sind  einige  Inhaltsanzeigen 
seiner  paränetischen  Vorträge:  vom 'Selbstbe* 
trug;  von  der  Menschenfurcht;  für  Studi- 
rende,  die  den  guten  W'illen  haben^  ihre 
Studia  und  ihr  Christenthum  gottg^efällig 
zu  führen;  Anweisung,  wie  man  sein  Stu- 
diren  recht  einrichten  solle;  wie  Studi- 
rende  den  gegenwärtigen  Zustand  der  Kir- 
che recht  zu  erkennen  und  nützlich  anzu- 
wenden haben;  wie  man  die  Jugendsünden 
fliehen  solle;  ob  man  die  Zeit  seiner  Be- 
kehrung wissen  müste;  vom  Separatismus 
u.  s.  w.  8.  Framgkev's  Stiftungen  II.  Band 
1.  Stück  S.  70  -.  73. 


2.)0 


%      / 


nai^bgewiesen  werden,  wie  sie  theils  ia  ihm,  theils  aus- 
ser  ihm ,    in   den    akademischen   Verbältnissen    liegen, 
welche  Gefahr  sie  seinem  Geist  und  Gemüthe  bringen; 
hier  muss  ihm  gezeigt  werden,   wie  sie  vermieden  oder 
besiegt  werden  können;  hier  muss  ihm  stets  \*Qr'$Aoge 
gerückt  werden  das  höchste  Ziel  seines  Studiums,   das 
Wachsen  in  christlicher  Erkenntniss  und  Gottse- 
ligkeit,   und  wie    daraus    allein   die  Tüchtigkeit  ent- 
springt,  auch    die   Gemeinden    zu   solcher  Erkenntniss 
und  Gottseligkeit  zu  erziehen.     Hier  müssen  ihnen  die 
allgemeinen  christlichen  Bedürfnisse  der  Gemeinden  vor 
Augen    gehalten    werden,    damit    sie    vorzüglich     das    I 
auf  der  Universität  erlernen,  was  sie  alle  Tage  in  ihrem 
Amte    brauchen,     und    um   weiter   mit   FRANC K£'s    ' 
Worten  zu   reden,   ihre   Gelehrsamkeit  nur  in  so  weit 
schätzen,  als  sie  brauchbar   ist,  und  wahrer  Nutzen    ,i 
damit  geschafft  wird»  Hierher  gehören  also  ausführliche   ! 
Belehrungen  über   die    tägliche    Hausandacht,    die    \ 
Heiligung   des   Sonntags,    die  wichtigsten  An-    j 
dachtsbüchet,   sowohl  für  ihre   eigene  Erbaniii^  ^ 
als  auch  um  Andern  darin  rathen  zu  können,  über  die 
zweckmässigsten  Lesebücher   zu   einer   angenehmen 
und  doch   heilsamen  Unterhaltung  für    das  Volk,    wie 
tiir  die  Gebildeten,  übier  den  Gebrauch    der   Trac tä- 
te,   über    die  herrlichen  Erfolge    der    Bibel-    naji 
Missionsgesellschaften,  über  die  Sonntagtfif 
schulen,  Kleinkinderschulen,  Armenscba-  J 
len,  Gefängnissgcsellscha  ften  u.  s.  w.j  knrx 
über  alle  die  praktischen  Punkte,  welche  eine  fruchtbare 
Wirksamkeit   des  Geistlichen '  in  seiner  Gemeinde  vor- 


2^t 

lereiten  können,   so  weit  sie  überhaupt  in  eine  öffent- 
iche  Lection  gehören.*) 


♦)  In  Tübingen  werden  in  Folge  einer  Konigl.   Ver- 
ordnung auch  parä netische  Keden,  und  zwar  für 
alle  evangelische  Studirende^  Avochentlich  Eine  Stun- 
de von  den  Professoren  der  Theologie,  welche  jähr- 
lich  damit  abwechseln,  gehalten.    Dr.  Steudels 
Keden   über  Religion   und     Christenthum, 
mit  besonderer  Hinsicht  auf  die  Bedürfnisse  der  Zeit, 
Tübingen  bei  H.  Laupp   1820,    sind  solche  parä - 
netische  Keden,   können  aber  nach  dem  Zwecke, 
den  solche  Reden  unserer  obigen  Ansicht  nach   er- 
reichen sollen,  nicht  als  Muster  aufgestellt  werden. 
Denn   sie  sind,   des  Tielen  Trefflichen  ungeachtet, 
das  sie  enthalten,  zu  wenig  populär,  zu  sehr  in  das 
gelehrte  Gewand  der  gewöhnlichen  Vorlesungen  ge- 
kleidet,   die  Darstellung  leidet  an  SchAverfälligkeit 
und  Steifheit,  und  grade  das  Wichtigste  bei  solchen 
Reden,    die  Berücksichtigung   der   besonderen  Ver- 
hältnisse und  Bedürfnisse  der  Studirenden,  fehlt  ganz. 
—  Auch  möchte' das  abwechselnde  Halten  dieser 
Reden    von   allein   theologischen   Professoren   nicht 
wohlthätig  sein.    Da  für  diese  Art  Reden  ane  be-  ^ 
sondere   Gabe    der  Popularität,    der    Herzlichkeit, 
vieler   christlichen  Erfahrung   und   Menschenkennt- 
niss,  namentlich  auch  Kenntniss  des   akademischen 
Lebens,    viele    Weisheit   verbunden    mit   einer  ent- 
schiedenen  Glaubensklarheit   und   Glaubensfreudig- 
keit gehört,  welche  Eigenschaften  sich  nicht  bei  je- 
dem Professor   der  Theologie   zusammenfinden,    so 
wäre  es  zweckdienlicher,  dass  der  Staat  das 'Halten 
dieser    Reden    dem    hierzu   am   besten   qualificirteu 
Professor   ausschliesslich    übertrüge,    nach   unserer 
Ansicht  am  passendsten  dem  Universitätsseelsorger. 
Auch  zeigt  die  Erfahrung  in  Tübingen,    dass  sol- 
ches Abwechseln  nachtheilig  wirkt,  indem  mancher 


253 

wöchentlich  gehalten  werden.  Dass,  um  sie  auf  eine 
anziehende  und  fruchtbringende  Weise  za  halten,  viele 
Gaben,  die  wir  eben  in  der  Anmerkung  genannt  ha- 
ben, erfordert  werden,  versteht  sich  von  selbst;  aber 
diese  Eigenschaften  haben  wir  ja  auch  gleich  anfangs 
von  einem  Universitätsseelsorger  verlangt« 

Dieser  soll  zwar  nicht  eigentlich  dociren,  und  kein 
theologischer  Professor  sein,  denen  stets  noch  viele 
gelehrte  Arbeiten  obliegen,  wozu  er  keine  Zeit  hat. 
Ja  es  ist  zu  wünschen,  dass  ihm  auch  nicht  einmal  der 
Titel  eines  Professors  gegeben  werde,  damit  er  nicht 
über  seinen  durchaus,  praktischen  Geschäftskreis  empor- 
strebe, und  nicht  in  die  Versuchung  komme,  gelehrte 
Vorlesungen  halten  zu  wollen,  und  sich  mit  gelehrtem 
Flitter  zu  umhängen,  was  bei  so  manchen  Geistlichen 


^^eine  öffentliche  Stimme  geben,  die  sie  aufruft,  ihr 
„Streben   nach   Wissenschaft  zum   höheren  Streben 
,^nach  Weisheit  zu  erheben;   es  muss  eine  öffent- 
„liche  Stimme  geben,    die  sie  zur  Weisheit  ruft  im 
,^Nanien    der   Religion,    die   selbst   die  höchste 
„Weisheit  ist;   die  sie  zur  Weisheit  ruft  im  Namen 
„der  Kirche,   die   eigentlich   dazu  bestimmt  ist, 
„ihre  Glieder  von  aller  Thorheit « frei  und   an  aller 
„Weisheit  reich  zu  machen ;    die   sie   zur  Weisheit 
„ruft,  im  Namen  der  Freundschaft,  die  mir  das 
„höchste  Gut  der  Studirenden  zum  höchsten  Anlie- 
„gen  meines  Herzens  macht;   die   sie  zur  Weisheit 
„ruft  im  Namen  meines  Amtes,   denn  das  ist  der 
höchste  Beruf  des  christlichen  Predigers,  seine  Zu- 
„hörer  zur  Quelle  der  Weisheit  ^  führen,  und  sie 
„mit  dem  Geiste  Christi  zu  taufen,     der  ein  laute- 
„rer  Geist  des  Lichtes,    der  ein  Geist  aller  Weis- 
„heit  ist/* 


yy 


% 


954 

in  Universitätsstädten  der  Fall  ist,  worunter  dann  das 
praktische  Amt  und  namentlich  die  Seelsorge  leidet. 
Gleichwohl  kann  ihm  ja  immerhin  erlaubt  werden,  sol- 
che paränetische  Lectionen  zuerst  etwa  in  seiner  Kate- 
chisirstube,  und  bei  wachsender  Zahl  von  Zuhörern  in 
einem  akademischen  Hörsaale  zu  halten. 

Fassen  wir  nun  die  verschiedenen  Geschäfte  zu- 
sammen, welche  wir  vom  Universitätsseelsorger  ifb^r- 
nommen  zu  sehen  wünschen,  so  gehört  dazu: 

1)  die  specielle  Seelsorge  aller  evangeli- 
schen Studirenden; 

2)  praktische  Bibelerklärung,  Ein  Mal  wö- 
chentlich rdr  die,  welche  im  letzten  Jahre  des 
Triennü  studiren,  also  das  homiletisch  -  katecheti- 
sche Seminar  besuchen.  Djese  bedürfen  schon  für 
ihre  Arbeiten  im  Seminar  der  praktischen  Bibeler- 
klärung. 

3)  Die  praktische  Anleitung  zum  Katechi- 
siren.  Die  Katechetik  und  Homiletik  werde  nach 
wie  vor  von  den  Professoren  gelesen,  auch  die 
schriftlichen  katechetischen  und  die  homiletischen 
Uebungen  im  Seminar  ferner  von  denselben  ge- 
leitet, so  dass  nur  in  Leitung  der  letzteren  der 
Universitätsseelsorger  etwa  einigen  Anthcil  erhalte* 
Allein  die  praktische  Anweisung,  mit  den  Kindern 
zu  katecfaisiren,  die  Leitung  der  öffentlichen  Sonn* 
tagskatechisationen  der  jungen  Theologen  mit  den  . 
Kindern  in  der  Kirche,  und  die  Anleitung  zurHäl-^ 
tung  der  Katechisationen  mid  Andachten  in  Ar- 


'  c 


255 

menhäusern ,  Gerängnissen  u.  s.  w»  bleibt  am  be- 
sten dem  Universitatsseelsorger  überlassen ,  der 
auch  die  meiste  Gelegenheit  hierzu  hat. 

4)  Die  praktische  Anleitung  zum  Kranken- 
besuche uiid  der  Armenpflege. 

5)  Die  praktische  Anleitung  zum  Schul- 
unterrichte durch  Leitung  von  Sonntags- 
schulen. 

4 

6)  Parän  etisch  e  Lectionen,  wenigstens  wäh- 
rend Eines  Semesters  in  jedem  Jahre,  Ein  Mal 
wöchentlich. 

Hieraus  ergibt  sich,    dass   die  Geschäfte   des  Uni- 
yersitätsseelsorgers  in  Bezug  auf  die  Sfudirenden  kei- 
neswegs  gering  sind^   sondern  er  einen  grossen  Theil 
seiner  Zeit  und  Kraft  denselben  widmen  muss.     Seine 
eigene  Gemeinde  muss  daher  entweder  klein  sein,  oder 
es  muss  ihm  ein  Gehülfe  gegeben  werden,  der  jedoch 
bloss'  einen  Theil  der  pfarramtlichen  Geschäfte  zu  über- , 
nehmen  hat     Denn   einen  Theil   derselben    und   eine 
Gemeindeseelsorge  ausser  der  Seelsorge   für  die  Stu- 
direnden  muss   er  stets  selbst   führen,    was    aus  dem 
oben  Gesagten  zur  Genüge  erhellt ,   indem  das  prakti- 
sche Pfarramtsleben  das  Element  sein  muss,    worin  er 
sich  bewegt,    welches  ihm   immer    neue    Erfahrungen 
darreicht,  und  allein  die  fortwährende  Gelegenheit  gibt, 
die  jungen  Theologen  praktisch  anzuleiten. 

Sobald  der  Staat   die  Wichtigkeit  und   Nothwen- 
digkeit  einer  solchen  heilsamen  Einwirkung   eines  Uni- 


.* 


256 


Versitätsseelsorgers  auf  ^die  Stodirenden ,  insbesondere 
auf  die  Theologen,  klar  erkennt,  wird  er  gewiss  kei- 
nen Anstand  nehmen,  die  geringen  Kosten,  welche 
eine  solche  Einrichtung  nöthig  machen  wird ,  zu  be- 
willigen. 


4V 


^57 


No{hwendigkcit  der  Eftlchtung  be* 
sonderer  theologisch  -  praktischer 
Seminare,  und  Beschaffenheit  der- 
selben. 


JlLs  entstefat  hier  nuH  die  withtigci Frage:  Wenn  gleich 
die  Anstellung  eines  solchen  Universitätsseelsorgers 
nothwendig  ist,  wenn  gleich  dadurch  die.praktische  An« 
leitung  der  Theologen  auf  der  Universität'  wöhlthätig 
erweitert,  auch  vermieden  wird,  dass  ihr  akademische 
Stadium  eine  bloss  gelehrte  Richtung ^  wie  bisher  neh-« 
me,  wird  dadurch  aber  schon  diejenige  vollständige 
YorbereituDg  zum  Pfarramte  erreiitht^  welche  zu  einer* 
gesegneten  Führung  desselben  nöthig  Ist?  Ist  auf  dec 
Universität  eine  solche  praktische  Einfiihrutig  jedes  ein-« 

k  seinen  Theologen  in  alle  Theile  seines  künftigen  Pa- 
^toraliebens  möglich?    Lässt  nickt  das  gelehrte  theolo-* 
giidie  Stadiom,  welches  auf  das  akademische  THennxia^ 
TOnagsweise  Ansprach  hat,  das  praktische  Studium  jmI^ 
IL  It 


258 


\     • 


der  Universität  stets  einen  sehr  untergeordneten  Plalz 
einnehmen?-  Ist  es  nicht  überhaupt  ein  gefährlicher 
nnd  nachtheiliger  Sprutig,  Wenn  der  Theologe  von  dem 
akademischen  Leben  auf  einmal  in  "das  Kandidaten- 
ujid  Pfarrerleben  übergeht,  ohne  dass  dieser  Uebergang 
in  eine  so  ganz  andere  Sphäre  durch  eine  Zwischen- 
stufe vermittelt,  und  durch  eine  rein  praktisch  -  theplo^ 
gische  BildütigsäUstalt  eingeleitet  wird?  -^ 

Ich  kaiin  nicht  umhin,  das  entscheidende  Gewicht 
dieser  Gründe  anzuerkennen^  und  die  Ansicht  derjeni* 
gen  zu  theilen^  welche  ein  praktisch  *  geistliches 
Seminar,  gaiiz  abgeschieden  von  der  Universität  und 
dem  Universitätsötte ^  ähnlich  dem  Wittetibergi-^ 
seh  eil  Predigerseminare,  als  vermitielüde  Zwischenan- 
stalt  zwischen  dem  akademischen  und  dem  geistlichen 
Amtslebeil  zur  Yolleudung  der  theologischen  Bildung 
künftiger  Pfarr^eistlicheU^fiir  uöthig  halten« 

ble  Nothwendigk^it  einer  gediegeUen  tlheologiscb-' 
wissetlschaf^licheii   Bildung  ist   unbestreitbar.     Der   ge« 
^enwärtige  Umfang   der   theölogisched   Wissenschaf^eii 
ist  zugleich  sd  gross,  tind  ihr  Studium  durch  die  e%e*^ 
getischeii,  patrististhen^  kifchefihistori^chea 
und  dgL  Seminare^    deren  Nützlichkeit  ich   nicht   ver^ 
kenne,   und  durch  die  daikiit  terbüüdetieii  praktiiched 
Arbeiten  so  erweitert  ^   dass  Von  dem  letzten  der  dm 
tJBijrersitatsjahre  nur  ein  Theil  zunt  praktisch  «>  dieolögi«* .  '.> 
«eben  Studiuiu  verwendet  werden  kann  ^  was  öfP^bar  :j 
211  wenig  ist«     Ferner  wird  an  einigen   unserer  tJa^y^^^, 
sitj^ten,  s.  B.  zu  Halle  und  Berlin  die  grosse  Meü^^lj 
06  def  Th^ologeo^  nr  B  o  n  n  d|^  Kleinheit  iaf4$ßlgß(Kt 


\ 


259  . 

IUI     I  l'l     I 

evangelischen  Gemeinde  und  ihr  Bestehen  meistens  aus 
Gliedern  der  höheren  Stähle  'den  Universitätsseelsor^ 
ger  hindern ,  alle  einzelne  Theologen  in  die  verschie- 
denen praktischen  Zweige  des  Pfarramts,  namentlich 
den  katechetischen  9  den  Krankenbesuch  n.  s.  w.  genü- 
gend einführen.    ' 

Ueberdies   kann   das   Einführen   in    die  Kenntniss 
der  eigenthümlichen   V^fhaltnisse   der  Landgcfmeinden,- 
welche,   da  diese  bei  weitem  di(^  grösste  Zahl  der  Ge- 
meinden ausmachen,  unerlasslich  ist,  auf  keiner  Uni- 
versität  bewerkstelligt   werden,    da    hierzu    nöthig  ist, 
ihnen  möglichst  nahe  zu  stehen,  gewissermasseri  iri  ihrer 
Mitte  zu  lei)en,  und  sie  durch  eigne  Aiischanühg  ken- 
nen zu  lernen,  was  die  Universitätsstädte  nicht  ztila^sen. 
So  gibt  auch  für  eine  vollständige  Pastor allehre, 
für   das    Bekanntmachen  mit    der    Kircheriverfas- 
sung  und  kirchlichen   Gesetzgebung,   mit  der 
Liiturgik,  mit  dem  Kirchengesang   und  mit  dem 
Schulunterricht    die   Universität  weder  Zeit  noch 
Gelegenheit  geiing. 

Das  Gefühl  dieses  Bediiirfnisses  gat>  deii  Predi- 
gerseminären  in  Wittenbergi  und  zu  H^r- 
born  im  Nassauischen  ihre  Entstehung.  Dies  Gefühl 
liess  im  verfldssetfen  Jahr^  die  G e nii r ä  1  s y n ö d e 
der  Grafschaft  Mark  auf  den  Antrag  des  ^hrwiirdigen 
Ministers  von  Stein,  und  in  dieseni  Jahre  unsere 
Provinzialsynode  zu  Köln  den  dringenden 
Wunsch  zur  Errichtuhg  solcher  Seminare  für  die  jun- 
gen evangelischen  Theologen  unserer  Provinzen  aus- 
if  redieiii 


260 


Da  hiernach  zu  hoffen  ist,  daiis  unsere  preass I <- 
seihen  höchsten  Behörden,  welche  sich  grade  dadurch 
vor  denen  so  mancher  anderer  Länder  auszeidhneii^ 
dass  sie  die  geistigen  Bedürfnisse  der  Zelt,  sobald  sie 
sich  einmal  deutlich  aussprechen,  gerne  anerkennen  und 
zu  befriedigen  suchen,  auch  auf  die  Befriedigaag  die«- 
ses  wichtigen  Bedürfnisses  Rücksicht  nehmen  werden, 
so  scheint  es  nicht  ungeeignet,  noch  einiges  Nähere 
über  die  etwanige  Einrichtung  eines  solchen  Seminats, 
insbesondere  für  unsere  Bheinproviös,  hl«  zu  be- 
merken« 

Das  Seminar  zn  Wittenberg  kann  dabei  in 
yielen,  jedoch  nicht  in  allen  Hinsichten  mim  Master 
genommen  werden« 

Zuerst  nicht  in  der  Datier  des  Seminarau* 
fenthaltes.  Da  es  nur  für  ausgezeichnete  Kandidat 
ten  'des  ganzen  Reiches  zur  weiteren  pi^ctischen  und 
gelehrten  Ausbildung  dienen  soll,  so  kann  es  hier'« 
in  kein  Vorbild  sein  für  ein  Provinzia  1-Semi- 
n  a  r ,  das  alU  Kandidaten  der  Provinz  ohne  Ans- 
nahnfie  umfassen  soll*  Für  diese  ist  ein  zweijähri- 
ger Cursus  am  Seminar  nach  den  drei  Univ^vitätis- 
Jahren,  die  doch  in  Wittenberg  vorausgesetzt  werden» 
zn  lang^.  Selbst  eine  bloss  vierjährige  ^Studienseity^*** 
3  Jahre  für  die  Universität  und  Eins  fürs  Seminar  ge* 
rechnet,  ---  wird  vielen  zu  lang  dauern,  sobald  auf 
dedi  Seminar  bloss  die  bedürftigsten,  und  nicht  alle 
Seminaristen  Stipendien  erhalten.  In  diesem  Falle 
könnte  zup  Noth  die  Üniversilätszeit  auf  2*^2  Jahre  be- 
schränkt werden.     Ein  Jahr  fürs  Seminar  ist  jedenfalls 


I 


261 

binreichend.  Daim  würde  das  Jahr  auf  dem  Seminar 
den  keine  Unterstiitzuog  erhaltenden  Theologen  wenig 
mehr  kosten,  als  das  ihnen  vom  akademischen  TV*/«»- 
nium  nachgelassene  Semester,  weil  es  auf  ersterem 
wohlfeiler  ist,  auch  Manches,  jedenfalls  der  Unterricht 
frei  sein  wird.  Nur  zwei  Jahre  für  die  üniversitäts- 
zeit  als  Minimum  festzusetzen,  wie  dies  im  Nassaui- 
sch e  n  der  Fall  ist ,  wo  die  Theologen  darauf  noch 
Ein  Jahr  lang  das  Seminar  zu  Herborn  besuchen, 
ist  offenbar  zu  wenig.  Kann  das  akademische  TVien- 
nitim  unverkürzt  festgehalten  werden,  dann  desto 
besser. 

Wann  soll  der  Eintritt  ins  Seminar  statt  fin« 
den  ?  «-  Am  besten ,  in  der  Regel  erst  nach  bestan- 
dener Prüfung  pro  Ucentia  concionandi,  wie  dies 
Siuch  in  Wittenberg  statt  findet.  Fände  der  £in<- 
tritt  vor  derselben  statt,  so  würde  die  Vorbereitung  auf 
diese  einen  grossen  Theil  der  Zeit  des  Seminaristen 
^egnehmen;  sein  Kopf  und  Herz  wären  getheilt  zwi«- 
schen  der  Sorge  und  Arbeit  fürs  Examen,  und  zwischen 
den  Seminarairbeiten*  Er  würde  sich  diesen  demnach 
nicht  mit  ganzer  Seele  hingeben,  was  doch  so  sehr  nö- 
ikig  ist.  —  Dass  nach  der  Seminai'zeit  noch  das  zwei- 
te Examen  bevorsteht,  wird  weit  weniger  stören.  Denn 
einestheils  ist  die  Aengstlichkeit  immer  beim  ersten 
Examen  am  lebhaftesten,  anderntheils  beziehen  sich  die 
Aufgaben,  bei  dem  zweiten  grossentbeils  auf  das 
Praktische. 

Das  Jahr,  welches  zwischen  der  ersten  und  zwei- 
ten Pirüfung  verfliesst,  ist  also  im  Seminar  zuzubringen. 


262 

und  gewiss  nirgends  zweckmässiger.  Da  aber  viele 
Kandidaten  dieses  Jahr  kostenlos  für  die  Ihrigen  als 
Hauslehrer  oder  dgl.  anbringen,. so  ist  es  um  so  mehr 
Pflicht  der  Billigkeit,  dass  wenigstens  alle  Nicht-Bemit- 
telten freie  Station  im  Seminar  haben. 

Wie  soll  das  Seminarleben  beschaffen  sein  f. 
—  £s  soll  den  Uebergang  bilden  von  dem  isolirien 
Studentenleben  zu  dem  bürgerlichen  Familienleben.  Es 
mnss  daher  auch  ein  hä-nsliches  Züsammenlebeq 
•ein,  das  sich  möglichst  einem  ächtchristlidien  Fami- 
lienleben nähert  Wie  sehr  dieses  bildend  nnd  stär» 
kend  auf  Geist -und  -  Gemiith  ^irir^,  bedarf  hier  nicht 
ercfr^^  zu  werden.  Schmerzlich  entbehrt  es  der  bes- 
,sere  Student  auf  der  Universität,  und  selbst  der  Kan- 
didat lebt  oft  so  isolirt ,  oder  in  so  niederdrilckendeii 
Umgebungen  und  Verhälti|isseQ,  dass  d^s  häusliche  Se- 
ininarleben  ibni.  ^ineA  grpsseii.  Vorzug  bietet  Es  ist 
demnach  wünschenswerth ,  dass  alle  Seminaristen  ge-  j 
ilieinscb^ftlich  mit  dem.  Direkt,or  in'  Einem  Gebäude 
wohnen,  wo  jeder  ein  besonderes  Zimmer  ha^  und  sie 
•^es  Mittags  ^meinsehafilich  mit  ihni  essen.  TSglidi 
findet  des  Morgens  eine  gemeinschaftliche  *  dAfiidie 
HXnsandacht,  mit  Vorlesung  eines  Abschnittes  der 
h.  Scfa^'ift  und  einem  Gebet,  statt,  wie  sie  in  jeder  \ 
christlichen  Familie  seiq  sollte,  und  wie  die  Seminarii*  \ 
iten  künftig  sie  ihren  Gemeinden  zu  empfehlen  haben.  \ 
Ein^  oAe^  zweimal  wöchentlich  wird  eine  Abendait* 
dacht  fgehalten,  worin  der  Direktor  eine  kune  auf 
fum   Sckriftstelle    gegdindett    eriianliche    Beirachtaii| 


263 


hält,   mit   besonderer  Beziehung  auf  die  Seminaristen, 
vorauf  mit  Gebet  und  Gesang  geschlossen  wir4* 

Die  Zahl  der  für  upsere  Rheinprovin-z  jähr- 
lich nölbigen  Kandidaten  isC  ungefähr  16  -—  18.  Die 
Zahl  der  Semiiiaristeii  wird  I^Uq  böchsteiis  ^ige  m^br 
betragen. 

Wie  soll  null  die  Direktion  und  der  Unter* 
rieht  beschaffen  ^ein?  — >  Möglichst  einfach«  Die  Di- 
rektion niuss  <^ine  väterliche  sein.  £iii  Direktor, 
zugleich  der  einzige  ordentliche  "Seminarlehrer,  ist  hin«^ 
reichend,  sobald  der  Zweck  des  Seminars  festgehalten 
wird,  daßSi  hier  picbtPociren,  picht  gelehrte  Fortbildung 
die  Haupt^ach^  ist,  sondern  praktische  Anleitung  und 
üebung.  Mag  sieh  hei  deni  Witteoberger  Semi^ 
nar  das  Festhalteq  der  gelehrten  Fortbildung  als  eines 
Hauptzweckes  der  Anstalt,  dadurch  yertheidigeii  lassen, 
dass  es  kein  Proviiizial.-  sondern  ein  liandesv  Seminar 
kt,  immer  leidet  das  Praktische  darunter»  wie  dena 
dort  weder  praktische  Anleitung  ^Eum  Krankenbesuchen, 
noch  zum  Schulunterrichte  statt  findet.  Beides  findet 
auch  in  Herborn  nicht  statt,  wo  da^  Praktische  unter 
dem  vielen  Dociren  gleichfalls  leidet,  welches  letztere 
freilich  die  Kürze  deif  akademischeoi  Studiums  ersetzen 
soll  *); 


*)  An  gleichem  Mangel  leidet  das  in  dem  hanndvern 
sehen  Kloster  Loccum  bestehende  eTangelische 
Predigerseminar,  Hospitium  genannt.  Unter- 
richt aber  Kirchenverff^asujig  und  kirchliche 
Gesetzkunde  wird  hier  nicht  ertheilt,  auch  keine 
praktische  Anleitung  ^um  Kr ankenbe Sachen« 


26» 

Sind  niebrere'  Haupdebrer  and'  Seminar,  und  es 
herrscht  unter  ihnen  Meinnngsverschiedenheit,  wohl  gar 
Glaubensyerschicdenheit,  was  schwer  verhätet  werden 
kann,  so  wird  das  väterliche  Verhältniss  zu  den  Zög- 
lingen Temi(^tet,  die  Lehret  werden  Partheiführer,  die 
so  hdlsam  wirkende  Einheit  des  Geistes  hat  ein  Ende, 
und  das  ganze  Semlnarleben  hört  auf,  ein-  brüderliches 
Familienleben  unter  Einem  Haupte  und  Vater  zu  sein. 
Exempla  9uni  odiosa.  Sonst  wären  deren  wohl  anzu- 
führen. 

Es  ist  genug,  dass  der  junge  Theologe  wf  iet 
Universität  oft  von  den  entgegengesetiten  Sjstemen  sei- 
ner Professoren,  wie  von  Winden  aus  den  4  verschie- 
denen Himmelsgegenden  hin-  und  bei^ierissen  worden. 
Auf  dem  Seminar  darf  kein  Umtreiben  toa  allarlet 
'Wind  der  Lehre  mehr  statt  finden.  Entronnen  jenem 
Von  den  Stütinen   der  entgegenstrebe^den  Meinungen 


Das  gelehrte  Studium  henrscht  vor,  uie  denn  Über- 
haupt der  Zweck  der  Anstalt  ist :  ausgezeiphneton 
jungen  Theologen,  nachdem  sie  das  zweite  Sa^- 
didateqexameQ  yor  dem  Konsistorium  wohl  bestan- 
den haben,  Gelegenheit  und  Anleitung  zu  einer  h6- 
heren  -wissenschaftlichen  Ausbildung,  so  wie  prakti- 
8cbe  Anleitung  zum  Pfarramt  in  einem  sorgenfreien 
lieben,  gewöhnlich  2  —  3  Jahr^  lang  zu  geben. 
Die  Seminaristen  (Hospites),  deren  Zahl  stet» 
nur  acht  ist,  sind  nicht  gebunden  in  Absicht  der 
Zeit  ihres  Aufenthaltes  darin.  Die  geringe  Zahl  der 
Zöglinge  verhindert  einen  ausgedehnteren  Nutzen 
dieses  Seminars  für  das  Königreich  Hannover* 
S.  Allgemeine  Kirchenzeitany  Jahrg.  1820, 
Wo.  73,; 


265 

der  Hörsäle  bewegten  Meere  findet  er  in  diesem  Frie- 
densoirte  einen  Hafen,  wo  er  den  Fnss  auf  den  festen 
Boden  des  praktischen  Lebens  setet,  tind  wo  die  Nebel 
rationalistiscben  Unglaubens  oder  theosophisdier  Schwär- 
merei, welche  seine  Seele  nmnacfateten,  vor  der  Sonne 
des  in  Liebe  thätigen  Glaubens  niedersinken,  die  ihm 
in  dem  Seminar direktor  entgegenglänzt.  Indem  er  die« 
sen  in  Francke's  Sinn  und  Weise  seine  Gemeinde 
mit  unermiidlicher  Thätigkeit  allenthalben  erleuchten 
und  erwärmen,  die  Armen,  Wittwen  und  Waisen  yct* 
sorgen,  die  Kranken  und  Sterbenden  trösten,  die  Ja<i' 
gend  unterrichten,  die  Schulen  besuchen,  die  Erwach- 
senen auf  und  unter  der  Kanzel  belehren  sieht,  und 
in  Paulus  Geist  und  Kraft,  in  nichts  schwärmend,  nir- 
gends stürmend,  mit  allem  seinem  Wirken  nichts  an* 
Jers  erstreben,  als  die  Sünder  zu  Christo  dem  Gekreu* 
zlgten  hinzuführen,  dass  sie  selig  werden,  indem  er  ihn 
dabei  aus  dem  häuslichen  Umgange  wie  aus  den  Se« 
minarvorträgen  als  einen  griiadlich  theologisch  -  wissen^ 
schaftlich  gebildeten  Mann  erkennt,  fühlt  sich  sein  Herz 
voll  Liebe  zu  einem  solchen  Vater  in  Christo  hinge* 
zogen,  und  er  ergreift  freudig  die  ihm  dargereichte 
Hand ,  um  an  seiner  Seite  sich  zu  einem  glücklichen 
Hausvater  der  Gemeinde  Gottes  heranzubilden. 

Mögen  auch  manche  dieser  eben  erst  von  den 
Märkten  der  Gelehrsamkeit  Kommenden  im  Anfange 
auf  ihr  vieles  erworbenes  Wissen  stolziren,  sobald  der 
Direktor  sie  in  den  Weinberg  fuhrt,  den  sie  künftig 
bearbeiten  sollen,  und  ihnen  die  verschiedenen  Arbei- 
ten  darin  und  die  verschiedenen  Seelenanstände    der 


266 


«*■ 


küafUgea  Gemeindsglieder  vorlegt 9' und  fragt,  wie  der 
in  meiner  bürgerlichen  Ehrbarkeit  und  GemeianiitiUch- 
keit  Selbstgerechte  lur  Erkenntniss  seiner .  Sündhaftig- 
keit za  bringen,  wie  der  verhärtete' Gottlose  zn  erschüt- 
tern, wie  der  an  der  Gnade  Gottes  Verzweifelnde  zooi 
Glauben  zu  führen,  wie  der  durch  schwere  Yersuchun*. 
gen  in  der  Heiligung  Ermattende  Z9  stärken,  wie  der 
Gläubige  in  seinen  Anfechtangen  zu  triMea  sei,  u«  s. 
w«,  und  er  nun  die  sich  reich  und  zosi  Bimmelreich 
gelehrt  Dünkenden  heisst,  aus  ihrem  auf  der  Universität 
gesammelten  Schatze  das  Nötbige  hevroitbon^'  ach! 
dann  werden  selbst  die  in  den  akademischen  Disputa- 
tionen rüstigen  Klopffechter  stocken ,  denn  sie  ziehen 
die  Hand  leer  aus  ihrer  Scbatykammer,*  nsd  werden  mit 
Scham  das  Bedürfnis«  fühlen,  äen  Reichtkam  Christi 
für  sich  und  Andere  noch  in  Demuth  zu  suchen*  ^ 
,    Ein  Mann  voll  Glaubens,  Kraft  und  Weisheit  mnss 

der  Direktor  sonach  freilich  sein,   soll  er  den  Semina- 

^1 

Visten^  Liebe  und  Ehrfurdit  einflössen,  ihnen.  Vater, 
Lehrer  und  Freund  im  vollen  Sinne  sein,  und  fonii^ 
•etne  Stellung  zu  ihrem  Segen  ausfüllen. 

Da  Dociren,   wie  gesagt,   nicht  sein  Havptge« 
schäft  sein  soll,  so  darf  er  wöchentlich  nidit-nebr,  ak 
etwa  folgende  regelmässige  Unterricbtsfitimden  haboas     >^ 
'  1}  Eine  Stunde   praktische  BibelerklMrnng, 

nndUebung  der  Seminaristen  darin; 

2)  Eine  Stunde  Pastorallehre  und  Li^urgik; 

3)  Ein6  Stunde  Unterricht  über  {[irchfT^nverfai- 
5Ting.  ■•d  kirchliche  Ges^Ukande,  über  du   ^ 
Vedtättitw  der  Scbnle  «ar  Kireh«,  nod   die 


267 


w*'mi"^»«wwn«i 


Einwirkung  auf  Sieselbe  Yon  Seiten  des  Pfarrers, 
über  das  Abfassen  von  Berichten  an  kirdr- 
liehe  und  weltliche  Behörden,  über  das  Armen-' 
wesen  u.  $•  Wt  ^ 

4)  Zwei  Stunden  homiletische  Uebnngen,  wo» 
yon  eine  für  Reeension  der  verfassten  Predigten 
und  Amtsreden,  die  andere'  für  Uebnng  im  mSnd- 
lichen  Vortrage.  Homiletik  so  wenig,  wie  Ka- 
techetik  werden  hier  mehr  gelehrte . 

5)  Zwei  Stunden  katechetische  Uebvngen, 
wo  der  Direktor  theik  selbst  katechisirt,  theils  ka«^ 
techisiren  lässt;  Eine  Stunde  w^entlich  Unter* 
rieht  im  l^lirchengesange  wird  durch  einen 
Mttsiklehrer  ertbeilt. 

Die  übrige  ?eit  yerwenden  die  Seminaristen  tfaeib 
zur  Vorbereitung  auf  die  abwechselnd  zu  haltenden 
Predigten  am  Sqnntage  und  in  der  Woche,  und  auf  ^ 
die  abwechselnd  des  Sonntags  Abends  zu  haltenden 
öffentlichen  KatecI|isationei|  mit  den  erwachsenen  Sofanl- 
kindern,  theils  auf  Privatkatechisiren  mit  einzelnen  ih- 
nen überwiesenen  Schülern,  theils  auf  Besnchen  dtf 
Elementarschulen  und  Unterrichten  in  der  Sonntags- 
schule und  iii  derKIeinkinderscbule,  welche  letztere 
als  eine  herrliche  (^flanzschule  eines  gottpeligen  Sinnes 
nnd  niitzlicher  Kenntnisse,  als  ein  Mchst  segensreiches 
Erziehungs-  und  Vorbereit|ingsi||ittel  zur  Schule  und 
Kirche  an  einem  Seminarorte  nicht  fehlen  darf  ^  theils 
mit  Krankenbesuchen  meist  in  Begleitung  des  Direetors 
oder  eines  der  andern  mitwirkenden  Pfarrer,  theils  mit 
^chrifUichen    Beortheihugen    «widitiger     theologisdher 


I 


268^ 

Schriften,  mit  Verfertigen  von  Anszfigen  daraus  unter 
Leitang  da  Direktors  n.  s.  w«,  theils  mit  freiem  wis« 
stnsdiaftliclien  Stadinm. 

Wie  kann  aber  der  Direktor  den  Seminaristen 
Gelegenheit  genug  au  predigen,  zu  katechisiren,  und 
praktisdie  Anleitung  aur  Kranken-  und  Armenpflege 
^ebra,  Irenn  er  nicht  selbst  P&rrer  ist? 

Allerdings  muss  der  Direktor  durchaus  einen  ge^ 
wissen  Antheil  am  Pfarramte  und  der  Seeisorge  einer 
der  Gemeinden  des  Seminarortes  haben,  um  sowohl 
sribst  stets  im  Seelsoi^rleben  begriffen  zu  sein,  als 
alu^h  selbstständig  über  Predigen,  Katechisiren,  läran- 
kenbesuch  etc«  verfugen  zu  können,  ohnie  von  der  Laune 
der  Pfarrer  des  Seminarortes  abzuhaiigen.  Allein  er 
kann  nicht  alleiniger  Pfarrer  an  einer  Gemeinde  sein, 
muss  /keine  Arbeit  in  Absicht  ihres  Kirchenrechnungs- 
wesens  zu  übernehmen  haben,  ist  aiich  am  besten  von 
diem  Präsidium  des  Presbjteriums  entbunden,  weil  das 
alles  ihm  für  das  Seminar  zu  wenig  Zeit  übrig  liesse* 

Denken  wir  uns  einen  bestimmten  Ort  als  Semi- 
"narort^  so  wird  sich  des  Direktors  Stellung  in  dieser 
Beziehung  deutlicher  entwickeln  lassen. 

Für  unsere  Rheinprovinzen  möchte  zum  Seminar-  ' 
orte,  wohl  Duisburg  sich  am  besten  eignen,  wie  auch 
unsere  diesjährige  Provinzialsjnode  es  dazu  vorgeschla- 
gen hat  Hier  sind  zwei  evangelische  Gemeinden^  wo- 
von die  grössere  zwei  Kirchen  und  zwei  Pfarrer,  die 
kleinere  eine  Kirche  und  einen  Pfarrer  hat.  Zugleich 
hat  die  grössere  Gemeinde  mehrere  unweit  der  Stadt 
gelegene  Fiial6^  wdd)ie  den  Gottesdienst  und  die  Kin« 


269     . 

■  ■    ■  j  '■■    ■*    ' 

derlehre  in  der  Stadt  besuchen  müssen«    Am  elnfacb^ 
sten  und  leichtesten  würde   nun  dem  Seminardirector 
hier  ein.  Antbeil  an  dem  Predigtamt  und  der  Seelsor^e 
der   grösseren    Gemeinde  eingeräumt  werden   können^ 
wenn   ihm  etwa  zwei  Filiale  als  sein   geistlicher  Spren-* 
gel  überwiesen  würden^  wo  er  als  perpetuell  delegirter 
Yicarius  der  Gemeinde   sonntäglich   an   den  Filialorten 
selbst  za  predigen  hätte,  bisweilen  auch  sich  durch  Se- 
minaristen vertreten  lassen  könnte,   wo  er  der  regel- 
mässige Seelsorger,  Kralikenbesucher  und  Katechet  wäre, 
indem  die  Schulkinder  zur  Katechisation  zu  ihm  in  dk 
Stadt  kämen,  auch  hernach  von  ihm  confirmirt  wür4en« 
Zugleich  wäre  er   beständiges   Mitglied    des   Presrbyte- 
riums,  ohne  jedoch  Präses  desselben,   wie  die  andern 
Pfarrer  der  Gemeinde,  zu  werden.     Eine  von  den  Se- 
minaristen zu  haltende  Wochenpredigt   Hesse   sich 
ferner  hier  leicht  einrichten,     Yollständig   hinreichend^ 
Uebung  im  Predigen  und  Krankenbesuchen  werden  die- 
selben endlich  dadurch  erhalten,    dass  zwei   oder  drei 
der  in  der  Seelsorge  eifrigsten  und  erfahrensten  Pfar- 
rer der  Stadt  und  der  Umgegend  nach   dem  Vorschlag 
des  Direktors   ausgewählt  und   willig  gemacht  würden, 
einzelne  Kandidaten  zu  Krankenbesuchen   mitzunehmen, 
und  ihnen  Amtsreden  und  Predigten  von  Zeit  zu  Zeit 
XU   überweisen,     Diese    Verbindung   solcher   würdigen 
Pfarrer  mit  dem  Seminar,  deren  Wahl  bei   der   gros- 
sen Zahl  der  in   der  nächsten  Umgegend  befindlichen 
Landgemeinden,  —  Einer  derselben  wenigstens  müsste 
Landpfarrer  sein,  —  nicht  schwer  wäre,  würde  zugleich 
in  mancher  andern  Beziehung  sehr  wohlthätig  auf  die 


270 

t>raktiscbe  Ausbildang  der  Semioaristea  wirken,  wurde 
sie  mitten  in  das  Gemeindeleben  hineinfuhren,  ihneti 
die  yieljährigen  Erfahrnngen  älterer  Arbeiter  im  Wein- 
berg des  Herrn  anfsch Hessen,  und  ein^  von  Zeit  zu  Zeit 
mit  diesen  Pfarrern  nnd  den  Seminaristen  vom  Direk- 
tor  zu  haltehde  Conferenz  würde  sehr  anregend  nnd 
belehrend  for  die  letzteren  wirken.  Eine  Gratifikation 
würde  der  Staat  diesen  praktischen  Gehülfen  mit  Aecht 
znerkenneil* 

Der  Seminardirektor  mnss  femer  bestandiges  Mit- 
.glied  der  städtischen  Schulcommission  sein, 
«m  hierdurch  eine  Mit -Aufsicht  über  die  Schulen  aus- 
zuüben, und  den  Seminäristeii  zur  Schnlbeaofsichtignng 
bessere  Anleitung  geben  zu  können. 

Noch  manche  andere  Eigeaschaften  besitzt  Duis- 
bnrg,   welche   es   die  Erreichung  der  Seminarswecke 
befördern  lasseil.     Dahin   gehörig   dass  es   ein  Wai- 
senhaus  hat,    dessen  junge   Bewohner  dem  Seminar 
zum  Religionsunterrichte  ganz  überwiesen  weMeii  könn- 
ten;  dass  es  ein  Alte  Frauen- Haus   besitzt,    und 
ein  Krankenhaus  einzurichten  im  Begriff  ist^    wo- 
durch das  Feld  für  Krankenbesuche  hinreichend  erwei- 
tert wird;    dass  es    innerhalb  seiner    Mauern  noch    ein 
dem  Staate  anheimgefallenes ,    geräumiges  j    mit  vielen 
kleinen  Zimmern'  und  einem  grossen   Garteii  versehe- 
nes Kloster  besitzt,   welches  vom   Staate  zum  Semi- 
nargebäude  angewiesen  und  eingerichtet  werden  könn« 
te;    dass   endlich    die   grössere    Zahl    der    Einwohner 
«vangelisch,  aber  zugleich  eine  katholische  Ge- 
meinde daselbst  ist,   eben  so  in  seiner  nächsten  Umge- 


571 

\ 

iiQDg  Sich  viele  kathoIiscKe  wie  erangelische  Gemein  den 
befinden,  was  in  der  Hinsicht  wichtig^  ist,  dass  die  Se« 
mlnaristen  für  ihr  künftiges  Amtsleben  in  der  Rhein- 
proviirz  mit  den  Verhältnissen,  Ansichten^  Yerfah« 
rangsweisen  ete«  der  katholiseheil  Geistlichen  und  Ge- 
meinden nicht  unbekannt  sein  därfed«  -^  Aneh  ist  noch 
zu  bemeHcen,  dass  das  evangeUsche  Schvllehret- 
scminar  zn  Mdrs  nur  ein  Paar  Staiideii  von  Duis» 

• 

bürg  entfernt,  eine  nähere  Bel^aiintschafl  mit  demselben 
demnach  für  die  Seminaristen  leicht  einzuleiteil  ist. 

Duisburgs  überdies  der  vormalige  Sita  einer 
wenn  auch  kleinen^  doch  blühenden  Universität  würde 
dadurch  zugleich  einci  gewisse  £ntschjSdigniig  fnr  sei« 
nen  Vertdst  erhalten  ^  tini  gewiss  wiirdd  der  fiesits  ei-* 
nes  solchen  Seminars  in  seiner  Mitte  di(i  Evangelischen 
Stadtgemeinden  gernE  bewegen^  für  den  Seminardirek« 
tor  eine  praktisch -^  geistliche  Wirksamkeit  in  der  Art^ 
wie  ob^n  erwähnt  ist,  eininräumeit^  ohne  dass  sie  des^ 
halb  auf  Aechte  za  verzichtet!  brauchten,  und  ohne  dass 
die  Stadtpfarrei*  an  ihrem  Crehalt^  etwas  verlih>en  dürf* ' 
ten,  oder  das  allgemeine  Aufsichtsrecht  anch  über  die 
Filiale  aufzugeben  hätten.—  Auf  jeden  Fall  aber  müss-^ 
te  vor  Errichtung  des  Seminars  an  diesem  oder  einem 
andern  Orte  solches  geistliche  Yerhältniss  des  Seminar-^ 
direktors  zur  Gemeinde  erst  von  der  Behörde  leftge« 
stellt  sein« 

Die  Kosten  eines  solchen  Seminars,  an  welchem 
freilich  wenigstens  eine  gewisse  Zahl  Freistellen  creirt 
werden  müssen ^  werden^  da  nur  Ein  Hauptlehrer,  der 
Direktor^  ananstellen  ist|   nicht  sehf  bedeutend  sein« 


272 


•mim 


f 


FSr  cuMtt  Statt,  der  das  geistSdie  Wohl  seiner  Catcr- 
thaueo  $o  ernstlidi  wül,  danm  asch  (Er  die  gottes« 
dielistlicbeii  und  kierikaiisdieii  Einriditiiiigeii  des  ka- 
tholiscben  TbeOs  derselben  so  freigebig  gesorgt  bat, 
wird  der  bobe  Zweck,  der  dordi  Enichtmig  eines  sol- 
dien  Scainars>^(iir  den  CTangeliscben  Tbeü  seiner 
Uotertbanen  xa  ecreidien  stebt,  die  Forcht:  vor  den  da« 
mk  reriiondenen  Kosten  gewiss  weit  nberwiegen.  -« 
Andi  werden  die  evangeüscben  Gemeinden  derProWns 
ans  dieser  Racbsicbt  gerne  durch  eine  jSbilidie  KoUdi-» 
te  dazn  beisteaem. 

In  der  Proyins  WesiphaUn  ist  der  Ort  (Sr  das 
daselbst  zn  erriditende  tbeologbch  -  praktisdie  Seminar 
gleichfalb  noch  nicht  bestimmt  Man  schwankt  zwi-» 
sehen  Dortmund  .nnd  Soest.  Für  letzteren  Ort 
mischte  nicht  bloss  das  sprechen,  dass  es  mehr  im  Mit'- 
telponkt  der  Provinz  liegt,  was  freilich  nidit  der  Haupt - 
entscheidangsgmnd  sein  kann,  sondern  mehr  noch  der 
Umstand,  dass  hier  auch  das  evangelische  Schulleh-« 
rerseminar  ist*  Zwischen  beiden  Seminaren  könnte 
dann  in  mehr  als  einer  Hinsicht  eine  niitaliche  Wech-« 
Seiverbindung  statt  finden,  die  Beförderung  des  Kir<» 
chengesan gs  und  die  Ausbildung  der  Kandidaten 
darin  sehr  erleichtert  werden,  auch  eine  gewisse  Be- 
kapijjHfl*^^  und  Befreundung  zwischeq  den  Zöglingen 
beider  Seminare  für  die  Zukunfl,  wo  s^ie  in  ihren  Aem« 
tern  sich  so  nahe  stehen,  nur  sehr  erspriesslich  wirken  : 
k($nnen* 

Noch  tiat   andere  Fr^ge  ist  endCcb    in    beant* 
Worten  (  Lüsst  sich  die  praktjsdie  BHdnng  der  jungen  ^ 


273 

Theologen  nicht  noch  zweckmässiger  und  einfacher  er- 
reichen durch  Ueherweisnng  der  einzelnen  an  erfahre- 
ne  Pfarrer,  besonders  auf  dem  Laifde,  auf  Ein  oder 
einige  Jahre,  wo  sie  durch  eigene  Anschauung  und. 
Uebung  in  den  Amtsgeschäften  unter  Leitung  der  letz- 
teren sich  praktisch  ausbilden  können?  — 

Mit  Lfetzterem  ist  seit  vorigem  Jahre  in  W  ii  r  - 
t  e  m  b  e  r  g  ein  Versuch  gemacht  worden,  wo  durch  eine 
König!.  Verordnung*)  verfügt  worden  ist,  dass  die 
Theologen  statt  der'  früheren  5  Jahre  nur  4  auf  der 
Universität  zu  studiren  brauchen,  aber,  dafür  Ein  Jahr 
zur  Einübung  in  die  kirchlichen  Geschäfte  und  in  die 
ganze  geistliche  Amtispraxis   be^pnders    dazu  befähigten 


*)  Die  Verordnung  ist  vom  13.  Nov.  1829  und  lautet 
■wörtlich  in  §.  6.  al^o:  „Zur  praktischen  Vorberei- 
,^tung  der  Kirchenamtskandidaten  ivird  jene  der 
^,Stärkc  Eines  Jahrescursus  mit  Einschluss  der  aus- 
^,serhalb  des  Seminars  studirenden  Theologen  ent- 
„sprechende  Zahl  besonders  würdiger  Pfarrgeistli- 
j^chen  ausgezeichnet,  welche  zur  Aufnahme,  Beleh* 
„rung  und  Zubildung  der  neu  angehenden  Pfarrge- 
„hülfen  ausschliesslich  ermächtigt,  und  für  ihre 
„diessfallsige  Bemühung  durch  einen  Kostenbeitrag 
„von  je  100  fl.  aus  der  Staatskasse  belohnt  werden. 
„Auch  versteht  es  sich  von  selbst,  da«8  diese  im 
„Vorbereitungsjahre  stehenden  Pfarrgehülfen  ausser 
„der  freien  Wohnung  und  Verkös^igung  im  Pfarr- 
„hause  keine  weitere  Belohnung  fär  ihre  Dienste 
„anzusprechen  haben»'' 

S.  Dr«  Paulus    Sophronizon    XII.  Jahrgang 
III.  Heft  S.  44* 

IL  18 


*' 


274 

Pfarrern  .beigegeben  werden  sollen,  wofür  diesen  eine' 
Vergütung' von  100  £1.  zu  Theil  wird.*) 

Das  Einschlagen  dieses  letzteren  Weges  fuhrt  aber 
meiner  Ceberzeugang  nach  nicht  zu  der  vielseitigen 
Ausbildung  der  Theologen,  welche  auf  einem  besonde- 
ren Seminare  erreichbar ,  nnd  zu  einer  möglichst  se- 
gepsreichen  Amtswirksamkeit  zu  wünschen  ist  Fars 
erste  findmi  sich  nur  wenige  Pfarrer,  bei  welchen  so- 
wohl alle  die  inneren  Eigenschaften,  als  aach  die  äus- 
seren häuslichen  und  Gemeindeverhältnisse  sich  verei- 
nigen, welche  eine  gediegene  und  vielseitige  praktische 
Ausbildung  junger  Theologen  bedingen«  Zweitens 
werden  aber  selbst  solche  Pfarrer,  wenn  sie  eine  grös- 
stte  Gemeinde  haben,  -—  und  grade  solche  Gemeinden 
sind  doch  für  Kandidaten  in  diesem  Yerhältniss  vor- 

> 

ftuziehen,  —  in  unserer  Provinz  durch  sO'  viele  Amts- 
geschäfte  in  Anspruch  genommen,  dass  sich  der  Kan- 
didat bei  ihnen  nur  äusserlich  in  die  kirchlichen  Ger 
Schäfte  einüben  kann«  Alle  wissenschaftliche  Weiter- 
bildung, welche,  wenn  sie  auch  hier  mehr  in  den  Hin- 
tergrund treten  muss,  doch  nicht  ganz  fehlen  darf, 
würde  alsdann    meist   nicht  mehr   berücksichtigt ,    alle ; 

*)  Auch  Dr.  J.  F*  M.  Schwabü  empfiehlt  in  seiner 
Abhandlung:  „Die  wohlfeilsten  und  besten  Predi- 
gerseminarien'«  in  ScitüDfiROFFd  Jahrbüchern  für 
Religions-^;  Kirchen-  und  Schulwesen  42. Band  1822 
S.  7  ff.  eine  ähnliche  Anstellung  der  Kandidaten  als 
Hülfsprediger.  Seine  Hauptgründe  aber  gi^en  die 
besonderen  Predigerseminare  sind  nur  die  Konten 
ditiser  Bindchtattg,  und  dam  die  Kandidaten  auf 
denselben  keine  LandwirthschafI  lernen  könnten. 


i 


275 

Anleitung  zur  praktischen  Bibelerklärnng,  Pastorallehre^ 
Liturgik^  kirchlichen  Gesetzkunde,  Berichtmai^ien  9  znr 
vollkommneren  Ausäf beitang  von  Predigten  tind  klei- 
neren Amtsreden,  zum  Kirchengesang  a*  ä*  w»  fiele 
alsdann  grösstentheils  weg,  theils  aus  Mangel  an  Zeit 
oder  literarischen  tifilfsmitteln  öder  auch  Ketültnissen, 
oder  aus  Mangel  an  Neigung  zu  untetrichten.'  2uf 
praktischen  Anleitung  im  Schulunterrichte  fa'nde  sich 
ebenfalls  in  solchen  Landgemeindeii  selten  passende 
Gelegenheit. 

Das  bloss  äusserliche  Einiiben  in  die  Amtsgeschäf- 
te  kann  aber  doch  nicht  das  Höchste  der  theologisch* 
praktischen  Ausbildung  für  evangelische  Geistliche 
sein.  Wie  viel  mehr  ist  demnach  dei^  Bildnngsgsiug 
auf  einem  besonderen  Seminare  vorzuziehen^  wo  neben 
dem  Einiiben  in  die  Amtsgeschäfle  auch  auf  die  höhe- 
re Ausbildung  des  Geistes  un<l  Gemüths  hoch  stets  hin- 
gewirkt, wo  der  Uebergang  vom  akademischen  tnm  ' 
praktisch  -  geistlichen  Leben  so  leise  tind  leicht  vermit- 
telt wird ,  in  welcher  Uebetgangsperiodd  .  d^r  jüiige 
Theologe  zugleich  einen  gSnstigen  Ruhepunkt  *  findet, 
um  eine  Sichtung  der  gehörten  verschiedenen  Glau^ 
benssysteme  vorzunehmen,  und  zu  einer  festeti  Üebei*-» 
zeugung  rdr  sich  zu  gelangen,  und  wo  er  an  dem  Se-» 
minardirektor  sowohl  hierfür  einen  täterlichei^  Rathge^ 
her,  als  auch  für  alle  andern  oder  doch  die  meisten 
pfarramtlichen  Gesehäfte  ein  Muster  findet^  nach  wel< 
ehern  er  sich  bilden  kann! 

Ehe  ich  diesen  Abschnitt  schliesse^    muss.ich  aber 
Äoch  einem  Vorwurfe  heg^nen ,  der  mir  etwar  in  Be« 

18* 


•  278 

Ireff  des  dein  Universißtsseelsorger  zugewiesenen  Ge- 
schäfiskrefies  gemacht  werden  könnte. 

•  Wenn  nämlich  ein  besonderes  Seminar  (ur  ,  die 
praktische  Bildung  der  angehenden  Geistlichen  errich- 
tet wird ,  so  ist  es ,  möchte  man  vielleicht  'einwenden, 
ganz  SbeMiissig,  dass  anch  der  Universitätssefelsorger 
jnch  mit  ^praktischer  Anleitong  derselben  befasse.  Als- 
dann wälzen  bloss  die  specieile  Seel sorge  der 
levangelischen  Stndirenden  vnd  die  paränetischen 
Lectionen  seine  Sache;  dagegen  sei  die  prakti-^ 
sehe  Bibelerklärnng,  die  praktische  Anlei- 
tung znm  Katechisiren,  xnmKrankenbesnch 
und  Schulnnterrichte  ganz  auf  das  Seminar  zu 
versparen« 

Ich  kann  dieser  Ansicht  nicht  beistimmen.  Die 
vier  zuletzt  genannten  Zweige  des  Pfarramtes  sind  so  . 
wichtig  und  schwierig,  d^ss  es  sehr  heilsam  ist,  wenn 
äie  Theologen  schon  im  letzten  Jahre  ihres  IHsnnU 
auf  der  Universität  die  Uebungen  darin  beginnen ,  und 
dadurch  kugleich  abgehalten  werden,  den  Endzweck  ih- 
res Universitätsstudiums  aus  dem  A^ge  zu  lassen,  und 
sich  dem  gelehrten  Studium  ganz  ohne  !kiicksicht  auf 
ihr  künllSges  Amt  hinzugeben.  Das  Seminarleben  er* 
illlt  dadurch  einen  schönen  Anknüpfungspunkt  an  das 
akidemisdie,  und  wird  für  sie  um  so  wohlthätiger ,  da 
ne  nicht' mehr  als  völlige  Neulinge  im  Praktischen  in 
dasselbe  eintreten.  Sobald  die  Theologen  das  Glück  haben 
werden,  auf  besonderen  Seminaren  praktisch  gebildet 
zu  werden,  werden  sie  natürlich  nicht  so  viele  Zeit  auf 
ätf  ünitcrsitäl^  unter  AuldtMg  der  üniTcrsitätsseelsor. 


277 

.■■■i.»—    mm 

gers  aafs  Praktische  zu  rerwenclen  braucben»  als  so 
lange  die  akademischen  Jahre  die  alleinige  Zeil  sind, 
wo  rdr  die  praktische  Bildung  etwas  geschieht  Da  in- 
dess  die  Errichtung  solcher  Seminare  fiir  die  verschie- 
denen Provinzen  unsers  Prenssens  jedenfalls  nur  all- 
mählich geschehen  kann,  so  ist  es  doppelt  wUnschens- 
werth,  dass  die  praktische  Anleitung  durch  einen -Uni- 
versitätsseelsorger, der  iiberdies  für  die  Seelsor^e 
so  noth wendig  ist,  recht  bald  eingeleitet  werden  möge. 


/ 
/ 


I 


278 


Merkwürdigkeiten  Leiden's,  Militär'^ 
gefängnisse.  Privat- Erziehungsan- 
stalt Mündung  dßs  Rheins  in  4asi 
Meer. 


•t^ 


Jiihe  ich  Luiden  verliess,  besah  ich  noch  die  reichen 
KuP^tschätze  dieses  berühmteij  Masensitzes« 

Das  MuseuiQ  für  Naturgeschichte  enthält 
ausser  einer  grossen  San^n^lang  ausgestopfter  Thiere, 
wovon  der  Qrnithologische  Theil  durch  den  An- 
kauf des  TEMMiNKscheci  Kabinets  wohl  der  reichste 
}st,  eine  sehr  iiiteressante  Sammlung  von  Thiersce- 
letteUy  worunter  Scetette  selbst  der  grossesten  Thie- 
XCf  einer  Riesenschlange,  eines  WaUQsches,  eines  Straus- 
$ißs,  eines  flephai^ten,  eines  iNashornes  u.  s.  w* 

Nicht  minder  sebenswerth  ist  das  grosse  anato- 
mische Kabine  t,  welches  sowohl  viele  Scelette  von 
ganzen  Menschen  aller  Farben  und  Zonen  enthält  ^  aU 
iuch  alle  einseineq  äussereq  an<)  inneren  Theile  des 


% 


'    .1 


>  •* 


.    .       279 

menschlichen  Körpers»  theils  in  Natur,  in  Spiritus  auf- 
bewahrt,' theils  in  Wachs,  sowohl  in  gesundem  als  in 
den  verschiedensten  Krankheitszuständen,  alle  mögliche 
Fötus,  sehr  viele  Missgehurten,  Mumien  etc.  Ein  »ehr 
schön  und  zweckmässig  eingerichteter  anatomischer 
Hörsaal  stösst  an  das  Kabinet 

Die  Universitätsbibliothek  ist  bekanntlich 
sehr  reich  an  gelehrten  Schätzen,  besonders  an  Hand- 
schriften, worunter  viele  seltene  morgenländische.  Mit 
besonderem  Nationafatolze  wurden  mir  die  Handschrif- 
ten der  alten  holländischen  Gelehrten,  besonders 
der  grossen  Exegesen,  Hugo  Grotius,  SalmA- 
sius,  RuHNKEifiys,  Scaliger,  Gronoyius, 
Valkemaer  u,  s.  w«,  auch  des  ERA$MUS*gezeigt, 
von  welchen  allen  die  Bildnisse  an  der  Wand  hangen, 
so  wie  das  des  Stifters  der  Universität^  des  Statthalters 
Wilhelms  I,  von  Oramien. 

Gerne  hätte  ich  auch,  wenn  die  Zeit  es  mir  er- 
laubt hätte,  das  Innere  des  Rathhauses  gesehen,  be- 
son<Jers  den  berühmten  Saal ,  wo  der  heldenmiithige 
liürgermeister  der  Stadt,  VAN  der  Werff,  als  er 
im  Freiheitskriege  gegen  die  Spanier  im  J.  1775  die 
von  diesen  belagerte  Stadt  vertheidigte,  die  aufrühreri- 
schen Bürger  empfing,  welche  ihn  zwingen  wollten,  we- 
gen der  bereits  eingerissenen  grossen  Hungersnoth  die 
Stadt  zu  Übergeben.  Er  warf  seinen  Degen  vor  sie 
hin,  und  sagte:  sie  möchten  ihn  erst  verzehren;  sein 
Leib  und  Leben  stände  ihnen  zu  Diensten,  aber  nicht 
seine  Ehre  und  des  Landes  Wohl.  Durch  diese  Ent- 
schlossenheit erschüttert  zogen  sie  sich  zurück,  and  bald 


i  ■ 


280 

darauf  wurde  die  Stadt  entsetzt.  Um  sie  f  Sr  ihre  Treue 
SU  belohnen,  \\t^^  Prinz  Wilhelm  I«  ihnen  zwischen 
zwei  Gnadenerweisungen  die  Wahl,  'zwischen  Zollfrei- 
heit  auf  einige  Jahre  und  dem  ßcsitz  einer  Universität* 
Sie  wählten  die  letztere,  welche  auch  noch  in  demselben 
Jahre  1'775  daselbst  errichtet  wurde. 

Im  J.  1827  sah  ich  auch  den  botanischen 
Garten,  der  zur  Universität  gehört  Nach  dem  Rufe, 
welchen  er  hat,  hatte  ich  mehr  erwartet,  als  ich  fand. 
.  Er  ist  weder  sehr  gross,  noch  auch  besonders  , reich. 
Manche  Seltenheiten  und  Merkwürdigkeiten  von^  Pflan- 
zen hat  er  allerdings,  z.  B.  omus  eüropcieum,  von 
J^OERHAVB  gepflanzt,  einen  andern  Baum,  von 
LiHNE' gepflanzt,  eine  Büste  des  Professors  Bb ug- 
MAMS,  der  neuerlich  einen  Thell  des  Gartens  ange* 
legt  hat  etc. 

Zu  derselben  Zeit  sah  ich  *das  grosse 

Militärgefängpiss, 

welches  für  die  nördlichen  Provinzen ^hier'  ist,  wie  das 
für  die  südlichen  zu  Aalst  in  Flandern. 

Es  enthielt  damals  575  korrektionelie  Militär- 
«triiflUige.  Die  sich  criminell  vergangen  haben, 
wtrden  aus  dem  Militärdienst  ausgestpssen ,  und  den 
bürgerlichen  Gerichten  übergeben.  —  Das  Gebäude  Jst  * 
aen,  geräumig,  und  enthält  sehr  grosse  Säle,  worunter 
^  Schlafsaal  für  148  Mann.  Schneiderei  und 
Schusterei  fürs  Militär  sind  die  Hauptbeschäf- 
tigungen. In  den  ersten  arbeiten  274,  in  der  lelz- 
t«m  270  Manu.     %  des  Arbeitsverdienstes  er- 


281 

hält  der  Staat;  y^  bekommt  der  Gefangene  wahrend 
der  Haflt,  und  %  kommt  in  die  Ausgang skasse 
(/digangscas)y  was  ihm  bei  der  Entlassung  gegeben 
wird.  Der  Kranken  waren  38.  Die  Kränkheitszeit  wird 
ihnen  von  ihrem  .Sparg^Id  abgezogen ,  weil  sie  ihre 
Kleider  in  dieser  Zeit  nicht  brauchen,  indem  sie  Kran- 
kcKikleider  erhalten*  Das  Essen  der  Gefangenen  be- 
steht aus  1  Pfund  Brod,  um  10  Uhr  Suppe,  worun- 
ter wöchentlich  2mal. Knochensuppe,  um  4  Uhr  Kartof- 
feln. In  den  4  Wintermonaten  erhalten  sie  des  Mor- 
gens warmes  Wasser  und  Milch. 

Den  Gottesdienst  für  die  Protestant eiii 
besorgt  ein  Prediger  aus  der  Stadt,  £  geling,  wel- 
cher \\cichentlich  Einmal  Gottesdienst  mit  Predigt  hält, 
-und  Einmal  katechisirt  Den  Gottesdienst  für  die  Ka-« 
tholiken  besorgt  ein  Priester,  der  in  der  Anstalt  selbst 
wohnt.  —  Schulr^nterricht  wird  gegeben,  aber  nur 
von  20  —  25  Mann  genossen,  weil  die  Theilnahme 
daran  ganz  in  den  freien  Willen  gestellt  ist.  —  Von 
Klassifikation  ist  keine  Spur,  selbst  nicht  einmal 
zwischen  den  Sträflingen  wegen  Insubordination  und 
denen  wegen  piebstahls.  Der  Ccuihots  sind  bloss  Oy 
daher  in  einen  oft  8  zusammengesetzt  werden  müssen, 
wodurch  die  Strafe  freilich  fast  ganz  wegfällt.  Dabei 
»ind  sie  feucht  und  ungesund«  Conduitenlisten 
werden  jährlich  einmal  eingesandt,  sind  aber  bloss  Re- 
gister der  Disciplinarstrafen»    ' 

Dass  unter  diesen  Umständen  der  Besserungs- 
zweck  auch  hier  zu  den  untergeordneten  gehört,  und 


••'■i 

4. 


;    •  '  • 


282  . 

I ■■ 

.  nur  höchst  unvollkommen  erreicht  werden  kann,  ergibt 
lieh  von  selbst^ 

Der  Commandant  ist  ein  pensionirter  Oberof* 
fizler,  wie  überhaupt  die  Commandanten^  aller,  auch 
der  Civll-Gerängnisse  solche  sind.'  Der  Staat  erspart 
dadurch  einen  Theil  des  Gehalts,  indem  er  ihnen  nur 
noch  einige  100  fl,  Zulage  gibt«  Ob  solche  Männer 
aber  diesen  wichtigen  Posten  immer  ganz  ausfiillea 
können,  das  ist  eine  andere  Frage* 

Wahrend .  meines  KoUektbrens  in  Leiden  machte 
M^  einige  kleine  Ausfliige  in  die  Umgegend,  Zuerst 
besuchte  ich  in  Gesellschaft  des  durch  viele  Schriften 
bekannten  Literators  N.  G«  vAN  Kämpen,  damab 
Lector  an  der  Universität,  jetzt  Professor  am  Athenäum 
XU  Amsterdam,  die  in  der  Nähe  Leidens  auf  Nord- 
hey bei  Yorschoten  befindliche  berühmte  Knaben- 
Erziehungsanstalt  eines  jungen  holländischen  Pä- 
dagogen DE  RaA0,  eines  Schülers  von  Niemeteiu 
Er  hatte  zu  seiner  Ausbildung  auch  die  Schweiz» 
Paris  und  London  besucht,  sich  von  dort  her  er- 
neu englischeq  und  einen  französischen  Leh<* 
rer  mitgebracht,  hielt  einen  deutschen  Lehrer  zur 
Unterweisung  dieser  Sprache  ^  und  zum  Lehren  der 
Wissenschaften  noch  einige  andere  Lehrer,  welcl^e  zum 
Theil  aus  Leiden  zum  Unterrichtgeben  hierher  kamen. 
Zu  ihpen  gehörte  auch  mein  Begleiter  VAN  Kam- 
PEN,  — «  Das  Institut  fand  ich,  soweit  ich  es  bei  der 
Kürze  meines  Besuchs  beurtheilen  konnte,  in  vielen 
Stückeo  sehr  vorzuglich«    Auch  hatte  es  bereits  einem 


■?.' 


283 

bedeatenden  Ruf  erlangt,  so  dass  jeder  der  damab  da- 
rin befindlichen  Knaben  1200  fl.  jährlich  bezahlte. 

Mein  zweiter  Ansflug  war  nach  dem  KSstendorfe 
Katwyk  op.Zee,  nin  die  Mündung  des  Vater  Rhein 
in  das  Meer  zu  sehen«    Das  Dorf  liegt  zwei  Stunden 
von  Leiden.    Der  Weg  dahin  führt idurqh  das  Dorf 
Katwyk  binnen  (das  aq  der  See  heisst  im  Gegiensatz 
auch  wohl  Katwji  bniten)»  und  durch  eine  sumpfige 
Gegend,  in  deren  Morästen  wie  In  dem  Sand  der  Du« 
n^n  sich  der  kleine  Rheinarm,   der  den  alten  Namen 
noch  fuhrt,  früher  verlor.     Vor  20  Jahren  erst  ist  .der 
Kanal  gegraben  worden,  der  Ihm  jetzt  einen  ehrenvol* 
len  Ausgang  in  den  Ocean  bereitet.    Er  ist  nur  40  — - 
50  Fuss   breit  und  besonders  merkwürdig    durch  die 
Schleusen  an  der  Ausmundung  in  das  Meer.    Die 
Dunen  sind  daselbst  durchgegräben ,  und  vor  der  letz- 
ten Schleuse  ist  an  den  beideii  Seiten  des  Kanals  ein 
langer,  breiter,  nach  torn  in  der  Breite  abnehmender 
Steindamm  gebaut     Die  Schleuse  selbst  hat  doppelte 
Flügelthore  und  5  Bogen,  welche  durch  hohe,  nach  der 
Seeseite  scharf  zulaufende  Mauern  mit  einander  verbun- 
den sind,  woran  die  Wellen  und  Eisschollen  des  Mee- 
res sich  brechen  und  wodurch  die  Bogen  selbst  geschützt 
sind*    Durch   die  Thore,  welche  an  der  Innern  Seite 
.  geöffnet  werden,  wird   das  Wasser  des  Rheins  in  das 
Meer  abgelassen.    Indess  kann  kein  Kahn  hindurch  in 
die  See  fahren,    weil  die  Bogen  zu  eng    sind.    Somit 
ist  hier  keine  Schifffahrt  möglich.    5  Minuten  von  der 
Seeschleuse  den  Kanal  aafwärt8][ist  eine  zweite  Schleuse 
init  drei  Bogen.    Fängt  nun  das  Wasser  des  Meeres  an« 


284 


liöher  XU  stctgea»  ak  das  Rheuiwasser,  nad  gegen  die 
Seeschleose  zo  slormen»  so  werden  ihre  Thore  ge- 
schlossen, so  dass  jetzt  das  Rheinwasser  innerhalh  bei- 
der Schleusen  aoch  steigt,  ond  dorch  seine  znsammen- 
'  gedrängte  Masse  einen  sichern  Sdmtswall  für  die  Schleo- 
se  bildet,  g^en  weldie  das  Meer  yei^ebens  ankämpft 
So  bezwingt  das  wilde  Element  sich  dorch  sich  selbst^ 
und  ein  Arm  legt  dem  andern  Ketten  an. 

Etwas  oberhalb  der  zweiten  Schleuse  ist  eine  Sa- 
line  für  See  salz.  Ein  Gradirwerk  mit .  Faschinen 
läutert  das  Seewasser,  worauf  man  dieses  in  Kachen 
nach  Leiden  fährt,  wo  es  gesotten  wird.  Das  Salz- 
wasser ist  nicht  ergiebige  weil  das  Seewasser  hier  so 
wenig  salzig  ist,  dass  nach  dem  Gradiren  von  100  Pfd. 
Wasser  nur  7  —  9  Pfd«  übrig  bleiben,  .und  daraus  nur 
2.^2  Pf<l«  Salz  nach  dem  Sieden  gewonnen  werden. 


I  -^ 


285 


Kollektiren  in  Harlem.     TEYLOn'sche 
Stiftung.    Elehteniarschulen^ 


'•«■ 


Am  16ten  December  Abends  setzte  ich  mich  ia'  die 
Nachtschuit,  der  freundlichen  Gelehrten  -  Stadt  herzli« 
ches,  dankbares  Lebewohl  sagend,  nnd  kam  des  andern 
Morgens  früh  in  Hartem  an» 

Auch  hier  fand  ich  bei  den  hollandisch -re« 
formirten  Predigern,  dem  gen&iithlichen  Manger^ 
VAN  Staveren,  Nahuis,  Kvtper,  Hacke, 
bei  dem  französisch  -  reformirten  Prediger  Ser« 
EURIER,  der  früher  in  Hanau  gestanden,  und 
dem  mennpnitischen  Prediger  S YBBANI)!  sehr  lieb- 
reiche Aufnahme  und  Unterstützung*  Die  ersteren  ga- 
ben mir  ein  warmes  Empfehlungsschreiben  an  ihre  Ge- 
meinde und  50  fl.  aus  der  Ministerialbörse,  ja  die  £in- 
lelnen  fügten  noch  Gaben  für  sich  hinzu.  Serrv- 
BiER  liess' mich  in  seiner  Kirche  des  Abends  deutisch 
predigen,  und  veranlasste 9  das5  die  Diakonen  den  Er- 


286 

trag  der  bei  dieser  Gelegenhdt  gehaltenen  Kirch en- 
kollekte  mir  zugestandeli,  Urelche  78  fl»  18  Stbr.  be- 
trog«   Dass  viele  seiner  reicheren  Geineindsglieder  her- 
nach diese  Gelegenheit  benetzten  i  tun  sich^  als  ich  sie 
persönlich  besuchte^  des  Gebens  zu  entziehen,  mit  der  ri 
Bemerbing,   dass  sie  schon   in   der  Kirche  gegeben,. j; 
daran  hatte  er  keine  Schuld.    Auch  Stbrandi   em- 
pfthl  mich  so  warm  in  seinem  Kreise^   dass  ich    von  '• 
den  Reichen  seiner  Gemeinde  meist  sehr  guti^  empfan-   i 
gen  Wurde.    Ansgezeichnel  freundlich^  ja  ich  kann  sa-  ] 
gen,  mit  vaterlidier  Liebe,  nahm  mich  der  ehemalige 
Rathspeasionaris  Hariem*s,    A.  VAN  Zee- 
BER6H,   ein  achtzigjähriger  Greis,  auf,    ein  eben  so 
.  grosser  Staatsmann,  als  ernster  Chrisi^  welcher  tar  Zeit 
der  alten  Republik  durch  seine  Geisteskraft  grossen 
Einfluss  auf  die  Leitung  derselben  ausübte.    Er  zeich-   ' 
ftete  für  sich  80  fl«,  seine  Hanshalteriip  25  fl.j    unä 
dabei  bewirkte  er  als  piäsldirender Direktor  der  Tet-> 
LO&'schen  Stiftung,  dass  dieDirektion  ISO  fl*  fiii' 
meine  Gemeinde  bewilligte. ' 

Diese  berühmte  Stilltung  nimmt  4inter  deii  sahtrei« 
eben  Priy atwohlthätigk ei t^-Anst alten  Hol- 
land's  eineil  zn  ausgezeichnete  Platz  ein,  als  das« 
ich  derselben  nicht  mit  einigen  Worten  erwähnen 
miisste. 

P.  Tetior   van  der  Hülst,     ein    mw^ 
nonitischer    Seidenfabrikapt  zu   Ha r lern,   hatte,   yde[ 
'man  erzählt,  viele  Jahre  lang  mit  grossen   Habsucht   i 
BeichthSmer.  äu£  Reichtbümjer  ^ehäufii  um  sterbend  dA 

■    ■•      -■   ■        ■] 


287 

einen  bleibenden  Namen  bei  der  Nachwelt  zu  macben, 
und  vermachte  za   dem  Ende  bei  seinem  Tode  im  J«. 
1778  sein  ganzes   Vermögen   von   mehreren   Millionen 
Gulden    zur   Errichtung   der  seinen  Namen   tragenden 
Stiflung.    Seinem  letzten  Willen  gemäss  wurde  zuerst, 
ein  grosses  Versorgnngshaus  für  2«^  alte  arme  Frauen 
iVrauwenhofje)  erbaut,  worin  stets  eine  solche  Anzahl 
dieser  Nothleidenden  bis  an«  ihr  Ende  reichlich  ernährt 
und  verpflegt  werden  sollte«    Bas  Haus  ist   ein  fürstli- 
ches Gebäude 5  bildet   ein  Viereck^    an    dessen  Fronte, 
ein  prächtiges  Säulenportal  ist,  und  hat  in  dem  inneni«- 
vom  Hanse  umschlossenen   Hofraum    einen   herrlichen 
Garten.     Sodann  wurde  dem  Vermächtnis^  zufolge  eine 
gelehrte  Gesellschaft  [Jiet  TETZORsch  GenooU 
schap)  errichtet,  und  zwar  mit  2  Abtheilungen,    deren 
eine  die  Befö'rdernng   der   Theologie   und  des 
C  hri  stenthums,  und  deren  andere  die  Vervoll- 
kommnung   der   Naturwissenschaften,    Ge- 
schichte, Münzkunde^   schönen  Künste  etc» 
durch  Ausschreibung  von  Preisfragen  und  Preis- 
aufgaben,   und   Belohnung  der  Preiswerke  mit  Me-* 
daillen  oder  Geld  tum  Ziel  haben  sollte.    Zur  Verbrei^. 
long  naturwissenschafllicher  Kenntnisse   würde  überdies 
ein     besonderer    Professor    der   Naturkunde 
(der    jetzige    heisst  YAN  MAR  um)    angestellt,    und 
mit  ungeheuren  Kosten   ein  auserlesenes  mineralo- 
gisches Kabinett  eine  Sammlung  der  trefflichsten 
physikalischen    Instrumente,    der  kostbarsten, 
vorzugsweise  naturwissenschaftlichen  Bü ch er  und  K up -. 
ferstichwerke  und  andere  Konstseltenheiten  ange«. 


280 

darauf  wurde  die  Stadt  entsetzt.  Um  sie  fiir  ihre  Treue 
zu  belohnen,  Hess  Prinz  WILHELM  I.  ihnen  zwischen 
zwei  Gnadenerweisungen  die  Wahl,  zwischen  Zollfrei- 
heit  auf  einige  Jahre  und  dem  ßesitz  einer  Universität. 
Sie  wählten  die  letztere,  welche  auch  noch  in  demselben 
Jahre  1'7'75  daselbst  errichtet  wurde* 

Im  J.  182^7  sah  ich  auch  den  botanischen 
Garten,  der  zur  Universität  gehört.  Nach  dem  Rufe, 
welchen  er  hat,  hatte  ich  mehr  erwartet,  als  ich  fand. 
Er  ist  weder  sphr  gross,  noch  auch  besonders  reich. 
Manche  Seltenheiten  und  Merkwürdigkeiten  von^  Pflan- 
zen hat  er  allerdings,  z.  B.  ornus  europaeum,  von 
J^OERHAVE  gepflanzt,  einen  andern  Baum,  von 
LiNNE' gepflanzt,  eine  Büste  des  Professors  Bbug- 
MAJSS,  der  neuerlich  einen  Theil  des  Gartens  ange- 
legt hat  ßtc. 

Zu  derselben  Zeit  sah  ich  das  grosse 

Militärgefängjaiss, 

welches  für  dre  nördlichen  Provinzen ^hicr  ist.  wie  das 
für  die  südlichen  zu  Aalst  in  Flandern. 

Es  enthielt  damals  575  korrektionelle  Militär- 
sträflinge. Die  sich  criminell  vergangein  haben, 
werden  aus  dem  Militärdienst  ausgestossen ,  und  den 
bürgerlichen  Gerichten  übergeben.  —  Das  Gebäude  ist 
neu,  geräumig,  und  enthält  sehr  grosse  Säle,  worunter 
ein  Schlafsaal  für  148  Mann.  Schneiderei  und 
Schusterei  fürs  Militär  sind  die  Hauptbeschäf- 
tigungen. In  den  ersten  arbeiten  274,  in  der  lelz- 
tern  270  Mann.     %  des  Arbeitsverdienstes  er- 


281 


hält  der  Staat;  y^  bekommt  der  Gefangene  wahrend 
der  Haft,  und  ^5  kommt  in  dieAusgangskasse 
{uügangscas) ^  was  ihm  bei  der  Entlassung  gegeben 
wird.  Der  Kranken  waren  38.  Die  Krankheitszeit  wird 
ihnen  von  ihrem  .Spargfeld  abgezogen,  weil  sie  ihre 
Kleider  in  dieser  Zeit  nicht  brauchen,  indem  sie  Kran- 
ke^kleider  erhalten*  Das  Essen  der  Gefangenen  be- 
steht aus  1  Pfund  Brod,  um  10  ühr  Suppe,  worun- 
ter wöchentlich  2mal  Knochensnppe,  um  4  ühr  Kartof- 
feln. In  den  4  Wintermonaten  erhalten  sie  des  Mor- 
gens warmes  Wasser  und  Milch. 

Den' Gottesdienst  für  die  Protestant eti 
besorgt  ein  Prediger  aus  der  Stadt,  E GELING,  wel- 
cher >\'öchentlii:h  Einmal  Gottesdienst  mit  Predigt  hält, 
und  Einmal  katechisirt.  Den  Gottesdienst  für  die  Ka- 
tholiken besorgt  ein  Priester,  der  in  der  Anstalt  selbst 
wohnt.  —  Schul u^nter rieht  wird  gegeben,  aber  nur 
von  20  —  25  Mann  genossen,  weil  die  Theilnahme 
daran  ganz  in  den  freien  Willen  gestellt  ist.  —  Von 
Klassifikation  ist  keine  Spur,  selbst  nicht  einmal 
zwischen  den  Sträflingen  wegen  Insubordinaäon  und 
denen  wegen  Piebstahls.  Der  Cackots  sind  bloss  0^ 
daher  in  einen  oft  8  zusammengesetzt  werden  müssen, 
wodurch  die  Strafe  freilich  fast  ganz  wegfällt.  Dabei 
»ind  sie  feucht  und  ungesund.  Conduitenlisten 
werden  jährlich  einmal  eingesandt,  sind  aber  bloss  Re- 
gister der  Disciplinarstrafen«    ' 

* 

Dass  unter  diesen  Umständen  der  Besserungs- 
zweck auch  hier  zu  den  untergeordneten  gehört,   und 


282  - 

««■— «•-■— ^"••» 

.  nur  höchst  nnvoUkommen  erreicht  werden  kann,  ergibt 
sich  von  selbst* 

Der  Commandant  ist  ein  pensionirter  Oberof* 
fisier,  wie  ubechaupt  die  Commandanten Malier,  auch 
der  Civil-Gefängnisse  solche  sind«'  Der  Staat  erspart 
dadurch  einen  Theil  des  Gehalts,  indem  er  ihnen  nur 
noch  einige  100  fl«  Zulage  gibt.  Ob  solche  Männer 
aber  diesen  wichtigen  Posten  immer  gans  ausfiillea 
können,  das  ist  eine  andere  Frage. 

Wahrend .  meines  Kollektirens  in  L  e  i  d  e  n  machte 
ich  einige  kleine  Ausfliige   in  die  Umgegend,     Zuerst 
besuchte  ich  in  Geselbchaft   des  durch  viele  Schriften 
bekannten  Literators  N,  G*   yAN  KAmpen,    damals 
Leetor  an  der  Universität,  jetzt  Professor  am  Athenäum 
zu  Amsterdam,  die  in  der  Nähe  Leidens  auf  Nord- 
hey bei  Yorschoten  befindliche  berühmte  Knaben-  - 
Erziehungsanstalt  eines  jungen  holländischen  Pä- 
dagogen DE  RA  AD,  eines  Schulers  von  Niemeter« 
Er  hatte    zu  seiner  Ausbildung  auch  die  Schweiz» 
Paris  und  London  besucht,   sich  von  dort  her  er- 
nen  englischeii  und  einen  französischen  Leh- 
rer mitgebracht,  hielt  einen  deutschen  Lehrer  zur 
Unterweisung  dieser   Sprache,    und   zum  Lehren    der 
Wissenschaften  noch  einige  andere  Lehrer,  welche  zum 
Theil  aus  Leiden  zum Unterricfatgeben  hierher  kamen. 
Zu  ihpen   gehörte  auch  mein  Begleiter    VAN  Käm- 
pen, —«    Das  Institut  fand  ich,    soweit  ich   es  bei  dar    • 
Kürze  meines  Besuchs  beurtheilen  konnte,    in  vielen 
Stiickeo  ««ehr  vorzuglich.    Auch  hatte  es  bereits  einen 


'  ( 


•'.j   ' 


283 

bedentenden  Ruf  erlangt^  so  dass  jeder  der  damals  da- 
rin befindlichen  Knaben  1200  fl.  Jährlich  bezahlte. 

Mein   zweiter  Ansflag  war  nach  dem  Kiistendorfe 
Katwyk  op.Zee,  um  die  Mündang  des  Vater  Rhein 
in  das  Meer  zu  sehen.    Das  Dorf  liegt  zwei  Standen 
von  Leiden.    l)er  Weg  dahin  führt idurch  das  Dorf 
Katwyk  binnen  (das  aq  der  See  heisst  im  Gegiensatz 
auch  wohl  Katwyi  bniten)»  und  durch  eine  sumpfige 
Gegend,  in  deren  Morästen  wie  lo  dem  Sand  der  Du- 
nen sich  der  kleine  Rheinarm,   der  den  alten  Namen 
noch  fuhrt,  früher  verlor.     \or  20  Jahren  erst  ist  der 
Kanal  gegraben  worden,  der  ihm  jetzt  einen  ehrenvol- 
len Ausgang  in  den  Ocean  bereitet    Er  ist  nur  40  — 
50  Fuss    breit  und  besonders  merkwürdig    durch  die 
Schleusen  an  der  Ausmvadung  in  das  Meer.    Die 
Dünen  siqd  daselbst  durchgegraben ,  und  vor  der  letz- 
ten Schleuse  ist  an  den  beiden  Seiten   des  Kanals  ein 
langer,  breiter,  nach  torn  in  der  Breite  abnehmender 
Steindamm  gebaut     Die  Schleuse  selbst  hat  doppelte 
Flügelthore  und  5  Bogen,  welche  durch  hohe,  nach  der 
Seeseite  scharf  zulaufende  Mauern  mit  einander  verbun- 
den sind,  woran  die  Wellen  und  Eisschollen  des  Mee- 
res sich  brechen  und  wodurch  die  ßogen  selbst  geschützt 
sind.    Durch   die   Thore,  welche  an  der  innern  Seite 
geöffnet  werden,   wird    das  Wasser  des  Rheins  in  das 
Meer  abgelassen«    Indess  kann  kein  Kahn  hindurch  in 
die  See  fahren,    weil  die  Bogen  zu  eng    sind.     Somit 
ist  hier  keine  Schifffahrt  möglich.    5  Minuten  von  der 
Seeschleuse  den  Kanal  aufwärts^ist  eine  zweite  Schleuse 
inlt  drei  Bogen.    Fängt  nun  das  Wasser  des  Meeres  an, 


284 


Ilöher  zu  steigen,  als  das  Rhelowasser,  nud  gegen  die 
Seescbleuse  zu  stürmen,  so  werden  ihre  Thore  ge- 
schlossen, so  dass  jetzt  das  Rheinwasser  innerhalb  bei- 
der Schleusen  auch  steigt,  und  dorch  seine  zusammen- 
'  gedrängte  Masse  einen  sichern  Schatzwall  für  die  Schleu- 
se bildet,  gegen  welche  das  Meer  vergebens  ankämpft 
^  bezVingt  das  wilde-  Element  sich  durch  ;sich  selbst^ 
und  ein  Arm  legt  dem  andern  Ketten  an. 

Etwas  oberhalb  der  zweiten  Schleuse  ist,  eine  Sa- 
line für  See  salz.  Ein  Grradirwerk  mit .  Faschinen 
läutert  das  Seewaftser,  worauf  man  dieses  in  Machen 
nach  Leiden  fährt,  wo  es  gesotten  wird.  Das  Salz- 
wasser ist  nicht  ergiebig^  weil  das  Seewasser  hier  so 
wenig  salzig  ist,  dass  nach  dem  Gradiren  von  100  Pfd. 
Wasser  nur  7  —  9  Pfd.  übrig  bleiben,  .und  daraus  nur 
2*72  Pf<l*  Salz  nach  dem  Sieden  gewonnen  werden. 


■  1 


285 


Kollektiren  in  Hartem.     TeyLOR* sehe 
Stiftung.    El e)nentar schulen^ 


»««■ 


Am  löten  December  Abends  setzte  ich  mich  m  die 
Nachtschuit,  der  freundlichen  Gelehrten  -  Stadt  herzli- 
ches, dankbares  Lebewohl  sagend,  and  kam  des  andern 
Morgens  früh  in  Harlem  an* 

Auch    hier    fand   ich     bei     den     holländisch -re^» 
fprmirten    Predigern,     dem   geriiiithlichen    Manger, 

?AN  Staveren,   Nahuis,   Kutper,    Hacke, 

bei  dem  französisch  -  reformirten  Prediger  Ser- 
BVRIER,  der  früher  in  Hanau  gestanden,  und  ^ 
dem  mennpnitischen  Prediger  Sybrandi  sehr  liebr 
reiche  Aufnahme  und  Unterstützung*  Die  ersteren  ga- 
ben mir  ein  warmes  Empfehlungsschreiben  an  ihre  Ge- 
meinde  und  50  fl*  aus  der  Minlsterialbcjrse,  ja  die  Ein- 
zelnen fügten  noch  Gaben  für  sich  hinzu*  Serru- 
RiER  Hess*  mich  in  seiner  Kirche  des  Abends  deut:sch 
predigen,  und  veranlasste,  dass  die  Diakonen  den  Er- 


286 

I      '    ■ 

trag  der  bei  dieser  Gelegenheit  gehaltenen  Kireben- 
koUekte  mir  zugeständen,  Welche  78  fl.  18  Stbr,  be- 
trog. Dass  viele  seiner  reicheren  Gemeindsglieder  her- 
nach diese  Gelegenheit  benutzten^  nm  sich^  als  ich  sie 
persönlich  besnchte^  des  Gebend  zu  entziehen,  mit  der 
Bemerkiang,  dass  sie  schon  in  der  Kirche  gegeben, 
daran  hatte  er  keine  Schuld.  Auch  Sybrandi  em- 
pfahl mich  so  warm  in  seinem  Kreise^  dass  ich  von 
den  Reichen  seiner  Gemeinde  meist  sehr  gdtig  empfan- 
gen Wurde.  Ausgezeichnet  frenndÜchj  ja  ich  kann  sa- 
gen, mit  väterlicher  Liebe.^  nahm  mich  der  ehemalige 
Rathspensionaris  Harlem's,  A.  VAN  Zee- 
&ER6H,  ein  achtzigjähriger  Greis,  auf,  ein  eben  so 
.  grosser  Staatsmann,  als  ernster  Christ,  welcher  £nr  Zeit 
der  alten  Republik  durch  seine  Geisteskraft  grossen 
Einfluss  auf  die  Leitung  derselben  ausübte.  Er  zeich- 
nete für  sich  80  Ü.^  seine  Haushälterin^n  25  fl.^  unci 
dabei  bewirkte  er  als  prasidirender Direktor  der  Tet- 
loa'schen  Stiftung,  das£[  dieDirektion  150  fl*  fit 
meine  Gemeinde  bewilligte.  * 

Diese  berühmte  Stiftung  nimmt  ^tinter  den  zahtrei« 
eben  Pri V atw o hl t hätigk ei t^^ Anstalten  Hol- 
landes einen  zu  ausgezeichneten  Platz  ein,  als  dastf 
ich  derselben  nicht  mit  einigen  Worten  erwähnen 
mSsste. 

P.   Tetlor   van  dea  Hülst,     ein    men-> 

nonitischer    Seidenfabrikant  zu   Ha r lern,    hatte,   wie. 

'man  erzählt^  viele  Jahre  lang  mit  grosser   Habsacfat 

BeichtfaSmer,  Anf  Reichtfaunijer  gehä«fi|  um  sterbend  sidi 


287 

einen  bleibenden  Namen  bei  der  Nachwelt  zu  macbeii, 
und  vermachte  za   dem  Ende  bei  seinem  Tode  im  J«. 
1778  sein  ganzes   Vermögen   von   mehreren   Millionen 
Gulden   zur  Errichtung  der  seinen  Namen  tragenden 
Stiftung.     Seinem  letzten  Willen  gemäss  wurde  zuerst, 
ein  grosses  Yersorgnngshaus  für  2S^  alte  arme  Franen 
iVrauwenhofje)  erbaut,  worin  stets  eine  solche  Anzahl 
dieser  Nothleidenden  bis  an*  ihr  Ende  reichlich  ernährt 
und  verpflegt  werden  sollte.    Bas  Haus  ist   ein   fürstli- 
ches Gebäude,  bildet   ein  Viereck,    an    dessen  Fronte, 
ein  prächtiges  Säulenportal  ist,  und  hat  in  dem  innent^- 
vom  Hanse  umschlossenen  Hofraum    einen   herrlichen 
Garten.    Sodann  wurde  dem  Vermächtnis»  zufolge  eine 
gelehrte  Gesellschaft  {Jiet  TErtORech  Genoot^ 

.  schap)  errichtet,  und  zwar  mit  2  Abtheilungen  ^  deren 
eine  4ie  Beförderung  der  Theologie  und  des 
C  hri  s  tenthums,  und  deren  andere  die  Vervoll- 
kommnung  der  Naturwissenschaften,  Ge* 
schichte,  Münzkunde^  schönen  Künste  etc» 
durch  Ausschreibung  von  Preisfragen  und  Preis- 
aufgaben^  und  Belohnung  der  Preiswerke  mit  Me- 
daillen oder  Geld  zum  Ziel  haben  sollte.  Zur  Verbrei-. 
fang  naturwissenschaftlicher  Kenntnisse  wurde  iiberdies 
ein  besonderer  Professor  der  Naturkunde 
(der  jetzige  heisst  VAN  Marum)  angestellt,  und 
mit  ungeheuren  Kosten  ein  auserlesenes  mineralo- 
gisches Kabinett   eine  Sammlung  der  trefflichsten 

/  physikalischen  Instrumente,  der  kostbarsten, 
vorzugsweise  naturwissenschaftlicheil  Bücher  und  K  u  p  -' . 
ferstichwerke  und  andere  Knnstseltenheiten  ^ge-^ 


I  ■ 


288 

legt,  wdphe  noch  iininer  durch  jährlicheD    Ankauf  er- 
weitert werden. 

Das  Min  eralienkabinet  zeichnet  sich  durch' 
die  Grösse  und  Kostbarkeit  der  Exemplare  von  den 
verschiedenen  edlen  Metallen  und  Steinen  aus;  das 
physikalische  durch  eine  riesenhafte  Elektrisir- 
maschine,  von  CuTiHBERsorf  in  Amsterdam  1784  * 
▼erfertigt,  welche  vier 'Batterien,  jede  von  25  grossen 
Ffauchen  hat,  und 'mit  Einem  Schlage  einen  Ochsen 
tffdtet;  ferner  durch  einen  sibirischen  Ma|[n et/  der 
200  Pfd.  trägt,  durch  eine  sehr  künstliche  Alibi Id^ung 
des  Mont  hlanc  in  Holz  mit  allen  seinen  Höhen  und 
Thälern,  von  der  Seite  des  Thals  Chamoiay,  durch  ein 
HERSCHELsches  Fernrohr,  «grosse  Luftpum- 
pen, viele  Modelle  von  MiMilen,-  Ackerban- 
werk zeugen  \u  s*  w.  Der  Professor  ist  Oberaufse- 
her dieser  Sammlungen, «und  soll^nentg^ich  gemein- 
nützliche  Vorlesungen  über  Naturwissenschaften  halten. 
Ferner  ist  ein  besonderer  Zeichenlehrer  und  Maler 
besoldet^  um  junge  Leute  umsonst  in  diesen  schönen 
Künsten  zu  unterrichten*  Zur  Haltung  dieser  yorle- 
sungen,  «ur  Aufbewahrung  der  Kabinette,  zur  Woh- 
nung für  die  verschiedenen  Aufseher  und  zur  Ver**,- 
sammlung  der  Direction  ist  ein  grosses  Gebäude  er- 
lichtet, welches  sich  durch  einen  länglicht  -  runde.n,  aus- 
serordentlich langen  und  hohen  Saal,  worin  die  Knnst* 
Sammlungen  aufgestellt  sind,  auszeichnet.  Aus  Mangel' 
an  Raum  werden  wenig  Vorlesungen  gehalten,  und  we- 
nig Gebrauch  von  den  physikalischen  Instrumenten  ge- 
macht, jso  dm  üi  di^er  Hissicht.^e  Stiftung  nicht  so' 


289 

gemelnnütklich  für  Harlem  ist,  als  sie  seirt  Ißnnte 
und  sollte«  Diesen  Mangel  soll  jedoch  abgeholfen  wer- 
den durch  Errichtung  eines  neuen  Gebäudes.  -^  Jähr- 
lich gibt  die  Stiftung  überdies  viele  Tausend  Gulden, 
an  Arme,  an  Wo  h  Ithätigkeits  -  Anstalten  und  andere 
nützliche  Einrichtungen.  Als  Napoleon  einst  die 
Stiftung  besah,  wollte  er  von  van  ZEEBEROHclie 
Beschaffenheit  ihrer  Fonds  wissen.  Dieser  wich  mit 
grosser  Gewandtheit  einer  Antwort  hierauf  aus,  so  dass 
jener,  der  zum  Glück  bei  guter  Laune  war,  ihn  bei 
dem  Ohr  zupilte  und  sagte :  Alter ,  wenn  ich  es  wissen  .  . 
will,  so  soll  ich  es  doch  wohl  erfahreUi 

Sehenswürdig  ist  ausserdem  noch  ein  in  des  Pro- 
fessors VAN  Mar  UM  Hause  befindliches  und  dem- 
selben gehörendes  Natnralienkabinet,  das  ziem- 
lich reich  an  ausgestopften  Tbieren,  Schmetterlingen, 
Madreporen  und  andern  Seeg^.wächsen  etc.  ist. 

Auch  in  dieser  Stadt  besuchte  ich  damals,  wie  auf 
meiner  späteren  Keise  im  J.  1827,  mehrere  Elemen- 
tarschulen. Unter  ihnen  gefiel  mir  besonders  die 
Bürgerschale,  welche  400  Kinder  mit  Einem  . 
Hauptlehrer,  2  Unterlehrern  und  7  jungen  Gehfilfen  aus 
der  Zahl  der  ältesten  Schiller  zählt.  Es  herrjBchte  ein 
offenes  >  heiteres  und  doch  bescheidenes  Wesen,  unter 
den  Kindern.  An  der  Erdbeschreibung  hatten 
sie  grosse  Lust,  weil  der  Lehrer  sie  von  Haclem  au« 
begann,  und  viele  Charten  zeichnen  Hess.  Auch  hier 
urtirde  indess  die  Aufregung  des  Ehrgeizes  sy- 
stematisch betrieben  durch  das  nnseUge  Preissy- 
stem, weiches  ich  im  l.  Band  S.  321  — -  323  näher 
IL  19 


29Q 

beschriebÖQ  habe.  30  (I.,. welche  theils  ans  dem  Schal- 
gelde,  theils  ans  der  CiviU  Gemeindekasse  flossenj^  wer- 
den hier  jährlich  xu  Preisen  verwendet  -—  Unnatürli- 
che Sünden  waren 'auch  dieser  Schale  .nicht  fremde  wie 
denn' der  Lehrer* bei  meiner  Anwesenheit  ein  inngfcs 
Mädchen  deshalb  vornehmen  mifsste. 

Auch  liörte  ich  eine  Stunde  dem  Unterrichte  des 
berühmten  Katechisirmeisters  Polmak  zn^  dessen  im 
].  Band   S.  63  erwähnt   worden.     Ei^  lehrte  biblische 
Geschichte  und  erzählte  den  Kindern   eben  von  David 
und    Goliath.      Die    Anschanlichkeit,    mit .  welcher   er 
den  jangen  Zuhörern  die  Geschichte  vor  Augen  malte» 
die  Lebendigkeit  der  Reden  und   Mimik ,   mit   welcher 
er,  ohne  theatralisch  zu  übertreiben,  mitten  in  die  Hand- 
lung hinein  versetzte,  so  dass  man  sie  zu  sehen  und  sa 
hören  glaubte,  habe  ich  noch  nie  in  solcher  Yollkom- 
menheit  gesehen,  und  ich  fühlte  da  recht  lebhaft,    was 
die  heilige  Geschichte  den  Kindern  werden  kann,  wenn 
sie  auf  .eine  solche  nnvergessliche  Weise  ihrem  Geiste 
eingeprägt  wird.    Die  kleinere  Klasse   hörte  bloss  zv; 
die  grössere,  welche  die  Geschichte  zum  zweiten  Male 
hörte,  sdirieb:  nach.    In  der   nächsten  Stunde  miissen 
1  oder  2  Schüler  das  Nachgeschriebene  vorlesen,  aamit 
die  Übrigen  das  darin  etwa  Unrichtige  rügen  können.  •*« 
P.OL  MAN    selbst    war    früher    Maurergesell    gewesen,.*^ 
md  hat  sieb  durch  eigenes  höheres  Streben  so  empor« 
gearbeltÄ 

tii  Härienäi  befindet  sich  das  allgemeine  Scbnl^ 
tehrersemiaar  \Kwtek9chool  voor  Schoohndaeitfy^ 
Urs)  für  M o  r d  ii  ilb  d  e  r  I  a  n  &$-  and  stiebt  \iiitei^  der  'j 


* 


j 
\ 


V. 


39i 


l^itong  des  Direldors  R  J.  PriVsen^  und  unter 
der  Oberaufsicht  des  Generalinspektors  fiir  den 
nieder;!  und  miitiern  Unterricht  A,  VAN  den  Ende^ 
welcher  hier  wohnt. 

Ehe  ich  jedoch  das  Seminar  naher  beschreibe»  wird 
es  geeigilet  sein,  eine  Darstellung  der  Organisation 
und  der  gegei^wärfigen  Beschaffenheit  des  nie* 
derlHndischen  Elementarschulwesens  iibcrhaupt 
vorangehen  au  lassen« 


r 


18 


202 


Organisation  und  Be schaff enheit  des 
niederländisch  en  Eiern  entßrschul- 
Wesens. 


Uas  Elementarsclmlwesen  Niederlands  erfreat  sich  seit 
etlichen  20  Jahren  einer  durchgreifenden  Verbesserung' 
in  vielen  Stücken  durch  das  ganze  Reich. 

Die  erste  mächtige  Anregung  dazu  gab  die  Ge- 
Seilschaft  zum  Gemeinwohl  ( maatscJiappy » tot 
nut  varCt  ctlgemeen),  welche  seit  ihrer  Stiftung  im  X 
1784  *)  die  Verbesserung  der  Schulen  zu  einem  ihrer 
Hauptzwecke  machte,  und  dafür  wirkte  theils  durch  Ein- 
fuhrung besserer  Methoden  und  zweckmässigerer  Schul- 
bücher, welche  sie  durch  Aufgeben  von  Preisfragen 
veranlasste,  vorzüglich  aber  durch  Errichtung  besonde» 
rer  Masterschulen   in   den   grösseren   Städten  auf  ihre 


ti 


*)  Mehreres  über  diese  Gesellschaft  und   ihre  ausgc* 
breitete  Wirksamkeit  s<  uiili^n. 


eigene  Kosten.     Diese  Schalen  heissen  von  der  Einthei-^ 

« 

lang  des  Wirkungskreises  der  Gesellschaft  in  Bezirke, 
oder . sogenannte  Departemente ,  Departemental- 
sc  hui  en. 

Die  erfolgreichen  Bemühungen  der  Gesellschaft  und 
anderer,  um  das  Schulwesen,  besonders  durch  Schriften 
sich  verdient  machender  Männer,  als  der  zwei  Prediger 
H.  NiEüWO|,D  zu  Warrega  und  H,  W.  C,  A. 
VissER  zu  Ysbrechtum  in  Friesland,  des  Schulleh- 
rers H.  Wester  zu  Oude  Peckel-A  in  der  Pro- 
viius  Groningen^)  u.  a.  wirkten  dazu  mit,  i^is  der 
Staat  in  den  Jahren  1801,  1803  und  1806  eine  nette 
Schulorganisation  und  Schulordnung**)  gab, 


•y—r^^ 


*)  Dieser  letztere  zeichnete  sich  vor  vielen  andern, 
auch  vor  den  beiden  zuerst  Genannten  noch  beson- 
ders dadurch  aus,  dass  er  in  einem  glaubigen  Gei- 
ste u'irkte,  Avas  seine  Schriften,  z.  B.  sein  Kate- 
chismus: EenvQudig  Onderwys  in  de  neodigsie  Waar' 
hedcn  en  Pligten  van  den  christeltfken  Godsdienst  voor 
Minkundigen  y  6te  Auflage,  Groningen  bei  OoatK£NS 
1 819  beweisen.  Von  den  Schriften  der  beiden  an- 
dern s.  unten. 

^^)  Das  Schulgesetz  von  J801  und  vom 29.  Jul.  1S03 
verfasste  vorzüglich  Professor  van  der  Palm 
zu  Leiden,  damaliger  Direktor  des  öffentlichen 
Unterrichts,  Das  Gesetz  vom  3.  Apr.  1806,  welches 
alle  früheren  aufgehoben  hat,  ist  <  im  Ganzen  nur 
eine  Knty^ickelung  des  Gesetze«  voa.lSOSy  und  den 
Verhältnissen  im  Staate  mehr  angepasst.  Es  heisst: 
Pnblicalie  van  Hau  Ho9gwutgende ,  verteegemooordi- 
gende  hei  baiaafsch  Gemeenebegi,  aangaande  hei  iager 
sc/toolioezen  en  onderwjjf»  in  de  baiaafgche  Republiek, 
gcarresteerd  3.  ^pr.  1806^  Haag  1806.    Die  allge- 


a<4 

worin  er  die  durch  die  Gesellschaft  und  andere  Schul«' 
männer  veranlassten  Verbesserungen  benutzte» 

Nach  dem  Gesetz  vom  3.  Apr«  1806,  welches  das 
Grundgesetz  des  jetzigen  Schulwesjcns  ist,  und  nach 
den  es  entwickelnden  Reglementen  smd  alle  Schulen 
in  2  Klassen  getheilt,  in  öffenUiche,  welche  gans 
oder  zum  Theil  aus  ößentUchen  Kassen  unterhalteir 
werden,  und  in  Privatschulen,  welche 


meine  Schulordnung  ist  vom  23«  Blid  1806.  — - 
Die  dem  Gesetz  angehfingtfcen  und  es  nShier  entwl« 
ckeinden  Reglemente  sind: 

i)  Reglememi  voor  hei  lager  Sck0oiwezen   em   Onder* 

wyn; 

3)  VerordenimgeH  op  hei  afnemen  en  afleggeft  der  Exa- 
meng  vaau  degenen,  welke  lager  tmderwpi  hegeren  te 
geven  ; 

3)  Jngtruciie  der  Schoalopzieners  en  Comminien  van 
ondertcys, 

Bine  TOiläufige  lni»truktion  für  die  Distrikts- 
Schulaufseher  und  Uuterrichtscunimissionen  S  ü  d  • 
niederlands^  nebst  angehängten  näheren  Bestim* 
niungen  wegen  hei  afnemen  en  afteggen  der  Examens^ 
und  einer  allgemeinen  Schulordnung,  alle 
drei  unterm  20.  Mai  1821  vom  Minister  des  Unter- 
richts erlassen,  enthalten  in  allem  Wesentlichen 
nichts  weiter,  als  die  obigen  Gesetze ^  nur  in  einer 
veränderten  Zusammenstellung  und  mit  einigen  im* 
>vichtigen  provinziellen  Verschiedenheiten. 

Ausserdem  gibt  es  noch  Verfügungen  der  einzel- 
nen Provinzialstaaten  vom  J«  1807,  Keglemente  für 
Stadt-  und  Dorfschulen,  und  Instruktiunen  für  die 
Schullehrer,  welche  alle  aber  nur  nähere  Weisungea. 
über  die  obigen  Gesetze  sind« 


295         . 

ä)  entweder  vöa  KirchengeselUchafien  onterhalten 
werden^  als  die  Diakobieschulen,  kircbUchen  Wal- 
seiibausschulen  etc.,  oder  vod  wohllhätigen  Privat- 
gesellsglhaften ,  als  die  Departementalschulen  von 
der  Gesellschaft  zum  Gei^einwolil,  oder  von  Einem 
oder  einigen  Privatleuten,  welcke  sich-  zur  Er- 
richtung einer  Schule  für  ihre  Kinder  oder  fürs 
gemeine  Beste  verbunden  haben, 

If)  von  Individuen  errichtet  sind  aas  Speculation,  um 
daraus  Gc\%inn  zu  ziehen,  und  nur  durch  die  Bei- 
träge  der  Schüler  sich  erhalten« 

Die  Zulassung  zum  Schalamte  erhält  Keiner,  der 
nicht  '^   . 

1)  ein  allgemeines   Fähigkeltszeagniss   (al- 
gemeene  toelating  tot  het  gei-'en  uan  onderwys), 

2)  einen  speciellen   Beruf   oder   Anstellung 
an  einer  Schule,  oder  wenigstens  die  Erlaubniss    * 
zur  Errichtung  einer  Schule  als  Privatlehrer  -hat. 

^     Es  sind  vier  Klassen  der  Schullehrerk 

Für  die  vierte  oder  niedrigste  Klasse  ist  crr 
forderlich  Kenntdiss  des  Lesens,  Schreibens  und  des 
Hechnens,  wenigstens  bis  zur  Regel -de -tri. 

Zur  dritten  Klasse  bedarf  es  noch  einer  Kennt- 
niss  des  Rechnens  auch  mit  gebrochenen  Zahlen,  eini- 
ger Bekanntschaft  mit  deA  Elementen  der.  holländischen 
Sprache,  und  mit  einer  guten  Lehrmethode. 

Die  zweite  Klasse  erfordert  kunstmässiges  Le- 
sen, eine  schöne  Handschrift,  das  theoretische  und  prak- 
tische Verstehen    der  Rechenkunst,   der  holländischen 


296 

Sprache,  einigen  Begriff  von  der  Erdbeschreibung  und 
.  Geschichte,  und  eine  methodische  Lehrwelse. 

Bei  der  ersten  Klasse  muss  eine  genaue  Kennt« 
niss  nicht  bloss  der  Erdbeschreibung  und  Geschichte, 
sondern  auch  der  Naturkunde  und  Mathematik  hinzu« 
kommen*  Das  Aufsteigen  von  einer  niederen  zu  einer 
höheren  Klasse  erfordert  eine  neue  Prüfung, 

Alle  Schulen  sind  in  gewisse  Schulbezirke  ver- 
theilt,  derön  jedem  ein  Schulinspector  {schoolop^ 
zlener)  vorsteht,  welcher  die  Schulen  zu  beaufsichtigen, 
zweimal  jährlich  zum  wenigsten  jßu  besuchen,  ihr  Inter- 
esse bei  den  Behörden  zu  vertreten  und  auf  alle  Wei-« 
se  zu  fordern,  die  Schullehrer  zum  Unterricht  und  zur 
Ermuthigung  zu  gewissen  Zeiten  um  sich  m  versam- 
meln, die  Anlegung  von  Arbeits-  und  Indpstrieschulen 
zu  befördern,  und  monatlich  einen  Bericht  ^n.  dias  Mi- 
nisterium  des  Innern  einzusenden  hat.  Zur  näheren 
Beaufsichtigung  der  einzelnen  Schulen  in  den  Dörfern, 
Flecken  und  kleineren  Städten  ist  er  befugt,  nach  Rück- 
sprache mit  der  Ortsbehörde,  einem  oder  einigen  ihm 
bekannten  my^erlässigen  Personen  ^le  Lokal inspectjoa 
anzuvertrauen,  wobei  er  jedoch  für  Alles  verantwortlich 
bleibt«  Daher  ist  et  gar  nicht  verpflichtet,  eine  solche 
Lokalinspection  an  jedem  Schulorte  einzurichten.  Auch 
ist  der  Pfarrer  als  Pfarrer  keineswegs  Mitglied  dersel-^ 
ben,  sondern  ob  er  dazu  mitgewählt  werde,  hängt  ganz 
vom  Schulinspector  ab.  Dieser  ist  aucli  befugt,  die  zu 
einem  Schulamte  der^  untersten  Klasse  sich  Meldendeq 
«5U  prüfeq« 


f 


297 

Jeder  Schulinspector  hat  im  Darchscbnitt  30  —  40 
Dörfer  und  Flecken  unter  seiner  Aufsicht,  und  ein  Ge- 
halt von  450  fl.    Jedoch  gibts  auch  grössere  ni^d  klei- 
nere Schulinspectionsbezirke ,  und   darnach  ein  grösse- 
res  oder   geringeres  Gehalt«    Im   ganzen   Reiche   sind 
190    solcher    Bezirke.  —    Zu    Schulinspectoren   wählt 
man  meistens  Nicht -Geistliche,  Kaufleute  etc«,  auch  in 
Nordniederland,   nicht  als  ob  man  glaubte,   dass 
die  Geistlichen  dieser  Provinzen  dazu  ungeeignet  seien, 
sondern  Wie  man  mir  sagte,  vorzüglich  darum,  um  dann 
auch  die  katholischen  Geistlichen   Südniederlands 
von    der  Schulinspection  abhalten   zu  können,    denen 
man  sie  aus  Furcht  vor  Bigotterie  nicht  anvertrauen 
mag.    Sie   sind   auf  Lebenslang  angestellt.    Viele  der« 
selben  haben  Schullehre rv ereine,  (schoohnder'^ 
uyzers  - gesekchappen)    gestiftet  und  halten  aus  eignem 
Antriebe  mit  den  Lehrern   monatlich  Schulconfe-« 
r  e  n  z  e  n ,    wozu  sie  vom  Staate    einige   Geld  -  Unter* 
Stützung  erhalten. 

In  grösseren  Städten  besteht  in  der  Regel  eine' 
Lokalschulkommission,  deren'  Glieder  sich  in 
die  Aufsicht  der  verschiedenen  Schulen  theilen,  und 
welche  für  die  Stadt  die  Stelle  des  Schulinspectors  ver- 
tritt. Jedoch  ist  dieser  ein  integrirendes  Glied  der 
Schnlcommission,  obgleich  nicht  befugt,  ihr  Yorsitzer 
XU  sein,  hat  allen  ihren  Versammlungen  beizuwohnen, 
und  den  Zugang  zu  ihren  Schulen.  Die  Schnlcommis- 
sionen  sehr  grosser  Städte  haben  die  Befugniss,  die 
Schalkandidaten  aller  4  Klassen  zu  prüfen. 


296 

Sprache,  einigen  Begrijfr  von  der  Erdbeschreibung  und 
.  Geschichte,  und  eine  methodische  Lehrwelse. 

Bei  der  ersten  Klasse  ninss  eine  genaue  Kennt* 
niss  nicht  bloss  der  Erdbeschreibung  und  Geschichte, 
sondern  auch  der  Naturkunde  und  Mathematik  hinzu« 
kommen*  Das  Aufsteigen  von  einer  niederen  zu  einer 
höheren  Klasse  erfordert  eine  neue  Prüfung, 

Alle  Schulen  sind  in  gewisse  Schulbe«irke  ver- 
tbeilt,  derön  jedem  ein  Schulinspector  {schoolop^ 
ziener)  vorsteht,  welcher  die  Schulen  zu  beaufsichügen, 
zweimal  jährlich  zum  wenigsten  ^n  besuchen,  ihr  Inter- 
esse bei  den  Behörden  zu  vertreten  und  auf  alle  Wei-« 
se  zu  fördern,  die  Schullehrer  zum  Unterricht  und  zur 
Ermuthigung  zu  gewissen  Zeiten  um  sich  m  versam- 
meln, die  Anlegung  von  Arbeits-  und  Indpstrieschulen 
zu  befördern,  und  monatlich  einen  Bericht  ^n  4^^  Mi- 
nisterium  des  Innern  einzusenden  hat.  Zur  näheren 
Beaufsichtigung  der  einzelnen  Schulen  in  den  Dörfern, 
Flecken  und  kleineren  Städten  ist  er  befugt,  nach  Rück- 
sprache mit  der  Ortsbehörde,  einem  oder  einigen  ihm 
bekannten  ^.iJiy^rlässigen  Personen  die  Lokal inspect^on 
anzuvertrauen,  wobei  er  jedoch  für  Alles  verantwortlich 
bleibt«  Daher  ist  elr  gar  nicht  verpflichtet,  eine  solche 
Lokalinspection  an  jedem!  Schulorte  einzurichten.  Auch 
ist  der  Pfarrer  als  Pfarrer  keineswegs  Mitglied  dersel-» 
ben,  sondern  ob  er  dazu  mitgewählt  werde,  hängt  ganz 
vom  Schulinspector  ab.  Dieser  ist  aucli  befugt,  die  zu 
einem  Schulamte  der^  untersten  Klasse  sich  Meldendeq 
zu  prüfeq« 


297 

Jeder  Schulinspector  hat  im  Darchscbnitt  30  —  40 
Dörfer  und  Flecken  unter  seiner  Aufsicht,  und  ein  Ge- 
halt von  450  fl.    Jedoch  gibts  auch  grössere  ni^d  kld- 
nere  Schulinspectionsbezirke ,  und   darnach  ein  grösse- 
res  oder   geringeres  Gehalt*    Im   ganzen   Reiche   sind 
190    solcher    Bezirke.  —    Zu    Schulinspectoren   wählt 
man  meistens  Nicht- Geistliche ,  Kaufleute  etc«,  auch  in 
Nordniederland,   nicht  als  ob  man  glaubte,   dass 
die  Geistlichen  dieser  Provinzen  dazu  ungeeignet  seien, 
sondern  Wie  man  mir  sagte,  vorzüglich  darum,  um  dann 
auch  die  katholischen  Geistlichen   Südniede.rlands 
von    der  Schulinspection  abhalten   zu  können,    denen 
man  sie  aus  Furcht  vor  Bigotterie   nicht  anvertrauen 
mag.    Sie   sind   auf  Lebenslang  angestellt.    Viele  der« 
selben  haben  Schullehrervereine,  ischoolondep'^ 
uyzers  - gesekchappen)    gestiftet  und  halten  aus  eignem 
Antriebe  mit   den  Lehrern   monatlich  Schulconfe-« 
r  e  n  z  e  n ,    wozu  sie  vom  Staate    einige   Geld  -  Unter^» 
Stützung  erhalten. 

In  grösseren  Städten  besteht  in  der  Regel  eine' 
Lokalschulkommission,  deren'  Glieder  sich  in 
die  Aufsicht  der  verschiedenen  Schulen  theilen,  und 
welche  für  die  Stadt  die  Stelle  des  Schulinspectors  ver- 
tritt. Jedoch  ist  dieser  ein  integrirendes  Glied  der 
Schnlcommission,  obgleich  nicht  befugt,  ihr  Torsitzer 
zu  sein,  hat  allen  ihren  Versammlungen  beizuwohnen, 
und  den  Zugang  zu  ihren  Schulen.  Die  Schulcommis- 
sionen sehr  grosser  Städte  haben  die  Befugniss,  die 
Schalkandidaten  aller  4  Klassen  zu  prüfen. 


298 

Die  Gesammüieit  der  Schulinspectorcn  einer  Pro- 
vrns  bilden  die  Provinzial- Scholcommtssion. 
Diese  Commlssion  versammelt  sich  3mal  jährlich  ia  der 
Provinzialhaoptstadt,  wobei  der  Goaverneor  der  Provibs 
Vorsitzer  ist,  emprängt  di^  Berichte  der  einzelnen  Schul- 
inspectoren,  hält  die  Priifongen  der  Schalkandidaten, 
fertigt  ihre  Anstellangszeugnisse  aus,  berathschlagt  über 
alles  dem  Schulwesen  Nutzliche,  und  sendet  jährlich 
einen  Generalbericht  an  die  ProvinziaU  Verwaltungsbe- 
hörde und  an  das  Ministerium  des  Innern«  Zu  einer 
gewissen  Zeit  des  Jahres  soll  jede  Provinsial  -  Schal- 
commission einen  Deputirten  nach  der  Hauptstadt  des 
Landes  schicken,  nm  daselbst  eine  General-Schal- 
commission Sa  bilden,  welche  unter  den  Augen  des 
Ministers  des  Innern  über  das  Schulwesen  des  ganzen 
Staates  berathe.  —  Gegenwärtig  findet  jedoch  ^eine 
solche  Generalcommission  nicht  mehr  Statt.  —  In  je- 
der Provinz  wird  eine  Durchscbnittssumme  zur  Bestrei- 
tung der  Reise-  und  Versammlungskosten  der  Schalin- 
spectoren  angewiesen. 

Ein  Generalinspector  steht  unmittelbar  un- 
ter dem  Minister  an  der  Spitze  des  ganzen  Schulwe- 
sens, hat  das  ProtocoU  bei  der  Versammlung  der  Ge- 
neralcommission  zu  fuhren^  mit  den  Provinzial  -  Sciml- 
commissionen  zu  correspondiren,  die  besseren  Lehrme- 
thoden zu  verbreiten,  eine  Bücherliste  zum  Behuf  der 
in  den  Schulen  zu  gebrauchenden  Bücher  zu  entwerfen*). 


*l  Nach  dem  Schulgesetz  von  1806  sollen  die  SchuUeh- 
rer  und  Schullehreiimien  keine  andere  |jchr*  oder 


299 

überall  die  Ordnung  zu  erhalten,  und  demMinbter  alle 
zur  Beförderung  des  Schulwesens  geeigneten  Maassre- 
geln vorzuschlagen.^ 

Was  nun  die  Schulen  selbst  betrifllf  so  gehen 
die  Schüler  gewöhnlich  nach  dem  vollendeten  5ten  Jah* ' 
re,  —  denn  nicht  der  mindeste  Scholzwang  findet  statt, 
auch,  keine  Bestimmung,  bis  sn  welchem  Lebensjahre 
der  Schulbesuch  statt  finden  müsse,  — >  3  Stunden  des 
Vormittags  und  2  Stunden  des  Machmittags,  in  die  Sdiu« 
le,  worin  Knaben  und  Mädchen  in  demselben  Zimmer, 
aber  an  verschiedenen  Palten  sitzen*  Eine  Abend- 
schule  wird  an  den  meisten  OHen  jeden  Abend  gehal- 
ten, an  welcher  sowohl  die  ans  der  Schule  Entlassenen, 
welche  sich  noch  weiter  sa  üben  wünschen,  als  auch 
Jüngere,  die  noch  Schüler  sind,  Theil  nehmen.  Jede 
Schule  ist  in  3  Klassen  getheilt,.  deren  zwei,  während 
der  Lehrer  die  dritte  laut  untenrichtet,  in  den  kleine- 
ren Schulen  sich  stillschweigend  allein  beschädigen,  in 
den  grösseren  aber  von  erwachsenen  Unterlehrern  oder 
von  kleinen  aus  den  Schülern  gewählten  Schulgehülfeo 
ebenfalls  lauten  Unterricht  empfangen,  und  zwar  in  der- 
selben Schulstube,  ohne  merkliche  Störung.  Ueber- 
haupt  fand  ich  in  den  grossen  Stadtschulen   zu   Rot- 


Lesebücher  in  ihren  Schulen  gebrauchen  y  als  weU 
che  in  einer  von  der  Regierung  herausgegebenen 
allgemeinen  Bücherliste  stehen.  Diese  er- 
schien zuerst  1810,  ist  aufs  neue  gedruckt  1815  un- 
ter  dem  Titel :  Algemeene  Boekenlyst  tefi  dtenste  der 
lagere  scholen  in  de  noordelyke  provincien  van  hei 
Koningrijl  der  Nederlanden.  Haag  1815.  Herausge- 
ber ist  der  Generalinspectur  van  den  Ende. 


300 

tcrdam,  Haag  und  Harlem  eine  grosse  Spannung 
der  Aufmerksamkeit,  obgleich  mehrere  hundert  Schüler 
und  4  oder  5  Lehrende  in  demselben  Saale  waren, 
eine  ausgezeichnete  Ordnung  und  Reinlichkeit,  und  eine 
vertrauensvolle  Offenheit  und  Freundlichkeit  der  Kin« 
der  im  Antworten  und  Fragen,  dagegen  in  einiged 
Dorf-  und  kleineren  Schulen,  auch  in  2  Schulen  einer 
grossen  Stadt  viel  Unordnung  und  sehr  mangelhafte 
Beschäftigung  derjenigen  Klassen,  die  der  Lehrer  nicht 
grade  selbst  unterrichtete. 

In  jeder  Schule,   wo   mehr   als   70   Schüler  sind, 
soll  nach   der  allgemeinen  Schulordnung  ein 
Unterlehrer  angestellt  werden.  —   Ferien  sind  4 
Wochen  des  Jahrs»  und  zwar  während  der  Ost  er-, 
Pfingst-,  Kirmess-  und  Weihnachls-Wöche. 
Die  Lehrgegenstände  sind  in  den  gewöhnli- 
chen Landschulen: 
1)  Lesen,    weicheis  nach'  der    Lautirmethode, 
und  mit  Hälfe  verschiedener  Lesemaschinen,   be- 
sonders der  Lesetafel  gelehrt  wird.     Die   Lautir- 
methode ist  seit  dem  J.  181*7  ziemlich  allgemein 
eingeführt.     Früher,  selbst  im  J,  1795  schon,  mach- 
ten Einzelne  ,  namentlich  ein    Scheither,    der 
damals  auch  ein  Büchlein   dafiir  schrieb,    und  ein 
NiEUWOin  Gebrauch  davon.  —    Der  Seminar- 
direktor P.  J.  pRiNSEN  hat  die  Lehrmethode  des 
Lesens  herausgegeben  *),  , 

*J  Unter  deni  Titel :  •  Lecrwyze ,  om  Kinderen  te  teeren 
iezen.  3te  Auflage.  Amsterdam  van  den  Hey  i825. 
Dies  Buch  ivird  sehr  viel  gebraucht. 


30i 

2)  S  c h  r  e i  b  e  B, . meist  aa£  Sc^iefi»rtafelii.  Ja  der, 
mit  dem  Schallebrersemioär .  iii  |iarlem,9«0aiii* 
menhäageQd<eiii  Sehple  sah  ieli,  dass  die  Kio^f*'  aiif 
ihren  Sabsellien  jedes  ein  kleines  Damenpaltchen 
vor  sich  stehen  hatten ,.  dessen  eifert  breite  Seite, 
ein  Glasrahipen  war.  Anf  dieses  matt  gesehlitti^ne 
Glas  schrieben  sie  mit  Speckstein,  indem  sie  die 
nnter  dem  GljSse  liegf;i|den  dordischeiaenden ,  anf 
.rothes  Papier  jgesdiriel>enen  Biiöhst^en  n^^mal« 
ten«  Diese  Einrichtiuig  ist  jedoch  (nr  difi  gewQhn« 
liehen  Schalen  SU  kostban 

3)  RechnjßB,  wobei-  die  ^ene  Mat#8 -  niij  6e- 
wichtknnde  gelelvst  wird^^  ni  wekhein^nJESehnf 
in  jeder  Schale^  wenigstens  der  Prorins  Gelder- 
land,  dnrchdmn  Bescbloss  der.  Proriniialstaalea 
ein  Exemplar  der  neuen  Maasse  und  Gewichte,»» 
natiwa  aufgestellt  ist«  Nach  .einer  Königl.  Ver- 
ordnung vom  12.  Mov.  1827  soll  dies  in  jeder 
Schule  des  Reichs  statt  fii^den.  -*-*  Die  Zahlen-, 
Formen-*  und  Gesang- Lehre  werden  nach 
pESTALOZ^Kis^hen  Grnndsätsen.  gelehrt  Sie 
wurden  eingeführt  durch  die  swei  jiingen  MEnner, 
welche  von  der  Regierung  unter  König  liVDiriG 
Napoleon  SU  Pestalozzi  geschickt  worden 
waren.  Der  voraügUchste  derselben  ist, gestorben. 
Nach  diesen  Grundsätxen  hat  PftuiaBlf  ein  Re- 
chen*bnch  hei^usgegebeti^ 


*)  Rekeuboekf    ingarigi    naär  de  tegetHMötdige  b§ko€fie 

dtr  ncholen  3le  AnflU.Iiiurleai  Wed.  A.  Looaiss. 


* 


♦ 


9)  etwas  Geometrie*),  wobei  mir  jedoch  einige 
Lehrer  über  den  Mangel  an  Lust  hierzu  bei  den 
Schülern  und  Aehem  klagten,  weil  die  Fortschritte 

■  in  dieser  Wissenschaft  nicht  so  sichtbar  zu  bemer- 
ken seien. 

10)  Vatifj'ländische  Geschichte,  jedoch  erst 
seit  der  Wiedereinsetzung  des  OnANischen 
Fürstenhauses  **)♦ 

Die  Religion  ist  als  Unterrichtsgegenstand  ganz 
von  den  Schalen  ausgeschlossen;  denn  die  wenigen 
beiläufigen  Bemerkungen  in  den  Schulbüchern  und  dem 
Schulunterrichte  über  Gottes  Eigenschaften  und  sein 
VVirken  in  der  Matur  kann  Niemand  einen  Religions* 
Unterricht  nennen*  Auswendiglernen  aus  dem  Kate« 
chismus  findet  eben  so  wenig  Statt* 

Die  Eröffnung  und  der  Schluss  des  Unterrichts  ge- 
schieht in  sehr  vielen  Schulen  nicht  mit  Gebet,  weil 
die  Allgemeine  Schulordnung  in  Art«  6  bloss 
vorschreibt:  „Die  Schulzeit  soll  entweder  wöchentlich 
„oder  täglich  mit  einem  kurzen  und  passenden  christ- 
,$lichen  Gebet  eröffnet   und   geschlossen  werden,   und 


♦)  Die  Anleitungen,  welche  Prediger  van  Dapperebt 
über  die  Formenlehre  und  die  Gesanglehre 
geschrieben  hat^  werden  für  die  besten  gehalten. 

**)  Nach  dem  Leitfadeh:  Väderlandsche  Geschiedenis  dt 
52  l^sstn  voor  de  nederiandsche  Jeugd  en  Stholen.  5te 
Auflage.  Zutphen  Thieme  is*l7.  Auch  wird  wohl  die 
Körte  HaAdleiding  tot  de  beoefening  der  vadetiandseke 
getchiedenis  in  Leeslesjet  voor  de  Nederiandsehe  Jeugd, 
door  Jt  Am  OosTKAMPf  Groningen  Oomkbns  ge- 
bfaucht; 


.* 


305 

$,soll  bei  dieser  delegenheil  auch  «twas  Passendes 
^^können  gesadgea  werden.'^  Ich  fand  in  vielen 
Schulen  am  Anfang  and  Schluss  des  Unterrichts  das 
Gebet  fehlend,  in  einigen  begann  nnd  schloüs  man  mit 
Gesang  ohne  Gebet,  in  andern  ipit  Gebet  ohne  Gesang. 
Der  Schullesebücher  gibt  es  mancherlei.  Sie 
sind  meistens  im  BASEDow-philanthropinischen 
Geiste  geschrieben,  enthalten  allerhand  Gemeinnuttli- 
ches,  nur  nicht  das  NStzlichste :  das  christliche  Ele- 
ment. £s  werden  daher ^  obgleich  nach  Art«  22  des 
Schulreglements  aller  Schulunterricht  so  eingerichtet 
werden  soll,  dass  die  Kinder  auch  zn  allen  bürgerli-' 
eben  und  christlichen  Tagenden  erzogen  werden, 
doch  in  den  meisten  der  vielgeriihmten  and  vielge- 
brauchten Lesebücher,  welche  ich  in  den  Schulen 
fand *) ,    bloss   die   bürgerlichen  Tugenden  ange« 


'^)  Raadgewingen  en  o  nderrigiingen  voor  tCinderetty  ten 
dienste  der  Schalen  door  N,  Anslyn  N.  Z.  i  —  * 
Leeshoetc.  6te  und  7te  Auflage  >  Leiden  bei  du  Mob^ 
TIEB  ^825,  182«  und  1827, 
De  brave  Hendrik  y  een  *  ieesboekje  voof  jonge  Kinder 4n^ 
door  Anslyn  N,Z,  9te Auflage,  Leidtn  hei  du  MoM* 

TIEB   1826. 

De  brave    Maria  y    een  teesboekje   voot  Jorige  Kinder eH^ 
door  Anslyn  N,Z.  7te  Auflage,  teid^n  hei e^u  Mob* 

TIEB  1826*  * 

Vader  Jakob  en  zyne  Kindertjes,    een  tchoolboekje  döor 

M,  VAN  HEYNtNGFN  BOSCH y  18te  Auflage,  Am* 

tterdam  bei  W,  BBAVMf, 
De  kleine  Kindervriend,  ^eti  schoölboekje  voör  johge  Kin» 

deren    door  M,  VAN  HSYNINGEN  BOSCH ^    20sl6 

Auflage,  Groningen  bei  ACHlEäBEBic  1820* 
II.  20  ' 


306 


priesen,  als:  Fleiss,  Bravheit,  Verschwiegenheit,  Mild- 
thätigkeit,  Reinlichkeit  etc.  Wer  diese  übe,  heisst  es 
darin  wiederhplt,  werde  unfehlbar  zeitlebens  gliicklich 
sein.  Auch  wird  darin  häufig  von  braven  Kindern  und 
Menschen  gesprochen,  die  niemals  Böses  thun,  und 
der  immer  wiederkehrende  Wahlspruch  ist :  Wenn  nur 
der  Wille  gut  ist,  kann  man  Vieles  thun«  9,lch  kanti 
nicht"  ist  ein  hässliches  Wort.  In  diesem  Sinne  sind 
daher  die  vielen  kleinen  moralischen  Erzählungen  darin 
abgefasst,  ohne  alle  Hinweisung  auf  den  Grund  und 
die  Quelle  aller  sittlichen  KrafL  Daneben  stehen  Er- 
klärungen einiger,  naturgeschichtlichen  Gegenstände,  und 
xCiniger  sprachlichen  Begriffe:  wahr,  falsch,  wahrschein- 
lich, unwahrscheinlich  etc.  Schilderung  derKirmess  zu 
Amsterdam,  wie  schön  und  lustig  es  da  zugehe,  was 
für  possierliche  Affen  da  zu  sehen  seien  n.  s.  w.,. Dar- 
stellung einiger  allgemeinen  Wahrheiten,  wenn  man  sie 
so  nennen  kann,  z.B.  dass  es  gut  sei,  dass  der  Mensch 
Hunger,  Durst,  Schlaf  und  andere'  leibliche  Bedürfnisse 
habe,  weil  er  dadurch  auch  das  angenehme  Gefühl  ih- 
rer Befriedigung  schmecke.  Dabei  aber  nirgends  Hin- 
weisung auf  die  heiligen  Wahrheiten  des  Cbristenthoms, 
welche  auch  das  kleine  Kind  schon  ahnt  und  fühlt, 
nirgends  oder  nur  höchst  selten  Rede  von  Christus. 
Die  unheilbringenden  Grundsätze,  welche  diese  Kinder- 
schriftsteller regieren  ,    legt  einer  derselben  ,    M,   v  A  N 


t 
\ 


Voor  een  Kind,  om  zieh  zehente  leeren  kennen y  door 
J,  fL  Nilzuu'OLD,  8te  Auflage,  Groningen  bei 
J»  GROSNJEU'OtT.  1821, 


307 


Heyningen  Bosch  m  der  Vorrede  za  dem- vor- 
letzten der  in  der  Anmerkung  angeführten  Lesebücher 
auf  ganz  unzweideutige  Weise  offen.  ,^  A 1 1  e  s  in  die* 
,,sen  Kinderschriflen ,  sagt  er>  müsse  seinen  £in- 
„fluss  entlehnen  von  dem  ersten  Gefühle 
„der  menschlichen  Natur,  nämlich:  schön 
,,und  hässlich,  angenehm  nnd  unangenehm; 
9,alles  müsse  mittelst  dieses  Gefühles  wirken.  Diese 
,,Eindrücke  entwickeln  sich  viel  früher,  als  die  Kennt- 
,,nisse  des  Guten  und  Bösen.  Die  Kinder,  die  ich  hier 
„im  Auge  habe,  (von  5—7  Jahren)  hahfn  noch  kei«» 
„nen  Begriff  von  gut  und  böse ,  und  sind  noch  fnr^ 
„keinen  sittlichen  Unterricht  Tahig;  sie  fühlen  nur,  sie 
„denken,  oder  vielmehr  schliessen  noch  nicht."  — 
Nach  diesem  Schriftsteller  kommt  also  das  Gewissen 
in  das  Kindesherz,  oder  erwacht  darin,  erst  im  8ten 
Jahre,  und  das  Kind  soll  demnach  in  den  7  ersten, 
für  die  geistige  Bildung  unaussprechlich  wichtigen  Jah- 
ren bloss  mittelst  der  thierisch^n  Triebe  erzogen  wer* 
den*). 


»)  Als  ein  weiterer  Beleg  über  den  Geist  dieser  Schrift- 
steller folge  hier  Einiges  aus  dem  letzten  in  der 
Anmerkung  angeführten  Büchlein,  welches  hier  um 
so  wichtiger  ist,  weil  es  zum  Verfasser  einen  der  , 
in  der  Geschichte  des  holländischen  Volksschuhvc- 
sens  berühmtesten  Männer  Jiat,  welcher  die  erste 
Bahn  für  die  neue  Unternchtswcise  brechen  half, 
dem  Prediger  zu  Warrega  in  Friesland,  Nieu*  / 

WOLD. 

Eine  Mutter  lehrt  in  diesem  Büchlein  ihr   Kind 
im  Gespräch  mit  ihm  »einen  Leib  und  seine  Seele 

20* 


-.<» 


306 


-    I 


Was  das  Gebalt  der  Schnllebrer  betrifft, 
so  ist  dies  ^ebr  verscbieden*    Aof  dem  Laude  and  in 


kennen.  S.  32  lässt  der  Verfasser  das  Kind  sagen: 
^Jch  will  aus  eigner  Bewegung  immer  Gutes 
^tbun.  — '  Und  daTon  bab'  ich  Lob  und  Ehre.'^ 
S.  35*  Mutter:  ^»Kein  Kind  ist  ohne  Fehler.  Und 
^,Jeder  muss  seine  eignen  Fehler  kennen  und  rer- 
y^essem.*^  — >  Miih  es  selbst  diese  Fehler  yerbessert, 
lehrt  sie  iiun  S.  43.  Die  Mutter  sagt  dem  Kinde 
geine  Fehler,  und  dann  nimmt  ein  gutes  kind  auch 
einen  festen  Vorsatz,  um  seine  Fehler  zu  Terbes- 
sem.  —  HAber''^,  sagt  das  Kind,  „ich  k»in  leicht 
„etwas  Tergessen.  Ei,  liebe  Mutter,  sei  so  gut, 
„und  erinnere  mich  dann  wieder  an  meine  guten 
„Vorsätze!«« 

Dies  ist  der  ganze  Weg  der  Selbsterkenntniss  und 
Heiligung,  den  der  Verfasser  die  christlichen  A ei- 
tern ihre  Kinder  beisst  gehen  lehren»  ein  Weg,  der 
schriftwidrig  Von  einem  falschen  Punkte  ausgeht, 
dass  das  Kind  von  Natur  gut  sei,  schriftwidrig  eine 
falsche  Richtung  nimmt,  dass  das  Kind  allein  aas 
eigner  Kraft  sich  selbst  bessern  könne,  und  darum 
auch  nicht  zum  rechten  Ziele  führen  kann.  '— •  Da 
ist  kein  Hipweisen  auf  des  Kindes  srt^tliche  Ohn^ 
macht,  und  das  Bedürfniss  der  gottlichen  Vergehung, 
kein  Hinweisen  weder  auf  Gott  noch  auf  den  Hei- 
land >  noch  auf  die  Nothwendigkeit  eines  höhere» 
Beistandes,  obgleich  das  Gemüth  des  Kindes  so  fass-» 
bar  uad  empfänglieh  für  Christi  Versöhnungslehre 
ist,  wie  Professor  Borger,  ^  («her  ihn  s.  Nähe* 
res  unten!)  —  iip  der  7ten  Predigt  des  II,  Bandes 
seiner  Predigten  so  schön  nachweist  Vielmehr 
sudit  der  Verfasser  diese  Empfänglichkeit  beim 
Kinde  recht  geflissentlich  zu  unterdrücken,  und  ihm 
seine  Krone,  die  Demuth  und  Anspruchlosigkeit, 
i^om  Haupte  zu  reissen^  indem  er  die  Aleinun^  tob 


.  / 


309 

kleineren  Städten  erhalten  sie  meistens  freie  Wohnotfg, 
50  —  200  f].  Besoldang  und   das  Schulgeld  von  den 


eignem  Werthe  und  eigner  Kraft  in  ihm  möglichst 
zu  steigern  sucht.  So  lässt  er  S.  38«  39  die  Mutter 
das  Kind  lehren:  ,^l^s  gibt  auch  eine  falschiß  Pe- 
„ in u  t h.  Man  muss  von  sich  seihst  nicht  zu  hoch, 
,>dbcr  kuch  nicht  afu  niedrig  denken*  Klara  iivar 
„ein  tugendhaftes  Kind;  aber  sie  ivar  su  niederge- 
„schlagen  geworden  durch  das  unnöthige  Zanken 
y^eincf  harten  Meisterinn.  Auch  meinte  sie,  dass  sie 
,>sü  fehlerhaft  sei,  als  die  Meisterinn  sagte,  dass  sie 
,,\\  äre.  '^  —  Wie  ganz  entgegengesetzt  lehrt  die  K 
Schrift  [uuc.  18,  14.  2  Sam.  6,  22.  Jes«  57,  15. 
^  Pet.  5,  5.  6.  Matth.  11,  29.  So  wird  das  Kind 
mit  Gewalt  vou  dem  Schoos  seines  IleiMndes  ge- 
>vehi't^  statt  zu  ihm  hingeführt  zu  werden. 

Ja  sogar  das  Denken  an  Gott  und  das  ihm  dan- 
ken, Avird,  wenn  es  dem  Kinde  noch  so  nahe  liegt, 
selbst  ihm  nahe  gelegt  worden  ist^  doch  vom  Kinde 
abgewehrt.  S.  4  freut  sich  das  Kind  seines  körper- 
lichen Wachsens.  Daraufsagt  die  Mutter:  Aber 
das  Wachsen  ist  do^h  wunderlich.  Wer  macht  dic.h 
wachsen?   Wem  musst  du  dafür  danken! 

Kind:  Vater  und  Mutter  geben  mir  doch  das  Es- 
sen und  Trinken ;  und  nm  Essen  und  Trinken  wach- 
se ich. 

Mutter:  Das  ist  wahr;  aber  daa  Wachsen  selbst 
können  Vater  und  Mutter  dir  nicht  geben« 

Kind:  Wer  macht  mich  denn  wachsen  t  Daa  möch- 
te ich  gerne  wissen.  <^  Muss  nun  nicht  Jeder  Christ, 
selbst  jeder  Deist  als  das  Natürlichste  erwarte«, 
dass  des  Kindes  Wissbegierde  benutzt  werde«  um  es  • 
auf  seinen  Schöpfer  hinzuweisen?  Aber  nein!  das 
Kind  \%ird  ohne  Antwort  gelassen;  und  muss  sich 
am  Ende  mit  den  Worten  beruhigen :  Nuoj  das  "wkd^ 
man  mich  einst  lehl'eB. 


310 

Kiodern.  In  grossen  Städten  erhalten  sie  bloss  das 
Schulgeld.  Das  Schulgeld  selbst  ist  nach  den  Orts- 
verhältuisser^  sehr  verschieden.  Auf  den  Dorfern  be- 
zahlt das  Kind  der  untersten  Klasse  gewöhnlich  3  fl. 
des  Jahrs ,  das  der  zweiten  5  fl. ,  und  das  der  ersten 
7  H.  In  den  Städten  steigt  das  jährliche  Schulgeld  von 
10  -*-  40  ü.  Die  Abendschuler  müssen  noch  beson- 
ders bezahlen.  Bei  den  Armenschulen  bezahlt  die 
Armenkasse  drs  Schulgeld ,  oder  entschädigt  den  Leh- 
rer dafür  durch  ein  grösseres  Gehalt.  Die  Schalen  In 
den  Städten  9  wo  die  Aeltern  das  Schulgeld  bezahlen, 
heissen  Bürgerschulen.  •*-  In  den  Städten  und 
grossen  Dörfern  der  reicheren  Provinzen  ist  das  Ge- 
halt überhaupt  gut,  in  vielen  Dörfern,  besonders  der 
ärmeren  Provinzen,  noch  sehr  schlecht  Dazu  herrscht 
an  manchen  Orten  noch  die  Unsitte,  wie  ich  von  ei- 
nem Schullehrer  in  Gelderland  hörte,  dass  die 
Lehrer  ihre  Geldbesoldung  bei  den  Bauern  umholen 
müssen ,  auch  wohl  noch  gar  Rundgang ,  um  Eier, 
Wurst  und  dgl.  zu  empfangen,  zu  halten  haben.  In- 
dess  wird  dies  von  der  fürs  Schulwesen  so  thätigen 
Regierung  mehr  und  mehr  abgeschafft. 

Leider  reicht  aber  die  Besoldung  vieler  Lehrer 
nicht  zu  ihrem  Unterhalte  aus,  indem  sie  alles  in  allem  . 
nur  100  —  150  fl.  Einnahme  haben,  so  dass  sie  einen 
Laden  zu  halten,  o*der  Ackerbau  oder  ein  Handwerk 
lu  treiben  genöthigt  sind.  Selbst  der  Minister  des  Un- 
terrichts gesteht  dieses  in  seinem  am  13.  Mai  1829 
den  Generalstaaten  abgestatteten  Bericht  über  das 
Schulwesen  ein. 


i  J 


311 

I 

Hieraus  ergibt  sich  denn  das  Ungegriindete  der 
Angabe  der  Im  J.  1811  aus  Auftrag  der  französischen 
Regierung  die  Schalen  liallands  besochenden  berühm- 
ten Staatsräthe  CuviER  nnd  Noe*!,  S.  19  Ihres  Be- 
richts über  die  Volksschulen :  ^^dass  sehr  wenige  Schal- 
„lehrer,  selbst  in  den  Dörfern,  weniger  als  1000  Eran- 
,,ken  Kinnahme  hätten.  ^^  Ueberhaupt  ergibt  sich  aus 
diesem  Bericht,  wie  Interessant  and  lehrreich  er  aach 
ist,  das's  die  edelgesinnten  Berichterstatter  von  den 
Schulen  der  grossen,  reichen  D'5'rf)sr,  welche  sie  In  den 
Provinzen  Holland,  Friesland  und  Groningen 
sahen,  einen  falschen  Schluss  aaf  die  übrigen  Dorf- 
schulen machten,  and.  dass  well  die  Lichtseite  der  hol« 
ländischen  Schulen  grade  ihnen,  welche  nur  die  . 
französischen  Yolbschalen  zur  Vergleichoqg  hat- 
ten, doppelt  glänzend  ersdielneo  mussten,  sie  die  Schati* 
tenseite  derselben  übersahen. 

Die  Schnlhäaser  fand  ich  fkst  bei  allen  Schu- 
len, die  ich  besachte,  geräumig  und  zweckmässig  ein* 
gerichtet,   viele   gans  nea  gebaut,  und  zwar  in  dncr, 
solchen  Weise,  dass  sie  den  Gemeinden  und  der  Re«  . 
gterung  grosse  Ehre  machen. 


312 


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« 


Bildung    der    Sehullehrer    zu    ihrem 
Amte»    Weise  ihrer  Anstellung. 


Was  nun  die  Bildung  der  Schullehrer  sn  ärem  Be* 
mfie  betrifft,  so  werden  sie  theils  auf  Seminaren,  theib 
von  Schullehrern  allein  gebildet 

Der  Schnliebrerseminare  gibt  es  xwei,  eins 
stt  Harlem  fiir  die  nördlichen,  das  andere  ra 
Lier  in  der  Provinz  Antwerpen  für  die  südlichen 
Provinzen« 

Beide  sind  in  Folge  des  königlichen  ßeschlossea 
vom  81.  Hai  1816,  und  zwar  das  erste  in  demselben 
Jahre,  das  letzte  im  J.  1818  errichtet  worden. 

Das  Seminar  zu  Harlem  soll  nach  diesem  Be« 
Schlüsse  25  ordentliche  Zöglbge  haben,  von  welchetf 
15,  jeder,  ein  volles  Stipendium  von  250  fl,  jährlich,  vier 
Jahre,  ausnahmsweise  5  Jahre  lang  empfangen,  5  an« 
dere  ein  halbes  Stipendium  von  125  fl«,  und  die  5  übri* 
gen  sieb  auf  eifgene  Kosten  erhatten  sollen.    Ueberdies 


313 


sollen  10  junge  Leute ,  welche  schon  anderwärts  *die 
erste  Lehrerbildung  genossen  haben,  zur  weiteren  Aus^ 
bildung  Ein  Jahr  lang  den  Seminarunterricht  unentgelt- 
lich mitgeniessen  y  und  eine  Unterstiitamng  TOn  100  & 
erhalten. 

Gegenwärtig  ist  die  Zahl  der  Zöglinge  40.  Sie 
treten  mit  dem  lOten  oder  I7ten  Jahre  ein,  und  be» 
wohnen  je  2  Ein  Zimmer  in  Privathäusern.  Der  Lehr- 
cursus  ist  auf  4  Jahre  eingerichtet,  jedoch  werden  die 
Seminaristen  oft  nach  3,  wohl  selbst  2  Jahren  schoit 
vom  Seminar  genommen  und  angestellt,  wegen  des 
noch  immer  sehr  drückenden  Mangels  an  guten  Leh- 
rern ,  besonders  in  Siidniederland.  Die  ersten 
3  —  5  Monate  nach  dem  Eintritt  ins  Seminar  sind 
eine  Prüfungszeit ,  nach  deren  Verlauf  der  Seminardi- 
rektor an  den  Generalinspektor  Bericht  erstattet  Wer 
in  dieser  Zeit  anfähig  zum  Schulamte  aus  Mangel  an 
Talent  oder  dgl.  befunden  wird,  erhält  ohne  Weiteres 
den  Abschied.  Besondere  Erfordernisse  zur  Aufnahme 
ins  Seminar  sind  nicht  festgestellt. 

Von  9  —  12  Uhr  des  Morgens  und  von  halb  d 
bis  halb  5  des  Nachmittags  besuchen  sie  theils  die 
Kinderschule  von  40  Knaben,  welche  mit  dem  Se- 
minar verbunden  ist,  um  sich  darin  praktisch  m  übeit) 
theils  die  andern  städtischen  Elementarschulen.  Von 
halb  6  bis  halb  8  des  Abends  erbalten  sie  Unterricht 
vom  Seminardirektor,  welcher  zugleich  der  einzige  or- 
dentliche Lehrer  ist.  Zur  besseren  Uebersicht  der 
Lehrgegenstände  und  Seminararbeiten  folge  hier  der 
Lectionsplan  für  die  oberste  Seminftrklasse* 


314 


Montags  Abends  von  halb  6  bis  halb  8  Uhr. 

1)  holländische  Sprachlehre  mit  Vorlesen  von 
schriftlichen  Aufsätzen.  2)  Weltgeschichte,  welche 
mit  der  vaterländischen  alle  14  Tage  wechselt 

Dienstags  Abends  von  halb  6  bis  halb  8  Uhr. 
l)Rechneny  2)  Schönschreiben,  3}  Lesen, 
4)  Seelenknnde  oder  Zeitrechnungsknnde^. 

Mittwochs  Nachmittags.  Von  3  —  4  ^r 
biblische  Geschichte,  worin  alsdann  die  Kin- 
derschale zugleich  Unterricht  Erhält.  Von  4  —  5  Uhr 
praktische  nnd«  von  5  —  6  theoretische  Gesang- 
lehre» 

Donnerstags  Abends  von  halb  6  hls  halb  8 
Uhr.  1)  Mathematik  ä)  Geometrie**).  Wer 
hierin  theoretisch  nnd  praktisch  gute  Fortschritte  ge- 
macht hat,  wird  b)  auch  in  der  Algebra  unterwiesaa« 

2)  Didaktik  iondernyahunde). 

Freitags  Ahends  von  halb  6  bis  halb  8  Uhr. 
1)  Erdbeschreibung***),  Von  dem  zu  beschrei- 
benden Lande  müssen  die  Seminaristen  jedesmal  eine 
von  ihnen  gezeichnete  Karte  mitbringen.  2}  Natur* 
l  u  n  d  e  f )« 


*)  Letztere    wird    gelehrt    nach    dem    T^drekenkundig 
Schoolboek  von  Tis  Pblkvtyk* 

•♦)  Nach     den     Grondbeginteien     der      Wistunde     von 
Stjbknstjra» 

*♦'♦)  Nach  den  Geographische   Oefeningen   des   Seminardi- 
ri^ktora  Psenssn, 

t)  Nfkch  de^i  JSatmtrkuHdig  Schooiäoek  von  JBVJS*     . 


315 

Samstags  Morgens  von  10  bis  halb  12  Uhr* 
1)  Singen,  2)  Biblische  Geschichte»  Beides 
zugleich  mit  den  Kinderschiilern. 

Die  sieb  am  meisten  auszeichnenden  Seminaristen 
empfangen  noch  Unterricht:  1)  in  der  Kenntniss  und 
dem  Gebrauch  der  £rd-  und  Himmeiskngeln 
(Mittwochs  Abends  von  6  —  1  Uhr)  2)  in  der  Moral 
(Mittwochs  Abends  von  7  bis  8  Uhr)  und  d)  in  der 
hochdeutschen  Sprache* 

Ausserdem  haben  die  Seminaristen  noch  folgende 
Arl)eiten  zn  verrichten: 

1)  täglich  wenigstens  Eine  Seite  Schönschrift  zu 
schreiben ; 

2)  jede  Woche  mindestens  20  Rechenaufgaben  zu 
machen ;  i 

3)  dem  Unterrichte  beizuwohnen,  der  in  der  Kin- 
derschule des  Dienstags  Vormittags  in  -der  For- 
menlehre ertheilt  wird; 

4)  aus  den  Büchern,  wekhe  ihnen  zu  lesen  gegeben 
werden,  Auszüge  zu  machen; 

5)  alles,  was  ihnen  widitig  erscheint  und  sich  nicht 
in  den  gewöhnlidien  Lehrbiichem  findet,  sich  auf- 
zuzeichnen, und  zwar  in  Betreff  der  Thecnrie  der  * 
Pädagogik  und  Didaktik,  der  biblischen 
Geschichte,  der  Moral,  der  Formen-  und 
Zahlenlehre,  und  der  Theorie  und  Praxis  der 
Gesanglehre* 

Ein  Katechisirmeister  unterrichtet  3mal  wo* 
chentlich  in  der  biblischen  Geschichte,  der  Mo- 
ral, und  die  reformirten  Saninaristea  auch  w  der 


I 


3i6 

Rcligionslehre»  Alle  vbrigen Lebrstondeo  gtbt  der 
Direktor.  Am  ersten  Dienstag  Abend  jedes  Monats 
nach  7  Uhr  versammeln  sich  die  Seminaristen  vor  dem 
Direictor  nnd  dem  Katechisirmeister,  welche  alsdann 
über  ibr  Arbeiten  and  Betragen  im  verflossenen  Mo« 
nat  lobende  oder  strafende  Bemerkongen  machen. 

Maslknnlerrieht  wird  nicht  ertheilt. 

Die  Zöglinge  gehören   tbeils  der  protestanti« 
sehen,  tbeils  der  katholischen,  tbeils  der  judi«^ 
sehen  Konfession  an.  —  Vom  Oktober  1816  bis  da-, 
hin  1829  hat  dies  Seminar  130  Lehrer  geliefert. 

Das  Seminar  sn  Lier  bat  bloss  katholische 
Zöglinge,  und  zum  Direktor  Bernhai^D  SchboDER 
aas  Amsterdam.  Aasser  diesem  hat  es  noch  eiaeu 
Lehrer  für  die  französische,  und  einen  für  die 
hoiräadlsche  Sprache.  Den  Religionsunter- 
richt gibt  ein  katholischer  Pfarrer  der  Stadt.  Im 
Uebrigen  ist  das  Seminar  ganz  wie  das  za  H  a  r  1  e  m  . 
eiogerichtet. 

Instructionen  fiir  die  Seminare  sind  von  der 
Regierung  nicht  gegeben  worden,  sondern  dieselben 
sind  der  oberen  Leitung  und  Aafsicht  des  General- 
inspektors untergeben  y  welcher  mit  den  Directoren 
sich  benehmend  den  Gang  des  Unterrichts  jährlich  re- 
gelt, und  Einmal  jedes  Jahr  die  Seminare  persönlich 
revidirt 

Da  beide  Seminare  jedoch  den  Bedarf  an  Scbul- 
lehrern  bei  weitem  nicht  befriedigen,  so  findet  noch 
eine  zweite  9ildungsweise  zum  Schalamte  statt, 
deren  ich  schon  im  I.  Band  S,  320  und  321  erwät^ijt 


317 

habe,  und  welches  die  einzige  Bildungsweise  ist^  die 
eine  grosse,  ja  die  grössere  Zahl   der   Schallehrer  ge« 
.niesst.     Diese  Jünglinge  werden   von   einem   Schulieh- 
rer,    der  sie  meistens  schon   als  Knaben  unterrichtet 
hat,    in    einigen   Nebenstanden   täglich  in  den  meisten 
Lehrgegenst'änden  der  Elementarschule  weiter  ^   so  viel 
es  derselbe  vermag,  unterwiesen,   und  zwar  gewöhnlich 
im  Lesen,    Schreiben,   Rechnen,  der  hollän- 
dischen Sprache,  und  bisweilen  etwas  Geschich* 
t e  und  Naturkunde,   auch  wohl ,   jedoch  nicht  im- 
mer ,   in  biblischer  Geschichte,  durchaus  aber 
nicht  in  der   Religionslehre»    Dabei   werden    sie 
in  der  Schule  von  ihm  praktisch  angeleitet. 

Die  auf  den  Seminaren  gebildeten  Schulamtskan« 
didaten  haben  bei  Bewerbung  um  eine  Schulstelle  kei- 
nen Vorzug  vor  den  auf  die  letztere  Act  gebildeten, 
sondern  das  Resultat  der  sogenannten  vergleichen- 
den Prüfuner  {p^rgelyhend  Examen)  entscheidet  zwi- 
schen den  Bewerbern, 

Diese  Concurrenz'-Priifungen,  welche  bei 
den  Yacanzen  aller  Schulstellen  in  Nordnieder- 
land durch  die  Schulinspectoren  angestellt,  und  wozu 
die  bei  der  Prüfung,  den  Bewerbern  vorzulegenden 
'  Aufgaben  vorher  im  Druck  bekannt  gemacht  werden, 
werden  auch  in  Südniederland  allmählig  mehr 
Sitte. 

Zur  Verdeutlichung  will  ich  di^  Aufgaben  des 
i^rgelyhend  Examen  ptui  mededingende  onderu^yzera 
ncLOK  eene  der  pijf  Stadschokn  Je^a   GtLArENSAGS, 


318 

gehalten  den  2S.  JbL  lt27,  weklie  gedruckt  vor  mir 
liq;en,  angeben. 
1.  Schriftliche  Aafsatxe,  weldie  xnr  Prüfung 
■litxabringen  seien« 

1)  Beweisfahrang,  dass  Unterricht  ohne  sittliche 
BOdang  for  die  Gesellschaft  gefährlich  nnd  nadi- 
theiljg  seL 

2)  Eine  a}grammatische9  b)  logische  Ana* 
Ijse  eines  Dichtverses« 

8)  a)  Zur  Prohe  der  Zasammenstellöng: 
Wie  weit  moss  sich  die  Kenntniss  nnd  Bildung 
des  geringeren  Bofgerstandes  erstrecken »  nnd 
was  moss  in  dieser  Hinsicht  von  dem  Lehrer 
in  den  Stadtschalen  in  Acht  genommen,  bemerkt 
nnd  gethan  werden? 

6)  Zar  Probe  des  Styls:  Sdiilderang  des 
Jacob  Cats  aaf  Zorgvliet  bei  dem  Haag. 
IL  4  Bestimmte  Rechnenaafgaben  zu  lösen* 
IIL  Folgeude  Fragen  kurz  za  beantworten:  1}  Wie 
nnterrichtest  da  die  eben  erst  beginnenden  Kinder? 
2)  Wie  lehrst  da  bachstabiren  ?    3)  Was   ist  die 
Laotirmethode ?    4}  Wie  lehrst   da  sie  lesen?    5) 
W'as  ist  gat  lesen?    6)  Wann  beginnt  dein   Un- 
terricht im  Schreiben?    7)  Welches  ist  deine  ün- 
terrichtsweise  hierin?    8)  Wann  beginnt  dein  Un- 
terricht im  Reebnen?   9)  Welchen  Gang  gehst  da 
in   diesem  Unterricht?     10)   Wann    beginnt  dda 
Unterricht  im    Singen?    ii)  Wie  lehrst   da  das 
Singen?  12)  Wie  lehrst  da  die  Moral?  13)  Wie 
lehrst  da  die  Erdbcschreibnng?    14)  Wie  lehrst 


319 

du  die  allgemeine  Geschichte?  16)  Wie  lehrst  du 
die  valerländische  Geschichte?  16)  Wie  bildest 
du  deine  Zöglinge  zu  braven  Kindern?  17)  Wie 
erweckst  du  sie  zur  Furcht  gegen  Gott,  zur  Ach- 
tung gegen  den  König  und  zur  Liebe  gegen  das 
Vaterland? 

Erwähnung  der  biblischen  Geschichte  und 
Priifung  darin  tehlt  hiernach  ganz. 

Die  Anstellung  der  Schullehrer  geschah 
In  Nordniederland  bisher  auf  folgende  Weise i 
Bei  Erledigung  einer  Stelle  hatte  die  Ortsbehörde  so- 
gleich dem  Schulinspector  davon  Kenntniss  zu  geben^ 
welcher  sich  darauf  mit  den  das  Berufungs  -  oder 
Wahl -Recht  Besitzenden  über  die  Wiederbesetzung 
benahm  9  und  längstens  4  Wochen  nach  geschehener 
Erledigung  dem  Generalinspector  zur  Einrückung 
in  die  Schulzeitschrift:  Nieuwe  Bydragen  etc.  eineAn- 
liindigung  der  Vacanz  zuschickte,  welche  zugleich  einen 
Aufruf  an  die  etwaigen  Bewerber  und  eine  Bestimmung 
des  Tags  der  vergleichenden  Priifung,  und 
die  hierbei  zu  erfüllenden  Bedingungen  enthielt. 

Das  Protokoll,  welches  der  Schulinspector  über 
die' darauf  angestellte  vergleichende  Prüfung  aufgenom- 
men, wurde  von  den  dabei  gegenwartigen  Wahlberech- 
tigten mit  unterzeichnet,  und  sodann  nebst  den  auf  ei- 
nem besonderen  Blatte  aufgezeichneten  Bemerkungen 
der   letzteren   über   den  von  ihnen    vorzugsweise  em-  . 

pfohlenen  Kandidaten,   so   wie  mit  einem  besonderen 
Berichte  des   Schnlinspectors  an    den    Gouverneur         - 
der  Provina  längstens  14  Tage  nach  gehaltener  Pni- 


■  I 


'  I    , 


fimg  gMmdt  DitMT  ackidtfe  et  mit  seinem  Beliebte 
an  den  Minister  des  Unterrichts,  weldier4Sng- 
stens  4  Wochen  damndi  Anrdi  den  Goayemeur  deü 
Wahlberechtigten  die  Airfoiisation  zur  Behifiii^  oder 
Anstellung  ertbeilte. 

Diese  Weise  der  AnsteOnng  grSndete  sidi  anf  das   i 
Sdittlgesets  tron  18M  ond  auf  mehrere  Yerordnnngea 
▼on  1814,  1817,  1818,  1823  nnd  1824. 

Durch  das  K5nigL  Decret  vom  27.  Mai  1830 
(vgl.  S.  174,  175«)  ^hat  diese  Weise  euuge  Hodifika- 
'  tiooen  erlitten,  vomnter  die  wesendichste  die  in  Art,  2 
des  Decrets  enthaltene  ist. 

Hiernach  will  das  Ministerium  des  Unterridits 
(des  Innern)  künftig  bei  Anstellung  der  Schallehrer 
bloss  in  solchen  Fällen  eingreifen,  wo  bei  den  dabei 
betheiligten  Beamten  oder  Behörden  Verschiedenheit 
der  Ansichten,  Beschwerden  oder  Bedenken  obwalten« 
In  allen  anderen  Fällen  soll  der  Provinzialgonvernenr 
ohne  Weiteres  znr  Bemfang  oder  Anstellnng  überge- 
hen lassen,  wenn  die  bestehenden  Yer^rdnongen  gehö- 
rig befolgt  sind. 

Nach  Art  1  *des  königl.  Decrets  soll  die  Antoxi* 
satiön  Som  Errichten  von  Elementarschulen  künfiig  in 
Jen  Städten  den  städtischen  nnd  auf  dem  Lande  den 
Ortsbehöraen  unter  Genehmigung  der  Provinsialstaaten 
sttstehen. 

Mach  Art  3  soll  bei  Erledigung  eines   Schnlin-^i; 
spectorats  die  Provinzial  -  Scbuleommission  einen  Yer^' 
schlag  (nr  die  Besettnng  an  die  ProTinzialstaalen 


."i 


m  ' 

1 

ienden,  welchen  diese,  mit  .2  Pel^onen ,   wetiii  sie  irill^ 
tennefart  ans  Ministerinm  des  Dntemchts  befördert 

Nach  Art  5  soll  allen  SchdUehrem  wo  möglieh 
eine  fx^i^^  Wohnung  und  ein  Garten^  s6  wie  ein  festes     ' 
Einkommen  und  Schulgeld  zugewiesen  werden* 

Nach  Art  7   soll  ^Minimum  des   festen  Ein*    ' 
kommens  für  die  Lehrer  jeder  Klasse  und  ein  Maxi- 
mum  des  Schulgeldes  bestimmt,  so  wie  die  Anordnung 
getroffen  werden,  dass  das  Schulgeld  richtig  einkonunij^. 

Nach  Art  ä  soll  jeder Schulamtskandidat,  der  die 
üäthigen  Kenntnisse  (iat,  wo  er  sie  auch  Erhalten  häbea 
taag,  zur  Prüfung  zugelassen  werden. 


i<»-|1HiliJ    -i 


II. 


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f  .. 


332 


*« 


..o,v,. 


•  ■  ■    I 


Licht"  und  Schattenseiten  der  ]Ele- 
mentar^chulen  und  Schullehr  er  se-: 
minare. 


Indem  wir  nun  zur  Beurtheilang  dei  Volkn- 
Schulwesens  N  i  ed  crl  a  n  ds  übergehen,  können  * 
wir  nicht  umhin ,  suei;^!  unsere  Freade  auszusprechen 
über  die  vielen  wesentlichen  Yerbesserangen ,  welche 
sowohl  im  Aeusseren  als  Inneren  der  Schalen«  beson- 
ders  seit  der  Thronbesteigung  des  edlen  oranischen 
Fiirstenhauses  stattgefunden  haben ,  dessen  erleuchtete. 
Regierung  unbestreitbar  den  grössten  Antheil  an  die«- 
sen  Fortschritten  hat. 

Südniederland  steht  hierin  zwar  immer  noch 
weit  gegen  «Nordnieder  I'a  n  d  zurück.  Wenn  man 
indess  bedenkt,  dass  dort  erst  seit  15,  hier  schon  seit 
länger  als  49  Jahren  an  der  Veibesserung  der  Schnleii 
gearbeitet  worden,  dass  hier  ingleich  die  evangelisdif 
Refigion^  ihren  wohlthätigen  Einfluss   auf  die  Sdinle« 


.i 


3i3 

Itets  in  gewissem  Grade  geltend  gemacht,  so  kann  man 
mit  den  bisherigen  Fortschritten  des  sudniederlandw 
sehen  Schulwesens  sehr  zufrieden  fieid«  , 

Das  Verhältniss  beider  TheÜe  des  Königreichs  in 
dieser  Hinsicht  zu  einander  ersieht  man  aus  folgenden 
Vergleichungszahlen)  welche  den  tabellarischen  Ueber« 
sichten  entnommen  sind«  die  der  Minister  des  unter« 
richts  seinem  iiber  das  Schulwesen  des  Jahr  1825  an 
die  Generalstaaten  im  J«  1827  erstatteten  Berichte  bei« 
genügt  hat.      \ 

Nordniederland  hat  10*73  Gemeinden  und  im 

<  .  »  - 

J.  1825  1835  Gemeindeschulen  mit  196,248  Schillern« 

Siidniederland  hat.  2645  Gemeinden  und  im 
J.  1825  2054  Gemeindeschulen  mit  178,722  Schülern. 

Hierzu  kommt  die  Zahl  der  Schiller  auf  Privat-* 
schulen )  in  Nordniederland  53,383  9  in  Südnieder« 
'land  119,858,  so  dass  die  Summe  aller  Schüler  in 
Nordniederland  249,631,  und  in  Südniederland  307,580 
beträgt.  Hiernach  kommen  in  erst^rem  auf  je  1000 
Seelen  1092/^00  Schüler,  und  in  letzterem  79^/ioo.  -" 
Jedoch  besuchen  von  177,365  Kindern,  welche  in  den 
kleinern  Städten  und  Gemeinden  Nordniederlands  un- 
ter 6000  Seelen  des  Winters  Schulunterricht  empfan- 
gen, im  Sommer  nur  135,883  die  Schulen,  so  dasä 
41,482  während  dieser  Zeit  ohne'  Unterricht  sind«.  In 
Südniederland  ist  dies  Verhältniss  noch  starker,  ^o  dass 
daselbst  von  215,524  Winterschülern  nur  84,354  des 
Sommers  Unterricht  erhalten,  also  131,170  denselben 

die  Hälfte  des  Jahres  hindurch  entbehren. 

21  * 


325 


setzen.  Die  Lehrmittel  sind  in  vielen  Schulen  be- 
deutend vermehrt  worden ,  auch  bessere  L  e  h  r  m  e  * 
1  h  o  d  e  n  verbreitet ,  sowohl  durch  die  beiden  Schul- 
lehrerseminare ,  als  auch  vorzüglich  durch  die  soge- 
nannten Normallectioncn  (normale  lessen) ,  wel- 
che nach  Art  unserer  methodologischen  Lehr- 
curse  in  den  meisten  Provinzen  gehalten  werden. 
Schu  1  lehrerverein  e 9  welche  sich  zur  Haltung 
von  Schulconferenzen  verbunden  haben ,  gab  es 
im  J.  1827  364  mit  5316  Mitgliedern.  In  Brüssel 
ist  auch  ein  solcher  Verein  von  Lehrerinnen. 
Ferner  haben  sich  mehrere  Gesellschaften  zur 
Verbesserung  des  Unterrichts  gebildet,  theils 
um  die  gegenseitige  Unterrichtsmethode  zu  verbreiten, 
^vie  in  Brüssel,  theils  um  gute  Schulbücher  drucken 
zu  lassen,  und  wohlfeil  zu  verkaufen  und  dg].,  wie  im. 
Orossherzogthum  Luxemburg,  und  seit  dem  J.  1825 
in  der  Provinz  Namür.  — ^  Die  A rmenschulen, 
llandwerksschulen  und  Mädchenschulen 
werden  sehr  vermehrt,  auch  erhalten  die  königlichen 
P  r  1  m  ä  r  s  c  h  u  I  e  n  (Musterschulen),  welche  in  Südnie- 
derland bestehen,  eine  grössere  Ausdehnung,  und  sol- 
len namentlich  Lehrerinnen  für  die  Mädchenschulen 
bilden  helfen,  weshalb  durch  einen  königl.  Beschluss 
vom  9.  Jul.  1827  20  Stipendien,  für  solche  zu  bilden- 
de Lehrerinnen  gestiftet  worden,  -—  Warlschulen, 
worin  die  kleinen  noch  nicht  schulfähigen  Kinder  auf- 
bewahrt werden,  sogenannte  Mätressen  -  Schalen  (be* 
fffacirsc/iolen)  gibt  es  in  den  grösseren  Städten  viele, 
aber  der   eigentlichen  Kleinkind  er  schul  eh,    wo 


8» 

aacb  dem  Yorbild  der  englischen  InfantachodU  mft 
diesen  kleinen  Kindern  ein  Anfang  in  der  Erziebang 
und  dem  Unterricht  gemacht  wird,  gibt  es  leider  noch 
sehr  wenige,  nur  in  Amsterdam  vnd  BriisseL 
Indess  fühlt  die  Regierung  ihren  hohen  Werih,  vsd 
wirkt  auf  ihre  Vermehrung  hin  *)• 

Nach  dem  ministeriellen  Berichte  von  1829  haben 
die  Gemeinden  snr  Verbessening  des  Cnterrichta  im 
J»  1827  1,052,483  ff.  gegeben,  wovon 

451,811  £!•  für  Bauten  und  Meublimng  der  Sdiiilen» 
375,938  £1.  für  feste  Lehrergehalte» 

58,585  fl.  den  Lehrern  aus  andern  Ursachen» 
120,165  fl.  für  Heizung'  und  andere  Aasgaben. 
Die  Provinzialstaaten  haben    in  demselben   Jahre 
im  diesem  Zwecke  gegeben  06»7O7  fl.,  und  die  Staats-^ 
easse  316,361  fl.»  worunter 

57,061  fl.  für  Bureaukosten  der  SchvlcommtsttOiieii, 
30,342  fl*  für  Normalscbulen» 
6,000  fl.  für  die  Normaliectionen^ 
6,200  fl.  für  die  Lehrervereine, 
159,578  Ifi.  fdr  Lehrerbesoldungen, 
60,712  fl.  Uiiterstüftung  für  Schulbauten  und  Repa* 
raturen,  xh. 

BÄBß  fl.  Gratifikationen, 

*)  Gine  aasführlicbe  Geschichte  der  allmähligen  Ver- 
besserung der  Schulen  und  des  Unterrichts  gekört 
nicht  hierher.  Wer  sie  kennen  zu  lernen  wünscht» 
.  den  rerweise  ich  auf  A.  J.  Berkhput  (Predigers 
>u  Zaandyk)  Pröeve  eener  beknopte  geichiedemSk 
van  Aet  iager  oJKfcrtpyt  im  ong  vmieritmi.     Am»t^dmm 

Ibei/.  r^wr •■«»»■  Äfr.  itn. -j'!^-- "' 


337 


mmt$tm<m 


I 

.    £ioe  besondere  Lichtseite  der  Schiiiorgttiisap*, 
tion  ist  die  Einiicbtung,   diss  sich  die  Schiilconi'^ 
missiooeii  jeder    Provinz    dreimal   jährlich  in   der 
Proviosialhauptstadt  zvl  gemeinsamen  Berathungen  Ter>..  ^ 
sammelt    Diese  können^  nicht  anders  als  wohltfaätig  auf 
das  Schulwesen  der  ganzen  Provinz  wiiJLen, 

Eine  solche  Einrichtung  wird  in  nnserm  Preus- 
sen  noch  schmerzlich  vermisst    £iQ  ähnliches  Zusam-^^ 
qienkommen  der  Schnlpfleger   in  jedem  JRegierungsbe«». 
airle,  etwa  2mal  jährlieh,  um  in  Gemeinschaft  mit  dem     . 
Kegierungs  -  Schulrathe  das  Wohl  der  Schulen  zu  he- 
rathen,  wurde  eine  grössere  Einheit  in  das  Schulweseil  - 
bringen,   deren  Mangel   sehr  nachtheilig  wirkt,   wiirdf 
kräftige  Maassregeln  treflea  nnd  ausführen  lassen,  uni: 
sowohl  das  in  manchen  Schulen  vorzugsweise  bestehen-r 
de  Gute  in  alle  übrigen  zu  verpflanzen,   als  auch  ein-^ 
gerissene  Unordnungen  und  Mbsbräuche   abzuschaffen» 
würde  der  unbegrenzten  *  WiUkühr  .Schranken  <setzeii»T 
womit    z.  B»    jeder   einzelne    Schulpfleger    und    jeder. 
Scbulvorstand  beliebig  Schulbücher  einfuhren  kann,.  «^ 
so   dass  oft  in  B  an   einaiider'  grenzenden  Schulen.  6 
versdiiedene  Lesebücher  eingeführt  sind,  und- Aeltero, 
'welche   mehrmals  .  ihren  Wohnort    verändern .  müssen, 
eben  so  oft  neue  Schulbücher  für  {ihre  Kinder  anzn- . 
achafTcn  genöthigt  sind,  «^  würde  dm  in  den  Schulen 
gegen  andere  vernachlässigten  Unterrichtsgegenständen, 
a.  B.  dem  Kirchengesang,  neuen  Anstess  gefaen,> 
und    sfe   nach    einem  gemeinsamen'   Pl^e    betreiljito.   • 
lasten.»    etc.   etc«,  würdt   eodlidi  auf  .die    Scha||^e-'^ 


-       V» 


328 


■••—■» 


M  Selbst,  und  dadarch  auch  aiiiP  die  SeKallelupCv  und 
Sdinlrorsliuide  neabdebeod  cunwirken.    , 

Die  Ordnnngy  Reinlichkeit,  AaCmerk«« 
sankeit  und  Pffenheit  dcf  Schüler  im  Aalvraf^ 
tUMf  ireidie  ich  in  vielen  Schalen  fand,  habe  ich. cdMNi- 
|»ereits  mehrmals  gerahmt  Auch  die  Gewan^dtlieit 
▼on  vielen  ihrer  Lehrer  im  Unterrichten  und  Erhalten 
det  Ordnung  erkenne  ich  gerne  an.  Indesi  habe  ich 
obd  eben  so  wenig  verschweigen  können,'  dast  ieh  ni 
andern  Schalen  viele  Unordnang  fand,  und  grossen 
Mangel  an  Gewandtheit  und  Geschick,  die  andern 
Bossen,  welche  der  Lehrer  n|cht  eben  selbst  unterriieh«r 
täte,  gehörig  zu  beschäftigen.  Da  nun  gar  viele  Ge« 
ii^einden  nicht  im  Stande  öind,  wenn  die  Zahl  Ihrer 
Sehalkinder  sich  über  70  erstreckt,  einen  «weiten  Leh- 
rtfpy'wie  die  Schulordnang  vorschreibt,  an  besolden,  so 
würde  es  für  die  Ordnung ,  wie  für  das  Lernen  der 
Schüler  sehr  wohlthätig  sein,  wenn  das  englische  Mot 
nitOF-System  der  wechselseitigen  Unterrichtsmetho^ 
de  ia  aosgedebiiterem  .Umfange,  als  bisher,  in  den  nie- 
derländischen Schulen  benutzt  würde*  Benutzt,  tage 
idi,  nicht  sclavisch  übertragen,  nicht  in  allen  i^en 
TheO^  angenommen,  nicht  angewandt  auf  das  Ldureii 
der  I^iblischen  Geschichte,  der  Religion,* 
der  Erdbeschreibung,  des  Singens  und  dgL, 
Aber  da  es  in  jeder  Elementarschule  noch  so  mand» 
andere  UntecHchtsgegenstande  gibt,  welche  nur  dmch 
Gedächtttisa  und  Uebnng  suv  Fertigkeit  gebracht  trcr«^ 
den,  als  Leaenr,  »chreiben.  Rechnen,  Zeich«» 
ifii^  nnd  d|^^TM».wiir(^  «ine  veniialtige,  seihst  iA 


329 

diesen  Gegenständen  nur  bis  za,  einer  gewissen  Stufe 
sich  erstreckende  Anwendung  des  Unterrichtens  durch 
die  fähigsten  Schuler  die  Kinder  aller  Klassen  gleich-t 
massiger  beschäftigen,  welches  doch  die.  wenigsten  Leh- 
rer iiir  sich  allein  vermögen;  die  Selbstthätigkcit  des 
kindlichen  Geistes  würde  mehr  angeregt  und  unterhalb 
ten;  die  Kinder  lernten  besser  verstehen,  was  sie  ge« 
lernt,  (docendo  dlsanius)  -r-^  was  freilich  die  eitle 
Selbstgefölligkeit  so  manches  Lehrers  nicht  einsieht 
der  nicht  fühlt ,  dass  er  bei  seiner  Magistralform 
(wie  der  verdienstvolle  Pater  GiRARD  in  seiner  treff- 
lichen ersten  Denkschrift  über  die  Unterrichtsformea 
die  Form  nennt,  wo  der  Lehrer  das  alleinige  Orgaa 
des  Unterrichts  Ist),  sehr  oft  von  einem  Theii  s^ner 
Schüler  nicht  verstanden  wird,  da  sein  Unterricht  nicht 
ihqen  allen,  die  so^  vielfach  in  Fähigkeiten  von  einan- 
der abstehen,  zugleich  angepasst  werden,  und  er  meist 
nicht  sie  alle  prüfen  kann,  ob  sie  ihn  verstanden;  — 
die  individuelle  Anpassung  des  häuslichen  Unterrichts 
vrürde  mit  der  Lebendigkeit  des  öffentlichea  Unter« 
richts  verbunden;  endlich,  was  mir  der  wichtigste  Vpr« 
zug  scheint,  das  Lehrtalent  würde  in  den  Kindern  entn 
wickelt.  Denn  v  aus  diesen  Schülern  werden  mit  der 
Zeit  Väter  und  Mütter ;  diese  aber  sind  dem  Kinde 
von  Gott  als  die  ersten  Lehrer  angewiesen.  Woher 
anders  aber  kommt  die  so  verderbliche  Planlosigkeit 
^imd  Mangelhaftigkeit  in  dem  Erziehen  und  Unterrich- 
ten der  meisten  Aeltern,  als  weil  sie  selbst  nicht  ge- 
lehrt wordep  siad,  wi^  zu  erziehen  mi  ^^  leh-e 
iren?  — 


♦     # 


1      » 


c- 


*■. 


330 


Audi  in  den  aclsten. unserer  devtichen,  Tor- 
sS^ch  Landschulen,  wo  ja  gewöhnlich  doraelbe 
Fehler  herrscht»  das&  der  allein  stehende  Lehrer  nicht 
allcto Klassen  »igleich  gehörig  beschäftigen  kann,  wurde 
solche  yernfinftige  Benutzung  obigen  Sjstems  sehr  wohl- 
tfaätig  wirken*)»—  Mehrere«  hierüber  wird. in  dem  fol- 
genden England  betreffenden  Tbeile  bei  der  Bar- 
slellang  der  LANCASTERschen  und  BBJ^Mciiea 
Schulen  ▼orkommen. 

Eine  andere  Schattenseite  in  den  nmderlän» 
dischen  Schulen  ist  'wohl  zu  nennen  die  Vernadinissi-, 
gung  der  Formenlehre,  des  Singens  und  des 
Zeichnens,  da  sie  doch  so  bildend  auf  den  Ver* 
stand,  das  Gemiith  und  den  Geschmack  wirken«  Da 
ohnehin  ein  Kartenaeichnen  statt  findet,  so  könnte  dei; 
Zdchnenuntemcht.  leicht  mehr  ausgedehnt  werden. 

Ein  Fehler,  der  mehr  die  Schulorganisation  be-« 
trifll,  ist  der,  dass  nicht  der  geringste  Schulzwang« 
Torhanden  isjt,.  und  somit  der  Schulbesuch  nicht  die 
Yolbtändigkeit  wie  in  andern  Ländern  z.B.  Deutsch- 
land, der  Schwifiz  u,  a.  erreichen  kann.  Die  unbe- 
dingte Freihät,  die  Kinder  zur  Schule  zu  schicken, 
oder  nicht,  wird  alsdann  von  der  grossen  Anzahl  an- 
▼eralindiger  und  eigennütziger  Aeltern  in  der  Regel 
dazu  missbraucht,    die  Kinder  mechanisch  zu  ihrem  ir-. 


f^)  Auch  NiEME^YBR  im  .11.  Bande  seiner  BeobachtniH 
gen  auf  Reisen  in  und  ausser  Deutschland  S.  1&5. 
150.  erklärt  sich  dafür,  däss  dies  System  in  unam' 
ikehtrfer  mehr  benutzt  >¥«rden  müsse,. ab  bisher  ge^  . 
schehen.  ~     • 


'  .J 


331 

Jiscben  Vortheil  abzuricbten^  und  roh  aufwachsen  zo 
lassen,  gegen  ihr  eigenes  und  der  Kinder  wahres  Wohl 
wie  gegen  das  Wohl  des  Staates.  — 

Auch  in  unserer  Provinz  ist  daher  seit  einigen 
Jahren  Schalzwang  eingeführt  worden  9  -und  es  ist  nur 
zu  bedauern,  dass  er  bei  weitem  nicht  strenge  genug 
gehandhabt  wird. 

Noch  zwei  grössere  und  verderblichere  Gebrechen 
gibt  es  aber,  an  welchen  das  Innere  des  niederländi- 
sehen  Schulwesens  leidet. 

Das  erste  Gebrechen  ist  die  in  den  meisten 
Schulen  vorherrschende  Anregung  des  £hrgeizes 
als  des  Haupthebels,  um  die  ILinder  zum  Fleiss  und 
guten  Betragen  zu  vermögen.  — -  Die  gewöhnlichsten 
der  vielen  Mittel,  durch  welche  dieser  sinnliche  Ehr- 
trieb in  den  Schulen  übermässig  genährt  und  gepflegt 
vird,  die  Seh  and-  und  Ehrentafeln,  die  Aus- 
theilung  von  Kärtchen,  um  Preise  erringen  zu  las- 
sen, habe  ich  S.  56  und  im  I.  Band  S.  321  —  323 
angeführt.  Die  Gesellschaft  zum  Gemeinwohl 
liat  vorzüglich  dieses  Preissystem  ausgebildet,  und  durch 
ihre  Departementalschulen  über  ganz  Mordnieder- 
land  verbreitet* 

Dass  die  Aufmerksamkeit  und  Regsamkeit  der 
Schüler  durch  dies  beständige  Vorhalten  der  Hoffnung 
auf  äussere,  sinnliche  Belohnungen  befördert  wird,  will 
ich  nicht  läugnen.  Wird  dadurch  aber  so  viel  gewon- 
nen, als  der  Seele  des  Kindes  dadurch  geschadet  wird, 
dass  der  von  Natur  darin  liegende  unreine  Funke  des 
Ehrgeizes,  statt  ihn  mit  aller  Macht  zu   dämpf(Hi  and. 


38g 

SO  ersticken,  wie  die  Sdirift  gebietet,  vielmehr  mit  9lU 
1er  Macht  angefacht  wird  %vl  einem  wilden  Feuer,  das, 
alle  Keime  der  Demnth  and  AnSprachlosigkeit  yerseh^ 
rend,  die  ganze  Seele  mit  Untaaterkeit  füllet,  an  nei- 
disches, hoch&hrendes,  eigeüsiichtiges  Streben  nach  un 
discher  Ehre,  Genoss  and  Belohnung  xnr  Grandcfch» 
long  seines  Lebens  macht,  and  die  höheren  Triehfe« 
dan>  das  Streben  nach  Ehre  bei  Gott,  nach  dem  Bei- 
ftll  seln^  Gewissens  and  nach  Beförderang  der  Ehre 
seines  Heilandes  anterdriickt  ? 

S^hr  wahr  sagt  in  dieser  Beziehitfig  J«  C,  Zell« 
W£GER,  Präsident  der  Cantonsschale  yen  *  Appenzell 
aasser  Rohden  in  seinem  JNieuen  Verhandlangen  der 
schweizerischen  gemeinnützigen  Gesellscbaft  iiber  Erzie- 
hangswesen,  Gewerbfleiss  and  Armenpflege  HL  Band 
ZSrich  182T  S.  257  £C;  „Es  liegt  Id  der  Sache,  dass 
„das  Kind  dasjenige,  was  'ihm  als  Preis  des  FleisseS' 
„and  der  guten  Handlungen  dargeboten  wird,  aber  aU 
yjles  hochschätze.  Daher  ^  wenn  dem  Kinde  Leckerbis- 
„sen  als  Preis  dargeboten  werden^  so  wird  es  gewiss 
„sinnlich*  Eitelkeit  wird  bei  ihm  vorherrschend,  wena 
„schöne  Kleider  ihm  zur  Belohnung  gegeben  werden, 
„Genusssucht  wird  die  Folge  sein,  wena  Belastigangen 
^,die  Begleiterinnen  der  Pflichttreue  sind,  and  eben  so 
yywerden  durch  Belohnungen  an  Geld  oder  Ehre  dar 
„Geld-  oder  Ehrgeiz  eingeprägt  Ist  es  aber  nidii 
„eine  Sünde  an  deir  Religion  and  an  der  Menschheltir 
„wenn  wir  alles  Mögliche  anwenden,  diejenigen  Ld-  .' 
„denschaften  dem  Kinde  anzuerziehen,  welche  von  der 
»ReUgioQ  gemiisbiUigt  werden ,  and  gegen  die  pt  «am 


333 

$^ganzes  Leben  dntch  kämpfen  soll?  Ist  das  nicht  eine 
„Inconsequenz,  deren  Verantwortung  schwer  auf  nn- 
9,serm  Gewissen  lasten  soll?  -Schon  Locke  und  seit 
9,ihm  eine  Menge  Philosophen  und  Erzieher,  haben  die 
,,Aeltern  aufmerksam  gemacht ,  wie  sie  durch  ein  isol- 
9,ches  Benehmen  den  Kindern  die  Laster  und  Fehler 
,,lehren»  Warum  wollen  wir  denn  die  Schulen ,  diese 
,,£rziehungs- Anstalten,  welche  auf  das  ganze  Volk 
,,wirken,  zu  Uebungsstätten  der  Leidenschaften  und 
,,Lehrstätten  des  Lasters  einrichten?  — >  Glaubt  man 
,,ctwa,  es  gebe  keine  andere  unschuldige  Mittel,  die 
9,Kinder  zur  Erfdliung  ihrer  Pflicht  zu  leiten?  Man 
9,versnche  es,  und  gewiss  wird  sich  die  Gottähnlicfakeit 
„im  Kinde  aussprechen.  $ollte  der  göttliche  Stifter 
„unserer  Religion  umsonst  gesagt  haben:  £s  sei  denn, 
„dass  ihr  werdet  wie  die  Kinder,  sp  werdet  ihr  nicht 
„in  das  Himmelreich  kommen?  etc»  Mir  scheint  nn« 
„zweideutig,  dass  die  Belohnungen  mit  Geld  und  Ehre 
„den  Durst  nach  diesen  Gütern,  das  Princip  der  Nach- 
„eiferung,  durch  die  ganze  Erziehung  durchgeführt, 
„jenen  Geist  der  Unruhe  in  Genf  wie  in  Frank- 
„reich  erzeugen  mussten,  der  in  den  meisten  Herzen 
„Unzufriedenheit  zurücklässt,  so  lange  man  Höhere 
„über  sich  stehen  sieht  Sollte  daher  nicht  dieses 
9,Princip  der  Nacheiferung  als  eine  der  wichtig  mltwir- 
9,kenden  Ursachen  der  französischen  Revolution  und 
„der  Genfischen  Unruhen,  jenes  nngliickbringenden 
„Strebens,  Jeden  von  seinem  Platz  zu  verdrängen,  um 
„sich  an  seine  Stelle  zu  setzen,  angesehen  werden  kön- 
„nen?    Nac  Eine  Art  Nacheifernng  ist  immer 


i 


334 


'i-^ 


"      \ 


^nützlich,  und  niemab  schädlich»  der  Nadieifeiv 
^miserm  Heflande  ähnKch  m  werden.  Diesen  beför- 
,,dere  man  bei  den  Kindern!  Dieses  Master  der  voll* 
,,lommensten  Tagend,  der  höchsten  Liebe,  der  gr^jssten 
,,Standhaftigkeit ,  der  gänzlichen  Ringebang,  der  nnbe« 
„grenzesten  Pflichttreae » ,  der  erprobtesten  'Webheiti 
'„dieses  ist  ein  der  Nacheiferang  würdiges  Beitel«. 
„Dieses  kann  man  dem  Kinde  ohne  die' geringste  Ge* 
„fiihr  als  Master  vorstellen,  dem  es  nachstreben  soU, 
„and  je  mehr  Eifer  es  dabei  entwickeln  wird  ^  desto 
„glücklicher  wird  en  werden.**  .  • 

Uebereinstimmend  mit  diesen  Ansichten  von  den 
h(khst  verderblichen  Wirkungen  jenes  Naehttferongt^ 
iPrincips  kann  ich  nicht  nnihin  cn  gestehen,  dass  an  dtf 
Veiten,  sehr  weiten  Verbreitung  der  Eitelkeit  nnd  At^ 
ilasdie)is  nach  äusserer  Ehre»  welche  jch  in  Holland 
gefunden  habe,  mir  dies  Herrschen  jenes  tanlanteren 
Princips  in  den  Schalen  nicht  wenig  beigetragen  xa 
•  haben  scheint. 

Manche  Schullehrer  haben  auch  bereits  die  Ter« 
derblichkeit  dieses  Princips  eingesehen ,  nnd ,  wie  mir 
mehrere  derselben  in  Friesland  und  Gelder'land 
versicherten,  dasselbe  aus  ihren  Schulen  entfiornt 
s  Selbst  in  Schriften  haben  sich  mehrere  gewicht^ 
Stimmen  dagegen  erhoben.  Unter  ihnen  hat  am  ünt*?  , 
^ten  Aufsehen  erregt  die  Schrift  des  um  das  niem* 
Bndische  Schulwesen  seit  langer  Zeit  verdienten',  aoflck 
schon  oben  erwähnten  Pfarrers  und  Schulinspectota. 
H.  W.  d  A.  YissER  in  seiner  Sehrift:  Be  porming 
itr  Jetigd  iioor  opanfyhe  m  p&rgtfy/mnde  Bähonmgm 


■1 


r- 


335 

4 

■  ■<■        ■  ■    ■    ^1  •■ 

wn  Straßen  mti  Esr  ^n  Schande,  Amsterdam  b^i 
P.  M.  Warnars  1824,  Er  seigt  hierin  den  nachthel- 
■ligen  Eipflass  dieses  Systems  der  Aufregang  des  £hr^ 
geizes  auf  die  Herzen  der  Kinder,  auf  ihre  Sittlichkeit^ 
uri4  thut  dar,  dass  eben  so  ungerecht  sei,  bei  den  ver^ 
schied^nen  Anlagen  der  Kinder,  sie  mit  einander,  und 
nicht  bloss  mit  sich  selbst  za  vergleichen,  als  unver^ 
nünftig,  ihnen  Verdienest  zuzuschreiben ,  und  sie  beson- 
derer Belohnungen  vürdig  zn  erklären,  wenn  sie  doch 
nur  ihre  Schuldigkeit  thun,  und  bloss  fiir  sich  selbst 
arbeiten,  ohne  Aufopferung  für  Andrer  Wohl  (S«  30« 
31).  Er  thut  ferner  dar,  dass  der  Stachel  des  Ehrgei- 
xes,  selbst  wenn  nur  theilweise  und  als  blosses  Hulfi- 
mittel  angewandt,  schädlich  wirke,  und  später  nicht 
mehr  vom  Lehrer  nach  Gefallen  aus  des  Kindes  Her- 
ten weggenommen  und  durch  höhere  Motive  vertauscht 
mrerden  Icönne,  wenn  das  Herz  einmal  dadurch  unlauter 
geworden  sei* 

Schade  nur,  dass  er,  indem  er  diesen  ein  eil 
ialschen  Grundsatz  der  philanthropinischen 
,  Schule  glücklich  bekämpft ,  ihren  andern  durch  die 
Schrift  und  Erfahrung  widerlegten  Irrthum  festhält,  dass  * 
des  Kindes  Herz  von  Natur  gut  sei,  und  die  bösen 
Triebe,  so  auch  der  Trieb  des  Ehrgeizes  erst  durch 
-den  Geist  der  menschlichen  Gesellschaft  und  durch  die 
Menschen  in  dasselbe  gelegt  wSrden  (S*  37).  Der 
Stachel  der  Ehrsucht  sei  daher  im  Anfang  etwas  ganz 
Fremdes  fiir  das  Kind  (S.  40)  und  mit  seiner  Natur 
etreitig«  Das  Kind  brauche  nur  als  vernünftiges  und 
tittliches  Wesen  entwickelt  za  werden,    gute  Verhält- 


s 


836 

hisse  und  Exempel  in  seiner  Jagend  zn  getaiesseü,  so 
könne  der  Lehrer  unwiderstehlich  auf  das  Kind  wirken, 
und  es  zu  allem  Guten  und  Edlen  bilden  (S.  79). 
Die  Entwickelang  der  Liebe  zu  den  Aeltern  und  dem 
Lehrer  sei  das  einzige,  was  der  Lehrer  näthig  habe, 
lu  thun,  am  alles  bei  den  Schülern  auszurichten,  alle 
Strafen  und  Belohnungen  würden  dadurch  überflüssig 
(S*  90)»  Er  geht  daher  so  weit,  dass  er  zu  keiner  Zeit 
und  unter  keinen  Verhältnissen  ein  Kind  auch  nur  ror 
den  Mitschülern  öffentlich  getadelt  wissen  will,  danut 
sein  sittliches  Grefühl  nicht  gekränkt  werde«  Sondern, 
wenn  z.  B.  zwei  Kinder  mit  einander  plaudern,  soll 
der  Lehrer,  statt  sie  öffentlich  zurechtzuweisen,  ihnen 
aufgeben^  ein  Gespräch  niederzuschreiben,  das  sich  auf 
die  Plauderhaftigkeit  beziehe,  damit  sie  hierdurch  ihren 
Fehler  fühlen«  Oder  er  schreibe,  wenn  ein  Fehler  von 
Mehreren  begangen  worden,  an  die  Tafel  die  Haupt- 
sache, ohne  specielle  Anspielung  auf  das  Geschehene, 
und  lasse  sie  einen  Aufsatz  darüber  machen  (S.  lOO)*  — 
So  verfehlt  auch  er,  *—  ich.  will  nicht  einmal  dtf* 
von  reden,  dass  diese  überzarte  Handlungswei^re  oft 
nicht  anwendbar  ist,  und  viel  zu  viele  Zeit  wegnimmt 
—  den  rechten  Weg  der  Schubocht,  indem  er  das 
sittliche  Zartgefühl  und  die  guten  Keime  des  Kindes 
überschätzt,  die  in  ihm  liegenden  bösen  dagegen  ver- 
kennt, im  Widersprach  mit  der  Schrift,  dass  das  Diehf- 
ten  des  Herzens  böse  ist  von  Jagend  auf.  So  fasst 
auch  er  die  Kindlein  nicht  zu  Jesu  kommen^  dass 
dankbare  Liebe  zu  ihrem  Erlöser  ihr  Herz  rühre,  die  ab 
der  stärkste  und  allein  bleibend  anziehende  Magnet  sie 


337  •, 

# 

2u  seiner  Nachfolge,  und  somit  auch  zar  Tugead  de^ 
Fleisses  und  des  gaten  Betragens  treibt,  ^o  lässt  et 
sie  unbekannt  mit  i^ren  gefährlichsten  Feinden ,  den 
bösen  Lüsten  Ihres  Herzens,  wie  mit  der  PlauptwafTe 
dagegen  ,  mit  dem  Bitten  um  den  h.  Geist.  So  weist 
er  sie  von  Christo  weg,  indem  er  sie  immer  nur  auf 
sich  selbst,  auf  Ihre  eigene  Kraft  hinweist  *). 

Das  zweite  Hanptgebrechen,  woran  das  In- 
nere des  Schulwesens  leidet,  Ist,  dass  die  Schulen  fast 
alles  religiösen  Elementes  entbehren,  und  aus  aller,  Be- 
ziehung tM  der  Kirche  losgerissen  sind. 

Harnisch  sagt:  „Allgemein  wird  es  anerlanntj 
dass  in  jeder  Volksschule  der  Unterricht  im  Ghri-> 
stenthume  der  wichtigste  Unterrichtsgegenstand 
„sei;  und  wer  es  nicht  anerkennen  wollte,  würde  sich 
^^selbst   schämen,     so    etwas    auszusprechen"**)*    Der 


55 


*)  Welches' die  allein  richtige  ächulzücKt  Sei,  das^ 
dies  die  räterlicll-strenge  Zucht  nach  dem  Bll^ 
de  Gottes  in  seiner  Erziehung  'des  Menschenge-, 
schlechts,  \i'ie  die  h.  Schrift  diese  offenbart,  sei, 
wird  in  der  trefflichen  Schrift:  Lehren  der  Erfah- 
rung für  christliche  Land-  und  Armenschullehrer, 
im  IIL  Bande,  welcher  die  Schulzucht  enthält^ 
Ton  Ch.  H.  Zeller,  Schulinspektor  zu  Brug- 
gen,  aufs  überzeugendste  nachgewiesen, 

**)  Anweisung  zum  Unterricht  im  ChristentKum ,  voil 
W.  HaKnisch,  Direktor  des  SchuUehrerseminarä 
zu  Weissenfeis.  S.  1.  Halle  Anton  1828.—  Auch 
in  Beckedorffs  Jahrbüchern  des  Preussischen 
Volksschulwesens  1825  I.  Band  III.  Heft  S.  285 
heisst  es:  „Der  Religionsunterricht  ist  in  der 
Schule  die  Hauptsache, <' 
II.  22 


836 


tiisse  und  Exempel  in  seiner  Jagend  zn  getaiesseü,  so 
könne  der  Lehrer  nnwiderstehlich  auf  das  Kind  wirken, 
nnd  es  zu  allem  Guten  und  Edlen  bilden  (S;  79). 
Die  Entwickelang  der  Liebe  zu  den  Aeltern  und  dem 
Lehrer  sei  das  einzige,  was  der  Lehrer  nöthig  habe, 
in  thnn,  am  alles  bei  den  Schülern  anszorichten,  adle 
Strafen  and  Belohnungen  würden  dadurch  iiberfi&ssig 
(S*  90)»  Er  geht  daher  so  weit,  dass  er  za  keiner  Zet 
und  anter  keinen  Verhältnissen  ein  Kind  aach  nur  ror 
den  Mitschülern  öffentlich  getadelt  wissen  will,  damit 
sein  sittliches  Gefühl  nicht  gekränkt  werde«  Sondern, 
wenn  z.  B,  zwei  Kinder  mit  einander  plaudern,  soll 
der  Lehrer,  statt  sie  öffentlich  zurechtzuweisen, .  ihnen 
aufgeben^  ein  Gespräch  niederzuschreiben,  das  sich  auf 
die  Planderhaftigkeit  beziehe,  damit  sie  hierdurch  ihren 
Fehler  fühlen«  Oder  er  schreibe,  wenn  ein  Fehler  von 
Mehreren  begangen  worden,  an  die  Tafel  die  Haupt- 
sache, ohne  specielle  Anspielung  auf  das  Geschehene, 
nnd  lasse  sie  einen  Aufsatz  darüber  machen  (S.  100)*  — 
So  verfehlt  auch  er,  •—  ich.  will  nicht  einmal  dtf* 
von  reden,  dass  diese  überzarte  Handlungswei^re  oft 
nicht  anwendbar  ist,  und  viel  zu  viele  Zeit  wegnimmt 
—  den  rechten  Weg  der  Schulzocht,  indem  er  das 
sittliche  Zartgefühl  and  die  guten  Keime  des  Kindes 
überschätzt,  die  in  ihm  liegenden  bösen  dagegen  ver- 
kennt, im  Widerspruch  mit  der  Schrift,  dass  das  Dieb- 
ten  des  Herzens  böse  ist  von  Jugend  auf.  So  Tasst 
auch  er  die  Kindlein  nicht  zu  Jesu  kommen^  dass 
dankbare  Liebe  zu  ihrem  Erlöser  ihr  Herz  rühre^  dit  ab 
der  stärkste  nnd  allein  bleibend  anziehende  Magnet  sie 


337  •. 

» 

seiner  Nachfolge,  und  somit  auch  zdr  Tugead  de^ 
eisses  und  des  guten  Betragens  treibt,  ^o  lässt  et 
i  unbekannt  mit  i^ren  gefährlichsten  Feinden,  den 
Isen  Lüsten  Ihres  Herzens,  wie  mit  der  PlanptwafTe 
igegen  ,  mit  dem  Bitten  um  den  h.  Geist.    So  weist 

sie  von  Christo  Weg,  indem  er  sie  immer  nur  auf 
:h  seihst,  auf  ihre  eigene  Kraft  hinweist  *). 

Das  zweite  Hauptgebrechen,  woran  das  In- 
ire  des  Schulwesens  leidet,  ist,  dass  die  Schulen  fast 
les  religiösen  Elementes  entbehren,  und  aus  aller,  Be- 
ehung  tiu  der  Kirche  losgerissen  sind. 

Harnisch  sagt:  „Allgemein  wird  es  anerlanntj 
lass  in  jeder  Volksschnle  der  Unterricht  im  Ghri- 
stenthume  der  wichtigste  Unterrichtsgegenstand 
ei;  und  wer  es  nicht  anerkennen  wollte,  würde  sich 
lelbst   schämen,     so    etwas    auszusprechen"**)*    Der 


*)  Welches' die  allein  tictitigö  ächulzücKt  Sei,  das4 
dies  die  räterlicllrstrenge  Zucht  nach  dem  Bil- 
de Gottes  in  seiner  Erziehung  'des  Menschenge- 
schlechts, \i'ie  die  h.  Schrift  diese  offenbart,  sei, 
wird  in  der  trefflichen  Schrift:  Lehren  der  Erfah- 
rung für  christliche  Land  -  und  AiiuenschuUehrer, 
im  111.  Bande,  welcher  die  Schulzucht  enthält, 
Ton  Ch.  H.  Zeller,  Schulinspektor  zu  Brug- 
gen,  aufs  überzeugendste  nachgewiesen, 

**)  Anweisung  zUm  Unterricht  im  ChristentKum ,  voil 
W.  HaKnisCh,  Direktor  des  Schullehrerseminarä 
zu  Weissenfeis.  S.  1.  Halle  Anton  1828.—  Auch 
in  Beckedorffs  Jahrbüchern  des  Preussischen 
Volksschulwesens  1825  I.  Band  III.  Heft  S.  285 
heisst  es:  >,Der  Religionsunterricht  ist  in  der 
Schule  die  Hauptsache. <' 
II.  22 


338 

Geist  des  Unglaubens  aber,  der  seit  der  französischen 
'Revolution  von  Frankreich  aus  iiber  so  viele  Länder 
kam 9  erkannte  weder  dies  an,  noch  schämte  sich,  es 
auszusprechen.  Unter  dem  Einfluss  dieses  Geistes  wur- 
den die  organischen  Gesetze  für  das  Schulwesen  Hol- 
lands gegeben»  Jammer,  dass,  als  seit  der  Bestanra- 
tiön  ein  besserer  Geist  von  der  höchsten  Behörde  aus- 
ging, die  Schulgesetze  nicht  in  diesem  Geiste  modifl- 
c;irt  wurden! 

Wie  oben  bemerkt,  ist  nicht  einmal  das  Gebet 
den  Schulen  für  jeden  Tag  vorgeschrieben,  geschieht 
daher  auch  in  vielen  Schulen  nicht  täglich;  das.  Bi- 
bellesen ist  selbst  aus  den  rein  evangelischen  Schu- 
len verbannt;  die  Scfaullesebiicher  athmen  meist 
einen  nichts  weniger  als  christlichen  Geist;  aus  dem 
Katechismus  darf  nichts  gelernt  w'erdtö;  Beli- 
gionsunterricht  findet  nicht  statt,  und  biblische 
Geschichte  nur  Einmal  wöchentlich ,  in  manchen 
Schulen  gar  nicht»  Wie  selten  diese  aber  auf  die 
rechte  Weise  gelehrt  wird^  lässt  sich  theils  aus  dem 
Geiste  der  BScher  abnehmen,  welche  hierbei  zum  Leit- 
faden dienen,  worin  oft  Christus  bloss  als  der  sittlich- 
ste Menschenfreund  und  der  grosseste  Wunderthäter 
dargestellt,  aber  seines  Hauptzwecks:  seiner  Versöhnung 
der  siindigen  Menschheit  mitGott^  gar  nichts  oder  no^ 
beiläufig  erwähnt  wird*},,  theils  daraus^  das«  der  grösste 


*)  Sd  fand  ich  es  z.  B.  in  dem  vielgebrauchten  Buch<f: 
De  G0iehigäemi$  van  Jest^u,  eem  täethoek  veor  Kimde' 
rim^  d00r  J^  A,  Oosi?K4MT*  Groningen  bei  OoM" 
KJska  18^3« 


339. 

Theil  der  SchulleHrer,  welche  bloss  Von  Schullehrerii 
heraDgebildet  werden,  entweder  gar  nicht,  oder  doch 
nur  dürftig  von  denselben  darin  unterrichtet  wird,  wie 
denn  auch  kein  Lehrer,  weder  bei  den  vergleichenden 
Prüfungen,  noch  selbst  bei  dem  Antritt  seines  ersten 
Schul-Amtes  in  der  biblischen  Geschichte  geprüft  wird. 
Nach  Art.  II.  der  Verordnung  über  die  Prüfungen 
der  Schulamtskandidateil  besteht  die  ganze  Prüfung 
über  religiöse  Gegenstande  in  nichtsi  weiter,  als  dass 
am  Schluss  des  Examens  einige  Frageü  an  sie  gethaü 
werden  über  das  Anleiten  des  Verstandes  der  Kinder 
zur  christlichen  Tugendbetrachtung^  öAet  wie 
Art.  V.  in  den  später  erschienenen  Bestiniitiuiigett 
über  die  Prüfungen  in  Südniederland  es  noch 
schwächer  ausdrückt:  zur  religiösen  Tugend betrach^ 
tung,  um  auch  die  letzte  Spur  des  Christlichen  zu  ver-> 
wischen.  Dazu  kommt,  dass  die  bloss  von  Schulleh- 
rern zum  Schulamte  Herangebildeten ,  ebenso  die 
nicht-reformirten  Seminaristen  zu  Hartem  gar 
keinen  höheren  Religionsunterricht,  die  reformirten  Se- 
minaristen ihn  aber  nicht  einmal  von  einem  Geistlichen 
erhalten.  Die  Religion  wird  «o  wenig  in  Betracht  ge- 
zogen, dass  nach  dem  Schulgesetze  katholischem 
Schullehrer  rein  evangelischen  Schulen,  und  um- 
gekehrt evangelische  Lehrer  rein  katholischen 
Schulen  vorgesetzt  werden  können,  und  nur  die  Furcht 
vor  der  öffentlichen  Meinung  es  in  det  Regel  nicht 
zulässt. 

Die  Losreissung  der  Schule  von  aller  Verbindung 
mit  der  Kirche  ist  so  gross,  däss  der  Pfarrer  als  Pfarrei^ 

22* 


,    34Q         , 

nicht  einmal  Mitglied  des  Schalvoi^landes  iiber  sieine 
Pfilitschnle,  viel  weniger  Vorsitzer  des  Schnlvorstandes 
ist,  also  nicht  das  geringste  Aufsichtsrecht  über  die 
Schale  hat,  wenn  er  nicht  etwa  vom  Schulinspector  su 
der' von  demselben,  beliebig  gebildeten  Localschulin- 
fpection  mit  herangezogen  worden  ist*  So  darf  der 
Yiater  der  Gemeinde  sich  nicht  um  die  ErziehnngS'^ 
und  Unterrichtsweise  seiner  Kinder  in  der  Schale  be« 
IcSmmem,  darf  sich  nicht  mit  dem  Lehrer  von  Amts- 
wegen über  dessen  Lehrweise  benehmen ,  noch  ihn^  mit 
Rath  nnterstutzen,  sondern  muss  ihm  seine  Kinder,  für 
die  er  doch  aach 'einst  muss  Rechenschaft  geben>  wäh- 
rend der  bildsamsten  Lebenszeit  blindlings  überlassen. 

Hierzn  kommt,  dass  die  Schulinspectoren 
von  der  Regiemng  in  der  Regel  nicht  ans  den  Pfar- 
rern erwählt  werden,  welche  doch  darch  ihre  Stellung 
und  ihren  Beruf  die  naturlichsten  Wächter  und  Pfle- 
ger der  Schulen  sind,  und  in  fast  allen  christlichen 
Upndern  dafür  anerkannt  werden,  sondern  gewöhnlich 
ans  den  Kauflenten  und  andern  gebildeten  Laien,  und 
zwar  ans  dem  oben  angeführten  Grunde. 

Die  Regierung  sah  nicht  ein,  dass  ihr  Zweck,  die 
Aufklärung  des  Yoiks,  nHitientlich  in  Südnieder- 
liind,  nicht  gelingen  konnte  durch  Veranlassung. eines 
soldben  unnatürlichen  Verhältnisses,  der  Losreissung  der 
Toditer  von  den  Brüsten  der  Mutter,  und  durch  aus* 
schliessliche  Uebergebnng  derselben  an  einö  fremde 
Amme.  Die  Erbitterung  der  katholischen  Kirche  über . 
eine  solche  Ungerechtigkeit,,  und  somit  auch  des  Vol- 
k€S|  da  sie  -hundert  Wege  hat,  dessen  Gemütfaer  gegea 


-^* 


I» 


341 

den  Staat  auf^aregen,*  uod  ibr  Widerstreben  gegen  die 
Verordnaogen  desselben  musste  bi^rdarch  wacbsen«  So 
fand   icb   im   J.  1827  in    der  katboliscbeu   Scbnle  lu 
V  i  l  V  o  o  r  d  bei,  Brüssel  ein   gedrucktes  Randscbreibeii 
des    Scbulinspectors )     eines    katboliscben    Pfarrers   m 
Lrüssel,   an  alle  Scbollehrer  seines   Kreises,   worin  er 
sie.  aufs   nacbdnicklicbste   auffordert,    die  Scbiiler  den 
katboliscben  Katecbismus,  als  Vorbereitung  fiir  den  Re- 
ligtonsunterricbt  der  Pfarrer,   auswendig  lernen  zu  las- 
sen.   Eine   doch  ypü^T^iiicbt  unbillige  Forderung   der  . 
Kircbe^  an  die  Scbule,   weil  das  auswendig  Leraen  las^ 
sen  des  Katecbismus   durch   d^n   Schullehrer   kein  Un- 
terrichten in  der  confessionellen  Glaubenslehre  ist,  wel- 
che der  Art.  23»  des  Schulreglements  mit  Recht  au^ 
den  Lehrgegenständen  der  Schule  verweist,   und   weil 
es  für  den  confessionellen  Religionsunterricht  ^er  Geiste 
liehen  sehr  wohlthätig  vorbereitet,   wenn  die   Schulzeit 
benutzt  wird,   um  dem  grade  in  diesen  Jahren  so  em- 
pfänglichen   Gedächtnisse    der  Kinder  jenen   wichtigea 
Lehrstoff  einzi^prägen.      Als   ich    in   Harlem    diese 
Thatsache  von  Vilvoord  erzählte,    und  fragte,   ob  das 
Schulgesetz   nicht  jenes  Auswendiglernen  Ae&  Katechis-i 
mus  in  der  Schule  verbiete,   antwortete  man  bejahend,^ 
und   bemerkte,   man    müsse  eben   diese   und  ähnliche 
Ueb  er  tretungen    des   Gesetzes    in    Sudiiiederland 
ignoriren. 

Keineswegs  will  ich  mit  vorstehendem  Tadel  einer 
Freiheit  des  Unterrichts  in  solcher  Ausdehnung 
das  Wort  reden,  wie  sie  die  Gegner  der  Regierung 
in  Südniederland,,  gewiss  vielfach  au$  jesuitischen 


1  ) 


■■■  »  *  *T 


342 


I 

ppd  demagogischen  Beweggriladeo  verlangt  haben,  dass 
der  Staat  nä'mlich  alle  obere  Leitung:  and  Beanfsichti- 
gong  des  Schalwesens  aus  den  Händen  geben,  und  der 
Greistlichkeit  gan^;  überlassen  solle«  Allein,  indem  der 
Staat,  wie  oben  bemerkt,  die  Grämen  seiner  Befagniss 
binsichtlicb  der  oberen  Leitung  and  Beaafsichtigang 
überschritt^  und  der  Kirche  alle  Einwirkung  und  Mit- 
wirkong  auf  ihre  Töchter,  die  Schulen,  raubte,  gab  er 
der  l^atholisched  Geistlichkeit  wenigstens  zu  diesem  £i« 
nen  Theil  ihrer  Klagen  gerechten  Grund,  was  dena 
auch  ihren  andern  Klagen,  selbst  wenn  diese  onge- 
grfindet  waren,  einen  Scheii)  der  Gerechtigkeit  verlieh. 
0er  Artikel  6  des  obea  angefuhrteA  königlichen 
Decrets  über  dea  Unterricht  vom  27.  Mai  1830,  des 
Inhalts;  „dass  die  Kreis-  und  Ortsbehörden  sorgen 
^oUeq,  das«  deu  Kindern  in  den  Schutei  Gelegenheit 
'  ^gegeben  werde,  ^Religionsunterricht, zu  erhalten,  durch 
,,die  oder  in  Auftrag  der  Pfarrer  der  Confessionen, 
^,welchen  sie  angehören  etc.,  und  dass  kein  Buch,  weU 
,,ches  einer  der  Confessionen,  wozu  die  Kinder  gehö-« 
,,ren,  Anstoi^s  geben  könnte,  in  den  Schulen  sein  sojle'^ 
Isonnte  obigen  Klagen  und  Beschwerdeq  natürlich  nicht, 
^eqügend  abhelfen, 

Auch  iq  dieser  wichtigen  Angelegenheit,  in  der 
l^eitung  uqd  Beaufsichtigung  der  Schulen,  so  wie  in 
der  Bewahrung  und  Pflege  des  religiösen  Elemente« 
fq  derseibeq  erscheint  deui  unbefangenen  vergleichen- 
den Beobachter  die  Gerechtigkeit  und  Weisheit  unse^ 
to  priftas^iseh^a  Regierung  im  glänzendstea 
{richte. 


343 

I 

Ihrer  Anoi'dnang  zufolge  ist  der  Pfarrer  jeder 
Coiifession  nicht  bloss  Mit  -  Scbulvorsteher ,  sondern 
auch  Vorsitzer  des  Schulvorstandes  über  seine  Pfs^rr- 
schuie,  indem  man  anerkannte,  dass  der  Pfarrer  der 
natürlichste  Pfleger  derselben  ist,  und  in  der  R«gel 
auch  das  meiste  Interesse  für  das  Gedeihen  einer  An- 
stalt bat,  welche  die  Pflanzschule  für  das  Christenthum 
und  die  Kirche  ist,  oder  doch  sein  solK  Ferner  sind 
die  Schulpfleger  ( Schulinspectoren )  in  der  Regel 
aus  den  Pfarrern  gewählt,  und  haben  nur  die  Schuten 
ihrer  eigenen  Confessionen  unter  sich^  so  dass  die  ka- 
tholischen Schulpfleger  nur  katholische,  und  die  evan- 
gelischen nur  evangelische  Schulen  zu  beaufsichtigen 
haben.  Wieder  eine  eben  so  gerechte,  als  vcmiinf* 
tige  Scheidung,  weil,  wenn  das  christlich -religiöse  Ele- 
ment die  Schüler  durchdringen  soll,  und  sie  nicht 
delstische  Philanthropine  >  sondern  christlich  -  kirchliche 
Erziehungsanstalten  werden  sollen,  das  -confessionelle 
Gepräge  in  denselben  nicht  ganz  verwischt  werden  kann, 
wie  denn  selbst  einzelne  Lehrgegenstände,  z,  B.  der 
Kirchengesang,  confession eil  verschieden  sind. 

Nach  einer  neueren  'Verfügung  sollte  bei  den 
evangelischen  Schulen  der  kirchliche  Superin- 
tendent auch  stets,  der  Schulpfleger  seines  Synodal- 
kreises sein.  Indess  war  dies  in  unsern  westlichen  Pro- 
vinzen nicht  streng  ausführbar,  weil  nach  unserer  Kir- 
chenverfassung das  Superintendenten- Amt  nach  eini- 
gen Jahren  durch  Wahl  an  einen  andern  Pfarrer  über- 
geht, und  es  doch  nifcht  wünschenswerth  sein  konnte, 
das5  das  Schulpflegeramt  eben  so  oft  wechsele.    Denn 


344 

Üeux  erfordert,  wenn  es  mit  Segen  verwallet 
loU,  da«  mau  »icb  lu  d»ä  jetzt  so  aosgedeht 
menurscholfach  mit  Liebe  and  Anstrengung 
werfe,  ond  iafarelinge  Erfabrang  darin  sammt 
deneo  sich  nur  bei  einer  langen  Daaer  des  S- 
get'Amtcs  der  rechte  NuUen  für  die  Schult 
liuL  —  Ferner  eignet  sich  nicht  jeder  Snperic 
welcher  lu  diesem  kirchlichen  Amte  Tüchtigkeil 
darnm  auch  schon  zum  Schulpfleger.  Auch 
beide  Aemler  vereinigt  dem  Pfarrer  in  der  I 
viele  Zeit  von  seinem  Pfarramte  wegnehmen, 
daher  mit  Daak  die  Modlficirung  obiger  V( 
darch  die  hohe  Eehörde  zn  eriieunen,  dass 
betoudere  ScbulpDeger  LIelhen,  und  dieSuperlr 
len  nur  fcraft  ihres  kircbh'cben  Amtes  forlw. 
Nolia  von  dem  Zustand  der  Schulen  ihres  Sjrno 
au  durch  die  Schulpfleger  nehmen,  nnd  hierdv 
kirchliche  Bcüehung  und  Einwirkung  der  Sjn< 
die  Schalen  ihrer  Kirchenge  meinden  bewahren. 

Auch  bei  den  katholischen  Schulen 
Provinien  i$t  der  Dechanl  nicht  immer,  wei 
meistens,  logleich  SchnlpSeger,  sondern  dies 
Mch  andern  katholischen  Pfarrern  übertragen. 

Femer  hat  wuece  R^ieruug  anerkannt  ii 
(•Wten,  das3  die  Religion  der  Sauerteig  st 
te  fie  jan««  Sc&nfo  duehdringe.  Alle  Schu 
«••  kfc«c  ieJen  Vw  -  «bJ  Nachmittag  mit  ( 
tmi  G«k*l  »igrfiii^<i»  uJ  gewAloisen  wen 
f  acUvk«  6««ckichle  soll  darin  mehre 
*•  ******  t*Uta^  «Kk  M  KirchcDg 


345 


^■^ 


Unterricht  ertheilt^    der  Katecfiisnms    darin    auf- 
wendig gelernt  werden^  nnd  ia  allen  eva^ngeliscken 
Schalen  das  Lesen   in   der  h.  SekfiiU  ein  festste- 
hender Gegenstand  sein;  anch  sollen  Cellii.ngen  im 
Bibelaufschlagen  vorgenommen  werden^  und  awar 
die  vollständige  Bibel,  nicht  Bibelanszüges.  den  Kitt"- 
dem  in  die  Hände  gegeben  werden.    Das  Ministe- 
rium   des  Unterrichts   (damals  zugleich  das  des 
Innern)  hat  schon  unterm  18.  Nov.  1814  ein  Rescript 
über  den  Gebrauch  der  h.  Schrift  in  den  Schulen  aor 
die  Schulbehörden  erlassen,  worin  es  den  hohen  Wertli  . 
der  fleissigen  Bibelbenutznng  für  alle  Schulen,  und  die 
Schädlichkeit  des  Gebrauchs   der  Bibelaussiige  so  klap 
und  ergreifend  aqselnandersetzt,  dass  ich  mich  nicht  ent- 
halten kann,  diese  merkwürdige,  den  christlichen  Geist 
unserer  höchsten  Schulbehörde  bekundende  Verordnung 
als  Anhang  mitzutheilen.     Dies  thue  ich  um  so  lieber, 
da  sie  leider  auch  ifnter  uns  sehr  wenig  bekannt,   tind 
doch  so  allgemein  heherzigungswerth  ist.      Denn  der 
Gebrauch  der  h.  Schrift  ist  in  manchen  unserer  Schu- 
len noch  sehr  spärlich,  und  das  Blbelan&chbgen  wird 
in  sehr  vielen  gar  nicht  geübt. 

Dass  die  h.  Schrift  aus  allen  evangelischen  Schu- 
len Niederlands  verbannt  ist,  bringt  dem  Glauben 
und  somit  auch  der  auf  ihm  ruhenden  Sittlichkeit  sei- 
ner evangelischen  Bewohner  nnßäglichen  Schaden,  der 
um  so  unabwendbarer  ist ,  weil ,  wie  I.  £and  Seite  B9 
bemerkt  worden,  kein  Zwang,  sich  confirmiren  zu  las- 
sen, wie  in  Deutschland,  besteht.  Ein  grosser 
Theil  bleibt  daher  unconfirmirt,  entbehrt  also  desiReli- 


>*-*— 


344 


dieses  erfordert ,  wenn  es  mit  Segen  verwaltet  werden 
sqK,   dass  man  sich  in  das  )et;st  so  aasgedehnte  Ele- 
mentarschnlfacb   mit  LieBe   nnd    Anstrengung   hineia- 
werfe,  nnd  jahrelange  Erfahrang  darin   sammele,   ans 
denen  sich  nor  bei  einer  langen  Dauer  des  Sdinlpfle* 
ger- Amtes   der  rechte  Nutzen  fiir    die  Schale  i^iehen 
läsit.  —  Ferner  eignet  sich  nicht  jeder  Superintendent 
welcher  zu  diesem  l^ircb  lieben  Amte  Tüchtigkeit  besitat^ 
dampd  auch  schqn  zum  Schulpfleger.     Auch  möchten 
beide  Aeffiter  vereinigt  dem  Pfarrer  in  der  IKegel  an 
viele  2Jeit  von  seinem  Pfarramte   wegnehmen.    Es  ist 
daher  mit  Dank   di^  Modificirnng  obiger    Yerfngnng 
durch   die  hohe  Behörde   zu   erkennen,   dass  nämlich 
besondere  Schulpfleger  bleiben,  und  die  Superintenden- 
ten nur  kraft   ihres    kirqhlicben    Amtes   fortwährende 
Notiz  von  deu^  Zustand  der  Schulen  ibn$  Synodalkrei- 
ses  durch  die  Schnlpfleger  nehmen,  und  dadurch  die 
kirchliche  Beziebung  nnd  Einwirkung  der  Synode  auf 
die  Schulen  ihrer  Kiirchengemeinden  bewahren* 

AucI^  bei  den  katholischen  Schulen  unserer 
Provinzen  ist  der  Dechant  nicht  immer,  wenn  sdion 
nieistens,  zugleich  Schulpfleger,  sondern  dies  Amt  ist 
a.Qch  andern  katholischen  Pfarrern  übertragen. 

Ferner  hat  unsere  Regierung  anerkannt  und  fest« 
gebalten,  dass  die  Religion  der  Sauerteig  sein  mnasy 
der  di(i  ganze  Scbule  durchdringe.  Alle  Schulen  mos* 
sett' daher  jeden  Vor*  und  Nachmittag  mit  Gesang 
und  Gebet  angefangen  und  geschlossen  werden,  die 
biblische  Geschichte  soll  darin  mehrere  Stan- 
den wöchentlich  gelehrt,  auch  im  Kirchengesange 


345 

Unterricht  ertheilt^    der  Katec&isnms    di^in    aus- 
wendig gelernt  werden^  nnd  in  allen  evai.ngelischeii 
Schulen  das  Lesen  in   der  h.  Sei|]ri£t  ein  festste- 
hender Gegenstand  sein;   aach  sollen  Cebnngen  im 
Bibelaufschlagen  vorgenommen  werden,  and  swar 
die  vollständige  Bibel,  nicht  Bibelauszüges.  den  Sin« 
dem  in  die  Hände  gegeben  werden.    Das  Ministe- 
rium  des  Unterrichts   (damals  zugleich   das  des 
Innern)  hat  schon  unterm  18.  Nov.  1814  ein  RescHpt 
über  den  Gebrauch  der  h,  Schrift  in  den  Schalen  aor 
die  Schulbehörden  erlassen,  worin  es  den  hohen  Werth 
der  üeissigen  Bibelbenutzung  für  alle  Schalen,  and  die 
Schädlichkeit  des  Gebrauchs   der  Bibelaoszüge  so  klap 
und  ergreifend  aqseinandersetzt,  dass  ich  mich  nicht  ent- 
halten kann,  diese  merkwürdige,  den  christlichen  Geist 
unserer  höchsten  Schulbehörde  bekundende  Verordnung 
als  Anhang  mitzutheilen.     Dies  thue  ich  um  so  lieber, 
da  sie  leider  auch  ifnter  uns  sehr  wenig  bekannt,   tind 
doch  so   allgemein  beherzignngswerth  ist.      Denn  der 
Gebrauch  der  h.  Schrift  ist  in  manchen  unserer  Schu- 
len noch  sehr  spärlich,  und  das  Bibelau&chlagen  wird 
in  sehr  vielen  gar  nicht  geübt. 

Dass  die  h.  Schrift  aus  allen  evangelischen  Scha- 
len Niederlands  verbannt  ist,  bringt  dem  Glauben 
und  somit  auch  der  auf  ihm  ruhenden  Sittlichkeit  sei- 
ner evangelischen  Bewohner  unsäglichen  Schaden,  der 
um  so  unabwendbarer  ist ,  weil ,  wie  1.  £and  Seite  B9 
bemerkt  worden,  kein  Zwang,  sich  confirmiren  zu  las- 
sen, wie  in  Deutschland,  besteht.  Ein  grosser 
Theil  bleibt  daher  anconfirmirt,  entbehrt  also  desiReli- 


«■  i  l 


346 

— -\ — t 

gioQsanterridifs  Yon  Seiten  des  Geistlichen,  und  somit 
alles  Religionsunterrichts »  da  in  der  Schule  bisher  kei- 
ner erthellt  wiurd.. 

Fast  alles- religiösen  Elementes  entbehrend,  statt 
der .  Sonne  der  Gerechtigkeit  das  unreine  Feuer  des 
E^geizes  zum  belebenden  Princip  erwählend,  führen 
hiernach  die  Schulen  ihre  Zöglinge  gradeswegs  dem 
Unglauben  in  die  Arme,  und  sind  fast  bloss  Werk- 
stätten, um  den  Verstand  der  Kinder  zu  pollren  und 
XU  dressiren  für  die  bürgerliche  Welt,  fast  bloss  Yor- 
bildungsinstitute  für  den  irdischen  Erwerb«  Darf  dies'  ,• 
aber  der  höchste  Zweck  sein  für  Institute,  welche  noch 
immer  den  Namen  s  cbristlicher  Institute  in  Anspruch 
nehmen,  indem  sie  ja  auch  christliche  Tngendbe- 
trachtung  lehren  wollen,  für  Institute,  welche  die  Bil- 
dung unsterblicher  Seelen  zum  Ziel  haben,  deren  gan- 
xer  Bildungsgang  doch  eine  Vorbereitung  für  die  Ewig- 
keit-sein,  soll,  deren  erster  Unterricht  daher  auch  ein 
Hinfuhren  zu  Dem  bezwecken  muss,  der  allen  Aeltern 
und  Lehrern  ruft:  Lasset  die  Kindlein  xu  Mit 
kommen! 

Unbegreiflich  ist  es  daher,  dass  die  evangeli-* 
sehe  Kirche  Miederlands  sich  alle  Mitwirkung 
auf  die  Schulen  hat  ohne  alle  Einrede  entreissen.  las- 
sen, und  die  völlige  Verweltlichung  dieser  cbristlichea, 
Institute  mit  gleichgültigen  Augen  anzusehen  scheint^ 
viel  gleichgültiger  mindestens  als  ihre  katholische 
Scfawesterkirche,  welche  nicht  zulassen  will,  dasft 
die  Pflanxschulen  der  Kirche  in  blosse  Pflanzsdiiilen 
üt  das  bürgesUiJie  Leben  verwandelt  werden  sölkok. 


k 


347 

Mag  die  letztere  auch  wegen  mancher  jesattisehen  Um- 
triebe und  des  Einschiagens  nnrechtlicher  Wege,  um 
Vorstehendes  zu  erreichen,  getadelt  werden  müssen, 
darin  wenigstens  ist  sie  zu  rühmen,  dass  sie  den  hoch- 
wichtigen Einfluss  eines  religiösen  Schulunterrichtes  auf 
das  ganze  kirchliche  und  bürgerliche  Leben  erkennt^ 
und  sich  zur  Mitbeaufsichtigung  der  Schulen  ebenso 
verpflichtet  als  berechtigt  hält. 

Ja,  auch  die  Kirche  hat  ihre  Rechte.    Sie  hat 
das  unverlierbare,  nie  aufzugebende  Recht,  vom  Staat 
*  zu  verlangen,  dass  die  Schulen  nicht  bloss  für  das  bür- 
gerliche,    sondern  auch  für  das  christliche  und  kirchli- 
che  Leben  erziehen  und  vorbereiten  helfen»    Da  aber 
die  Festsetzung  dieses  Grundsatzes  iili  todten  Ruchsta* 
ben  des  Gesetzes  nichts  hilft,  wenn' er  nicht  in  Ausfüh- 
rung   gebracht    wird,     wie    eben    das    niederländische 
Schulgesetz    beweist,    und    überhaupt    die    Sorge    des 
Staats  für  die  Schulen  weder   die  Fürsorge  der  Kirche 
Für  dieselben  je  entbehrlich  macht,    noch  sie  von  Ihrer 
Pflicht  solcher  Försorge  entbindet,   so   hat  die  Kirchs 
ferner  das  Recht  zu  verlangen,   dass   ihr  eine  Aufsicht 
und   Mitwirkung  auf  die    Schulen   eingeräumt    werde. 
Sie  hat  das  Recht,  zu  verlangen,  dass  ihre  Kinder  nicht 
aus  Rücksicht  gegen  die  Jud^nkinder  mit  Einem  Stünd- 
lein biblischer  Geschichte  des  Samstags   für   die  ganze 
Woche  abgespeist  werden«     Sie  liat  das  Recht  zu  ver- 
langen, dass  tägliches  Gebet  und  Gelang   die  Schulzeit 
heilige,  und  dass  die  Milch  ihries  Glaubens,  der  Kate- 
chismus,  den  Kindern  in  der  Schule  eingeflösst  werde. 
mm-  Ferner  hat  die  evangelische  Kirche   das  Reefit 


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ui  Terlaagea»  dasa'  ihre  Jogeiid  nicht  wahrendi  ihrer 
vieljSbrigeo  Scbnheit  von  dem  Ülglichen  Brod  und  der 
Sonue  ihres  geisClicben  Lebens,   von    der  Bibel  fen 
gdialtea  werde.     Stimmen  hierin   die  Gmnds^ti«  der 
kadiolischen  Kiiche  mit  denen  der  evangelischen  mcht 
aasammen,  so  begehe  man  keine  üngerechtigkttt  gegea 
die  letztere,  am  gegen  die  erstere  nicht  19  verst^ftssen, 
sondern ' befriedige   beide,    indem    man    die    Schulen 
Gonfessionsschulen  sein  lasset.    Wo  gemischte 
Schulen  sind,   da  müssen  die  Geistlichen  beider  Con«» 
fessionen,  wenn  sie.  nicht  schlafende  Miethlinge,  son* 
dern  treae  Wichter  der  Seelen  sein  wollen,  beständig 
wadien,  dass  ilireii  Kindern  nichts  Conlessianswidriges 
darin  gelehrt  werde.    So.  wird  stets  gegenseitiges  Miss« 
trauen  und  Argwohn  rege  -erhalten.    Man  halte  daher 
den  Gmndsatx  fert,   dass  jede  Pfarrgememde  eine  ei-f 
gene  confessionelle  Schule  in  Anspruch'  nehmen  dari^ 
und  nur,,  wo  an  einem  Orte  wenige  Schulkinder  riner 
Confession  sind,  und  diese  keine  eigene  PfarrgemeinJe   ' 
haben,  müssen  sie  mit  der  Schule  der  aqdern  Confes- 
sion sich  begnügen. 

Diesen  Grundsats  hält  Preussen  fest,  dessen  ka- 
tholische Geistlichkeit  doch  grossen  Theils  au%ekliifee 
ist,  als  die  Niederlands.  Es  befindet  sich  woU  da-r  . 
bei,  und  empfängt  Lob  von  beiden  Kirchen,  wi^  es 
jeder  das  Ihre  gibt,  und  das  Ihre  lässt,  und  so  wohnen 
beide  friedlich  qnd  freundlich  neben  einander.  Wemm  . 
macht  es  Niederland  nicht  eben  so?  A 

Wo  der  Staat  der  Kirche  diese  ihre  Rechte  9«üi^. .: 
da  haut  er  sick  «it  dem  eineo  Am  den  todern  ^M 


V 


349 

ond  reisst  seia  eigenes  Fundaincsil  xusaininen,  dt  er 
allein  auf  christlichem  Boden  sicher  mbt.  "Wo  er 
die  Aufklämng  des  Volks  bewirken  an  können  meint 
durch  indifferentistisches  Verwischen  alles  christlich- 
kirchlichen  Elements  in  den  Schalen,  and  dorck  Ver- 
wandlung derselben  in  blosse  Verstandesbildnerinnen^ 
da  wird  er  früh  oder  spät,  meist  aber  za  seinem  nner- 
sefzHchen  Schaden  gewahr,  dass  eine  solche  AufUärong 
keine  wötilthälig  erleachtende  and  erwärmende  Sonne 
ist,  sondern  eine  Brandfackel,  welche  Städte  und  Län* 
der  anzündet;  wird  gewahr,  dass  solche  Schulen  den 
heranwachsenden  Biirger  wohl  den  Uoterthanen  -  Eid 
können  sprachlich  verstehen  and  lesen  und  schreiben 
lehren,  doch  aber,  um  ihn  halten  zu  lehren,  das  Pfle- 
gen eines  christlichen  Sinnes  vonnöthen  ist* 

Die  neueste  politische  Geschichte  Kiederlands 
hat  ein  furchtbares  Amen  zu  dieser  Wahrheit  gesagt; 
ich  habe  darum  nichts  weiter  hinzuzusetzen» 

Nur  Eins  muss  ich  in  Bezug  auf  die  evangeli* 
sehe  Kirche  Niederlands  noch  bemerken«  £s  ist 
unbegreiflich  von  ihr,  dass  sie  namentlich  die  Verbau- 
nang  der  h.  Sichriflt  aus  allen  ihren  Schulen  hat  ruhig 
sulassen  können,  da  von  ihnen  in  Beziehung  anf  dies 
Bach  doch  dasselbe  gilt,  was  das  oben  angefahrte  und 
als  Anfang  mi^etheilte  Ministerialrescript  von  den 
dentschen  Evangelischen  sagt:  „dessen  (des 
9,Bibelbuchs )  freien  Gebrauch  unsere  Vorfahren  sich 
..und  unsern  Nachkommen  mit  ihrem  Blute  erstritten 
„haben,  ond  durch  dessen  Geist  und  Kraft  sie  selbst 
^weU  entfernt,  Schaden  daran  lu  nehmen,  vielmehr  mit 


<^ 


350 


/ 


^Geist  und  Kraft  erfüllt  5  und  reichen  Segens  für  3ir 
,,innere8   und    dadurch  auch  für  ihr  äusseres    Leben 
^theilhafiig  geworden  sind«^^    Da  überdies  jene  Kirche 
weiss,   dass  der  erangelische  Christ  aas  seinem  geisti- 
gen Brodschrank,   dtr  Bibel,  nicht  früh  and  anhaltend 
genug  Speise  nehmen  k^nn,  and  dass  die  Unbekannt-   i 
Schaft  mit  derselben  dem  Aberglanben  wie  dem  Un-j 
glauben  Bahn  macht  9   so  ist  es  anerklarlich,   dass  sie  ' 
dennoch  nicht  za  fühlen  scheint,  wie  sie   eben  durch 
solches  Entfemtseinlassen  der  Jugend  von  der  h,  Schrifi., 
der  römisch-katholischen  Kirche,  über  deren  Prosely- 
tenmacherd  sie  so  sdir  klagt,  gradeswegs  in  die  Hän- 
de arbeitet —    Die.Eztreme    berühren    sich«    | 
Der  Unglaube  und  der  Aberglaube  sind  nahe  verwandt, 
]a'  in  gewisser  Hinsicht  Eins.     Daher  hat  die  Erfahrung 
▼ielftltig  gelehrt,  dass  die  Ungläubigen  anter  den  Pro- 
testanten am  leichtesten   die  Beute  jesuitischer  Proselj- 
tenmacher  sind,   theils  aus  Indißerentlsmus  gegen  die 
religiöse  Wahrheit,  theils  weil  sie,   wenn  endlich   die 
trostlose  Leere  in  ihrer  Seele   ihnen  fühlbar  wird,   in 
ihrer  Geistesaufgeregtheit  dann  geneigter  sind,  von  dem 
einen  Extrem  sum  andern  überzuspringen,  vom  Unglau- 
ben zum  Aberglauben^   als  ihre  Füsse  auf  den  allein 
sichern  Mittelweg  des  Glaubens  zu  richten* 

Möge    die    evangelische   Kirche   Niederlands    sich 
denn  aufmachen,  und  sich  ihrer  Schuljugend  erbarmen I 
denn  es  ist  Zelt,  and  die  günstige  Stunde  ist  gekom- 
men«   Möge  die  reformirte  und  die  lutherische  .^ 
Generalsynode' mit  den  übrigen  protestanti-   : 
scheifl  KirebenpartheieJi  sidh   in  christUdi - bei^ 


351 

scheiden  er  und  freiinüthiger'  Bitte  ati  den  König  verei« 
nigen,  dass  er  den  Pfarrern  eine  ähnliche  Aufsicht  über 
die  Schulen,  wie  in  unserm  Preussen  gestatte 5  dass 
er  das  Lesen  der  h.  Schrift  in  sie  einführen,  und  .über- 
haupt mehr  das  christliche  Element  sie  durchdringen 
lasse,  und  mögen  die  Reformirten  nanventlich  bit- 
ten, dass  von  ihren  Kindern  in  den  Schulen  ihr  sym- 
bolischer Katechismus  auswendig  gelernt  werde*). 

Gewiss  wird  der  edelmüthige  König,  der  In  Be- 
förderung alles  Guten  so  gerne  auf  die  Wünsche  sei- 
ner Unterthanen  Rücksicht  iiii(i![äii,'-~der  namentlich  in 
Absicht  des  Schulwesens,  ib  ^  im  vorigen  Jahre  drei 
Commissionen  zur  Revisf&ti  Att  Schuf^^tze  ernannte, 
noch  überdies  alle  ProväÜ^jlN  nid  StadtbehöVden  ihre 
Wünsche  in  Betreff  der  Einrichtung  des  Schulwesens 
zu  äussern  aufforderte,  auch  die  Wünsche  der  evange- 
lischen Kirche .  seines  Landes  nicht  unbeachtet  lassen. 

Dass  Preussens  evangelische  Kirche  die 
Wichtigkeit  einer  innigen  Verbindung  der  Schule  mit 
der  Kirche  sehr  ernstlich  beherzigt,  hat  unsere  neueste 
Provinz iassynode  zu  Köln  in  diesem  Jahre  wie- 
der bewiesen,  welche  in  $.26  Ihrer  Verhandlungen  sO"' 


*)  Schule  und  Kirche>  heisst  es  in  Beckedorffs 
Jahrbüchern  etc.  I.  Band  IL  Heft  1825  Seite  124, 
gehören  innig  zusammen ,  und  der  Geistliche,  der 
jene  nicht  als  den  Vjorhof  für  diese,  als  Pflanzschule 
für  seine  Gemeine  und  als  die  erste  Werkstätte 
seines  Seelsorgerberufs  betrachtet,  der  ver- 
kennt seine  Stellung,  seine  Wirksamkeit  und  seine 
Pflichten  ganz  und  gar«  ■ .   ,.■ 


,  1 


3Ö 

wohl  überhaupt  auf  «die  Wichtigkeit  jenes  Verhältnissea 
zats  neue  hingewiesen,  als  aach  insbesondere  mehrere     • 
Antrage  lum  Behnf  einer  noch  innigeren  Verbindoflg    - 
'der  £lenientarschnlen  mit  der  Kirche  als  bisher  an  die 
höchste  Behörde  gemacht  hat. 

.Mögen  denn  auch  alle  Pfarrer  unserer  Pro?inx 
mit  noch  innigerer  Liebe  die  Schulen  und  ihre  Lehrer  j 
umfassen ,  damit  die  von  denselben  vielfi^h  gehegten 
Vorurthttle  gegen  der  Creistlichen  Einwirkung  auf  die 
Sdralen  verschwinde , .  und  beide  brüderlich  Hand  in 
Hand  die  Kindlein  m  Ihrem  Heilande  fahren! 

Was  nun  die  ftchullfbrerseminaire  Nieder^ 
lands  betrifft,  ao  triffi^daa  Lob^  was  ich  oben  den  ^ 
Lehrern  gegeben  «habe,  sie  alt,  da  jene  grossentbeils 
auf  ü^n  gebildet  woisdeo*  Der  bei  weitem  vollstän* 
digtire  Unterricht,  welc&tt  den  Zöglingen  hier,  jim  Ver- 
gleich mit  den  von  den  einzelnen  Schnllehrem  Gebil- 
deten ertheilt  wird,  lässt  es  dringend  wünschen,  dass 
alle  Schnllehrer  auf  solchen  Anstalten  möchten  gebil« 
det  werden ,  und  dass  die  Regierung  das.  grosse  Ver« 
dienst,  welches  sie  durch  Stiftung  der  beiden  Seminare 
sich  um  das  Schulwesen  erworb^en,  durch  Anlegung 
noch  einiger  anderer  vermehren  möge. 

Das  erste  Gebrechen  hinsichtlich  der  Semi« 
nareinrichtung  ist,  dass  in  Absicht  der  zum  Seminar 
sich  Meldenden  keine  besondere  Erfordernisse  bestimmt 
sind,  welche  ihre  Aufnahme  bedingen.  Die  Folge  hier- 
von ist;  dass  die  wenigsten  gehörige  Vorkenntnisse  be* 
sitzen,  und  Bodi  weniger  eine  für  das  Seminar  vorbe- 
reitfade  Emidiung  und  Unterweisung  emp&ngen  haben. 


\' 


333 

/ 

dass  also  die  kostbare  Seminarzeit   zum  Theil   ihit  £r<* 
werbaug  der  Kenntnisse  und  Bildung  hingebracht  wer««    , 
4en  muss,  welche  die  Zöglinge  schon  ins  Seminar  h'ät^ 
ten  mitbringen  können  und  sollen. 

Auch  in  nnserm  Deutschland  und  nänienih'ch 
Preussen  ist  mdstentheils  noch  keine  regelmässige^ 
Yorbereitung  auf  das  Seminar  eingerichtet,  wenn  schon 
der  Aufnahme  ins  Seminar  wohl  überall  eine  Prüfung 
vorhergeht,  welche  gewisse  Torkenntnisse  zitr  Bedin- 
gung der  Aufnahme  macht.  Die  Königl.  Regierung  . 
zu  Köln  hat  jedoch  dies  Beddrfniss  auf  eine  sehr' 
nachahmungswerthe  Weise  durch  eine  Verfügung  von< 
1.  Dec.  1827  *)  befriedigt.  Hierin  setzt  sie  fest ,  dass 
die  zum  Elementai' -  Schulfach  Lusttragenden  sich  miC 
vollendetem  14ten  Jahre  bei  dem  Schtilpüegei'  mit  deii 
nöthigen  Zeugnissen  zu  melden,  und  eine  Prüfung  be-^ 
stehen  sollen,  um  in  die  Liste  der  Aspiranten  auf-' 
genommen  zu  werden.  Die  fanglich  Befundenen  wer«^ 
den  darauf  besonders  da2u  concessionirten  vorzüglichen 
Schullehrern  zur  Fortbildung  überwiesen ,  welche  sie 
sowohl  in  deutschen  Aufsätzen,  im  Rechnen,  Schön-t 
schreiben.  Zeichnen,  in  der  Musik  u.  s.  w.  zu  unter-^ 
richten,  als  auch  sie  in  ihrer  Schule  praktisch  anzulei-* 
ten  haben.  Auch  die  Ortspfarrer  sollen  zur  Fortbil-» 
düng  solcher  Aspiranten  durch  Religionsunterricht  etc. 
mitwirken.  Vierteljährlich  hat  der  Schullehrer  dem 
Schulpfleger   über  den  Aspiranten    zu    berichten.     Hsft 


*")  S.  Amtsblatt  der  König!.  Regierung  zu  Köln  Jahr«^ 
gang  1827.  öOstes  Stück. 

iL  aa 


t 


r-     1 


354 

dieser  im  Verlauf  zweier  Jahre  sich  noch  aicht  als  ge- 
eignet bewährt,  so  wird  er  von  der  Liste  der  Aspiran- 
ten weggestrichen.    Hat  er  sich  aber  bewährt^  so  wird, 
er  auf  den  Antrag   des   Scholpflegers  von   der    Regie- 
rang in  die  Liste  der  Präparanden   aufgenommen, 
und  erhält  dadurch  die  Aussicht,   ins  Seminar,   jedoch 
in  der  Regel  nur  nach  2  Jahren  aufgenommen  lu  wer- 
den.   Wlhrend  dieser  neuen  Probezeit  waltet  nun  die 
nnmittelbare    Vorbereitung   fürs    Seminar    vor,    unter 
Rücksprache  mit  den  Semtnardirectorcn,  und  er  wird, 
um  sich  insbesondere  praktisch  zu  üben,  iint^r  Aufsicht 
und  Leitung  eines  bewährten  Lehrers  als  provisorischer 
Unterlehrer  angestellt,  zu  den  Lehrerconferenzen  cuge-    1 
zogen,    und  erhält  vom  Schulpfleger  passende  Bücher, 
woraus  er  Auszüge  zu  machen  und    mit  andern  Arbei- 
ten  de^iselben   monatlich  einzuliefern  hat*     Halbjähr- 
lich hat  der  Scbulpfleger  über  die  Aspiradten  und  Prä-< 
paranden  der  Regierung  zu  berichten. 

Aach  im  Herzogthum  Nassau  besteht  von 
Staatswegelt  eine  ähnliche  geregelte*  Vorbereitung  der 
Aspiranten  für  das  Landes  -  Schullehrer  -  Seminar  zu 
Idstein  während  mehrerer  Jahre  vor  ihrer  Aufnahme. 
Die  mit  deren  Vorbildung  beauftragten  Schullehrer  er-* 
halten  dafür  vom  Staate  eine  gewisse  Vergütung. 

An  den  preussischen  Schullehrerseminaren  zu 
KSfiigsberg,  Karalene,  Bradnsberg,  Jen-* 
kau,  Batizlatt  und  Soest  bestehen  vorbereitende 
Institute^  in  welchen  Knaben  vom  früheren  Alter  an  A 
nnterrichfet^'  und  die  iium  Schullehrer&tande  Neigung 
und  Geschick  zeigenden  specieii  fur^  Seminar  bis   ior 


o 


55 


Aufoahme  darein  vorbereitet  werden.  Namentlich  be«.  ^ 
steht  die  ganze  erste  Klasse  der  zu  Soest  mit  dem 
Seminar  verbundenen  Uebuügsschule  aus  solchen  jun- 
gen Seminarpraparanden.  —  Allein  die  hierbei  fehlen- 
de  und  doch  so  nützliche  praktische  Vorbereitung  als 
Ünterlehrer  in  einer  Landschule,  welche  im  Regierungs- 
bezirk Köln  obiger  Verfugung  zufolge  und  im  Nassaui*  ,' 
sehen  statt  findet^  lässt  sich  nicht  durch  die  Einsamm- 
lung mehrerei*  theoretischen  Kenntntsse  ersetzen«  Da-'' 
her  auch)  wie  BECKEDORFfS  Jahrbücher  etc.  I.Band 
II.  Heft  S.  114  berichten  5  selbst  von  Seiten  eines  deif 
obigen  Erziehongsinstitute  der  Vorschlag  geschehen  isi^ 
solche  Praparanden  vor  ihrer  Aufnahme  ins  Seminar 
erst  einige  Jahre  zu  einem  Oorfscbullehrer  211  thun> 
um  sie  durch  ibn  praktisch  anzuleiten« 

Möge  eine  bei  der  hohen  VVichtigkeit  des  Ele" 
mentar "  Schulamtes  so  wohlthätige  Vorbereitung  für  das 
Seminar  bald  auch  in  unserm  Düsseldorfer  Re-« 
glerungsbezirke  und  in  •allen  andern  Theileil 
unsers  Staates  angeordnet  wei*den! 

Was  nun  das  Seminar  zu  HärUm  insbeson'« 
dere  betrifft  4  welches  ich  von  den  beiden  allein  au$ 
eigener  Anschauung  kenne 9  sd  habe  ich  an  dessen  Di-« 
rektor,  Pbinsen,  einen  sehr  kenntnissreichen  $  auch 
mit  der  deutsch  en  Pädagogik  genau  bekannten,  ge- 
wandten und  ansprachlosen  Mann  gefunden«  So  thätig 
er  jedoch  ist^  so  kann^  da  ei^  der  einzige  Lehrer  ist^ 
mit  Ausnahme  des  bloss  in  dem  Einen  Religionsiache^ 
unterrichtenden  Katechisirmeisters,  den  40  Seminaristeil 
nicht   genug  Unterricht   ertheilt    werden*      D,enn   2^/i 

23* 


I 


356 

Stfltideii  Unterricht  y  welche  sie  selbst  täglich  ertidicn, 
ist  offenbar  la  wenig.  Es  ist  daher  ein  wesentlicher 
Mangel  sn  nennen,  dass  nicht  noch  ein  zweiter  ordent-«* 
lidrer  Seminarlehrer  angestellt  ist. 

Auf  manchen  miserer  prenssischen  Seminare 
tcranlasst  di^  kü  knfse  S^minarceit  yon  nur  2  Jahren, 
'«•  B.  «of  dem  Sedilnar  zn  Mors,  wohl  den  entgegen- 
gesctiten  Fehler,  dass  die  Seitiinaristen  sn  Tiel  Uitfer-% 
ficfatsstnnden  ond  tu  wenig  Zeit  haben,  den  empfange« 
Mtti  Umerriditsstoff  gehörig  iü  sich  sn  verarbeiten,  und 
sich  dessen  sn  bemeistern  *}.  Die  erste  Klasse  hat  dort 
ttdi  dem  neuesten  LectiöHspkne  fSr  dieses  Winter- 
halbjahr wddientlich  dt  Stunden ;  die  zweite  Klasse  48, 
.OfiiHibar  zu  viel ,  wenn  audi  jede  Klasse  1-^2  det 
ÜEglichen  Lehrstonden  in  der  Kinderschale  entweder 
«tfifoltirt,  oder  selbst  nnterrichtet. 

Nnr  tn  leidit  entsteht  grade  ilarch  diese  anfge-» 
tila:llte,  tinverdiinte  Blasse  Wissens  i)uDlei  und  An- 
aassnng  bei  den  jungen  sich  nun  für  gelehrt  halten'^ 
den  Leuten«  — «  Auf  dem  Seminar  zu  Soest,  wo  dei* 
Seminarist  auch  auf  zwei  Jahre  beschränkt  ist^  hat  die 


•Mh» 


*}  In  Bezüehoüg  auf  die  äefahr  der  Seminare,  in  4ioU 
chen  Fehler  zu  verfallen,  heisst  esin  Beckb- 
O0RFF8  Jahrbüchern  etc.  I.  Äand  II.  Heft  182& 
S.  109:  „Wie  dieSa(5hen  jetzit  stehen,  ist  überhaupt 
„weniger  zu  befürchten,  dass  die  Seminarien  sieh 
„ein  zu  niedriges  Ziel  stecken,  als  vielmehr^  dass 
„sie  eine  zu  hohe  Aufgabe  nehmen,  sowohl  hin- 
^«fiichtlich  der  Mannigfaltigkeit  als  des  Maasses  det 
i^Uflplerriahtq;efen8ähide.«< 


357 

trste  Klasse  nur  34  Lehr&tunden,  und  die  zweite  91% 
Stunden  wöchentlich« 

Sehr  zu  wünschen  wäre  daher,  dass  auf  allen  Se- 
minaren die  Studienzeit  auf  3  Jahre  erweitert  würde, 
wie  dies  auch  bereits  auf  vielen  preussischen  Semina* 
ren,  und  in  unserer  Rheinproyinz  jet^t  aupl|  zu  Neii«^ 
wied  der  Fall  ist. 

Ein  zweites  Gehre ehen  des  Harlemer  Senü* 
nars  ist ,  dass  die  Seminaristen  nicht  zusammen  in.  £1« 
nem  Hause  unter  bestandiger  Aufsicht  des  Direktor!, 
sondern  in  Privathänsern  wohnen  und  essen.  Da  fle 
zu  einer  tüohtigen  Bildung  nicht  bloss  des  Unterricht!, 
sondern  auch  der  Erziehung  bedürfen,  so  wird  diese 
letztere  durch  ein  Zusammenwohnen  in  einer  Art  Fa-? 
milienleben  unter  der  väterlichen  Leitung  und  Auisicht 
des  Direktors  sehr  erleichtert,  eine  auf  Geist  und  Ge- 
müth  derselben  höchst  wohlthätige  Einwirkung  auch 
ausserhalb  der  Unterrichtsstunden  und  eine  möglichst 
zweckmässige  Anwendung  der  Zeit  veranlasst,  eine  heil- 
same Disciplin  möglich,  und  selbst  die  Kosten  für 
Wohnung  und  Speisung  bedeutend  vermindert 

Fast  alle  unsere  preu&sische  Seminare  haben 
durch  die  liebevolle  Fürsorge  der  hö'chsten  Behörde 
sich  dieses  Vorzugs  zu  erfreuen. 

Ein  drittes  Gebrechen  ist  unstreitig  der  Man- 
gel von  allem  Unterricht  in  Kirchenges ang.  Or- 
gelspiel und  einem  oder  dem  andern  musikaif-i 
sehen  Instrumente.  Wie  wohlthätig  der  Kirchen-^ 
gesang  und  das  Orgelspiel  auf  die  religiöse  Erhebung 
und  £rbauang  des  Herzens  wirkt,  brauche  ich   nicht 


358 

"crit  ta  beweisen.  Auch  hat  dies  die  reformirte 
Generalsjnode  Niederlands  selbst  anerkannt,  und 
fttcbt  beides  sa  befördern  (vgl  I.  Bd.  S.  69).  Wenn 
nun  auch  in  vielen  Stadtgemeinden  eigene  Organisten 
und  Vorsänger  ßwA,  und  die  Katechisirmeister  daselbst 
die  Schuljugend  iiti  Kirchengesang  unterrichten,  so  ist 
doch  ia  dea  meisten  kieioeren  Dorfgemeinden  dies 
glicht  der  Fall.  Hier  muss  der  Schullehrer /Organist 
'  und '  Yorsaoger  sein ,  und  kann  er  nicht  der  Schnljn* 
gend  Unterricht  im  Kirchengesang  geben,  so  erhält  sie 
gar  keinen.  Gewiss  würde  der  Kirchengesang  sich  sehr 
bald  heben,  wenn  jenem  Gebrechen  abgeholfen  würde. 
So  lange  die  reformirte  Synode  nicht  hierfiir  zu  wir* 
ken  sucht,  werden  alle  andern  Bemühungen  nicht  das 
•  gewünschte  Resultat  geben.  —  Auch  würde  das  Ge» 
niesseo  eines  ausgedehnteren  musikalischen  Unterrichts 
den  Seminaristen  für  ihr  künftiges  mühevolles  Amt  so* 
wohl  viele  Stärkung  und  Erquickung  des  {ßemüthes, 
ib  9ucb  Gelegenheit  zu  einiger  -Vermehrung  ihl^es  Ein« 
kommens  verschafieu* 

Auch  iu  dieser  Hinsicht  erireueu  sich  unsere 
'prettssischen,  lind  wohl  alle  deutschen  Schul* 
lehrerseminare  eines  bedeutenden  Vorzugs  dtirch  den 
ausgedehnten  musikalischen-Unterricht,  welcher  auf  den- 
selben Jbrtheilt  wird,  und  es  ist  zu  hoffen,  dass  da- 
durch der  Gesang  in  unsern  Schulen  und  Kirchen. sich 
bald  aus  der  traurigen  Lage,  worin  er  sich  befinde^ 
erheben  werde*  Wie  nöthig  hier  noch  Hülfe  ist,  habe 
ich  schon  S^  238  bemerkt,  und  damit  ich  nicht  in  die^ 
Min  harten  Urtheile  als  befangen   und   ungerecht   er- 


359 

scheinen  möge,  führe  ich  ab  Zeagniss  in  dieser  Sache 
noch  das  Urtheil  an  ^  das  in  dem  zweiten  Hede  des  ' 
IL  Bandes  neuer. Folge  der  Rfaeinischeni  BiMtter 
für  Erziehung  und  Unterricht  etc.  1830  in  einem  Ton 
dem  Herausgeber,  Seminardirektor  Dr.  SiesterWbg 
zu'  Mö'rs  und  dem  Gesanglefarer  Erk  daselbst  verfass- 
ten  Aufsätze  über  die  Vorbereitung  der  Schnlamts- 
Präparanden  S.  197  steht:  „In  keinem  Stücke  steht  es 
„in  unsero  Schulen  schlechter,  als  im  Gesänge.*^  — 
Für  diesen  Punkt  tnus^  noch  kräftiger  von  unseren ' 
Schul pflegern ^  wie  ich  schon  oben  bemerkt,  und  voni 
der  Regierung  gewirkt  werden* 

In  dieser  Hinsicht  bat  die  König!,  Regierung 
zu  Köln  unterm  19.  Jan.  182B  eine  trelBiche* Verfü- 
gung über  die  Gesangbildung  durch  die  SchuU 
lehrer,  Organisten  und  Cantoren  erlassen*),  welche  eine 


*)  S.  Amtsblatt  der  Kdnigl.  Regierung  zu  Köln  1828 
111.  Stück.  —  Auch  das  K5nigl.  Konsistorium 
zu  Müuster  hat  zwei  treffliche  Circulare  den  Ge- 
sangunterricht in  den  Schulen  betreffend,  mit  be- 
sonderer Reziehung  auf  den  Kirchengesang  an  die 
evangelischen  Superintendenten ,  Schulinspectoren, 
Pfarrer  und  Schullehrer  in  der  Provinz  Westphalen 
unterm  1.  Oct.  1822  und  28.  Apr.  1825  erlassen. 
S.  BECKEnoRFFS  Jahrbücher  etc.  1825  1.  Band 
111..  Heft  S.  248  —  284. 

Das  Konsistorium ,  so  ^vie  die  evangelische  Sy- 
node in  Würtemberg  haben  gleichfalls  in  den 
letzten  Jahren  mehrere  sehr  zweckmässige  Verord- 
nungen zur  Beförderung  der  kirchlichen  Gesangbil- 
dung durch  die  Schullehrer  und  Organisten  erlassen. 
S,  M,  A.  Knapp's  Sammlung -^er  bestehenden  Ver- 


aflQ 

allgemeine  Anwendung  auch  auf  die  anderen  Regiernnga- 
bezirke  verdient  Sie  gibt  darin  kurz  die  beste  Art 
der  Gesangbildang  in  den  Schulen  an,  bestimmt  mit 
Weisheit  die  Grenzen  derselben,  auch  in  Absicht  ^es 
inebrstimmigen  Gesanges,  und  verbietet  dem  Orga? 
nisten  die  Abweichungen  von  der  einfachen  Choral- 
melodie, die  mancherlei  Verzierungen  derselben,  die 
nnnöthigen  Zwischenspiele,  die  Tänze  und  Märsche 
beim  Ausgang  aus  der  Kirche  und  dgl.,  dem  Cantor 
das  unpassende  Schreien  und  Verzerren  der  Melodie 
etc.  Wenn  beide  den  deshalb  an  sie  ergangenen  Aufs 
forderungen  und  Warnungen  nicht  Folge  leisten,  so 
^llen  sie  in  eine  Ordnungsstrafe  von  1  Thlr.  verfaU 
len,  der  von  ihrem  Gehalte  zurückbehalten  und  an  die 
Kirchenkasse  zu  zahlen  ist.  Die  Feststellung  der  Strafe 
soll  von  dem  Superintendenten  auf  den  Antrag  des 
Pfarrers  und'  Kirchcnvorstand^s  erfolgen.  Im  Wieder- 
holungsfälle ist  die  Strafe  zu  verdoppeln. 

Ein  vierte^  Gebrechen  des  Seminare  ist  iep 
91  a n g e  1  alles  Zfsichenunterrichts. 

Ich  habe  oben  schon  als  eine  Schattenseite  der 
3chalen  angemerkt,  dass  durchaus  kein  Zeichnen,  ans- 
ser  ein  wenig  Kartenzeichnen,  darin  gelehrt  yrlrd.  Dier 
se  Schattenseite  ist  leicht  zq  erklären  durch  das  gänz- 
liche Entferntsein  des  Zeichners  als  ünterricjitsgegenr 
Standes  von^  Seminar.  Dies  jst  aber  ein  bedeutender 
Mangel.     Penn  picht   nur  würde   durch    ^as  Zeichnen, 

Ordnungen  für  den  evangelisch  •  deutschen  Schulstand 
Würtembergs  etc.  Tübingen  bei  L  AUf  p  IS28  S.  ^QQ 
Wnd  341  -  348. 


36t 

besonders   wenn  Naturzeichnen  damit  verbanden 
Ist,  was   eigentlich   nie   dabei   fehlen  sollte ,  der  Ge- 
schmack der  Seminaristen  veredelt,  sondern  auch  ihr 
Gefühl  für  das  Schöne,   besonders  der  Natur  geweckt, 
und  somit  ihr   Gemüth  überhaupt   gestärkt  und  geho- 
ben.    Aber  auch  für  ihre  künftige  Schule  selbst  hätten 
sie  wesentlichen  Vörtheil  davon.     Nicht  nur  würden  sie 
den  Geschmack  der  Schüler   gleichfalls  veredeln,   und 
das  Gefühl  für  das  Schöne  in  ihnen  wecken,   sondern, 
ihnen    auch]  in   der   Zeichenkunst   eine   sehr   nützliche 
Mitgabe  für  das  Leben  geben,  da  in  vielen  Bemfsarten 
der  niederen  Stände,   besonders   bei  den  Handwerken 
das   Zeichnen  wesentlichen   Yortheil  bringt.      Endlich 
würde   der  Lehrer  für  seine   Schule  noch  Einen  Ge- 
winn  vom    Zeichenunterrichte    haben,   den  ich  nicht 
ganz   gering   anschlagen  möchte«    Er  erhält  hierdurch 
nSmlich  Eine  Gelegenheit  mehr,  die  Klassen,  welche  er 
*    nicht  selbst  unterrichtet,   mittlerweile  passend   und  zu- 
Btf,gleich   angenehm  zu  beschäftigen,    was   doch   für   die 
'*   meisten  alleinstehenden  Lehrer  eine  so  schwierige  Auf? 
gäbe  ist.     Ohnehin   zeichnen  nnd  malen   die   Schüler, 
-     besonders  die  kleineren,   höchst  gerne  auf  ihre  Schie- 
fertafeln, freilich  oft,  während  sie  etwas  anderes  arbei- 
^     ten  sollten,  dabei  nnproportionirte ,  unästhetische,  kurz 
geschmacklose  Figuren ,  wie  sich  das,  bei   ihrem  rohen 
G^chmack  nicht  anders  erwarten  lässt.    Warum  nicht 
ien  schon  in  ihnen  liegenden  Trieb  zum  Zeichnen  für 
Geschmacksbildung  benntzen  nnd  leiten,    warum 
mcht  das  Zeichnen  als  angenehme  Abwechslung   zwi-t 
eben  zwei  den  Geist  mehr  anstrengende  Unterricbts? 


3t)2 

gegenstände  setzen  j  so  dass  jenes  ihnen  eine  Erholung 
sein  wird?  Mag  dadurch  die  Zeit  für  diese  Gegen- 
stände etwas  verkürzt  werden  müssen',  das  wird  in  der 
Regel  nur  Gewinn  sein,  weil  die  Kinder  doch  meistens . 
zu  anhaltend  mit  den  abstracteren  Gegenständen  be^ 
schäftigt,  und  dadurch  erschlaffend,  zum  Spielen  yerlei- 
tet  werden.  Man  lasse  sich  doch  mehr  zum  kindlichen 
Gemüth  herab,  führe  das  Kind  mehr  ins  Leben,  als 
ins  todte  Bücherwissen,  es  wird  dann  brauchbarer  für 
die  Welt,  und  die  wahre  Geistes  -  und  Herzensbildung 
wird  darunter  nicht  leiden  *), 

Unsere   preussischen   Schullehrerseminare   ge- 
messen den  Vorzug   wenigstens,    dass   der  Zeicbennii- 
terricht  auf  denselben  nicht  fehlt.    Das  Lehren  desMä- 
turzeichnens   bt   indess  vielfältig  noch  sehr  mangelhafi^; 
und  doch  gibt  grade  dieses  erst  für  Lehrer  und  Schil- 
ler   bleibenden    Nutzen.      Ich  weiss    es   aus    eigeüe^ 
zchmerzlicher   Erfahrung,    wie   wenig   das    bloss    nack 
Yorlegebfättern    copirende  Zeichnen    fürs  Leben  niifit' 
Viele  Jahre  lang  habe  ich  mit  Lust  auf  den  Schales 
gezeichnet,   unter    Anleitung    eines   sonst   sehr    liebep 
Lehrers,    der  uns   aber  trotz    alles  Bitten   um  Matur- 
zeichnen nichts  weiter  thun  Hess,  als  nach  Vorlegebiät- ' 
tern    copiren.      Als    ich   nach    den    Universitätsjahren^ 

*)  Viel  Schönes  sagt  hierüber  Grünewald  in  wk, 
nem  trefflichen  Aufsatze:  Methodik  des  Z«i-, 
chenunterrichts  in  Volksschulen,  worin 
auch  eine  kurze  Anleitung;  zu  diesem  Ufiterrichli« 
gibt.  S.  DiESTERWEG's  Rheinische  Blätter  Af 
Erziehung  und  Unterricht,  des  1.  Blindes  der  netiflt 
Folge  lU.  Heft  1830  S.  318  -  372. 

4 


1 


363 

f  —————— 

^•Hauslehrer  wurde ,  konnte  ich  meine  Schüler  nun  auch 

F  auf  keine  andere  Art  zeichnen  lassen^  und.  noch  jetzt, 

•jMrenn  ich  aus  der  Natur  etwas  abzeichnen  will,  geht  es 

*  mir  sehr  gebrechlich  damit,  —  Möge  denn  das  Natur- 

Baeichn^n  auf  unseren  Seminaren  recht  einheimisch  Wer- 

r  den ,    damit  auch  hierdurch   die  Lehrer  und   Schüler 

r^mehr  für  das  Leben  gebildet  werden! 

k  Ein  fünftes  Gebrechen  ist  der  Mangel  alles 

^-Unterrichts  in  der  Obstbaumzucht  und  dem  Gar- 

tenbau, 

.  Wenn  sc)ion  nicht  in  allen,   so   ist  doch  in   den 
:.'  meisten  Provinzen  Niederlands  Ohstbaumzucht  mögTicb, 
l '  Qod  selten   ist  d^r  Boden   so   unergiebig ,    dass  nicht 
Gartenbau  zu  treiben  wäre.     Wie   wohlthätig  die  An- 
leitung zur  Obst-  und  Gartencnitur   als  Bildnngsmittel 
j  :  für  SchuUehrer  wirkt ,   wie  es  eine  sehr  heilsame  Lei- 
|[.  ,besübung  verschafft,  den  Charakter  sanfter  macht,  die 
^Bescheidenheit  befördert,   von  schlechter  Unterhaltung 
' '  abhält,  und  die  Lehrer  befähigt,  diesen  reichen  Gewinn 
auf  die   Schulkinder  übergehen  zu   lassen ,  abgesehen 
aelbst  davon ,   dass  es  ihnen  manche  Ausgaben  erspart, 
>    und  die  auch  in  staatswirthschafllicher  Hinsicht  so  wich- 
tige Obst-  und  Gartencultur  verbreiten  hilft,   zeigt  der 
i  Irefßiche  Harnisch  so' deutlich,  und  bewährt  es  bei 
pimnen  Seminaristen   so   sehr  mit  der  That,    dass  ich 
i-  asf  seine  Darstellung  nur  zu  verweisen  biauche*)« 
i-jj-      Wie  in    Weissenf  eis,    so   ist  auch   auf  dem 

^  Nassauischen   Schullehrerseminar   zu  Idstein  die 
»I  ■  ■       ■    ~ 

*)  S*  Beckedorffs  Jahrbücher  des  Preuss.  Volks« 

f  \       "  {ichul Wesens  1825  l.^Band  111.  Heft  S.  216-219. 
V 


364 


Anleitung  der  Seminaristen  zur  Obst-  und  Garteiu 
tor  musterhaft.       Sie  wird  hier   erleichtert    darcfa 
Verbindung  des  Seminars  mit  dem  landwirthschaftlteht 
Institute  daselbst ,    wo   die   Seminaristen   noch  man( 
andere  naturwissenschaAliche  Vorlesungen  mit  besac 
Jede  Gemeinde  im  'Nassauischen  muss   für  ihre  Sdii 
einen  Garten  zum  Lehren   der  Obstbaumzucht  und  dl 
Gemüsebaus  beschaffen. 

Unsere  preussische  Regierung  hat  auf  ähnllc 
Weise  jede  Scbulgemeinde   einen  Garten  von  42 
then  zur  Anlegung  einer  Obstbaumschnle  ankaufen  lai-j 
sen,  und  beabsichtigt,  praktischeii  Unterricht  hiet'in 
(illen  Schullehrerseminaren  ertheilen  zu  lassen,     Lridirj 
jg;eht  es  mit  der  Ausführung   in  unserer  R  h  ei n  p  r o<^, 
Yinz  sehr  langsam,    und  weder  in  Neuwied,    no«l 
ta  Mors  wird  solcher  noch  erthellt  In  Mors  ist  läni 
ein  Garten  hierzu   gekauft   worden,    und  es  ist  um 
mehr  zu  wünschen,    dass   die   Ausführung  beschlei 
werde,  weil  die  Gemeinden  das  Geld  Tdr  die  Baum- 
«Schulgärten  einmal  ausgegeben  haben,   aber   nicht  hol 
fen  können,    dass  die  Lehrer  durch  einen  vierwödieiilp'' 
liehen  cursorischen  Unterricht,  wodurch  sie  meist  blosse ! 
einige  Handgriffe  lernen,  aber  weder  Neigung  lurObst-j^ 
cultur,  noch  gründliche   Kenntniss  darin   erhalten, 
den  Stand  gesetzt  werden,  ihren  Kindern  Lust  und 
schick   dazu   einzuflö'ssen.     Eine   Anleitung   dieser  All^ 
muss  vielmehr  während  des  ganzem  Seminarlebens 
dauern. 

Ein  solcher   Unterricht   der   Seminaristen    in 
Obst-  und  Garteneultyr  würde  in  Nordojederlainl 


365 

nAtr  ancb  in  itaatsiivirthschaftlicher  Hinsicht  mehr 
Kotzea  bringen^  als  das  Quälen  der  Theologen  aaf  den 
Universitäten  mit  der  Anhörung  der*  Vorlesungen  über 
iLandwirthschafty  deren  S.  182  erwähnt  ist. — 
ihr  rechtfertigen  Hesse  sich  ein  gleiches  Unterrichten 
Theologen  bloss  in  der  Obstbanmzucht  und  dem 
irtenbauy  obgleich  indessauf  der  Universität  we- 
Zeit|  noch  in  der  Regel  Gelegenheit  dazu  ist* 
if  den  theologischen  Seminaren  wäre  es  mehr 
l  -seiner  Stelle,  und  für  solche  gewiss  alles  Ernstes  zu 
i&hlen. 

Ein  sechstes   Gebrechen,    und   gewiss   eins 
wichtigsten  des  Seminars,  ist  der  Mangel  an  ge- 
ifigendem  Religionsunterrichte.      Die  ka« 
Ikolischen  und  die  nichtreformirten   prote-* 
fintischen  Seminaristen  erhalten  gar  keinen  Reli-> 
innterricht,    die  r.eformirten  bloss   von  einem 
;hisirmeister.     Wie  sehr   sich   auch   grade  der  ]e^ 
vor  andern  Katechisirmeistero.  auszeichnet,  so  kann 
doch ,    da  er  weder  wissenschaftliche  Bildung  über-^ 
,    noch  gelehrten  Unterricht    in    der    Religions-r 
sensdiaft    genossen    hat,    noch    die    Grundsprachen 
h.  Schrift  versteht,    nicht   den    gründlichen    Reli- 
lanterricht  ertheilen,    der   dem  Schullehrer'  nötbig 
Wenn  schon  dieser  den  Religionsunterricht  in  der 
tie,  wo  er  solchen  gibt,  nur  bis  zu  einem  gewissen 
le  zu  ertheilen  hat,   da  der  grössere  Theil  dessel- 
[  des  Pfarrers  Sache  ist,  ja,    wenn  er  auch  nur  bi<* 
le  Geschichte  zn  lehren  hat,  so  muss  er  doch  eine 
begrSndett  und  klare  Religionserkenntniss^  folglich 


366 


eine  tiefe  Einsicht  in  die  fa.  Schrift  besitzen.  Soll  er< 
nämlich  die  heitige  Geschichte  stets  mit  der  heiligeii 
Wärme,  welche  nur  aus  einer  festen  innern  und  äus- 
sern Ueberzengung  entspringt^  seinen  Kindern  mittfaei« 
len  können,  so  muss  nicht  bloss  sein  Herz  an  dieHetJ"! 
ligkeit  und  Göttlichkeit  dieser  höheren  OfFenbaraogett  | 
glauben,  sondern  er  muss  zugleich  eine  gründliche  Be» 
lehrung  über  die  wichtigsten  Einwendungen  und  Zwei» 
fei  empfangen  haben,  welche  die  Ungläubigen  unter 
den  Bibelauslegern  gegen  die  Göttlichkeit  und  Glaab* 
Würdigkeit  der  heiligen  Geschichte  erheben^  und  u&tf 
die  Wicterlegung  derselben,  besonders  müssen  ihm*  die 
Augen  geöffnet  worden  sein  über  das  feine  Yerdrebei 
und  Verfälschen  des  Worts  Gottes,  womit  Jene  des* 
sen  übernatürliche  Thatsachen  in  den  Staub  herabn* 
ziehen  suchen,  den  Glauben  der  Schwachen  erschüttenk* 
und  das  Gifl  des  Unglaubens  den  unwissenden  Seekl 
einflössen^)»     Dies  ist  um  so  wichtiger  und  unentbeb^ 


*)  Uebereinstimmend    hiermit  setzt    das    Reglern eat^l 
des  Schullehierseminars  zu  Mors  über  die  Art  %l 
Religionsunterrichts  in  §•  12  fest:  Der  Untern 
der  Religion  beginnt  mit  der  biblischen  Gescl 
und  der  Artweisung  zur  Ketintniss   der  h.  S 
sowohl  nach  deren  Inhalt  i    als  nach  den  b 
Lebensumständen  ihrer  Verfasser,  und  geht  toii 
sem  historischen  Grunde  aus  zu  einer  toUs 
Uebersicht   und   Zusammeustellung   der  ^e 
christlichen  Glaubens-  und  Pilichtenlehre  über, 
dass  die  Semiuaristen  nicht  nur  das  Fundameiit 
Christeilthums  genau  kennen  lernen,  sondern 
fähig  werden,  Ton  ihrem  Glauben  ait   diese 
sich  and  Andern  befriedigende  Rechenachaft 


367 

lieber  9  weil  grade  in  der  jetzigen  Zeil  so  manche  ta- 
lentvolle, aber  ungläubige  Theologen  und  Schulmäpner 
sich  den  Schullehrerstand  recht  zur  Beute  für  ihren  Un« 
glauben  ersehen  haben,  und  mit  einer  gewissen  herz- 
lichen, religiös  klingenden  Sprache,  so  wie  mit  bestan« 
digen  Betheuerungen  ihrer  Ehrfurcht  vor  Mose  und 
den  Propheten , '  Christo  und  den  Aposteln  den  Grund 
r  aller  Ehrfurcht  vor  denselben  untergraben  durch  Be« 
streitung  der  Glaubwürdigkeit  der  Geschichte  derselben, 
Wie  sie  die  h.  Schrift  uns  lehrt,  was  z.  B.  D  IN  TER 
.  in  seiner  Schul lehrerbibel,  einer  der  gefa'hr-^ 
liebsten  und  seelenverd  erblichsten  selch  er  ungläubigen 
Schriften,  thut*). 


ben,  und  in  eigener,  fester  ITeberzeugung  von  der 
Wahrheit  des  evangelischen  Glaubens  künftig  ihre 
Schüler  zu  einer  innigen  und  durch  das  Lesen  der 
h.  Schrift  begründeten  Bekanntschaft  mit  der  heil- 
bringenden Lehre  Christi  anzuleiten,  und  zu  einem  ^ 
ach l- christlich  fronMnen  Wandel  nach  dem  Geist 
^  dieser  Lehre  hinzuführen.  S.  Beckedorffs  Jahr- 

bücher etc.  1825  I.  Band  11.  Heft  S.  157. 

m  \ 

«  % 

ajjjj.        *)  Der  feine  Unglaube  in  dieser  Schrift  ist  schon  von 
^l-  mehreren  Seiten  sehr  deutlich   nachgewiesen  wor- 

L  .(  den,    z»    B.    in   Dn    Harnisch    Zeitschrift:    der 

Volksschullehrer  111.  Band  S.  32  etc.,  in  der 
Evangelischen  Kirchenzeitung  1828  No.  11 
—  6»  in  dem  von  der  Sächsischen  Hauptbi- 
belgesellschaft unterm  L  Jun.  1826  erlassenen 
Umlaufsschreiben  an  ihre  Zweig  vereine,  die  D  in- 
te Rsche  SchuUehrerbihel  betreffend,  in  Stepha- 
Nis  Zusätzen  zu  Dinters  Schullehrerbibel,  Ham- 
burg 1824  u.  a«  —  Es  bedarf  dahev  hier  nicht  von 
meiner  Seite  einer  ausfuhrlichen  Beweistührüng  für 


t." 


368 


Üeberdies  liegt  es  in  der  Nattir  der  Sache »  diss 
der  religiöse  Geist  des  Lelufers  nicht  bloss  die  Schale 
und  alle  Unterrichtsstunden^  sondern  auch  sein  äusse^ 
res  Leben  durchdringt«  Ist  dieser  Geist  nun  rechtei' 
Art,  ist  er  also  ein  Geist  erleuchteten,  !u  Lieb«  tb'äti- 
gen  Glaubens  5  so  wird  et  grossen  Seegen  nicht  bloss 
in^  sondern  auch  ausserhalb  seiner  Schale  stiflen* 
Denn  nicht  bloss  die  Schüler  sehen  auf  ihn,  sondern  auch 
die  Aeltern  und  die  ganze  Gemeinde;  nicht  bloss  die 
Schüler  werden  ihn  oft  um  Lösung  schwieriger  Fragen 
und  Zweifel  in  ßetreff  der  h«  Schrift  und  dgL  ange-* 
beU)  sondern  auch  manche  erwachsene  Gemeindsglie- 
der. Soll  er  nun  sowohl  selbst  feststehen  in  seinem 
Glauben  9  als  auch  seinen  Schülern  und  Erwachsenen 
ein  Wegweiser  zur  Seligkeit  sein,  soweit  dies  semAmts-^ 
und  Christenberuf  mit  sich  bringt,  so  muss  er,  wie 
oben  bemerkt,  eine  klare  und  tiefe  £rkenntniss  der  h* 
Schrift  und  ihres  Heilweges  besitzen.' 

w 

Um  den  Seminaristen  nun  solchen  genügenden 
üntcfrricht  über  die  h,  Schrift  und  die  christliche  Reli- 
gionslehre überhaupt  zu  geben ,  dazu  ist  ein  Mann  er- 
forderlich, der  sich  Ton  Jugend  auf  ganz  dem  Studium 
der  h.  Schrift  und  der  christlichen  Religionswissenschaft 
gewidmet  hat,  und  der  vom  Geist  eines  erleuchteten, 
festgegründeten  Glaubens  durchdrungen,  diesen  Geist 
des  Glaubens  und  der  liiebe  zum  Herrn  nun  auch  das 
ganze  Seminar  durchdringen  lässt,  so  dass  ein  dankbar-' 


obige  Behauptung.  -<    Vielleicht  jedoch  «n  •inmß 
anderen  Orie  \¥eiteref  hierüber« 


ßfir^itr 


3t)9 

freudiges    Leben    in    Christo   die   Unterrichts  -  wie   di^  • 
Mussezeit,    die  Studir-  wie   die   Andachtsstunden    dei* 
Zöglinge  belebt,   und    Christi   Wort    ihre  Richtschnur^ 
Christi  Geist  ihr  Geist  und  ihre  Kraft  ist. 

Aus  dieser  Rücksicht  ist  es  denn  auch  Grundsatz 
unserer  erleuchteten  höchsten  Schulbehörde:  j, Jedes 
Seminar  soll  seinen  eigenen  Direktor  haben,  und  zwar^ 
wo  möglich,  einen  ordinirten  Geistlichen;  und 
bei  den  meisten  ist  dies  schon  der  Fall"*).  Wo  dies 
noch  nicht  der  Fall  ist,  da  ist  wenigstens  ein  Theologe 
als  Religionslehrer  an  den  Seminaren  angestellt,  -so 
auch  in  der  Provinz  Mied  errh ein  zu  Neuwied^ 
und  in  der  Provinz  Westphalen  zu  Soest«  Nur 
das  evangelische  Seminar  unsers  Düsseldorfer  Re- 
gierungsbezirks, zu  Mors,  hat  allein  in  Preussen^ 
und  vielleicht  allein  unter  allen  Seminaren  Deutsch-* 
lands,  das  Unglück,  jaicht  bloss  keinen  Geistlichcfn  zum 
Direktor,  sondern  auch  nicht  einmal  einen  Theologen 
zum  Religionslehrer  zu  haben«  Weder  der  Direktor^ 
noch  der  Oberlehrer  haben  jemals  Theologie  studirt^ 
und  doch  gibt  der  Director  allein  allen  Bibel  -  und 
Religionsunterricht  im  Seminan  Dass  dei'selbe  viel 
Verdienst  um  manche  Unterrichtsfächer^  namentlich  utA 
Mathematik,  deutsche  Sprache  und  Geogra«', 
phie  sich  erworben  hat,  auch  ausgezeichnete  Lehrgabe 
besitzt,  erkennt  die  Provinz  gerne  an.  Aber  nön  oninia 
possumus  omnes.    Wer  die  Theologie  niemals  wedei* 

'*)  So  heilst  es  in  dem  officiellen  t^erichtö  über  did 
Preussischen  Schullehrerseminare  itiBBCKEDORFff 
Jahrbüchern  etc.  1826  I.  Bd.  II.  Heft  S.  119. 

II.  24 


^j 


370 

auf  der  Universität,  noch  privatim  studlrt,  Biemals  zu  « 
stinem  Hauptfach  gemacht  hat,  und  daher  auch  wenig- 
stens die  eine  der  Grundsprachen  -  der  h.  Schrift  nicht 
versteht,  kann  unmöglich  die  RelSgionsIehre  überhaupt, 
jmi  die  Bibelkunde  insbesondere  so  griindlich  lehren, 
wie  Mathematik^  deutsche  Sprache,  etc^  welche  vonJu- 
geüd  auf  die  Hauptricheir  seines  Schul  -  und  Privatstu- 
dioms  gewesen  sind^  also  unmöglich  so  genügend ,  wie 
cf  der  Standptinkt  unserer  Seminaristen  erforderf.  Die 
iTohe  Schulbehörde  hatte  daher  früher  den  Kandidat 
der  Theologie,  Vorreiter,  als  Oberlehrer  und  Re- 
ligionstehrer  dem  Direktor  zur  Seite  gestelU,  welcher 
auch,  als  ein  Mann  voll  Glaubens  und  Liebe,  mit  gros- 
sem Seged  auf  die  Seminaristen  einwirkte.  Nach  dem 
frühen  Tode  des  edlen  Mannes  ist  die  Ob^rlehrerstelie 
jedoch  hiebt  iRFieder  mit  einem  Theologen,  sondern  mit 
Einern  Lehrer,  der^  früher  Seminarist  zu  Mors  gewe^ 
len  tind  liachher  Mathematik  stndirt  hatte,  besetzt.  Die 
Prövinzialsynode  zu  Köln  in  diesem  Jahire  hat 
ikich  daher  verpflichtet  gefühlt,  im  §.  26  ihrer  Verhand- 
loiigen,  das  Elemeniarscbulwesen  betreffend ,  ihren 
iiikhsten  Orts  vorzulegenden  Anträgen  mit  besonderer 
ibeiiehnng  auf  das  Seminar  zu  Mors  den  Antrag  bei- 
tafiigeä:  ,4däss  det  Religioüsunterricht  au  f 
d^ii  Seminaren  durch  einen  Theologen 
fttiieilt  werde. «< 

Gewiss  darf  tin^ere  Provinzialkircbe  VcrtraiiensvoU 
iioffed,  dasji  ihre  unterthänige  Bitte  zürn  Heil  der 
Schule  und  Kirche  recht  bald  gewährt^  und  die  Reli- 
gioiislehrersiellt  am  Seminai'  mit  einem   gründlicbeOi 


37i 

entschieden  gläubigen  Theologen  besetzt  werde.  Nur 
dann«  kann  unsere  Provinzialkirche,  —  was  sie  soll  und 
will,  —  den  Glauben  in  der  Gemeinde  aufbauen,  wenrii 
nicht  der  Unglaube  in  den  Schulen  gepflegt  wird;  Nur 
zu  leicht  geschiebt  dies  aber,  wenn  die  Seminansteii 
nicht  auf  eine  gründliche  Weise  in  die  Öffenbaruhgeü 
Gottes  in  Christo  eingeführt  werden.  Nur  zu  leicht 
durchdringt  die  Seminaristen  alsdann  eiii  Geist  feinen 
DiNTERschen  Unglaubens,  indem  sie  DiNTERsch«i 
heidnische*)  Lehr  -  Weise  einer  esoterischeü 


*)  Professor  Ne ander  sagt  in  seiner  herrlichen  Ge^ 
schichte  der  christlichen  Rejigion  uhd 
Kirche,  I.  Band  I;  Abtheilung  &  8  —  11  von  def 
esoterischen  und  exöterischeii  Auffaääüngs- 
weise  der  heidnischen  Religionen:  ,>Mit  die- 
,>ser  Einheitslehre  (von  Gottj  unter  den  t)hilöSO- 
„phisch  -  gebildeten  Heiden)  war  eine  geii^tigöre 
^,Auffassung  der. ganzen  Religion  Verbunden,  beiden 
„als  esoterische  Lehren  heben  der  cxöteri- 
„schen,  symbolischen  Volksfeligiori.  Alle  reiti 
„geistige  Religionserkehntniss  betrachtete  hiati  nur 
,>als  Eigehthiim  einer  kleinen  Zahl  der  G^TVeihteti 
„etc.  Es  war  daher  die  herrschende  Idee  dei'  den' 
„kendeii  Mähner  des  Alterthums^  von  der  älld  reli- 
„giöse  Gesetzgebungen  ausgingen  j  dass  der  Mehgä 
„nicht  die  reine  >  religiöse  Wahrheit  >  sodd^rü  dass 
„nur  eine  Mischung  voh  Dichtung  iihd  Wahrheit 
„ihr  gegeben  werden  können  um  die  i'eligiöseü 
„Ideen  auf  solche  Weise  darzusielleh ,  dass  äie  auf 
„die  sinnlichen  Menschen  Eihdruck  machen  kotiht^n* 
„Der  Grundsatz  von  eihei*  sogenannten  fräus  ptä 
„war  in  der  Gesetzgebung  des  Alterthtims  durchaus 
„herrschend.  Der  grosse.  Geschichtschreib  ei*  Po- 
>,LYBius  sagt  B.    16.   C.   12:   .>  Insofern   es  dastU 


37:? 


\. 


tmd   exoterischen   Religion    sich    ihnen   dann   am 
ncisten  empfiehlt,  wornach  sie  die  vermeinte  Weiibeit 


■9> 


jjdient,  die  Frömmigkeit  unter 'der  Menge  zu  erhalt 
,,ten>  muM  man  einigen  Ges<^hichtschreiberd  yerzei- 
hen,  wenn  sie  Wundermährchen  erzählen. '^  Der 
,,Geograph  Strabo  (s.  1,  I.  c.  II.)  meint,  dass  die 
y^Mytheuy  wie  für  die  Kinder,  so  auch  für  die  Un- 
^gebildeten  und  Unwissenden,  welche  wie  die  Kin^» 
,,der  seien,  erfordert  würden,  und  so  auch  für  die- 
9,jenigen,  die  nur  äine  mittelmassige  Bildung  hät- 
^^ten;  denn  auch  bei  diesen  habe  die  Vernunft  nicht 
,,Kraft  genug,  und  sie  seien  noch  nicht  fähig,  TOn 
„der  aus  den  Kinderjahren  mitgebrachten  Gewohn- 
„heit  sich  ft>ei  am  machen ! ''  — 

„Freilich  eine  traurige  Lage  des  Men- 
„sehen,  fügt  Neanper  hinzu,  wenn  der  Same 
„des  Heifigeny.der  sich  in  dem  ganzen  Le* 
„ben  nur  fo^rtentwi^keln  sollte,  nicht 
„schon  in  das  Gemüth  des  Kindes  gestreut 
„werden  konnte,  wenn  die  reife  Vernunft 
„zerstören  musste,  was  im  Kindesalter 
>,gepflanzt  worden,  wo  nicht  di^  heilige 
„Wahrheit  yon  dem  ersten  Aufstrahlen  des 
„kindlit^hen  Bewusstseins  an  die  Grund- 
„lage  der  ganzen  Lebensent  Wickelung  bil- 
„den  k'onnte«''— ' 

Und  dieselbe  traurige  Lage  jener  Heidenkinder 
wird  noch  jetzt  den  armen  Christenkindem  bereitet, 
dadurch,  dass  sie  noch  jetzt  nach  solchen  heidni- 
schen Grundsätzen  unterrichtet  werden,  und  die 
Schullehrer  die  Rolle  jener  elenden  heidnischen 
Volkstäuscher  übernehmen  sollen,  ihnen,  statt  die 
heilige  Wahrheit  zur  Grundlage  ihrer  Lebensent^ 
Wickelung  zu  geben,  historische  und  philosophisch« 
Mythen  für  Wahrheit  zu  yerkaufen,  so  dass  diese 
die  Qifeabaituigen  Gottes  an  die  ersten  Aelters 


1 
I  ■ 


i 


373 


der  esoterischen  Bibelerkiarung   meistens  wohl  für  sich 
behalten   und  ihrer  Schuljugend    bloss   die    exoterUche 


im  Paradies^  an  Abraham  im  Haine  Mamre,  an 
Christum  und  die  Apofttel  auf  dem  Berg  d«r 
Verklärung  etc.  -*  die  ihre  kindliche ,  Seele  mit  an- 
betender Liebe  und  Freude  erfüllt  hatten,  nun,  wenn 
9ie  von  der  höheren  Weisheit  Dintbr's  enttäuscht 
werden,  die  erste  als  ein  Gedicht,  die  zweite  als 
einen  Irrthum,  die  dritte  als  einen  Traum  anse- 
hen lernen  (s.  Dinters  Schullehrerbibel  1  Mos.  3 
und  Zugabe^  die  Zugabe  zu  1  Mos.  18  und  Matth. 
17,  2),  und  dadurch  an  allem,  was  der  Lehrer  oder 
Seelsorger  sie  aus  Gottes  Wort  gelehrt,  zweifeln 
und  irre  werden!  —  Ja,  noch  traurigere  Lage  der 
armen  Lehrer!  Denen  im  Licht  der  D  int  Bu- 
sch en  Weisheit  der  falsche  Prophet  Mahamme4 
höher  stehen  muss,  als  Moses,  der  Prophet  Got- 
tes; da  jener  ehrlich  genug  war,  zu  gestehen,  dass 
er  keine  Wunder  thun  könne,  dieser  aber  die  über 
der  Schlucht  liegenden  Steine'»  die  das  Wasser  yer- 
stopften,  mit  dem  Stabe  wegräumend,  dies  für  ein 
im  Namen  Gottes  gethanes  Wunder  aufgab  (siehe 
DinTER'B  Schullehrerbibel  2  Mos.  17,  6)>  ja  die- 
ser ihnen  als  ein  anmassender,  blutdürstiger,  Got- 
tes Namen  zur  Befriedigung  seiner  Leidenschaften 
misbrauchender  Demagoge  erscheinen  muss  (siehe 
DiNTER's  Schullehrerbibel  2  Mos.  34,  7;  ygl.  32.^ 
27—29).  Denen  der  chinesische  Gottesläugner,  Fo,' 
als  ein  geringerer  Betrüger  erscheinen  muss,  denn 
der  ewige  Sohn  Gottes.  Jener  enttäuschte  doch 
wenigstens  ror  seinem  Sterben  die  sein  Lebenlang 
im  Dunkeln  herumgeführten  Jünger,  ihnen  entde- 
ckend, dass  es  mit  dem  bisher  Ton  ihm  Gelehrten 
nichts  sei.  Dieser  aber  belehrt  seine  Jünger  nicht 
über  ihre  bei  seinem  früheren  Unterrichte  (angeb- 
lich) irrig   und   auf  jtidiich-abergläubisch»  Weis« 


374 


geben 9  jedoch  mit  gehobenen  Schulen,  was  I)inT£R 
ansdriicklich  lehrt  und  anräth,  (z«  B.  in  seiner  Schul- 
lehrerbibe),  Zugabe  zu  1  Mos.  Cap.l.  8.  10  etc»)  und 
Klteren  Schülern  auch  manches  Esoterische  mittheilen, 
and  die  exoteriscne  Hülle  weglassen. 

Gdbe  Gott,  dass  eine  solche  doppelte  Lehrweise 
auf  keinem  unserer  Sen^inare,  auch  nicht  auf  nnserm 
evangelischen.  Seminar   zu  Mors,   einheimisch   werde! 


aufgefassten    Vorstellungen   von    der    Versöhnung, 
der  Erlangung  der  Gerech tigung    Tor   Gotl  durch 
den  Glauben,    dem  Dasein  und  der  fortdauernden 
Wirksamkeit  des  Teufels,  dem  Weltgericht  u.  a.  w. 
(s.  Di:\^TER'8  Schullehrerbibel  1  Thess.  4>  15.  16 
und  Zugaben  zum  Ev.  Luc.  S.  53.  54.  Tgl.  D in- 
te r's  Anweisung  zum  Gebrauch  der  Bibel  11.  Thl. 
S.'66*  67.),  selbst  nicht  nach  seiner  Auferstehung, 
selbst  nicht  nach  seiner  Himmelfahrt  bei  der  Aus- 
giessung  des  h.  Geistes.    Nein,  sie  lehren  ihre  Vor« 
Stellungen  als  Christi  Lehren  in  ihren  Schriften  bis 
an  ihren  Tod,   bleiben  getäuscht  und   täuschen  die 
ganze    Menschheit   auf    ewig,  —     den    Theil    der  ' 
Menschheit  wenigstens ,  welcher  nicht  die  Dreistig- 
keit DiNTBR's  besitzt,  den  Grundlehrien  der  Apo* 
stel  Ton  der  Versöhnung  Christi  und  der  Heiligung 
^  ins  Angesicht   zu    widersprechen,    die   Stufen   der 
gottlichen  Heilsordnung  umzukehren,  die  Heiligung 
der  Rechtfertigung  Torhergeheii,  statt  nachfolgen  zu 
lassen,  das  ganze   Verdienst  des  Todes  Chfisti  in 
eine  blosse  Bestätigung  seiner  Lehre  zu  setzen, 
darauf  zu  behaupten,   dass  die  Apostel  ganz  seine 
Ansicht  lehrten,  und  die  ihr  entgegengesetzten  bi- 
blischen  Stellen  ihr  gemäss  zu  verdrehen.    (Siehe ' 
DiNTlBR's    Schullehrerbibel  Rom.  3 >   25.  26.   28. 
4y  5  —  8  und  Zugabe  zu  Cap.  4.  Ap.  Gesch.  1^  39^ 
Eph.  1,  '7.  Uebr.  0,  12  und  14  etc.) 


.•K 


I       • 


V.  • 


Deno  die  evangelische  Kirche  kennt  keine  solche 'zwie-  . 
fache  R ei i g i o a  der  Unmündigen  and  der  G e -^ 
bildeten»  keinen  frommen  Betrug  irgend  einer 
Art,  mag  er  aacn  Accomodation  und  Lehr.weis- 
heit  tilolirt  werden.  Das^  Lehren  solcher  , doppelten 
Religion  für  die  Schallehrer  and  für  die  Schalen  an« 
tergräbt  alle  Wahrheit,  allen  Segen  des  Worts  Goües» 
und  alle  Widuamkeit  der  christlichen  Prediger»  Mag 
auch  der  Schnllehrer  in  der  Regel  nur  den  sogenann- 
ten niedern  Yol^ksglauben  (die  exoterische  Religion) 
in  der  Schale  lel^iren,  sobald  der  Piediger  aber  keinen 
andern  Glauben  als  dieseii  auf  und  anter  der  Kanzel 
lehrt,  so  wird  jener  meistens  denken:  der  Prediger 
accomodirt  sich^  wie  ich  in  meiner  Schule,  er  hält  die 
Zuhörer  noch  tuf  «Q  unmündig,  dass  sie  der  höheren 
Religion  noch  nicht  fähig  seien  ^  ^—  selten  wird .  er  . 
glauben,  dassf  es  dem  Prediger  Ernst  damit  sei,  und 
'er  in  der  Aafldämng  noch  so  weit  zurückstehe,  -^ 
und  so  hat  fürs  erste  der  sich  höher  stellende  Lehrer 
keinen  Segen  Ton  der  Predigt,  Da  es  aber  nach  * 
Dieters  Meinung  des  Lehrers  Pflicht  ist,  in  den 
gehobenep  Schulen  bisweilen  einige  Körner  der  neuen 
höheren  Lehre  fallen  zu  lassen,  aus  denen  diese  den 
Schulen  allmähüg  weiter  aufgehen  so(l,  da  der  Lehrer 
überdies  nicht  ermangeln  wird,  die  vermeinte  höhere 
.  Weisheit  (nach  dem  im  Menschen  liegenden  Mitthei- 
lungs- Trieb)  den .  empfänglichen  älteren  Schülern  und 
Erwachsenen  mitzuth eilen ,  -—  und  welcher  natürliche  , 
Mensch  ist  nicht  durch  den-  in  ihm  liegenden  fleisch- 
lichen Stolz,    dem  iene  Webho^t  so  sehr  schmeichelt^ 


...;lBr- 


'."Eätj-v.'!;  .  »• 


376 


empfänglich  dafür?  —  so  wird  gar  bald  der  grössere 
Tbeil  der  Zuhörer  sdnen  bei  der  altgläubigen  Predigt 
}>eharrenden  Seelsorger  fär  einen  ihnen  das  Bessere 
vvillentlich  vorenthaltenden  Finsterling,  Heuchler  u.s.w. 
.liallteDy  und  der  Same  Gottes  fällt  an. den  Weg. 

Das  sind  die  Folgen ,  die  aus  jener  zweiziingigen 
l4ebrweise  entstehen,  und  in  immer  furchtbarerer  Aus- 
dehnung entstebeii  werden ,  wenn  man  sie  nicht  fallen 
lisst  *—  Ich  könnte  einen  deutschen  Staat  nennen, 
in  welchem  solche  doppelte  Lehrwelse  in  DiifTER* 
#cher  Manier,  wenn  schon  ohne  Dimter's  Frivo-r 
lität,  an  seinem  Schullehrerseminar,  bereits  eine  furcht- 
bare Kirchenscheu,  besonders  bei  den  Schullehrem, 
btefördert  hat.  -:-  Doch  der  Name  ist  bicr  nicht  oöthJ^ 


377 


Allgemeiner  Unterricht  i^on  Jacotot. 


JL/a  dieser  Mann,  wenn  schon  ein  geborner  Franzose, 
doch  in  den  Niederlanden,  und  zwar  in  Löwen  seine 
neue  Unterrichtsweise,  die  er  Enaeignement  unwersel^ 
allgemeinen  Unterricht,  nennt,  gelehrt,  und  besonders 
in  den  ersten  Jahren  viel  Aufsehen  damit  gemacht  hat, 
so  will  ich  hier  einige  Worte  darüber  sagen.       i 

Das  Eigenthümliche  seiner  Lehrweise  besteht  darip^ 
dass  binnen  sechs  Monaten  jeder  Schiller  eine  Spra- 
che, welche  er  wolle,  vollständig  bei  ihm  lernen  sojl, 
wobei  er  nur  Ein  Buch  brauche,  und  gleichviel  sei  es 
ihm ,  welches.  *  Auch  lerne  er  hierdurch  so  gut  denken 
und  schreiben,  wie  der  beste  Schriftsteller,  und  impro- 
visiren,  gleich  dem  gewandtesten  Improvisator, 

Die  Grundsätze  seines  allgemeinen  Unterrichts  slqd 
in  243  kurzen  unzusammenhängenden  Sprächen  vcr- 
fasst*),  von  welchen  die  wichtigsten  hier  folgen: 

*)  S.  GrondstellingeH  van  kct  (^zoogenaamd)  alovioat'tend 
Ondcrioys  van  den  Heer  Jacotot,  overgenomen  uil  het 
Fransch  en  tocgelicht  door  den  Kapitcin  L,  F,  GeeR'* 
l^iSG,  Arnheim  bei  Thieme  1829. 


•  I 


I      ,■ 


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378 


2.  Alle  Menschen  Laben  gleichviel  Verstand. 
53.  Es  gibt  kein  Genie. 

50.  Das  Genie  ist  nichts  anders»  als^  eine  grosse  Ge- 
schicktheit  zur  Geduld. 

4.  Man  ist  nicht  gelehrt  durch   das,    was  man  ge- 
lernt, 'sondern  durch  das,  was  man  behalten  hat. 

11.  Setze  Vertrauen  in  den  Verstand  eines  Schülers, 
aber  du  kannst  nie  zu  viel  Mistraueo  in  sein  Ge- 
däclitniss  setzen. 

85.  Man  behält  nichts,  als  was  man  wiederholt. 

26.  Fange  nicht  mit  der  Sprachlehre  an«  Du  kommst 

vom  Wege  ab. 

Daher  beginnt  JACOTOT  den  Sprachunterricht 
damit,  dass  er  ganze  Bücher  auswendig  lernen  la'sst, 
z.  B.  bei  dem  Unterricht  des  Lateinifcben  die  Ipiiome 
hiaicfriae  eacrae,  welche  er  als  I^eit&den  gebraucht 
Hierbei  erklärt  er  nichts,  ausser  dass  er  von  den  aus- 
wendig gelernten  Sätzen  eine  Uebersetzung  gibt.  Das 
Auswendiglernen  der  Jfyiiome  dauirt  2  Monate,  worauf 
er  mit  den  Schülern  zum  Uebersetzen  und  endlich  zur  • 

# 

Sprachlehre  übergeht  -^  Auf  diese  Art  soll  der  Schü- 
ler binnen  6  Monafeq  im  Stande  sein,  alle  lateinisiche 
Bücher  gleich  dem  grö'ssten  Gelehrten  und  gewandtestea  ' 
Schrifbteller  müadUch  und  schriftlich  zu  übersetzen. 

7.  Verstehe  Ein  Buch,  welches  es  auch   sei,   an4 
wende  alle  anderen  darauf  an. 
59.  Wfr  sind  alles  im  Tele^iacr. 

Wer  daher  die  6  ersten  Bücher  des  Telemach,  ' 
den  et-  gewöhnlich  zum  UnterrichUbuch  im  Französi-< 


1 


■^f 


379 


t 


ftchen  nimint,  aaswendig  könne ,  yerstehe  alle  franxösi- 
•che  Bacher.,         . 
39*  Nichts  ist  in  nichts.    Alles  ist  in  allem. 

-Letzteres  istjACOTOT's  Wahlspruch. 
51.  Ausser  unserer  Muttersprache  sprechen  wir,  wir 
m^en  wollen,  oder  nicht,  alle  eine  allgemeine 
Spradie,  welche  die  Gefühle,  die  wir  verbergen 
wollen,  sowohl  als  die^  welche  wir  ausdrücken  wol- 
len, Sa  erkennen  gibt 
72,  Mit   der  allgemeinen  Sprache    K^mi   man   alles 

# 

'    sagen, 

70.  In  Einer  Spracl^  ist  ^|ie  Unendlichkeit  beson- 
derer Spracbeq. 

127.  Die  das  Frai|x($sische  yersteheii|  verstehen  aach 
das  Grriechisphe  nnd  Lateinische. 

191.  Wer  {lin^  Sprftche  kennt,  weiss  alles. 

207.  Wer  sich  nipbt  im  Stande  glaubt,  zu  lehren, 
was  er  nicht  yrdu^  yerstebt  den  allgemeinen  Un- 
terricht noch  liicht, 

213.  Die  Lehrweise  dea  allgemeinen  Unterrichts  setzt 
in  dem'  Lehrer  nicht  mehr  erlangte  Kenntniss  vor- 
'  aus,  als  in  den^  Schiller« 

116.  Es  ist  ^enug,  ein  Nichtswis$er  zu  sein,  um  Leh- 
rer durch  die  Ljsbrweise   des  allgemeinen  Unter- 

'    rights  zu  sein^ 

17.  Der  Unterricht  kommt  nicht  vom  Lehrer. 

69.  Im  allgemeinen  Unterricht  ist  kein  guter,  noch 
schlechter  Lehrer,  wenn  er  nur  den  erforderlichen 
Charakter  besitzt.  Denn  der  Charakter  ist  alles  in 
allem. 


•  •  > 


380 


20.  Das  kleinste  Kind  ist  im  Stande,   dea  abstralu- 
sten  Ausdruck  zu  fassen. 

110.  Wer  18  oder  20  Jahre  gelebt  hat,  weiss  allesi 
was  in  der  Literatur  ist 

67,  Die  öffentlichen  Uebnngen ,  die  Preise  der  alten 
Lehrweise  sind  Beleidigungen;  sind  Beleidigungen 
für  die  geringere  Fähigkeit  der  Natur,  wenn  die- , 
selbe  vorhanden  ist,  und  Belohnungen,  von  dem 
Starken  nicht  verdient,  wenn  sein  Mebenbuhl^ 
schwach  geschaffen  ist. 

*73.  In  Betreff  der  Wissenschaften  ist  alles  Ueber« 
einkunft  In  dieser  Welt 

1.  Der  Mensch  isi  ein  verniinftiges  Thier,  geschickt, 
um  Aehnlichkeiten  {opereenkomsien)  zu  fassen. 

*78.  Das  Gute,   das  Böse,   das  Bessere  sind  im  Zu- 
sammenleben Fragepunkte  der  Beredsamkeit 

120.  Der  Mensch  wird  weder  gut,  noch  böse  gebo-< 
ren,  wie  man  dies  behauptet  hat    £r  ist  bald  das; 
eine^  bald  das  andere.    Er  thut  das  Böse  und  da 
Gute«    Wenn   er  standhaft  wäre,    würde  er  kein 
Mensch  mehr  sein» 

123.  Der  Vernünftig  denkende  Mensch  kann  alles.. 

221.  Man  ist  immer  gelehrt  genug,  um  sittlich  w" 
sein.     Man  sündigt  niemals  durch  Unwissenheit 

24.  Niemand  ist  vollkommen,  weder  im  Gmten,  nodi 
im  Bösen. 

25.  Wir  haben  4ille  den  Keim  aller  Tugenden  und  ' 
aller  Untugenden. 

1^21.  Der  allgemeine  Unterricht  ist  die  Lehrweise  der. 
Natur. 


< 


I 


381 


235.  Der  allgemeine  Uoterricht  ist  eine  Wohlthät. 

23/4.  Der   allgemeine  Unterricht   wird  nicht    Wurzel 

fassen. 

Man  ersieht  aus  Vorstehendem,  dass  JACOTOt's 
Sprüche  theils  allgemeine  längst  bekannte  Wahrheiten, 
theils  Halbwabte^,  theils  witzige  Ungereimtheiten  und 
Prahlereien  enthalten.  Aehnlichen  Inhaltes  sind  seine 
andern  Schrillen,  welche  zum  Theil  eine  Art  Anwei- 
sung zu  seinem  Unteiticht  enthalten,  z.  B.  Jünseigne-^ 
ment  universell  langue  etrangere ,  Loupcun  bei  DJB 
i      Paupv  ^8a4y  Langue  materneüe  etc. 

So  sehr  auch  seine  Lehrweise  von  Professor  KiN* 
.  K£R  zuv  Lüttich  in  einem  auf  Befehl  des  Königs  unterm 
8.  Sept.  1826   darüber   ausgestellten   Gutachten   gelobt 
worden  ist,    so   dass   er  voin  Könige  einen  Orden  er- 
f     hielt,  so  hat  seine  geistvolle  pädagogische  Marktschreie-* 
\    rel  doch   sich   nicht  ausbreiten   können,   wie   er   selbst 
K.Jm  234sten  seiner  Sprüche  geahnet  hat.    Die  Resultate 
|r  »eines  bisherigen  Unterrichtens  während  12  —  13  Jah- 
re,  welche   aus  Kindern   eine  Menge  junger  Gelehrten 
hätte  liefern  und  alle  Gegner  beschämen  müssen,  wenn 
L:    er  das  Versprochene  geleistet  hätte,  haben  den  Erwar- 
tungen  und    Versprechungen    keineswegs    entsprochen. 
Die  Stimmen  der   Prahler  verstummen   allmählig,   und 
man    kehrt    zur    alten ,     gründlichen    Unterrichts  weise 
-    zurück  *). 


■  C  11* 


*)Iii  Nordniederland  hatte  die  neue  Unterrichts* 
weise  sich  nie  Beifall  erwerben  können.  Auch  ha- 
ben melircre   Schriftsteller  die  Grundlosigkeit  der- 


382 


So  macht  die  Zeit  das  Eide  ftü  Schanden« 


selben  nachgewieaen,  z«  B.  i)  Tteee  Briefen,  het  W' 
'denepi  en  hyzonder  ook  de  leerwyze  van  den  Heer 
Jacotot  beireffende^  door  Rüstig,  Groningen \i&. 
OoMKENS  ,1827.  3)  AanmärHngen  op  de  Leerwyze  vm 
den  Heer  JacüTOT  eH  zyhe  iwee  werken  wer  hei 
taaionderwpt,  Vit  het  Franseh.  Haag  bei  Kloot8 
1827.—  Aach  Geerljno  in  der  Toeliehting  in  sei* 
ner  oben  angeführten  Schrift»  die  GrondsteiUngen 
des  Jacotot  enhaltend,  kritisirt  sie  scharf. 


1 


> 


•^ 


383 


Andere  Merkwürdigkeiten  Harlem^s. 
Die    Dünen.     Abreise    nach    Dord^ 

recht. 


iiii« 


.   Y V  ahrend  meiner  Anwfisenlieit  «u  H  a  r  1  e  m  sah  ich 
.  noch  einige  Metlcwiifdigkeiten  in    der  Stadt   und   ihrer 
Nähe.   *Dürch  die  Güte  eines   grossen  Bhimenhändlers 
^voh  deutscher  Ahkunft,   Schneevogt,    konnte    ich 
'  wenigstens    die   äusseren  Einrichtungen   der  herühmten 
Harlemer   Blümengarteii  mit  ihren    vielen  Treib- 
häusern  und  Beeten  betrachten^    welche-  letztere    mit 
Lohe  statt  Mist  umgeheil  waren^  und  die  tausende  Blu- 
menzwiebeln in  den   Schuhladen   und  Fächern    sortirt 
sehen,   von  welchen  vor  hundert  Jahren  {jiia  Tulpen- 
zwiebel  mit  4  bis  5000  fl.  bezahlt  Wurde*      An   den 
prachtvollen  Tulpen,  Hjacintheii,  Ranunkeln,  Anemo- 
nen,   Aurlkeln  u.  s.  w.  selbst  konnte  ich  mich  nur  in 
Zeichnungen  ergötzed.    Denn  der  Winter  ist  nicht  der 
ßlumen  Freund. 


*■ .     *  ^ 


384 


Eine  andere  Merkwürdigkeit  der  Stadt  ist  die  be- 
rühmte, herrliche  Orgel  mit  8000  Pfeifen  und  60 
Registern  in  der  grossen  reformirten  Kirche  j  die  grÖ-» 
ste  in  den  Niederlanden. 

Eine  dritte  Merkwürdigkeit  ist  das  Standbild 
des  Harlemer  Rathsherrn ,  Lorenz  K  o  s  t  e  r  ,  auf 
dem  Markte,  welcher  von  den  Holländern  für  den  Er- 
finder der  BuchdruckerkuDst  gehalten  wird.  £r  steht 
in  seinem  Rathsherrnmantel  in  Lebensgrösse  abgebildet 
auf  sinem  erhabenen  Postamente^  mit  einem  Lorbeer'- 
kranze  um  das  Haupt,  und  hält  in  der  einen  ausge- 
streckten Hand  ein  grosses  A,  In  der  andern  ein  Buch.^ 
Sein  Andenken  wurde  im  J.  1823  wieder  aufs  glän- 
zendste gefeiert,  und  durch  ein  neues  Denkmal,  das 
man  ihm  am  10.  Jul.  desselben  Jahres  im  Harlemer 
"Wäldchen  setzte,  verherrlicht  Weil  nämlich  der  Hol- 
länder Jacob  Koning  in  seiner  Preisschrift  über 
die  Erfindung  der  Buchdruckerkunst  vom  J.  1816  be* 
hauptet  hatte,  dass  Koster  sie  Zwischen,  den.  Jahren 
1420  —  1425  erfunden  habe,  so  wurde  das  Jahr  1823 
zum  vierhundertjährigen  Jubiläum  bestimmt.  Der  10. 
Jul.  war  der  grosse  Festlag,  zu  welchem  viele  Tausen- 
de aus  allen  Städten  Hollands  nach  Har lern  ström- 
ten, um  das  Gedächtniss  ihres  grossen  Landsnianns  za 
feiern.  Auch  ich  ging  von  Amsterdam,  wo  ich  damals 
war,  zu  diesem  Fest  nach  Harlem,  vorzüglich  um  die 
Eigenthümlichkeit  eines  holländischen  Nationalfestes  za' 
seheikk '  Schon  unterwegs  in  der  Schult  umgaben  mich 
die  lebhaftesten  Aeusserungen  des  holländischen  Patrio-' 
tisinus,   so  dass  kein  Zweifel  an  Koste  RS  Verdieasl 


3S5 

laut  werden  durften.  Auch  erzählte  man  alles  Ernstes^ 
.(iass  2000  deutsche  Studenten  ira  Anzu^g  seien,  um  das 
Fest  zu  stören ,  well  Holland  sich  Deutschlands  Ruhm 
zueignen  wolle.  Allein,  wenn  sie  es  wagen  sollten, 
würde  man  sie  schon  finden.  Man  erzählte  das  wohl 
mir  zum  Gehör,  weil  man  an  meiner  Aussprache  merkte^ 
dass  ich  ein  Deutscher  sei.  Ich  Hess  Holland  indess  seinen 
Ruhm  unbestritten^  nicht  bloss,  weil  dies  das  Sicherste 
für  mich  war,  sondern  auch ,  weil  ich  wirklich  glaube^ 
dass  beide  Länder  den  Ruhm  dieser  Erfindung  theilen 
können,  und  Koster  wie  GüTtenberg  sehr  gut 
unabhängig  von  einander  auf  dieselbe  kommen  konn- 
ten *), 

In  Hartem  ängelaögt,  konnte  ich  jedoch  nicht 
alle  Theile  des  Festes  sehen,  weil  ich  daselbst  noch 
ganz  unbekannt  war,  und  es  mir  ohne  Einführung 
jiicht  gelang,  die  Ungeheuern  Mensch enitiassen  zu  durch- 
dringen. So  kam  ich  z.  ß.  nicht  in  die  Kirc^he ,  wo 
das  Fest  mit  einer  Rede  des  Professors  VAN  der 
Palm  eröffnet  wurde.  Nachher  ging  der  festliche^ 
tinabsehliche  Zug  mit  Musik  und  von  Militär  zu  Fusd 
find  zu  Pferd  umgeben,  vomRathhause  nach  dem  lieb-« 
liehen  Wäldchen  vor  der  Stadt,  das  mit  so  vielen  Land- 
häusern prangt.  Hier  soll  Kost  ER  durch  das  Ein- 
schneiden einiger  Namen  in  Bäume  auf  den  Gedanken 
an  bewegliche  Lettern  gekommen  sein.     Hier  war  d^-» 


0  Vgl.  Näheres  hierüber  in  NiemeyEr*«  Beobach- 
tungen auf  einer  Reise  durch  einen  Theil  von  West- 
phalen  und  Holland.  Halle  Waiscnhausbuchh.  1823. 
IV.  Beilage.. S»  338  ff. 

II.  25 


t 


386 


her  du  neue  DeDkmal  errichtet,   das  jetzt  zum  ersten 
Male  den  Blicken  der  Versammlang  enthüllt,   und  mit 
einer  Rede  feierlich   eingeweiht  wurde.     Das  Denkmal 
ist  Tiereckig,  und  nicht  sehr  gross.    Für  ein  National- 
denkmal wenigstens  scheint  es  mir  nicht  gross  und  wür- 
dig genug«    Auf  der  ersten  Seite  steht:    7hr  JSere  ihm 
LAURSNg  Jjnnszooji  Kqstea^    JJUuindtr  d$t 
Scmlpdrukkunst ,    door  BurgemeeaUren  en  Baden  di^  * 
Stad  Haarlem  <^  het  tderde  Eeuu^gttyde  48$3»   Ob^n 
drüber  steht  ein    grosses  A.     Auf  der  zweiten  Seite 
steht :   F'icit  yim  i4rtu9.    Darüber  ist  ein  Schwert,  und 
über  diesem  ein  Druckerballeu    und   einige  Drncker-i    , 
Werkzeuge.    Auf  der   dritten  Seite  steht   die  Inschrift 
der  ersten   lateinisch.     Auf  der  yierten  Seite  Ut   der 
Biederländische  Löwe  mit  Lorbeerkänzen. 

Nach  der  Einweihung  des  Denkmals  ]irurden  im 
Wäldchen»  ganz  nahe  bei  dem  prachtvollen  Landhause 
des  YAN  HoPE^  das  nachher  der  Kenig  gekauft  hat, 
allerhand  Vergnügungen  und  Spiele  für  das  Volk  ver- 
.. anstaltet,  Mastklettern,  Ringen,  Caroussel,  Seilschwin^  . 
gen,  Feuerwerk  und  dgl.  An  Buden  und  Schenken 
tur  Erquickuog  des  Leibes  fehlte  es  natürlich  nichti  . 
Auch  arbeitete  auf  offener  Strasse  eine  Druekerpretsc^ 
damit  Jedermann  sich  von  dieser  nützlichen  Ein^idk'» 
tung  einen  deutlichen  Begriff  machen  könne«  Des 
Abends  war  die  Sudt  illuminirt. 

Zu  den  Erholungen,  welche  ich  zu  Harlem  m&ß^ 
rend  des  KoUektirens  genoss,  gehörte  auch  der  ÜbhT 
gang  mijt  einigen  lieben,  freundlichen  Familien,  eines 
Recht^gelehrteii  VAN  Vooast,  dem  Sohn  des  Pro« 


t; 


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38? 

-r— 

fessors  zii  Leiden,  einem  herzlichen,  biederen  Manlil^^ 
und  seiner  Frau,  einer  feingebildeten  und  liebensfrür'i 
digen  Dame,  Tochter  des  verstorbenen  Professors 
Rau  zu  Leiden,  eider  Familie  VAN  Ingen,  und 
zwei  Brüdern  Nyborg,  deren  einer  ein  Spiegdfobri^ 
kant  war,  so  dass  ich  hier  die  angenehme  Gelegenheit 
hatte,  die  Bereitung  der  Spiegel  zu  sehen«  Beide  gehörten 
zu  der  ehemals  hier  bestandenen,  aber  schon  seit  län- 
gerer Zeit  erloschenen  Brüdergemeinde,  waren  sehi^ 
heiteren  und  glaubigen  Greistes,  und  machten  niich  mit  ' 
einigen  Gleichgesinnten,  einer  Metn'ouw  VAN  dei^  ^ 
Bosch,  und  einer  edlen  alten  Jungfrau  SchneE'» 
VOGT  bekannt.  In  ihrer  Gesellschaft  erquickte  sich 
manchmal  mein  Geist  von  den  Müheii  des  Tags,  na-» 
mentlich  brachte  ich  den  letzten  Abend  des  Jahres  in 
diesem  lieblichen  Kreise  zu,  wo  wir  mit  einander  le* 
send,  sprechend,  singend  und  betend  der  Güte  unsers 
Gottes  gedachten,  die  er  im  alten  Jahre  an  uns  bewies 
sen,  und  seinen  Segen  fürs  neue  erflehten« 

Als  meine  Abreise  herannahte^  ludett  mich  ^\€ 
.Ürüder  N  TBC  HG  ein^  noch  einen  Spaziergang  mit  ih-  , 
nen  nach  den  DSnen  zu  machen.  Ich  nahm  die  Ein- 
ladung mit  Freuden  an,  um  auch  von  dieser  Seite  ein^ 
mal  das  Meer  «u  sehen.  Wir  richteten  unsern  Weg 
nach  der  sogenannten  blauen  Treppe^  dein  höch^ 
sten  Gipfel  der  Dünen,  welche  sich  hier  in  grossen 
it^ellenförmigen  Sandbergen  im  Hintergründe  derLaud- 
achaft  aufthürmen.  Wir  kamen  durch  fruchtbare  FeU 
der  an  vielen  Landhäusern  vorbei,^  dann  durch  das  ar^ 
tige  Dörfchen  Blumenthal,  das  auf  dem  Sandboden 

26* 


V  a 


388 

der  Donen  treffliche  Gemüse   und  Kartoßelti   gewionf* 
Anch  hier  an  der   warmen  Rückseite    der   Duneü  sind 
noch    Landhäuser  mit   kleinen   Weinbergen.     In    den 
Dii|nen  sj^lbst  sind  eine  Menge  wilder  Kaninchen,    wel'* 
jche   die  Küchen  Harlenis   bereichern.     Wir   klommen 
mühsam  den  steilen,  hoheii  Berg  hinauf,  rings  umweht 
yon  den  Büschen  des  Helmgrases,  worin  der  Wind 
splehe.    Meifie  Begleiter  knachten  midi  aufmerksam  auf 
den  unberechenbaren  Nutzen  dieses  unscheinbaren  Gra- 
ses.   Kein  Strauch  und  kein  anderes  Gras ,    als  dieses 
wächst  in  dem  losen  Sande.     £s  bohrt  sich  zuerst  mit 
seiner  kellfclrmigen  Wurzel   tief  in  die  Erde,    dann 
breitet  es  sich  mit  unzählbaren  Nebenwurzeln   und  Fa- 
sern rings  umher  im  Sande  aus,    so  dass   kein  Wind 
es  ausreissen  kann.      Zugleich   lässt  es  einen    hohen 
Busch  Halme  emporschiessen,  und  beschützt  damit  den 
Boden.9  so  dass  der  Wind  nicht  den  Sand  herauswUh- 
len  kann ,   sondern  über  ihn   hinstreicht.    Sonst  hätte 
er  längst  diese  Berge   unhaltbaren  Flugsandes    wegge- 
\wehf,  und  dem  Meer  freien  Zutritt  in  das  niedriger 'lie- 
gende Land  geöfftiet  —  Wunderbare  Weisheit  in  der 
Natur!    Wo  alle  Kunst  und  Weisheit   der   Menschen 
keinen  Damm  noch  Riegel  bereiteti  kann,  da  macht  die 
gcittliche  Weisheit  eia  verachtetes  Gräschen   zu  einem 
festen  Bollwerk  gegen   Wind  und  Meer.  —   Ais   wir 
den  Berg  erstiegen  hatten,    war  der  Himmel  unterdes«* 
sen  mit  Wolken  umzogen  worden,  und  die  fr^ie  Ans^ 
sieht  aufs  weite  Meer  war  uns  genommen.     Wir  wnr-* 
den  dariibet  jedoch  nicht  verdriesslich,  denn  wir  hatten 
Ja  ein  neues  Wunder  der  Weisheit  und   Güte   Gottes 


389 

an  dem  Hclmgrase  gesehen,  dass  wir  uns  freuen  konn- . 
ten.     Ich  nahm  mir  einige  Büsche  dieses  merkwürdigen 
(irases   mit,   und   so  kehrten   wir   vergnügt   nach    der 
Sladt  zurück. 

Am  6.  Jan.  1824,  Abends  9  Uhr,  setzte  ich  mich 
In  den  Postwagen,  der  von  Amsterdam  kommend,  über 
llarlem,  Rotterdiun  und  Dordrecht  nach  Brüssel  geht, 
und  vcrlless  wehmütbig  das  stille,  freundliche  Harlem, 
*  wo  ich  grosse  Liebe  und  Güte  genossen  lind  viel  edle 
Seelen  kennen  gelernt  hatte,  und  tarn  nach  einer  be- 
schwerlichen Fahrt,  nachdem  wir  zweimal  über  die  Maas 
hatten  übergeschiflft  werden  müssen,  des-  andern  Mor- 
gens um  halb  7  Uhf  in  der  von  der  Maas  umflossenen 
Inselstadt  Dordrecht  an,  deren  hoher,  stumpfer 
Thurm  uns  schon  lange  durch  die  blasse  Morgendäm- 
merung entgegengeschienen  hatte. 


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««1 


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fCollekfiren  in  Dordrächt.    Literari-^ 
.    sehe    Gesellschaften.     Mßßts^happy 
tot  Nu^t  ^ßn't  Algemeen* 


/Xuch  in  dieser  alten,  berühmten  Stadt  Sädhollands 
ward  mir  eine  freund  liehe  und  liebreiche  Aufnahme  zu 
Thell.  Die  reformirten  Prediger  Prins,  van  per 
ScHEER,  vanKooten,  Strqnck,  Tydemann 
u.  s.  w. ,  besonders  die  beiden  ersteren,^  emp&Uea 
meinen  Zweck  dringend  bei  ihren  Gemein dsgUedern, 
und  so  fand  ich  «viele  offene  Thüren  bei  den  Vomdir 
men,  Wie  bei  den  Mittelbürgern.  Von  diesen  ward  idi 
häufig  aufs  herzlichste  aufgenommen,  und  fand  bei  nicht 
wenigen  eben  so  viele  christliche  Erkenntniss,  als  le« 
bendigen  Glauben,  hörte  auch  den  Namen;  Vater 
Kl  ST  von  vieler  Lippen  mit  dankbarer  Rührung  neu« 
nen.  Erst  hierdurch  lernte  ich  kennen,  mit  wekhea 
Sege^  diefer  |;eialbte  Knecht  Gottes  iq   der  h!esi|^ 


*'\ 


391  . 

—  I  ■    ■«  ■  ■  ■  Hl      > 

Gemeinde  gewirkt  hatte.  Er  war  vor  2  Jahren  gestor- 
ben, aber  sein  Gedächtniss  blieb  im  Segen.^  Denn  er 
hatte  viel  gearbeitet*,  und  war  nicht  müde  geworden« 
Mehreres  über  ihn  s.  unten. 

Es  sind  hier  3  holländisch -reformirte  Kir- 
chen mit  8  Predigern,  1  französisch  -  reformirte 
und  1  lutherische,  jede  mit  1  Prediger,  auch  eine 
jansenistisch^  Kir^rhe,  so  wie  viele  römisch-ka-    . 
iholische  Christen.  . 

Die  grosse  reformirte  Kirche  hat  schone,  weite 
Hallen,  eine  sehr  grosse  Orgel  und  eine  Kanzel  von 
feinem  weissen  Marmor,  selbst  die  Treppe  nicht  aus- 
genommen. Dies  Marmordenkmal  ist  ein  Geschenk 
milder  Frömmigkeit.  Ein  anderes  noch  bedeutenderes 
Geschenk  solcher  Mildthätigkeit  besitzt  die  Kirche  in 
Abendmahls-  und  Taufgefässen  von  lauterem  Golde« 
£s  sind  3  Abendmahlsschiisseln,  wovon  die  grösste  an 
2  Fuss  im  Durchmesser  hat,  2  grosse  Becher,  ein 
Abend mahlskrug,  und  eine  TaufschUssel,  alles  aus  fei- 
nem Golde,  mit  einfachen  und  schönen  Verzierungen, 
so  wie  dem  Wappen  und  Namen  des  Gebers«  Dieser, 
mit  Namen  DiODATi,  war  als  armer  Waisenknabe 
im  hiesigen  reformirten  Waisenhause  erzogen,  ging 
nach  Ostindien,  und  erwarb  sich  daselbst  ein  ungeheu- 
res Vermögen,  so  dass  er  nach  seiner  Rückkehr  im 
J.  1736  aus  Dankbarkeit  dieses  Geschenk  machte.  Es 
wird  über  40,000  fl.  an  Werth  geschätzt.  Den  beiden 
andern  reformirten  Kirchen  schenkte  er  silberne  Abcnd- 
mahlsgefässe,  einer  Kirche  im  Haag  aber  ähnlicht  Gt« 
fasse  von  Gold» 


f  \ 


862 

Das  H911S,  in  dessen  Saal  die  berühmte  Dord- 
rechter  Synode  in  den  J.  1618  nnd  1618  gehillai 
wurde,  'ist  jetzt  ein  Wirthshaos,  die  J?ule,  nnd  hat 
keine  Merkwürdigkeiten  von  jener  Zeil  her.  Ich  habe 
es  Bidit  gesehen. 

Die  Stadt  hat  ^ine  herrliche  Lage  zur  Seefahrt, 
daher  auch  Häfen  genüg,  und  hatte  früher  130  See- 
schiffe. Ihr  Handel  ist  aber  durch  die  Aufbehnng  des 
Stapelrechts  und  das  sich  Wegziehen  des  Seehandek 
nach  Brab^nt  so  gesunken,  dass  sie  jetzt  nur  noch 
5  —  6  Seeschiffe  besitzt.  Der  Fischfang,  besonders 
mit  Kabliaii,  ist  immer  noch  sehr  bedeutend. 

Ueberbaupt  herrschst  ein  lebendiger,  tbätiger  Geist 
unter  den.  Bürgern,  auch  viele  intellectuelle  Bildung:, 
wie  dies  überhaupt  bei  dem.  Mittelstände  der  hollän*- 
di sehen  Städte,  und  wohl  in  grösserem  Grade,  als  in 
pnsern  deutschen  Städten  der  Fall  ist  Thdls  rührt 
dies  von  ihrem  ausgedehnten  Handel,  und  ihrem  in  der 
Regel  grösseren  Wohlstande  her,  theils  aber  auch  von 
den  vielen,   in  den  Städten  befindlichen,   zunächst  für 

«  • 

den    Bürgerstand    berechneten,   literarischen   Ge-- 
Seilschaften,  welche  eine  grosse  Anzahl  Mitglieder, 
wei^t  von  Bürgern  haben ,    und  alle  8  oder  14  Tag«   ., 
des  Abendd,  besonders  im  Winter,  im  Sommer  monat« 
lieh, einmal,  eine  Versammlung  halten.    Hier  wird  eine    ' 
Vorlesufig  über  historische,  ökonomische,  physikalische, 
religiöse,  moralische,  belletristische   und  dgl.  C^gen-^ 
stände,    je  nachdem    die  Gesellschaft  ihren  Kreis  weit  ^ 
pder  en^  gesogen  hat,   gebalten,  «meist  zwar  von:~wis?  -: 
^enschalUicJi  Gebildeten',  auch  wohl  voq  Predigern«  oft 


•       \ 


"ii  ■■  ■  » 

aber  auch  von  woh^uaterrichteten  Burgern.  Die  Vor- 
lesung nimmt  die  meiste  Zeit  der  Abendversammlung 
ein.  Nach  der  Vorlesung  werden  zur  Abwechslung 
meistens  kleinere  oder  grössere  Gedichte  vorgelesen. 
In  mancher  darf  auch  wohl  das  weibliche  Gcsdilecht 
zuhören.  Fast  in  jeder  grösseren  Stadt  Hollands  be- 
stehen solche  GesellscHaften ,  welche  sich  iti  der  Regel 
durch  einen  gewissen  Wahlspruch  bezeichnen.  In 
Dordrecht  besteht  eine  mit  dem  "V^ahlspruph :  Vi- 
f^ersa,  sed  una,  deren  Versammlung  ich  eines  Abends 
beiwohole.  Der  oben  erwähnte  Prediger  KiST  las  oft 
darin  Abhandlungen  vor.  In  Arnheim  besteht  eine 
solche  Gesellschaft  mit  dem  Wahlspmclit  Prodesse 
conamuTf  in  Rotterdam  "unter  dem  Namens  F'er*  . 
scheidehheidan  opereenstemming ,  welche  selbst  Preis- 
fragen ausgibt 9  in  Amsterdam  unter  dem  Namen: 
J^ellx  meritisj  deren  ich  schon  im  1.  Band  S.  253  er- 
mähnt habe,  u.  s.  w. 

Einige  dieser  (Gesellschaften  haben  bloss  Einen 
oder  wenige  Gegenstände  zum  Zweck,  z.  B.  das  J5a- 
taafsch  genootsohap  uan  proefondertdndelyke  natuur^ 
•lr2^/2^&  (Experimental- Physik)  zu  Rotterdam.  Sol- 
cher physischen  Gesellschaften  gibt  es  auch  zu  Ut- 
recht und  Groningen.  So  gibt  es  zu  Amster- 
dam eine  Gesellschaft  poor  viterlyhe  Tf^ekpreherüieldy^ 
'und  eine  Poor  Nederlandsche  Ijetterhunde. 

D'ass  solche  Gesellschaften,  welche   den  Geist  der 
Bürger  bilden,    und  ihn  für  höhere  Genüsse  empfang-, 
lieh  machen,,  sehr  wohlthätig   wirken,    wenn   sie  recht 
geleitet  Mcrdei}^    und  eine  nützlichere  Beschäftigung  in 


» . 


394 

dea  »bendiichen  Masiestniidca  geben ,  aU  das  Silieo 
ja  Wirthshäuaern  und  Kafieestabeiif  ist  wcAI  Toa  Mst 
klar,  und  es  ist  daher  sehr  sa  vünschen,  dass  in  «i- 
sern  grösseren  deutsch en  Städten  solches  nadip- 
ahmt  werden  möge.  Nor  in  einigen  sehr  grossen  SÜir 
ten  Deutschland»,  als  Berlin  n^  a.  bestehen  ähn- 
liche gemeinnStage  Vorlesangen,  ohne  dass  sich  jedoch 
txesellschaften  an  diesem  Zweck  gebildet  haben. 

Der  gelehrten  Gesellschaften,  wdchePre/s- 
fragen  ausgeben,  nnd  aum  Theil  auch  Vorlesungen  ^aU  I 
ten,  gibt  es  nicht  weniger  in  Holtand.'  Eine  derselben, 
die  TETLoa'sche  Gesellschaft  sn  Harlem,  ha- 
ben wir  oben  schon  angefahrt    £ine  andere,  die  Mol' 
landsche  mcuUHchappy  der' ftmUn^chappen  ^    welche  sich 
mdst  mit  Naturkunde  besddfiigt,  ist  die  älteste  dersel-  . 
ben  und  im  J.  1758  gestiftet    Kn  solches  Zßeu%4*9che 
genclot^hap  der  wetenechappen   besteht  xu  Mlddel- 
burg,   ein  genootschap  t^an  huneten  en  u^etenechappen 
au  Utrecht;  eine  andere  Gesellschaft  i^oor  fraye  kun- 
eten  en  u^etenschappen  versammelt  sich  abwechselnd  au 
Leiden,   Amsterdam,  Rotterdam  und   im   Haag.    Das 
Königliche   Institut   der   Wissenschaften, 
Literatur    und   freien    Künste   hat   4   Klassen.  . 
Die  erste  Klasse  hat   zum  Gegenstand:    wyi^mk  na» 
tuur kundige  u^etenechappen  ^  die  xweite:   nederlanded»  \ 
tacd'en  htterkundei    die  dritte:    oude  talen  en  letfe^ 
reny  gescJüedems  en  oudheidkunde^  die  vierte:  beeiden^ 
de  kunsien  en  tonkunet.      Dies   Institut    hat    nur 
Glieder.    ,£ine  reformirt  -  theologische  Gesellsdiaft  iil^ 
das  im  J.  1785  gebildete :    Haagaofie  genooitcAap  M  ^ 


395 


verdediging  pan  ,  den  chrUtefyheh  godsdienst  legen 
deszelfs  hedendaagsoJis  bestiyders ,' yreicbes ,  besonders 
in  den  früheren  Jahren,  viele  tiireffliche  Preisschrlftea 
geliefert  bat  -^  In  den  grossen  Städten  Südnleder- 
lands  besteben  viele  ähnliche  Gesellschaften* 

Zunder  Klasse  der  ersteren  mehr  für  den  unge- 
lehrten Stand  errichteten  Gesellschaften  gehört  auch 
die  Maatschcfppy  tot  NiU  varCt  Algem§en  (Gesellschaft 
zum  Gemeinwohl),  welche  sowohl  wegen  ihres  ausge- 
dehnten Zwecks,  als  auch  wegen  ihrer  alle  übrigen 
Gesellschaften  übertrefleqde  Einwirkung  auf  .das  Volk 
hier  etwas  ausführlicher  dargestellt  werden  muss. 

Sie  wurde  gebildet  am  19.  Nov.  |.'784  von  einem 
schlichten,  gläubigen  Prediger  der  Taufgesionten ,  van 
NiEUWENHUiZEN  zu  Monnikendam  in  Verbin- 
dung mit  einigen  Freunden,  weil  er  mit  Leidwesen  be-  * 
merkt  hatte,  dass  die  meisten  dieser  Gesellschaften  sich 
zu  wenig  um  die  Aufklärung  und  Bildung  des  gemei- 
nen Volks,  welches  ihrer  doch  am  meisten  bedürfte,' 
bekümmerten  9  und  die  von  ihuen  herausgegebenen 
Schriften  zu  wenig  populär  und  zu  theuer  waren.  *— 
Die  Gesellschaft  hatte  zuerst  ihren  Sitz  zu  £dam,  seit 
dem  J*  llSl  aber  zu  Amsterdam. 

Der  Zweck  der  Gesellschaft  ist  zufolge  ih- 
rer Grundgesetze*),  (welche  alle  10 Jahre  revidirl  wer- 
den, zuletzt  im  J,  18^5}:    . 


<  \ 


*)  Wetten  der  Maatschappif  tot  Nut  van't  Mgemeen, 
vastgesteld  en  verbindend  verklaart  in  de  algemeene 
Vergadering  der  Maatschappy,  gehouden  den  9.  en  }Q, 
4ugnstus  |83(^. 


395 

Aufklarang  und  Bildung  des  geriugeren    Volkes^ 
und   dadurch    allgemeine  Sittlichkeit   ia   Uebereio- 
stidimung  mit   den   Grundsätten    der    christli^ 
Religion  zu  befördern,  ohhe  jedoch  sich  in  einige 
religiöse,  oder   borgerliche   Streitigkeiten   einzuta^ 
sen,   und  verschieden  wirkend  von  den  gelehrten 
Gesellschaden,    welche   die  Gebildeten   zvm   Ziel 
baben. 
^     Jeder,  der  5  fl.  25  Cts.  jährlich  zahlt,  ist  Mitglied 
der  Gesellschaft.    An   jedem  Orte,   wo  wenigstens   S 
solcher  Sabscribenten  sind,  kann  sich  ein  Hülfsverein, 
ein  sogenanntes  Departement  bilden.     Solcher  Depar- 
temente waren  im  J.  1829  192  mit  13,174  Wii^itdLtvn. 
Auch  gibt  es  correspondirende  und  Ehrenmit- 
glieder,      Zu   letzteren ,    welche  nichts  zu  bezahlen 
brauchen,  werden  besonders  verdienstlicbe  ScHullehrer 
ernannt    Die  Central-Direction  ist  in   Amster- 
dam, und  besteht  aus  10  Haupt -Directoren,  nebst  ei- 
nem  allgemeinen  SecretSr.    Den  2ten  Dienstag  im  Au- 
gust jedes  Jahres  ist  die  Generalversammlung  A 
Amsterdam,   welche  die  Gesetze  zu  gieben  und,xaSn- 
detn  hat,  ttnd  zu  welcher  jedes  Departement  2  Abge- 
ordnete  schicken  kann.    Diese  haben  hier   desto  mehr 
Stimmen,    je    mehr   Mitglieder   ihr    Departement    hat. 
Die  hier  zu  berathenden  Vorschläge,  welchen  J€des  De- 
partement die  seinigen  beifügen  kann,  miisseii  1  Monat 
vor  der  Jahresversammlung  allen  Departementen^  zöge-  ' 
schickt  werden,   als  die  sogenannten  Punten  van  B§* 
schryping  (Gegenstände  der  Zusammenberufung)»     Je* 
des   Departement  kann  einige  Preisaufgaben,   in   der 


307 

Regel  zu  gemeitinätzigen  Schrifien,  an  ilie  Ifjofi't)^ 
rectlon  einsenden,  woraus  die  Generalver>aaiail0iy<^  ann^ 
wählt.    Die  Antworten  auf  diese  Preisfragen^  welcb#  ht 
holländischer y  französischer,   englischer  oder  denfi^er 
,    Sprache   geschrieben  sein  müssen,    werden  von  tintf 
Commlssion   von  8  Mitgliedern  geprüft.  —   Jedes  He« 
partement  muss  eine   gewisse  Summe  jährlich   in   die 
Kasse   der  Haupt  -  Direction   für   die  allgemeinen  Auf- 
gaben senden.    Das  Uebrige  der  Beiträge  darf  es  für 
seine  besonderen  Bedürfnisse  verwenden. 

Die  Gesellschaft  sucht  ihren  Zweck  auf  3  Haupt- 
wegen  zu  erreichen: 

I)  durch    Beförderung    der  Erziehung   und 
d«s    Unterrichts    der   Jugend,    auch   nach 
dem  Abgang  von  der  Schule; 
U)  durch  Beförderung  der  Bildung  der  Er- 
w  achsenen; 
^  III)  durch  öffentliches  Belohnen  und  ehren« 

volle«s   Auszeichhen   derer,    welche   be- 
^      ^       sonders  menschenfreundliche  oder  edel- 
müthige  Thaten  verrichtet  haben. 

In  Betreff  des    ersten    Mittels,    der  Verbes- 
serung   des   Unterrichtswesens ,    suchte    sie   bisher    zu 
-  wirken : 

1)  durch  bessere  Bildung  der  Schullehrer, 
und  zwar 

a)  indem  sie  bessere  Lehrbücher  und  Handbücher 
über  die  Scholgegenstähde  *  für  sie  verfassen 
Hess ; 


393 

b)  Bucherttminlangen  zonn  Lesben  tut  sie  anlegti^i 
wie  wenigstens  das  Def^artement  zu  Leen  wer- 
den gethaxft  hat; 

c)  kleine  Schullehrerblldaiigsanstalteli  errichtete^ 
wo  fähige  Knaben  durch  Schallehrer  znm  Sdinl- 
amte  herangebildet  wordea,  so  in  den  grossen 
Städten  Amsterdam,  Rotterdam,  Har« 
lern,  Groningen  etc»; 

2)  durch   Vierbesserang  der  Schnleii   selbsi^ 

and  zwar 

a)  darch  Herausgabe  besserer  Lesebiicber  and  an« 
derer  Schulbücher ,  z.  B.  A-B-C- Bücher^ 
Sprachb  lieber ,  Rechenbücher^  holländischer 
Chrestomathien,  solcher,  welche  biblische  Ge- 
schichte, Weltgeschichte,  Naturgeschichte,  mo^ 
ralische  Erzählungen  und  dgL  enthalten,,  eines  > 
allgemeinen  Gesangbuchs  {nt  Schulen,  Schrbi-* 
bevorschrifien  etc.; 

h)  durch  Errichtung  von  Lesebibliotheken,  selbst 
für  Schulkinder,  wie  wenigstens  zu  Leeuwar-» 
den; 

c)  durch  Errichtung  eigener  Schuleti  auf  Kosten 
der  verschiedenen  Departemente,  daher  sie  auch    -' 
Bepartementalschulen  heissen.    Sie  soIl-> 
ten  Musterschulen  sein,  und  eine  bessere  Lehr-« 
weise  verbreiten  helfen*      Sehr   viele  Departe*    ^ 
mente  haben  solche  Schulen  errichtet,  und  diese  i 
haben  bedeutend  auf  das  Schulwesen  eitigewirkl^ 
wie  ich  schon  oben  bemerkte.    Sodann  errich'  . 
teten  auch  viele  Departemente  oder  halfen  er« 


:) 


399 


richten  Armenschulen^  Zeichenschulen« 
Näh-,  Spinn-  und  Strickscholen,   Ar- 
heitsschuien,     einige  , auch    Handwerks- 
schulen,  Wiederholungsschnlen,    in 
welchen  letzteren   die   aus   der  Schule   entlasse- 
nen Schiller,    sowohl   aus  den  höheren  als  nie- 
deren Ständen,  in  einigen  wöchentlichen  Abend- 
stunden   in    dem    Gelernten    befestigt    werden 
durch  Wiederholung  desselben  mit  ihnen,    und 
durch  weiteren  Unterricht  in  den  verschiedenen 
für   sie    nützlichen    Lehrgegenständen«      Einige 
haben  Sonntagsschulen  errichtet  oder  un- 
terstützt.    Zwei  Departemente,  die  zu  Brüssel 
und  Zwoll,  haben  Kleinkinderschnlen 
errichtet,    das    zu   Harlingen  eine  Seefah- 
rerschule, u.  s.  w*      . 
In  Betreff  des  zweiten   Mittels,    der   Aufklä- 
rung und  Bildung   der  Erwachsenen,    hat   die   Gesell- 
schaft zu  wirken  gesucht 
1)  durch    Herausgabe   populärer   Schriften 
über  religiöse,  moralische,  ökonomische,    naturhi- 
storische ,   physikalische  und  andere  Gegenstände, 
worin    denn   auch  die   gewöhnlichsten   Yorurtheile 
und  abergläubischen  Vorstellungen  des  Volks,  z.B« 
gegen    Kuhpockenimpfung,    bestritten   wer-» 
den ,   unter  andern   auch  durch   Herausgabe  eines 
vernünftigeren  Volkskalenders  ^    welchei^  besonders 
zur  Aufklärung  mitgewirkt  hat,   eines   moralischen 
Handbuchs  fürs  Militär ,    eines  Handbuchs  für  den 
Seemann,   durch  Heraasgabe  von  Volkskalendern, 


400 


populären  ^VochenblätterD,  s.'B.  m  Gröninfen 
und  dgl«; 

2)  darch  Errichtung  von  Lesebiblio.theken 
für  Jünglinge,  60  wie  iiir- ältere  Leute^  und  na 
Lese^esell  Schaft  CA; 

3)  durch  Halten  öffentlicher  Vorlesangel 
und  Reden  über  moralische,  geschichtliche,  phyA* 
kaiische,  belletristische  und  ähnliche  Gregenstände, 
besonders  im  Winter  monatlich  einmal,  oder  auch 
öfter. 

Femer  hat  sie  das  Wohl  des  Volks  zu  befördern 
gesucht  durch  Errichtung  von  Sparkassen,  und 
Beförderung  derselben  auf  Veranlassung  und  unter 
Mitwirkung  der  Regierung*  Auch  haben  einige  Depar« 
temente  Wittwen-  und  Waisenkassen  für  ihre 
Departementalschullehrer  angelegt,  -  auch  andere  mild- 
thätige  Anstalten  und  Gesellschaften  unterstützt,  u.  s.  w. 

Das  dritte  Mittel  der  Gresellschaft,  ihren  Zweck 
zu  erreichen ,   ist  öfi)!htlicbe,   möglichst  auszeichnende . 
Belohnung  edelmüthiger  Thateiu     Dies  thut  sie  durch 
Ueberreichung  von  Medaillen  aus   Gold,    Silber  oder 
Bronze,  mit  oder  ohne  Geldgeschenk^  dieses  audi  ohne 
Medaillen^    stets  aber  mit  einem    Belohnngsschfeiben,. 
und  zwar  an  Leute,  welche  sich  hei  der  Rettung  Noth- 
leidender  aus   Wasser  oder   Brand    oder   Schißbmch, 
oder  bei  Verschüttung  In  Gruben  oder  durch  uneigtn* 
niltxige   Versorgung  eines  Armen  oder  ^Heilung 
Kranken  auszeichnen;      Diese  Ueberreichung  geschieht' 
überdies  möglichst  öffentlich  in  Jahresversamniiangetf' 
oder  den  pepartementalyersamntlungen,  oder  bd  andern 


i 


^ 


401 

•P^     ■■■■i     I  ■■ 

oflfenütcben  Gelegeabeiten  mit  feierlichen  Anreden  in 
Prosa  pder  Versen,  auch  wohl  mit  Begleitmig  von  Mn» 
sik  a.  s.  w.  Seit  dem  J.  1825  h^üt  die  Regierung  aiidi 
die  Belohining.  solcher  Tkaten ,  wo  sie  früher  gewohnt 
war,  Gratificationen  oder  andere  äussere  Anszeichnun* 
gen  zu  geben,  der  Gesellschaft  überlassen,  und  gibt  ihr 
zu  diesem  Behuf  jährlich  eine  Summe  Geldes» 

Aus  der  vorstehenden  Schilderung  des  Wirkens 
dieser  durch  ganz  Nordniederland  ausgebreiteten 
Gesellschaft,  —  in  SHdniederland  hat  sie  wenig 
Wurzel  gefasst,  *—  ergibt  sieb:  dass  sie  eine  grosse 
und  vielfach  wohlthätige  Einwirkung  geiibt  hat,  sowohl 
auf  Verbesserung  des  Schulwesens,  woran  sie  noch  vor 
der  Regierung  die  Hand  legte,  und  hernach  mit  dieser 
gemeinschaftlich,  als  auch  auf  die  intellektuelle  Bildung 
und  Aufklärung  des  Volks  überhaupt.  Auch  hat  die 
Regierung  dies  wiederholt  anerkannt,  und  gewiss  ver« 
dient  manche  ihrer  Einrichtungen  auch  in  unserm 
Deutschland  nachgeahmt  au  werden;  ich  bt^auche 
nur  an  die  Wiederholungsschulen,  an  die  Lesebiblio* 
theken  u.  dgl.  zu  erinnern*  Ueberdies  verdient  die  gros»  ^ 
se  und  beharrliche  Thätigkeit  der  Gesellschaft  in  ihrem 
ausgedehnten  Greschäftsbetriebe  Anerkennung. 

Anderntheils  dürfen  jedoch  auch  die  Schatten- 
seiten der  Gesellschaft  nicht  verschwiegen  werden, 
deren  besonders  zwei  sind* 

Die  erste,  S<chattenseite  ist^  dasa  die  Anregung 
und  Mährung  des  Ehrgeizes  eine  der  Haupttriebfedern 
'  ist,  welche  die  Gesellschaft  zur  Beförderung  der  Volks- 
bildung anwendet.    Wie  nnchnstüch  und  schädlich  für 

II.  26 


402 

die  armeii.Sdmlkuijler  diese  Hsodiangsweise  ist,  wel- 
che die  Ge^cBschaft  in  ihreo  DepaiiementakcholeB  vot 
allea  iiben  lasst,  imd  dadarch  «nch  in  sehr  viele  la- 
dere  verpSanit  hal»  haben  wir  schon  oben  bd  Beir- 
theilimg  des  Schulwesens  bemerkt.  Dieselbe  Anregwig 
und  NÜbmvg  dies  Ehrgeues  sehen  wir  die  Geselbchtf 
hier  ferner  anwenden  durch  das  iShrliche  möglichst 
eclahinte  ößentliche  Aus'dieilen  von  Ehrenpreisen  an 
die  )uageren  und  älteren  Leute,  welchen  durch .  Gottes 
Gnade  Muth  zu  einer  edlen  Thal  geworden  isU 

Sehr  itt  bedauern  .ist ,  dass  die  niederrindische 
Regierung  nicht  alles  AustheHen  solcher  ofFentlichen 
Auszeichnungen  fiir  edle  Thaten,  auch  für  die» 
welche  die  Gesellsthaß  in  ihren  Kreisen  wahrge- 
nommen ,  als  ihr  Prärogativ,  gleich  fast  allen,  andern 
Regierungen,  an  sich  genommen  hat,  statt  der  Gesell- 
schaft auch  ihr  Theil  noch  zu  überlassen.  Denn  fürs 
erste  passt  die  hohe  Stellung,  welche  eine  Staatsregie- 
rung  nach  göttlichem  und  menschlichem  Rechte  den 
Unterthanen  gegenüber  einnimmt,  ungleich  mehr  dazu, 
das  äussere  Verdienst  der  Bürger  im  Staate  durch  ö'f- 
fentliche  Auszeichnungen  anzuerkennen,  und  weit  we- 
niger Neid  und  Eifersucht  wird  angeregt,  als  wenn  eine 
Privatgesellschaft  nach  ihrer  Ansicht  unter  einige  Mit- 
bürger Lob  und  Ehre  austheilt«  Zweitens  püegt  eine 
Regierung  nicht  mit  dem  theatralischen  SchaugeprSoge 
die  Ehrenpreise  auszutheilen,  wie  die  Gesellschaft  diei 
thut.  Drittens  scheint  auch  die  niedeiländische  R^i^ 
rung  nicht  so  viel  Werth  auf  dies  äussere  AuaietchiieB 
solcher  Thaten  zu  legen ,  und  nicht  ao  viel 


4oa 

deren  Angabe  zu  bewttseo,  als  die  GeselUchafit,  da  die 
Angaben  dieser  Tbaten,  den  Jahfesbericbten  der  tier 
Seilschaft  zofolge,  au  ^/^  oder  y^  von  den  Gesdlscbifts«. 
departementen ,  und  nur  zu  %  oder  ^4  yon  der  Re- 
gierung sind«  £$  kommt  bei  der  GeseUscbaft  selbst 
vor,  dass,  obschon  sie  einige  Regeln  zur  Beortheilnng 
der  edelmüthiigen  Tbaten  festgesetzt  bat,  docb  sogar 
die  Thäter  derselben,  wenn  sie  selbst  diese  anzeigen, 
um  belohnt  zu  werden,  wirklich  auch  einen  Ehrenpreis 
empfangen,  Mensdien,  deren  Selbst  -  Anzeige  das  Ntchtr^ 
Vorhandensein  des  £dejmuths  doch  deutlich  genug  be-: 
weist,  um  abgewiesen  zu  werden*  Solche  Selbstanzei- 
gen mögen  freilich  selten  sein.  Pie  meisten  Thäter 
der  belohnt  werdenden  Th^ten  hatten  gewiss  an  nichts 
weniger,  als  an  eigenes  Verdienst  bei  ihrer  That  ge- 
dacht, vielmehr  sie  als  blosse  Pflicht  erkannt.  Diese, 
denen  es  für  ihre  Seele  nun  viel  besser  wäre,  wenn 
man  sie  in  dieser  christlichen  Bemuth  Hesse  gering 
bleiben  in  ihren  Augen,  werden  aber  unbarmherzig  in 
die  grosse  Gesellschaft  voll  vornehmer  Leute  geschleppt, 
mit  Musik  und  Jauchzen  empfangen,  und  hören  nun 
auf  einmal  verwundert,  wie  in  pathetischer  Sprache  ih- 
nen aufs  feierlichste  erklärt  wird,  dass  sie.Wohithätei: 
der  Menschheit,  aufopfernde  Helden  und  gleich  den 
Engeln  Diener  der  Gottheit  seien  (s.  Algem»  Kertlag 
1824  Sv  205,  24a  und  1826  S*  177).  Erfüllt  von  ih- 
rer sittlichen  Grösse,  die  ihnen  der  Redner  vordemon- 
strirt,  und  hundert  Zungen  bestätigt  haben,  —  nun 
nniss  es  )a  doch  wahr  sein!  —  kehren  sie  von  ihrem 
^renpranger  nach  Hause,  im  Stillen  ihre  bisher  un«« 

28* 


^   • 


405 

Boiniiieii>9    und    dailarch   die    Verwettlichuag^  auch   der 
■     andern   Schulen   überhaupt    befördert  hat,    wie   oben 
darüber  mehr  geredet  worden.    Beweis  dafür  ist-,   dass 
sie  m  J.  1821  einen  neuen  Artikel    (Art  *JS)  ia.  ihre 
i  '  Grvndgesetze  aufgenommen  ^a^,   dass  der  Inhalt  alles 
Schrifien,  welche  die  Gesellschaft  herausgibt,  also  aucb 
aller  Schvifieii,   welche  bei  der  Aufstellung  von  Preis«» 
fragen  von  ihrer  Seite  zur  Mitbewerbung  an  sie  eilige« 
sandt  werden,  so  eingerichtet  sein  mSssea,  dass^  daraus 
iliieht  erhelle^  zu   welcher  besonderen  christlichen- Kir-* 
'    diengeseilsehaft    die   Verfasser  derselben    gehöreni  .^^ 
.    Ton  B^tin  der  Gesellschaft  an  war  in  einem  <  Artikel^ 
Sirer  Grundgesetze  (Art  2)  festgesetet,  dass  sie- sich  ia 
keine  religiöse  noch  bürgerliche  Streitigkeiten  einlassen 
wolle,  und  dies  fand  ailgemetn  BiRigung  b^  allen  Un« 
befangenen,  weil  die  Gesellschaft  ifur  auf  diese  .Weise 
den  Chriisten  aller   versefaiedenen   christlichen    Qonfes- 
sionen  nützlich   sein    konnte«       Aber  die   Bestimmung^ 
hatte  sieh  auch  während  der  30.  Jahre   ihres   Bestehens^ 
immer  als  wollkommen  hinreichend  erprobt,   um  in  ih* 
-  len  Schriften  allen  Anstoss  bei  den  verschiedenen  Con- 
fessionen  zu  vermeiden.    Eine  noch    engere  Beschrän* 
kung  der  Gonfessionsfreiheit   war   nicht  nö^ig  gewor* 
den.     Indess,  die  Gesellschaft  fand  es  im  J.  Id21  den« 
noch  fiir  gut,   obigen  Artikel  hinzuzusetzen,   ohne  die 
'  Kothwendigk'eit    desselben    nur    einmal    zu    beweisen.  .  .^-i^^ 
Vergebens  widersetzte  sich  das.  Depar^^^ment   Rot-»     TJt 
^terdam.  im  J*  1823  der  Beibehaltang  des  neuetv  Ar- 
J  likels  in  einher  sehr  gründlichen  Vorstellung  an  die  Ge-* 
gjperalversammlung..    Vergebens  that  dasselbe  dar,  dass^     . 


A 


40tt 

I 

die  annen.SdmIkuider  diese  Ha^diangsweise  Ist,  vel- 
che  die  Geftettschaft  in  ihreo  DepartemeiitakchaleB  ror 
allen  iiben  ISsst,  imd  dadarch  «ach  in  sehr  viele  lo- 
dere verpflanit  bat,  haben  wir  schon  oben  bri  Bev- 
theilung  des  Schulwesens  bemerku  Dieselbe  Anregiwg  < 
nnd  NÜbmng  dies  Ehrgeues  sehen  wir  die  Gesellscbsft 
hier  ferner  anwenden  durch  das  jährliche  mögUchat 
eclahinte  ößbntliche  Ansdieilen  von  Ehrenpreisen  an 
die  )uageren  und  alteren  Leute,  welchen  durch.  Gottes 
Gnade  Math  zu  einer  edlen  Thal  geworden  isU  | 

Sehria  bedauern, ist,  dass  die  niederlSindische 
Regierung  nicht  alles  Austhellen  solcher  öfFentlichen 
AusKeichnungen  fiir  edle  Thaten,  auch  ftir  die, 
welche  die  Geseilsthaß  in  ihren  Kreisen  wahrge- 
nommen, als  ihr  Prärogativ,  gleich  fast  allen,  andern  < 
Regierungen,  an  sich  genommen  hat,  9tatt  der  Gesell- 
schaft auch  ihr  Theil  noch  zu  überlassen*  Denn  fürs 
erste  passt  die  hohe  Stellung,  welche  eine  Staatsregie- 
rung nach  göttlichem  nnd  menschlichem  Rechte  den 
Unterthanen  gegenüber  einnimmt,  ungleich  mehr  dazu» 
das  äussere  Verdienst  der  Bürger  im  Staate  durch  ö*f-  i 
fentliche  Auszeichnungen  anzuerkennen,  und  weit  we-  i 
niger  Neid  und  Eifersucht  wird  angeregt,  als  w^m  eine 
Privatgeselbchaft  nach  ihrer  Ansicht  unter  einige  Mit- 
bürger Lob  und  Ehre  austheilt«  Zweitens  püegt  eine 
Regierung  nicht  mit  dem  theatralischen  Schaugepränge 
die  EhrenpTelse  auszutheilen,  wie  die  Oesellschaft  diei 
thut.  Dnttens  scheint  auch  die  niederländische  Regi^ 
rung  nicht  so  viel  Werth  auf  dies  äussere  AuaieicliaeB 
solcher  Thaten  zu  legen,  und  nicht  ao  viel  Eifer   in 


4oa 

deren  Angtbe  za  bewoi^eo,  als  die  GeselUchaft,  da  die 
Angaben  dieser  Tbaten»  den  Jjhfesbericbten  der  iie* 
Seilschaft  zufolge»  an  Ys  oder  y^  yon  den  Gesdlscbafts« 
departementen ,  und  nur  zu  %  oder  ^4  yon  der  Re- 
gierung skid.  Es  kommt  bet  der  GeseUscbaft  selbst 
vor,  dass,  obschop  sie  einige  Regeln  zur  Beurtheilung 
der  edelmüthjgen  Thaten  festgesetzt  hat,  doch  sogar 
die  Thäter  derselben,  wenn  sie  selbst  diese  anzeigen^ 
um  belohnt  zu  werden,  wirklich  auch  einen  Ehrenpreis 
empfangen,  Menschen,  deren  Selbst  -  Anzeige  das  Nicht- 
vorhandensein des  Edejmnths  doch  deutlich  genug  be- 
weist, um  abgewiesen  zu  werden.  Solche  Selbstanzei- 
gen mögen  freilich  selten  sein.  Die  meisten  Thäter 
der  belohnt  werdenden  Thaten  hatten  gewiss  an  nichts 
weniger,  als  an  eigenes  Verdienst  bei  ihrer  That  ge- 
dacht, vielmehr  sie  als  blosse  Pflicht  erkannt.  Diese, 
denen  es  für  ihre  Seele  nun  viel  besser  wäre,  wenn 
man  sie  in  dieser  christlichen  Demuth  Hesse  gering 
bleiben  in  ihren  Augen.,  werden  aber  unbarmherzig  in 
die  grosse  Gesellschaft  voll  vornehmer  Leute  geschleppt, 
mit  Musik  und  Jauchzen  empfangen,  und  hören  nun 
auf  einmal  verwundert,  wie  in  pathetischer  Sprache  ih- 
nen aufs  feierlichste  erklärt  wird,  dass  sieWohlthäter 
der  Menschheit,  aufopfernde  Helden  und  gleich  den 
Bogein  Diener  der  Gotthjcit  seien  (s.  Algem.  Verklag 
1824  S.^205,  24a  und  1826  S.  177).  Erfüllt  von  ih'r 
»er  sittlichen  Grösse,  die  ihnen  der  Redner  vordemon- 
strirt,  und  hundert  Zungen  bestätigt  haben,  —  nun 
nmss  es  ja  doch  wahr  sein!  —  kehren  sie  von  ihrem 
jElhr^nj^anger  nach  Hause,  im  Stillen  ihre   bisher  un«« 

28* 


404 

bekannfte  Togend  liewcmderady  und  sich  Eiir«  and  Lob 
gebend,  statt  dem  yoU|>riiiger  alles  Gutes»  —  för  das 
bischen  Gold  in  der  Tasche  *das  fressende  Gift  infier- 
aien»  ein  schlechter  Gewinn! 

'Gliicfclich  ihr  ntederländisc!faeB  Knaben  und  Mäd« 
dien,  Männer  und  Fraoen  des  vorigen  Jahrhunderts, 
wo  der  edlen  Tbaten  nicht  veniger,  als  im  ^genwär- 
Itgen  gcfschdien,  die  ihr  eueres  £delmaths  nnbewoss^ 
in  der  niedrigen  Gestnming  gdassen  wurdet »  dass  ihr 
Qftnntxe  Knechte  und  Mägde  seiet,  und  nnr  euere  Schnl« 
digkeit  gethan  -hättet ,  denen  keine  rauschenden  Lob- 
preisungen den  im  Herzen  schlummernden  Giflwnrm 
des  Hochmuths  weckten,  sondern  die  ihr  euch  mk  dem 
stillen  Beifall  der  Besseren,  mit  der  Zufriedenheit  Got- 
tes  und  eueres  Gewissens  begnüge»  durftet!  -r-  Wohl 
auch  euch  unter  den  Jet2tlebenden,  deren  edle  Thatea 
SO  gliicklich  smd,  dem  Auge  der  Gesellsfchaft  zum  Ge- 
meinwohl zu  entgehen!  Ihr  werdet  doch  nicht  in  die 
Versndmng  gefuhrt,  euer  Seelenwohl  Jener  Gemein- 
wohle anftuopferni  — 

£ine  zweite  Schattenseite  der  Gesellschaft 
ist,  dass,  obgleich  sie  in  ihren  Grundgesetzen  feststelli, 
ehie  mit  der  christlichen  Religion  übereinaämmende 
Sittlichkeit  und  Volksbildung  befördern  zu  wollen,  sie 
d^ch  das  ebristUch  -  religiöse  Element  aus  ihrem  Wir- 
ken grösstentbeils^  besonders  in  der  neueren  Zeit  «eirt- 
fernt  hat,  and  nur  eine  allgemeine,  bürgerliche,  aal 
Sand  gehaute  Moral  befördert. 

Beweis  dafiir  ist,  dass  sie  laus  ihren  DepVtemett* 
ladsdnilen  das  christliche  Element  meistentheils  Nl^tP* 


■       ,       405.       • 

Bommei^y    und   datlarch  die    VerweMichuBfg^  auch   ifx 
andern  Schulen   überhaupt    befördert  hat ,    wie  .  oben 
darüber  mehr  geredet  worden.    Beweis  dafür  ki,    dass 
sie  un  J,  1821  einen  neuen  Artilcei   (Art  7.8)  in.  ihre 
Grandgesetze  angenommen  4a»,   das»  der  Inhalt  alles 
Schrifien,  welche  die  Gesellschaft  herausgibt,  also  aucb 
aller  Schien,   wdche  bei  der  Anfstellung  von  Preis«» 
fragen  von  ihrer.  Seite  zur  Mitbewerbung  an  sie  eilige« 
sandl  werden,  so  eingerichtet  sein  müssen^  dass  daraus 
.nicht  erhelle^  zn   welcher  besonderen  christlichen- Kir-* 
chengeseilsehaft    die   Verfasser  derselben    gehörcBi  r^ 
Von  B^tin  der  Gesellschaft  an  war  in  einem  <  Artikel 
ihrer  Grundgesetze  (Art  Ty  festgesetet^  da«s  sie- sich  in 
keine  religiöse  noch  bürgerliche  Streitigkeiten  einlassen 
wolle,  und  dies  fand  ailgemetn  BiRigimg  b^  allen  Un« 
befangenen,  weil  die'  Gesellschaft  niir  auf  diese  VVeise 
den  Chriisten  aller   versefaiedenen   christlichen    Gonfes- 
sionen  nützlich   sein    konnte«       Aber  die   Bestimmung^ 
hatte  sieh  auch  während  der  30.  Jahre   ihres   Bestehens 
immer  als»  vollkommen  hinreichend  erprobt,   um  in  ih* 
ren  Schriften  allen  Anstoss  bei  den  verschiedenen  Con- 
fessionen  zu  vermeiden.    Eine  noch    engere  Beschrän* 
kung  der  Gonfessionsfreiheit  war   nicht  nÖ^ig   gewor* 
den*     Indess,  die  Gesellschaft  fand  es  im  J.  1821  den« 
noch  für  gut,   obigen  Artikel  hinzuzusetzen,   ohne  die 
Kothwendigkeit    desselben    nur    einmal    zu    beweisen.  .  ^^^ 
Vergebens  widersetzte  sich  das.  Departement   Rot-»    ^1^ 
t  er  dam.  iin  J*  1823  der  BeibehaltuDg  des  neu  etv  Ar- 
tikels in  eio;er  sehr  gründlichen  Vorstellung  an  die  Ge^ 
«lieralversammlung..    Vergebens,  that  dasselbe  dar,  dass^     . 


# 


406 

Art  2  bisher  vollkommeii  hinreichend  gewesen  sei, 
den  Geist  der  Toleranz  und  der  christlichen  Bmdef' 
liebe  anter  den  Mitgliedern  der  Gesellschaft  und  den 
Verfassern  ihrer  Schriften  %n  erltallen;  vergebcttis^ieigte 
es,  dass  der  neue  Afäkel  es  der  Gesellschaft  unmög- 
lich mache,  sehr  allgemein  nützliche  moralische  nnd 
religiöse  Gegensfilnde,  z.  B.  den  Eid,  in  Aren  Schrif- 
ten zn  bebandeln,  dass  biemach  fast  alle  reKjpö'se  und 
moralische  Gegenstande  so  allgemein  behandelt  werden 
mSssten,  das^  man  die  christliche  Ofienhaning  fast  gans 
unerwähnt  lassen  miisse ,  indem  die  Verfiesser  darchaus 
jeden  Aasdrock  vermeiden  sollten  y  der  bo  die  beson- 
deren Lehren  ihrer  Kircbengefdbchaft  aodi  nur  von 
ferne  eriBoerer  Vergebens,  —  die  Jahresversammlung 
entschied  durch  Stimmenntebrheit  für  Beibehaltung^ de» 
Artikels. 

Wer  erwa'gt,  wie  genau  bei  der  kadiolucben^  nnd 
nocb  mehr  bei  der  evangelischen  Kirche  die  Glanbens-^ 
lehren  mit  den  PfUchtenlebren  zusammenhäagen,.  der 
wird  dem  Botterdamschen  Departemente  beipflicbten,. 
und  erkennen^  dass  beF  strenger  Festbaltnng  des^  neuen 
Artikeln  den  Verfassern  der  GeselTscbaftsscbriflen  nichts 
übrig  bleibt,  afs^  sieb  entweder  In  die  Tiefen  dunkler 
Mystik  «oder  in  die  Untiefen  seichter  Morarscbwab«rei 
zff  verllereur  Da  die  Gesellschaft  nun  das^  erstere  nicht 
.will,  —  und  wer  kann  Ihr  das  verargen?  ^  so  bleibt 
jhr  nur  das  letztere  übng» 

Gerne  glaube  ich  übrigens,  dass:  sehr  viele  Mil]gii(e* 
der  der  GeseTfschafl  nicht  einsehen,  wohin  solcbea  fla- 
che Generalisiren  alünählicb  hinführt^  dass  der  dii 


.407      , 

zum  Grund  liegende  Geist  des.  JndiflTerentisnitis  und 
Unglaubens  hierdurch  einem  kaUen,  leeren,  leblosen 
und  alles  höhere  Lehea  der  Seele  erUtdtendenPeismiit 
Bahn  macht,  der  alle  We&beit,.  Giite  and  Heiligkeit 
Gottes  in  Christa  wegnimmt),  und.  aur  den  freud  -  und 
friedjosen  Glauben  an  die  efgene  menschliche  Weisheit^ 
Güte  und  Heiligkeit  und  an  einen  todten,  deistischen 
Gott  übrig  lässt« 


»  ^ 


406 


Wasser '  Land  zwischen  Dordrecht 
und  Gorkum.  Kollektiren  in  Utrecht 
und  Zeist.  Akademische  Merkvf^ür^ 
digkeiten.    Nachrichten  i^on  Haus. 


Firn  24«  Jaunar  reiste  ich  von  Dordredit  nacli  Ut- 
recht ab«  Wir  setzten  zuerst  über  den  einen  Arm 
der  Maas,  und  fuhren  darauf  fortwährend  auf  dem  bo- 
hen  Damm  (iDeich)  nach  Gorkum  zu.  Dieser  Tag 
tot  mir  das  Schauspiel  eines  Wasser- Land  es» 
wie  ich  es  noch  nie  gesehen  hatte.  Viele  wasserreiche 
Gegenden  Hollands  hatte,  ich  bisl^er  schon  erblickt, 
aber  dies  alles  war  Kleinigkeit  gegen  den  Jetzigen  An- 
blick. Vor  uns  und  zu  unserer  Rechten  nichts  als 
Wasser.  Die  zwei  breitströ'menden  Arme  der  Maas 
waren  hier  oberhalb  Dordrecht  wieder  vereinigt,  and 
bildeten  ein  Meer.  Nah  und  fern  flogen  die  Schiffe 
vorüber,  nah  und  fern  glänzten  die  Rader  der  Naschen 


409 

im  besonnten  Wasserstrahl,  doch  Land  sah  man  nur 
in  der  Ferne*  Zwar  lag  auch  Land  links  zu  untern 
Füssen«  Aber  was  war  dies  fiir  Land!  Schwimmend 
im  Wasser,  kaum  Vt  Fuss  hoch  Sber  demselben,  und 
nur  durch  eine  Menge  breiter  Wassergraben  über'  dem* 
selben  erhalten,  dennoch  aber  mit  nichts  anderm  be- 
wachsen, als  mit  Weiden,  hohem  Schilfrohr  und  den 
allein  auf  schwimmende^  Erde  gedeihenden  Binsen ,  je- 
nes zu  Hausdächern,  dieses  zu  Stubenmatten  von  den 
Bewohnern  gebraucht*  Und  wo  wohnen  diese?  Ihre 
Hauschen  hangen  am  Abhänge  des  Bammes,  dessefr 
ebene  Oberfläche,  kaum  nur  12  •-—  15  Schritte  breit, 
zor  Strasse  dient.  Da  liegen  sie  hingesäet  in  langen 
Reihen  an  den  beiden  schrägen  Seiten  des  Abhanges, 
wie  die  Schwalbennester  an  den  Dächern  kleben,  und 
dürfen  sich  von  ihrem  Bollwerk,  dem  Damm,  nicht 
entfernen.  Denn  so  weit  das  Auge  reicht,  ist  der  Bo- 
den betruglich  und  fiir  Gebäude  verderbenbringend» 
So  weit  das  Auge  des  Häuslers  reicht?  Also  auch 
hinter  ihm?-  Ja,  auch  hinter  ihm  ist  kein  festerer 
Grund,  keine  höhere  Fläche,  kein  fruchtbarerer  Boden^ 
als  die  bewegliche  Wasserfläche  vor  ihm,  zur  Rechten 
und  zur  Linken,  Nur  tiefer  noch,  als  selbst  die  Was- 
serfläche vor  ihm  ist  die  Fläche  hinter  ihm,  und  wenn 
schon  nicht  so  vom  Wasser  bedeckt,  und  mit  grosser 
Mühe  vor  Ueberschwemmung  geschützt,  ist  sie  doch  nur 
eine  sumpfige,  morastige  Landschaft,  mit  den  traurigen 
Weiden  bedeckt,  und  lässt  kaum  hier  und  da  durch 
breite  Gräben  sich  einiges  Land  für  Viehweiden  und 
Hanffelder  abgewinnen.    iSo  ist  denn  nur  der  Damm, 


-j 


410 

der  sieb  gleich  einer  langen,  schmalen  Sandbank  darchs  , 
Wasserland  zieht,  und  sein  Häuschen  daran  des  armen 
Häuslers  fester  Heimathboden.  Mett  und  zierlich  ruht 
die  Wohnung  auf  dem  Abhang  des  kleinen  Berges» 
und  obschon  nirgends  höher  als  Ein  Stockwerk  sich 
erhebend,  aus  Furcht,  den  schützenden  Boden  zu  dru- 
cken, winkt  sie  doch  dem  mäden  Wanderer  freundlich 
und  bequem  eingerichtet  entgegen«  Jeder  Fensterladen 
ist  zierlich  gefärbt,  jede  Wand  reinlich  angestrichen, 
jede  Treppe  mit  ausgesuchten  Steinen  belegt,  jede 
Strassenrinne  längs  dem  Hause  unterscheidend  70n  der 
Strasse  gepflastert«  Von  ferne  schon  schimmert  das 
messingene  Band  des  Fenstervorhangs  entgegen ,  und 
das  Auge  wird  von  dem  hellglänzenden  Milcheimer 
angelacht«  An  jeder  Ecke  des  Hauses  stehen  die  Mäg- 
de geschäftig  mit  Tiichem  und  Barsten  aller  Art,  um 
die  Geräthschaften ,  die  Treppe,  selbst  jeden  brdten 
Stein  vor  dem  Hause  zu  putzen«  In  behaglicher  Ruhe 
sitst  unterdessen  der  Hausherr  an  der  Thüre,  die  irde-  * 
ne  Pfeife  im  Mund,  Tabacksdose  und  Kohlenbecken 
vor  sich ,  und  den  porcellanenen  Speitopf  zur  Seite. 
Daneben  ist  die  emsige  Hausfrau,  von  Kindern  umla- 
gert, in  Arbeit,  um  das  dampfende  Theewasser  aufzu- 
giessen,  und  die  lechzenden  Zungen  zu  laben.  Nicht 
satt  werdend,  diese  lieblichen  Scenen  anzuschauen,  fuh- 
ren wir  durch  das  fast  Eine  Stunde  lange  Dorf.  Haus 
an  Haus  drängt  sich  an  den  beiden  Seiten  des  Dam- 
mes. Wo  ein  Zwischenraum  ist,  fast  ihn  eine  plattge- 
schnittene lebendige  Hecke  ein,  und  in  diesen  Säumen 
erheben  sieb  hohe  Haufen  von  Schilfrohr,    zur  Bede-> 


411 

ckung  für  die  eigenen  und  Cor  fremde  Hänser,  Dami^ 
wechseln  bohe  Haufen  ¥on  Reifen  aller  Sorten  ab,  ge- 
schnitten ans  deit  ringsam  wachsenden  Weiden  für 
Fassbinder  und  andern  Gebrauch.  Diese  Arbeit  ist 
eine  Haoptwinterbeschäfirgang  der  Haasler  y  aner  ihrer 
wichtigsten  Erwerbseweigey  und  ein  bedeutender  Hap« 
delsartikel.  Alle  Jahre  wird  das  Schilfrohr  geschnitten, 
alle  zwei  Jahre  die  Binsen  9  und  alle  vier  Jahre  die 
Weiden.  Zwischen  den  Holzhaufen  erbeben  sich  hier 
Hnd  da  luftige  Heuhaufen,  die  gegen  Ende  des  Win* 
ters  verkauft  werden»  Unter  solchen  Arbeiten  kommt 
der  langersehnte  FruUing^  herbei,  nnd  der  Nachen,  der 
am  Fuss  eines  ^den  Hauses  warteäd  lieg^  wirdbegic* 
rig  erstTi^en;  dem»  er  ist  de&  Holländers  Hans  and 
Werkstatt,  Wiese  und  Ackerland» 

Doch  das  Auge  wendet  sich  wieder  in  die  Feme» 
Und  was  hebt  sich  dort  mit  Miihe  hervor  über  die 
Wasserfläche?  DanUe,  wüste  Eilande,  durch  nichts 
ausgezeichnet,  als  durch  ihre  weite,  niedrige  Fläche, 
und  die  Ruinen  eines  alten  ^  einsamen  Thurms«  Und 
was  bedeutet  dieser  Zeuge  vergangener  Zeiten?  Das 
ist,  rufen  mit  Einem  Munde  meine  Reisegefährten,  das 
ist  das  Haus  Mervede,  der  einzige  Ueberrest  von 
72  blühenden  Dorfern,  welche  einst  hier  sich  über  die- 
se Fläche  erhoben,  aber  vor  400  Jahren,  im  J.  1Z|21, 
durch  eine  ungeheuere  Wasserfluth  alle  zugleich  in  den 
Abgrund  versanken«  —  Herr,  wie  unerforschlicb  sind 
deine  Wegef  Fürwahr„  du  bist  ein  verborgener  Gott! 
—  Der  an  die  Stelle  getretene ,  weite  See  heisst  der 
ßlesboscb.     AUmäblich  hat  sich  wieder  viel  Grund 


412 

ans  der  Tiefe  empargehobcn ,  and  ist  sn  Inseln  ange- 
wachsen,  welche   in  Polder  verwandelt  dem  Ackerbau 
aufs  neue  dienen.    Sa  kann   das  Meer  Länder  vertil- 
gen, und  wieder  neue  schafiTen.    Welches  Menschen 
Hand  kann  seiner  Gewalt  stehen?  So  mnss  denn  auch 
der  kluge  Holländer  mit  all  seiner  bewundernswürdigen 
Wasserbaukunst  doeb  vor  dem  Elemente  zittern »  das 
er  so  oft  siegreich  bekämpft ,  und  er  zittert  auch  jetz^ 
sittert  besonders  in  dieser  Gegend  aufs  neue  vor  dem 
gefrässigen  Wasserthier«    Denn  grade  in  diesen  Stre- 
cken  hat  sich   das  Wasserbett  der  Maas   und   Waal 
durch  den    von    den  obern  Flussgegenden  beständig 
kommenden  und  sich   hier  anhäufenden  Sand  seit  vie- 
len Jahren  mehr  und  mehr  erhöht,    so  dass  das  fort- 
während steigende  Wasser  immer  furchtbarer  die  D'dm- 
me  bedroht,  und  alles  mit  Schrecken  erfüllt,   da  man 
dem  Ungeheuer  kein  Bollwerk  entgegen  zu  stellen  webs» 
Doch   hat   der   Holländer  noch  nicht  in   Verzweiflung 
dem  Feinde  den  Sieg  zugestanden,  sondern  da  die  Ge- 
fahr noch  nicht  ganz  nahe  ist,  so  hat  man  seit  einigen 
Jahren  den  Riesenplan  entworfen,  den  einen  Arm  der 
Maas  durch  einen  Kanal  von  Gorkum'  in  die  Süderse^ 
abzuleiten.       Indess   werden  ungeheuere   Summen   zuc 
Ausführung  erfordert. 

Wir  kamen  darauf  nach  Gorkum  (Gorinc/iem), 
einer  alten,  ziemlich  'grossen,  nicht  eben  sehr  merk- 
würdigen Stadt  und  Festung,  und  von  da  nach  Via- 
nen.  Unterwegs  traf  ich  bei  Lexmond  das  rechte 
Hanfland  an,  denn  dieser  wässerige  Boden  ist  sein 
Element,  und  hier  wächst  er  zu  einer  Höhe  von  10  Fuss« 


l- 


■  r  ■    . 


413         . 

Ich  besah  die  BrechfcSttta,  worin  er  aof  eine  yqii  der 
deutschen  yersduedene  Weise  gebrecht  wird',  nnd  sog 
mir  einige  Hääie  yon  dem  Biesenstengei  ab,  nm  sie 
als  eine  Merkwürdigkeit  dieser  Gegend  mit  nachHamw 
sa  ndunen. -—  Des  Abends. kam  ich  in  Utrecht  an«^ 
Hier  kannte  ich  awar  fastKiemand,  indesjs  halle 
der  Herr  schon  anfs  frfmndlichste  vorbereitel. .  Dordi 
jkiein  langes  Kollektiren  in.  Holland  war  die  Sache  mein 
ner  Gemeinde  anch  htör  bereiti  bekannt,  nnd  der  ani» 
gezeichnet  religiöse  Sinn,  der  hier  vor  nden  andern- 
Städten  herrscht,   liess   ste^schnell  den  Herxen  mim 
bringen.    JDie  reformirten  Prediger,  nnter  ihnen  töT*' 
zugUch  der  edle,   gemSthToUe^  for  das  Reich  Gottae^ 
b^eisteite  HsnEi^s,  AuGXiiBOLZ,  van  OonoT 
(jetzt  Professor  der  Theologie  zn  Groningen)  nndPrct^ 
fessor  HEniNGA  empfahlen  mich  ihrer  Gemeinde  afeif 
und  nnter  der   Kanzel ,    sammelten  .  selbst  nnter  sich*^ 
105  fl.,   nnd   erwiri^ten  mir  die  Erlaabniss,  im  Dom 
eine  Abenclpredigt  mxl  halten,  welche  ich  am  1.  Feb#* 
vor    einer   ausserordentlich   zahlreichen   Versammlung» 
worunter  viele  Professoren  nnd  Studenten,  hielt.    D^ 
Prediger  der  tanfgesinnten  Gemeinde^  BRowEn^ 
Kops  (zugleich  Prolessor  der  Landwirthschaft)  mid 
Knopmans  (jetzt  Professor  am  Seminar  z«  Amster« 
dam)  hielten  eine  Kollekte  in  ihrer  Kirche  für  mieh. 
Auch    der    remonstrantische    Prediger,     TAH 
Tevtem,   empfing  mich  lidbreich.    So  breitete  sieb 
schnell  eine  Begeisterung  iiir  meine  Sache  ausj^  wie  ich 
jie  fast  nirgends,  kaum  in.Rotterdam  .  so   gefundin 
hatte.    Der  Bürgermeister,  VAit  Doblen,  machte  dien 


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414 

Anfang  der  Unteneidmong  mk  100  fl. ,   ein  scihr  rei** 
eher,  tiefreligiöscr  Privatmann  BoTH  Hend&iksen 
folgte  mit  einer  solchen  Summe  nach,  der  edie,  gleich- 
gesinnte  TAN  Bersichem  mit  W  £1.9   der  alte,  sinni- 
ge, höchst  wohlthätige  VAN  DER  Muelen  und    sein 
Neffe  mit  100  nnd  mit  ÜO  fl«,  und  wenn  gleich  natür- 
lich die  Summen  nicht  lange  auf  dieser  Höhe  blieben, 
so  waren  doch  viele  immer  noch  so   bedeutend,    dass 
ein  Mann  des  ersten  Ranges,  als  ich  zu  ihm  kam,  sei- 
nen   Verdruss   unverholen  darüber  zu   erkennen  gab, 
dass  die  Vorgänger  alle  mit  grobem  Geschütz  geschos- 
sen hätten,  so  dass   er  jetzt  Ehrenhalber  nicht  mit  ei- 
nem Sackpuffer  nachkommen  dürfe,  und  dem  gemäss 
80  fl«  zu  zeichnen  für  nöthig  hielt.    Auch  riele  Damcfn 
empfingen  mich  sehr  gütig,  unter  ihnen  besonders  die 
verwittwete Baronesse  van  Ittersam,  eine  sehr geist- 
nnd   gemüthvoHe  Frau    und  zärtliche   Mutter,    welche 
6  Sohne  hatte,  deren  5  in  der   Erziehungsanstalt  der 
Brüdergemeinde  zn  Neuwied  gewesen,  und  der  jüng- 
ste noch  da  war.     Sie  lud   mich   oft  zum  Essen   ein, 
nnd   unterhielt  sich  mit  mir   auch  gerne    über     mein 
Seelsorgeramt,  in  Bezug  auf  dessen  treue  Verwaltung 
nnd  daraus  folgenden  herrlichen  Gnadenlohn  sie  mir 
die  Predigt  Borger 's   über  das  Wuchern   mit  den 
Centnem,  MaUh.  25,  15,  besonders  empfahl.    Die  bei- 
den  Predigtbände  desselben  schenkte  sie  mir,   mit  ei- 
nem mütterlichen  Schreiben  sie  begleitend«    Auch  noch 
manche  Andere  schenkten  mir,  nachdem  sie  die  Gabe 
für    die    Gemeinde    gezeichnet,    wichtige  theologische 
Schriften  ihr^  vaterländischen  Gelehrten.    Ein  junger. 


415 

mit  stiller  B^eisternng  fiir  Chnitum  erfüllter  Mann« 
DE  Geer,  gab  aber  sein  Vermögen,  wie  ich  von  an- 
dern börte^  75  fit;  ja,  später,  als  ich  in  England  war, 
schickte  er  sogar  noch  einmal  ohne  mein  Wissen  100  fl. 
für  meine  Gremeinde  an  van  Happen  in  Amsterdam* 
Der  edle  Gonvernenr  der  Provinz,  tan  Tutll, 
zeichnete  ebenfalls  liebreich,  und  gab  mir  noch  einen 
Brief  an  Baron  Fagel,  den  damaligen  niederländi- 
schen Gesandten  in  London  mit«   ' 

In  vielen  Häusern  kamen,  wenn  die  Herrschaft 
gezeichnet  hatte,  Mägde  und  Bedienten  verschämt  bcr^ 
bei,  bittend  auch  ihr  Scherflein  annehmen  zu  wollen. 
Ein  alter,  schlichter  Bürgersmann,  BoB,  der  lange 
vergebens  nach  meinem  Logis  gesucht  hatte,  kam  eines 
Abends  zu  mir,  und  erzählte  mir:  Er  habe  vor  einigen 
Tagen  predigen  hören  über  die  Maria,  welche  die 
kostbare  Salbe  für  viel  Geld  gekauft,  und  über  Jesum 
zur  Bezeugung  ihrer  Liebe  ausgegossen  habe«  Da  habe 
er  bei  sich  gedacht :  ich  muss  doch  auch  mehr  Liebe 
für  Jesum  bezeigen,  als  bisher,  und  dies  kann  ich  wohl 
am  besten  thun  durch  Unterstützung  jener  Gemeinde« 
Und  so  brachte  er  mir  für  sich  und  seine  beiden 
Schwestern  36  fl.  8  Stbr«  -—  Ja,  du  einfältig  liebende 
Seele,  dein  Herz  bat  dich  nicht  irre  geführt  Der  treue 
Herr  wird  einst  zu  dir  sprechen:  Das  hast  du  Mir  ge* 
than!  —  Die  Studenten  sanunelten  unter  sich,  mit 
gleichem  Eifer,  wie  die  zu  Leiden,  212  fl.,  für  mei- 
ne Gemeinde,  vorzüglich  dazu  angtfegt  durch  zwei  jun* 
ge,  liebe  Theologen,  ScHiM  VAN  der  Loepp, 
aus  Groningen,  und  HuYDEBOPBR  aus  Hooro,  mit 


416 

welchen  ich  in  Gesellschaft  noch  einiger  anderer  Sin- 
deuten  während  meines  Aufendialtes  zu  Utrecht  zu  Mit« 
tag  ass,  and  dadurch  eine  eben  so  angenehme,  als  über 
das  akademische  Leben  Hollands  belehrende  Unterhal- 
tung genoss«    Das  Collegium  der  reformirten  Aeltestea 
wie  der  Diakonen  zeichneten  ebenfalls    eine   Summe* 
Einige  ärmere  Bürger,    die  ihre  Gaben   für  zu  gering 
hielten,  um  sie  einzeichnen  zu  können,  sammelten  noch 
bei  ihren  Freunden  in  einer    verschlossenen    Büchse, 
und  brachten  mir  das  Resultat,  mehr  denn  30  fl»    An- 
dere   brachten  mir   3,  4,  6  fl«   ins  Hau&,  ohne  ihren 
Namen  zu  nennen*    Fast  bei  allen  Predigern   wurden 
Giaben  für  meine  Gemeinde  niedergelegt,  zum   Theil 
von   lieben,   christlichen  Briefen   begleitet     Mehrmals 
wurden  Päckchen  in  die  Klingelbeutel  der  Kirchen  mit 
derselben  Bestimmung  gelegt.    Selbst  vom  benachbar- 
ten Dorfe  Zuilen  schickte  eine  edle  Jungfrau  Kühn, 
als    sie  von  der   Sache  hörte,   durch   eine   Freundin^ 
25  fl. 

Und  wie  viele  andere  Namen  stehen  vor  meinem 
Geist,  die  Gefühle  der  Dankbarkeit  und  Liebe  stets 
aufs  neue  erweckend!  yan  Bronckhorst,  de 
Bracokier,  Anoelkot,  die  Frauen  Martens, 
VAN  Beek  Calkoen,  v'an  Barneveld,  van 
OoRDT,  — «  doch  ich  kann  sie  nicht  alle  aufzählen, 
die  edlen  Seelen,  die  den  armen  Fremdling  alsFreand, 
als  Bruder  aufnahmen,  um  Christi  willen,  und  keinen 
Dank  begehrten,  sondern  dem  Herrn  allein  alle  Ehre 
nnd  allen  Dank  gegeben  wissen  wollten.  O  Utrecht, 
Utrecht!  möge  cler  Herr  dafür  dein  Hirte  sein  ewig- 


417 

Hell,  und  alle  deine  Schafe  tveiden  auf  der  grünen  Aue 
und  am  frischen  Wasser  seines  lauteren  Wortes,  und 
dich  machen  zu  einer  Stadt  auf  dem  Berge  >  deren' 
Glaubenslichi    immer    heller   entbrennend    leuchte    AU 

» 

len  im  Lande,  und  erhelle  alle  Finsterniss  und  Schat-* 
ten  des  Todes! 

Auch  im  benachbarten  Dorfe  Zeist,  ^ö  mehrere 
reiche  holländische  Familien  wohnen,  und  der  Sitz  ei* 
iier  blühenden  Kolonie  det  Briidergemeinde  ist^ 
kollektirte  ich  Einen  Tag,  und  mit  vielem  Erfolge, 
weil  ich  theils  von  Utrecht  aus  empfohlen  war,  theils 
der  holländische  Prediger  des  Dorfes,  KiST,  ^in  Sohn 
des  oben  erwähnten'  Predigers  zu  Dordrecht ,  so  wie 
der  Prediger  der  Briidergemeinde,  FrüAüf,  mir  lie- 
bevoll Bahn  machten. 

Zur  Erholung  von  meinen  Kollelteug^ngen  diente 
mir  theils  der  lehrreiche    Umgang   mit  mehreren  Pro* 
fessoren,    den  mir  diese  freundlich  gewahrten,    so   die 
Professoren   der   Theologie   Royaabds,    Vaiet  und 
Sohn,^  ersterer  wegen  Alters  im  Ruhestande,  ihre  KoI" 
legen    H ERINGA    und    BoUmAnn,    der    emeritirte 
^Professor  VAN  OoRDT,  der  geistvolle  Professor  der 
Geschichte,  vAn  HeüsdS^  welcher  sich  nach  unserni 
Heeren  gebildet,  der  herzliche  Professor  der  Philo- 
sophie, Schröder,  ein  Deutscher  von  Geburt,  und 
MOeistesverwandter    der    JACOBi^schen    Philosophie, 
.theils  das  Besehen   der  akademisshen   Merkwür« 
vdigketten. 

Die    Universitätsbibliothek    ist    in    einem 
herrlichen  Lokale,  dem  ehemaligen  königlichen  Schlosse 
IL  27 


418 

aufgestellt.  Sie  ist  noch  Im  Aufblühen  begriffen,  bat 
jedoch  schon  manche  seltene  Werke,  z,  B.  den  ersten 
Druck  des  PLAUT  US  in  Folio  vom  J.  l/i'^O,  der  3400 
fl.  kostet.  Das  physische  Kabipet  des  Professors 
der  Medicin,  Bleuland,  ist  äusserst  seLenswerth. 
Hier  sieht  man  viele,  sehr  künstlich  aufgespannte,  aus- 
gestopfte und  in  Wachs  bossirte  Seltenheiten,  z.  B. 
die  Menschenhaut  des  Europäers,  wie  sie  aus  2  Fellen 
besteht,  der  rothen  und  der  inneren  weissen,  die  des 
afrikanischen  Negers  aus  3,  der  schwarzen,  der 
braunen  und  der  weissen,  viele  Foetus,  eine  sehr  lehr- 
reiche Darstellung  aller  inneren  Theile  des  menschli- 
chen Körpers  4  einen  achtjährigen  Knaben  und  einen 
grossen  Affen,  beide  ausgestopft,  'und  einander  gegen- 
übergestellt, tarn  Beweis,  wie  auch  die  körperliche  Con- 
stitution des  Menschen  vortrefflicher  sei,  als  die  des 
menschenähnlichsten  Thieres,  und  vonNatuf  allein  zum 
Aufrechtgehen  bestimmt,  einen  22  Ellen  langen  Band- 
wurm, chinesische^  zwei  Hand  breite  Schmetterlinge, 
surinamsche  Käfer  von  der  Grösse  eines  See  -  Krebses, 
eine  Vögel-tÖdtende  Buscbspinne,  deren  Leib  so  gross 
ist,  wie  ein  Hühnerei^  merkwürdige  Seelhiere,  bunte 
Federmäntel  von  den  Südseeinseln  u.  s.  w. 

Auch  ward  ich  hier  durch  mehrere  erfreuliche 
Nachrichten  von  Hause  gestärkt«  Bei  meiner 
Gemeinde  stand  noch  alles  wohl,  und  mein  Stellver 
treter  NöLL  wirkte  darin  mit  Liebe.  Auch  hatte  die  . 
unermüdliche  Verwendung  des  menschenfreundlicheo  ^ 
Konsistorialraths  Pitha;!^  zu  Düsseldorf  endlich  hQ-' 
heren  Ortes  be\Yirkt,  dass  eine  Zulage  von  100  Thlra« 


w 


419 

für  den  Predigergehalt  auf  6  Jahre  bewilligt  wurde.  — • 
Zugleich  erreichte  mich  hier  ein  Brief  von  einem  lie- 
ben Uiilversitätsfreunde  LorbeI^Ö,  Herzogl.  Nassaui- 
schem Rathe  und  Erzieher  des  Erbprinzen  von  Nassau, 
welcher,  als  er  von  der  Noth  meiner  Gemeinde  und 
meiner  Kollektenreise  hörte,  sich  von  seinem  liebevol- 
len Herzen  gedrungen  fühlte,  3  Predigten  ^um  Bested 
meiner  Gemeinde  herauszugeben*),  welche  Nachricht 
er  inii'  in  diesem  Briefe  ireundlich  mittheilte.  Man  be-> 
greift  leicht,  dass  mich  solche  Liebe  des  Freundes  aufs 
tiefste  bewegen  musste,  wie  gering  ancb  der  Erfolg  sei- 
ner Bemühung  hätte  werden  mögen.  Jndess  ist  auch 
dieser  gesegnet  worden,  so  da^s  215  Ü*  17  Kr.  (122 
Thlr.  19  Gr.  9  Pf.)  der  Ertrag  gewesen  ist,  worunter' 
110  f].  von  einer  unbekannten  Gemeinde«  Habe  Dank^ 
lieber  treuer  Freund!  Habe  Dank,  auch  Dd^  hebe, 
unbekannte  Gemeinde!  Hast  Du  selbst  es  unmöglich 
gemacht,  dass  ich  Dir  unsern  Dank  bringe,  nun,  wie* 
bitten  den  Herrn,  dass  er  für  uns  Dir  danke,  dass  ec* 
Dein  Schild  sei  und  Dein  grosser  Lohn! 

*)  Sie  sind  zu  Wiesbadeü  in  Comnüssiori  bei  H.  Wt 
Ritter  1824  erschienen,  Preis  8  gGr. 

Das  Thema  der  erste if  Predigt  ist:  Sesuä  CKii-« 
stus  verleihet  seinen  Anhängern  Friederi^  übei'  Jolu 
14,  27;  das  der  z\*eiteni  Wiä  soll  dei*  Christ 
als  Bürger  der  ßrde  zum  Bürgei'  A^ä  HimmelK  sich 
bilden?  über  Matth.  6,  33;  das  dei*  di'itterif  üebei' 
die  ^Erfahrung,  dass  der  Mensch  gfetteigtei' ist ^  die 
^ehle^'  Anderer  zu  bemerken  i  ald  seine  eigenen  ÄU 
erkennen^  über  Matth.  7,  3  — -  ö« 


i1 


420 


■bAriHHMM 


Kirchlichkeit.  Predigtfveise..  Kirchen- 
gebet.  Anreden,  Lehre  der  Pre- 
diger. 


Auch  in  Utrecht  hatte  ich  vielfaltige  Gelegenheit  za 
bemerken^  wie  ein  lebendiger  Glaube  an  Christum 
noch  dnen  grossen  Theil  des  Mittelstandes  und  vide 
Yornehmen  des  evangelischen  Hollands  durchdringt« 
weshalb  ein  stilles ,  kindliches  Leben  der  Gottseligkeit 
noch  in  vielen  Familien  blüht. 

Jt)ie  grosse  Kirchlichkeit  des  Yolks^  wovon  ich 
L  Band  S«  38  —  41  gesprochen^  entsteht  daher  bei. 
einem  grossen  Theile  desselben  aus  dem  lebendig  ge^ 
fühlten  Bedürfnisse  einer  höheren  Seelenspeise,  und 
ans  einer  tiefen  Ehrfurcht  vor  dem  Worte  Ck)ttes« 
Indess  ist  nicht  zu  läugnen^  dass  ein  anderer  Theil  der 
Kirchengänger  die  Kirchen  blo^s  deshalb  fleissig  be- 
^  sucht,  weil  das  Kirchengehen  Mode  ist,  so  dass  ihr  Ei« 
fer  sich  dann  auch  nur  in  einem  fleischlichen  Pardici' 


i 


421 


nehmen  Tür  einen  der  Prediger  bekundet ,  ohne  dass 
sie  darum  Parthei  für  Christum  nehmen  (vgl.  !•  Band 
S.  73),  So  erzählte  mir  in  Utrecht  eine  christliche 
Freundin  von  einer  s^hr  weltlich  -  gesinnten  Person, 
über  deren  Kirchlichkeit  ich  mich  wunderte:  Diese  lau- 
fe allerdings  seit  einiger  Zeit  einem  der  Prediger  von 
einer  Kirche  zur  andern  nach;  wenn  sie  nun  auch  noch 
dazu  komme,  Christo  nachzulaufen,  so  werde  es  wohl 
mit  ihr  stehen« 

Was  nun  die  Predigtweise  der  Prediger  be- 
trifft,, so  habe  ich  davon  schon  im  I.  Band  S.  45  be- 
merkt, dass  sie  im  Ganzen  sich  durch  eine  gewisse 
äussere  Beredsamkeit  und  Würde  auf  der  Kanzel  aus- 
zeichnen, worin  sie  von  der  langsamen,  feierlichen 
Sprache  begünstigt  werden«  Das  Exegetische  macht 
den  Haupttheil  der  Predigt  aus,  und  ihre  erste  Abthei- 
lung,  die  F'erklaaring  des  Textes  nach  seiner  engeren 
und  weiteren  Bedeutung,  die  Darstellung  der  verschie« 
denen  Meinungen  und  Hjrpotbeseik  der  Gelehrten-  dar- 
über, die  Widerlegung  derselben  und  die  Beweisfuh- 
rung  für  die  behauptete  ^Bedeutung  nimmt  meisb'die 
Hälfte,  auch  wöhl  noch  mehr  von  der  Predigtzeit  weg. 
Hierdurch  geschieht  es  denn  nicht  selten,  dass  einfache, 
deutliche,  einer  langen  Erklärung  gar  nicht  bedürftige 
Stellen  durch  die  weitschweifige  Erklärung  breitgeschla- 
gen,  und  sta^tt  verdeutlicht,  verundeutlich t  werden,  dass 
exegetische  Einzelheiten  und  Spitzfindigkeiten  auf  die 
Kanzel  kommen,  die  nur  auf  den  Katheder  gehören, 
und  eine  Masse  verschiedenartiger  Meinungen  und  Hy- 
pothesen dem  Volke  aufgetischt  werden,  die  seinen  Ver- 


422 

3tand  zu  sophistischen  Griibeleieo  führen  und  verwirr 
reo,  da  es,  der  exegetischen  Vorkenntnisse  entbehrend» 
doch  nicht  unter  den  vielen  Meinungen  richtig  ent- 
scheiden kann,  die  «Endlich  durch  ein  Halbwissen  auf- 
blähen,  und  das  Herz  kalt  und  leer  lassen. 

So   werden    die  gelehrten  Ausleger  bisweilen   mit 
Namen   citirt.     So  hörte   ich    einen    alten  Prediger  zu 
Amsterdam  bei  Auslegung   der  Stelle    £ph«  3,  19, 
dass  ChrLstum  lieb  haben,   viel   besser  sei,   denn  alles 
Wissen , .  die  alexandrinische  Handschrift  an- 
führen, nach  welcher  es  heisse:    die  Liebe  von  Seiten    j 
Christi,  was  vorzuziehen   sei.    So    erstaunte  ich    nicht 
wenig,   als  ich  einen  der  berühmtesten  Prediger  Rot*    ; 
terdams   bei  der  Aufzählung  all  der  Meinqngen  über 
Luc.  10,  42,     „Eins   ist  INJoth*«,   weitläufig   auch    die 
Meinung    widerlegen    hörte:    Nur   Eine  Schussel    sei  ^ 
nothwendig.    Aber  mein  ißrstaunen  wuchs,  als  iclv  nacb'J 
der  Predigt  ;u  dem  Prediger  kommepd,   wo  mehrere  ■■ 
andere  der  Zuhörer  versaiqmelt  w^ren,  eineiq  derselbea 
die  letztere  Meinung,    trotz  der  ^o   eben  gehörten  aus* 
fuhrlichen  Widerlegung,  angelegentlich  vertheidigen  sah« 
Ich  fand  hier  bestätigt,    dass    dies   gelehrte  Exegesiren 
allerdings   eine  gewisse  Bibelkenntniss   bei   den   Laien 
befördere,    aber  nicht   weniger   ein  Partheinehmen  (ur 
die   eine   oder   andere  Ansicht  und    eine  Disputirsndit  . 
vrährend    des    Predigthörens,    welche    der   Anwendung 
auf  4as  eigene  Herz  und  der  Erbauung   wenig  Ranni 
lasse.  '. 

Das  Nachtheilige    dieses    zu   weitläufigen  Exegesi« 

rens  hat   man  auch   in  der  neuesten  Zeit    so  deutUcI) 

f 

\ 


^^423 

oiugcsehen,  dass  die  reformirte  Generalsynode 
im  J.  1«17  den  Predigern  empfohlea  bat,  stall  der  ge- 
wöhuliclicn  synthetischen  Predigten  ha'aiiger  Eybeloefe- 
ningen  zu  halten,  d.  h,  Homilien  über  grössere  Ab- 
schuille  aus  den '  wichtigsten  biblischen  Büchern  mit 
kurzer  Erkförung  und  Anwen(j[ung  (vgl.  S.  28)*). 

Diese  Empfehlung  hat  wohlthätig  gewirkt,  so  dass 
:5eltlier  viele  Prediger  solche  ßybeloefeningen  hallen, 
was  vom  Volke  sehr  geliebt  wird.  Auch  hat  sich,  die 
Sitte,  welche  schon  seit  langer  Zeit  bei  einigen  gros- 
sen Genweindeu,  welche  mehrere  Prediger  besitzen,  be- 
stand, dass  diese  sich  vereinigten,  um  über  ein  Buch 
des  A.  oder  N.  T.,  der  Reihe  nach  kursorisch  auf 
analytische  Weise  2u  predigen,  seitdem  in  einer  gros-, 
seren  Zahl  von  Gemeinden  verbreitet. 

Viele,    besonders   der   jüngeren   Prediger   gefallen 
.  sich  in  der  neuesten  Zeit  sehr  in  Ausschmückung  ihrer 
Predigten  durch  Entwerfung  schöner  Schilderungen  und 
Gemälde  {tafereelen)  ^  wozu  sie  die  Texte  und  Gegen- 
stande meistens  aus  dem  A.  T.  nehmen,   und  beschäf- 


*)  Hofprediger  Dermout  hat  in  seiner  ersten  Samm- 
lung neuer  Predigten,  Haag  1823  S.  142  ff.,  einige 
treffliche  Muster  solcher  Bybeloefeningeh  geliefert. 
Auch  Professor  Herinoa  hat  eine  Zehnzahl  Dybel- 
oefeningen  in  Predigten,  Amsterdam  1818  herausge- 
geben, Prediger  van  Heiningen  zu  Ryswyk 
hat  über  das  Ev.  Matth.,  2  Cor.  und  die  Apostelge- 
schichte, und  andere  über  andere  biblische  Bücher 
Bybeloefemngettj  jedoch  nicht  immer  in  Predigtforin, 
sondern  bloss  als  kursorische  Erklärung  mit  erbau- 
lichen Bemerkungen  herausgegeben. 


tigen  hierdurch  zwar  di«  Phantasie,  besonders  der  Ge- 
bildeten und  des  weiblichen  Geschlechts  recht  ange- 
nehm, wirken  aber  dadurch  wenig  auf  gründliche  Be- 
lehrung und  Heiligung«  Hierbei  werden  wohl  selbst 
Gegenstände  geschildert,  deren  Vorhandensein  in  Be- 
ziehung auf  den  Text  noch  gar  nicht  einn^al  erwiesen 
ist,  nur'  damit  die  schöne  Schilderung  doch  angebracht 
werden  könne*). 


«»f- 


*)  ^0  entwirft  Professor  van  der  Pa^m  in  einer 
Predigt  über  die  Verklärung.Christi  S.  6  —  10 
des  8ten  Theils  seiner  Predigten  eine  ausführliche 
Schilderung  von  der  Sclibnheit  der  Natur  auf  dem 
Berge  Tabor>  Aveil  der  Gedanke  doch  g^r  zu  an« 
genehm  sei,  dass  Christus  in  einem  der  irdischen 
Paradiese  Canaans  mit  einem  Besuche  aus  dem 
himmlischen  Paradiese  beehrt  worden  sei;  —  ob- 
gleich er  gesteht,  dass  die  neueren  Ausleger  fast 
einstimmig,  freilich  ge»en  seine  Ansicht,  den  Berg 
Tabor  nicht  für  den  Berg  der  Verklärung  halten. 

So  liefert  van  der  Roest,  sonst  einer  der 
einfacheren  und  gemüthlichen  Prediger,  und  mit 
Kepht  unter  die  hollglndischen  Kanzelredner  ersten 
'Ranges  gestellt  (Mehreres  über  ihn  s,  unten  bei 
der  Predigtliteratur),  in  der  Oten  Predigt  seiner 
biblischen  Gemälde  lon  einigen  lehrreichen  Sterbe- 
fäUen  etc.,  über  den  Heimgang  Ilenpchs,  Seite 
154  —  167  eine  dritthalb  Seitep  lange  Schilderung 
von  der  Art  seines  Heimgangs,  obgleich  er  im  An- 
fange selbst  sagt,  dass  Über  die  Art  dieses  Heim- 
gangs und  über  die  äusseren  Umstände  desselben 
uns  nichts  gemeldet  sei.  Nach  einer  sehr  wahr- 
scheinlichen Vermuthung  jedoch,  fügt  er  hinzu,  sei 
Ilenoch  weggenommen  worden  zur  Zeit  eines  Auf» 
>f^ufs  des  Pöbels,  der  ihm  das  Leben  nehmen  \roUt 


•^AiS3"*«™^' 


425 


Ueberhaupt  fand  ich  und  erklärte  das  oflfen  einem 
der  angesehensten,  jetzt  schon  entschlafenen  Prediger 
im  Haag,  Wt5  Jun.,  dass  meinem  ürtheile  nach  die 
Predigtweise  sich  zu  sehr  un  Allgemeinen  halte,  zu 
wenig  auf  die  speciellen  Verhältnisse  des  Lebens ,  auf 
die  besonderen  Zustände  des  Herzens  eingehe,  wie 
denn  auch  fast  niemals  die.  Verhältnisse  des  Sterbens 
berührt  würden,  so  dass  man  nur  zu  deutlich  daraus 
den  Mangel  an  Kenntniss  der  Gemeinde  und  an  Seel-» 
sorge,  und  an  häufigem  Verweilen  der  Prediger  an 
Kranken  -  und  Sterbebetten  wahrnehme,  Kr  musste 
dies  zugestehen. 


99 


te,  und  nun  schildert  er  umständlich,  >vie  die  Sache 
ungefähr  zugegangen  sei.    ,>Henoch  fühlte  sich  nach 
,,Tielen  vergeblichen   Bemühungen ,    seine    Mitnien^ 
„sehen  zur  Bekehrung  zu  bringen,  gednungen»  nocli 
f^eine  zu  rersuchen.    Von  ferne  die  göttlichen  Strafe 
^ygerichte  über  sie  kommen  sehend,  trat  er  yqll  Mit« 
leids  noch  einmal  vor  der  Menge  auf,  Hebend  und 
.warnend  ..v.  Kr  kommt ^zum  Vorschein,  er  spricht^, 
„er  vermahnt,  er  warnt,  er  bittet,   er  droht,    er 
„weint,    er  weissagt  ihren  Untergang.    Die  Feind-. 
„Schaft  gegen  ihn,    schon  lange    aufgereizt    durch 
„seine  Lehre  und  sein  Leben,  steigt  nun  bis  auf 
„den  höchsten  Gipfel  •...  Man  will,    man  kann  ihn 
„nicht  länger  ertragen«    Mordlust   entsteht  in   den 
„erbitterten  Gemüthern^  und  Hammt  aus  Aller  Augen. 
„Man  schliesst  einen  Kreis  um  ihn,   und  ist  bereit, 
„ihn  anzugreifen  und  zu  tödten.    Da,  voi*  Aller  Au- 
„gen,  tritt  Gott  dazwischen,  und  rettet  ihn  aus  ih- 
„ren  Händen  ...,    Während   er   noch  Thiänen    ver-. 
„giesst  über  ihre  Verblendung,  wird  er  genHijiimpl 
„aufgenommen.**  ,.,, 


42ft 

Die  (lebete  sowohl  am  Ende  des  Eingangs  aU 
der  Predig!  1,'mä  meislens  viel  zu  lang,  wahrend,  be- 
sonders das  lelilere,  fast  eine  lialbe  Stunile,  uaä  eal- 
baltea  oß  eine  so  weitläufige  BericUterstallung  an  Gott, 
so  viele  Fürbitten  und  Danksagungen  für  Einzelne, 
welcbe,  wenn  auch  im  Eingangsgcbetc  schon  da  gewe- 
ECD ,  doch  im  Sclilussgebet  alle  wiederholt  werdea 
(vgl.  I.  Band  S.  46),  dass  viele,  selbst  der  andächtigen 
Zuhörer  dadurch  ermüdet  werden,  und  manche  allmäb- 
tig  den  Kopf  in  die  llcibe  recken,  um  tu  sehen,  ob  . 
des  Bctens  nicht  bald  ein  Ende  werde. 

Diese  Scha'ltenscite  der  Gebete  sehr  vieler  Predi- 
ger berechtigt  jedoch,  meiner  Ansicht  oacfa,  noch  im- 
luer  nicht,  dem  holländischen  Kircbengebele  im  Allge- 
meinen  matte  Steifheit  zuzuschreiben,  was  Geu- 
BERG  S.  'l03  seines  Buchs:  „die  schoUlsche  Katjonal- 
Lirche"  thuL  Denn  fürs  erste,  wenn  man  einea  de 
VriES,  einen  Egelmg,  einen  Merens*}  u.a. 
beten  btirt,  so  wird  man  von  dein  gläubigen. Feuer 
derselben  gewiss  nicht  weniger  ergriffen  und  erwärnf, 
als  von  dem  Feuer  gläubiger  Betender  aus  einem  an- 
dern Volke,  und  wird  bei  den  Gebelen  Jener  keine 
malte  Steifheit  Enden.  Fürs  twelte  muss  der  Nicht- 
Holländer,  wenn  er  hei  dem  holländischen 
tiehele  noch  mehr  als  hei  dem  schottischen  u.  a. 
dieBeflexion  vorherrschen,  und  eine  gewisse  ihm  nicht 
zusagende  Langsamkeit  uad  Gedehntheit  damit  verbmi> 


•)  Iteturmirte  l'itMäiger  zu  Huttcrdam,   Leiden  und 


427 


den  sieht,  den  holländischen  Nationalcharak* 
ter  berücksichtigen,,  dessen  Eigenthümlichkeit  wir  da- 
rum noch  nicht  verdammen  können,  iieil  sie  nicht  mit 
der  deutschen,  oder  der  eines  andern  Volkes  iiber- 
einstimmt. 

Dass  obige  Schattenseite  iüdess  wirklich  vorhan-r 
den  ist,  beweist  am  bestea  das  Rundschreiben  der 
reformirten  Generals ynode  vom  !!•  Jul.  1817, 
worin  alle  Prediger  ernstlich  ermahnt  werden:  „sich 
„durchgehends  sorgfältig  langer  Gebete  zu  enthalten, 
„bei  welchen  die  Andacht  mit  Mühe  gespanpt  und  das 
„Herz  nicht  warm  bleiben  kann,  so  viel  möglich  Kürze 
„und  Kraft  in  demselben  zu  vereinigen,  die  Fürbitten 
„für  Kranke  und  J^eidende  nicht  zu  viel  zu  indlvidua- 
„lisiren,  noch  in  den  Vor^-  und  Nachgebeten  unnöthig 
„zu  wiederholen  etc.,  dass  sie  endlich  sur  Verstärkung 
„des  Eindrucks  des  Gebets  bei  besonderen  Gelegen«» 
„heiten  und  bei  kurzen  Gebeten  die  ganze  Gemeinde, 
„Frauen  wie  Männer ,  stehend  zu  beten  ersuchen  möch* 
,,ten"*). 

Als  den^boIländischeQ  Kanzeln  eigenthümlicb  sind 
noch  zu  bemerken  die  lobpreisenden  Anreden 
{aan8prahen)y  welche  die  Prediger  bei  kirchlichen  Fe- 
sten ,  z«  B.  bei  den  Jahresfesten  -  der  Bibel  -  und  Mis- 
sionsg^sellschaden  von  heiliger  Stätte  herab  halten. 
So  hielt  der  Prediger  Jbei  Eröffnung  eines  Missions- 
festes,   dem  ich   in    einer   grossen  holländischen  Stadt 


*)  S.  VAS^  DER   TVüK  Uandboek    voor  hervormde  Vre- 
pikanten  etc.  S.  14Q.  150. 


7   .  ^     428 

beiwohnte,  zuerst  eine  feierliche  Aanspratds  an  die 
Bürgermeister  y  ihnen  dankend  für  die  Ehre  ihrer  Ge- 
genwart, dann  au  den  Kirchenvorstaud ,  dankend  für 
die  eingeräamte  Kirche,  dann  an  die  Missionsdirekto- 
rcn,  dann  an  die  Schatzmeister,  dann  an  die  Secretäre 
der  Gesellschaft,  dankend  für  ihre  Wirksamkeit,  dann 
an /die  Dirigenten  der  Sountagsschulen ,  danlcend  für 
ihre  Thätigkeit,  dann  au  die  Schullehrer  und  Schul- 
lehrerinnen, daiiiwt'nd  für  das  Einüben  des  Sängerchors, 
dann  an  die  Kinder,  dankend  für  ihr  schönes  Singeif, 
endlich  an  alle  Glieder  und  Freunde  der  Missionsge- 
sellschaft, dankend  für  ihre  Theilnahme  und  Gegen- 
wart, welches  Bekomplimentiren  und  Lobpreisen  in 
schwülstigen  Phrasen  fast  eine  halbe  Stunde  dauerte' 
und  am  Scbluss  der  Feierlichkeit  vollständig  wiederholt 
MTurde,  eine  Menschengefalligkeit,  welche  ich  eines 
Knechtes  Christi  höchst,  unwürdig  fand  an  der  heiUgeu 
Stätte,  wo  nur  Eines  Ehre  wohnet. 

Was  die  Lehre  der  Prediger  in  ihren  Vorträgen 
betrifft,  —  ich  spreche  hiier  zunächst  von  der  refoT" 
m  i  r  1 6  n  K  i  r  c  h  e ,  -^  so  ist  sie  im  Ganzen  gläubig, 
und  die  Versöhnung  durch  Christum  wird  allgemda 
hervorgehoben.  Einseitige,  trockene  Moralpredigten, 
abgerissen  von  aller  Wurzel  des  Glaubens,  deren  man 
in  Deutschland  noch  so  viele  hören  muss,  hört  man 
hier  selten.  Ebenso  sind  die  früher  häufigen  Predigten 
über  abstracte  dogmatische  Speculationen ,  so  wie  die 
Polemik  für  die  Prädeslinationslehre  fast  ganz  ahge- 
koi^jmen.  Nur  einige  alte  Prediger,  so  wie  einzebe 
jüngere  gehen  noc^  diese  Bahn;   die  allermeisten  da« 


■it 


429 

gegen  predigen  gegenwärtig  die  Lehre  von   der   allge-* 
meinen  Gnade  *)• 

Professor  vAN  DER  Palm  drückte  sich  einst  in 
einem  Gespräch  mit  mir  über  das  Prcyi3igen  des  Glau- 
bens in  der  holländischen  reformirten  Kirche  im 
Vergleich  mit  den  deutschen  gläubigen  Predigern 
folgendermassen  aus:  ,^ie  deutschen  ofTenbarungsglän- 
9,bigen  Theologen,  besonders  die  von  der  Neologie 
•^^zurückgekehrten ,  heben  meistens  die  einzelnen  Bog- 
,,men  der  Trlnilät,  der  Erbsünde,  der  Wiedergeburl 
„etc.  zu  sehr  hervor.  Wir  Holländer  stellen  sie,  ohne 
),sie  zu  läugnen,  bei  unseren  Predigen  mehr  in  den  ' 
„Hintergrund,  theils,  weil  sie  unbegreiflich,  theik  weil 
5,die  näheren  Bezeichnungen  und  Entwickeln ngen  der 
„ersteren  Lehre  ganz  unbiblisch  sind*  Dagegen  heben 
„wir  die  lifehren  von  der  Sündenvergebung,  der  Ver- 
„söhnung,  der  Pfiicht,  Christo  göttliche  Ehre  zu  geben, 
„hervor,  und  lehren  sie  am  häufigsten«^' 

Dies  Zeugniss,  dass  der  Mittelpunkt  des 
christlichen  Lehi'gebändes ,  die  Yersöhnung,  noch  jetzt 
atigemein  als  solcher  gelehrt  wird,  habe  ich  schon 
oben  bestätigt.  Indess  muss  ich  leider  auch  bezeugen, 
dass  auf  das  Fundament  des  heiligen  Baues ,  die 
allgemeine    Verderbtheit   der   menschlichen  Natur  und 


*)  Mit  grossem.  Eifer  und  Beifall  vertheidigte  sie  der 
beredte  Prediger  Wys  jun,  im  Haag  während  mei- 
ner dortigen  Anwesenheit  im  Herbste  i823  in  einer 
Reihe  Predigten  über  Rom.  9,  10  und  11,  welche 
auch  in  2  Th eilen  1824  und  1825  gedruckt  erschic 
uen  sind. 


I  ■ 


430 

ihre  völlige  Ohnmacht,  sich  zu  erlösen,  nach  Art  der 
Apostel  hinzuweisen,  gegenwärtig  von  vielen  Predigern 
eben  so  sehr  vernachlässigt  oder  vielmehr  vermieden 
wird,  aU  auf  die  Krone  deä  Gebäudes,  auf  die  Wie- 
dergeburt  und  Erneuerung  durch  den  h.  Geist  und 
dessen  Gnadenwirkungen  >  hinzuweisen« 

£s  wird  zwar  wohl  allgemein  von  der  menscli-> 
liehen '  SUndhaAigkeit  und  Versöhnungsbediirfligkeit  auf 
den  Kanzeln  geredet,  aber  meistens  nur  In  allgemei- 
neü  Ausdrücken,  und  sie  wird  eben  in  den  Hinter- 
grund gestellt,  wie  VAN  DER  Palm  auch  gesteht,  da- 
bei wird  sie  meist  viel  milder  und  geringer  dargestellt, 
als  die  h,  Schrift  und  ihr  gemäss  der  symbolische  hei- 
delbergische  Katechismus  sie  darstellt^«    Dagegen  wird 


*)  Auch  die  Keformatoi^eti  wai'eti  iQ-4j>5icht  äoä 
Vortrags  dieser  Fundameatallehre  des  christlichen 
Glaubens  und  Lebens  anderer  Meinung,  als  van 
I)f!r  I^aLm  und  seine  Geistesverwandten.  So  sagt 
z.B.  MeiiA^^cHTOx  iii  dei*  ältesten  Ausgabe  seiner 
loci  commuues  S.  6  ff.  Witembt  1621  i  y^Mt/steria  di- 
jjVinitati»  rectius  ador  av  er  intus ,  quam  vestigatieritnus, 
yylmmo  sine  magno  periculo  tentari  nort  possitnt,  id 
yjQuod  nofi  raro  sancti  viri  sunt  expertu  Et  carne 
,xßUuni  Deus  opti  max^  induit^  ut  nos  ä  contemplatio- 
y,ne  majestatis  siiae  ad  carnisf  adeoque  fragi'lilatis 
i,no8trae  couteniplattonem  invitafet,  —  —  —  Proinde 
y,non  est,  cur  mUlium  opdraä  poriämus  in  iocis  iJlig  *«• 
„p remis,  de  deo,  ds  unilati^  de  JrinitqU  dei,  de  tn^fsie" 
„riö  creationis,  de  modo  incarUaitonis,  —  —  —  ReU- 
.  i^quos  vero  locos,  peäcdti  vim^  legem,  gratiam,  gni  ' 
i,ignorarit,  non  video,  quomodo  Christianum  voeenu 
„Nam  eJr  his  proprie  Chriitus  cognoscitur.  —  ^ 
if^  Haee  demunt  ehristiand  cögnitia  est  sciref    ,quid 


^/. 


43« 

von  Vielen  der  uns  allen  angeborene  hohe  Adel  der. 
menschlichen  Natur  ofl  und  stark  gerühmt,  und  diese 
Lehre  mit  hellen  Farben  auf  den  Vordergrund ,  ge- 
stellt*). Ebenso  wird  von  Solchen  auf  Heiligung 
>vohl  gedrungen,  allein  man  hütet  sich  aufs  ängstlich- 
ste, von  der  Wiedergeburt,  der  Nothwendigkeit  einer 
ribfernatürlichen  Erneuerung  unseres  .Sinnes  und  des 
flelssigen  Bittens  um  die  Wirkungen  des  h.  Geistes  In 
uns  zu  reden,  indem  man  gar  sehr  furchtet,  dadurch 
Schwärmerei  zu,  befurdern,  und  den  Vertheidlgern  der 
Gnadenwahl  in  die  Hände  zu  wirken.  Man  spricht 
daher  meist  nur  ganz  allgemein  von  der  Nothwendig- 
kelt  der  Besserung  und  des  Beistandes  Gottes  hierzu, 
welcher  Beistand  dann  so  geschildert  wird,  dass  er  sich 
wenig  oder  gar  nicht  von  dem  Beistande  Gottes  unter- 
scheidet, den  auch  unser  Körper  zu  seinem  Wachsen 
und  Gesundbleiben  nöthig  hat. 

Schon   aus    diesen    wenigen    Andentungen    ergibt 
sich^  dass  bei  solcher  Predigtwelse  die  chrlstli^e  ^Ver- 


yy 


* 


lex  poscat,  unde  faciendae  legU  zim,  unde  peccatt 
y,gratiam  petas,  quontodo  lahescentem  animum  adversus 
„daemonem  carnem  et  mündum  ertgaSf  quomodo  afflic^ 
„tarn  eonscie/ittnni  eonsoleris,*^  ' 

)  Calvin  sagt  Ittstti*  HeL  Christ^  Lih,  l.  Cap^  /.  §.  2. 
„Der  Mensch  ist  geneigt,  sich  selbst  irre  zu  leiten, 
„und  nichts  kann  ihm  daher  angenehmer  sein,  als 
„dass  seinem  llochmuth  geschmeichelt  werde.  Da- 
>,rum  ist, auch  zu  jeder  Zeit  Jeder,  der  die  Vor- 
„treffllchkeit  der  menschlicben  Natur  gerühmt  hat, 
„überall  mit  grossem  Beifall  der  Welt  empfangen 
„worden.** 


432 


söhnangslehre ,  wenn  auch  noch  so  häufig  in  Wortett 
gelehrt  und  gepriesen,  nothwendig  verflacht  und  ihres 
wesentlichen  Gehaltes,  so  wie  ihrer  beseligenden  und 
heiligenden  Wirkungen  grossentheils  beraubt  wird,  dass 
sonach  sich  ein  feiner,  rationalistischer  Unglaube  in  die 
Kirche  eingeschlichen  hat,  der  unter  dem  .Aushänge^ 
Schild  gläubiger  Ausdrücke  und  Redensarten  den  Glau- 
ben des  Volkes  leise,  aber  desto  sicherer  untergrabt« 

Dass  solcher  Unglaube,  wenn  er  sich  schon  auf 
den  Kanzeln  und  in  der  Predigtliteratur  zu  äussern 
anfangt,  wo  er  sowohl  Wegen  des  unter  dem  Volke 
noch  verbreiteten  gläubigen  Sinnes ,  als  auch  wegen 
des  selbst  den  Ungläubigen  sich  aufdrängenden  Ge- 
fühls, dass  die  neologische  Weisheit  in  ihrer  Nacktheit 
dem  Volke  und  der  Kirche  nicht  fromme,  nur  verhüllt 
dargeboten  wird ,  in  der  übrigen  theologischen  Lehr- 
weise und  Literatur  sich  viel  deutlicher  offenbaren 
werde,  lässt  sich  schon  a  priori  schliessen.  Die  Er- 
fahrung bestätigt  dies  aber  auch  genugsam,  und  lehrt 
unwidersprechlich ,  dass  eine  SEMLERsche  Zeit 
in  der  Theologie  des  reformirten  Hollands  angebro- 
chen ist« 

Eine  einfache  Vergleichung  der  SEMLERschen 
.Periode  in  Deutschland  mit  dem  jetzigen  Zustande 
der  reformirten  Theologie  Hollands,  so  wie.  eine 
kurze  Kritik  der  wichtigsten  Literatur  dieser  letzterea 
im  19ten  Jahrhundert  ist  daher  hier  nöthig,  nur  des* 
Beweis  für  solche  Behauptung  zu  liefern. 


m*m 


433 


-—  V 


Fergleichung  det  'SeMLBR' sehen  Zeit 
in  D eutschland  mit  der  neuesten 
theologischen  Zeit  in  Holland, 
Aehnlichkeit  zwischen  .beiden. 


Um  diese-  Parallele  auf  eine  faialanglich  umfassendö 
Weise  zu  ziehen,  mnss  ich,  weil  dazu  auch  eine  Ver-* 
gleichuDg  der  Ursachen  des  Aufkommens  des  Kationa- 
lismus in  Holland  mit  den  Ursachen  hiervon  in 
Deutschland  gehört,  mic  erlauben,  jene  Semler-* 
sehe  Periode  in.  Ihrer  Entstehung  in  ihren  nächsten 
Folgen ,  so  weit  es  auf  unsern  Gegenstand  Bezug  hat5 
kurz  darzustellen. 

Ich  kann  dies  aber* nicht  tref/endeir,  ak  mit  den 
Worten  des  gelehrten  £•  B.  Puset,  Profefisars  zu 
Oxford,  In  seiner  Tortrefflichcln  Schrift;  Ueber 
die  Ursachen, des  deutschen  Rationalismus 
S.  129  ff.  *)  darstellen, 

*)  Der  Titel  ist:    HiitoHeul  ßriquirp    into  the   probable 
Cause»  ef  the  Raiianaiiit  Charakter  iatety  predomu 

'    II.  /  28 


ifj 


M 


■iM 


\ , 


227 

„Die  ersten  Theologen,  welche  durch  zu  aus- 
„schliessliches  oder  partheiisches  Anhangen  an  ihren 
„Systemen  Veranlassung  gaben  zur  Verflachung  oder 
„Verwerfung  der  christlichen  Lehre,  Baumgartek, 
„£  R  N  £  s  T I  und  Michaelis,  hingen  selbst  denselben 
„noch  fest  an,  und  selbt  einige  ihrer  nächsten  Schüler, 
„als  Semler  nnd  MoRus,  verwarfen  keinen  Fanda- 
„mentalartikel  gänzlich.  Der  Gang,  in  welchem  diese 
„Abweichung  vollendet  wurde,  war  Vielmehr  der  Art, 
„wie  erwartet  werden  konnte  von  der  vorhergehenden 
„bloss  verständigen  Auffassung  des  Christendiums, 
„dem  stufenweisen  ErtÖdten  der  eigenthumlich  •«  christ- 
„lichen  Ideen,  der  unbemerkten  Unterschiebung  von 
„bloss  moralischen  Lehren,  welche  mehr  oder  weniger 
„Aehnlichkeit  hatten  mit  denen  des  G bristen th ums, 
„welche  nnn  nicht  länger  verstanden  Worden,  und  end- 
„lich  von  dem  Verbuch,  den  Rationalismus  zu  versöh- 
„nen  durch  das  Herabziehen  des  Ghristenthums  zu  sei- 
ner* niedrigen  und  fleischlichen  Fahne«  Die  Saat  ver- 
welkte, weil  sie  keine  Wurzel  in  dem  Herzen  hatten 
,iJeder  Theologe  versuchte  und  strebte  so  viel  vom 
„Ghristenthum  zu  erhalten,  als  seine  eigene  alimäb-' 
„lig  veränderte  Ansicht  ihn.  zü  verstehen  fähig  mach-* 
^,te.« . 


5> 
5> 


fiant  in  the  theology  of  Germany^  LondoH  C,  ei  /, 
RiviNGTON  1828.  —  Auch  Ist  berclts  eine  deutsche 
XJebersetzung,  oder  vielmehr  freie  Bearbeitung  voii 
den  Predigern  Sander  und  Bialk.oblot^bi^ 
tfi^schieneni* 


9% 

99 


435 

„Gleich  anhänglich  an  die  Summe  der  chrlstlicheii 
^J.ehre,  wie  ^aümgarteN^  blieb  Erjnesti,  selbst 
„in  seinen  späteren  Jahren ,  als  sie  schon  von  den 
^Theologen  ^u  einer  blossen  Wiederverkündigung  der 
„natürlichen  Religion  nied eingerissen  worden  war.  In 
^,ihm  waren  jedoch  die  üblen  Wirkungen  einer  bloss 
„äusserlichen  Auffassung  des  Christenthums  lioch  sicht- 
y^barer.  Seine  Wiederbelebung  der  grammatischen 
Interpretation  der  h.  Schrift ^  als  ebtgegenge^etzt 
der  doctrinellen ,  war  allerdings  eine  grosse  und  sehr 
wohlthätige  Veränderung,  für  welche  die  deutsche 
„Kirche  ihm  lange  dankbar  sein  muss^  weil  sie  den 
„Crrundsatz  der  Beformätlon  wieder*  hergestellt  hat, 
„dass  kein  menschliches  Systeni,  sondern  das  klare 
^,Wort  Gottes  iii  der  Schrift  die  Basis  tind  Norm  dc^ 
5)Glaubens  ist.** 

„Jedoch  zu  ausschliesslich  tiedactit  auf  die  Einffüti-' 
„rung  der  klassischen  Regeln  der  Interpretation,  yer- 
„nachlässigte  er  das  historische  Element,  und 
„entbehrend  des  Schlüssels,  welcher  ihm  den  grösseren 
„Reichthum  der  Schrift  geöffnet  haben  würde,  vergass 
„er,  dass  Jede  neue  Religion  sich  selbst  eine  neue 
„Sprache  bilden  muss,  dass,  um  neue,  Wahrheiten 
„überzubringen,  Worte ,  die  schon  im  Gebrauch  sind,' 
„allerdings  angewandt  werden  müssen  ^  um  sie  mit  den 
„vorherigen  Ideen  der  Menschen  zu  verbinden,  aber 
9,dass  die  Bedeutung  dieser  Worte  modificirt  werden 
„muss ,  dass  sie .  müssen  umgebildet  werden ,  um  das 
,9Gepräge  der  neu   mitgetheilten  Wahrheit    zu    erhaI-< 

28* 


436 

I 
§ 

„tcn*).    Die  "^ Anwendung    der   klassischen  Sprache  in 
jyseiner  vollen  SchSrfe  auf  die  Urkunden  des  Christen- 


'^)  Er  yergass  dies  zwar  nicht  TÖllig,  denn  in  Part  I» 
Seet,  JJ.  Captin.  5.  27  seiner  Jnttitutio  Inter- 
pretisN.  T,,  5te  Auso;abe  von  Ammon  1809  sagt 
er:  ,,Non  pauca  tunt  in  kis  iibris  fiove  d^a  propter 
y^Hovitatem  rerum;  non  quo  novo  religio  tradatur,  sed 
„guod  vetera  mägis  penpicne  et  proprie  et  distinete 
„traduntur,  remotit  figurarum  et  allegoriarum  umbris* 
„Propter  quae  etiam  novit  verbit  et  formit  d(ee»di 
j,oput  erat,  in  guibut  tunt  plura  propter  timililHdinem 
„aliquam  accomadala  rebut  tradendit;  §uae,ut  hoc 
„obiter  addamut,  non  profeeto  ab  iptit  apottoHt  inven- 
y,ta  tunt,  aut  inveniri  potuerunt»  Majoris  ingettü  et 
„tcholae  artibut  tubacti  hoc  ett ;  ted  ab  ipto  spiritu 
„S,  iit  tuppeditata  tunt,  tn  quo  ett  pertnagnum  per- 
„borum '  divinitut  intptratorum  argumentum»  E,r  eo 
fgenere  tunt:  rs^aq^  SatfioveQtGdai ^  raQTa^og, 
,ajjyg,  dvayiwäv  et  alia,'' 

Bei  einigen  Wörtern  erklärt  er  also  eine  i^ns- 
nahme  ron  den  klassiiscben  Intefpretationsregela  für 
nöthig«  Aber  dies  ^thut  er  theils  auf  eine  dogma- 
tisch-befangene Weise,  indem  er  solclie  Wörter  so- 
gar einer  göttlichen  Inspiration  zuschreibt,  tbeiM 
auf  eine  höchst  willkührliche  und  unbestimmte  Wdt 
se.  Da  er  nän^lich  nicht  aus  eigener  Herzenserfah- 
rung und  lebendig -gläubiger  Einsicht  in  die  christ- 
liche Heilsökonomie  mit  klarer  Ueberzeugung  die 
Ausdrucksweisen  y  womit  die  Neutestamentlichen 
Schriftsteller  die  neuen  efgenthümlich- christlichen 
Begriffe  bezeichneten,  in  dieser  eigenthümlichen 
Bedeutung  erkannte,  so  konnte  er  sie  auch  eben  so 
wenig  klar  und  überzeugend  nachweisen. .  Er  snch- 
te  sich  daher  mit  einem  Machtspruche  z'n  helfen, 
statuirte  ohne  Beweis  einige  Ausnahmen^  und  lie» 
durch:  et  aUm  eine  unbestimBite  Freiheit  zur  8ta- 


-i 


55" 

55< 

55< 


437 


„tbums  konnte  sie  nur  in  ein  Dokument  einer  bloss- 
„menschlichen  Spekulation  verwandeln.  Dass  Aoyog 
,,bedeutet:  Vernunft' nnd  Weisjieit  in  den  Klassl- 
»kem,  war  ein  ganz  oberflächlicher,  wie  ein  ganz  irriger 
^(vrand ,  um  vorauszusetzen,  dass  es  ira  J  o  h.  nichis 
weiter  Betreute,  als  die  Weisheit  der  Mittheilung,  die 
dem  Menschen  gemacht  ist.  Die  Wirkung  dieses  Irr- 
thums  zeigte  sich  in  seiner  vollen  Verderblichkeit  bc^ 
„seinen  unmittelbaren  Schülern,  z.  B«  Fischer  in 
„seinen  Prolus,  de  tfUiis  Lexicorum  JV.  7!,  Schleus- 
„NER  u,  a.  Wiedergeburt  wurde  vorausgesetzt 
„zu  bedeuten  die  blosse  Aufnahme  in  eipe  religiöse 
„(Gesellschaft,  -die  Lehre  von  den  Einwirkungen 
„des  h.  Geistes  wurde  mehr  oder  weniger  ein  ge- 
„wisses  Erlangen  lobenswerther  Eigenschaften  mit, dem 
„(oft  bloss  äusserlichen)  Beistand  Gottes;  das  ev  hvui 
„mit  dem  Vater:  eine  Einheit  der  Gesinnung  oder  des 
„Willens.  —  — -  Ein  ähnlicher  Fehler,  aus  derselben 
#  „Quelle  entstehend,  ist  offenbar  in  Ernesti's  Art, 
'   ^ie   angenommene  Lehre  zu  rec)itfertigen.     So  läs^t 


tuirung  noch  mehrerer  Ausnahmen.  Aber  durch  sei- 
nen Machtspruch  konnte  er  nicht  einmal  die  eigenen 
Anhänger  .seiner  Interpretationsweise  so  wenig  in 
Holland  (wie  sich  unten  zeigen  wird)  als  in 
Deutschland  bewegen,  die-  von  ihm  statuirten 
Ausnahmen  anzunehmen,  indem  sie  vielmehr  die 
meisten,  oder  alle  verwarfen*  Selbst ,  durch  sein  / 
verlegenes,  unsicheres  Zugestehen  von  Ausnahmen 
beförderte  er  also,  dass  man  nachher  alles  in«.der 
h.  Sehrift  ohne  Ausnahme  unter  das  Joch  der  klas- 
sischen Regeln  zu  beugen  kich  erlaubte. 


■^ 


141 


»9 


99 
99 


438 

er  in  Behauptung  der  Inspiration  4er  Bücher  des  A, 
„T.  selbst  die  Unterstellung  zu,  dass  sie  nicht  für  alle 
,,Menscben  berechnet  sein  mögen ,  dass  sie  nicht  ab- 
zweckten zur  Verbesserung  des  menschlichen  Hariens* 
Er  erkanpte  ihren  temporären  Werlh  für  die  Judeo, 
„fühlte  aber  nicht  ihre  directe  Wichtigkeit  für  die 
,,Christen.  (s.  Neueste  theol.  Bibliothek  Bd.  II.  S.  440 
„ff.  in  seiner  Kritik  der  Untersuchungen  S^mi.£R's 
„über  den  Canon  des  A.  T.).  In  der  Schule  der  £r-  < 
„fahrung  LüTHER's  würde*  er  die  Analogie  der  vcr- 
„schiedenen  Theile  des  Lebens  der  meisten  Christen 
„mit  den  verschiedenen  Stufeii  des  Gesetzes  und  des 
„Evangeliqms  gelernt  haben,  er  wii^'de  die  Notbwen- 
„digkeit  des  Gesetzes  auch  jetzt  noch,  als  eiDcs  Zu- 
„standes  vorbereitender  Erziehung,  ^m  uns  zu  Christo 
^,zu  bringen,  gefühlt  habend"  —  — 

„S£Mi«£R  verwarf  auch  nicht  direct  einen  elnzi-    \ 
„gen  Fundamentalartikel;  aber  seine  unbestimmten  find  j 
„unsichern  Grundsätze,  zu  reformiren,  legten  besonders  •  ^ 
„den  Grund  zu  der  .neuernden  Schule.  —  —    Die  ßm 
„grosse  Härte  und  Steifheit   des    alten    theologischen 
„Systems  machte   die  Reaction   jetzt   desto  stärker  und 
„zum    andern   Extrem  sich    neigend,    und   veraqlasste^    , 
„dass  es  das  einzige  Mittel,  Freiheit  zu  erhalten,  schien, 
„sich  so  weit  als  möglich  vpn  d^m    alten  Systeme  fa 
„entfernen,    das   sie   gefesselt  hatte,  —  —    Alle   auch 
„im    Unwesentlichen     etwas    Andersdenkenden     wäret)    < 
„früher  verketzert  worden."  —  -^ 

„Die   Wiederbelebung   der   historischen   Interpre« 
„tation  durch  S EMI. ER  wurde  missbraucht,    um  nur    ^ 


I 


Hi: 


„AccomoJationcn  Christi  und  der  Apostel  m  allem 
„den  Ungläubigen  Missfallendea  zu  finden,  und  yras 
„bloss  für  die  damalige  Zeit  und  Ort  und  Menschen 
„passend  gewesen  und  gelehrt  worden  wäre«  Daher 
„auch  jetzt  vop  Semler  nicht  klar,  noch  nach  festen 
„Regeln  unterschieden  wurde  zwischen  dem^  was  vor- 
„züglich  für  Christi  Zeitgenossen  gelehrt  worden,  und - 
„den  für  immer  geltenden  Wahrheiten,  zwischen 
„menschlicher  Einkleidung  der  Wahrheiten  und  we- 
„sentlicher  Wahrheit  selbst^  die  Vorbindung  zwischen 
„der  jüdischen  und  der  christlichen  Offenbarung  wurde 
„nicht  gehörig  beachtet  Durch  den  Mangel  an  tiefe- 
„rer  Einsicht  in  die  Natur  der  Religion,  uQd  an  le- 
„bendiger,  persönlicher  Erfahrupg  der  Kraft  des^  Chri- 
„stenthum$  wurde  der  ewige  Gegensatz  zwischen  oa^t^ 
yyunä  nv^vfia  in  einen  bloss  zeitlichen  Gegensatz  zwi- 
„schen  der  judaisirenden  engherzigen  Apsicht  des  Cbri-  * 
„stenthums  und  den  freieren  Ansichten  Pauli  verwan-  ' 
„delt.  —  —  Da  einzehae  Thcile  des  alten  Systems 
„sich  ohne  biblischen  Gnind  fanden,  wenigstens  in  ih- 
^,rer  weiteren  Entwickelung,  so  glaubte  man,  alle  Thei- 
„le  desselben  ^eien  unbiblisch  und  falsch,  und  warf 
9ialles  Positive  weg ,  so  dass  die  Theologie  nun  einen 
„mehr  kritischen  und  negativen ,  als  positiven  Ch^rak« 
„ter  annahm.  ^^ 

„Die  Anhänglichkeit  des  Michaelis  an  das 
bestehende  System,  und  seine  Erfurcht  vor  Religion 
ist  den  Eindrücken  zuzuschreiben,  welche  das  Ver- 
„kehren  mit  den  Pietisten  auf  ihn  machte,  mit  denen 
„er  yon   seinem  Vater,  dem  vortrefHIchen  J,  H.  Mj- 


>5 


99 
99 


440 

,,CHAELis  erzogen  war.  Zu  leichtsinnig,  wie  er  selbst 
sagt ,  nm  ihren  Ton  frommen  Gefühls  .  anzunehmeo, 
behielt  er  doch  eine  äussere  Ueberzeugnng  von  der 
»j Wahrheit  des  Christenthums ,  strebte  Einwürfe  dnrdi 
9,neue  Theorien  zu  beseitigen,  und  hielt  zum  grossen 
„Erstaunen  seiner  )iingeren  Zeitgenossen  viele  Theile 
„des  älteren  Systems  bis  zum  letzten  Augenblick  fest, 
„welche  modificirt  oder  bei  Seite  gelegt  worden 
„waren,*' 

„Ueberall  sind  die  verderblichen  Folgen  seiner 
„bloss  äusserlichen  Ueberzeugung  sichtbar.  Entblösst 
„von  der  Ueberzeugung,  welche  «Hein  eine  umfassende 
„Einsicht  in  den  wesientlichen  Charakter  der  Oflenba* 
„rung  und  die  harmonische  Yerbindnng  ihrer  verschie» 
.„denen  Theile  geben   kann,   hatte  er  keinen  Führer, 

.  j,der  ihn  hätte«  bemerken  lassen  können,  was  fuglich 
„zugelassen  werden  konnte,  ohne  Schaden  für  das  Sy* 
„stem  selbst.     Daher  widersetzte  er  sich  oft   der  Ein- 

'.  „Wendung,  statt  dem  Grundsatz,  worauf  die  Einwen- 
„dnng  gegründet  war;  bemühte  sich,  sie  zu  beseitigen 
»durch  Theorien  im  Einklang  mit  bloss  menschlichen 
»Systemen,  und  stärkte  sie  gleich  sehr  durch  seine  Zu- 
^,geständnisse ,  wie  durch  seine  eigenen  unpassendai 
„und  willkührliehen  Vertheidigungen.  —  —  Obgleich 
„anzuerkennen  ist,  dass  er,  auch  selbst  Dr.  Paulus, 
„manche  Dienste  geleistet  hat,  indem  er  beitrug,  die 
„geschichtlichen  Umstände  der  biblischen  Krzäblungea 
„mehr  vor  unsere  Augen  zu  legen,  uns  mehr  in  die 
„Ljage  der  Zeitgenossen  zu  versetzen,  und  die  Art  des 
„Begreifens  Ireniger  abstract   za  machen.  —  —   Sehr 


99 
99 


441 

„grosse  Nachtheile  entstanden  von  den  niedrigen  An- 
sichten über  die  Personen,  Thaten,  Einrichtangen  und 
Lehren  der  h.  Schrift,  denen  das  neue  Sjrstem  £nt- 
,,stehnng  gab«  Nicht  bloss  die  Theorien  von  EiCH- 
„HÖRN  (MiCHAELis's  Zögling)  errichtet  aof  dem 
„vorausgesetzten  menschlichen  Ursprung  jeder  Erschei- 
„nung  in  der  geoffenbarten  Religion,  sondern  sogar 
„die  niedrige  und  gemeine  Geistesrichtung,  mit  welcher 
„Dr.  Paulus  jedes  geistige  und  göttliche  Ding  in  . 
„den  Evangelien  zu  der  Sphäre  des  bürgerlichen  all- 
„täglichen  Lebens  erniedrigte,  die  niedrigen  und  irdi- 
„sehen  Grundsätze,  welche  er  ihren  kandelnden  Per- 
„sonen  beilegt,^  scheinen  nur  die  natürliche  und  unver- 
meidliche Folge  dieser  Ausschliessung  der  Religion  - 
von  Michaelis  Theorien."  (S.  Michaelis  Ein- 
leitung in  die  göttlichen  Schriften  des  N.  T.  nebst  Zu- 
sätzen zur  3tei^  Auflage). 

In  Holland  nahm  die  VerSkderung  der  gläubig 
gen  Ansieht  in  einem  feinen  Rationalismus  bei  vielen 
Theologen  einen  ähnlichen  Gang  wie  in  Deutsch- 
land, wenn  gleich  der  Uebergang  auf  eine  weit  lang- 
^samere,  leisere  und  gemässigtere  Weise,  ganz  dem  ru- 
higeren, kälteren^  Nationalcharakter  gemäss  geschah. 

Um  die  Mitte*  des  vorigen  Jahrhunderts  war  die 
Rechtgläubigkeit  in  der '  reformirten  Kirthe  Hollands 
noch  allgemein   herrschend;  allein 'das  alte,  theologi- 


>5 

55 


# 


)  »W^  Nederlandera  %»  loudi^,  sagt  Professor  Proes 
in  seiner  Schrift:  Over  de  Engehche  Kerk  U.  Thcü 
Seite  260. 


442 

I 

scbe  System  herrschte  auch  noch  in  seiner  ganzen 
Steifheit  und  Härte ,  und  die  Exegese  musste  als  Scla- 
vinn  ihm  dienen.  Zugleich  war,  besonders  durch  den 
mehr  als  hundertjährigen  Streit  zwischen  den  theologi- 
schen Schulen  des  Coccejus,  Voetius  und 
Lampe  befördert,  ein  engherziges  Verketzern  über 
meist  sehr  unbedeutende  Abweichungen  vom  herrschen* 
den  Systeme  im  Schwange, 

A.  ScHULTENS,  Professor  der  morgenländi- 
schen Sprachen  zu  Leiden,  und  H.  VenemA,  Pro- 
fessor der  Theologie  zu  Franeker,  weniger  dogma- 
tisch -  befangen ,  hatten  um  diese  Zeit  durch  ihre  Vor* 
träge  und  Schriften^)  die  grammatische  Inter- 
pretation der  h.  Schrift  zu  verbreiten  gesucht,  al- 
lein wegen  der  Macht  der  entgegenstehepden  Vorur- 
theilc  nur  noch  in  kleinem  Kreise  wirken  können. 
Erst,  nachdem  P.  Ajsresch  und  N.  S.  Schroe- 
PER,  Professoren  der  Theologie  zu  Groningen,  die- 
ser vorzüglich  in  der  Exegese  des  A.  T. ,  jener  in  der 
des  N.  T.  sich  auszeichnend,  welcher  den  Fussstapfen 
Ernesti's  folgte,  so  wie  H.A.  Schuj^tens,  Enkel 


0  Die  wichtigsten  Schriften  von  A.  Schültens 
sind:  De  utilüate  linguae  arabieae  in  interprettznda 
S,  S.  17  061  Origines /tebrateae  17249  Und  Liber  Jobi, 
cum  nova  versione  et  commentario  perjaetuo  1737»  — 
Die  von  Venema:  Ditsertationet  ad  vaticinia  Dm- 
nielis  1743  —  1752,  Commentarius  ad  iibrum  prophe- 
tiarum  Jeremiae  1765,  Commentarius  ad  Psalmti 
1762  —  1767,  Sermones  academici  vice  cotnmeniarü 
ad  iibrum  prophetiarum  Zachariae  1787,  Leciionei 
academicae.ad  Ezechielem  1790,       ' 


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» •      •    •  •  •♦ 


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>■■  »rf.»-.' 


des  obigen,  aiidi  Prefiessoe'  in  Leiden*)  die  gram- 
matische Auslegung  gleichfalls  vertfaeidigtei^  und-  lehr- 
ten, gewann  sie  gegen  das  Ende  des  verfloaieNen  Jahr- 
hunderts auf  den  bollindiscben  Unirersitit^  freieren 
Raum» 

Der  iloUtisehe  Streit,   welcher  sich  In  den  tehl- 
ziger  Jahren  zwischen  der  prittriichen  nnd'  der  pttrloK 
tischen  Parthei  erheb,    und  ganz  Hi4^id  leirAwBte^  ^    ^. 
wirkte  adch  auf  dit  mit  dem  Staate  äl|  Verbttodene  >^r^ 
Kirche.    Öle  Patrioten ,  welche  aich  für  die  Tertheidi- 
ger  der  bürgerlichen  Freiheit  erllUrten,    nnd*  denen 
sich  fas    alle  protestantische  Dissenter  anschlössen,  un- 
ter weldien  der  Rationalismus  sch^n  grössere    FtfH» 
(schritte  geniacbt  hatte,  Sudeten  auch   die  Bande,   mit 
welchen  das  kirchliche  Sjstem  bisher  die  Freiheit  der 
religiösen  IVfeiiiungeii  eingeengt,  zu  zerrelisen,  und  ei- 
ne unbedingte  Glaubens«  und  I^ehrfreiheit  zu  erringen« 
Durch    das   engherzige  Yerj^et^seni    der   früheren   Zeil 
und   das   zu  steife   Beharren  bei  dem  alten  theologi- 
schen Systeme,  auch  in  den  biblisch  nicht  begründeten 
Nebensachen  ward  die  Reaction,   wie  in  Deutschland, 
30  auch  hier  nur  desto  stärker,  und  wie  Im  Politischen   ' 
die   Freiheitsliebe    in    Freiheitsscbirärmerei    ausartete» 

*)  Abresch'8  wiohdgates  Buch  {st:  Pam^hta^  ßi 
annoiatioMum  |»  Efdi^am  ^  Bpitraeot  tpedmtn 
I  -^  ///.  t7e0  —  1790,  seUi  /r.  $jpeHmeM,  welches 
bis  zu  Ende  des  7ten  Cap«  reiohl,  gab  Hering  a, 
sein  SchUier>  im  f.  1817  heraus.  —  Die  wichtigste 
Schrift  Ton  H.  A,  Schulte N8:  Hei  botk  Job  ver- 
iaald,  met  aaitmerkiimen ,  gab  Mümtinohe  ii» 
f,  1704  heraus. 


444 


weil  sie  auf  keinen  festen  Grundsätzen  berubte,  und 
das  Wesen  der  wabren  Frelbelt  nicht  kannte,  so  auch 
im  Kircblicben  und  Religiösen.  Hierzu  kam,  dass  der 
französische  Atheismus,  der  englische  DcIsiuds, 
und  der  deutsche  Rationalismus  längst  ihre  Sameu- 
körner  auf  holläudischcn  Boden  geworfen  hatten, 
welche  still  und  leise  emporgekeimt  waren,  und  nun 
um  sich  wucherten.  Still  und  leise,  dem  Qiarak- 
*er  des  Volkes  gemäss,  schritt  der  Unglaube  nun  vor- 
wärts, aber  festen  Fusses.  Weil  man  einzelne  Theile 
des  Systems ,  i,  B.  die  Prädestinationslehre  in  der  h. 
Schrift  nicht  begründet  fand,  so  wurde  man  geneigt, 
auch  die  Fundamentalichren  des  Christenthums  zu  be- 
zweifeln und  zu  bestreiten.  Weil  die  Bibel -Auslegung 
sich  früher  über  alle  Regeln  der  Interpretation  der 
Profan  -  Klassiker  hinweggesetzt  hatte,  so  sollte  sie  jetzt 
in  keiner  einzigen  Fllnsicht  mehr  anders  als  diese  be- 
handelt werden. 

Mit  jener  dogmatischen  Neuerung  wagte  ia- 
dess  im  ISten  Jahrhundert  noch  kein  reformirter 
Theologe  offen  hervorzutreten,  wie  Professor  Ypey 
VIII.  Tbl.  seiner  Kirchengeschichte  des  18ten  Jahrhun- 
derts S.  241  bezeugt*).     Mit   dieser   exegetischen 


♦)  P.  VA.N  IIemert,  früher  reformirter  Prediger  zu 
Wyk,  der  durch  neologische  Schriften  im  Geiste 
Teller's  sich  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts 
auszeichnete,  kann  nicht  hierher  gerechnet  wecden, 
weil  er  in  den  achtziger  Jahren,  eben  seiner  Neo- 
logie  wegen,  öffentlich  zu  den  Renionstranten  über- 
trat, bei  welchen  er  liernach  Professor  zu  Amster* 
dam  wurde. 


t 

■* 


445 


^""^^^ 


Neaening  bmgegen  wagte  mao  €9  am  lo  mudKger, 
weil. sie 9  wenn  gleich  nicht  in  ihrem  ganzen  Umfange 
richtig ,  doch  durdi  Wiederbelebung  der  grammati- 
scben  Interpretation  als  in  dieser  Hinsicht  wohlthatig 
anerkannt  werden  miüsste.  , 

So  gab  J.  KaiyteIiAAR,  einer  der  einflassreich- 
sten  politischen  und  lurchlichen  Liberalen,  der  im 
J*  1787  s^mt  reformirte  Fredigerstelle  niedergelegt 
hatte,  darauf  im  J.  1789  der  erste  Herausgeber  einer 
Hbe/alen  theologischen  Zeitischrift,  der  Vaderlandsche 
LetterkundB f  und  im  J.  1796  Mitglied  und  einer  der 
Stimmführer  in  der  holländischen  Nationalversammlung 
■war,  bei  der  Eröffnnijjg  der  Zeitschrift  als  Regel  der 
Bibelauslegung  an:  „Die  Bibel  müsse  ganz  wie  ein 
„menschliches  Buch  gelesen,  erklärt  und  ausgelegt  wer- 
„den.  Bei  ihrer  Erklärung  müsse  man  sich  bloss  sol- 
„cher  Hülfsmittel  bedienen,  die  man  bei  der  Erklärung 
„aller  andern  alten  Bücher  gebrauche '^^. 

Dieses  Feld  der  Bibelaaslegung  war  es  nnn  vor- 
züglich, auf  welchem  seit  dieser  Zeit  der  Unglaube  in 
der  Theologie  gepflegt  worden  ist,  zum  Theil  ohne 
die  Absicht  ;der  Interpreten,  und  sich  in  der  Kirche 
um  so  weiter  verbreitet  bat,  weil  das  Studium  der 
historischen  Theologie  noch  immer  gegen  andere 
Theile  derselben  zurückgesetzt  wird,  was  selbst  Profcs- 


^)  S.  die  Kirchengeschichte  von  Ypet  uud  Dbrmout 
IlL  Thl.  8.  665  und  666. 


^•i. 


•%' 


446 


sor  RoTAARDS  zu  Utrecht  noch    in    der    neuesten 
Zeit  gesteht*). 


•*H 


*)  S.  H.  J.  RorAARDS  Orntio  de  TAeoiogta  hütoriea, 
cum  iaeri  eodieü  exegeti  rite  eonjüneia,  noUrin  potit' 
$imum  iemporibua  in  Belgio  excolendä,  gehalten  1826 
bei  dem  Antritt  der  ordentlichen  Professur  der 
Theologie,  wo  er  S.  36  sagt:  „^t  (Beigae')  tarnen 
yfin  nonnullU  Theotogiae  kUtorieae  •partibtn  nou  pari 
pfpa$im  procetteruHt  emm 


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I  / 


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447 


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I 

•  \ 


m 

Kritik  der  (gichtigsten  theologischen 
Literatur  des  mten  Jahrhunderts. 


J.     Exegetische    Theologie» 

tT 

^nter  den  Gel^ehrten^  welche  hierin  den  entschieden- 
sten und  grössten  Einfluss  auf  die  Kirche  geäussert 
haben,  und  noch  bis  auf  die  neueste  Zeit  äussern, 
stehen  die  Professoren  VAN  Voorst  und  vAN  der 
Palm  oben  an.  Beide  bilden  in  vielen  Beziehungen 
eine  interessante  Parallele  mit  den  beiden  Hauptvor- 
bereitern  des  Rationalismus  in  Deutschland,  £r- 
NESTi  und  Michaelis,  namentlich  .anch  in  der 
Beziehung,  dass  jene,  wie  diese,  ohne  ihren  Willen 
dem  Unglauben  die  Bahn  gebrochen  haben« 

Johann  van  Voorst, 

Zuerst  Prediger,  seit  1778  Professor  der  Theologie  zd 
Franeker,  seit  ISIOQ  zti  Leiden,  seit  1827  im 
Ruhestande,  ein  Mann  von  grosser  Gelehrsamkeit,  und 
einem  milden ,  wohlwollenden  und  religiösen  Charak- 
ter, kann  in  theologischer  Hinsicht  mit  vollenl  Rechte 
der  holländische  Ernesti,  sowohl  nach  der 
Lichtes  wie  nach  der  Schattenseite  genannt  i<rerden^ 


> 


A 


448 


Auch  er  erklärt  die  grammatische  Interpreta- 
tion fiir  die  einzig  richtige,  weshalb  in  der  Bi- 
belauslegung Hugo  Grotiüs  der  höchste,  uner- 
reichte und  unvergleichbare  Lehrmeister  sei,  nach  ihm 
aberERNESTi  die  erste  Stelle  einnehme,  welchen  letz- 
teren er  als  sein  Vorbild  anerkennt,  und  allen  Theo- 
logen zu  ihrem  Vorbilde  mit  den  höchsten  Lobsprüchen, 
empfiehlt  *).  Auch  er  legt  auf  das  Historische  bei  der 
Interpretation  nicht  mehr  Werth ,  als  Er^iesti **), 
und  hält  die  grammatische  Behandlung  der  h.  Schrift 
ganz  wie*  der  Klassiker  fiir  völlig  hinreichend,  um  den 
oinn  jener  überall  richtig  und  vollständig  aufzufassen, 
ohne  dass  eine  gewisse  Qeistesverwandtschafl  mit  den 
Verfassern  derselben,  ein  Durchdrungensein  von  dem- 
selben' durch  den  Glauben  erleuchteten  Geiste  zu  dem 
klaren  Verständniss  der  Stellen^  worin  die  eigenthüm- 
lich  -  christlichen  Heilslehren ,  die  dem  unerleuchteten 
-natürlichen  Menschen  unerkennbar  und  eine  Thorheit 
sind,  nöthig  wäre***). 

'^)  S.  seine  akademische  Oratio  ^e  J*  A*  Ernestio, 
optimo  poit  HVGONEM  GbotivM  duce  et  Magi- 
slro  interpretum  N,  T.,  gehalten  zu  Leiden  1804.  — 
Und  in  der  Vorrede  zu  , seinen  Animadversiones  de 
U8U  verborum  cum  praepositionibut  compozitorum  in 
N.  T.  L  Thl.,  Leiden  1818,  S.  2  und  3  §agt  er: 
yyln  6a  enim  sMtentia  persistimus,  quam  javi  diu  pro- 
„fessi  8umu8,  ut  in  Graecorum  veterum  Latinorumque 
„Iractartdis^  scHptis,  ila  in  Sacris  guogue ,  haue  unam 
ifiii  trudiiae  doctrinae  cognoscefidae  et  explieandae 
„Viani  e.vploratam  satis  et  tutam  esse,  qua  ab  inteUi- 
jigentia  verborum  ad  cognitionem  verum  proeedatur, 
9,et  primas  adeo  interpretis  N,  T,  partes  esse  in  in- 
jyterpretatione  grammatica  horum  librorum,  et  i»  pru- 
yydenti  subsidionttn  ejus  recte  instUuendae  usuy  in  qu(h 
y,rum  nutnero  accurata  scientia  iinguae  et  diciionis 
„Graccae  horum  script^trum  principem  teneat  lo' 
„cum,"  — 

♦♦)  S.  S.  41.  42.  63  —  65  der  vorstehenden  Oratio. 

»♦*)  T WESTEN  sagt  hierüber  in  dem  vortrefflichen  et- 
stcn  Theile  seiner  Dogmatik  S.  4ßl :    „Die  ältere 


-V, 


\yenii  daher  auch  <ir,    gleich   Ernesti^    dnrch 
eine  religiöse  Erziehung  und  friihe  GewöhndiQg,    den 


„Dogmatik  forderte  Ton  dem  Atisleger  ausser  an« 
„dem  Requisiten  (Sprachkenntnissen  ^  gesehichtli- 
,ichen  Kenntnissen  etc.)  vor  allen,  dass  er  vom  h; 
„Geiste  erleuchtet  sei,  ohne  dessen  Beistand  man 
„wohl  die  Worte  Terstehen,  aber  nicht  den  geisti« 
„gen  Inhalt  der  Schrift  fassen  könne.  Mit  Hecht. 
^,Denn  ist  ein  wahres  Verständniss  eines  Schrift- 
„stellers  nur  dadurch  möglich,  das^  man  sich  in 
„seine  Stimmung,  seinen  Ideenkreis,  seine  Gjedan- 
^.ken  Und  Empfindungen  hinein  zu  rersetzen  ver- 
„mag,  und  erfordert  dies  eine  gewisse  innere  Ver- 
„wandtschaft  unserer  Gefühls-  und  Denkweise  mit 
„der  seinigen,  so  werden  wir  auch  den,  der  Tom  h. 
„Geiste  getriebeU,  schrieb^  nur  dann  verstellen  kön- 
„nen,  wenn  wir  von  demselbigen  Geiste  erfüllet 
),sind.  Dies  muss  um  so  mehr  gelten  ^  wenn  der  h. 
„Geist  es  ist,,  der  uns  eine  neue  Region  von  Innern 
„Wahrnehmungen  und  Erfahrungen  eröffnet,  der  uns 
„zu  einer  neuen  Stufe  der  Einsicht  und  Erkenntnisse 
„erhebt.  Denn  daraus  folgt,  dass  ohne  ihn  uns 
„Vieles  in  der  Schrift  eben  so  unverständlich  blei- 
>,ben  muss,   als   etwa  dem  Blinden  eine  Hede  von 

^»Gegenständen  des  Gesichts. ^   Die  Grammatik 

„geberdet  sich  oft,  als  sei  sie  die  Auslegung  selbst^ 
„die  eined  höheren  Geistes  auch  nicht  entfernt  be- 
^,dürfte,  indem  sie  iti  ihreu  Regeln  allen  Geist  ein- 
^jgefangen*  zu  haben  glaubt.  ^ 

„Clemens  ton  Al£:xandrien  sagt  Strotm 
i^VIIf  s%i:  „Von  der  Maria  sagen  einige,  dass  sie 
„geboren  habe,  und  doch  auch  nicht^;  denn  sie  ward 
^,nach  der  Geburt  Jungfrau  befunden.  So  ist  es  mit 
„den  göttlichen  Schriften,  welche  die  Wahrheit  ge- 
„bären.  Den  gläubigen  Lesern  gebären  sie  wirk- 
^,lich;  die  ungläubigen  gehen  vorüber,  und  gerade. 
^,weiUsie  die  Schrift  zwingen  wollen>  wird  ihnen 
„nichts  geboren;  die  Schrift  ist  ihnen  Jungfrau  ge* 
„blieben. " 

„Luther  sagt  rf«  arvo  arhitr^  II i  424:  „St  d6 
iyinterna  claritate^  quae  in  cordis  cognüione  Sita  est, 
yjdireris,  nullus  homo  unum  Jota  in  scripturis  s»  videtj 
»nisif  qui  spiritum  dei  habet,** 


geoffenbarten      christlichen      Heilslehren      äusserlichca 
GlaabeA    zu   schenken,     bei   einigen    sie    betrefTende« 


„A.  H.  Francke  sagt  in  der  Vorrede  zu  einer 
»»Leipziger  Ausgabe  des  N.  T.:  »»Hierbei  ist  ininier 
»«festzuhalten,  dass  Niemand  im  Verständniss  der 
»»Schrift  glücklich  Sein  kann»  ^venn  er  nicht  ausser 
»»der  äussern  sich  auch  um  die  innere  Haushaltung 


91 


9f 


Gottes»  und  zwar  um  diese  recht  eigentlich  be- 
kümmert» so  dass  er  nicht  bloss  den  Buchstaben- 
»»sinn  irgend  eines  einzelnen  Ausspruchs  ivisse»  son- 
»»dem  auch  durch  die  mit  der  Schriftlesung  Tcrbun. 
»,dene  tägliche  Erfahrung  den  wahren  Sinn  und  die 
».geistliche  Anwendung  des  Gesetzes  und  Evangelii 
»»inne  werde.  Anders  lesen  in  der  Schrift  die  * 
».fleischlichen  Menschen»  anders  die  geistlichen. 
Lass  jene  immerhin  den  Unterschied  des  A.  und 
N.  T.  mit  zahllosen  Unterscheidungen,  erklären; 
so  lange  sie  den  Geist  der  Knechtschaft  nicht  in 
»»sich  selber  kennen  lernen  >  und  so  lange  sie  den 
»»kindlichen  Sinn  nicht  haben»  werden  sie  nie  einen 
»»wahren  und  wirklichen  Unterschied  finden»  2  Kor. 
„1»  12.  Die  h.  Einfalt»  die  Christus  Matth.  11,  25, 
»»Paulus  1  Kor.  3,  18  priess,  ist  ein  wichtiges  ü/lit' 
»»tel  der  Auslegung.  Christus  sagt,  dass  Jeder»  dem 
»»sie  fehlt,  noch  in  Finstemiss  wandle»  und  vermisst  - 
»»sie  Torzüglich  bei  den  Pharisäern,  die  doch  Nie- 
„maod>  was  die  äusserlichen  Buchstaben  anlangt, 
,»an  Schriftgelehrsamkeit  übertraf«  Diese  Einfalt 
„des  Sinnes  steht  nicht  im  Gegensatz  mit  der  ^nan- 
»»nichfaltigen  Weisheit  Gottes»  die  an  der  Gemeinde 
»»kund  werden  soll»  Eph.  3»  10.  — >  Gewisse  hermc- 
»»neutische  Regeln  sind  deshalb  nicht  zu  temach- 
„lässigen*  -*  Aus  unnützer  Furcht  vor»  ich  weiss 
»»nicht  was  für  einer  Schwärmerei  benehmen  und 
»»läugnen  sie  dem  h.  Geist  diejenige  Wirksamkeit  « 
»,ab»  die  ihm  allein  und  allezeit  Zukommt,  nämlicb 
»»den  menschlichen  .Geist  mit  dem  göttlicKen  Licht 
>»zu  erleuchten»  bei  besonnener  und  demüthiger  Er- 
„forschung  des  Wortes  Gottes,  f* 

Auch  LüCKC   in  seinem  Grundriss   der  neutesta«    ' 
mentlicheii  Hermeneutik»   Göttingen  1817    III.  Ab- 
schn.  $$«  57«  58,  Stark  in   seinen    Beiträgea  luf 
Veryolikommnung  der   Hermeneutik,     Jena    1817^     . 


i 


451 

Ausdrucken  eme  vom  klassischen  Sprachgebrauch  ab- 
weichende Bedentaog  annimmt,  so  t*  B.  bei  Sixaioavvrj 
dfov,  so  zeigt  doch  seine  exegetische  Abhandlung  dar* 
über*),  dass  er  hier  von  dem  klassischen  Sprachge* 
brauch  dämm  vorzüglich  abgeht ,  weil  et"  durch  seineii 
historischen  Glauben  an  die  christliche  Versöhnungs- 
lehre gewohnt  i^t^  den  eigenthiimlich  -  christlichen  Sinn 
damit  sd  verbinden^  nnd  deshalh  dem  Sprachgebrauch 
der  Schrifl  allein  zu  folgen  sich  bewegen  lässL  Da 
aber  diese  Ausnahme,  die  er  hier  von  den  klassischen 
Regeln  machte  bloss  in  seiner  Subfectivitat  beruht,  und 
er  das  Gefühl  der  eigenen  SiindhafUs'keit  und  Versöh- 
nungsbedürfiigkeit  ^des  Mangels  und  der  Unmöglich* 
keit  der  iSut  SiMtbavvri)  für  den  Interpreten  der  die 
eigenthiimlich  «christliche  Versöhnungslehre  enthaltendeii 
Stellen  des  N*  T»  nicht  nÖtfa%  achtet  zum  Eindringen 
in  die  Tiefe  ihres  Sinnes^  so  folgt  von  selbst^  dass 
solche  Interpreten,  weldhe  nicht  einen  historisch  -  Christ-» 
liehen  Glauben  in  dem  Umfange,  wie  VAN  VooRSt 
besitzen,  sich  nicht  werden  zwingen  lassen,  sol<ihe  will- 
kiihrlich  gemachte  Ausnahmen  von  den  klassischen  He-^ 
geln  anzunehmen,  sondern  Sixaloavvfjv  ^(ov  eben  so- 
wohl wie  die  andern  Ausdrücke  des  N.  T«  narb  den- 
selben erklären  werden,  was  denn  auch  selbst  der  von 
VAN  VooRST  als  unvergleichlicher  Interpret  gepriesene 
Grotiüs  bei  diesen  Stellen  nach  van   Voorst's 


NiT^^sCB'irt  seiileni  äeridschreiherf  aii  t^rofessof 
DEi^BRütiK  S.  86  —  88,  Boiin  1827|  so  wie  in 
seinem  System  der  öhHstlicheii  Lehre,  Boriii  1829 
§$•  43.  46,'  OpsHAUSfcN  iri  den  tbdologischen  Stu-« 
dien  und  Kritiken  II.  Bd.  1V<  Heft,  Hamburg  1829 
S.  791,  und  Andercj  erkläreil  diese  Geistesver^ 
wandtschaft  mit  dem  zU  Ihtei*|^retirätidert  für  ein 
liothwendigeif  Erfordernisef  des  biblischen  lnter<< 
preten. 

*)  ÄHHotatioHum  {h  tocä  tßUdd  N,    T*   6p^ä.  iL   Löideil 
bei  HoNKOOp  181 L 

Ä9* 


452 

eigenem  Geständnisse  gethan  hat*)*  Hat  doch  schon 
VAN  VoonsT  selbst  nicht  alle  die  von  seinem  Lehr- 
meister ErnesTi  als  solche  Aasnahmen  statojrte  Ans- 
drücke  im  N.  T.  angenommen,  weil  sein  historisch- 
christlicher  Glaube  bereits  einen  etwas  geringeren  Um- 
fang hat,  wie  er  z.  H.  von  dem  Ausdrucks  dai/noviXia- 
^ai,  den  Ermesti  unbedingt  unter  jene  Ausnahmen 
stellt,  es  nur  für  probabile  erklärt,  dass  er  dazQ  ge- 
höre**), so  durften  natürlich  diejenigen  seiner  Schüler 
und  Geistesgenossen,'  deren  historisch  -  christlicher  Glau- 
be wieder  einen  geringeren  Umfang  hatte,  als  der  sei- 
nige,  mit  demselben  Rechte  noch  weniger  Ausnahmen 
von  den  klassischen  Regeln  machen,  und  so  haben  sie 
denn  auch  durch  Hülfe  derselben  einseitigeu  gramma- 
tischen  Interpretation,  eine  eigenthümlich  -  christliche 
Lehre  nach  der  andern  aus  der  Schrifl  .wegexegesirt, 
wie  wir  gleich  unten  sehen  werden. 


^)  Und  nicht  bloss  bei  diesen  Stellen  des  RÖmerhriefs, 
sondern  auch  in  vielen  andern  Stellen  desselben^ 
z.  B.  3^  19.  '4,  25)  so  ivie  in  seinen  l^fklärungen 
der  übrigen  Neütestamentlichen  Bücher,  z«  B«  Job. 
1,  29.  3,  e.  e,  5K  Epb.  2,  1:  3.  13.  16.  Tit.  3,  3, 
zeigt  sich  eine  solche  pelagianische  Ansicht  von  der 
menschlichen  Natur ^  ein  solches  fein-* ratio nalisti^ 
sches  Bemühen,,  den  Versöhnungstod  Christi  in  eine 
blosse  Bestätigung  seiner  Lehre  zu  verwandeln, 
und  ein  solches  Verkennen  der  Cinristliphen  Bedeu* 
tung  des  aUQ^  und  nvivfJtUy  des  vofjiog  und  /o^i^, 
dass  kein  diese  Bedeutung  lebendig  in  flick  erfah- 
ren habender  christlicher  Interpret  jenem  Manne, 
dessen  übrige  grosse  Verdienste  um  die  Exegese 
billig  anzuerkennen  sind,  ein  so  ungemeasenes  und 
unbedingtes  Lob  geben,  noch  ihn  als  den  grössteii 
aller  grossen  Bibeiinterprerten  zum  höchsten  Muster 

-  vorstellen  kann,  wie  van  Voor8t  thut.  Vgb 
Th  OL  UCK '8  Auslegung  des  Briefs  Pauli  an  die 
Römer.  H.  Aufl.  Berlin  1828  S.  2L 

**)  S.  sein  Compendium  theologiae  eMitiänae  !!•  AA 
Leiden  1814  S.  6L 


453 

Den  grossen  £infla$8,  den  VAN  Yoorst  auf  die 
hoJlSndische  Exegese  gehabt,  «hat  er  fast  allein  durch 
sein  vierzigjähriges  theologisches  Lehramt  erlangt  Denn 
seiner  exegetischen  Schriften  sind  sehr  wenige  und  von 
geringem  Umfange, 

In  den  Jahren  1810  -^  1812  gab  er  jinnotaticf 
num  in  loca  selecta  N»  T.  specl  I  —  ///  heraus,  Lui- 
den bei  HoNKOOP,  von  welchen  d?fs  erste  spec.  über 
1  Job.  3,  2  handelt,  das  ^iweite  über  Stxaioavvijv  9fov 
in  Rom.  1,  17.  3,  21.  22.  25.^6,  und  10,  3>  das 
dritte  endlich  über  1  Job.  1,  1  -r-  3« 

Seine  Exegese  ist  nicht  ungläubig»  wie  oben  schon 
in  Bezug  auf  das  //•  tipeo.  über  ivxaiaovvrjv  ^eov  be- 
merkt worden  ist.  £r  nimmt  diese  fiKCiioavvfjv  in 
christlichem  Sinne  >  aber  die  99  Seiten  starke  Abband- 
luDg  hält  sich  fast  ausschliesslich  an  die  dürre  Wort- 
crk^rung,  mit  kurzer  Andeutupg  der  darin  liegende«! 
Begriffe,  welches  letztere  kaqm  ein  Paar  Seiten  ein^ 
nimmt.  In  den  übrigen  mehr  als  50  Seiten  sucht  er 
seine  Worterklärung  mit  allen  möglichen  Citaten  aus 
der  Schrift  und  den  Profanscbriftstellern  zu  beweisen, 
die  Meinung  aller  möglichen  Gelehrten»  welche  diese 
Wörter  anders  erklärt  haben,  aufs  weitläufigste  zu 
widerlegen,  ohne  sich  auf  eine  ausfüihrliche  Sacherklä- 
rung dieser  Sixaioavvtjv  d'eov  einzulassen,  ohne  diese^ 
Grundlehre  des  Christenthums  nur  irgend ,  in  Bezug 
auf  den  Zusammenhang  mit  den  in  Rom.  3  vorherge- 
benden Versen,  und  auf  die  darin  enthaltene  allgemei- 
ne Sündhaftigkeit,  wodurch  jene  iu(moavv?jY  erst,  itir 
rechtes  Licht  erhält,  zu  entwickeln;  was  hier  bei  der 
Erklärung  der  Hauptbeweisstellen  derselben  Pflicht, 
und  für  jeden  diese  Sixouoavvjjv  lebendig  an '  seinem 
Herzen  erfahren  habenden  Interpreten  e^n^  siis^e 
Pflicht  war. 

Auf  ähnliche  Weise  erklärt  vAN  VooRST  im 
///•  spec.  Xoyog  ^anjg  von  Christof  und  beschränkt 
sich  auf  den  56  Seiten  der  Abhandlung  fast  aus«» 
schliesslich  wiMer  auf  die  Worterklärung. 


454 

Jammer,  dass  so  reiche  Schätze  exegetischen 
Wissens  zu  nichts  weiter  verwandt  werden,  als  la  ei- 
ner solchen  dürren,  grammatikalischen  Bachstabener- 
klärong,  um  mit  Francke  so  reden,  zur  Zusammen* 
»etzung  eines  solchen  Todten* Gerippes,  woran  das  Ic* 
bendige  Fleisch  fehlt,  das  dämm  auch  Niemand  zam 
Leben  führen  kann.  Jammer,  dass  den  jungen  Theo- 
logen Hollands  solche  todte  Gelehrsamkeit  als  das 
Musterbild  einer  christlichen  Exegese  vorgehalten  wird, 
welche  dann  nur  geeignet  ist,  sie  zur  Erkenntniss  der 
W^örter,  aber  nicht  des  Wortes  Christi  zu  (übren,  und 
aufzublähen^  statt  zu  bessern. 

In  welchem  andern  Geiste  erklärt  doch  ein  Tho« 
LUCK  in  seinem  Gommentar  des  Römerbriefes  die  im 
//•  apec,  behandelten  Stellen,  ohne  dabei  seine  reiche 
exegetische  Gelehrsamkeit  zu  verläugnen! 

Die  zweite  kleine  exegetische  Schrift  y«  VoohsT's 
heisst:  /Snimadt^rsiones  de  usu  perborüm  cum  prae^ 
positionihua  compositorum  in  iV.  71  I.  Stück,  X819 
JLeid^n  bei  LuciftMANs,  II.  Stück  18U. 

Ausserdem  bat  er  mehrere  akademische  Reden, 
welche  sich  zum  TbeiJI  auf  Exegese  beziehen,  herausge- 
geben, z.  B«  die  schon  angeführte  D^  ErneStio, 
ferner  im  J.  1809  eine:  de  popuiari  religioma  cJiri" 
stictnae  dlscipUna  ex  Ißgitimae  sacrorum  Übrorum  irh 
terprßtßtiarUß  fönte  prc^cipne  houriendß. 

Johann  Heinuigh  van  d^r  Palm,  * 

Professor  der  morgenländischen  Sprachen  zu  Leiden, 
vom  J.  1799  -«-  1804  Generaldirektor  des  öfTentlidieii 
Unterrichts,  als  welcher  er  sich  um  die  neue  Oi^[aiii* 
satioQ  des  Yolksscbulwesens  nicht  geringe  Verdienste 
erwarb  (vgl.  S.  ?93),  seit  1805  aber  wieder  sein  Lehr- 
amt bekleidend,  hat  durch  seine  ausgebreitete  Gelehr- 
samkeit, feine  ßildung,  ausgezeichnete  Gabe  angeneh- 
mer Datrstellung ,  sowohl  milndlich,  als  in  Schrifiten, 
sowohl  auf  der  Kanzel  als  auf  dem  Katheder,  dorcb 
seine  vielen,  sowohl  gelehrten  als  populären  exegeti- 
schen Schriften,  durch  seine  mündlichen  und  in  vielen 


455 

.    ■■ 

Bänden  gedruckten  Predigten,  vor  allem  aber  durch 
seine  Bibelübersetzung  mit  Anmerkungen ,  auf  die  6e- 
lehrten,  wie  auf  die  Ungelehrten,  besonders  der  gebil- 
deten Klasse  ausserordentlich  .eingewirkt,  und  dadurch 
auf  die  neue  Gestaltung  der  exegetischen  und  prakti- 
schen, 'und  somit  auch  der  übrigen  Theologie  ei^en 
noch  grösseren  und  allgemeineren  Einfluss  ausgeübt, 
als  VAN  VOORST. 

Sein  Bibel  werk,  wenn  gleich  eines  seiner  späteren 
Werke,  haben  wir  als  das  einflussreichste  exegetische, 
und  worin  sich  der  Geist  seiner  Bibelauslegung  am 
klarsten  abspiegelt,  zuerst  zu  betrachten. 

Der  Form  nach  hat  es  viel  Aehnlichkeit  mit  der 
VON  Meyer' sehen  Bibelübersetzung,  indem,  wie 
hier  die  lutherische,  so  dort  die  im  Auftrag  der 
Dordrechtschen  Sjmode  verfasste,  sogenannte  Staa- 
ten-Uebersetzung  dem  grössten  Tjbeila  nacb  bei- 
i)ehalten,'  nur  leise  verändert,  und,  weii%steQ4  <ler  Ab- 
sicht^ nach,  berichtigt  worden  ist.  Die  Aiiniierkungea 
stehen  dort,  wie  hier,  unter  dem  Texte,  sind  aber  weit 
ausführlicher,  auch  gelehrter  in  der  Erklärung,  und 
ohne  auf  Erbauung  mit  berechnet  zu  sein,  fiir  die  ge- 
bildeten Leser  aller  Stände,  bestimmt«  Die  kanonischen 
Schriften  des  A.  und  N.  T.  sind  in  gross  Quart'  in 
den  Jahren  1818  —  1825,  Leiden  bei  Dy  Mortier 
in  6  Bänden  erschienen«  Seitdem  ist  auch  der  Ite 
Band,  welcher  von  den  apocrjphischen  Buchern  des 
A.  T.,  den  Sirach,  das  Buch  der  Weisheit  und  die 
Bucher  der  Makkabäer  enthält,  ans  Licht  getreten. 
Statt  der  Vorrede  ist  dem  ersten  Bande  ein  Schreiben 
an  die  reformirte  Generalsynode  vorgedruckt, 
das  den  Plan  des  Werkes  enthält,  und  die  Hoffnung 
ausdrückt,  dass  dieses  an  die  Stelle  der  Staatenbi- 
bel treten  werde,  da  es  mit  dem  Bedürfniss  und  dem 
Licht  unserer  Zeiten  mehr  übereinstimme.  Die- 
se Hoffnung  hat  sich  indess  poch  nicht  verwirklicht. 

In  Absicht,  des  Geistes  der  Bibelauslegung  und 
seines  Einflusses  auf  die  Kirche  ist  eine  grosse  Aehn- 


456 

UchLe?t  TAN  DER  Palm'a  mit  MiGHAELls  nicht  ra 
verkennen. 

^  Van  der  Palm  halt  wie  Miciiaelis  an  der 
Summe  der  christlichen  Lehre  fest,  und  zeigt,  wie  die-^ 
ser,  grosse  Ehrfurcht  vor  Religioa,  und  noch  grössere 
vor  der  Bibel,  welche  Ehrfurcht  er  sehr  häufig  und  in 
^en  stärksten  Ausdrücken  erklärt,  so  dass  er  dann  auch 
nicht  in  der  niedrigen,  plumpen,  bisweilen  frivolen. 
Weise  des  letzteren  die  Wunder  und  Personen  der 
Bibel  angreift«  Hiervon  hielt  ihn  schon  seine  feine 
Bildung  und  die  ruhige  Mässigung  des  Nationalcharak- 
ters aurfick«  Er  eifert  soga^r  nicht  selten  sehr  starl^ 
gegen  die,  wie  er  sie  nennt,  unglücklichen  und  bemit« 
leidenswerthen  Versuche,  die  biblischen  Wunder  natSr-r 
lieh  zu  erklären,  z«  B«  bei  Matth.  17,  1«  und  Apost^ 
Gesch.  2,  4«  Wo  er  aber  selbst  diese  Versuche  maeht, 
da  weiss  er  die  natürliche  Erklärung  in  den  Augen  der 
meisten  Lcattr  durch  das  Herbeiziefaeo  der  ^ö'ttlicheo 
Vorsehung  zu  mildern,  die  hier  dpch  unzweifeJbar  mit'^ 
gewirkt  habe,  und  die  dann  ipit  hohen  Worten  geprier 
^en  wird. 

In  der  Hauptsache  iadess,  in  der  Sucht,  die  Wun- 
der natürlich  zu  erklären,  ist  er  mit  Michaelis 
Eins;  und  weiin  sie  in  den  Bibelanmerkungen  weniger 
häufig  ans  Licht^  tritt,  weil  die  natürliche  Erklärung 
darin  oft  i\ur  leise  angedeutet  wird,  so 'offenbart  sie 
sich  doch  sehr  unzweideutig  bei  Vergleichung  der  Bi- 
belanmerkungen mit  seiner  Byhel  f^oor  de  Jtugi 
(Jugend),  welche  er  fast  gleichzeitig  mit  der  BibelSbir«, 
Setzung  successiv  herausgegeben  hat^.    Piese  Jugend« ' 

*)  Bis  jetzt  sind  18  Bändchen  davon  erschi^n^n,  vom 
J.  Iä2i  an,  Leiden  bei  du  Mortier.  Die  17  ersten 
enthalten  die  Geschichte  des  A.  T.,  das  18te  den 
Anfang  der  Geschichte  Jesu.  Jedes  Bändchen  hat 
auch  einen  besonderen  Titel:  Biblische  Gemäl- 
de aus  der  Geschichte  der  etc,  Dtx  grösste  Theil 
des  ersten  Bändchens  ist  rpr. Kursem  in  einer  deuti 
sehen  Uebcrsetzung  erschienen,  unter  dem  Titel: 
lieber  die  Mpsaische   Ersählang    von    der 


457 

bibel  ist  eine  EnShlang  der  biblischen  Geschichte,  mit 
einer  fortlaufenden  populären  Erklämn^  verwebt,  für 
Jüngere  und  Ungelehrte  bestimmt,  nad  in  einem  so 
gefälligen  und  blühenden  Stjle  geschrieben,  dass  sie 
sich  ein  ausserordentlich  grosses  Publikum  erworben, 
und  selbst  den  Zugang  zu  manchen  sonst  die  Roman- 
lectüre  vorziehenden  Gebildeten  gebahnt  hat«  In  die* 
ser  Schrift  spricht  er  sich  viel  offener  ober  die^Wan» 
der  und  dgL  aus. 

So  wird,  um  einige-  Beispiele  anzuführen,  von 
VAN  DER  Palm  natürlich  erklärt:  das  Sprechen 
der  Schlange  im  Paradies,  s.  Bybel  u.  d.  Jeugd 
I.  S.  59,  das  Fliessen  des  Wassers  aus  dem 
Felsen,  s.  Ä  t*.  d.  Jgd.  V.  S.  201,  vgl.  mit  VI.  S. 
187,  das  Bleiben  Mosis,  Eii'i  und  Christi 
ohne  Speise,  40  Tage  lann,  s.  B.  f.  d.  J.  VI. 
S.  47  —  49,  XIU.  S.  108  und  die  Bibelanmerkungen 
zu  1  Kön.  19,  8  und  Mattb.  4,  2,  das  Ausgiessen 
des  h.  Geistes  auf  die  70  Aeltesten,  s.  Bibel- 
anmerk.  zu  4  Mos.  11,  17  -^  25  und  B*  p.  d.  J.  VI, 
:|,49  ff.,  das  Sprechen  der  Eselinn  Bileams, 
s.  Bblanm.  zu  4  Mos.  22,  28  und  B.  ^.  d.  J.  VI.  S. 
210  f.,  das  Speisen  Elia  durch  die  Raben,  s. 
Bblanm.  zu  1  Kön.17,  4  und  B.  ^.  d.  J.  XIII.  S.  78, 
das  Tödten  der  185,000  Mann  Sanheribs,  8. 
Bblanm.  an  2  Kön.  19,  35  B.  i*.  d.  J.  XV.  S.  185, 
die  Versuchung  Christi  durch  den  Teufel, 
8.  Bblanm.  zu  Mattb.  4,  3,  alle  Erzählungen  von 
Besessenen  im  N.  T.,  s.  Bblanm.  zu  Mattb.  4,  24, 
'Mattb.  8,  29,   Marc  5,  4  —  8«)  —   die  Einwir- 


Er- 


schöpfung der  Welt  und  dem  Fall  des 
Menschen,  1  Mos.  1  —  HI,  von  J.  H.  v^n  per 
Palm  etc,,  durch  A.  v.  d.  Kuhlen,  Wesel  bei 
Becker  1830. 

*)  Bei  dieser  Stelle,  der  Austreibung  der  Teufel  in  die 
S&ue,  sagt  er:  Markus  scheine  das  Rufen  der  Be- 
sessenen V.  7  unbesweifelbar  für  eine  ausser^re wohn- 
liche wundertiare  Wirkung  au  halten.  So  macht  er 
einen    Unterschied    zwiachen    dem    subjectiven 


45S 

knng  des  Teufels  auf  die  Menschen,  z.  B. 
auf  J  0  d  a  8 ,  s.  Bblanm.  zu  Luc.  22,  3  etc.  etc.  —  So 
sacht  er  die  Begleitung  Israels  in  der  Wiiste 
durch  Christum,  als  den  geistlichen  Fels ,  welche 
Paulus  1  Cor.  10,  4  lehrt,  dadurch  wegzubringen,  dass 
er  die  Stelle  for  eine  alte  Glosse  ausgibt,  s«  Bblanm. 
hierbei«  So  erklärt  er  die  Geschichte  Jona  für 
ein  lehrreiches  Gedicht,  s«  Inhaltsangabe  des  Buchs 
Jona« 

Wenn  nun  auch  van  der  Palm  einige  'Wun- 
der stehen  l'ässt,  welche  Michaelis  noch  natürlich 
'erklärt,  z.  B.  die  Geschichte  von  Elia  Himmelfahrt, 
Christi  Verklärung  auf  dem  Berge,  so  lässt  dagegen 
dieser  auch  welche  stehen,  woran  jener  seine  Erklä- 
rungskunst  versucht,  z,  B.  Christi  Versuchung  vom 
Teufel,  die  Austreibung  der  Teufel  in  die  Säue.'  Da- 
rin sind  aber  beide  wieder  Eins,  das  Einwirken  der 
bösen  Geister  auf  die  Besessenen  mit  allen  Kräften 
aus  dem  ]N.  T.  wegzuerklären ,  und  eine  Accomodation 
Christi  und  der  Apostel  in  dieser  Hinsicht  zu  behaup- 
ten« Hierdurch  besonders,  dass  sie  in  der  Befangen- 
heit ihrer  Auslegung  so  weit  gingen,  Christo  und  den 
Aposteln  solche  Accomodation  aufzubürden,  haben  bei- 
de einer  noch  viel  ungläubigeren  Exegese,  als  sie 
selbst  geäbt,  Bahn  gemacht,  wie  die  Geschichte  der 
deutschen  Exegese  im  verflossenen  Jahrhundert, 
und  die  d^r  holländischen  im  gegenwärtigen 
lehrt*). 


Sinn  der  h.  Schriftsteller,  und  einem  objectivea 
Sinn,  was  die  Glaubwürdigheit  Jener  aufs  sicherste 
untergräbt  und  eine  der  fruchtbarsten  Quellen  einer 
ungläubigen  Bibelauslegung  ist,  wie  auch  der  ge- 
lehrte Broes  in  seiner  Schrift:  Over  de  Fereeni- 
ging  der  Protestanten  in  de  Nederlandem  S.  274  er- 
kennt. 

*)  Mehrere  angesehene  holländbche  Gelehrte  haben 
sich  daher  gegen  die  Annahme  erklärt,  dass  Chri- 
stus und  die  Apostel  sich  bei  der  Lehre  von  der 
Einwirkung  der  bösen  Geister  auf  die  Menscheu 


459 

Greifl  ferner  wv  der  Pai^m  nicht  auf  so  plum- 
pe und  leichtfertige  Weise,  wie  Michaelis  die 
llaodluogsweise  der  Propheten  und  anderer  biblischen 
Personen,  besonders  des  A.  T.  an,  von  einem  unge- 
bührlichen und  ohne  zwingende  Gründe  gegen  sie  aus» 
geübten  Meistern  und  Tadeln  ist  er  doch  auch  nicht 
frei  zu  sprechen. 

So  tadelt  er  den  Prophet  Klias  sehr  ernstlich 
wegen  der  Hinrichtung  der  450  Baalspriester,  als  we- 
gen einer  unbarmherzigen  und  höchst  unpolitischen 
Strenge,  s«  B,  p*  d.  Jeugd  XUI.  S.  102,  indem  er 
gerade  wie  Mic{IAELIS  (z.  B*  bei  Beurtheilung  der 
Schonung  Benhadads  durch  Ahab)  eine  weltkluge  Be- 
rechnung höher  stellt,  als  den  Gehorsam  gegen  (xottes 
Gesetz.  So  tadelt  er  den  Prophet  £lisa,  dass  er 
den  Gehosi  zu  dem  todten  Knaben  der  Frau  zu  Sunem 
mit  dem  Stab  vorausgeschickt  habe,  klagt  ihn  an,  dies 
sei  beinahe  Uebermuth  von  prophetischem  Vertrauen 
gewesen,  —  obgleich  in  der  Schrift  zu  dieser  Anklage 
nicht  einmal  ein  scheinbarer  Grund  zu  finden  ist,  — 
er  habe  sieb  aber  auch  nachher  in  meinen  Erwartungen 


accomodirt  hlitten,  und  ausgesprochen^  dass  Jene« 
WegerkÜren  dieser  Lehre  aus  dem  N.  T.  gewöhn- 
lich nur  der  Vorläufer  von  vielen  andern  Neologen 
sei.  So  G.  H,  van  Senden  in  der  Vßrdediging 
van  Byhel  en  Openbaring  iegen  de  voornaanute  vroc 
gere  en  late^e  bes^rpderß  etc  1.  Thl.  1827«  H«  MÖN- 
tinjohe  n,  Bd«  seiner  Parf  theol,  ^hrUt*  thettretiea 
S«  195.  196f  Kl  ST  Leeredenßn  over  vertehÜiende 
cnderwerpßn  IL  Thl,  S.  0.  7.  Egel  in  O  Weg  der 
ZaUgheid  IL  ThU  S.  101.  102.  A,  M»  Corstius 
u.a.  Besonders  aber  Herinoa  in  seiner  Preis- 
schrift über  die  Accomodation  (s.  unten)  S*  234  — 
248.,  welcher  vorzüglich  deutlich  zeigt,  wie  Chri- 
stus und  die  Apostel  bei  solcher  Accomodation  nicht 
mehr  ehrliche  MS^nqer  hätteii  bleiben  können.  — 
Wie  leicht  wirds  doch,  wenn  man  Christo  einmal 
die  Ehre  eines  ehrlichen  Mannes  genommen  hat, 
ihm  auch  die  Ehre  seiner  Gottheit  und  unserer  Ver- 
söhnung SU  nehmen! 


460 


I  m 


fetäascht  gesehen,   s.  B.  v.  d.  J.  XIIL    S.    202.  203. 
IiciiA£f.is     tadelt   librigeDs    diese    Handlungsweise 
beider  Propheten  nicht. 

So  meistert  er,  indem  er  Mosis  und  Aaroqs 
Sünde,  weshalb  sie  Kanaan  nicht  betreten  durften, 
möglichst  unbedeutend  darstellen  will ,  dadurch  ,  ohne 
CS  zu  beabsichtigen,  Gott  selbst  Er  gesteht  zwar  xd, 
ihre  Sünde  müsse  nicht  gering  gewesen  sein,  wie  ge- 
ring sie  scheinen  möge;  indess  zweifelt  er,  ob  bei 
Moses  hier  Unglaube  statt  gefunden  habe,  —  wer  dem 
klaren  Ausspruche  Gottes  hierüber  4  Mos.  20,  IZ 
Glauben  schenkt,  kann  daran  nicht  zweifeln,  —  und 
meint,  die  Hauptgründe,  warum  Gott  ihn  nicht  in 
Kanaan  habe  eingenen  lassen,  seien  andere.  Zur  Er- 
oberung Kanaans  sei  ein  besonders  tapferer  Feldherr 
nöthig  gewesen,  welche  Eigenschaft  Mos!  abgegangen 
sei,  aber  nicht  dem  Josua.  Mun  hätte  Mosis  Ehre 
und  die  Ehrfurcht  des  Volks  vor  ihm  es  nicht  zuge- 
lassen, dass  ein  anderer,  als  er  selbst  in  den  Kriegen 
Gottes  das  Heer  anführt.  Da  er  nun  auf  eine  an« 
stXndi^e  Weise  habe  Platz  machen  müssen,  so  sei 
dies  vergehen  Eines  Augenblicks  bloss  zu  Hullfe  ge- 
nommen worden,  um  Gottes  Plan  auszuführen.  Und 
so  sei  der, arme  Moses  eigentlich  das  Opfer  des  ver- 
borgenen Planes  Gottes  gewesen.  Jedoch  sei  er  da* 
durch  doch  zugleich  vielem  Unglück  und  Aergerniss 
entgangen,  und  wie  hart  es  auch  für  ihn  gewesen,  die 
Frucht  ^ller  seiner  Arbeit  nicht  sehen  zu  dürfen,  so 
habe  ihm  Gott  doch  diese  Entbehrung  reichlich  vor, 
in  und  nach  dem  Tode  vergüten  können,  s«  JS^  f^.  d. 
J.  VI.  188  -*-  190  und  Yil.  Tbl.  seiner  Predigten 
S.  92.  98  *). 


♦)  Wöjftlich  heisflt  es  da  in  der  Predigt  über  5  Mos.  6, 
20—25:  „Moses  wusste  und  fühlte  es  wohl,  es 
„war  Gottes  Absicht  Ton  Anfang  an  nicht  gewesen, 
„dass  er  das  gute  Land  sehen  sollte.  Als  Caleb 
„und  Josua  von  denen  ausgesondert  wurden ,  wel« 
„che  in  der  ^l'uste  sterben  mussten,  war  sdion  Voa 


46t 


So  weit  verirrt  man  sich,  wenn  nuin  weiser  seid 
will,  als  Gott,  nnd  mit  den  Thatsachen*)  nnd  Grun-^ 
den,  welche  die  Schrift  bei •  den  göttlichen  Strafurthei- 
len  darreicht,  sich  nicht  begnügend,  und  die  Sünde 
<)^s  Unglaubens  und  Ungehorsams  gegen  Gott  einer 
so  schweren  Strafe  nicht  werth  haltend,  zu  Ehren  des 
eigenen  Scharfsinns  noch  andere  nnd  höhere  Gründe 
auffinden  will. 

Die  künstliche  Art,  womit  vAN  der  Palm  oft 
einen  Theil  eines  Wunders  natürlich  zu  erklären  und 
es  zu  verkleinern  sucht,  aber  einen  andern  Theil  des 
Wunders  stehen  lässt,   und   eine   natürliche  Erklärung 


,.Mose  and  Aaron  stillgeschwiegen  ^vorden;  und  der 
„Fehler  Eines  AugenbUcks  wurde  bloss  zu  Hülfe 
^^ genommen,  um  zu  offenbaren,  was  der  Herr 
^-sich  Yorgenommen  hatte.  Durch  ein  geringereil 
»^Überhaupt,  als  Moses,  nicht  durch  ihn,  sondern 
9,durch  seinen  Diener  will  ich  das  Volk  nach  Ca*» 
„naan  bringen.  So  war  er  denVi  in  der  That  das,  . 
,,Opfer  der  verborgenen  Absichten  Gottes;  aber 
„er  brachte  das  Opfer  gerne  dem  Gehorsam  gegen 
„seinen  Herrn ^  und  dem  Hieil  des  Volks,  welches, 
„wie  er  wusste,  allein  bezweckt  ward.  Es  mochte 
„denn  so  scheinen,  dajs  in  ihm  ein  Exempel  d^r 
„Strenge  aufgestellt  würde  zur  Abschreckung  eines 
„widerspenstigen  Volks,  und  zur  Warnung  aller' 
„folgenden  Propheten,  er  sah  mehr,  als  diesen 
„äusserlichen  Schein,   und  kannte  seinen  Gott, 

»der  allein  aus  Liebe  schlägt*     Ja  er,   dessen  gan- 
„zes  Leben  eine  Kette  ron  Aufopferungen  gewesen 

»war,  vermehrte  gerne  die  Zahl  jener   alten  Hel- 
den, welche,  um  das  Glück  ihres  Volks,   wäre 

,es  möglich,  zu  versichern ,  den  Ruhm  und  die  Ge«* 
„nugthuung  aufgaben,  Zeugen  davon  zu  sein«'^ 

^)  Die  Thatsache  in  jener  Geschichte, 'dass  Moses  bloss 
zuih  Fels  reden  solle,  worauf  er  sein  Wasser  geben 
werde,  4  Mos*  20,  8,  verändert  van  d£r  Palm 
der  Art,  dass,  nach  seiner  Meinung,  Moses  auch 
wohl  auf  den  Fels  mit  dem  Stab  habe  schlagen 
sollen,  aber  nur  Einnfalj  Und  nicht  zweimal«  s«  B* 
V.  d,  J,  VL  S,  187. 


9>^ 

5,^ 


462 



mit  dem  Uebernaturlichen  za  verbinden  strebt,  damit 
neben  der  göitiichen  doch  aach  die  eigene  Weisbeit 
Plati  finde,  muss  ich  auch  an  Einem  Beispiele   zeigen* 

Die  Begebeobeit  2  Mos«^l7,  5.  6,  wo  Gott  durcb 
das  Schlagen  Mosis  mit  dem  Stdb  Wasser  aus  einem 
Felsen  gab,  erklärt  er  also:  ,,Dasä  Wasser  aus  einem 
,,Felsen  fliesst,  ist  keine  nngewö'bnlicbe  Erscheinung. 
„In  felsigen  und  zugleich  quellreicben  Gegenden  lau- 
^^fen  die  Adern  der  Quellen  oft  durch  das  Herx  der 
^ySteinfelsen  hin,  fiuden  hier  und  da,  oder  bahnen 
,,sich  einen  Durchgang,  und  stiirzen  dann  bisweilen 
„mit  ganzen  Strömen  in  breiten  Wasserfällen  nieder. 
„Dass  im  Thal  Raphiden  etwas  dergleichen  geschah, 
„war  an  sich  selbst  nicht  wunderbar;  es  war  selbst 
^,nicht  unwahrscheinlich,  dass  dies  in  der  einen  oder 
„andern  Zeit  geschehen  mochte 3,  wenigstens,  wenn  zu- 
„vor  an  diesem  Ort  Quellen  gewesen,  die  nun  ver« 
„trocknet  waren«  Die  eine  oder  andere  Ader  konnte 
„sich  verstopft  haben,  und  sich  nun  anderswo  einen 
„Durchgang  machen |  wo  sie  weniger  Widerstand  fand« 
„Aber  dass  Moses  weiss,  wann  dies  geschehen  wird, 
„dass  er  den  Platz  weiss,  wo  es  geschehen  wird,  dass 
„auch  durch  das  blosse  Schlagen  mit  seinem  Stab  eine 
„Oeffnung  gebildet  wird,  wodurch  der  Bach  sich  kann 
„niederstürzen,  und  dass  diese  neue  Brunnquelle  reich 
„genug  ist,  um  das  ganze  israelitische  Lag;er  mit  all 
„seinem  Vieh  zu  tränken,  nein,  das  konnte  nicht  also 
„geschehen,  oder  Gott  musste  In  Gemeinschaft  stehen 
„mit  dem  grossen  Gott  der  Natur,  welcher  allein  alles 
„weiss,  alles  verordnet,  welcher  spricht,  und  es  ist  da^ 
„welcher  gebeut,  und  es  steht  dal  Besser,  klarer  und 
„göttlicher,  als  auf  diese  Weise,  konnte  die  göttliche 
„Sendung  Mosis  nicht  bestätigt  werden."  S.  Ä  f.  d* 
/.  V.  S.  20e  —  208« 

Dass  diese  Erklärung  des  Wunders  mit  viel  Auf- 
wand von  Kunst  aufgestellt  ist,  indem  sie  auf  der  ei- 
nen Seite  ein  übernatiirliches  Wirken  Gottes  nicht  gera-< 
dezu  abläugnet^  auf  der  andern  Seite  durch  Uindented 


463 

anfalle  verstopfte  Quelladern,  denen   zur  Bildung  eU 
nes  Ausganges  nur  nachzuhelfen  gewesen ,   natürlich  zu 
erklären    suchte     wird    Jedermann    gerne    zugestehen. 
Aber  nun   denke  man    sich    einmal  '  einen    einfachen, 
schlichten  Bibelleser,   fremd  jenem  Suchen  vieler  Kün- 
ste 9   welcher  obige   Geschichte  2  Mos.  17  unbefangen 
liest,  welcher  darauf  Mosen  noch  bei  seinem  Abschie- 
de das  gottvergessene  Volk  unter  andern  grossen  Wun* 
dern  Gottes,  die  er  ihm  gethan,  auch  an  das  Wunder 
erinnern  hött,  dass  Gott  da,  wo  eitel  Dürre  und  kein 
Wasser  war,   Wasser  aus  dem   harten  Felsen 
gehen  Hess,   5  Mos.  8,  15,   welcher  weiter  liest,    wie 
ein  David  und  andere  Psalmisten  dies   grosse  Wun- 
der Gottes,    als    einen   der   überzeugendsten   Beweise 
seiner  allmächtigen  Hülfe,   sich  nnd   ihrem  Volke  zum 
'frost  oft  vorhalten   Psalm  7»,  15.  16.  20.   95,  9.  9. 
105,  41«    114,  3,    (wo  in  der  ersten  Stelle  es  heisst: 
Gott  riss  die  Felsen^  und  in  der  letzten:  Gott  wan- 
delte  den  Fels  in   Wassersee,  und   die  Steine 
in  Wasserbrannen),  und  so  die  Gläubigen  durch  alle 
Zeiten  des  A.  T.,  so  ein  Jesaias,  Gap.  48,  21,    so 
ein  Nehemias,   Cap.  9,   I5,   und  weiter   hinab    der 
Verfasser  des  Buchs  der  Weisheit  Cap.  11,  4,  — • 
welcher  endlich  die  Erinnerung  an  dies  Wunder  selbst 
in   die  Zeit   des   N.   T.  hinübergehen   und    von    den 
Aposteln  den  Christen  empfohlen  sieht,  1  Cor.  10,  4. 
Hebr.  3  und  4.     Wird    ein   solcher  nnbefimgener  Bi- 
belleser   aus    allen  diesen   Stellen  wohl   etwas   anders 
entnehmen,   als:    Dies  Wunder,  müsse  wirklich   eines 
der   grossesten   Wunder  der  Allmacht  gewesen   sein, 
Gott  habe  daher  wirklich   aus    dem  wasserlosesten  Ge- 
genstand der  Natur  eine  Fülle  Wasseis  strömen  lassen 
durch  seine  Schöpferkraft,    womit   er* ins  Dasein   ruft, 
was  nicht  ist?     Wird  ihm   wohl  nur    der  Gedanke  an 
alte,   verstopfte  Was'seradern  einfallen,   und 
an    deren  Aufräumung  durch   Mosen,   von   denen   die 
Schrifl  nicht  nur  nichts  sagt,   sondern  durch  den  gan- 
zen Zusammenhang    und    alle   hierauf  Bezug  habenden 
Stellen  das  Gegentheil  sagt? 


464 

Jatnmer,  ^ass  so  viele  i(!anst  ond  Make  zu  $öU 
eben  nnnatarlichen  I  Wundererklärangen  verwandt  wird, 
welche  doch  xa  nichts  helfen  ^  als.  die  grossen  Tha-^ 
ten  Gottes  zu  verkleinern,  dem  Christenvolk  seioeti 
Trost)  den  es  aus  ihnen  scho'pft,  zo  raaben,  und  der 
nngläabigsten ,  das  Gottliche  herunter  in^  den  Staub 
ziehenden  Bibelauslegung  vorzuarbeiten !  Denn  mit 
demselben  Rechte,  mit  welchem  vAN  DER  Palm 
alte,  verstopfte  Wasseradern  in  den  Fels  hineindenkt, 
ohne  und  gegen  die  Anleitung  der  h.  Schrift,  mit 
demselben  Rechte  kann  ein  Anderer  sich  hinzudenken: 
Moses  habe  von  selbst  die  verstopfte  Wasserader  ge- 
funden, und  sie  mit  dem  Stab  aufgeräumt,  damit  Gott 
noch  weniger '  ausserordentlich  bemüht  werde^  wobei 
doch  Ehrenhalber  von  dem  Beistande  Gottes,  den  er 
uns  ja  auch  in  allen  natürlichen  Dingen,  beim  Essen 
und  Trinken  gibt,  gesprochen  werden  kann*). 

Ganz  auf  diesem  Wege  der  SchrifterkläVung 
kommt  man  und  ist  man  gekommen  zur  Erklärung 
des  Todes  Christi,  als  eines  Scheintodes«  ^« 
),Pass  Scheintodte  erst  nach  mehreren  Tagen  wieder 
„zun^  Leben  erweckt  werden,  ist  keine  ungewöhnliche 
„Erscheinung*  Nun  ist  es  einigen  Exegeten  gegliitkt, 
^,bei  ihrem  aufmerksamen  Suchen  noch  eine  verbocge- 
„ne  Lebensader  in  dem  für  todt  geglaubten  Körpet 
„Christi  zu  finden,  welche  minder  scharfsichtige  Augen^ 
„den  Aposteln  und  den  Exegeten  während  11  «fahrhtins' 
„derte  entoangen  war.  Das  schnelle  Sterben  und  frü- 
„he  ßegraben  Christi  machte  solchen  Scheintod  schon 
„an  sich  nicht  nnwahrscheinlicfa.     In  dem  kühlen  Fei* 


*)  Ganz  80  erklärt  es  denn  auch  z.  B.  Dinter  iü 
seiner  Schullehrerbibel  zu  1  Mos*  17,  6:  „Ob 
„das  Wasser  aus  des  Felsens  Intiern  floss»  oder  ob 
„Moses  dort  nur,  da  er  über  einer  Schlucht  liegen- 
„de  Steine  auf  die  Seite  schob,  unter  Gottes  Bek* 
^stand  Wasser  entdeckte,  -^  thut  nichts  zur  Sachel 
,, Wunder  bleibts  immer,  ein  Wunder  in  der  Natufi 
»,oder  in  der  Seele  Mosisl 


9y 

99 


9> 

99 
99 


465 


),seflgraB,  n&ter  dem  Duft  der  jitarken,  die  Lebend'* 
»ygeister  weckenden  Kräuter,  und  der  zärtlichen  Sorg- 
,9falt  der  beiden  vornehmen  Freunde  kam  er  dann 
9,wieder  ins  Leben  suriick.  Dass  aber  alle  dies^  le- 
9,benerweckenden  Mittel,  die  Grotte,  die  Kräuter,  die 
,,Freunde  sich  so  zur  rechten  Zeit  zusammenfanden, 
das  ist  und  bleibt  wunderbar,  und  konnte  nicht  gut 
eschehen,^  ohne  Gottes  besondere  Fügung,  und  so 
,,l)ieibt  dieses  Ereigniss  also,  wenn  auch  nicht  ein 
„Wunder  im  strengten  Sinne  des  Worts,  doch  im- 
mer eine  ausserordentliche ,  höchst  wunderbare ,  unter 
Gottes  Leitung  aus  dem  Cansalnexus  der  Dinge  her- 
vorgegangene Begebenheit,  die  in  ihrer  Art  und 
9,Wirkung  unter  den  vorwaltenden  Umständen  In  der 
„Wellgeschichte  einzig  Ist"*). 

Da, sieht  mian  denn  aus  der  Erfahrung^  wohin  die 
einseitige  grammatische  Interpretation,  die 
sich  ihre  Grenzen  steckt,  so  weit  sie  will,  (lihrety 
wenn  Ihr  nicht  als  noth wendiges  Erforderniss  belgege-* 
ben  ist  jene  oben  berührte  Geistesverwandt- 
schaft mit  den  h«  Schriftstellern,  jene  Einfalt  des 
Sinnes,  wie  sie  Francke  helsst,  welche  eine  Gabe 
des  h«  Geistes  ist,  jenes  wissenschaftliche  Ge- 
wissen, wie' es  MiTZSCH  schön'nennt,  das  von 
oben  her  erleuchtet  sein  muss,  um  den  Exegeten  vor 
dem  Einfluss  der  gelehrten  Vorurtheile,  und  der  un- 
lautern  Triebe  seiner  Elgenwelsbeit  zu  schützen* 

Jesaias,  pertacdd  en  opgehelderd  (übersetzt  und 
erklärt)  3  Bde.,  Amsterdam  1805,  Ist  ein  anderes  exe- 
getisches Werk  VAN  DER  Palmas«  Es  ist  nicht  ei- 
gentlich für  Gelehrte,  sondern  mehr  für  andere  gebil- 
dete Leser  und  zum  Gebrauch  bei  dem  hänsüchen 
Gottesdienste  bestimmt  In  dem  tJrtheil  hierüber  ver- 
einige ich  mich  gern  mit  dem   Urthelle  Dr.  Uei^C- 


*)  S.  (RöHR's)  Briefe  Über  den  Rationalismus  S.  235 
—  238.  Dn  Paulus  histor.  krit^  Commentar  über 
das  N.  T.  111.  bei  Matth.  27,  50.  S.  810  ff.  Wko- 
scHEiDER's  Dogmatik  IL  Ausgabe  S.  283«  284* 

IL  30 


4 


466 


sTENBCRGS  1»  der ^11.  Abtheiiang  des  I.  Tfaeils  sei- 
ner Chrlstologic  des  A.  T.  S.  14:  9,Diese  Bearbalaog 
„des  Jesaias  macht  eine  rühmliche  Aasnahme  voa  den 
,,neuerea  Deutschen ,  welche  alle  bestimmte  Weissa- 
„gnngen  im  Jesaias  durch  anderweitige  Deutangen  aas 
^,dein  Wege  zo  räumen  suchen.  Sie  beruht  auf  griind- 
9,licher  Forschung.  Zu  wünschen  wäre  allerdings ,  dass 
„der  Verfasser  den  Propheten  mehr  als  Seher  behan- 
„delt  hätte.  Die  Inhaltsdarstellungen  sind  der  gelua- 
„genste  Theil  des  Werkes." 

Salomo^  7  Thle.  2te  Ausgabe,   Haag  bei  AljlArt 
1821  —  1824, 

von  demselben,  enthält  die  Sprüche  Salomo's  von 
Cap.  10,  1  —  22,  le  mit  einer  ausführlichen  Erklä- 
rung In  Form  populärer  moralischer  Abbandlungen 
Izedehundige  i^ertoogen) ^  deren  eine  sich  über  jeden 
Spruch,  oder  über  zwei  gleichlautende  verbreitet.  Zur 
Belebung  des  Vortrags  sind  biswei/en  frzähiungen, 
Gespräche  und  Briefe^  die  sich  auf  den  Inhalt  der 
Sprüche  beziehen,  eingeflochten.  Der  exegetische  Theil 
der  Erklärung  ist  meist  sehr  ausführlich,,  so  weit  es 
für  den  Kreis  ungelehrter  Leser  passt,  und  nicht  sel- 
ten noch  ausführlicher,  da  er  auch  auf  die  jungen 
Theologen  als  Leser  rechnete.  Geschichtliche  und  an- 
tiquarische Bemerkungen  sind  mit  einem  grossen  Schati 
von  Lebensweisheit  darin  niedergelegt,  und  der  Styl 
ist,  wie  immer,  sehr  gefällig  und  anziehend.  —  Kr 
rechnet  dies  \\^erk  zn  seinen  besten  Schriften.  Es 
kam  zum  ersten  Male  während  der  Jabre  1809-^1819 
in  Form  eines  Wochenblatts  in  fortlaufenden  Num- 
mern heraus. 

Ausserdem  hat  er  noch  mehrere  kleinere   exegeti* 
sehe  Schriften  geschrieben,  so 

Ecclesiastes  phUologice  et  critiee  ilhutratus    - 
im  J.  1184, 

De  oratore  sacro,  Uterarum  dipinarum,  interprettf 
1804,  als  eine  akademische  Bede,  u,  s.  w. 


.     467 
Her'iiakn  Müntimghe, 

I 

Professor  der  Theologie  zu  Groningen,  früher  zu 
Harderwyk,  ein  Schüler  Schrö'der's,  erst  vor  we- 
nigen Jahren  gestorben,  steht  an  Umfang  und  Tiefe 
der  Gelehrsamkeit,  an  standhaftem  Festhalten  an  der 
Summe  der  christlichen  Glaubenslehre,  an  Lehrtalent 
und  an  ausgebreitetem  Einflüsse  auf  die  theologische 
Richtung  Hollands  während  seiner,  vjeljährigen  akade- 
mischen Wirksamkeit  keinem  der  beiden  berühmten 
vorgenannten  Theologen,  nach,  bildete  vielmehr  mit 
ihnen  ein  merkwürdiges  Kleeblatt  von  Männern ,  weU 
che  auf  die  Veränderung  der  Theologie  ihres  Volks 
sowohl  zum  Guten,  als,  zum  Schlimmen  entscheidend 
eingewirkt  haben« 

Auch  er  hat,  wie  jene  beiden,  grosse  Aehnlich« 
keit  mit  einem  auf  die  Umbildung  der  .Theologie 
Deutschlands  zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts 
eioflusisreichen  deutschen  Theologen,  und  zwar  mit 
Gottfried  Less. 

Ausgezeichnet  wie  Less  durch  eine  umfassende 
Kenntniss  der  historischen  noch  mehr,  als  der  exege* 
tischen  Theologie,  nicht  minder  warm  und  kräftig  in 
Vcrlheidigüng  der  positiven  Heilslehre  des  Christen- 
thums,  eben  so  liebenswürdig  durch  seine  ti^fe  Ehr* 
furcht  vor  der  Schrifl ,  seine  von  anmassender  Ab** 
sprecherei  entfernte  anspruchlose  Bescheidenheit  in 
Darlegung  seiner  theologischen  Forschungen*),  und 
seine  Milde  gegen  Andersdenkende,    war  er  aber  auch 


*)  „Mit  einem  Herzen 'S  sagt  er  z.  B.  in  deit  Attmer« 
ktingen  zum  I.  Theil  der  G^scMed,  d.  JHeasehh^ 
S.  84.  85o  >»das  nichts  als  Wahrheit  sucht,  und 
„Avelches  \t)r  Gottes  Wort  bebt,  auch  da,  wo  es 
„mir  minder  verständlich  ist,  aber  zugleich  mit  ei- 
„ner  nicht  geringen,  hierdurch  verursachten  Seh üch* 
„ternheit,  schrieb  ich  nieder,  was  man  hier  in  Be- 
„treff  dieser  ersten  Verheissung  der  Erlösung  der 
„Menschheit  (1  Mos.  3,  15)  fwdet.«'  --  Ein  anderes 
Beispiel  s,  l.  Tbl«  S«  72* 

80* 


468, 

«     1*^1   m ■        ■■    I    ■  im^a 

I 

riicbt  minder  schwankend  und  unsicher,  wie  viel  er 
den  gegen  die  Festung  des  alten  Systems  anstürmen- 
den Rationalisten,  nnbeschadet  des  Glaubensgebändes 
selbst,  einräamen  dürfe,  und  wo  die  Nachgiebigkeit 
-  ein  Ende  haben  müsse,  'Weno  nicht  dieses  letztere 
selbst  aufs  äusserste  gefährdet  werden  sollte,  um  das 
Hauptgebäude  zu  retten,  gab  auch  er  von  den  für  un- 
wichtig gehaltenen  Nebengebänden  desselben  zu  viel 
Preis,  wodurch  er  denn,  wie  Jener,  ohne  sein  Wol- 
len, die  Angriffe  der  Ungläubigen  auf  das  Centrom 
selbst  erleichterte. 

De  Psalmen  y  pertacdd  inet  aanmerkingen, 
gab    er   im   J.  1792    heraus.      Sein   Hauptwerk  aber, 
welches^ hierher  gehört,  obgleich  es  auch  in  das  Gebiet 
der  historischen  Theologie  fällt,    ist   die  vom  J.  1801 
an  erschienene 

Geschiedenis   der   MenscTtheid   naar    der    JByhdy 
11  Thle.,  Amsterdam  bei  Allart. 

Diese,  seine  Geschichte  der  Menschheit  nacfi  der 
Bibel  hat  insoferne  Aehnlichkeit  mit  Hrrder's  phi- 
losophischen Ideen  zur  Geschichte  der  Menschheit,  als 
auch  er  neben  der  israelitischen  Geschichte  die  intel- 
lektuelle, sittliche  und  religiöse  Bildungsgeschichte  der 
gleichzeitigen  heidnischen  Völker  entwickelt,  mit  dem 
Unterschied,  dass  nicht  die  Philosophie,  sondern  die 
Bibel  der  Leitfaden  seiner  Untersuchungen  ist. 

Sein  umfassender  Zweck  ist,  um  ihn  mit  des  Ver- 
fassers Worten  in  der  Einleitung  des  Werks  anzuge- 
ben, der:  zu  untersuchen,  was  die  biblische  Geschichte 
nns  lehrt,  mit  Beziehung  auf  den  Ursprung  und  den 
stnfenweisen  Fortgang  der  Yerstandesbildung ,  so  wie 
der  sittlichen  und  religiösen  Bildung  der  Menschheit, 
und  was  für  einen  Einfluss  jene  biblischen  Offenba- 
rungen darauf  gehabt  haben.  Demnach  will  er  nicht 
eine  vollständige  biblische  Geschichte  geben,  sondern 
diese  mehr  voraussetzen,  und  nach  Anleitung  dersel- 
ben zeigen,  wie  die  menschliche  Vernunft  sich  von 
Anfang  an  entwickelt  habe,  will  .den  Ursprung  and 
Fortgang  der  Künste  und  VVissenschafien,    des  gesell- 


469 

schaf^lichen  und  bürgerlichen  Lebens ,  'der  sittUcfaen 
und  religiösen  Entwickelung  zunächst  des  Volkes,  das 
einer  höheren  OflenbaniBg  genoss,  und  ihres  Einflus- 
ses auf /die  Bildung  anderer  Völker  zeigt,  sodann  auch 
den  Bildungszustand  dieser  Mrährend  der  Zeit  des  A. 
Bundes  lebenden  Völker  mit  dem  der  Israeliten  ver- 
gleichen* Diese  Völkerbildungsgeschichte  will  er  bis. 
.auf  die  Zeit  Christi  fortfuhren,  zugleich  dessen  cigen- 
thiimliche  Religionslehren  entwickeln,  und  ihren  £in- 
fluss  auf  die  IVIenschen  schildern. 

Diese  sich  vorgeschriebene  Aufgabe  hat  er  sehr 
rühmlich  gelöst.  So  hat  er  in  diesem  Werk  über  den 
Ursprung  der  Viehzucht,  des  Ackerbaues,  der  Obrig- 
keit, der  Opfer,  der  Künste,  der  Abgötterei  etc.  viel 
Lehrreiches  gesagt,  den  bürgerlichen,  wissenschaftli- 
eben,  sittlichen  und  religiösen  Zustand  Israels  und  der 
heidnischen  gleichzeitigen  Völker,  nnd  die  durch  alle 
jene  Jahrhunderte  fortlaufende  göttliche  Erziehung  des 
Menschengeschlechts,  besonders  Israels,  sehr  schön 
entwickelt,  mit  beständiger  Rücksicht  auf  die  Einwürfe 
der  ungläubigen  Gegner.  So  z.  B.  erweist  er  im  L 
Theil  die  unmittelbare  Erziehung  der  ersten  Menschen 
durch  Gott,  wie  er  sie  eine  Sprache  gelehrt,  wobei 
jedoch  stets  stufenweise  Entwickelung  stattgefunden, 
v/le  man  auch  in  der  ersten  Zeit  scnon  von  einem 
ewigen  Leben  gewusst  u*  s.  w*  So  ist  im'  HL  Thell 
eine  lehrreiche  Darstellung  der  Sitten  und  Religionen 
der  Völker  Kanaans  ,  im  IV.  Theil  eine  Darstellung 
und  Erklärung  der.  wichtigsten  mosaischen  Gesetze,  im 
V.  Theil  eine  ausführliche  Rechtfertigung  der  Besitz- 
nahme Kanaans  von  Israel ,  im  VI.  Theil  viel  Interes- 
santes über  David  und  seine  Zeit,  im  VII.  Theil  über 
den  Geist  der  Propheten,  im  IX.  und  X.  Theile  eine 
geistreiche  Entwickelung  und  Vertheldigung  der  eigen« 
thümlich  -  christlichen  Lehren  u*  s.  w. 

Aus  diesem  Werke  ist  daher  auch  für  uns  Deu4- 

'  sch'e  nicht  wenig  zu  lernen,    und   Vieles    darin   einer 

Uebersetzong  werth,   jedoch  nicht  alle^.     Denn  erstens 

leidet  das   Werk  an  einer  grossen   Weitschweifigkeit, 


470 

gweitens  an  Unsicherheit  und  Inconsequenz  in  der^  theo- 
logischen Behandlang  und  Verthetdigung  der  b.  Schrift, 
wie  wir  schon  oben  bemerkt. 

Am  stärksten  tritt  dies  in  der  den  V.  Theil  er- 
öffnenden Untersuchung  über  das  Mythische« 
im  A.  T*  hervor*  Diese  Abhandlung  wurd^  wohl  zn- 
nächst  durch  den  schriftstellerischen  Streit,  welcher  ia 
Holland  vorzüglich  während  cler  Jahre  1803  —  1809 
über  die  biblischen  Mjthen  gefülArt  wur4e,  veranlasst, 
erschien  im  J*  1807,  und  sollte  den  Streit  schlichteiii 
indem  sie  beiden  Theilen  etwas  zugestand. 

Nachdem  er  nämlich  darin  zuerst  die  Ansicht 
EiCHHOR?('s,  Bauer's,  Gabler's  u.  ß.  über  die 
biblischen  Mythen  bestritten,  erklärt  er,  dass  er  dnige 
historische  Mythen  im  A.  T.'  annehme,  nament- 
lich die  Erzählungen  von  der  Schöpfung,  dem  Para« 
dies,  dem  Sündenfall,  dem  Cherub  vor  dem  Paradies, 
der  Sprachenverwirrung  und  dgl.  Aach  nehme  er 
poetische  Mythen  an,  z.  B.  die  Beschreibung  der 
messianischen  Zeit  als  eines  g[oldenen  Zeitalters  hei 
den  Propheten.  ^Indess  nehme  er  keine  philoso- 
phischen Mythen  im  A*  T.  an,  noch  weniger  ei- 
nige Mythen  im  N.  T. ;  und  nun  gibt  er  3  Regeln  an, 
wornacb  man  nur  Mythen  in  der  Schrift  annehmen 
dürfe. 

I.  Regel:  Mythische  Erklärungen  könne  man 
bloss  zulassen  in  den  ältesten  Erzählungen  der  h. 
Scbrift.  Mit  der  zunehmenden  Bildung  der  Menschen 
und  ihrer  Sprache  hätten  auch  die  Mythen  sich  ver- 
mindern müssen.  Daher  dürfe  man  nicht  mehr  in  den 
'  späteren  Schriften  des  A.  T.  und  noch  Veniger  im  N. 
T.  Mythen  finden  wollen. 

Aber  wo  hören  denn  ^ie  ältesten  Erzählungen 
des  A.  T.  auf,  und  wo  fangen  die  späteren  Schrif- 
ten desselben  an?  Er  bestimmt  darüber  nichts,  und 
setzt  keine  Grenze,  die  doch  nothwendig  gesetzt,  wer- 
den müsste,  um  das  Zuweitgehen  zu  vermeiden.  Er 
selbst  schwankt.  So  scheint  er  S.  XLIX  die  ältesten 
Erzählungen  nur  auf  die  vor   der  Sündfluth   ausdehnen 


471 

zn  wollen,  jedoch  nimmt  er  selbst  .nocli  die  Geschichte 
von  ^  der  Spracbenverwirran^  mytiscb.  Auch  lässt  er 
poetische  Mythen  noch  zur  Zeit  der  Propheten,  zu. 

II.  Regel:  Auch  bei  den  Erzählungen,  bei  wel- 
chen man  ein  mythisches  Element  annehme,  dürfe  man 
bloss  die  Einkleidung  der  Geschichte  mythisch  nehmen, 
nicht  die  Geschichte  selbst. 

Aber  was  gehurt  bei  solchen  Erzählungen  zur  Ein- 
kleidung, zur  blossen  Form,,  und  was  zur  Geschichte 
selbst?  Auch  hier  hat  er  keine  Regeln  der  Unterschei- 
dung angegeben,  die  doch  nothwendig  vorhanden  sein 
raussten,  um  nicht  der  ungebundensten  Willkiihr  'iu 
der  Bestimmung  dessen,  was  zur  Einkleidung  und  was 
zur  Geschichte  selbst  gehöre,  freien  Raum  zu  geben. 
Er  selbst  aber  handelt  willkiihrlich  darin. 

So  nimmt  er  mythisch,  für  Einkleidung  bei  der 
Geschichte  des  Sündenfalls  an,  dass  eine  Scnlange  da- 
gewesen und  mitgewirkt  habe.  Er  sagt,  der  Teufel 
habe  die  Menschen  verleitet,  aber  nicht  unter  der  Ge- 
stalt einer  Schlange,  jedoch  seine  wahre  .Gestalt  ver- 
bergend, also  wohl  unter  der  Gestalt  eines  guten  En- 
gels* Und  womit  beweist  er  diese  Annahme?  Diese 
Geschichte,  meint  er,  sei  wohl  bildlich  auf  einem  al- 
ten Gemälde  den  Nachkommen  überliefert  worden,  und 
der  Teufel  darauf  unter  der  Gestalt  einer  Schlange 
abgebildet  gewesen.  Hiervon  habe  der  Geschichtschrei- 
ber seine  Erzählung  genommen.-—  Aber  diese  Meinung 
ist  doch  eine  puTe^  höchst  willkührliche  Hypothese. 
Dass  eine  Schlange,  da  gewesen  und  mitgewirkt,  wird 
als  reine  Geschichte  erzählt.  Erlaubt  er  sich  nun, 
diesen  Einen  historischen  Zug  ohne  allen  Beweis  my- 
thisch zu  nehmen,  so  darf  sich  jeder  Andere  eben  so 
gut  erlauben,  1,  2,  10  andene  historische  Züge  der 
Erzählung    mythisch    zu    nehmen*)«  — '    Auf    ähnliche 


*)  Aus  diesen  Gründen  erklärt  sich  auch  Professor 
Heringa  für  den  buchsläblich -geschichtlichen 
Sinn  dieser  Erzählung.  S.  seine  Preisschrift  über 
die  Accomodation  Christi  und  der  Apostel  S.  207. 


474 

Verhiaring  can  t  Cor.  XV ^  Dordrecht  179«. 

—  —       —     der     Brief   aan     de    Gcdaüers^ 

Dordrecht  1802. 

—  —       —     Briepen  aan  de    TkessalanUxn^ 

Dordrecht  1803« 

—  —       —'9  Cor.  I—F.9  Dordrecht  1804. 

—  .  —       —     Brief  aan  de  Romeinen^  2  Thle^ 

Dordrecht  1805. 

—  —       —  *     —       —         KolosserSy     Dord« 

recht  1808. 

—  —      —       —       —        Efesersy  Dordrecht  • 

1809. 
^  —     —       —      /     Brief   aan     de     CorinthierSy 

2  Thle.,    Dordrecht  1810. 

Tydmeter,  4  Thle.  Dordrecht  1818. 

Kr  nimmt   unter   den   neueren  Exegelen  Hollands 
nicht  die  geri'agste  Stelle  ein,   und  hat  sich  durch  sei-    | 
ne  grossen 9  exegetischen,  auch  chronologischen  Kennt- 
nisse,  sein   scharfsinniges,    offc    sehr  gesundes  CJrtheil, 
seine  Unabhängigkeit  von    dein   kirchTichen  System  in 
der  Interpretation,  seinen  exegetischen  Takt  und  seine  \ 
grosse   Gabe   populärer   Erklärung    und    Rntwickelung   , 
Aes   Schriflsinnes   grossen   Kinfluss   auf   das  •  gebildete 
Publikum  und  die  Theologen  seines  Landes   ausgeübt. 

Obgleich  er  aber  eine  gewisse  äussere  Rechtgläu-  , 
bigkeit  zeigt,  so  dringt  er  doch  in  die  Kigenthiimlich- 
keit  der  christlichen  Heilslehren  von  der  Rechtferti- 
gung, der  Wiedergeburt,  den  Wirkungen  des  L  Gei- 
stes u.  s.  w.  nicht  ein,  sondern  verflacht  sie  durch  ge-  i 
zwungene  Erklärungen,  und  weil  er  das  neue  höhere 
Lebensprincip  des  Ghristenthums  nicht  in  sich  erfah- 
ren, so  läugnet  er  es  ab,  erklärt  es  für  Schwärmerd, 
und  sucht  es  wcgzuexegesiren. 

.  Ein  prüfender  Blick  in  seine  Erklärung  des  Galt«  | 
terbriefes   wird   den  Geist  seiner  Exegese   hinreicheod  ! 
kennen   lehren.     Sie  ist,   wie   seine  übrigen   Schriften 
für   Ungelehrte    geschrieben,   enthält  jedoch    nach  der 
in   Holland   beliebten   Weise    eine    sehr    ausführliche 
Auslegung  mit  Angabe  der  Gründe  für  dieselbe. 


tu 


•    .        475 

S.  182  gibt  er  zu,  dass  das  Leiden  nnd  Sterben 
Christi  von  Paulo  als  der  einzige  Grund  der  Seligkeit 
gepredigt  worden,  S.  338,  339  setzt  er  die  Rechtferti- 
gung des  Sünders  darch  Christnm,  nicht  in  eine  sitt- 
liche Besserung  desselben,  der  Lehre  Christi  gemäss, 
wodurch  er  erst  vor  Gott  ~  gerechtfertigt  ^erde,  und 
spricht  viel  von  der  Nothwendigkeit  -des  Glaubens  an 
Christum  zur  Rechtfertigung  des  Sünders,  Dessen  un- 
geachtet sucht  er  die  Bedeutung  des  Todes  Christi  zu 
verflachen,  indem  er  die  Lehre  von  der  gesetzlichen 
Werkgerechtigkeit  bloss  temporell  und  äusserlich 
nimmt,  das:  unter  dem  Fluch  des  Gesetzes 
sein  (3,  10)  fiir  nichts  weiter  erklärt,  als  unter  dem 
Joch,     dem  harten  Regiment  des  mos.  Gesetzes  sein  \ 

S.   200.  201),   das:    Christus   ward   ein  Fluch 
ür  uns   (3,  13)  erklärt:    Christus   ward  als   ein  Ge-  * 

bängter  nach  dem  Gesetz  für  einen  Verbannten,  Ex- 
communicirten  erklärt,  hierdurch  denn  auch  von  der 
Verbindlichkeit  des  Gesetzes,  unter  der  er  durch  seine 
judische  Abkunft  war,  befreit,  erlöst,  und  nun  werden 
alle  Juden -Christen,  welche  Gemeinschaft  mit  ihm  als 
einem  Verbannten  halten,  und  dadurch  mit  in  den 
Bann  kommen,  dadurch  eben  so  von  der  Verbindlich- 
keit des  Gesetzes  erlöst.  (S.  209  —  213). 

Den   Glauben   an  Christum  e^egesirt  er  oft     /* 
weg,    indem   er    martq   /qlotov   stets   erklärt   durch:  ^ 

Lehre  Christi,  die  neue  Glaubensökonomie,  das  Chri- 
stenthum,<  im  Gegensatz  gegen  die  alte  Gesetzökono- 
mie, das  Judenthum  «(S.  129  —  131.  241.  342)  so 
z.  B.  2,  16.  20.  3,  22,  und  behauptet,  dass  mtnig 
nur  in  den  Fällen,  wo  /^torog  durch  iv  oder  hg^ 
oder  int  damit  verbunden  sei,  Glaube  an  Chri- 
stum heisse.  Hierüber  tadelt  und  widerlegt  ihn  selbst 
VAN  VooRST  in  Spec,  aU.  Annot.  in  loca  seK  N,  T, 
S.  81. 

Den  h.  Geist,  der  so  oA  und  ausdrucklich  als 
die  unzertrennliche  Mitgabe  des  Glaubens  allen  an 
Christum  wahrhaft  Glaubenden  ohne  Ausnahme  ver« 
sprochen  wird,  erklärt  er  für  den  Geist  der  Wau- 


472 

willkiihrllche  Weise  erklärt  er  den  Cherub  vor  dem 
Paradiese  fiir  Donner  und  Bliti,  und  ist  geneigt,  die 
£rz'ahlung  von  der  Erschaffung  des  Weibes  für  ein 
Traamgesiehts  Adams  zu  halten ,  u«  s.  w. 

lU.  Regel:  Man  dürfe  keine  Mythen  annehmen 
tki  Sachen,  welche  mit  dem  Plan  der  göttlichen  Offen- 
barung unmittelbar  zusammenhängen,  z.  IL  die  Ver- 
heissungeo  an  die  Erzväter,  welche  auf  den  Messias 
hinweisen,  die  Offenbarungen  an  Moses  und  die  Pro- 
pheten ,  welche  sich  auf  die  Staats «  oder  Keligions- 
Einrichtungen  Israels  beziehen,  die  Wunder,  von  aus- 
serordentlichen Gesandten  Gottes  verrichtet  etc.,  weil 
sonst  alles  Ansehen  der  göttlichen  Offenbamng  völlig 
verloren  ginge«  — 

Aber  hängt  der  Siindenfall  nicht  mit  dem  Plan  - 
der  göttlichen  Offenbarung  auch  unmittelbar  zusam- 
men? Bezieht  sich  nicht  das  ganze  Erlösungswerk  und 
alle  Vorbereitungsanstalten  des  A.  T«  zn  derselben  auf 
ihn?  Warum  nimmt*  er  denn  doch  den  Siindenfall 
fiir  eine  historische  Mjthe? 

Somit  bedenkt  er  nicht,  dass  er  zuerst  das  Anse- 
hen der  göttlichen  OfTenbarun^  untergräbt;  indem  er 
aus  ihrem  Fundament  ihrer  historischen  Glaubwürdig- 
keit Einen  Stein  herausnimmt  durch  Annahme  von 
historischen  Mythen,  ohne  zwingende  Gründe  da- 
für beizubringen,  und  ohne  feste  Kesseln  und  Grenzen 
für  dies  Verfahren  anzuweisen 9  ja,  dass  er  damit  den 
andern  Auslegern  selbst  den  Weg  zeigt,  noch  mdre- 
Te  herauszunenmen ,  und  so  allmählig  das  ganze  Ge« 
bäude  der  Offenbarung  umzustürzen. 

Es  ergibt  sich  hieraus,  dass  MiiNTlNOHE,  gleich 
Less,  Michaelis  und  Ernssti,  um  mich  Pu- 
set's  Worte  zu  bedienen,  ans  Mangel  an  umfassen- 
der durch  lebendige  Herzenserfahrung  befestigten  Ein- 
sicht in  das  Wesentliche  der  christlichen  Glaubensleh- 
re sich  oft  den  Einwendungen  der  Rationalisten  wider- 
setzte, statt  dem  Grundsatz,  worauf  die  Einwendungen 
gegründet  waren,  und  sie  gleich  sehr  stärkte  durch 
seine  Zugeständnisse,  wie   durch  seine  eigenen  unpas« 


I 


473 


senden  und  wlllkührirchen  Vertheidiguogen ;  dass  er 
endlich  gleich  jenen  Vorgängern  dem  damals  bewun- 
derten Scharfsinn  der  Heerfiibrer  der  Rationalisten, 
er  namentlich  dem  eines  Eichhorn,  glaubte  Einiges 
einräumen  zu  müssen,  in  der  Meinung,  dass  'man  es 
alsdann,  um  mit  Lessing  zu  reden,  mit  den  iibri« 
gen  Beweisen  für  die  OfTenbaning  nicht  mehr  so 
strenge  nehmen  werde*  Was  man  aber  damit  retten 
will,  fährt  dieser  fort,  geht  dann  um  so  nnwicderbring- 
licher  verloren,  nnd  ist  blosser  Fallstrick,  den  die 
Widersacher  der  christlichen  Religion  durch  Ueber- 
treibang  des  Unbegreiflichen  in  derselben  denjenigen 
von  ihren  Vertheidigern  legen,  die  ihrer  Sache  so 
ganz  gewiss  nicot  sind,   nnd  vor  allen  Din- 

en  die  Ehre  ihres  Scharfsinnes   in  Sicher- 

eit  bringen  zu  mSsseu  glauben. 

,        C.  W.  Stronck, 

Prediger  zu  Dordrecht,  gab  im  J.  1797  eine  klei« 
n-e,  aber  gelehrte  und  gründliche  exegetische  Schrift 
heraas : 

De  doctrlria  et  dictUme  Johannia  Apoatoli  ad  Je-* 
8U  Magistri  doctrinam  dicHonemque  excu^ 
composUa,  Utrecht  bei  VAN  Paddenburg« 

Er  stellt  hierin  eine  genaue  Vergleichung  zwischen 
dem  Ev.  Job.  und  seinem  ersten  Brief  an,  und  be- 
weist, dass  Job.  nichts  anders  gelehrt  habe  in  seinem 
Briefe,  als  Christus  in  seinem  Ev«,  freilich  von  der 
Voraussetzung  ausgehend,,  die  viele  Rationalisten  ihm 
nicht  zugestehen  werden,  dass  Job.  im  Ev*  nicht  seine 
eigene  Meinung  Christo  in  den  Mund  legt,  sondern 
getreu  Christi  Lehre  darin  wiedergibt  Der  Leser  wird 
von  dem  gläubigen  Geiste,  der  durch  das  Ganze  weht, 
sehr  angesfhrocben* 

P.    BOSVEID, 

früher  Prediger  in  Dordrecht,  seit  längerer  Zeit 
todt,  hat  viele  exegetische  Schriften  herausgegeben, 
von  welchen  die  wichtigsten  sind : 


474 

Verhlaring  can  4  Cor,  XV^  Dordrecht  1798. 

—  —       —     der     Brief   aan    de     GcdcUierg, 

Doriirecht  1802. 

—  —       —     Briepen  aan   de    Thessalanikert^ 

Dordrecht  1803. 

—  —      —'9  Cor.  1 — 7^.,  Dordrecht  1804. 

—  .  —       —     Brief  aan  de  Romeinen,  2  Thle., 

Dordrecht  1805. 

—  —       —  *     —       —        .K(do88ers^     Dord- 

recht 1808. 

—  —       —       —       —        EfeserSy  Dordrecht  • 

1809. 
^  —     ...•./     Brief   aan     de     Corintliiers, 

2  Thle.,    Dordrecht  1810. 

Tydmeter,  4  Thle.  Dordrecht  1818. 

Er  nimmt   unter   den   neueren  Exegeten  Hollands 
nicht  die  geri'agste  Stelle  ein,   und  hat  sich  durch  sei«    j 
ne  grossen 9  exegetischen,  auch  chronologischen  Kennt- 
nisse,  sein   scharfsinniges,    offc    sehr  gtsnndts  UrtheW^ 
seine  Unabhängigkeit  von    dein   kirchlichen  System  in 
der  Interpretation,  seinen  exegetischen  Takt  und  seine  \ 
grosse   Gabe   populärer   Erklärung    und    Rntwickdung    i 
des   Schriflsinnes   grossen   Einfiuss   auf    das  .gebildete    ' 
Publikum  und  die  Theologen   seines  Landes    ausgeübt.    | 

Obgleich  er  aber  eine  gewisse  äussere  Recht^läu-  , 
bigkeit  zeigt,  so  dringt  er  doch  in  die  Eigenthiinilich-  1 
keit  der  christlichen  Heilslehren  von  der  Rechtferti-  i 
gung,  der  Wiedergeburt,  den  Wirkungen  des  b*  Gei- 
stes u.  s.  w.  nicht  ein,  sondern  verflacht  sie  durch  ge- 
zwungene Erklärungen,  und  weil  er  das  neue  höhere 
Lebensprincip  des  Christenthums  nicht  in  sich  erfah-  . 
ren,  so  läugnet  er  es  ab,  erklärt  es  für  Schwärmern,  \ 
und  sucht  es  wegzuexegesiren.  ^j 

.  Ein  prüfender  Blick  in  seine  Erklärung  des  Galt-  j 
terbriefes   wird   den  Geist  seiner  Exegese   hinreichend  1 
kennen   lehren.     Sie  ist,   wie   seine  übrigen   Schrifteu   | 
fiir   Ungelehrte    geschrieben,   enthält  jedoch   nach   der 
in   Holland   beliebten   Weise    eine    sehr    ausführliche 
Auslegung  mit  Angabe  der  Gründe  Tür  dieselbe. 


t 


'  475 

S.  182  gibt  er  zu,    dass   das   Leiden  nnd  Sterben 
Christi  von  Paulo  als  der  einzige  Grund   der  Seligkeit 
gepredigt  worden,  S.  338,  339  setzt  er  die  Rechtferti- 
gung des  Sünders  durch  Christum,   nicht  in    eine  sitt- 
liche Besserung  desselben,   der  Lehre  Christi  gemäss, 
wodurch  er  erst  vor  Gott  ~  gerechtfertigt   ^erde ,   und 
spricht  viel   von   der  Nothwendigkelt  -des  Glaubens  an 
Christum  zur  Rechtfertigung  des  Sünders«    Dessen  un- 
geachtet sucht  er  die  Bedeutung  des  Todes  Christi  zu 
verflachen,   indem   er  die  Lehre  von  der  gesetzlichen 
Werkgerechtigkeit     bloss     temporfell     und     äusserlich 
nimmt,    das:    unter   dem    Fluch    des    Gesetzes 
sein  (3,  10)  für  nichts  weiter  erklärt,   als  anter   dem 
Joch,     dem  harten  Regiment  des  mos.  Gesetzes  sein 
S.   200.  201),   das:    Christus   ward    ein  Fluch 
ür  uns   (3,  13)  erklärt:    Christus   ward   als    ein  Ge- 
hängter nach  dem  Gesetz  für  einen  Verbannten,  Ex- 
communicirten  erklärt,   hierdurch    denn   auch  Von  der 
Verbindlichkeit  des  Gesetzes,  unter  der  er  durch  seine 
jüdische  Abkunft  war,  befreit,  erlöst,  und  nun  werden 
alle  Juden -Christen,  welche  Gemeinschaft  mit  ihm  als 
einem  Verbannten   halten,    und  dadurch    mit   in    den 
Bann  kommen,  dadurch  eben  so  von  der  Verbindlich- 
keit des  Gesetzes  eriöst.  (S.  209  —  213). 

Den  Glauben  an  Christum  e^egesirt  er  oft 
weg,  indem  er  marvg  yQiarov  stets  erklärt  durch: 
Lehre  Christi,  die  neue  Glaubensökonomie,  das  Chri- 
stenthum,-  im  Gegensatz  gegen  die  alte  Gesetzökono- 
mie, das  Judenthum  «(S.  129  —  131.  241.  342)  so 
z.  B.  2,  16.  20.  3,  22,  und  behauptet,  dass  niatiq 
nur  in  den  Fällen,  wo  /^torog  durch  ev  oder  ht;^ 
oder  eni,  damit  verbunden  sei,  Glaube  an  Chri- 
stum heisse.  Hierüber  tadelt  und  widerlegt  ihn  selbst 
VAN  VooRST  in  Spec.  aU.  Armot.  in  loca  seK  N.  T, 
S.  81. 

Den  h.  Geist,  der  so  oA  und  ausdrücklich  als 
die  unzertrennliche  Mitgabe  des  Glaubens  allen  an 
Christum  wahrhaft  Glaubenden  ohne  Ausnahme  ver« 
sprochen  wird,  erklärt  er  für  den  Geist  der  Wau- 


476 

dergaben,   der  zur  Bestätignoc;    der   Wahrheit   des 
Chrlstenthnms   in    der   apostolischen    Zeit    aosser  den 
Aposteln  auch   einzelnen   Christen   in   den   ersten  Ge- 
meinden geschenkt  worden  sei,   sonach  denn  auch  nur 
einielnen   in   den  Galatischen  Gemeinden   (s.  S.  185. 
186  zu  3,  2.).     Bei    der   Erklärung  von  4,  6  S.  274 
▼erweist  er  auf  die  vorstehende  Erklärung   des  h.  Gei- 
stes, und,   in  seinem   befangenen  Streben,    die  Allge- 
meinheit   der  Verheissang  des   h.  Geistes   wegzuerklä- 
ren,   bemerkt  er  nicht  den  Widerspruch,   ia    welchen 
er  sich  verwickelt,   da  3,  26  der  Apostel  alle  gläubi- 
ge  Galater  für  Kinder   Gottes   erklärt  nnd  4,  6  von 
ihnen  sagt,   dass  sie  als  Kinder   Gottes  alle  den  h. 
Geist  empfangen  hätten  (S.  278).    Wo  es  irgend  mit 
gutem  Scheine   geht,   exegesirt  er  den  h«  Geist  ganz 
weg,   wenn  es  auch  noch   so    gezwungen  ausfallt,   so 
3,  14.  S.  216.  217,   wo    doch   selbst   Grotiüs    den 
h.  Geist  stehen  lässt,  vgl.  auch  S.  347. 

In  demselben  Geiste  feinen  Unglaubens  erklärt  er 
das  Anziehen  Christi  3,'  27  für  den  äusserlichen 
Uebertritt  zum  Christumthum  S.  249.  250,  und:  ^ine 
neue  Creatnr,  wiedergeboren  sein  6,  15  für:  ge- 
worden sein  zu  einer  neuen  Art  von  Menschen,  näm- 
lich zu  Christen,  dergleichen  vor  Christo,  wo  es  bloss 
Juden  und  Heiden  gegeben,  noch  nicht  da  gewesen 
seien«  S*  418, 

In  seinen  anderen,  später  geschriebenen  exegeti- 
schen Schriften  zeigt  sich  dieser  Geist  des  Unglaubens 
noch  offener,  dah^r  er  diese  auch  ohne  kirchliche  Ap- 
|>robation  herausgab,  weil  er  sie  nicht  zu  erhalten 
hofft.  ^ 

G.  VAN    KOOTEN, 

Prediger  zu  Dordrecht,  gab  im  J.  1821  heraus: 

Proepe    eener    perklartng    i^an    den     cdgcmeemn 

Zendbrief  van  Jac3m8y  Amsterd.  bei  BbAVE. 

Auch  er  gibt  eine  ausfuhrliche,  populäre  und  recht 

fassliche  Erklärung  des  Briefs,  wei|n  schon   nicht  mit 

dem  exegetischen  Talent  und  Scharfsinn  Bosyeld's, 


> 


477  • 

nnd  iaterpretirt  einzelne  schwierige  Steilen  recht  gnf^ 
so  5,  14  vom  Beten  über  die  Kranken  und  Salben 
derselben  mit  Oel. 

Indess  gibt  sich  dorcb  den  ganzen  Brief  hindurch 
derselbe  frei  -  rationalistische  Unglaube  9  wie  bei  Bos- 
YEip  zu  erkennen,  nur  noch  weit  offener  und  stärker« - 

In  der  langen  Einleitung  gibt  er  eine  weitläufige 
Darstellung  der  Schattenseite  der  ersten  Christen,  — 
nicht  auch  von  ihrer  Lichtseite,  *—  aus  allen  apostoli- 
schen Briefen,  und  behauptet,  dass  so  grobe  Irrthii- 
nier  und  schändliche  Untugenden  unter  ihnen,  beson- 
ders nach  Verlauf  der  ersten  25  Jahre  nach  Entste- 
hung des  Christentbnms  geherrscht  hätten,  dass  davon 
in  unseren  christlichen  Gemeinden  £ast  kein  Beispiel 
zu  finden  sei.  (S*  8«)« 

1,  13  —  15  wird  die  Vernnnfl:  sehr  hoch  gesteHt, 
so  dass  durch  sie,  als  ein  ungetrübtes  Licht,  in  Ver- 
bindung mit  Gottes  wohlthätigem  Einfluss  (er  hütet 
sich  sorgraltig,  von  den  Wirkungen  des  h.  Geistes  zu 
reden),  der  Mensch  sich  selbst  regieren  und  alle  sei- 
ne Pdichten  erfüllen  könne  (S.  62  —  64).  1,  18 
Gott  hat  uns  gezeugt  durch  das  Wort  der 
Wahrheit,  sowie  denAusdruck:  Wiedergeburt, 
neue  Creatur  erklärt  er  bloss  für:  Uebergang  vom 
Judcnthum  oder  Heidenthnm  zum  Christentnnm ,  und 
die  Apostel  hätten  solche  Uebergetrelene:  Wieder- 
geborene genannt,  die  sittliche  Besserung  möge  nun 
auf  ihren  Uebertritt  gefolgt  sein,  oder  nicht,  sie  seien 
alle  als  Christen  eine  neue  Art  Geschöpfe  geworden 
(S.  71  —  75) ,  ganz  so  wie  Bosveld,  welchen  er 
stets  aufs  höchste  preist,  und  welcher  sein  Vprbild  ge- 
wesen zu  sein  scheint,  nur  dass  er  im  offenen  Aus- 
sprechen des  Unglaubens  ihn  weit  übertrifft. 

2,  14  Glaube  —  die  christliche  Religion  beken- 
nen (S.  127). 

2,  26  wird  der  Glaube  falsch  dargestellt,  mehr 
von  einem  einseitig  -  moralischen  Standpunkte,  und  die 
Heiligung  nicht  als'  Folge  und  Frucht  des  Glaubens. 


478 

4,  5  wird  Geist  Gottes  theils   erklärt  für  das 

Wort  Gottes,   worin  Gottes  Geist    enthalten   sei,   ond 

das  die  Christengemeinden  unterrichte ,    theils   für  den 

allgemeinen  Beistand  Gottes,   den  er  allen  Christeoge- 

'memden  schenk«  (S.  201  —  203). 

4,  7  exegesirt  er  den  Teufel,  wenigstens  alle 
seine  Einwirkungen  auf  die  Menschen,— 
die  Möglichkeit  seiner  Existenz  will  er  nicht  bestreiten, 

—  ganz  und  gar  aus  der  Bibel  weg.  Christus  und  die 
Apostel  hätten  sich  nach  den  falschen  Yolksmeinungeo 
von  bösen  Geistern,  die  erst  nach  der  bab«  Gefangen- 
schaft unter  ihnen  herrschend  geworden  seien,  acco-' 
modirt,  und  das  Böse,  was  theib  aus  dem  Körper, 
theils  ans  dem  menschlichen  Herzen  kommen  dem  Teu- 
fel zugeschrieben  (S.  208  —  216). 

Aus  diesem  Buche  ersieht  man  deutlich,  wie  der 
freie  Geist  des  Unglaubens  in  der  holländischen  Exe- 
gese fortschreitet,  und  immer  offener  ^ns  Licht  tritt 

W.  A,  VAN    He N GEL, 

ein  Schüler  VAN  Voorst's,  und  seit  dem  J.  1827 
sein  Nachfolger  in  der  theoU  Professur  zu  Leiden, 
früher  Professor  zu  Amsterdam,  gab  im  Jahr  1825 
heraus : 

Armotatio  in  hca  nonnuüa  N,  71,  Amsterdam  bei 
VATT  DER  Hey. 

Die  darin  erklärten  Bibelstellen  sind:  Matth.  23^ 
34.  35.  Luc.  22,  31.  32.  Joh.  14,  16,  19,  28  —  30. 
86.  37.  Act.  1,  26.  3,  24.  20,  28.  Rom.  6,  17,  18. 
10,  18  —  21.  1  Cor.  8,  1.  10,  19.  20.  11,  10. 
12,  31.    14,  10.    15,  32.    2  Cor.  3,  5.  6. 

Seine  Auslegung  ist  rein  grammatisch,  im  Geiste 
seines  Lehrers,  gibt  sich  fast  bloss  mit  Worterklämng 
ab,  jedoch  nicht  so  weitläufig,  als  jener,  gibt  and 
bisweilen  etwas  Sacherklärung,  und  weist  den  Zusam- 
menhang mit  dem  Ganzen  mehr  nach,   so  z.  B.  S.  50 

—  52  und  59.  60.  Grosse  Gelehrsamkeit  ist  überall 
zu  sehen,  die  dann  auch  bei  mehreren  kleinen  kriti- 
schen Conjecturen,  die  er  macht ,   überströmt,    so  bei 


* 


479 

Job.  19,  36.  37.  (S.  78/—  90).  Ap.  Gesch.  3,  24 
(S.  101  —  106).  Rom.  e,  17.  la.  (S.  115  —  132). 
Bei  Ap.  Gesch.  20,  28,  wajgt  er,  in  Teller's  Foss- 
stapfen  tretend,  ohne  eine  einzige  alte  Handschrift  und 
dgl. ,  wie  er  selbst  gestehen  muss,  Tur  sich  tu  haben, 
eine  sebr  leichtsinnige  Conjectür,  die  nämlich,  dass 
allein  ixxXTjatav  da  stehen  soll,  und  er  sowohl  ^fovy 
als  /QioTOv,  xvQiov  xat  ^£ov  wegwirft.  Dass  dnrch 
diese  Weglassung  der  Satz  aber  gar  keinen  Sinn  habe, 
erklärt  selbst  Heringa  in  seiner  treftlichen  Preis« 
schrift:  oper  het  gebriuk  en  mishridk  der  Kritieh 
S.  73.  —  Mit  einei:  so  wichtigen  Stelle,  welche  be- 
kanntlich eine  Beweisstelle  für  die  Gottheit  Christi  ist, 
sollte  man  doch  etwas  ernster  umgehen. 

Schade,  dass  auch  bei  v AN  He N GEL  die  Bnch- 
'stabenerklärnng  die  grosse,  ja  die  einzige  Hauptsache 
ist,  daher  denn,  selbst  wo  die  Bibelstellen  sehr  frucht- 
bar sind,  wie  z.  B.  2  Gor.  3,  5.  6.  die  Gelehrsamkeit 
mehr  verschwendet,  als  zum  rechten  Zwecke  verwandt 
wird!  Schade,  dass  durch  solche  Sjibcnstechereien 
-  die  Schüler  nicht  ins  Heiligtbum  des  seligmachenden 
Wortes  eingeführt,  sondern  mit  gelehrten  Disputatio- 
nen über  das  Scbnitzwerk  an  der  Thiire  des  Heilig- 
thums  draussen  aufgehalten  werden,  bis  die  Zeit  zum 
Hineinführen  verronnen  ist! 

J.  Heringa, 

ein  Schüler  von  Ab  res  GH,  Professor  der  Theologie 
zu  Utrecht,  einer  der  ausgezeichnetsten  Theologen 
Hollands,  durch  seine  grosse  Gelehrsamkeit,  seine  ge- 
mässigten Ansichten  und  seinen .  grossen  Einfluss  auf 
die  Theologen,  während  seiner  viel  jährigen ,  schon  seit 
den  1790er  Jahren  bestehenden,  akademischen  Wirk- 
samkeit, besonders  in  Hinsicht  der  praktischen  Theo- 
logie, schrieb  die  von  der  Haagschen  Gesellschaft  im 
J.  1790  gekrönte  Preisschrift: 

Oper  hed  vereisckb  (erforderlichen)  gehruih  en 
hedendaagsch  (gegenwärtigen)  mishruik  der 
Kritiek  in  de  -behafideling  der  heilige  Schriften» 


480 

I 

Hierin  weist  er  mit  ansgebreiteter  Gelehrsamkeit, 

frosscr  Unbefangenheit,  Besdeidenheit  und  Schar&ion 
ie  Grenzen  der  Kritik  nach,  zeiget  den  Misbrauch  der- 
^selben  an  vielen  Beispielen,  und  gibt  die  Erfordernisse 
des  rechten  Kritikers  an. 

H.    J,    ROTAARDS, 

Professor  der  Theologie  zu  Utrecht  seit  dem  J.  1822, 
hat  die  von  der  Haagschen  Gesellschaß  .1821  gekrönte 
Pieisschrift  herausgegeben: 

Oper  den  geest  en  het  belang  van  het  boek  Ua^ 
niely  Haag  bei  Thier^t  &f  MBNsmo. 

£r  hat  darin  mit  viel  Gelehrsamkeit,  Geist  tfnd 
Geschichtskenntniss,  wie  denn  Kirchengeschichte  sein 
Hauptfach  Ist,  die  Glaubwürdigkeit  und  Göttlidikeit 
des  historischen  und  prophetischen  Theils  des  Baches 
vertheidigL  Darch  die  ganze  Schrift  weht  ein  ernster, 
gläubiger  GeisL  Ihm  ist  es  wahrscheinlich,  dass  Da-, 
niel  selbst  dem  Esra  die  einzelnen  Denkj^chr/Aen 
seines  Buchs  gegeben,  und  dass  dieser  sie  zu  einem 
Ganzen  gesammelt,  auch  das  erste  Gap.  selbst  hinzu- 
gefügt habe,  s.  S.  44  —  46. 

Baron  B.  R.  de  Geer, 

Professor  der  Theologie  zu  Franeker  seit  1826, 
schrieb  bei  seiner  Promotion  zum  Dr.  Theol.  1826 
die  Abhandlung: 

JDe  SileamOf  ejus  hiatorla  et  vaiiclnüSi  Utrecht 
bei  Altheer. 

Er  erläutert  di^se  Erzählung  mit  grosser  Sprach- 
und  Siachkenntniss,  nnd  vertheidigt  alle  Wunder  so  wie 
die  Weissagungen  derselben  sehr  besonnen  nnd  sieg- 
reich gegen  die  rationalistischen  Gegner.  Die  Weis- 
sagung 4  Mos.  24,  17  erklärt  er  nicht  vom  Messias^ 
wie  sie  auch  Hengstenberg  In  seiner  trefflichen 
Christologie  des  A.  T.  bekanntlich  nicht  zu  den  mes- 
sianischen  %Veissagungen  rechnet  Den  Widerspruch, 
der  in  dem  Zürnen  Gottes  über  Bileams  Hinziehen 
4  Mos.  22,  22  mit  der  Erlaubnis;»  Gottes»  zu  liehen, 


I 


4SI 


'V.  20,  nach  der  gewühnltclien  ücberseteung,  liegt, 
hebt  er  nach  dem  Vorgang  des  GlASSIUS  (s.  FhUoL  • 
^cicr.  949.  950)  und  vAN  DER  Palm's  einfach  da- 
durch, dass  er  S.  39  O  übersetEl  als  Zekconjunction : 
als,  da,  >vährend,  so*  dass  nun  zu  übersetzen  ist: 
Gottes  Zorn  ergrimmte,  da  (während)  er  hinzog,  .er- 
grimmte aber  Bileams  Vorsatz,  dem  Balak  wo  möglich 
doch  zu  Willen  zu  sein,  gegen  Gottes  Gebot,  wel- 
chen Vorsatz  er  auf  der  Reise  erst  entschiedener  fassle 
und  in  sich  befestigte. 

Ein  gläubiger,  kräftiger  Sinn  leuchtet  aus  diesem 
jungen,  gelehrten  Edelmanne  hervor,  so  ^ass  nicht 
bloss  die  Friesische  Akademie,  sondern  auch  gan« 
Holland  von  ihm  grosse  Hoffnungen  für  die  Wieder- 
belebung des  Glaubens  hegen  darf. 


II.     Historische     Theologie. 


A.  Ypey  und  J.  J.  Dermout, 

crslerer  Professor  der  Theologie  zu  Groningen, 
letzterer  Hofprediger  im  Haag,  haben  in  den  Jahren 
1819  —  1827  gemeinschaftlich  herausgegeben: 

Gescitiedenis  der  Nederlandeche  Hervornide  Kerk, 
4  Bde.),  Breda  bei  W.  vAN  Bergen.. 

In  diesem  interessanten  Werk,  welches  in  4  dicken 
Thellen  sehr  ausfuhrlich  die  Geschichte  der  reformir- 
ten  Kirche  Niederlands  liefert,  ist  ein  ausgebreitetes 
Quellenstudium  und'  grosse  historische  Gelehrsamkeit 
nicht  KU  verkennen^  die  sich  von  einem  Ypey,  der 
schon  viele  Jahrzehnten  die  Quellen  der  Kirchenge- 
jschicbte  erforscht,  erwarten  Hess.  Dabei  zeichnet  es 
«ich  durch  eine  blühende,  oft  nur  zu  blühende  Diction 
aus,    welche  von    der  bekannten   Beredsamkeit   eines 

II.  31 


483 


Dermout  zeugt-  Auch  ist -daran  zu  rühmen  die 
grosse  Unpartheiltchkeit  gegen  die  andern  evangeli- 
schen Kirch engesellschaflen  Hollands,  so«  dass  viele 
Reformirte  klagen ,  sie  sei  sogar  partheiisch  für  die 
Kemonstanten. 

Der  I.  Theil  enthält  die  niederländische  Aeforma- 
tionsgeschichte  und  ausführliche  interessante  Bemerkan- 
gen  über  die  reformirte  Kirchenordnung,  das  Kirchen- 
regiment,   die  Kirchenlehre y    den  öffentlichen    Gottes- 
dienst  uod    die   liturgischen  SchriAen    der   ref.  Kirche. 
Der  IL   Theil   enthält    die   Geschichte    der    Trennung 
in  die  heiden  Partheien    der  Remonstranten   und  Con- 
traremonstranten ,   sodann  die  Perioden  von  Statthalter 
Friedrich  Heinrich  bis  zum  Westphälischen  Frie- 
den 1625  —  1648,    und  von    da   bis   zu   Anfang    des 
ISten   Jahrhunderts.     Der  III.  Theil   enthält   die   Pe- 
rioden  von   Aofaisg   des   18ten  Jahrhunderts   bis    zum 
Aachenschen  Frieden  1748;  und  von  da  bis  zur  Staats- 
umwälzung 1795.     Der    IV»  Theil    enthält  die   Perio- 
den von  1795  —  1805,   sodann    die  während  der  Re- 
gierung   des     Rathspensionärs    Schimmelpennink 
1805  und   1806,  von  da  bis  1810  während  der  Regie- 
rung Königs  Ludwig  Napoleon,  von  da  bis  En- 
de   1813,     während     der     Vereinigung    Hollands     mit 
Frankreich  i     und   von    da    bis   1816,    bis   zu    welchem 
Jahre  sich  die  Kirchengescbichte  nur  erstreckt- 

Die    grossen   Perioden    im  II.  und  IIL  Theil  sind 
in  2  Abschnitte  getheilt,    deren   erster    die   Geschichte 
der  Kirche,  und  deren  zweiter  die  Geschichte  des  Zo- 
$tandes  der  Kirche  enthält     Weil   aber   der  ^  cr^c  Ab- 
'schnitt  schon    die   kirchlichen    Streitigkeiten    und    dgL 
weitläufig  mit  erzählt,    und  der  zweite  nur    den   äus- 
sern Zustand  der  Kirche  darstellt,  so  finden  sich  hSo- 
fige  und    ermüdende    Wiederholungen.  — -     Auch   die 
politische  Geschichte    wird   ungebührlich    weitlanfig  er- 
zählt,  lind   obgleich   sie   mit   der  Kirch  engeschiebte  ift 
diesem    Lande    so    genau    zusammenhängt,     dtss   es 
^schwer  wird'y  bei   der   Heranziebunfr  der  ersieren  um 
VVerständniss 'der  letzteren  das  gehörige  Maass  za  htitc% 


,* 


I 


483 

weshalb  Nachsicht  gegen  die  Kirch engeschichtschreiber 
in  diesem  Punkte  Pflicht  ist,  so  überschreitet  doch  an 
manchen  Steilen  die  Darstellung  der  politischen  Ge- 
schichte alle  Schranken,  und  wo  auf  4  —  6  Seiten 
vollkommen  hinreichend  die  Verbindung  der  politischen 
mit  der  Kirchengeschichte  hätte  geschehen  kö'nnen,  wird 
auf  46  Seiten  (so  III.  Tbl.  S.  404  —  450)  oder  auf 
34  Seiten  (so  IV.  Tbl.  S.  566  —  €01)  recht  con  amore^ 
dort  die  Entstehung  der  französischen  Revolution,  hier 
die  Kriegsgeschichte  von  1812  und  1813  erzählt 
Ebenso  IV.  Tbl.  S.  452  —  4*79  u.  a.  a.  O.  Dagegen 
ist  die  Geschichte  des  inneren  Lebens  der  Kirche,  ein 
so  wichtiger  Theil  einer  christlichen  Kirchengeschichte, 
gänzlich  weggelassen.  Die  politische  Geschichte,  die 
äussere  Geschichte  der  Kirche,  die  kirchlichen  Streitig- 
keiten nnd  die  theologische  Literaturgeschichte,  das, 
und  welter  nichts  enthält  das  weitläufige  Werk.  Dasj 
aber  in  der  Geschichte  einer  in  Christo  und  für  Chri- 
stum vereinigten  grossen  Menschen -(jemeinschaft,  und 
zwar  einer  evangelischen  Christengemeinschaft, 
wo  der  Saame  des  Evangelii  doch  stets,  wenn  auch  in 
gebrechlicher  Weise,  ausgesäet  worden,  nichts  von 
der  Frucht,  die  zu  allen  Zeiten  daraus  aufgcsprosst, 
sondern  bloss  die  Geschichte  des  Unkrauts ,  der  Di- 
steln und  Dornen  erzählt  wird ,  die  auf  dem  weiten 
Acker  zwischen  der  Frucht  aufgewachsen,  welchen 
Christ  kann  eine  solche  Kirchengescbichte  befriedigen? 
Da  sind  die  dogmatischen  Streitigkdten  überall 
aufs  weitläufigste  geschildert,  so  II.  447  -—  ^83, 
ebensd  das  Unkraut  des  Unglaubens  und  Abei^laubens^ 
so  IIL  26  -^  28.  76  —  128.  292  —  311.  335  —  352, 
da  ist  sogar,  —  wer  in  aller  Welt  sollte  das, hier  su- 
chen? — •  der  Zustand  der  schönen  Künste  ge- 
schildert III.  148  —  156,  aber  nirgends  die  Frucht 
des  lebendigen  Glaubens-  selbst,  mit  Ausnahme  einiger 
beiläufig  eingestreuten  Bemerkungen,  so  IIL  2%%.  IV« 
29.  267.  438  —  441«,  nirgends  eine  Darstellung  des 
stillen  Lebens  der  Gottseligkeit,  das  in.  vielen  evanee- 
Jischen  Familien  und  Gemeinden  Niederlands  zu  alTea 

31* 


4M 

I 

Zeiten  herrliclie  Blutheo  und  Friicfate  entwickelte,   nir- 
gends   eine    Schilderung   der  weiten    VerbFeltnng  des 
HansgoUesdienstes,    der   acht  -  cbristlichen  Klnderzacht, 
so  wie  der  unerschütterlichen  Gottesfurcht,     des  kind- 
lich-demiithigen   Glaubens  9    und    der    inoigen    Liebe 
zum  H«ilande,   welche  auch   das    äussere   Berufsleben 
so  vieler  zu  allen  Zeiten , ,  besonders  in   der   früheren 
Zeit  durchdrangen,    wodurch   sie  den  unbezwinglichen, 
von  aller  Welt  bewunderten   Muth    g^gen   die    Feinde 
des   Vaterlands   erhielten,    und   zugleich    die    eb^   so 
bewundernswürdige  Milde   des  Herzens,  die   voll   von 
Christi   Barmherzigkeit   nicht   bloss    die   Kranken    und 
Armen  ihres  Ixodes  reichlich  und  dauernd  versorgten, 
sondern  auch   vielen  Tausenden   gedrückter  Glaubeos* 
genossen    des    Auslandes    die    Hand    helfender  Liebe 
reichte,    wodurch   sie   einfach   und   sparsam   In    ihren 
Häusern  leben,   aber  die  Häuser   Gottes  mit  den  Ga- 
ben  ihres   Reichthums   Versorgen,   und  für  alle  men- 
schenfreundlichen Einrichtungen  weitherzig  ihre  Schatze 
auflhun  lernten« 

Aus  dem  Spiegel  dagegen,  den  uns  obige  Kir- 
cfaengeschichte  von  der  reformirten  Kirche  Hollands 
vorhält,  tritt  uns  ein  widriges,  feindseliges  Zerrbild 
entgegen,  eine  zweihundertjährige  Herrschaft  von  Zank, 
Strek,  Hass  und  uncbristlicher  Verfolgung,  als  die 
einzige  Frucht  des  Evangelii,  —  eine  andere  wird  uns. 
wenigstens  nicht  gezeigt,  -—  und  wäre  dies  das  wahre 
Bild  Hollands,  so  könnten  wir  uns  nicht  freaeO|  dass 
das  Evangelium  in  diesem  Lande  geherrscht,  wir  muss- 
ten  es  für  ein  ohnmächtiges,  kraftloses  (dummes)  Salz 
halten,  das  auch  nicht  einmal  einen  Theil  der  Masse 
vor  Fäulniss  hätte  bewahren  können,  und  zu  mchti 
nütze  wäre,  als  zum  Wegwerfen. 

Ueberdies  sind  die  dogmatischen  StreitigkeiiftB 
nicht  im  Geiste  NeAnder's  erzählt,  dass  Ireld^n 
streitenden  Partheien  ihr  Recht  wiederführe,  «oiideni 
in  der  Regel  wird  dem  umgreifenden  Theile  Cnredi^ 
und  eine  unlautere  Verketzerungssucht  Schuld  gegA^ 
Dass   diese  bei  Manchem   unter   ihnen    staftgefimdca» 


I 


. 


485 

wer  wird  das  längnen?  Aber  eben  so  hätte  man  auch 
zugestehen  müssen,  dass  viele  dieser  Streiter  für  die 
Kechtgläubigkeit  von  einem  lautern  Eifer  für  die  Sache 
Gottes  getrieben  wurden,  wenn  gleich  sie  nicht  selten 
eiferten  mit  Unverstand,  und  wegen  der  Befangenheit 
im  damaligen  Zeitgeiste  nicht  die  rechten  Mittet  zur 
Abwehrung  des  Unglaubens  anwandten,  dass  endlich 
der  Eifer  Anderer  für  den  Glauben  ein  sehr  besonne- 
ner, christlich  -  pflichtmässiger  und  höchst  nöthiger  Ei- 
fer zur  Yertheidigung  des  Chriistenthums  gegen  den 
arianischen ,  socmianischen  und  andern  Unglauben  war. 

Obige  Kirchengeschichte  behäft  daher  immer  vie- 
len Werth ,  weil  sie  das  Gerippe  der  reforrairtcn  Kir- 
che Hollands  genaa  darstellt.  Zur  voHständigen  Dar- 
'Stellung  ihres  Körpers  muss  aber  noch  eine  Kirchen- 
geschichte, wie  die  MiLNER'schc  hinzukommen,  wel- 
che das  Fleisch,  die  Geschichte  des  inneren  Lebens 
in  der  Kirche,  gibt.  Freilich  ist  die  MlLKER*sehe 
einseitig,  aber  deshalb  nicht  zu  tadeln;  denn  sie  will 
nicht  mehr,  als  die  Eine  Seite  darstellem  TieHeicht 
kommt  später  dann  ein  holländischer  NeANPER  hin- 
zu, der  dre  äussere  und  innere  Kirch  engeschiebte  Hol- 
lands mit  einander  verbindet  und  verwebt,  und  diest 
als  einen  organischen  Leib  Jesu  Christi  darstellt« 

Noch  eine  andere  Schattenseite  obiger  Kirch^n- 
geschichte  darf  nicht  übergangen  werden. 

Bekanntlich  steht  der  Grundsatz  fest:  ein  6e- 
schicbtsch reiber  darf  kein.  Taterßind  haben,  muss  bloss 
Weltbürger  sein;  ein  Kirchengisschichtschreiber  atso 
bloss  Bürger  des  ReFchs  Christi,  das  keinen-  Unter- 
schied von  Sprachen,  Farben  oder  Zonen^  her  seinen 
Mitgliedern  kennt;  Dieser  Grundsatz  ist  ^ber  wob? 
nirgends  grober  verletzt  worden,  als  in  dieser  Rirchen- 
geschichte. 

Der  erste  Thcil  derselben  wird  nämlich  eröffnet 
mit  vorläufigen  Anmerkungen,  die  Geschichte  der  Re- 
formation der  christlichen  Kirche  betreffend,  in  45 
Seiten,  nebst  30  andern  Seiten  Anmerkungen  zu  die- 
sen  Anmerkungen,    worin,  zu   beweiisen  gesacht  wird. 


486 

dass  das  Vei'dieast  der  Reformation  der  nled^rläo- 
dischen  Nation  ganz  allein  zukomme.  D^n 
1)  sei  der  Verbesserer  des  höheren  ond  niederen 
Schulwesens  im  14ten  Jahrhundert  ein  Niederländer 
gewesen y  Geert  Groete;  2)  der  Erfinder  der 
Bnchdrucketkunst  desgleichen  ein  Niederländer,  Lo- 
renz Koster;  3)  der  Wiederhersteller  der  schönen 
Wissenschaften  9  welche  auf  das  Studium  der  Tbeolo* 
gie  die  nächste  Beziehung  haben,  und  dadurch  der  er- 
ste Wiederhersteller  der  christlichen  Religion  und  Re- 
ligionslehre, desgleichen  ein  Niederländer^  Deside» 
Rius  Erasmus. 

Dieser  sei,  nnd  das  wird  nun  sehr  weitläufig  er* 
klärt,  weil  es  nicht  alle  wüssten,  nicht  blos^  der  gross* 
te  Mann  seiner  Zeit  gewesen,  so  dass  die  ganze  vVelt 
einen  so  grossen  Mann,  wie  er,  nicht  enthalten  (S.  18), 
sondern  auch  der  erste  und  grösste  Reformator,  wel- 
chem allein  die  protestantische  Kirche  all  ihr  Heil  zu 
verdanken  habe  (S.  23),  das  Licht  der  christlichen 
Welt,  ein  grösserer  Wohllhäter  der  Kirche  und  des 
Staats,  als  alle  seinl^  Zeitgenossern,  als  alle,  die  vor 
und  nach  ihm  gelebt  haben  (S.  37),  kurz  ein  Mann, 
dessen  Gleichen  die  Welt  in  allen  Jahrhunderten  vor 
ihm  nie  hervorgebracht  hat,  nach  nach  ihm  je  hervor» 
bringen  wird"(S.  7  der  Anmerkungen).  Was  für  ei- 
nen Ruhm  frage  Niederland  also  davon,  ein  sol- 
ches Wunder  der  Welt,  der  fast  mehr  Enget  als 
Mensch  gewesen  (S.  22  der  Anm.),  hervorgehrachl  so 
haben,  was  fiir  einen  Anspruch  auf  Dank  habe  es  an 
alle  protestantische  Völker!  Was  für  Lhre  verdiene 
endlich  dief  Behörde  seiner  Geburtsstadt,  Rotter- 
dam, ihm  ein  Denkmal  auf^^ertchtet  zu  haben!  (S.37) 
—  Alles  sind  wörtliche  Ausdrücke  der  Kircbenge- 
schichte;  — 

So  geht  das  in  langen  Wfederholangen  fort,  und 
kein  Wörtlein  wfrd  gesprochen,  —  ich  will  seine  Ei- 
telkeit, seine  andern  Schwächen,  selbst  sein  nieder^ 
trächtiges  Betragen  gegen  Hütten  nicht  einmal  er- 
wähnen ^  —   von  seiner  Feigheit  und  seinem   lUtangel 


.     487 

an  Glaubensklarhelt  und  Glaubensfestigkeit,  der  iira 
nie  auf  die  Seite  der  Reformation  öffentlich  treten 
liess,  von  seiner  heuchlerischen  Achselträgerei ,  womit 
er  beiden  Partheien  Recht  gab,  in  Briefen  an  Me- 
LANCHTON  sich  gegen  die  papistische  Parthei  erklär- 
te (s.  z.  B.  Erasmi  Epist.  L.  XIX.  Ep.  nS),  in 
seinen  Briefen  an  die  Kardinäle,  so  an  Campeggio, 
seine  unbedingte  Unterwürfigkeit  gegen  den  Papst  ver- 
sicherte (Z,  XI f^,  Ep.  /),  wie  er  sich  denn  auch  zu- 
letzt wieder  dieser  so  oft  von  ihm  verspotteten  und 
angefochtenen  Kirche  aufs  engste  anschloss,  und  in 
ihrem  Schooss^ starb,  so  dass  Adolf  Müller  in 
seiner  gekrönten  Preisschrift  über  E  RAS  MUS  von  ihm 
mit  Recht  sagen  konnte:  „er  hatte  sehr  viel,  (Ge- 
lehrsamkeit, feine  Bildung  etc.)»  aber  er  war  ^ehr 
wenig.** 

Als  die  Hauptursache  der  Reformation  wird  daher 
in  dieser  Kirchengeschichte  auch  nicht  anerkannt  die 
Wiederherstellung  der  allein  dem  Herzen  wahre  Ruhe 
gebenden  Lehre  von  der  Rechtfertigung  vor  Gott,  al- 
lein durch  den  Glauben  au  Christi  vollkommenes  Ver- 
dienst, in  Ihrer  {Feinheit.  Vielmehr  wird  behauptet: 
des  ErAsmus  Verdienste  hätten  vornämlich  die  Re- 
formation bewirkt,  welche  in  Folgendem  bestanden  hät- 
ten: er  habe  1)  den  Sinn  fürs  Schöne  durch  die 
Belebung;  des  Studiums  der  alten  Sprachen  erweckt; 
2)  ein  lebendiges  Gefühl  fürs  Wahre,  durch 
Verbreitung  des  hellsten  Lichtes  über  die  verschiede-* 
nen  Zweige  der  Theologie,  und  habe  die  allgemeine 
Krankheit  aller  damaligen  Christen,  den  Mangel  an 
freier  Untersuchung  der  Religionswahrheiten,'  geheilt, 
und  Liebe  für  solche  Untersuchungen  erregt  (S«  21. 
24.27,31),  3)  habe  er  das  Gefühl  fürs  Bessere, 
■für  Heiligung  durch  die  Verspottung  der  Sittenl'osig- 
keit*  der  damaligen  katholischen  Geistlichen  erweckt 
(S.  21.  27.  32). 

Bei  solcher  befangenen  Grundlegung,  bloss  um 
die  Ehre  zu  haben,  auch  einen  Reformator  unter  sei- 
nen Landsleuten  zu  zählen,  wo  aus  fleischlichem 9  eng- 


488 

henigem  Nationalstolze  ^  zngleich  der  Rahm  der  Men- 
schen auf  den  Yordergrand,  und  der  Rahm  Gottes 
und  Christi  auf  den  Hintergrund  gestellt  wird,  bei 
solcher  Beiseitesetzung  des  höchsten  Elementes  der 
Reformation,  des  reinen  Glaubens  an  Christum,  lässt 
sich  in  dieser  Kircbengeschichte  der  Geist  des  Glau- 
bens nicht  erwarten,  mit  dem  die  Geschichte  der  Fir- 
che  Gottes  behandelt  werden  muss.  Dies  zeigt  sich 
denn  auch  in  der  That  in  nicht  wenigen  Fällen ^  z.  B« 
in  der  unbedingten  Lobpreisung  der  Schriften  eines 
BOSVELD  und  Anderer  (IV.  278  ff.),  in  der  Lob- 
preisung der  Kirchengesellschaft:  Christo  Sacrum,  (IV. 
248  —  255),  von  welcher  Näheres  unten,  in  der  Dar- 
stellung der  gegenwärtigen  theologischen  Zeit  Hollands, 
als  des  goldenen  Zeitalters  der  Kirche,  weil  die  theo- 
logische Lehrfreiheit  jetzt  darin  herrscht,  u.  s.  w.  «— 
So  gemp  auch  zuzugestehen  ist,  dass  die  theologische 
Lehrfreiheit,  soweit  sie  nicht  in  Lehrfrechheit 
aMisartet,  eine  sehr  wünschenswerthe  und  rübmenswer- 
the  Sache  sei,  so  ist  doch  das  Vorhandensein  dersel- 
ben an  sich  noch  kein  Beweis  eines  goidenen  Zeital- 
ters der  Kirche.  Sonst  miisste  das  Zeitalter  Fhied- 
RiCtts  DES  Grossen  für  unsere  deutsche  evangeli- 
sche Kirche  das  goldene  Zeitalter  gewesen  sein,  weil 
darin  die  ungebundenste  Lehrfreibeit  herrschte.  Aller- 
dings offenbarte  sich  damals  der  krasseste  Rationalis- 
mus und  Naturalismus  ung^scheut  in  seiner  schamlose- 
sten Nacktheit,  und  Viele  riefen  darum  wirklieh  da- 
mals ;ene  Zeit  fiir  die  goldene  Zeit  der  Theologie  aus. 
indess  bat  sieh  die  Ansicht  hierüber,  Gott  sei  Danlc! 
jetzt  in  einem  grossen  Theile  unsers  Deutschland«  ge- 
ändert. 


^)  Die  Generalsynode  der  presbyterianischen  Kirche 
Nardamerika'i»,  sagt  in  einem  vom  Geiste  Christi 
durchdrungenen  Antwortschreiben  an  die  indepen- 
denten  Prediger  zu  London  im  J.  182&:  „Wi/  mö- 
„gen  von  keinem  Nationalstolze,  so  wenig  als 
„von  irgend  einem  andern  Stolze  etwas  wissen. ^ 
Kv«  Kirchenzeitung  1830  S«  448. 


489 

t  I 

Ob  endlich  obiges  Werk  zu  äen  Punkten,  worü- 
ber 'die  Mefnnngen  der  Holländer  selbst  sehr  verschie- 
den sind,  z.  B.  über  die  Geschichte  der  Trennung 
zwischen  Remonstranten  und  Contraremon- 
stranten,  immer  das  Richtige  trifft,  wage  ich  nicht 
zu  entscheiden.  Manche  Holländer  laognen  es.  So 
ist  in  diesem  Jahre  zu  Rotterdam  bei  van  deh  Meeren 
Yerbrvgge  eine  Schrift  erschienen:  De  JSere  der  Ne* 
derlandsche  Kerh  i^rdedigd  tegen  Ypet  i^  JDsR" 
MOUTfh  ThL,  von  van  der  Kemp,  einem  geist- 
vollen Advocaten  im  Haag,  welcher  besonders  in  Ab- 
sicht des  eben  erwähnten  Punktes  die  beiden  Verfasser 
zu  widerlegen  sucht,  und,  wie  ein  Theil  der  Holländer 
behauptet,  mit  entscheidendem  Erfolge. 

Ypet  hat  früher  schon  mehrere  andere  kirchen- 
historische Sekriften  herausgegeben,  die  ausführlichste 
unter  dem  Titel: 

GeschiedeTus  der  chriatefyhe  Kerh  in  de  *8de  eeuu\ 
12  Thle.  1797  —  1811. 

£r  hat  darin  sehr  ausfuhrlich,  aber  auch  oft  mit 
grosser  Weitschweifigkeit  die  Kirchengeschichte  aller 
christlichen  Confessionen ,  nnd  zwar  der  andern  Län- 
der, sowohl  als  Hollands,  ain  ausführlichsten  jedoch 
die  des  Vaterlands,  behandelt.  Der  Geist  des  Werks 
ist  derselbe,  wie  im  vorhergehenden. 

W.  Broes, 

Prediger  zu  Amsterdam,  ein  sel^rter,  bei  der  Re- 
gierung sehr  angesehener,  und   hierdurch  auf  die  Kir- 
che einflussreicher  Geistlicher,   im  J.  1&15   auch  Mit- 
glied  der   kirchlichen    Commission,    welche    die   neue 
Kirch enverfassung  entwarf  (s.  S.  13),   und  nachher  oft 
Mitglied  der  G'Cneralsynode,  hat  sich  als  kirchlich  -  po- 
litischer Schriftsteller  durch  2  Schriften  ausgezeichnet. 
Die  ausführlichste  ist: 
Z>e   engelsche  herpormde   Kerh^    henevene    hären 
invloed  op  onze  nederlandsche ,    pan  den   tyd 
der  herpornUng  aan.  2  Thle.,  Delft  bd  kh- 
LART  1825. 


490 

Der  erste  Thcil  bandelt  bloss  von  der  en;:^liscben 
ond  scbottiscbcni  Kircbe,  gibt  zaerst  eine  ausfuhriidie 
Lebensbeschreibung  des  Reformators  Englands,  Chan- 
MER,  womit  die  Gescbichte  der  Episcopalkirche  ver- 
bonden  wird,  dann  eine  noch  ausrdhrlicbere  Scfailde- 
rang  des  Lebens  des  schottischen  Reformators  Knox, 
und  die  schottische  Reformationsgeschichte,  darauf  die 
Vergleichnng  der  bischöflichen  mit  der  presbyferiaoi- 
Icheu  Kirche  in  Absicht  der  liturgischen  Form  ^  end- 
Mch  die  Geschieht^  der  Methodisten,  Quäker  und  der 
übrigen  protestantischen  Dissenter» 

Der  zweite  Theil  enthält  eine  interessante  Darstel- 
lung des  politischen  und  religiösen  Einflusses  Englands 
auf  Holland  seit  der  Reformation,  des  Einflusfses  der 
dogmatischen,  exegetischen  und  praktischen  Theologie 
Englands  auf  die  holländische,  und  des  Einflusses  der 
englischen  Bibel  -  und  Missionsgesellschafl  auf  die  hol- 
ländische Kirche. 

In  beiden  Theilen  zeigt  er,  dass  er  an  der  Sum- 
me des  christlichen  Glaubens  festhält,  wie  er  denn 
auch  wiederholt  fiir  die  Nothwendigkeit  der  Gnadeu- 
wirkungen  des  h«  Geistes  zur  Erneueruag  des  verdor- 
benen Herzens  ausspricht,  welche  Lehre  von  vieleu 
neueren  holländischen  Theologen,  wie  oben  bemeHct, 
so  gerne  in  den  Hintergrund  gestellt  Wird.  Zugleich 
ist  sein  Urtheil  über  nie  verschiedenen  christlichen 
Confessionen  sehr  gemässigt,  namentlich  über  die  Me- 
thodisten und  Quäker  sehr  mild,  und  im  Allge- 
meinen richtig.  Eine  unrichtige  Angabe  L  214,  dfe 
Methodisten  betreffend ,  dass  sie  die  bischöfliche 
Liturgie  noch  allgemein,  wiewohl  abgekürzt  gebrauch- 
ten, will  ich  hier  nur  beiläufig  rügen,  da  ich  darüber 
anderwärts  ausführlicher  gehandelt  habe*),-  Auch 
scheint  er  nicht  zu  wissen,  dass  die  Methodisten  ein- 
zelne engherzige  Ansichten^  welche  sie  bei  der  Entste- 
hung ihrer  Kirchengesellschaflt  hegten ,   jetzt  fast  allge- 

*)  S.  meine  liturgische  Mittheilungen  aus  Holland  und 
England  S.  86. 


491 

I 

roein  haben  fahren  lassen.  Ans  beiden  Panlten  er- 
hellt, dass  er  sie  .nur  aus  Büchern,  nicht  aus  eigener 
Anschauung  kennt.  Auch*^  Sber  die  andern  Disscnter, 
so  wie  über  die  religiöse  Freiheit,  welche  der  Staat 
zu  verleihen  hat,  nnd  über  ihre  Grenzen  macht  er  in- 
teressante, von  einem  richtigen  Urtheile  und  grosser  . 
Geschichtskenntniss  zeugende  Bemerkungen. 

Dass  er  in  seinen  ürtheilen  über  die  Abweichun- 
gen vom  Glauben  der  Kirche  zu  grosse  Nachgiebigkeit 
zeigt,  so  II.  218.  236  u.  a.  a«  O.,  und  wenn  vom  le- 
bendigen Christenthum  die  Rede  ist,  sogleich  grosse 
Angst  vor  Pietismus  verräth,  so  I.  204.  241.  244.  251« 
li.  224,  zeigt,  dass  auch  seine  Rechtgläiibigkeit  melir 
historischer  Verstand esglanbe,  als  ein  Lebendiger  Her- 
zensglaube ist 

Noch  deutlicher  geht  dies  aus  dem  sonst  sehr  in- 
teressanten Aufsatze  hervor,,  den  er  dem  IL  Theile 
seiner  Schrift  angehängt  hat,  S.  203  — -  254,  mit  der 
Aufschrift: 

Welcher  £  in  fluss  bei  dem  drohenden 
Ansehen  des  römischen  Ratholicis- 
mus  für  die  niederländische  pro- 
testantische Kirche  zn  ihrer  Be- 
schirmung aus  England  erwartet 
werden  mag. 

Die  Gefahren  sieht  er  besonders  in  2  Stücken: 

1)  in  der  Verbindung  der  10  ganz  katholischen  süd- 
lichen Provinzen  Niederlands  mit  den  7  nar  gros- 
sentheils  evangelischen  nördlichen,  und  in  dem 
Punkt  der  niederländischen  Regieningform,  dass 
auch  ein  Katholik  das  Regiemngsoberhaupt  sein 
darf,  überhaupt  in  der  römischen  Proseljtenma- 
cherei  und  dem  feindseligen  Geist  der  Grund- 
principien  des  römischen  Katholidsmus  gegen  die 
Protestanten ; 

2)  im  Zunehmen'  der  Lauheit  und  Unwissenheit,  des 
Naturalismas  und  Mjsticismus  S.  212.  216  ff. 


vi 


*■' 


492 

la  Bezug  auf  den  letzteren  glaubt  er,  dass  beson- 
ders die  neuesten  Vertheidiger  des  Glaubens  der  hol' 
ländischen  rcformirten  Kirche,  BiLDERDTK,  Da  Co- 
sta, Capadose  u.  a.  (über  sie  's.  Näheres  unten) 
schädlich  wirkten,  weil  sie,  obgleich  fUr  den  Prote- 
stantismus streitend,  gleich  als  Freicorps  Im  Heer,  mit 
▼iel  Eifer,  aber  wenig  Klugheit  die  Treue  der  Anfüh- 
rer (der  Prediger)  verdächtig  machten,  dadurch  Zwie- 
spalt im  protestantischen  Vertheidigungsheer  erregten, 
durch  ihre  Vertheidigung  der  reformirten  symbolischen 
Bücher  Gewissenszwangs  beförderten,  und  hierdurch, 
so  wie  durch  ihre  lauten  Klagen  über  die  Zunahme 
dts  Unglaubens  in  der  reformirten  Kirche,  und  durch 
ihre  Vertheidigutig  einer  unbeschränkten  monarchischen 
Verfassung  den  Katholiken  unbewusst  in  die  Hände  ar- 
beiteten. 

Hiergegen  ist  jedoch  zu  bemerken,  dass,  wenn 
gleich  nicnt  alle  Schritte  der  genanntcfn  Graubensver- 
iheidiger  sich  rechtfertigen  lassen,  wie  sich  unten  zei- 
gen wird,  Broes  zu  viel  verlangt,  wenn  er  begehrt, 
dass  sie  über  den  Unglauben  in  ihrer  Kirche  nicht  kla- 
gen sollen,  worüber  er  doch  selbst,  nur  nicht  so  stark, 
klagt,  bloss  damit  die  Katholiken  sieh  nicht  darüber 
freuen  sollen,  und  weil  er  furchtet,  dass  sie  ihnen  da- 
durch in  die  Hände  arbeiten  mögen«  Denn  fürs  erste 
sind  diese  Männer  selbst  entschiedene  und  glaubens- 
treue Protestanten,  wie  aus  der  vortrefflichen  Antwort- 
schrift Da  Costa's  an   Le  Sage  ten  Broek*) 


*)  J.  G.  Lr  Sage  TEN  Broek,  ein  zelotischer  rom. 
katholischer  Proselytenmacher  zu  Rotterdam, 
forderte  den  Bilderdtk  und  Da  Costa  im  J. 
1829  in  öffentlich  gemachten  Sendschreiben  auf, 
zur  röm.  kath.  Religion  überzutreten,,  worauf  der 
letztere  im  October  desselben  Jahres  ein  Antwort- 
schreiben drucken  liess,  unter  dem  TUel:  Amwoord 
aam  den  Heer  J.  G.  Le  Sage  TEN  BboeKj  Am- 
sterdam bei  Den  Oudkn.  Hierin-  widerlegt  er  mit 
flo  viel  Liebe,  Ruhe  und  Klarheit,  und  mit' einem 
so  lebendigen,   fühlbar  aus  dem  Herzen  und  darum 


i 


493 


zu  ersehen  ist.  Fürs  zweite  streiten  sle^  wenn  sie  für 
die  Wiedererweqknng  eines  lebendigen  Glaubens  an 
Christum  kämpfen,  was  sie,  wenn,  gleich  zu  stürmisch 
und  etwas  engherzig,  jedoch  nicht  ohne  Segen  thun, 
kräftiger  und  siegreicher  gegcfn  den  Katholiciimus,  als' 
die  Rationalisten  mit  aller  Verbreitung  ihrer  falschen 
Aufklärung.  Denn  gera'de  der  Rationalismus  ist  sehr 
nahe  mit  dem  Katholicismus  verwandt,  und  gibt  ihm 
am  leichterten  nach,  was  Professor  Sartorius  in 
seiner  bekannten  Schrift  gezeigt  hat,  Broes  selbst 
zugesteht  II.  239*),  und  die  Erfahrung  noch  immer 
bestätigt. 

Seine  Rathschläge  an  die  niederländischen  Prote- 
stanten, sich  gegen  jenes  Andringen  des  Katholicismus 
zu  schützen,  siad  nun  folgende: 

1)  Festigkeit  gegen  die  Katholiken  zu  beweisen; 

2)  möglichste  Umsicht  und  Toleranz,  Vermeidung 
selbst  des  bösen  Scheins  von  ProselytenmacheFei, 
daher  er  so  weit  geht,  selbst  das  Anbieten  katbo* 
lischer  N.  T.  an  Katholiken  abzurathen  (S.  234); 

3)  Widerstand  gegen  die  Neologie.  Dieser  3.  Punkt 
wird  aber  von  ihm  lange  nicht  stark  genug  ange- 
drungen, obgleich  er  der  wichtig;ste  ist.  Er  spricht 
nicht  von  Verbreitung  der  h.  Schrift  in  die  Schu- 
len,  deren  Verbannung  aus    denselben   wir   oben 


auch  wieder  zu  Herzen  dringendei^  Glauben  die 
Uauptunterscheidungslehren  der  Katholiken  mit  sol- 
cher siegenden  Gewalt  aus  der  h.  Schrift,  dass  ich 
mich  nicht  scheue,  zu  behaupten,  Da  Costa  habe 
allein  mit  diesem  Büchlein  kräftiger  und  erfolgrei- 
cher gegen  das  Andringen  des  röni.  Katholicismus 
in  Holland  gestritten,  als  Broes  mit  allen  seinen 
oben  angegebenen  Sicherheitsniaassregeln. 

'*')  Auch  Prediger  van  Hbiningen  erkllU:t  in  der 
Vorrede  zu  seinen  Bybeloefeningen  über  die  Apost. 
Gesch.,  1828,  dass  der  Protestantismus  weit  grös- 
sere Gefahr  von  dem  Rationalismus  zu  fürchten 
habe,  als  von  der  rüm.  katholischen  Proselytenma- 
cherci. 


494 

9 

\ 

als  eine  so  starke  Quelle  des  Unglaubens  bekla- 
gen mussten,  spricht  nicht  von  möglichster  Ver- 
breitung der  h.  Schrift  unter  das  Volk,  und  der 
Beförderung  der  Bibellust  und  Bibelkenntniss,  als 
V^affe  dagegen,  sondern  nur  von  Verbreitung  der 
Schrift  des  ViLLERS  iiber  die  Reformation  und 
ähnlicher  Schriften  (S.  237); 

4)  sich  zu  hüten  vor  Freiheitsschvrärmerei ,  nicht 
bloss  in  Glanbenssachen,  sondern  auch  in  politi- 
schen Ansichten^  vor  einem  revolutionären  Ultra- 
Liberalismus  (S.  239).  Dies  ist  eia  sehr  richtiger 
und  wichtiger  Rath; 

5)  möglichste  Verbindung  der  verschiedenen  Klassen 
Protestanten  mit  einander; 

€)  Anknüpfung  möglichst  enger  Verbindungen  mit 
England  durch  fleissige  Correspondenz  zwischen 
Staatsmännern^  Kaufleuten,  Künstlern  und  Gelehr- 
ten beider  Nationen,  wobei  die  holländischen 
Theologen  den  Rath  erhalten,  ihre  hteiaisch  her- 
ausgegebenen Schriften  den  englischen  Theologen 
zu  schenken  und  dg!.;  namentlich  auch  engere 
Verbindungen  mit  der  englischen  Bibel-  und  Mis- 
sions -  Gesellschaft  einzugehen,  diese  zum  Central- 
punkt  aller  europäischen  Bibel  -  und  Missions- 
Gesellschaften  zu  machen  etc.  Die  holländische 
Kirche  könne  unter  allen  evangelischen  Ländern 
am  ersten  und  sichersten  von  England  Schutz  und 
Hülfe  erhalten,  wegen  seiner  Nähe,  seiner  Macht, 
seines  Eifers  für  den  Protestantismus  und  seiner 
ausscliliessend  protestantischen  Regierungsform, 
seines  ausschliessend  protestantischea  Parlaments 
u.  s.  w, 

Die  letzte  dieser  Stützen  ist  mittlerweile  schoa 
gefallen  durch  die  Emancipation  der  Katholiken,  znm 
Zeichen  auch  für  Broes,  dass  man  nicht  Fleisch  soll 
für  seinen  Arm  halten,  so  wie  mittlerweile  auch  ande- 
rerseits ein  Grund  der  Furcht  von  Broes  weggefal- 
len ist,  die  Furcht  wegen  der  politischen  Verbindung 
der   katholischen    südlichen   Provinzen   mit   den   ^örd* 


\ 

I 


495 

Heben,  ohne  der  halländischen  Protestanten  ZaÜHin, 
zum  Zeichen  y  dass  der  Herr  mm  Helfen  ihrer  nicht 
bedarf. 

Jene  angeratbeneu  Kunst-,  Handels-,  Gesell- 
scbafts-  und  gelehrten  Verbindungen  mit  £ngland  wer- 
den wenig  helfen,  und  knüpfen  das  Band  zwischen 
beiden  Völkern  nicht  fest  für  die  Fälle  der  Notb. 
Das  thut  nur  der  Glaube,  dies  aliein  unauflösbare 
Bindemittel  der  Herzen.  Pflegt  diesen  in  Niederland, 
pflegt  und  belebt  ihn  je  mehr  und  mehr  bei  eueren 
Bibel-  und  •  Missions  -  Gesellschaften  (vgl.  !•  Band  S« 
280.  28t.  285.  286)!  Dann  werden  die  Herzen  aller^ 
gläubigen  Engländer  euch,  nahe  sein,  ,und,  wo  die 
Herzen  verbunden  sind,  da  knüpfen  sich  die  äusseren 
Bande  von  selbst. 

Als  einen  ferneren  Schutz  gibt  .  Broes  den 
Zeitgeist  an,  der  vorwärts  zum  Licht  strebe^  und 
endlich  auch  Gottes  Vorsehung« 

So  zu  allerletzt  und  so  schwach  hätte  diese  stärk- 
ste aller  Stützen  doch  nicht  vermeldet  werden  solleil! 
Das  kann  nur  der  zaghafte  Kleinglanbe  thun.  Das 
thut  nicht  der  lebendige,  apostolische,  nichts  fürchten- 
de und  darum  die  Welt  überwindende  Glaube,  der 
da^  spricht:  Ist  Gott  für  uns,  wer  mag  wider 
uns  sein?  Das  thut  nicht  der  demüthig- starke  Glau- 
be eines  David  gegen  Goliath,  der  in  der  felsen- 
festen Gewissheit  zum  Kampf  geht,  dass  der  Streit 
nicht  sein  sei,  sondern  des  Herrn,  und  darum  müsse 
er  überwinden.  Und  warum  sollten  wir  nicht  dieselbe 
felsenfeste  Ueberzeugung  haben ,  dass  der  StreU  zwi- 
schen dem  evangelischen  Lichte  und  der  papistisch^n 
Finsterniss  des  Herrn  sei?  Fehlt  diese  Ueberzeugung, 
dann  haben  wir  nicht  den  wahren,  gewissmachenden 
evangelischen  Glauben.  Q  wir  Kleingläubigen!  Wie 
ganz  anders  war  doch  Welt  und  Teufel  gegen^  das 
evangelische  Licht,  dls  Luther  nach  Worms  zog, 
und  doch  sang  sein  Herz  und  Mund:  Ein'  feste 
Burg  ist  unser  Gott!  Und  jetzt,  wo  das  Senf- 
korn  des    evangelischen    Glaubens    lu    einem   Baume 


5J 
9> 


496 

Golles  geworden  ist,  welcher  in  allen  WdttlieUen  seine 
Wurzeln  geschlagen,  die  darch  die  Stürme  von  drei 
Jahrhunderten  nur  desto  mehr  sich  befestigt^  welcher 
viele  Millionen  Menschen  unter  seinen  Zw^gen  er- 
quicket, jetzt,  wo  die  Bibel- und  Missions-Ge- 
sellschaften mit  dem  ewigen  Eyangeiium  über  alle 
Meere  zu  allen  Völkern  hinfliegen,  um  sie  mit  dem 
evangelischen  Licht  zu  erleuchten,  wo  noch  in  der 
neuesten  Zeit  das  mächtige  Frankreich  den  evange- 
lischen Christen  ganz  gleiche  Religionsfreiheit  mit  den 
katholischen  eingeräumt,  wo  die  südamerikani- 
schen Freistaaten  einer  nach  dem  andern  Reli- 
gionsfreiheit zugestehen,  sollte  jetzt  der  evangelische 
Christ  nicht  vielmehr  danken,  als  zagen  und  klagen? 
—  O!  wenn  wir  nur  mehr  dankten  und  glaubten,  wir 
würden  auch  mehr  die  Herrlichkeit  Gottes  sehen. 

Darum,  mein  lieber  Broes,  nimm  die  Worte 
zu  Herzen,  mit  'welchen  LuTHER  von  Coburg  aus 
dem  verzagenden  Melanchton  zu  Augsburg  1530 
Muth  zusprach,  als  auch  zu  dir  geredet:  ,J^ieber  Pbi- 
„lippe,  euerer  grossen  Sorge,  damit  ihr  euch  plaget, 
„bin  ich  von  Herzen  Feind.  Dass  sie  in  .euerem  Her- 
„zen  so  überhand  nimmt,  ist  nicht  der  grossen  Sachen, 
sondern  unsers  grossen  Unglaubens  Schuld.  Denn 
eben  die  Sache  ist  viel  grösser  gewesen  zur  Zeit  Jo- 
HANNis  Huss  und  vieler  anderer,  als  sie  zu  un- 
„sern  Zeiten  ist.  Und  ob  sie  gleich  gross  wäre,  so 
„ist  auch  der  gross,  der  sie  angefengen,  und  führt; 
„denn  sie  ist  nicht  unser  ....  Euere  Philosophie^ 
,;nicht  .Theologie  plaget  euch  also.  Christus  ist  fdr 
„die  Sünden  gestorben  Einmal,  aber  für  die  Gerech* 
„tigkeit  und  Wahrheit  wird  er  nicht  sterben,  sondern 
„er  lebet  und  regieret,  ist  das  wahr,  was  sorgen  wir  ■, 
„denn  für  die  Wahrheit,  weil  er  regieret?  ....  Aber 
„mein  Schreiben  ist  vergebens;  ihr  wollt  nach  eoerer 
„Philosophie  diese  Sachen  regieren,  das  ist,  wie  jener 
„sagt,  mit  VernunA:  toll  sein,  martert  euch  selbst,  and 
„sehet  nicht,  dass  diese  Sache  nicht  in  euerei*  Madl 
„oder  Klugheit  steht.    Und  da  sei  Gott  für,    dass  M 


. 


497 


„in  euere  iMacht  oder  Klugheit  gcrathe!  Denn,  wo 
„das  geschähe^  so  wären  wir  alle  sämmtlich  fein  und 
, 5 baJd  verloren." 

Djfs  zweite  historische  Werk  von  Broes  ist: 

G-eschiedhindig    onderzoek    oper    de     Vereeniginq 
der   Protestanten  in  de  Nederlanden,     Haag 
•  bei  Allart  1822. 

Zuerst  beschreibt  er  darin  die  Geschichte  der 
Trennung  der  Protestanten  in  Deutschland,  dann 
sehr  ausführlich  die  der  Trennung  in  Niederland, 
darauf  in  mehreren  Zeitperioden  die  allmälige  Annä- 
herung der  verschiedenen  Confessionen  zu  einander, 
sowohl  in  Deutschland  wie  in  Niederland,  und  die 
endliche  Vereinigung  derselben  in  Deutschland.  In 
Gap.  11  schildert  er  den  gegenwärtigen  Zustand  der 
grossen  gegenseitigen  Toleranz  und  Verträglichkeit  zwi- 
schen den  verschiedenen  protestantischen  Confessionen. 

Dieser  Schilderung  zufolge,  —  ihre  Wahrheit 
kann  ich  aus  Erfahrung  bezeugen,  —  werden  von  den 
reformirten  Kanzeln  nicht  mehr  die  remonstrantischeu 
und  lutherischen  streitigen  Lehrpunkte  bestritten,  diii 
reformirten  Prediger  helfen  bei  Vacanzen  lutherischer 
Gemeinden  in  deren  Kirchen  predigen,  bisweilen  be- 
steigen auch  lutherische,  remonstrantische  und  taufge- 
sinnte Prediger  reforrairte  Kanzeln.  Viele  Reformirte 
besuchen  die  Predigten  ausgezeichneter  lutherischer, 
remonstrantischer  und  mennonitischer  Prediger  und 
umgekehrt.  Ferner  dürfen  nach,  den  Verordnungen 
der  reformirten  und  lutherischen  Synoden  1817  und 
1819  alle  andern  evangelischen  Christen  in  den  refor- 
mirten und  lutherischen  Kirchen  das  heilige  Abendmahl 
mitfeiern  (s.  I.  Band  S.  b*l),  zwei  reformirte  Synodal- 
glieder  wohnen  als  Ehrenmitglieder  den  öffentlichen 
Sitzungen  der  lutherischen  Synode  bei,  und  umgekehrt. 
An  der  Bibel  -  und  Missionsgesellschaft  nehmen  evan- 
gelische Christen  aller  Confessionen  Theil,  und  die 
evangelischen  Gemeinden  in  Südniederland,  den 
Armenkolonien  und  den  indischen  Kolonien 
^ind  vom  Könige  fiir  pj^ptes.tantische    Gemeinde ji 

II.  38 


40S 


trUürt,  und  somit  wenfgstens  dem  Mamen  nach  for 
vereinigt  erkPirt  worden  (s.  S.  39.  42.  129).  Aoch 
wurde  das  Rerormalioosfest  1817  von  den  Reformir- 
ten,  Remonstranten  und  Taafgesinnlen  in  briiderlicher 
Vereinigung  mit  den  Lutheranern  gefeiert. 

Keineswegs  ist  aber  desh;ilb  dieJVIeinanff  PlANCK's 
in  seiner  SchriH:  die  Trennung  und  Wieder- 
vereinigung der  christlichen  Hauptpar- 
theien >.  249  richtig,  dass  eine  Vereinigung  der  ver^ 
schiedenen  Protestanten  Hollands  nicht  mehr  fern  seL 
Noch  immer  sind  sie  weit  mehr  von  einander  entfernt, 
als  in  den  deutschen  f/andern,  wo  die  Union  noch 
nicht  vollzogen  isL  Dies  kommt  daher,  dass  jede 
Kircbenparthei  ihren  esprlt  de  corps  hat,  dass  die  klei- 
neren Partheien  die  Vereinigung  nicht  sehr  wünschen, 
weil  Sie  furchten,  sonst  in  der  übermächtigen  refor- 
.mirten  Parthei  einzuschmelzen  und  unterzugehen,  dass 
die  remonstrantische  und  mennonitische  Partheien,  wel- 
che gar  keine  feste  äusserliche  Glaubensnormen  haben, 
auch  keine  von  irgend  einer  Art  annehmen  sollen, 
dass  die  Mennoniten  ihre  zwei  inconsequent  festgehal- 
tenen symbolischen  Lehren,  die  Verwerfung  der  Kin- 
dertaufe und  des  Kides  nicht  aufgeben  wollen,  was  die 
Vereinigung  selbst  zwischen  ihnen  und  den  ihnen  am 
nächaten  stehenden  Remonstranten  bisher  unmöglich 
gemacht  hat,  und  dass  sie  ihr  bei  vielen  Gemeiodea 
seh^  reiches  Kirchenvermögen  nicht  mit  den  andern 
theilen  wollen,  dass  endlich  die  reformirte  Parthei,  als 
die  früher  herrschende  und  bei  weitem  zahlreichste 
nicht  zuerst  die  Hand  zur  Vereinigung  bieten  will,  * 
auch  ihr  reiches  Kirchenvermögen  nicht  mit  den  ärme- 
ren Schwestern  theilen  will,  endlich  den  heidelbergi- 
Bchen  Kafochismus  als  Gegenstand  der  sonntäglichen 
Nachmit'agspredigten,  so  wie  die  übrigen  symbolischei 
Bücher  ihrer  Kirche  festhält,  wenn  schon  nur  unter 
der  bekannten  bedingten  VerpflicbtungsformeL 

Broes  erklärt  daher  S.  301  —  368:  Die  Vera- 
nt^ng  der  protestantischen  Partheien  sei  fdr  jetst  aock 
ftkbt  aaxnratben»  üAittik  kern  bcsonderier  VorthcÄ  fir 


diesen  AngenbRck  davon  xn  erwarten  ^  vielmehr  sdli^ 
ta  fürchten  sei,  dass  ein  Versnch  der  Vereinigiing  we» 
gen  des  noch  nicht  gering  fortgeschrittenen  Yotksgei^ 
stes  und  der  andern  Hindernisse  grosse  Nachtheile^ 
namentlich  grössere  Zwietracht,  als  jettt  vorhanden, 
bringpn  möge«  Bei  der  Beförderung  der  Union  sei 
der  Wahlspruch  za  befolgen:  Eile  mit  W^ilc! 
Man  miisse  sie  daher  langsamer  Hand  vorbereiten,  da- 
durch, dass  jede  Parthei  möglichst  von  ihren  Verschre» 
denen  kirchlichen  Formularen  und  litorgtschen  Formen 
wegnehme  und  vereinfache,  die  streitigen  (ilaubensleh- 
ren  nicht  öffentlich  berühre,  dagegen  die  Punkte,  wo« 
rin  sie  alle  Eins  seien,  möglichst  im  öffentlichen  Unter- 
richt hervorbebe;  namentlich  daher  den  sittlichen  Zweck 
des  Christenthums,  dass  endlich  alle  protesta'titiirchen 
Partbeien  zusammen  etwa  eine  TUenda,  eine  Vertheidi- 
gungsgemeinscbad  gegen  den  röm.  Katholicismus,  auf- 
richteten. Denn  l^opa^andaa  seien  des  protestanti- 
schen Geistes  unwürdig.  So  werde  allmählig  das  Ziel 
erreicht,  und  die  sehr  wünschenswerlbe  vollkommene 
Vereinigung  der  Protestanten  bewirkt  werden« 


ni.    Systematische    Tfaeolo|;ie. 


A)  Dogmitik, 

MüNTiüGHB» 

gab  zaerst  im  J«  1800  heraus: 

PatB  Theohgiae  c/iristianae  tkeoretieat  m  entl^ 
pendium   ndaciaf  2  Thle«,   Groningen   bei- 

OOMKEiNS. 

Der  erste  Theil  entbSlt  die  Dogmattk,^  der  swelti 
die  Dogmengescbicbte»  und  von  beiden  ist  eine  tü 
Augßb%  Uit  ond  Utt  eNdtteoeo.    Beide  biidea  ei% 


50Q 

a«ch  ia  den  $§«.  fortlaufendes  Ganzes.  Ueberali  Ut 
viele  Literatur  angeführt  Es  war  dies  die  erste  hol- 
ländiscbe  refocmirte  Dogmatik,  welche  sich  von  scbul- 
gelehrten  Spitzfindigkeiten  und  den  Banden  eines  be- 
sondern  kirchlichen  Systems  frei  erhielt.  Sie  ist  im 
Ganzen  gläubig,  und  beruht  aaf  gründlichen  biblischen. 
In  der  Regel  sehr  unbefangenen  Forschungen,'  und  be- 
rührt mit  mildem,  versöhnendem  Geiste  die  Streitpunk- 
le  mit  der  lutherischen  Kirche. 

Indess  finden  sich  doch  auch  in  diesem  freßlichen 
"Werkj   wie  in  seinem  andern  oben  beurtbeilten  Wer- 
.  ke,  einzelne  Zeichen  eines  mehr  änsserlichen,  und  da- 
her .schwankenden ,  in  einigen  Punkten  etwas  zu  nach- 
.giebigen   Glaubens,   so    z.  ß.   seine  Ansicht  von   den 
messianischen    Weissagungen    des  A.  T.   L   Tbl.   §§• 
312  —  814,  seine  grosse  Aengstlichkeit  inEetrefF  der 
Gnadenwirkungen  des  h.  Geistes  §§•  298  »-  303.     So     i 
schlägt  er  die  natürliche  Verdorbenheit   des   Menschen 
zu  gering  und  seine   natürlichen   Anlagen   zum    Guten    ' 
jiu  hoch  an,    so  dass  er  denn  auch  die  5te  Frage  des    \ 
Heidelberg»    Katechismus    in   gewisser  Hinsicht   tadelt.    { 
.SS*  173  —  180« 

Tan  Voorst, 

^al)  zuerst  im  J.  1808  heraus: 

jCompendä  Theologiae   Christianae  ordo  et  argu* 

mentum.  Pars  theoretica.    II«  Ausgabe  1814, 

Leiden  bei  HoincGOP. 

Es  ist  ein  kurzer,    dünner  Abriss   der  Dogmatik, 

ohne  Literatur.    Der  Geist   d^  Buchs  Ist  im   Ganzen 

gläubig,,  biblisch  und  von  scholastischen  Spitzfindigkei-   . 

ten  frei.    Jedoch  zeigt  sich   der  Glaube  auch  hier  und 

da  sehr   schwankend.      So   nimmt  er   die  Einwirkung 

.  Itöser  Geister  auf  die  Besessenen  zu  Christi  Zeit  nur 

:  für  jurcbabile  an ,  Loc.    VI.  S.  61.     Dass  der  Glanbe 

von  ihm  mehr  bloss   kalt,    wissenschafUieh  «nd    histo- 

*  risch  aufgefasst,  eiq  Kfit  des  Verstandes  ist,  ergibt  sich 

gaus. seifier  Lehre  vom  Glauben,. der  Wiedergebart  ^qd 

,-d^n  WitIruW»  4««  hi  Geistes,. Z«?.  XIIl^  ß-io^r 


50t 

il5»  so  wie  von  dier  glanbigen  Gemeinschaft  mit  Gotl 
und  Christo,  welche  er  bloss  als  einen  perpetuum  sirf* 
gularem  Vei  faporis  usum  bezeichnet-  Loc*  Xiy\. 
6.  120.  121. 

Heringa 

schrieb  die  von  der  Haager  Gesellschaft  im  J.  1189 
gekrönte  Preisschrift: 

VerhandeUng  ten  hetoogey    dat    Jesus    en    zyne 
Apostelen  sich  doorgaans  niet  geschickt  heh^ 
hen  ncuir  de  perheerde  dentheeÜen  inm  kunne 
tydgenooten. 
In  dieser  trefüichea  Schrift  über   Sie  Aecomo« 
dation  Christi   und   der   Apostel  wird  vorzug- 
lich Steinbart's  and  Bahrdt's  Accomodations«» 
lehre  bestritten,  so  wie  die  Gründe  Semler's,  Tel« 
LER*s  und  des  holländischen  Predigers  P.  TAN   He-- 
HERT  fiir  dieselbe. 

Die  erste  Abtheilnng  S.  15  —  122  widerlegt 
diese  Accomodatlonslehre  im  Allgemeinen  und  zeigt, 
dass  1)  der  Charakter  Christi  und  der  Apostel  sie  nicht 
zulässt,  2)  die  Glaubwürdigkeit  derselben  dann  völlig 
vernichtet  wird,  3)  die  Allgemeinheit  und  4)  die  ewige 
Geltung  seiner  Lehre  dadurch  aufhört.  5)  Durch  sol- 
che Accomodation  haben  sie  sonst  die  Welt  mehr-rer» 
dorben  als  gebessert,  da  fast  alle  Zeiten  und  Völker 
der  Christenheit  diese  Accomodation  für  wirkliche 
Wahrheit  aufgenommen  haben.  6)  —  8)  Die  von  ih- 
nen beständig  gepredigte  Lehre  stimmte  keineswegs  mit 
dem  GeschmacK  der  Zeitgenossen  überein.  9)  t—  11) 
Sie  lehrten  stets  nur  einerlei  Lehre,  hatten  keine  zwei- 
erlei Lehre,  eine  Yolkslehre  und  eine  Geheimlehrew 
12)  Die  unbestimmte  Annahme  der  Accomodationslehre 
hebt  alle  öewissheit  auf,  was  denn  von  der  christlichen 
Religion  Wahrheit,  und  was  Accomodation  sei,  und 
bringt  Widersprüche  in  die  Lehren  der  Apostel»  13) 
Christus  und  die  Apostel  werden  dadurch  Heachler 
find  Betrüger.  14)  Solche  betrügerische  und  jesnitische 
AfcomodatioD  ist  alsdann  einem  Jeden  erlaubt  -^ 


5oa 

Sodann  «eigt  er  noch  besonders,  dass  Chrtstaa 
«nd  die  Apostel  sick  in  ihren  Lehren  so  wenig  acco* 
modirt  hätten,  dass  diese  vielmehr  mit  der  Sittenlehre 
der  Juden,  ihren  religiösen  Vorstellongen  voni  Mes- 
sias, vom  Opferdienst,  Fasten,  Gebet,  ßesch neidung, 
Osterlamm  etc.  in  HIrecfem  Widerstreit  gestanden  hät- 
ten. Eben  so  wenig  hätten  sich  die  Apostel  den  Hei* 
denchristen  accomodirt. 

Die  zweite  Abtheilong  S.  122  —  286  zeigt: 
inwiefern  eine  gewisse  Accomodalion,  aber  nnr  eine 
formale,  angenommen  werden  könne,  und  gibt  die 
Regeln  und  (jrenien  derselben  an,  mit  Anführung  von 
Beispielen.  Darauf  beweist  er,  dass  eine  materiale 
Accomodation  Christi  und  der  Apostel  nicht  angenom* 
meu  werden  könne,  dass  sie  sich  namentlich  nicht  ac« 
comodirt  hätten  1}  in  der  Lehre  von  Christi  Person 
und  Amt,  2)  bei  ihren  Wundern,  3)  bei  ihren  Weis- 
sagungen, 4)  in  der  Lehre  vom  göttlichen  Ansehen 
des  A.  T.,  5)  von  der  Geschichte  des  Sündenfalls« 
ß)  vom  Dasein,  den  Wirkungen  und  dem  Schicksal 
der  bösen  Geister,  7)  besonders  bei  den  Besessenen, 
wo  er  alle  Einwürfe  der  Gegner  besonders  klar  und 
bündig  widerlegt,  8)  von  der  Existenz  der  guten  En- 
gel, 9)  von  der  Versöhnung,  10)  von  der  Anferste^ 
bang  der  Todten  und  dem  jüngsten  Gericht. 

In  der  dritten  Ahtheilung  S.  286  —  318 
werden  noch  einige  Einwürfe  der  Gegner  widerlegt, 
«nd  mehrere  ßibelstellen,  worauf  sie  ihre  Accomoda- 
lionslehre  stützen,  gegen  sie  vertheidigt. 

Schade,  dass  diese  vortrefliche  Schrift  hier  und 
da  etwas  zu  weitläufig  ist,  unnöthige  Wiederholungen 
hat,  und  nur  auf  die  crasse  Accoinodationslehre  Rück« 
»icbt  nimmt,  nicht  zugleich  auf  die  feinere,  welche  bei 
TAN  DER  Palm  und  Vielen  der  neuesten  deut- 
schen Rationalisten  herrschend  ist,  den  Charakter 
Christi  und  def  Apostel  gleichfalls  herabwürdigt  and 
dem  Unglauben  Bahn  macht.  Immer  bleibt  aber  die 
Schrift  einer  Uebersetsung  ins  Deutsche  sehr  wiirdki 
«od  viirde,  wenn  Bsit   der  Uebtrsetiong   sugleich  dlie 


Widerlegung  yener  feinen  Accomodatiooslehre  Terbim- 
den  würde »  dann  eine  desto  grössere  Bereicherang  oa* 
serer  theologischen  Literatur  sein. 

Vßrhctntfeäng  ot^er  het  besiaan  der  Engelen  ^   oü 

de  leer  en   ffeschiedenis  inm  Jesus  en  vpiß 

jiposielen  afgeleid^ 
ist  eine  andere,   von  ihm  verlasste  nnd  to«  der  Haa« 
ger  Gesellsckait  im  J*  1811  gekr<»nte  dogmatische  Preis* 
äclirit't. 

In  der  ersten  Abtbeilang  wird  die  Lehre 
Christi  und  der  Apostel  über  die  £ngel  dargestellt,  in 
der  zweiten  die  Engelerscbeinoog  in  der  Geschichte 
Christi  and  der  Apostel  erklärt,  und  gegen  die  Ein- 
würfe der  sie  natürlich  erklärenden  angrauliigen  Aus* 
leger  kräftig  und  siegreich  mil  gläubigem  Geiste  Ter* 
theidigt. 

*£•  A,  Bo&GER, 

Professor,  zuerst  der  Theologie,  darauf  nach  Wtt* 
TENBACH's  Tode  1819,  Professor  der  alten  Litera- 
tur zu  Leiden  als  dessen  Nachfolger,  gestorben  182(> 
in  der  Blütbe  des  Lebens,  war  ein  Mann  von  sehr 
grossen  Talenten  und  ausgezeichnet  in  der  Philoso^- 
phie,  Theologie  nnA  den  a^ten  Sprachen,  so^  dass  er 
sich  einen  grossen  Ruhm  durch  seihe  Schrißen  erwarb» 
Za  diesen  gehört  auch  seine 

Dieptitaiio  de  MyeticUma,  IL  Ausgabe »  Haag  bei 
Allart  1820. 

Die  Schrift  war  ursprünglich  eine  gekrönte  Beant» 
woFtung  der  von  der  TsTLOR'schen  Gesellschaft  auf* 
gegebenen  Preisfrager  Welches  sind  die  Ursachen  des 
neuesten  deutschen  Mjäticismus,  welchen  Schaden 
bringt  er  der  Religion  und  Tugend,  wie  kann  dieses 
Uebel  geheilt  werden,  und  inwiefern  kann  das  Gefühl 
in  der  Religion  die  Stelle  .der  Vernunft  eionefankea» 
oder  sie  unterstützen? 

In  der  Einleitung  erklart  er  den  Mysticnmns  für  dcA 
Scelenmstand,  wo  der  Mensch  sidi  mit  Gerio^cbätsuaf 
i%r  Ytraunft  dem  Gefühl  odtr  der  Phaatasie  hiagib^ 


504 

um  zu  einer  uniniUelbarea  Erkeimtnlss  (lOÜes  un<l  Ver- 
einiga<  g  mit  ihm  in  gelangen  (S.  8.  10.  21), 

Nacli  einer  kurzen  Geschichte  der  älteren  Mystik 
(S.  23  —  32)  unterscbeiciet  er  zuerst  bei  dem  deut- 
schen Mjsticismus  einen  allgemeinen  religiösen, 
und  einen  theologischen,  und  gibt  drei  Ursachen 
des  religiösen  Mjsticismns  an: 

1)  die  Verbreitung  des  religiösen  nAd  theologischen 
Unglaubens,  welche  die  Gläubigen  gezwungen  ha- 
be, in  ihr  inneres  zu  flüchten  (S.  40  —  62); 

2)  der  Verlust  der  bürgerlichen  Freiheit  unter  NA- 
POLEON, welcher  die  Unterdrückten  Schadlos- 
haltnng  in  ihrem  Innern  habe  suchen  lassen  (S, 
63  —  80); 

3)  die  Traktatgesellschaften,  welche  besonders  Jn 
Würlemberg  und  der  Schweiz  den  Mysticismiis 
befördert  hätten  (S.  80  —  88). 

Der  theologische  Mysticisinus  sei  Sberdies  betÖt^ 
dert  worden: 

1)  durch  die  KANTischePhilosophie,  weil 
diese,  indem  sie  die  Erkenntniss  des  Unsichtbaren 
der  Vernunft  abgesprochen,  dafür  die  moralische 
Natur,  den  praktis^n  Glauben  an  die  Stelle  ge- 
setzt habe  (S.  90  —  110);  . 

2)  durch  die  FiCHTische  Philosophie,  wetl 
diese  an  die  Stelle  des  praktischen  Glaubens  das 
Jch  gesetzt  habe  (S.  111  —  122). 

Die  eigentliche  Mutler  des  theologischen  Myslicis- 
iiius  sei  aber 

3)  die  ScHELLiNGische  Philosophie,  weil  sie 
alle  Erkenntniss  übersinnlicher  Dinge  in  die  no- 
miltelbarc  Anschauung  des  Absoluten  mit  der 
Phantasie  setze,  und  das  Einssein  des  Menschen 
lind  .der  Welt  mit  dem  Absoluten  behaaple. 
Wegen  ihrer  vorzugsweisen  Beschäftigung  der 
Phanlasic  befördere  sie  die  Neigung  zu»t.  Poesie 
mv\  zum  Kalbolicismus  (S.  128  -^  188).  ;, 


505 


Im  zweiten  Abschnitt  zeigt  er,  welchen  gros* 
seu  Schaden  dieser  ScilELLiKGische  Myslicismus  brloge, 
weil  er  aufhebe:  '  ^ 

a)  einen  moralischen  und  persönlichen  Gott,  b)  die 
sittliche  Freiheit  des  Menschen,  <?)  die  persönliche 
Unsterblichkeit.  Auch  die  durch  ihn  beförderte 
Liebe  für  sinnliche  Pracht  im  Gultas  befördere 
nicht  die  wahre  Religion  und  Tugend  (S.  189 
—  236). 

Im  dritten  Abschnitt  gibt  er  als  Heilmittel 
gegen  diesen  Mjsticismus  an:  die  Zelt  (S.  237 
—  255). 

Im  vierten  Abschnitt  zeigt  er  den  Werth 
des  religiösen  Gefühls  im  Verh'ältniss  zur  Vernunfl, 
und  behauptet,  das  Gefühl  müsse  in  Reiigionssachen 
alsdann  die  Stelle  der  Vernunft  einnehmen^  wenn  die- 
se zweifle,  und  nicht  sicher  lehre,  dass  die  Verbindung 
zwischen  Gott  und  der  menschlichen  Natur,  worauf 
alle  Religion  beruhe,  statt  finde;  alsdann  müsse  man 
mehr  dem  Zeugniss  des  Gefühls  als  dem  Urtheil  der 
Vernunft  folgen.  Auch  müsse  das  religiöse  Gefühl 
die  Vernunft  In  ihrem  Forschen  und  Ihren  Gründen 
unterstützen. 

Eine  ausgebreitete  Kenntniss  der  deutschen  Philo- 
sophie und  ein  grosser  Scharfsinn  leuchtet  aus  dieser 
geistreichen  Schrift  hervor.  Im  vierten  Abschnitt  zeigt 
sich  jedoch  viele  Unbestimmtheit  und  Unsicherheit  bei 
der  Bestimmung  des  Werths  des  religiösen  Gefühls, 
und  eine  Verkennung  des  eigenthümllchen  christlich- 
religiösen  Gefühls,  indem  er  das  lebendige  Gefühl  des 
Glaubens,  das  Gefühl  der  Kindschaft,  das  Zeugniss 
des  h.  Geistes,  der  Schrift  zum  Trotz  für  ein  Unding, 
für  pure  Schwärmerei  erklärt  Dies  erklärt  sich  aus 
seiner  Persönlichkeit,  welche  sich  durch  grosse  äussere 
Lebendigkeit  und  Geinnihlichkeit  auszeichnete,  aber  zu- 
gleich mit  einem  historischen,  wissenschaftlichen  Ver- 
stau dcsgl  au  ben  begnügte,  und  vor  eiucm  lebendigen, 
inneren  Christcnthum,    als  vor  Schwärmerei,   eine  Ab- 


506 

Beigvng  hegjie.  —   Näheres  hierüber  s.   unten  bei  der 
Kritik  seiner  Predigten. 

Grossen  Einfluss  bat  dies  Boch  gehabt,  um  die 
Angst  vor  dem  sogenannten  deutschen  Mjsticismus  in 
Holland  SU  verbreiten  und  su  befestigen.  Da  es^  der 
Konstgriff  des  Uiiglaobens  und  des  todfen  Buchstaben- 

fUobens  von  jeher  war  und  noch  ist,  wie  in  Deotsch- 
and,  so  auch  in  Holland,  den  lebendigen  Her- 
lensglauben  und  das  Leben  in  Gott  mit  einem  allge- 
meinen Schimpfnamen,  gegenwärtig  mit  dem  Namen: 
Mjsticismus  zu  verlästern ,  und  in  ein  böses  Ge- 
schrei zu  bringen,  so  wird,  so  of^  jetzt  in  Holland 
von  dem  neuen,  in  Deutschland  wieder  erweckten  Geist 
des  Glaubens  die  Rede  ist,  alsbald  mit  hundert  Stim- 
men gewarnt,  und  mit  angelegentlichem  £ifer  anf 
Borger's  Buch  hingewiesen:  Da  sehe  man's  ja,  da 
stehe  es  ja  geschrieben,  was  fiir  Schaden  der  beillose 
I^Iyslicismus  anrichte,  gleich  als  ob  alle  lebendig  gläu- 
bigen Christen  Deutschlands  ScHELLiNGianer  wären. 
So  wird  denn  das  Kind  mit  dem  Bade  ausgeschüttelt 
und  viele  guten  Keime  erstickt. 

P.  W.  Brower, 

Prediger  zu  Maasstuis,  ist  weniger  wichtig  dorck 
den  dogmatischen  Werth  seiner  Schrift,  welche  er  im 
J.  1826  herausgegeben,  als  durch  die  Kühnheit,  wo- 
mit er  dem  allgemeinen  christlicbeu  Glauben  darin  wi- 
derspricht, und  mit  seinem  Beispiel  beweist,  wie  ofTea 
der  Unglaube  auch  in  Holland  jetzt  ans  Licht  (riU. 
Sein  Buch  hat  den  Titel: 

Bybelleer ,    aangaande  de  persoon   t^an    Ckrüiuf, 
182S. 

Das  Ituch  machte  so  viel  Aufsehen,  dass  der  Ver* 
fasser- sich  bewogen  fühlte,  im  J.  1827  noch  eine  m- 
here  Erklärung  seiner  Ansicht  herauszugeben,  in  dca 
Schriftchen : 

Nadert  Verktaring^  ten  vertHdgB  i^an  </Sr  hyhtUm 
re,  aangaande  de  pereon  i^an  ChrieiuB,  DflB 
bei  DE  Groot. 


507 

Hierin  sucht  er  zc  zeigen,  wie  mit  den  Kindera 
über  Christi  Person  katechisirt  werden  könne ,  so  dass 
sie  auch  nach  seiner  Ansicht  doch  den  Glauben  an  die 
göttliche  Dreieinigkeit  behielten. 

Seine  Meinung  bleibt  jedoch  auch  hier  dieselbe, 
wie  in  der  ersten  SchriO,  dass  Christus  nur  das  erste 
der  Geschöpfe,  nicht  wahrer  Gott  von  Ewigkeit  sei. 
£r  hält  ihn  als  vereinigt  mit  dem  Vater  für  Gott,  aber 
als  für  sich  betrachtet,  in  seiner  onderg^Bchickten  na* 
tuur  für  den  erhabensten  Geist,  den  erhabensten  En- 
gel« Diese  Natur  sei  auch  seine  Menschheit,  welche 
aber  viel  früher  bestanden  habe,  und  unendlich  gros* 
ser  sei,  als  alle  Engel  und  Menschen  zusammen.  — 
Seine  Ansicht  ist  eben  baarer  Arianismus,  nur  in 
einer  eigenthümlicben  scharfsinnigen  Darstelluog« 

B)   Moral. 

J.  ClARissk, 

Professor  der  Theologie  zu  Leiden,  vom  J.  1804 
an  Professor  zu  Ilarderwyk,  ein  vorzirglich  im  Fach 
der  Moral  und  der  praktischen  Theologie  sich  aus- 
zeichnender Theologe,  schrieb  eine  von  der  Haager 
Geäcllschat^  im  J.  1803  gekrönte  Preissclirift: 

yerhandeÜng^   beheizende  een  kortbondig  rertoog 
en  perdedigmg  t^an  de  kracht  pan  hei  bewyB 
ifoor  den  goddelyken  ooraprong  en  verbindend 
g^zag   f^an   het   et^angelie,    onileend  uU  den 
t>oortreffelyken    aart    pan    deszelfa    zedenleer^ 
en  hären   gezegenden  int'Iot^d  op   de  perbete^ 
ring  en  hei  geitik  der  menschen. 
In  der  ersten  Abtheilung  des  ersten  Theils  die- 
ser  Darstelliung    des   inneren   Beweises    für   die 
Göttlichkeit    des    Christenthums   zeigt   er  aus- 
führlich die  Vortrefflichkeit  der  christlichen  Sittenlehre, 
und  vergleicht   sie  mit  der  heidnisch -philosophischen, 
der  deistischen  und  der  kantischen.  —    In  der  zwei- 
ten Abtheilung  zeigt  er   den  Einfiois  der  christlicken 


503 

5):Urn]ehrc  auf  die  Besserung  und  das  Glück  sowohl 
der  eiDzeliien  Menschen,  als  der  Völker,  a  priori  wie 
rt  posteriori^  wobei  er  sehr  interessante  Vergleichnngen 
zwischen  dem  sittlichen  und  bürgerlichen  Znstand  der 
allheidnischen,  besonders  griechischen  und  römischen 
Völker,  der  Deisten  und  der  neuesten  heidnischen  Völ- 
ker einerseits,  und  der  christlichen  Völker  andererseits 
anstellt,  bei  welchen  letzteren  er  wieder  den  Unter- 
schied zwischen  dem  Zustand  der  katholischen  und 
evangelbchen  Völker  nicht  unbemerkt  l'ässt. 

Im  zweiten  Theile  zeigt  er,  wie  und  inwie- 
weit aus  dem  Bewiesenen  ein  Beweis  für  den  gö'ttlichen 
Ursprung  und  das  verbindende  Ansehen  des  Evange- 
liums angeleitet  werden  könne,  wobei  er  nicht  ver- 
kennt, dass  der  äussere  Be weiss  für  die  Göttlichkeit 
des  Christenthums  hinzugefügt  werden  müsse,  um  dem 
inneren  seine  volle  Beweiskraft  zu  versichern. 

Unser  ehrwürdiger  Konsis  toriaira  th,  Dr. 
Möller  zu  Münster  hat  in  demselben  Jahre  (da- 
mals noch  Professor  in  Duisburg)  obige  Preisfrage 
beantwortet,  und  gleichfalls  den  goldenen  Ehrenpreis 
erhalten.  Im  J.  1800  hatte  er  schon  die  Preisfrage 
der  Gesellschaft  über  den  äusseren  Beweis  Tür  die 
Wahrheit  und  Göttlichkeit  der  christlichen  Lehre,  ab- 
geleitet aus  den  Wundern  Christi  und  der  Apostel, 
siegreich  beantwortet,  so  dass  er  mit  dem  goldenen, 
Clarisse  aber,  der  diese  Preisfrage  gleichfalls  be- 
antwortet, mit  dem  silbernen  Ehrenpreis  ausgezeich- 
net worden  war. 

Ewald    Kist, 

Prediger  zu  Dordrecht,  früher  zu  Arnheim,  geb. 
1762,  gest.  1822,  war  einer  der  seltenen  Männer,  ia 
welchen  die  Gnade  Christi  sich  so  mächtig  verherrlich- 
te, dass  er  nicht  bloss  selbst  ein  Leben  der  Gottselig- 
keit führte,  sondern  auch  in  einem  weiten  Kreise  s^- 
nes  Volks  sowohl  durch  sein  Predigtamt,  als  durch 
seine  Schriften  den  Glauben  und  das  Leben  in  Chri- 
sto beförderte,  so  dass  er  zu  einem  reichien  Segen  fiir 


EWALD      KIST. 


^% 


509 


die  Mit-  und  Nachwelt  geworden  ist.  Er  war  mit  lio- 
Lcn  Geistes  -  und  Rednergaben  ausgerüstet,  Lesass  eine 
grosse  acht  -  christliche  Heiterkeit  der  Seele,  mit  einem 
lieiligen  Ernste  gepaart,  was  sich  auch  auf  seinem  bei- 
gefugten wohlgetroffenen  Bildnisse  ausdrückt,  und  eine 
solche  Gelehrsamkeit,  dass  er  selbst  einen  Ruf  zur 
theologischen  Professur  nach  Leiden  erhielt.  Er 
lehnte  ihn  jedoch  ah,  da  das  Seelsorgeramt  seines 
Herzens  höchste  Freude  war. 

Was  seiaem  Charakter  die  Krone  aufsetzte,  war 
die  Glaubensklarheit  und  Glanbensfestigkeify 
welche  ihn  sein  ganzes  Leben  hindurch  unerschütter- 
lich an  Christo,  als  seinem  einigen  Mittler  und  Ver- 
söhner festhalten  liess,  wahrend  gar  manche  seiner 
theologischen  Jugendgenossen,  dem  mächtigen  Zeitgeist 
des  feinen  Unglaubens  nicht  fest  widerstehend,  sich 
unmerklich  das  Ziel  verrücken  liessen.  Daher  hatte  er 
auch  den  Glaubensmuth,  als  ein  mennonilischer 
•Prediger,  Floh,  in  der  Nationalversammlung  im  J. 
1*796,  deren  Mitglied  er  war,  gleichsam  als  Repräsen- 
tant der  politischen  und  religiösen  Freiheitsschwärme- 
rei,  sich  erdreistete,  der  Lehre  der  fünften  Frage  des 
Heidelbergischen  Katechismus*)  als  gefähr- 
lich und  mit  der  Brüderschaft  streitend  anzugreifen,  in 
einem  öffentlichen  Sendschreiben  an  Floh  die  Frage 
als  biblisch  -  wahr  zu  vertbeidigen.  Daher' behielt  er 
auch  noch  auf  dem  Sterbebette  die  Glaubensfreu- 
digkeit, seinem  'ältesten  Sohne  zu  sagen:  „Ich  habe 
in  meinem  Posten  als  ein  Diener  Christi  gesucht  treu 
zu  sein.  Ich  fühle,  dass  ich  von  diesem  Posten  ab- 
„gerufen  werde.  —  Ich  bin  bereit.  Gib  meinen  Freun- 
„den,  meiner  Gemeinde  und  besonders  meinen  Amts- 
„genossen,  mit  meinem  letzten  Gruss^  die  Versicherung, 


95 
9> 


")  Fünfte  Frage:  Kannst  du  dies  alles  (Matth.  22, 
37  —  40)  vollkömmlich  haltt'n?  Nein,  denn  ich 
bin  Ton  Natur  geneigt,  Gott  und  meinen  Nächsten 
zu  hassen.  Rom.  3,  10.  1  Joh.  1,  8.  UUm.  S,  7. 
Eph,  2,  3.    Tit.  3,  3. 


n 


•)  S.  S.  XVI  und  XIX  der  Vorrede  seiner  toh  «eioMR 
Sohne  herausgegebenen  Laaitte  Leerr^ämiem^  Dorfr 
recht  bei  BLUSsi  de  van  Braam  18221 


510 

^dast  ich  in  der  vollen  .Ueberzengnng  der  Wahrheft 
„sterbe,  welche  ich  Andern  verkündigt  habe!  — -  St^t 
„ihnen,  dass  ich  allein  mejne  Seligkeit  erwarte  durch 
„die  Versöhnung  Christi  und  um  seiner  Verdienste 
„willen!  —  Welche  Einwendungen  der  Versland  hier» 
yygpgen  sollte  machen  wollen,  ich  bleibe  in  diesem 
„feierlicheu  Augenblick  mehr  als  je  iiberzengt)  dass 
„dies  nach  Gottes  Wort  der  einzige  Wf*g  der  Selig- 
keit i.t.'* 

Als  seine  Arotsgenossen  darauf  in  der  Sterbestun- 
de noch  selbst  tu  ihm  kamen,  bezeugte  er  auch  ihneOi 
dass  er  allein  in  der  Lehre  der  Versöhnung  durch 
Christi  Verdienste  seine  Hoffnung  und  seinen  Trost 
fiir  die  Ewigkeit  gefunden  habe,  und  bemühte  sieb, 
sie  in  dieser  Lehre,  wilche  sie  verkündigten,  la  stir« 
ken,  «-  Darauf  entschlief  er  *)• 

Er  gab  im  J.  1815  heraus: 
Beknopte  Beoefeningsleer  (kurze  Ascetik),  waam 
de  middelen^  om  ah  een  waar  Iterling  uan 
Jexua  CkrUtua  heilig  en  getroost  te  lei^n^ 
als  ook  de  ziekten  van  /let  menachefyk  tftf» 
stand  en  hart ,  die  de  waars  beoefening  pon 
het  christendom  in  den  weg  %yn^  mtt  der* 
zelver  oorzaken  en  geneesmiddeien  kortelyk 
worden  poorgedragen.  2  Thie.,  Dordrecht 
bei  Blusse. 

Diese  Schrift  ist  eigentlich  nur  ein  Auszug  zum 
Besten  Unbemittelter  aus  einer  sehr  ausführlichen  /fe- 
oeJeningsUer  j  welche  er  1804  in  4  Stücken  herausge- 
geben. Ich  beurtheile  hier  zunächst  den  Auszng,  weil 
er  unter  dem  Titel:  Christliche  Ascetik,  oder 
Uebungslehre  etc.  in  einer  deub^chen  CJebersetsong 
von  Professor  vAN  DER  KUHLEN  zu  Wallach,  We- 
sel bei  Becker  1827  und  1828    erschienen  ist,  und 


511 

die  Summe  alles  dessen,   was  das  grössere  Werk  eot- 
hält,  darbietet. 

Cap.  1  des  ersten  Tbeils  enthält  die  Beschrei« 
bung  des  wahren  Christen.  Cap.  2  die  ISeweggründe, 
um  ein  wahrer  Christ  la  werden.  Cap.  3  die  liinder« 
nisse.  Cap.  4  a)  Mittel,  um  dazu  zu  gelangen,  and 
zwar:  Wort  Gottes,  önVntlicher  GollescJienät  und 
Sonntag,  Sacraniente,  Wirkungen  des  h.  Geistes  in 
unserm  Innern,  Gebet  und  Hausgottesdienst,  Umgang 
mit  wahren  Christen  und  Lesen  nützlicher  Bücher,  Ma« 
tur,  Betrachtang  der  Vorsehung  in  unseren  und  An« 
derer  Schicksalen,  b)  NVarnungen  und  Waffen  gegen 
die  Versuchungen  zum  Abfall  vom  wahren  Christen* 
Ihum.  c)  Regeln  xur  rechten  Anwendung  der  erwähn* 
ten  Mittel  und  Waffen. 

Der  zweite  Theil  enthält  die  Betrachtung  der 
Krankheiten  der  Menschen  in  Bezug  aufs  Christenlhum 
und  die  (It'iimittel  dagegen.  . 

Es  sind  4  Hauptklassen  voii  Kranken: 

I.  Kl.  Die  den  Weg  der  Sünde  gedanken- 
los gehen,  1)  Unwissende,  2)  Gleichmütige, 
3)  Todt-RfchtgläuLige,  4)  Ausschwei.'ende,  5) 
Aeusserlich -Ehrbare,  6)  Heuchler,  1)  Sorglose 
und  Gefühllose. 

IL  Kl.  Die  nicht  ohne  einiges  Nachdenken 
sind,  aber  aus  verschiedenen  Ursachen 
do^ch  auf  dem  Weg  der  Sünde  bleiben. 
1)  Die  verschiedene  Vorwände,  gebrauchen,  und 
wichtige  christliche  Wahrheiten  niissbrauchen,  um 
Ihre  Sünde  zu  vertheidigen.  2)  Die  falsche  We- 
ge einschlagen,  um  zur  Buhe  der  Seele  zu  kom- 
men. 3)  Deren  religiöse  Ueberzeugung  noch  eine 
falsche  Richtung  hat. 

HL  Kl.  Di,e  nach  Gott  in  Christo  begierig 
sind,  aber  durch  verschiedene  entma- 
thigende  Bedenklichkeiten  sich  von  der 
Erlangung  des  Seelenfriedens  abhalteii 
laaacB. 


512 

IV.  KL  Krankbeitcii  gläubiger  Christen. 
die  sie"  von  höherer  clirlstliciier  Ver- 
vollko  111  Innung  abhalten,  l)  Gebrechen  in 
Bezug  auf  christliche  Erkenntniss.  2)  Den  Glaabcn 
betreffend.  3)  Die  Heiligung  betreffend.  4)  Das' 
Fortschreiten  im  Christentbum  betreffend.  5)  Die 
Früchte  des  Glaubens  betreffend,  wo  er  die  Zwei- 
fel über  die  Gewissheit  des  Gnadenstandes  sehr 
ausführlich  und  trostreich  löst.  6)  Besondere  Um- 
stände, z.  B.  Seelenleiden  betreffend. 

Das  Bach  schliesst  mit   Rathschlägen    und   Lehren 
für  mehrgeförderte  Christen. 

Dies  vortrefliche  Werk  enthält  einen  so  reichen 
Schatz  der  köstlichsten  aus  -christlicher  Weisheit  and 
Liebe  geflossenen  Lehren  für  die  verschiedensten  See- 
lenzustände  und  geistigen  Verhältnisse  auf  dem  religiö- 
sen Gebiete  >'  dass  nur  eine  so  ausgezeichnete  Schrift- 
und  Menschenkenntnisse  eine  so  tiefe,  eigene  Erfah- 
rung und  Frömmigkeit,  wie  KisT  sie  besass,  ihn  dar- 
reichen konnte.  Gewiss  wird  daher  ein  Jeder,  dem  es 
Ernst  ist,  den  Weg  der  Gottseligkeit  zu  wandeln,  und 
der  die  tausend  inneren  und  äusseren  davon  ablocken- 
den Versuchungen  kennt,  sich  von  der  jj^esonnenen 
Weisheit,  der  heiligen  Liebe  und  Glaubensgewissheit, 
welche  überall  aus  dem  Verfasser  spricht,  angespro- 
chen fühlen ,  und  ihn  mit  Freuden  sich  zu  einem 
Wegweiser  auf  dem  schmalen  Wege  nehmen.  Beson- 
ders finden  aber  Seelsorger,  Erzieher  und  Aeltern  an 
diesem  Werke  ein  herrliches  Handbuch,  um  bei  Er- 
theilung  christlich  -  praktischer  Lehren  und  Rathscbläge 
daraus  zu  schöpfen,  als  aus  einem  reichen  Quell  von* 
Licht,  Trost  und  Kraft  für  alle  heilsbegierige ,  beküm- 
merte, angerochtene ,  zweifelnde  una  nuader  oder 
m^hr  befestigte  Herzen. 

Ich  wenigstens  kenne  eine  so  vollständige,  allge- 
mein verständh'che  geistige  Heilmittellehre  in  nosercr 
d^atffclien  Literatur  nicht,  so  dass  meiner  Ansick 
nach   Professor  van  der  Kuhlen   dei)   wärmsteB 


513 

Dank    DenUchlands    für    seine    trene    und    (liesseniie 

Uebersetzung  verdient« 


IV.     Praktische    Theologie. 


A)  Predigtliteratnr. 

£.   KiST, 

Leerredenen  over  verschalende .  Onderwerpen  (rer« 
scbiedene  Gegenstände).  GThle.  1802  —  1822. 

2.  Aufl.  Dordrecht  bei  Blusse. 

—  —  —  Grods  Deugden  (Vollkommenher- 
ten).  2Thle.f  Amsterdam  1803  bei  ££  Brutn. 

3.  Aufl* 

—  —  —  öTtf  Zederüeer.  2  Thlc,  Dordrecht 
bei  BiussEy  1800. 

—  —  —  het  Geweten.  5  Predigten*  Dord- 
recht bei  Blusse,  181Q. 

—  —      —      Butlu  1811. 

—  —  —  het  ongunstig  ontkaal  (An fn ah- 
me) des  Heilands  in  de  wereld^  10  Predig- 
ten, 1820.  2.  Aufl. 

In  allen  diesen  Predigten  findet  mm  die  einfache, 
herzliche  Sprache  des  Glaubens  und  der  Liebe  wieder, 
die  in  seiner  Ascetik  herrscht  Jede  Predigt  ist 
nach  der  gewöhnlichen  holländischen  Predigtwebe  in 
3  Theile  getheilt,  Erklärung  des  Textes,  Entwickelang 
des  Themas,  und  Anwendung  (s.  J.  Bd.  S.  44.  45). 
Der  Text  wird  sehr  gründlich  erklärt,  und  meist  voll- 
ständig benutzt.  Die  Erklärung  des  Textes  ist  in  der 
Regel  sehr  ausführlich,  auch  wo  er  keiner  besonderen 
Erklärung  bedarf,  und  da  überdies  die  Ausfiihmng  des 
Themas  oft  eine  Erklärung  des  Textes  nothweodig  mit 

11.  33 


514 

lieh  führt  9  so  entstehen  dadurch  häufig  ermüdende 
Wiederholungen.  Von  dieser  Schattenseite  fast  aller 
holländischen  Predigten  ist  oben  geredet  worden.  Die 
Predigten  sind  daher  meist  etwas  zu  gedehnt,  ohgleich 
eine  sanfte  Wärme  vielen  von  ihnen  nicht  abgeht« 
Auch  in  seinem  Mangel  an  Schmuck  der  Rede  reprä- 
sentirt  er  die  alte  gute  Zeit  Hollands,  während  der 
geschmückte,  blühende  Styl  vieler  der  neuesten  hollän- 
dischen Prediger,  mit  dem  Bestreben,  die  Phantasie 
lu  unterhalten  und  Effect  zu  machen,  von  der  Ein- 
wirkung des  leichten  französischen  Geistes  und  Tones 
zeugt» 

Einer  der  grössten  Vorzüge   seiner    Predigten   ist, 
dass  sie  den  ganzen  Christum  predigen,    nicht   bloss 
hervorheben,  dass  er  unsere  Gerechtigkeit  ist,  wie 
die  meisten  neueren  holländischen   Prediger  thun,  die 
dagegen  ihn,  insofern  er  auch  unsere  VVeisheit  nnd 
Heiligung  ist,   in  den  Hintergrund  stellen,    sondern 
dass  er  die  natürliche  Verderbtheit  des  Men- 
schen als  das  Fundament   des  Christenthums  auf  dea 
Vordergrund  stellt,  mit  starken,    biblischen  Farben  oft 
und  nachdrücklich  schildert,    und    ebenso    die   Noth- 
wendigkeit    der    Gnaden  Wirkungen     des    h. 
Geistes  zu  unserer  Heiligung.     So  z.  B.  i.  Thl.  oper 
versch.  ond.   2te  Predigt  S.  64,   H.  Thl.    5te  Predigt: 
Christus,  das  Licht  der  VVelt,  über  Joh.  8,  12, 
6(e   Predigt:    Christus,    der    wahre    Quell    der 
Fruchtbarkeit  im  Guten,    über  Joh.   15,   5,   8te 
Prediffl  über  Rom.  12,  11,  VI.  Thl.  6te  Predigt:  Das 
Verderbliche  und    Bittere   der   Sünde,    über 
Jer.  2,  19.     Dabei  vergisst   er   nicht,    aufs   nachdrück- 
liebste zu  zeigen,    wie  wir  nach   der  Heiligung  ringen 
und  jagen  müssten,    und  durch  ein  werkthätiges  Leben 
voll  guter  Werke  unsern  Glauben   zu  beweisen  hätten, 
z,  B.  H.  Thl.  7te  Predigt  Über  Matth.  14,  23.  VLTbL 
lote  Predigt,  über  Col.  1,  6.  —  Aus  diesen  Predigten 
konnten  und  sollten  billig  alle   neueren    hoUändisäen 
Theologen  erkennen,    wie  wenig  das  Hervorheben  dw 
i^ündhaftigkeit    und   der  Gnadenwirkungen  des  h.  Gci- 


515 

■         n  -  ■■ 

I 

sits  in  der  Apostel  Weise  Schwärmerei  ist,  oder  lur 
Scbwärmerei  fuhrt. 

i)ie  111^  Predigt  im  VI.  Tbl.:  Ist  Paolos  für 
euch  gekreozigt?  über  1  Cor.  1,  13,  entbält  eine 
Yortreftiiche ,  schiageode  Beweisfubruag,  dass  der  Tod 
Christi  nicht  bloss  die  Lehre  von  der  Versöhnoog  mit 
(vott  bestätige,  sondern  sie  selbst  erst  bewirkt  und  ver- 
ursacht habe.  Sie  verdient  sehr,  ins  Deutsche  über- 
setzt zu  werden. 

Nicht  wenige  seiner  Predigten  sind  geschicht- 
liche Predigten )  vorzüglich  über  das  A.  T.,  meist 
über  Stellen  aas  dem  Leben  solcher  Männer,  die  aU 
Vorbilder  des  Glaubens  und  der  Liebe  uns  vorzuhal- 
ten sind.  Eine  vorzügliche  Predigt  dieser  Art  s.  VI« 
ThU  9te  Predigt  über  1  Mos.  17 ,  18.  Sie  befördern 
sehr  die  Bibelken ntniss  ond  Bibellust  deä  Volks,  und 
ceigen  ihm  den  genanen  Zusammenhang  zwischen  dem 
A.  upd  N.  T.;  daher  diese  geschichtliche  Predigtweise 
in  Holland  von  den  Predigern  sehr  nachgeahmt  wird, 
wenn  gleich  von  Manchen  auf  eine  fehlerhafte  Weise, 
welche  auf  schönes  Ausmalen  der  Geschichten  beson- 
dern VN^erth  legen,  wie  ich  schon  oben  erwähnt 

Die  5  Predigten  über  das  Gewissen  stellen  die 
Lehre  der  Bibel  von  dem  Gewissen  aof  eine  höchst 
nachahm ungswerthe  und  lehrreiche  Weise  dar.  Di^ 
erste  über  Köm.  2,  15,  handelt  von  der  Natur  ond 
dem  Dasein  des  Gewissens  in  der  Seele,  die  zweite 
über  Ilebr.  9,  13.  14,  von  der  Nothwendigkctit  der 
Reinigung  des  Gewissens,  und  dem  dazu  im  Evange- 
lium geoffenbarten  Mittel,  die  dritte  über  Apost. 
Gesch.  24,  16,  von  dem  guten  Gewissen,  die  vierte 
über  Ap.  Gesch.  26,  14,  von  der  Wichtigkeit,  den 
Wirkungen  des  Gewissens  nicht  zu  widerstreben,  son- 
dern sie  recht  zu  gebrauchen,  und  die  fünfte  über 
£ph.  5,  10,  von  der  Sorge  für  die  Erleuchtung  des 
Gewissens. 

Diese  Predigten  sind  Muster  christlicher  Moralpre- 
digten. Sie  lassen  der  menschlichen  Natur  ihr^  Recht 
wiederfahren,    zeigen  aber  auch  ihre  Unzulänglichkeit, 

33* 


516 

durch  sich  selbst  ihre  Bestimmang  za  erreichen,  und 
weisen  die  Mittel  der  Hülfe  an.  Aaf  diesem  Wege 
allein  bringt  sie  die  rechten  Lebensfrücbte ,  weil  aof 
dem  milden  Stamm  der  edle  Zweig  Isais  gepfropft 
wird« -^  Eine  Uebersetzung  dieser  Predigten  wäre  eine 
wahrhafte  Bereicherung  unserer  Literatur» 

J.    VAN     DER    ROEST, 

Prediger  zu  Ilariem,  seit  längeren  Jahren  todt,  ist 
einer  der  ausgezeichnetsten  holländischen  Kanzelredaer, 
entschieden  gläubig  wie  KiST,  von  demselben  gebil- 
deten Geschmack,  und  von  «iner  grossen,  durch  den 
Glauben  geheiligten  Gemüthlichkeit,  welcher  er  seine 
sanfte,  ruhrende  Beredsamkeit  verdankt. 

Seine  herausgegebenen  Predigten  sind :  * 

Eenige  bybelscne  Tafereelen  (Gemälde)  f^an  leer' 
zame  aterfgcvcdien  en  uiteindenm  2  Theile, 
Harlem  bei  Aügustini,  1802. 

Genoegena  van  den  Godsdienst.   2  Th/c.,  1805. 

Nagelatene  Leerredenen,   2  Thle«,  1815. 

Unter  seinen  biblischen  Gemälden  sind  vorzüg- 
lich schön:  die  8te  Predigt  über  Josia's  frühen  Tod, 
2  KöiK  23,  29,  und  die  lOte  Predigt  über  Tabitha, 
Ap.  Gesch.  9,  de  —  41,  von  der  Pflicht  der  Wohl- 
tkätigkeit.  Dass  in  diesen  biblischen  Gemälden  bis- 
weilen dem  Ausmalen  zu  Gefallen  zn  viel  in  den 
Text  gelegt  wird,  habe  ich  oben  an  einem  Beispiele 
gezeigt 

Aus  der  ersten  seiner  nachgelassenen  Predigten  ! 
stehe  hier  noch  eine  Stelle,  welche  zugleich  seine  freu- 
dige Glaubeusgewissheit  beweist.  Er  legt  darin  Zeog- 
niss  ab,  was  ein  25jähriges  Predigtamt  ihn  hinsichtlidi 
der  Uauptwahrheiten  des  £vangeliums  gelehrt  habe, 
und  sagt:  „Diese  Lehre  ist  es,  welche  ich  euch  za  ] 
„predigen  hoffe,  so  lange  ich  sprechen  kann,  and 
„i|lrenn  dieser  Mund  einst  schweigen  wird,  und  diese 
„Augen  einst  brechen  werden,  so  wünsche  ich,  dass 
„dUnn  die  Ruhe  der  Seele  und  die  erheiternde  Hofr 
„nung  des  ewigen  Lebens,    welche  der  Glaube  an  am 


517 

„im  deiseh  erschienenen  und  an  einem  Kreuz  gestor- 
,,benen  Mittler  den  Sterbenden  mittheilen  kann,  i^och 
»^sprechen  mögen  aus  meinem  erblichenen  Gesicht 
9,und  euch  den  anpreisen  9  der  im  Leben  und  im  Tod 
„unser  Eins  und  Alles  sein  muss«^' 

Van  der  Palm. 

Leerredenen.  8  Theile,  1809  —  1822*  3.  Aufl. 
Leiden  bei  du  Mortier. 

1,  II,  III,  IV,  r,  VI  Tiental  Leerredenen. 
1823  —  1829. 

Die  einnehmende  Sprache  des  Verfassers,  sein 
einfacher,  hochgebildeter,  sanfl  wie  ein  Bach  dahin 
gleitender  Styl  gibt  seinen  Predigten  einen  eigenen 
Keiz,  und  ist  nicht  die  kleinste  der  Ursachen,  welche 
seiner  Pr.edigtwcise  ein^n  so  ungemeinen  Beifall  in 
{lolland  verschafft  haben,  d.^s  qie  meisten  jungen 
Prediger  sich  nach  ihm  bilden..  Auch  weiss  er  mit 
grosser  Menschenkenatniss  die  Gefühle  der  biblischen 
Personen  ergreifend  zu  schildern,  und  dadurch  die 
Empfindungen  der  Zuhörer  rege  zu  machen,  so  z.  B* 
L  Tbl.,  6te  und  '7te  Predigt,  über  Abrahams  Opfe- 
rung Isaaks«  Freilich  geht  seine  Liebe  zu  Schilderun- 
gen und  Gemälden  (tc^ereelen)  oft  zu  weit,  wovon  ich 
obqn  ein  Beispiel  angeführt  habe.  Seine  Bibeierklä- 
rung  in  den  Predigten  ist  klar,  gemeinfasslich  und 
ausführlich,  befördert  dadurch  die  Bib^Ikenntnias,  wird 
aber  nicht  selten  zu  breit*  Ju  der  Form  seiner  Pre- 
digten weicht  er,  von  der  alten  Manier,  der  Eifitbei- 
Inng  in  3  Theile  etc.  ab,  und  passt  die  Form  mehr 
dem  jedesmaligen  Texte  auf  eine  natürliche  Weise  an« 
Durch  sein  Vorbild  hat  er  eine  Verbesserung  der  Form 
der  Predigten  in  einem  weiten  Kreise  befördert.  — « 
Unter  seineu  Predigten  finden  sich  auch  viele  ge- 
schichtliche, sowohl  aus  dem  A«  als  N.  T. 

Die  Summe  des  christlichen  Glauben^  hält  er  auch 
in  den  Predigten  fest,  und  vertheidigt  ihn  nicht  selten 
kräftig.  So  ist  z.  B.  \n  der  I,  Predigt  des  V.  Th^ils, 
über  Job.'  18,  ^0,    der   Tod   Christ^  als   eio    Vei^söh- 


518 

nuDgstod  scböQ  dargestelll.  Allein  zugleich  zeigt  sieb 
überall  sein  Bestreben ,  das  Fundament  und  die  kroüe 
de»  christlicben  (ilaubensgebäuües,  die  Lehren  von  der 
Verderbtheit  unserer  Natur  und  den  Goadenwirknogen 
des  heil.  Geistes  möglichst  in  den  Hintergrund  zu  stei- 
len, nur  leise  und  schwach  zu  berühren,  uod  so  zu 
entkräften* 

Als  Beispiel  stehe  hier  Einiges  ans  der  8ten  Pre- 
digt des  IV.  Theils,  über  Job.  0,  44,  deren  Thema  Ist: 
Von  der  Nothwendigkeit  der  INI it Wirkung 
der  göttlichen  (inade  zur  Erleuchtung 
und  Erneuerung  unserer  Herzen.  Hier  er- 
klärt er,  dass  die  Mitwirkung  der  göttlichen  Goa- 
de  (er  hütet  sich  äusserst  vorsichtig,  das  ^VorC:  beil.* 
Qeist  zu  gebrauchen,  aus  Furcht,  der  Schwärmerei 
Nahrung  zu  geben)  zur  Frleuchfunj»  und  Erneuerung 
unserer  Herzen  nöthig  sei.  Und  die&e  Gnade,  diese 
göttliche  Ueberredung,  wie  er  sie  auch  oenntj 
sei  das  Schenken  der  Empfänglichkeit,  um  von  dem 
VVorl  der  Offenbarung,  von  der  Piedigt  der  Heilsbo- 
ten alle  Kraft  zu  fühlen,  sei  ein  himmlisches  Licht  lo 
unsere  Herzen,  vor  welchem  die  Verblendung  unserer 
Sinne  verschwinde,  und  alles,  was  zu  unserer  Bestim- 
mung und  unserer  Glückseligkeit  gehört,  6ich  uns  m  ei- 
nem hellen  und  nebellosen  Tage  zeige  (S.  56.  57U 

Gleich  darauf  bemerkt  er  aber:  „Die'  Vorstellung 
„Christi  im  Text  ist  ganz  im  Styl  und  Ton  der  bibli- 
„schen  Orfenbarung.  Darin  wird  alles,  was  wir  Gates 
„besitzen,  als  ein  Geschenk  Gottes  betrachtet,  nicht 
„nur  das,  was  uns  von  aussen  kommt,  sondern  auch, 
„was  wir  nach  dem  äusseren  Schein  allein  uns  selbst 
„zu  danken  haben*  Ist  Jemand  durch  Fleiss  unä  Thä- 
„tigkeit  Zum  Glück  gekommen,  es  war  Gott,  der  sei- 
„nen  Eifer  gesegnet,  und  ihm  das  Glück  verlieben  haL 
„Es  ist  der  Geist  Jehovabs,  der  in  Bezaleel  asd 
„Aholiab  wohnte,  als  sie  die  köstlichen  StiOtsbuttcn- 
j.Gcräthschaficn  verfertigten.  Wann  Salomo  nadi 
., Vorsicht  und  Klugheit  strebt,  um  das  Reich  seines 
«,Vafers  verständig  und  gerecht  zu  regieren,    dauu   be* 


519 

„gehrt  er  diese  Weisheit  von  Gotf.  Und  wann  die 
„Propheten  ihrem  Volk  eine  Zeit  weissagten,  worin 
„sie  ihre  vorige  Untreue  durch  Betrachtung  der  Be- 
„fehle  Jehovahs  auswischen  würden,  dann  sagen  sie, 
„dass  Gott  sein  Gesetz  in  ihr  Herz  schreiben  werde, 
„dass  sie  alle  vom  Herrn  würden  gelehret  sein/' 
(S  58.  59).—  Welche  Verflachung  der  heil.  Geschieh- 
te  und  Lehre!  Welche  Herabwürdigung  eines  demü- 
thigen  Salomo,  um  ihn  menschlich  gross  zu  machen! 
(  Nachdem  er  darauf  erklärt,  von  der  Noth wendig- 
keit einer  göttlichen  Ueberredung  noch  mit  bestimm- 
ter, auch  mit  Bezug  auf  unsere  natürlichen  und  sittli- 
chen Anlagen  sprechen  zu  müssen,  sagt  er  (S.  62): 
„Wir  sind  vernünftige  Geschöpfe!  Diese 
„Wahrheit  steht  da  als  ein  heller  Leuchtthurm,  den 
„wir  auf  dem  Meer  dieser  gefährlichen  Nachforschui)g 
„nie  aus  dem  Auge  verlieren  dürfen«  Sie  ist  unser 
„*Ruhm^},  und  der  Ruhm  unsers  Schöpfers;  und, 
„was  gegen  sie  streitet,  verwerfen  wir,  als  seiner  und 
„unser  unwürdig." 

Elf  Jahre  später,  in  dem  1822  erschienenen 
VIH.  Tbl.,  in  der  3ten  Predigt:  Von  dem  Bedürf- 
niss  beständiger  Stärkung,  eineni  Kennzei- 
chen der  Aechtheit  des  Glaubens,  über  Maro 
9,  24,  zeigt  er  schon  deutlicher,  was  für  einen  Werlb 
er  der  Lehre  von  dem  heil.  Geisle  und  dessen  Wir- 
kungen  beilege.  £r  führt  dort  S.  81  —  Sh  die  Hiupt- 
gegenstände  des  christlichen  Glaubens  auf,  und  zwar: 
l)  Den  Glauben  an  Gott.  2)  Die  Lehre  von  der  Ver- 
gebung der  Sünden  durch  Christi  Tod,  wobei  er  be- 
merkt: „Durch  Christum  und  um  seinetwillen  wider- 
„fährt  Gnade  und  Barmherzigkeit  Allen,  di^  ihn  als 
„den  Mittler  Gottes  und  der  Menschen  erkennen,  sei- 
„ne  Vorschriften  ehren,  und  nach  seinem  Vorbilde 
,,waudeln  wollen."  3)  Die  Lehre  von  der  Unsterb- 
lichkeit. —    Mit  keinem  Worte    geschieht    Erwähnung 


)  Vergleic!.e   dagegen  1  Cor.  4,  7.      l,  29.  3L     Kph. 
2,  <J  u.  a. 


520 

aer  Lebre  von  dem  beih  Geiste,  und  sie  wird 
sonach  aicbt  lo  den  llaoptgegenstänJen  des  chrisdi- 
cben  Glaubens  gerechnet.  Dies  wird  man  um  so  we- 
niger bezweifeln,  sobald  man  aus  seinen  Bibelan- 
merkungen  und  seiner  JBjrbel  t^oör  de  Jeugd  erse- 
hen bat,  wie  oft  er  da  die  Miltheilung  des  heiL  Gei- 
stes natürlich  zu  erklären  sucht,  wovon  ich  oben  eiu 
Beispiel  angeführt  habe. 

Dies  Gewahrwerden  seiner  Verflacbung  und  Ver- 
deckung  der  wichtigsten  Heilslehren  schwächt  natürlich 
den  Eindruck  der  vielen  schönen,  ergreifenden  Stellen 
in  seinen  Predigten,  besonders  da  der  mit  seiner  Ac- 
roQ>odationslebre  bekannte  Zuhörer  oder.  Leser  der 
Predigten  nun  nicht  weiss,  in  wie  weit  sich  der  Ver- 
fasser bei  der  Darstellung^  der  Glaubenslehren  etwa 
nach  dem  Volksglauben  oder  Kirchenglauben  accomo- 
ilirt,  und  in  wie  weit  er  seine  eigene  Ueberzeugung 
vorträgt.  Dieses  Misstrauens  kann  er  sich  um  so  we- 
ni<<er  erwehreu,  da  deutlich  zu  erkennen  ist,  wie  der 
\  erfasser  bei  einzelnen  Lehren  seine  Ueberzevgnng  auf 
der  Kanzel  verhüllt,  und  nicht  %o  vorträgt,  wie  in  sei- 
114^11  andern  SchriHen.  So  z.  6.  sagt  er  in  der  Steo 
Predigt  des  VIII.  Theils,  über  Marc.  9,  24,  bei  der 
liLrzähTung  der  Heilung  des  besessenen  Knaben  (S*  75. 
76):  „Dergleichen  Krankheiten,  wovon  die  Crsachen 
^unbekannt  waren  und  unerklärlich  schienen,  wurden 
„von  den  Juden  jener  Zeit  gewissen  bösen  und  nnrei- 
„nen  Quälgeistern,  Dämonen  genannt,  zugeschrieben, 
„welchen  bisweilen  diese  beschädigende  Macht  auf  den 
„Körper  der  Menschen  verliehen  wurde,  und  wogegen 
„keine  Hülfe  noch  Zuflucht  war,  als  bei  Gott  allein. 
„Dieser  Meinung  hat  Jesus,  um  weiser  und  vielleicht 
„zuin  Theil  uns  unbekannter  Gründe  willen,  well  er 
„mehr  als  wir  von  der  Geisterwelt  wusste,  niemals 
„widersprochen,  sondern  vielmehr  bei  der  Heiiang 
„dieserlQualen  seine  Ausdrücke  davon  entlehnt;  in- 
„dem  er  also  zu  erkennen  gab,  dass  keine  schädliche 
,, Kraft,  es  sei  in  der  sinnlichen,  es  sei  in  der  unsicbt- 
,;barea  ^^'eft,  war,  welche  nicht  unter  seinem  Befehle 


5^t 


„stand  und  vor  seiner  göttlichen  WunderkfaA  weichen 
„mosste. '*  — 

Aus  diesen  kiinstlichi  gestellten  Ausdrücken  lässt 
sieb  Immer  noch  vermuthen,  dass  er  an  die  Einwir- 
kung der  bösen  Geister  auf  die  Besessenen  zur  Zelt 
Christi  glaube.  Schlagt  man  aber  seine  Erklärung  in 
den  Bibel  an  merk  ungen  zu  dieser  und  den  an- 
dern oben  angeführten  Stellen  über  die  Besessenen 
nach,  so  findet  man,  dass  er  alles  für  natürliche 
Krankheiten  erklärt. 

Und  so  scheidet  man  denn  von  dem  grossen, 
glänzenden  Redner  mit  einem  wehmüthigen,  schmerz- 
lichen Gefühl  darüber,  dass  seine  ausgezeichneten  Ga- 
ben nicht  mit  Verleugnung  der  eigenen  Weisheit  im 
Dienste  Christi  stehen,  dass  er  nicht  gleich  den  Apo- 
steln den  Vorwurf  der  Thorheit^  Narrheit  und  des 
Rasens  (der  Schwärmerei,  des  Mjsticismus).  tragen  will 
bei  ^em  Predigen  der  Weisheit  Gottes,  sondern  viel- 
mehr meint,  das,  was  den  Aposteln  nicht  gelungen  ist, 
mit  seinen  klugen  Worten  erreichen  zu  können,  den 
natürlichen  Menschen  nämlich  die  göttliche  Weisheit 
von  Christo  und  seinem  Geiste  überzeugend  als  wirk- 
lich weise  zu  demonstriren.  Von  dieser  fleischlichen 
Klugheit  ist  denn  auch  hier,  wie  immer  das  traurige 
Endresultat,  dass  die  Heilslehre  verflacht,  ihres  Kernes 
beraubt,  dagegen  statt  der  rauhen  Scnale  mit  einem 
anlockenden  Gewände  bekleidet  wird,  so  dass  die  na- 
türliche Vernunft  des  Menschen  sich  nun  mit  ihr  be- 
freundet, da  ihr  keine  Demiithignng  abgefordert,  son- 
dern ihre  volle  Ehre  gelassen  wird. 

Dermout 

Leerredenen.  1819,  Dordrecht  bei  Blusse  £f  ^An 

Braam. 
Nieuwe  Leereedenen,   182:1,.  Haag  bei  AgLLART. 
:.    —       — '     —       —     tweede  bundeL   1827« 

Diese  Predigten  zeichnen  sich  durch  eine  kräf- 
tige, männliche  Beredsamkeit,  durch  schöne.  Verglei- 
chungen    und    treffende    Gegensätze,     und    überhaupt 


5'i2 


durch  Reioheit  und  Wurde  der  Sprache  aus.  Die  lor- 
getragene  Lehre  ist  im  Ganzen  gläubig.  Kine  schone 
Darstellung^  der  Versöbnungs lehre  enthält  die  8te  Pre- 
digt des  II.  Thls.:  Von  der  kräftigen  Tröstoog, 
welche  die  Lehre  des  EvaDgelinms,  Jesom 
Christum  betreffend,  dem  beuDruhigteo 
Gewissen  anbietet,  über  1  Job.  2,  1.  2.  Auch 
die  4te  Predigt  des  L  Theils:  Von  der  Vortreff- 
lichkeit Jesu,  als  Gottes  Gesandten  und 
Busspredigers,  über  Matth.  12,  41,  ist  voniiglick 
ansprechend. 

Dass  die  Byheloefeningen  im  II.  Tbl«,  über  1  Viau 
24,  1  —  33  und  84  —  67  musterhaft  sind^  habe  ick 
oben  schon  erwähnt* 

Nicht  selten  a&er  leuchtet  die  Kernst,  und  die 
Sucht  nach  hohen  Worten  zu  sehr  hervor,  so  dass 
bei  der  oratorischen  Darstellung  der  geistigen  Griwe 
der  Apostel  und  anderer  Gegenstände  wohl  BeWuade* 
rung  rege  gemacht  hat,  aber  das  Kreuz  Christi  doch 
Gefahr  leidet,  darunter  zu  nichte  zu  werden.  Nament- 
lich führt  auch  er  nicht  genug  in  die  Tiefen  des  bo- 
aen  Herzens,  und  schildert  dessen  sittliches  Verderbes 
nur  schwach  und  leise.  Den  Grund  davon  gibt  er  im 
II.  Tbeil  seiner  Predigten  S.  84  an:  „Euer  sittliches 
„Gefühl  würde  ich  verletzen,  wenn  ich  das  mannich- 
„faltige  Verderben,  wofür  d\t  Menschheit  empfänglich 
„ist,  mit  Zügen  der  Wahrheit  abmalte.^'  —  Durch 
solche  m'enschengefallige  Schonung  wird  aber  die  rech- 
te Selbsterkenntniss  und  Busse  erschwert  —  I^ag^i^^ 
wird  oft  und  stark  vom  Adel  unserer  Natur  ge- 
sprochen, so  II.  Tbl.  S.  54.  120. 

Das  Vorherrschen  äes  rednerischen  Elements  scbeiot 
auch  mit  die  Ursache  zu  sein,  dass  manche  Predigtea 
mehr  wissenschaftlich  gelehrte  Reden,  als  praktisch- 
christliche Vorträge  sind.  So  handelt  die  7te  Predigt 
des  1.  Theils:  Paulus  zu  Athen,  über  Ap«  Gesch. 
17,  16  —  2I9  fast  bloss  von  Athens  ßlüthe  in  Kna- 
sten und  Wissenschaften  und  von  den  verschied enea 
griechischen  Philosophien.     So  ist  die  2te  Predigt  des 


.Sg3 

I 

II.  Theils:  Die  Einführung  des  C  brist enlbu ms 
in  Kuropa,  als  ein  göltliches  Werk  be- 
schaut, über  Ap.  Gesch.  IG,  9.  10,  eine  interessante 
kirchf^ogeschichtKchti  Darstellung,  wo  das  reiche  Wis- 
sen des  Historikers  und  die  grosse  Kunst  des  Redners 
sieb  glanzvoll  entfairen.  —  Aber  wenn  es  wahr  ist, 
dass  jede  Predigt  eine  Antwort  geben  soll  auf  die 
Frage :  Was  muss  ich  thun,  dass  ich  selig 
werde?  was  soll  dem  also  Fragenden,  nach  dem 
Trost  des  ewigen  Lebens,  schmachtenden  Zuhörer  die 
philosophische,  die  kirchenhistorische  Lection?  Von 
solchem  Glanz  der  Wissenschall  und  solcher  Kunst 
werden  wohl  ästhetische  Hörer  und  eitle  Gaffer  ange- 
lockt, aber  die  Mühseligen  und  Beladeneo  aus  der 
Kirche  vertrieben. 

Wie  wohllhuend  contrastirt  dagegen  die  apostoli- 
sche Einfiilt  der  Predigten  eines  HoffACKER'sI 

Borger 

Leerredenen.  2  Thle.,  1814* und  1R21,  Haag  bei 
Allart. 

Diese  Predigten  zeichnen  sich  durch  grosse  Ori* 
ginalität,  tiefe  Gemüthlichkeit ,  eine  lebhafte  Phantasie 
und  hohen  Scharfsinn,  so  wie  durch  einen  begeister- 
ten, bald  mehr  den  Verstand,  bald  mehr  das  Gefühl 
ansprechenden  Vortrag  und  grossen  Ernst  ans. 

Indess  sii^d  die  meisten  derselben,  besonders  im 
I.  Theil,  mehr  'gelehrte  akademische  Abhandlungen  in 
Predigtform,  wie  denn  auch  die  erste  Idee  und  den 
Stoff  dazu  ihm  zum  Theil  einzelne  gelehrte  Aufsätze 
geliefert  haben,  was  er  in  der  Vorrede  zom  I«  Theil 
bekennt.  So  z.  B.  bewog  ihn  Lessjng's  Büchlein: 
Wie  die  Alten  den  Tod  gebildet,  zu  der  Un- 
tersuchung: Welche  verblümte  Ausdrücke  das  N;  T. 
vom  Tod  gebrauche,  und  das  Resultat  dieser  Unter- 
suchung der  Gemeinde  in  der  5ten  Predigt  desI.Tfals» 
auf  der  Kanzel  vorzutragen.  Die  meisten  Predigten 
im  I.  Theil  sind  jede  60  —  70  Seiien  bng.  Strenge 
Textbenutzung    und   Erklärung   ist   nickt   seine  Sache, 


524 

Mtäs  ia  der  Vorrede  zam  II.  Tbell  S.  XII.  dessen  Her- 
ausgeber VAN  DER  Palm  selbst  eingesteht,  so  da» 
er  denn  ¥robl  auch  absichtlich  dürre  Texte  wählt,  qb 
seinen  philosophischen  Betrachtungen  mid  eigenen  £10- 
fallen  Raum  zn  lassen,  so  I.  Theil  3te  Predigt,  vhv 
die  Worte:  „Es  stehet  geschrieb  e  n**   Matfh.  4, 

4,  und  II.  Theil  5te  Predigt  über  Matth.   10,  2—4. 

Wie  die  Genie's  sich  an  keine  Regeln  zu  binden 
gewohnt  sind,  so  auch  BORGER.  Die  Lebhaftigkeit 
seiner  Phantasie  reisst  ihn  oft  hin ,  und  verleitet  iho 
zu  Sprüngen ,  was  er  selbst  in  der  Vorrede  zum  I.  TU. 

5.  XIII.  bekennt,  so  wie -er  denn  auch  die  Funkeo 
seines  Witzes  und  Scharfsinns  oft  sprühen  lässt,  wo 
sie  nicht  an  ihrem  Orte  sind.  Die  vielen  Gebrechen 
seiner  Predigtweise  erkannte  er  selbst  so  Jebendigi 
dass  er  sein  Amt  als  Universitätsprediger  niederlegtei 

Der  grosse  Streit  in  seiner  Seele  zwischeb  seines 
tiefen  Gemüth,  das  ihn  nach  Christo  hintrieb,  und 
seiner  Philosophie,  die  ihn  zur  menschlichen  Weisheit 
nnd  zu  einem  blossen  Verstandes  «Christeuthum  hin- 
wies, in  welchem  Kampf  das  erste  der  streitenden  Ele- 
mente leider  nicht  die  Oberhand  behielt,  wie  ich  schon 
oben  bemerkt,  zeigt  sich  auch  in  seinen  Predigten. 

So  preist  er  sehr  stark  den  haben  Adel  nnd 
die  Wür'de  unserer  Natur,  und  glaubt  selbst  das 
Vernuniltlicht  hipreichend  zur  Religion  für  die  Selhst- 
denker  1.  Theil  3te  Predigt  S.  140  —  142:  „Wenn 
„wir  unser  Auge  richten  auf  so  Viele,  welche,  ohne 
„die  Fackel  der  Offenbarung,  allein  durch  das  Licht 
„der  Vernunft  geleitet,  sich  selbst  ein  Gesetz  wareoi 
„von  Natur  thuend  des  Gesetzes  Werk,  auf  so  Viele, 
„welche,  unbestechlich  für  die  Anlockung  der  Sünde! 
„mit  Muth  und  Standhafligkeit  den  Eingebungen  ihres 
„tugendhaften  Herzens  treu  blieben,  dann  ehren  wir 
„in  diesen  Helden  der  Tugend  die  Würde  unserer 
„Natur  und  das  Ansehen  der  Vernunft,  welche  ut 
„Seelenruhe  ohne  Genuss  höher  als  Gennss  mit  tie-, 
„Wissensbissen  schätzen  liess  ...  Tugend  möge  für  dei 
„erhabenen  Philosophen  der  Lohn    der   Tugend   sein; 


525 

„(1er  gewöhnliche  Mensch  erfordert  einen  stärkeren 
„Stachel,  verlangt  eine  bestimmte  Vergütung  fdr  den 
^Verlust  und  die  Enthaltsamkeit,  der  er  sich  im  Zii- 
,,geln  meiner  Begierden  unterwirft.  -  Und  wie  schwach 
„ist  das  Licht,  welches  die  Yernunft  hier  auEÜndet, 
y,wenn  wir  nach  Unsterblichkeit  und  Belohnung  fragen! 
„Und  wbre  auch  dieses  Licht  für  Einige  hell  genug, 
„den  Weg  der  Tugend  mit  Muth  zu  betreten,  und 
„den  Irrweg  der  Sünde  zu  vermeiden,  wie  sollen  die 
„Meisten  die  Kraflt  von  Beweisen  fühlen,  die  über 
„dem  Bereich  ihres  Denkvermögens  liegen,  und  die 
„Früchte  einer  ungewöhnlichen  Anstrengung  des  Gei- 
p,stes  sind?" 

In  andern  Predigten,  so  II.  Theil  4te  Predigt: 
Von  der  gö  ttlichen  Traurigkeit,  über  2  Cor. 
7,  10  S.  97  — -  105.  116,  schildert  er  dagegen  die 
Grösse,  Allgemeinheit  und  schwere  Strafbarkeit 
der  Sünde  so  stark  und  ernst,  dass  das  „unschul- 
dige, tugendhafte  Herz,  der  Adel  und  die 
Wüfde  unserer  Natur  in  geradem  Widerspruch 
damit  steht.  Er  lehrt  demnach  auch  daselbst  S.  116, 
dass  eine  höhere  Hülfe  nöthig  sei,  ebenso  I.  Theil 
7te  Predigt  S.  352^  wo  er  die  Lehre  der  Ohnmacht 
unserer  Natur  und  die  Nothwendigkeit  einer  übernatür- 
lichen Hülfe  zugibt,  aber  sich  aufs  ängstlichste  dort, 
wie  hier,  hütet,  den  biblischen  Ausdruck:  heil.  Geist 
zu  gebrauchen,  sondern  allgemeiner  sich  ausdrückt: 
kräftiger  Beistand  des  Höchsten,  oder:  ein 
höherer  Geist  mnss  uns  erleuchten.  In  letz- 
terer Stelle  S.  354  —  357,  spricht  er  mit  Feuer  von 
dieser  Hülfe  Gottes,  obgleich  er  durchaus  nicht  zum 
Bitten  um  diesen  Geist  Gottes  ermahnt,  was 
überhaupt  höchst  selten  geschieht.  Diese  ängstliche 
Wahl  in  den  Ausdrücken  rührt  auch  bei  ihm  voi^  der 
oben  erwähnten  Besorgniss  vieler  Theologen  her,  man 
möge  sonst  der  verhassten  Lehre  der  Gnaden  wähl  und 
deren  Anhängern  Kaum  geben.  Gegen  diese  sprechen 
sie  sich  oft  mit  Bitterkeit,  nicht  selten  mit  ungerechter 
Härte   aus,     so    namentlich    Borger    hier   8.   353: 


326 


^Dlese  die  Lehre  der  menschlichen  Ohnmacht  mis- 
„brauchenden  Menschen  selzen  ihren  Ruhm  in  dli 
^Rechlgläubigkeit,  nnd  ihre  Rechtgläubigkeit  in  die 
'  ^Kniiedrigung  ihrer  Matur  unter  das  Gethier  des  FeU 
yydes« .  •  •  Liebe  zur  Sünde  ist  der  Schlüssel  <ar  Auflö- 
sung dieses  R'atbsels  ihrer  Rechtgläubigkeit.  Men- 
schen, von  der  Kraft  des  Irrthnms  von  Kindesbeiaeo 
Sn  durchdrungen,  gewöhnt  an  Niederlagen  in  dem 
^Kampfstreit  wider  die  Sünde,  durch  das  Schmeichela 
,,der  Sinnlichkeit  bezaubert,  und  sich  sehnend  nach 
yyinebr  und  mehr  Genuss,  welche  Lehre  kann  ihnco 
„so  willkommen  sein,  als  die  Lehre  ihrer  Schande» 
„die  Lehre  der  völligen  Ohnmacht  zum  Guten?"  — 

Aus  seiner  mehr  historischen  Auflassung  des  Cfari- 
stenthums  mit  dem  Verstände  erklärt  sich  auch  die  Aus« 
führlichkeit,  mit  welcher  er  in  mehreren  seiner  Predig- 
ten alle  mögliche  Beweise  für  die  historische  Glaob- 
würdigkeit  und  Göttlichkeit  des  Christenthunis  darl^, 
und  alle  wirklichen  und  möglichen  Einwürfe  clagegeo 
so  weitläufig  widerlegt,  als  wäre  er  auf  seinem  akade- 
mischen Lehrslubl.  So  I.  Theil  6te  und  Ite  Predigt, 
über  Luc.  2,  34,  wo  er  dann  auch  S.  312  sagt:  Der 
Verstand  müsse  erst  zum  Glauben,  darnach  das  Ilen 
zur  Tugend  kommen,  so  II.  Theil  5te  Predigt  über 
Matlh.  10,  2  — *  4.  Fallen  ihm  gelehrte  Bemerkungen 
ein,  so  kann  er  sie,  wenn  schon  die  meisten  Zuhörer 
sie  nicht  verstehen,  doch  nicht  unterdrücken,  so  IL  ThI. 
S.  16»:  „Wie  viele  Disteln  gibt  es  gegen  Einen 
„Kornbalm,  wie  viele  Gregobivsse  gegen  Einen 
„Ganganelli!" 

In  der  2ten  Predigt  des  IL  Theils:  von  dem 
Wiedersehen  in  jenem  Leben,  über  Job.  11^ 
22,  erklärt  er  gleich  im  Anfang  S.  32:  Der  Text  habe 
eigentlich  gar  keine  Beziehung  auf  sein  Thema,  weil, 
der  nur  vom  Wiedersehen  der  Jünger  nach  der  Aof- 
erstehung  Christi  in  den  40  Tagen  handle.  Indeis 
lasse  sich  das  Gefühl  des  Herzens  nicht  leicht  dnrdi 
exegetische  Regeln  in  Banden  legen,  nnd  es  denke 
bei  jenem  Text  an   das  jenseitige  Wiedersehen.    Noa 


527 

gibt  er  dend  die  phi  I  oso  ph  is  cb  eo  Grii  nde  für 
cia3  Wiederseben  in  jenem  Leben,  indem  er  bemerke, 
in  der  Schrift  sei  nichts  über  die  Sicherheit  dieser  Er- 
vrartung  geoffenbart  (S.  41),  und  daher  auch  kein^ 
Bestätigung  seiner  philosophischen  Gründe  dorcbs 
Christenthum  hinzufügt 

Gehören  aber  solche  pur  philosophische  Rä'sonne-' 
ments  auf  eine  christliche  Kanzel? 

J.  Wys,   J.  C.  Zoon, 

« 

Prediger  im  Haag,  gestorben  1826,  ausgezeichnet 
durch  exegetischen  Scharfsinn,  grosse  Darstellungsgabe 
und  ein  «mehr  dem  deutschen,  als  dem  hollän- 
dischen Charakter  eigenes  Feuer  der  Beredsamkeit, 
gab  heraus: 

Zestcd  Leerredenen   oper  den  toehomenden  Staat, 

Schiedam  1821,  hei  VAN  IIemsdaal.  3.  Aufl. 
Leerrede  ouer  de  Zaligheid  der   proeg  aterpende 

hinderen»  1821.  ,  ■ 

Leerredenen  ouer  Homeinen  IXy  XenXL  2Thie« 

Haag  1824  und  1825. 
—     —     —  ♦  — '     Genesis  I  —  ///,  henepens  eene 
oper   Rom.  Vy    4%  ^^  %4*    Haag  1826,   bei 

DE  VlS&BR. 

Eine  Beurth eilung  der  Predigten  über  Gen.  I  — 
///,  deren  4  sind,  werden  hinreichen,  eine  richtige 
Ansicht  über  den  Geist  des  Verfassers  zu  geben. 

Die  erste  handelt  von  der  Schöpfung  der  Welt 
und  der  Umbildung  der  Erde,  die  zweite  von  der 
Erschaffung  und  dem  ursprünglichen  Zustand  des  Men- 
schen, die  dritte  von  des  iMenschen  Fall,  die  vierte 
von  der  Handlungsweise  Gk>ttes  mit  den  gefallenen 
Menschen. 

Ueberall  zeigt  sich  eine  schöne,  blühende,  feurige 
Sprache,  viel  exegetische  Kunst,  die  jedoch  öfters  zu 
sehr  weitläufigen,  exegetischen  Bemerkungen  verleitet, 
viel  Liebe  zu  schildern  und  mit  Worten  zu  malen, 
obgleich  er  die  Grenzen  hierin  nicht  so  sehr  wie  viele 
Andere  überschreitet.    Seine  Anwendungen  am  Schluss 


528  . 

der  Predigten  sind  praktisch,  herzlich  nnd  ergreHeodL 
Ueberall  spricht  er  grosse  Ehrfurcht  vor  der  Scbnft 
aus,  und  erklärt,  dass  raaa  sich  an  die  biblischen  Er- 
xähluDgen  als  wahre  Geschichte  halten  müsse,  veil 
sonst  einer  sehr  wilikiihrlichen  ßibelanslegnng  der  Weg 
gebahnt  würde  (S.  11. 12).  Leider  kann  er  aber  selbst 
seine  exegetische  Weisheit  nicht  so  weit  zügeln,  dass 
er  sich  nicht  sehr  wiilkuhrliche,  die  historische  Glaob- 
würdigkeit  der  biblischen  Krzäbiangea  untergrabende 
Auslegungen  erlaubte,  wenn  schon  er  dies  sparsam, 
in  .MiiNTiNGiiE's  Geiste  thut  So  z.  R^  erklärt  er, 
nntcr  der  Schlange  1  Mos.  3  sei  nicht  eine  wirkliche 
Schlange  gemeint  (S.  105  —  108),  ganz  wie  MuN- 
TINGHE;  die  Stimme  Gottes  1  Mos.  3,  8,  und  dem 
Cherubim  vor  dem  Paradies,  erklärt  er  fiir  ein  Gewit- 
ter (S.  120.  lei)  u.  s.  w. 

Auch  er  sucht,  wie  so  viele  Andere,  die  mensch- 
liche Sündhaftigkeit  möglichst  miide  darzustellen,  so 
denn  auch  die  Sünde  Adams.  S*  146,  147  erklärt 
er  daher  in  Betreff  des  Bekenntnisses  Adams  1  Mos. 
3,  12.  „In  seinen  NVorten,  absichtliches  Streben  xt 
„finden,  seine  Siinde  zu  bedecken,  die  Schuld  aaf 
„seine  Gattin,  und  wohl  indirekt  auf  Gott  zu  werfen, 
„der  ihm  diese  Ehehälfte  geschenkt  hatte,  dazu  findfc 
„ich  nicht  den  mindesten  Grund  ••..  Lasst  uns  lieber 
„seine  Aufrichtigkeit  mit  Freuden  bemerken,  als  einen 
„Beweis,  dass  die  Stimme  des  Gewissens  noch  in  ihm 
„sprach,  dass  sein  Herz  seine  kindliche  Einfalt  noch 
„nicht  verloren  hatte,  und  lasst  uns,  wie  wir  ihm  nur 
„allzuoft  im  Ungehorsam  nachfolgen,  so  aach  sein 
„bereitwilliges  Bekenntniss  nachahmen.  *'  —  ^ 

Gleich  als  ob  nicht  jeder  Seelsorger  noch  hentzo- 
tage  nicht  selten  die  Erfahrung  machte,  dass  die  Kin- 
der Adams,  wenn  sie  über  ihre  Sünden  zur  Rede  ge- 
stellt werden,  gewohnt  sind,  die  Schuld  von  sich  ab^  .;= 
und  auf  Andere  zu  wälzen,  und  wenn  sie  sie  auf  Nie^  i 
mand  anders  werfen  können,  dann  nngescheut  anf  Gott 
selbst  werfen  mit  den  Worten:  „Ich  habe  mich 
„nicht    selbst    gemacht!    Warnm    hat    mich 


529 

„Gott  so  schwach  geschaffen?^  —  Mit  dieser 
Erfahrung  stimmt  ganz  überein  die  Lehre  des  Apostels, 
dass  unsere  Selbstliebe ,  unser  fleischlich  ^  Gesinotseia 
so  mächtig  sei,  dass  wir,  um  nur  nicht  uns  selbst 
Teini  werden  zu  müssen,  lieber  Gott  Feind  sind 
(Rom.  8,  7).  Und  sollten  wir  dem  heiligen  Geiste 
'  nicht  mehr  glauben,  als  dem  Geist  menschlicher 
Weisheit?  — 

Die  Predigten  über  Rom.  9  —  11  haben  dem 
Verfasser  grossen  Ruf  erworben,  weil  er  zuerst  gewagt 
bat,  öfTentllch  und  ex  professo  die  Widerlegung  der 
symbolischen  Lehre  von  der  Gnadenwahl  aus  der 
•Schrift  zu  versuchen.  Auch  diese  Predigten  zeugen 
von  grosser  Beredsamkeit,  exes^etischer  Kunst  und 
Scharfsinn,  obgleich  sich  auch  darin  manche  Spuren 
eines  fein  rationalistischen  Geistes  bei  den  Erklämn- 
gen  über  die  Wiedergeburt,  die  Gnadenwirkungen  des 
beil.  Geistes  u.  s.  w.  zeigen.  — - 

Kein  Theil  der  neuesten  theologischen  Literatur 
Hollands  ist  reicher,  als  die  Predigtliteratnr,  und  sie 
vrird  noch  stets  von  vielen  Seiten  vermehrt.  Ich  nen- 
ne hier  nur  noch  einige  der  bekanntesten  Verfasser 
von    Predigten:      VAK    VOORST,     TAN    Hengbe, 

CLARIS5E,  BROES,    FrANZEN  VAN  ECK,    DON- 
KER  CURTIUS,    VeRWET,    PRINS,    CoQUEREl» 

und  Teissedre  l'Ange.  — 

,  B)  KatechetiL 

!  L.  Egeiing, 

2  Prediger  zn  Leiden,  ein  schlichter,  kindlich  -  glaubi- 
ger, schriflkundiger,  im  Predigen  gesalbter,  und  daher 
in  grosser,  allgemeiner  Achtung  stehender  Mann  hat 
für  den  katechetischen  Unterricht  herausgegeben: 

JEen  Vrtuigboehje  tot  onderuyzing  in  de  ehristS" 
fyke  Leer,  7te  Ausgabe,  1823»  Amsterdam 
bei  C'OTSNS. 


I 

i 


H.  34 


530 

De  ^Veg  der  Zaligheid  naat'  het  beloop   des  Bi- 
UÜ.  2  Thle.  II.  Aafl. ,  1822 ,  Amsterdam  Lei 

COVENS, 

Das  Frage  buch  Ist  ein  kleiner  Katechismos, 
'  welcher  in  kurzen  Fragen  und  Antworten ,  mit  ßeifii- 
gnog  von  Bibelstellen,  wobei  den  meisten  Antworten 
noch  einige  Fragen  ohne  Antwort  beigesetzt  sind,  ra- 
erst  in  2  Ablheilungcn  die  biblische  Geschichte,  daraof 
in  2  andern  Abtheilungen  die  Religionslehre  durchgeht. 

Zu  diesem  Fragebuch  ist  der  „Weg  der  Se- 
ligkeit^ als  ein  ausführliches  Handbuch  gesciiriebeo, 
das  in  den  §§.  und  Abschnitten  mit  demselben  über- 
einstimmt, übrigens  aber  ganz  für  sich  besteht,  daher 
auch  unabhängig  vom  Fragebuch  den  Erwachsenen  als 
Lese-  nnd  Lehrbuch  dienen  kann« 

Der  erste  Theii  dieses  Handbuchs  enthält  die 
biblische  Geschichte,  will  diese  ]edoch  nicht  vollstän- 
dig erzählen y  sondern  nur  die  Hauptsachen,  und  was 
sich  auf  die  Glaubenslehre  bezieht.  So  gibt  er  ancii 
nicht  bloss  das  Geschichtliche  von  den  Propheteoi 
sondern  erklärt  die  wichtigsten  nnd  schwierigsten  Stel- 
len eines  jeden,  besonders  in  Bezug  auf  den  Messias. 
Sehr  schön  ist  die  stufenweise  Entwickelung  der  Of- 
fenbarungen Gottes  nach  dem  Faden  der  heiligen  Ge- 
schichte dargestellt  in  mehreren  Abschnitten,  und  ge- 
zeigt, wie  weit  die  Religionskenntnisse  in  jeder  Zeit- 
periode gingen.  So  ist  z.  B*  sehr  deutlich  gelehrt, 
wie  die  Lehren  von  Christo,  von  einem  ewigen  Leben 
etc.,  schon  in  der  frühesten  Zeit  vorhanden  waren, 
wenn  gleich  anfangs  dunkel,  und  wie  sie  allmählig  hel- 
ler und  heller  wurden. 

Kinfache,  kurze,  erbauliche  Bemerkungen  sind  da- 
zwischen gestreut. 

Der  zweite  Theil  enthält  die  Glaubenslehre. 

Das  Ganze  ist  ein  treffliches  Werk,  und  Viele« 
daraas,  besonders  aus  dem  ersten  Theile,  ist  für 
Deutschland  der  Uebersetznng  werth. 

Auf  eine  merkwürdige  Weise  zeigt  «ich  jedofb 
auch   an   diesem  Buche   die  Macht    des  theologtschtB 


551  _ 

Zeitgeistes,  der  jetzt  in  Holland  herrscht,  und  wie  er 
selbst  auf  Glanbensniännery  gleich  E GELING,  ihnen 
unbewusst,  einen  gewissen,  wenn  auch  leisen  Einflnss 
ausübt. 

Obgleich  Egeling  nämlich  die  grammatische 
Auslegung  durcheehends  mit  Gewissenhaftigkeit  befolgt,  . 
so  nimmt  er  doch  bei  dem  Sünden  fall  die  Schlan- 
ge sinnbildlich  und  Tur  keine  wirkliche  Schlange  (S. 
13),  und  bei  der  Versuchung  Christi  durch 
den  Teufel  scheint  er  zwar  sich  selbst  zur  bnch- 
stSblich- geschichtlichen  Auslegung  der  Versuchung  hin-^ 
zuneigen,  erklärt  es  jedoch  für  eben  so  wenig  unge- 
reimt, oder  mit  einer  vernünftigen  Auslegung  strei- 
tig, zu  denken,  dass  die  Versuchung  bloss  innerlich 
in  Jesu  Seele  vorgegangen  sei.  —  Wo  bleibt  aber, 
wenn  letztere  Auslegung  gewählt  wird,  die  gramma- 
tische Interpretation,  welche  die  Holländer  doch  (iir 
die  einzig  vernünftige  und  annehmbare  erkläreü?  Nur 
nach  der  philosophischen  Auslegungsweise,  wel- 
che ausser  und  über  dem  Texte  steht,  kann  eine  in* 
nere  Versuchung  angenommen  werden.  Sie  muss  man 
in  diesem  Fall  unter  der  vernünftigen  Auslegung 
verstehen,  und  ihr  gleichen  V^erth  mit  der  gramma- 
tisch ea  geben. 

J.  Prins, 

Prediger  zu  Amsterdam,  frähar  zu  Dordrecht,  hat 
herausgegeben: 

Onderaya  in   de  hyhelsche  Geschiedenissen,  i^oor 

Eerstheginnenden^ 
—      —      —       —       —      —      —       —     ifoar 

Meergeuorderden, 

Meestgeoefenden. 

Das  mittelste   Büchlein   ist  1823    m   Amsterdam  * 
bei  Brate  erschienen,    und  enthält  in  kurzen  Fragen 
and  Antworten,  mit  Bibelstellen,  wobei  häufig  mehre- 
re FrJigen  ohne  Antworten  zugeßigt  sind,  die  bibUscfae 

84* 


532 

Geschichte   und   die    Kirchengeschichtc«      Einige    recht 
niiUliche  ZeitUfeln  sind  angehängt. 

Der  Geist  des  Buchs  lässt  sich  aus  solchen  kurzen 
Fragen  und  Antworten  nicht  leicht  entnehmen.  So  viel 
ersieht  man  indess  aus  Frage  7  der  XX.  Lection  S» 
110,  dass  dem  Verfasser  Christi  Tod  bloss  eine  Ver- 
sicherung der  Vergebung  der  Sünden  und  eines 
ewigseligen  Lebens  ist« 

Der  Verfasser  hat  auch  biblische  Lesebücher 
mit  Bezug  auf  obige  Katechismen  geschrieben. 

Van  KooTENy 

Kort  Begfip  der  JVawrIieden  en  PUgten  t^an  den 
chriatelyken  Codsdienst.  Dordrecht  1820,  bei 
DE  Vos. 

Den  Geist  des  Verfassers  kennen  wir  schon  aas 
seiner  Erklärung  des  Briefs  Jacobi.  Derselbe  o/Ten- 
bart  sich  denn  auch  in  diesem  kleinen  Lehrbuch  des 
christlichen  Glaubens  für  Katechisanden ,  welches  die 
Religionslebren  nicht  in  Fragen  und  Antworten,  son- 
dern in  kurzen  Sätzen  enthält,  die  durch  ausgedrückte 
Bibelsprüche  bewiesen  werden. 

Cap.  IL  S.  10.  11  wird  vom  heiligen  Geiste 
nicht  gelehrt,  dass  er  Gott  sei  mit  Vater  und  Sohn, 
sondern  bloss:  er  bestehe  in  Gott,  Gott  wirke  durch 
seinen  Geist  alles,  besonders  alles,  was  zur  Heiligung 
der  Menschen  dient;  wir  müssten  den  Vater,  den  oohn 
und  den  heiligen  Geist  verehren,  und  von  Gott  durch 
Christum  und  den  heiligen  Geist  alles  Gute  erwarten« 
Dies  ist  alles ,  was  das  Büchlein  vom  heiligen  ,  Geiste 
lehrt«  Von  Wiedergeburt  und  Erneuerung  durch  den 
lieiligen  Geist  kein  WorL  —  Cap.  VL  S.  50  —  54 
wird  über  den  Glauben  an  Christum  bloss  ge- 
lehrt s  Der  Mensch  müsse  an  Christum  glauben,  über 
.sich  nachdenken  und  sich  bessern.  Gotl  schenke  ihm 
den  nöthi^en  Beistand  zur  Erfüllung  aller  seiner  Pflich- 
ten, wobei  Jac.  1,  5.  PhiL  2,  12.  12«  4,  13  angerührt 


S33 

werden,   aber  ja  keine  Stellen,   \^-o  vom  Beistand  des 
heiligen  Geistes  und  dem  Bitten  daram  die  Bede  ist* 

Indess  hält  er  es  für  Pflicht,  sich  in  einem  Lehr- 
buch fiir  die  Jugend  zu  accommodiieo^.  und  die«- 
thut  er  denn  so  stark,  dass  er  Cap.  lY.  S«  16.  11 
nicht  bloss  lehrt,  dass  es  wirklich  böse  Geister  g^be^ 
sondern  sogar,  dass  wir  gegen  ihre  Versuchungen  be* 
ten  müssten.  —  In  der  Erklärung  des  Briefs  Jacob t 
zu  4,  7  lehrt  er  S.  207  -—  216,  wie  wir  oben  gese-^ 
hen,  dass  die  Existenz  von  bösen  Geistern,  nichts  wei- 
ter als  wahrscheinlich  und  ihre  Einwirkungen*  auf  Alen- 
sehen  nur  möglich  seien,  erklär!  sich,  aber  so  wenig.  * 
für  deren  Wirklichkeit,  dass  er  vielmehr  die  Geschieh-^ 
te  von  ihren  Einwirkungen  und  Versuchungen  im  N. 
T«  für  Accomodation  Christi  und  der  Apostel  an  dei^ 
falschen  Volksglauben  erklärt. 

Hört  nun  die  Jugend  des  Morgens  in  der  Kinder» 
lehre  die  Lehre  von  oen  bösen  Geistern  nach  seinem 
Katechismus,  des  Abends  nach  seinem  Brief  «facobi 
im  Hausgottesdienst,  -—  denn,  er  empfiehlt  den  Ge- 
brauch des  letzteren  fiir  den«  Hausgottesdienst  als  seh» 
erbaulich,  s.  S*  VI  der  Vorrede,  — •  mu&s  sie  daiuk 
nicht  im  Glauben  irre  werden? 

O  barmherziger  Gott,  erleuchte  doch  alle  Accom- 
modationsmänner  über  die  unseligen  Fo^geB  ihres  Sy- 
stems fiir  das  Heil  der  Seelen,  wie  sie  dadurch  ihre» 
Schillern  und  Zuhörern  alles  Vertrauen  zu  Christ»  und 
den  Aposteln-  sowohl  wie  zu  ihnen,  ihren  Lehrer»  und 
Predigern  rauben,  dadurch  das  Fundament  ihres-  Wlr-^- 
kens  selbst  untergraben,,  und  aller  Lüge,,  allev  SünAr» 
allem  Jesuitismus  Thiir  und  Thor  öffnen  t  D»  klagen 
sie,  dass  das  Lesen  der  heiligen  Schrillt  y/t  länger  je 
mehr  ausser  Gewohnheit  komme,  und  dass  selbst  die 
crnstlichsten  Ermahnungen  im  Allgemeinen,  nur  wenig 
Eindruck  zurücklassen  (s.  S.  III,.  lY  der  Vorrede  de» 
Katechismus  YAN  KooTElf's);  wer  aber  gibT  mehr 
Veranlassung  dazu,  als  sie  selbst,  wenn  auch  ohne  ihr 
Wollen,  durch  ihre  Accommodationslehre,  diese  frucht- 
bare Motter   des  Unglaubens?    Wie  kann   das   Chri- 


\ 


534 

stenvolk  Liebe   zu    einem   Buche   bekommen,     das  es 
zwar  das  Buch  der  Wahrheit  nennen  hört,  aber  woria 
es  nicht    zu   unterscheiden    weiss,    wo  reioe    Wahrheit 
zQ  finden  ist,   und  wo   Christus    und   die   Apostel  sich 
den  unwahren  Meinungen  Anderer  accommodirt,  wo  sie 
bloss  für  jene  Zeiten,    und  wo  sie  auch  für  es  gelehrt 
haben?     Indem  es  nun  erst  bei  einigen    der    neuesten 
Kxegeten  aufragen  muss,  wo  Accommodation  statt  finde, 
und  wo  nicht,   ach!  da  hört  es  dann,  dass  diese  Her- 
ren selbst  uneins    darüber   sind,    dass   ein    VAN   DEfi 
Palm  mehr  Accommodation  annimmt,  als  NuNTijig- 
IIE,    und    ein   VAN   KooT£N  mehr   als    VAN    DER 
Palm!     Wem  soll  es  nun    glauben?     Und    wenn    es 
sich  auch  ein  Herz  zu  einem  von  ihnen  fasst,  und  auf 
seine  Belehrung  hört,    wer  bürgt  ihm  dann,    dass  die- 
ser sich  nicht  auch  bei  ihm  accommodire,  in  Nacbfolge 
jener  angeblichen  Lehrweisheit   Christi   und    der    Apo- 
stel,  und   ihm    nur   zum   Theil    Wahrheit,    zum   Theil 
aber  Irrthum  lehre ,  welches   beides  es  nun  nicht  wie- 
der zu  unterscheiden  weiss,  —  zumal  da  es  sieht,  dass 
in    den   Kinderbüchern   und  Predigten    anders    gelehrt 
wird,   als  in    den  Büchern    für   I'>wachsene   und   Ge- 
bildete? 

So  trägt  nichts  machtiger  dazu  bei,  den  Eindruck 
der  Ermahnungen  und  J^ehren  der  Prediger  auf  die 
Gemeinden  zu  schwachen,  über  deren  geringe  Wir- 
kungen in  Deutschland  wie  in  Holland  weit  und 
breit  geklagt  wird,  als  das,  dass  viele  Gemeinden  in 
J^eutschland  wie  in  Holland  denken,  und  leider  den- 
ken müssen:  Es  ist  unserm  Kanzelredner  nicht  Ernst 
mit  allem,  was  er  predigt;  er  accommodirt   spchl 

Mögen  deijn  immer  weniger  Gemeinden  Deutsch- 
lands wie  Hollands  Ursache  bekommen,  soldic 
Meinung  von  ihren  Predigern  zu  hegen! 


553 


C)  PastaraUhcelogie» 

Herijnga. 

KerkefyJte  Hactdurager  en  Jtaadget'er,  Ulrecht  bei 
VAN  T£RV££N  £(*  DE  KrVYFF,   L  Stdck,  1819. 

Seitdem'  sind  noch  mehrere  Stucke  erschieneB,  da 
es  fortgesetzt  wird,  — •  Es  enthält  na«  nich faltige  Rath- 
schlage,  Winke,  Anfragen  und  Antworten  in  Bezug 
anf  die  verschiedensten  Theile  des  Predigtanits,  auch 
ausfahrlichere  Abhandlungen,  Predigten,  lehrreiche  Le- 
bensbeschreibungen und  kirchliche  Nachrichten  etc. 
Ausser  dem' Herausgeber  H£aiNGA  sind  nicht  wenige 
Theologen  Mitarbeiter  daran.  £s  enthält  viel  Pasto* 
ralweisheit,  die  bisweilen  fedocb  zu  sehr  in  menschli- 
che Klugheit  übergeht. 

Professor  C.  Boers  in  Leiden  hat  im  J«  1801 
ein  Ilandboek  ^oor  jonge  Predikanien  b^rauAgegebeiH 
welches  von  mehreren  Professoren  bei  ihren  Vorle- 
sungen ilbcr  Pastoraitheologie  ab  Leitfaden  gebraucht 
wird. 

A»  £r  bauungsbiichern,  Gebetbiichern 
und  dgl.  i^t  grosser  Reichthum.  Sie  sind  theiU  m* 
spriinglicb  holländisch,  theils  aus  dem  Deutschen,' 
einige  auch  aus  dem  Englischen  übersetzt«  Zu  den 
beliebtestea  Verfassern  solcher  Bücher  gehören  Cla* 
RISSE  und  B.  V^RWEY,  emerkirter  Prediger  im 
Haag.  Dieser  hat  auch  viele  der  religiösen  Schriften 
von  GlATZ  in  Wien  übersetzt,  da  er  desselben 
modern  -  ästhetischen  Geistes  ist»  —  Auch  die  Stun- 
den der  Andacht  sind,  und  zwar  vom  lutherischen 
Prediger  Koll  zu  Amsterdam,  ins  Holländische  über- 
setzt. 


536 


y.    Theologische  -^Zeitschriften. 


Da  die  theologischen  Zeitschriften  eines  Volk»  ei- 
fiea  tiefen  Blick  in  den  bei  ihm  herrschenden  tbeolo- 
giscbeu  Zeitgeist  thun  lassen  9  und  dieser  sich  In  jenen 
am  offensten  enthüllt,  weil  die  recensirenden  Theolo- 
gen darin  anonym  zu  Feld  ziehen  können ,  so  folgt 
hier,  um  ein  möglichst  richtiges  Urtheil  über  den  Geist 
der  gegenwärtigen  holländischen  Theologie  vorzabcrei- 
ten,  noch  eine  kurze  Beartheilung  der  vier  theologi- 
schen Ilauptzeitschriften. 

/)    KaderUmdache  Letteroefeningen. 

Sie  erscheinen  in  Monatsheften  hei  VAN  DER  Kboe 
und  Ymtema  in  Amsterdam;  bisweilen  auch  in  mehr 
als  12  Ueflen  tm  Jahr.  Jedes  Heft  hat  2  Abtheilan- 
gen.  Die  erste  enthält  Recensionen,  nnd  zwar  auch 
iiber  andere  als  theologische  Schriften,  jedoch  vorzugs- 
weise über  letztere.  Die  zweite,  unter  dem  Titel: 
Mengelwerh,  enthält  Antikritiken,  literarische  Briefe^ 
Anekdoten,  kleine  Romane  und  Gedichte. 

Der  Geist  der  Zeitschrift  ist  mnnter,  belebend, 
witzig,  obgleich  nicht  tief  eindringend,  sondern  mehr 
oberflächlich,  die  Gleichgesinnten  allenthalben  über  die 
Maassen  lobend,  die  Altgläubigen  bitter  und  beissend 
verspottend,  und  aufs  härteste  tadelnd,  überhaupt 
durchgehends  rationalistisch.  Sie  hat  ein  sehr  grosses 
Publikum. 

Im  Julyheft  182S  S.  368  —  370  wird  den  Apo- 
steln die  Inspiration  ganz  abgesprochen,  und  Christo 
die  Gottheit  und  die  Ehre  der  Anbetung. 

Im  Maiheft  1828  S.  226  wird  Christi  Lehre 
unterschieden  von  der  Lehre  der  Apostel,  in  wel- 
chen das  Göttliche  sehr  mit  dem  Menschlichen  ver- 
mengt gewesen,  und  wodurch  der  eigentliche  und  all- 
gemeiae   Sinn   der  Bibel   sehr  verdüstert   worden  sei» 


537 

Nach  S.  228  hatten  Moses  und  Abraham  keine  ge- 
yflsse  Ueberzeugung  von  der  Unsterblichkeit  gehabt. 

Im  Aprilheft  1828  S.  253  werden  den  engli-^ 
sehen  Missionären  Vorwiirfe  gemacht,  dass  sie 
den  bekehrten  Heiden  die  unschuldigsten  Freuden,  ~z. 
B.  das  Tanzeuj  nähmen« 

Mtfr  die  ganz  <^rass  ungläubigen  Aenssernngen  wer- 
den gerügt  9'  so  die  merkwürdige  Aeusserung  des  ge- 
lehrten P.  Gr.  \yiTSEN  Gtsbei^k  in  seinem  Bio» 
grcmhisch  jirUhologisch  en  Critisdi  ff^oordenhoek  d^ 
neaerdidtscJie  Vichiers^  6  Theile,  Amsterdam  1822, 
worin  er  das  Christenthum  die  baktrisch-aramäi-- 
sche  Mythologie  nennt,  und  sagt,  dass  die  ortho-^ 
doxen  Prediger  berufshalber  dieser  den  Vorzug  vor 
der  ägyptisch -griechischen  Mythologie  geben 
müssten.  S.  April  he  ft  S.  190. 

Die  Vertheidiger  der  Dordrechtschen  Kirchenlehre 
werden  mit  niedrigem  Spott  und  unwürdigem  Schimpfenr 
verfolgt,  so  Baron  Zutlen  VAN  Mieveld  und 
Prediger  BäHLER  AplhfL  S.  191,  VAN  der  Biesen 
Jalyheft  S.  376,  BilderdTK  und  CapadosE  Jn- 
nyheft  S.  303  und  Augusthefit  S.  434,  wo  selbst  auf 
eine  gehässige,  niederträchtige,  die  Kerdrctagzaamheid 
der  holländischen  Rationalisten  in  ein  wenig  günstiges 
Licht  stellende  Weise  die  Obrigkeit  gegen  beide  an« 
zureizen  gesucht  wird. 

a)   JBoekzaai 

der  gekerde  Wereld  en  T/dedirift  poor  de  pro» 
testantsche  Kerhen  in  het  Kaningryk  der 
Nederkmden.  Amsterdam  bei  Onber  DK 
Linden. 

Auch  diese  Zeitschrift  erscheint  in  Monatsheften, 
und  besteht  in  2  Abtheilungen,  der  kritischen  und  dem 
Mengehperh*  In  letzterem  kommen  auch  ganze  Pre* 
digtcn  vor,  und  officielle  Nachrichten  über  Kirchen, 
Schulen  und  Universitäten,  kirdilich  -  finaneiellt  An- 
kündigungen und  dgl.  werden  hier  eingerückt,  zu  wel- 


538 

cbem  Zweck  diese  Zeitschrift  von  der  reformirlen  Kir- 
che eigens  erwählt  ist  (s.  rAH  der  Tuuks  Hand- 
iHH!k  I.  S.  197). 

Der  Geiät  dieser  Zeitschrift  ist  gemässigt,  und  b^ 
hauptet  eine  gewisse  äussere  Würde  und  Ernst  So 
werden  Aprilheft  1828  S.  431  bei  der  RecensioB  } 
von  BilderdTk's  Schriften»  wenn  sie  auch  getadelt 
werden,  doch  seine  grossen  Talente  und  das  Schöne 
und  Edle  seiner  Gedichte  anerkannt.  Indess  berrsdl 
auch  hier  der  Rationalismus  vor,  wie  denn  Christi 
Tod  bloss  als  Bestätigung  seiner  Lehre  aDgenommea 
wird,  da  es  sich  nicht  mit  Gottes  Liebe  vertrage,  dass 


:eg 

tremen  der  übertriebenen  sogenannten  Rechtgläubigkeit 
und  der  zu  hohen  Erhebung  der  Vernunft  und  ihres 
Einflusses,  besonders  der  aeutschen  Neologie,  nnd 
die  jetzige  holländische  Theologie  wird  gerühmt,  diss 
sie  auf  dieser  glücklichen  Mittelstrasse  stehe.  Daher 
wird  erklärt,  dass  der  Verfall  des  Protestantismus  in 
Feldhoff's  (damals  deutsch  -  lutber.  Predigers  n 
Nym wegen)  Predigt  zu  schwarz  geschildert  sei.  Man 
möge  wohl  eifern,  thuc  es  aber  doch  hezadigd  (gema- 
iigdf  perdraagzaam)  en  menschtitndigl  s.  August- 
heft 1828  S.  155. 

5)   Godgeleerde  Bydragen. 

Dies  ist  eine  rein  theologische  Zeitschrift,  hat  un- 
ter den  Theologen  am  meisten  Ruf,  und  besteht  schon 
seit  sehr  langer  Zeit,  früher  unter  etwas  anderem  Ti- 
tel- Jährlich  erscheiuen  mehrere  Stücke,  deren  0  ei- 
nen Theil  ausmachen,  Amsterdam  bei  \V.  Brave. 

Auch  der  Geist  dieser  Zeitschrift  ist  gemässigt  und 
behauptet  eine  gewisse  äussere  Würde,  ist  jedoch  eboi- 
falls  rationalistisch. 

III.  Theil  Vf.  Stück  182»  S.  803  und  804  sa|;t 
der    Verfasser    einer    (hcologischeii    Doctordisserlation 


339 

^^über  Psalm  16,  VoRSTMAN:  Der  Apostel  Paulus  habe 

•^sich    Ap.   Ge^cb*  13,   34   mit   dem   Bezugnehmeo  auf 

Jes.  55,  3  geirrt     Dies    wird   vom   Recenseoten    Diclit 

^'getadelt,  sondern  nur  bemerkt:  ,yht  dies  vorsichtig 

byygenug  also  gestellt?**  — 

&  S.  867  wird  VAN  K o  o  T £ n's  Erklärung  des  Briefs 

^ijacobi  sehr  hoch  gerühmt. 

Si-  S.  881  -*  887  wird  in  einer  Abhandlung  die  ge« 

wf  rühmte  geistige  und  körperliche  VortrefHicfakeit  der 
3-  ersten  Menschen  bestritten ,  und  behauptet,  dass  der 
■tf  Sündenfall  für  den  Körper  der  Nachkommen  keine 
u  pachtheilige  Folgen  gehabt,  auch  die  den  ersten  Ael- 
i  tern  angekündigten  Strafen  sich  nicht  weiter  als  auf  sie 
»c  aUein  erstreckt  hätten. 

a  S.  898  —  901  wird  höchlich  gebilligt    die    £rklä- 

»  rung  von  1  Cor.  2,  14,  welche  ein  holländischer  Pre- 
j  diger  Beddi^gius  glbt^  „dass  unter  dem  natürli- 
chen Menschen  bloss  verstanden  sei:  ungläubige 
,Heiden,  welche  das  Evangelium  öfTentlich  verschmäh« 
fe  „ten,  und  dass  die  andere  Erklärung,  welche  den  Meu« 
,«chen  im  Allgemeinen  darunter  verstehe,  eine  schwär- 
.merlsche,  verdammungssüchtige,  onuerdräagzame  Er- 
^klärung  sei.  ^' 

S.  815  —  917  wird  erklärt,  dass  Christi  Verhcis- 
sung:  Durch  den  heiligen  Geist  in  alle  Wabrheit  su 
leiten,  bloss  den  Aposteln  gegeben  sei,  und  die  Mei- 
nung, dass  das  rechte  Verständniss  der  heiligen  Schrift, 
und  somit  das  Finden  der  Wahrheit  in  derselben  eine 
besondere  Gnadenwirkung  des  heiligen  Geistes  erfor- 
dere, der  die  Augen  des  Verstandes  öffnen  müsse,  sei 
falsch  und  schwärmerisch.  Auf  keine  andere  Weise 
könne  man  sonst  die  röm,  katholische  Lehre  von  der 
Unfehlbarkeit  ihrer  Kirche  widerlegen. 

XIV.  Theil  11.  Stück  1826  S.  306.  307  wird  es 
für  sehr  überflüssii;;  und  schädlich  erklärt,  die  Christen 
zur  Wachsamkeit  gegen  falsche  Lehren  zu  ermahnen. 
Dies  flösse  nur  Mislrauen  bei  den  Einfälligen  ein,  und 
sei  in  der  gegenwärtigen  holländischen  Kirche 
iiichl  nöllilg,  wo  vielmehr  zu  danken  sei  für  das  Hcrr- 


9»' 

„1 


540 


scben  der  Vertraagzaexmlieid^  den  Fortgang  der  fireiei 
Untersucfaong  der  hl  Schrift  u.  s.  w. 

^    Nieuw  ChrUtelyk  Maandschrifi 

4HXjr  den  bescJiaafden  Stand,   uUgegeuen  dofSf  i»  } 
jRiihg8t^rg€iaering   f^tm  Amsterdanh.     Bei  X 
VAN  DEa  Hey  zu  Amsterdam. 

Das  erste  Stück  des  IV.  Theils  1830  eodiä 
nichts  weiter  als  3  Aufsätze,  von  dem  Weg  xar  £^ 
langung  des  6;öttlicben  Segens  über  Spr.  IG,  3,  vm 
den  Aehnlichkeiten  zwischen  den  Krankheiten  des  Lei- 
bes und  der  Seele,  und  von  dem  Tischgespräch  Chn- 
sti  Luc.  14,  7  —  11,  von  den  Amsterdamer  Predi- 
gern Prins,  Biehm  und  Broes,  welche  ihre  N^ 
men  darunter  gesetzt  haben,  endlich  noch  ein  kircbea- 

historisches   Aktenstück   aus    dem   Beformations  -  Jab^ 
hundert. 

Die  3  Aufsätze  sind  Im  dreiste  aligemeiner  Moni 
geschrieben,  und  es  finden  sich  darin  keine  ungläobtfe 
Aeusserungen ,  im  Aufsatz  von  Broes  vielmehr  wt 
Bezeugung  seines  Festhaltens  an  der  Versöbnungslebe^ 
was  wir  schon  oben  bei  ibm  anerkannt  haben» 

In  den  früheren  Theilen  der  chriatefyh  nuumi' 
Schrift  dagegen  sind  Spuren  eines  rationalislisdiea  Gei- 
stes unverkennbar. 

Im  I.  Theil  vom  J.  1822  wird  in  einem  Aoßais 
iiber  den  Beligionsunterricht  von  Kindern  S.  512  ge- 
sagt: „Da  das  Christenthum  die  Gottheit  dnrch  Gbri- 
„stum,  das  Bild  Gottes,  versinnliche,  und  demnach 
,ieinfacher  und  kindlicher  als  die  natürliche  Religio* 
„seiy  so  sei  die  christliche  Bei igrons lehre  der  A- 
„B-C-Ünterricht;  während  die  Lehre  der  natür- 
jjlicben  Religion  eine  höhere  Klasse  von  Un- 
„terricht  anbiete,  einen  Unterrieht  für  Philosophei^ 
„für  Verklärte,  für  Engel.  Und  wer  möchte  mit  sei« 
,3nen  Kindern  in  der  höheren  Schule  anfangen-,  xm 
„hernach  mit  ihnen  zur  niederen  Schalelierabn- 
9>steigen  ?  *« 


^i 


541 

S.  551  Wird  das  Beten    zii  Christo  mlssbilligf, 

daher  auch    das  Anleiten    der   Kinder   zum   Beten,    so 

lange  sie  bloss  über  Christum  Cnterricht  erhalten,  und 

,  ^noch  nicht    Gott   den  Vater  kennen,   abgerathen,   und 

.  .angerathen ,  sie  erst  bei  späterer  Entwickelung  dazu  an- 

pü  zuleiten.    „Wie   dringend   nothwendig,    heisst   es    da- 

^ „selbst,    müsste  wohl  das  Gebet  sein,    wenn  zu  rathen 

,,wäre,  so  lange  das  kleine  Kind  Gott,   den  Vater  un-^ 

jl  99sers  Herrn,  selbst  noch  nicht  kennen  gelernt  hat,  da- 

9,rur  das  Gebet  zu  Christo  einstweilen  an  die  Stelle  zu 

J  ,^etzen?" 

2^     '     Im  111.  Theil  vom  J.  1824   wird   S.   232   gesagt: 
.Das  erwachende  Gewissen   bei   dem   Verräther  Judas 
zeuge  doch  von  der  sittlichen  Vortreff lichkeit 
n  unserer  Natur« 

I  S.  264   wird    Christo    Hinneigen   zur   Melan- 

cholie beigemessen. 

Diese  Stellen  aus  dem  !•  und  IlL  Thle.  habe  ich, 

j  <la  diese  Theile  mir  nicht  selbst   zur   Hand   sind,   aus 

Capadose's  oben    angeführten    Omstandig   Verhaal 

*  ffon    de    JVederroeping  der   BenoenUng    i^an    JBrass^ 

1825  genommen 4   welcher   die   Stellen    wörtlich  und 

'   weitläufig  anfuhrt.     Da  ihm  meines  Wissens  die  Wort- 

j   treue  in  diesen  Auszügen   nicht  bestritten   worden,   so 

*    habe  ich   kein  Bedenken  tragen  können,    hierin    sein 

'  Euch  zu  benutzen. 

Dass  neben  diesen  4  mehr  oder  minder  rationali- 
stischen Zeitschriften  keine  einzige  entschieden  gläubige 
vorbanden  ist,  welche  dem  feinen  und  groben  Unglau- 
ben muthig  und  besonnen  Widerstand  biete,  so  dass 
jene  nun  die  öffentliche  Meinung  in  der  theol.  Welt 
beherrschen  können,  ist  eine  Aehnlichkeit  der  gegen- 
wärtigen theol.  Zeit  Hollands  mit  der  Semle Ri- 
echen Periode  in  Deutschland. 


:M 


542 


HB« 


Grosser  Unglaube  in  der  Kirche.  Eni- 
standener  Kampf  gegen  den  Unglau- 
ben^ und  hierdurch  entstandenes  neuti 
Leben  des  Glaubens*  Aussichten  it 
die  Zukunjt, 


Aus  der  vorstehenden  Schilderung  der  neuesten  dieo* 
logischen  Denk  -  und  Lehrweise  und  der  von  ihr  dnrck- 
drungenen  neuesten  theologischen  Literatur  Holland 
ergibt  sich  für  jeden  Unbefangenen,  dass  der  Glaak 
der  holländischen  Kirche  in  seinen  innersten  Gmndle- 
sten  erschüttert  ist,  und  zum  Theil  bereits  vor  einci 
feinen  Unglauben  zu  weichen  angefangen  hat. 

Merkwürdiger  Gang  der  holländischen  Theologie* 
Kachdem  sie  manches  Jahrzehnt  länger  als  Devtschlaa' 
der  Nuolögie  widerstanden,  so  musste  anch  sie,  wd 
sie  meinte,  den  Glauben  durch  ihr  orthodoxes  Systa* 
und  durch  die  natürliche  Bedachtsamkeit  des  National- 
charakters  festhalten  su  können,  auch  nachdem  der 
Geist  daraus  gewichen  und  nur   eine  todte  Bechlgb'' 


i, 


543  , 

Iiigkeit  zuriickgeblieben  war,  erfahren,  dass  selbst  die 
Kisenfestigkcit  einer  bloss  äusseren  Orlhodoxie  endlich 
vom  Roste  der  neaernden  Zeit  zerfressen  wird,  wenn 
sie  nicht  mit  dem  Oel  des  lebendigen  Glaubens,  mit 
dem  Freude nöl   des   heiligen    Geistes   (Hebr, 

1,  8.    Ap.  Gesch.  10,  38.    1  Kor.  1,  21,  22.    1  Joh. 

2,  27)  besfandig  gesalbt;  sondern  dieses  vielmehr  für 
Gift  der  Schwärmerei  erklärt  und  verworfen  wird, 
musste  erfahren,  dass  ohne  solchen  Beistand  des  Gei- 
stes die  allergrö'sseste  fleischliche  Bedachtsamkeit  der 
List  At^  Unglaubens  nicht  widerstehen  kann,  welcher 
sich  in  alle  Gestalten  zu  verwandeln  versteht,  und  un- 
ter den  Bedachtsamen  bedächtig  einhergeht. 

Ilochwiehtige  Lehre  für  die  Kirche  Gottes!  So 
taugt  es  denn  nie  und  nirgends.  Fleisch  für  seinen 
Arm  zu  halten!  So  ist  es  denn  die  thörichtste  und 
verderblichste  Anmassung  zu  glauben,  dass,  da  das 
sinnlich -natürliche  Leben  im  Menschen  ein  Ende  hat, 
sobald  die  Seele  aus  '  dem  Leibe  entweicht,  dennoch 
das  christlich  -  geistliche  Leben  der  Kirche  (des  Leibes 
Christi)  fortbestehen  könne,  ohne  das  beständige  Da- 
sein und  Beleben  des  heiligen  Geistes,  bloss  durch  die 
Kraft  eines  Knochengerippes  todter  Buchstabenortho- 
doxie ! 

Das  hat  zuerst  England,  tlann  aber  noch  mehr 
Deutschland  im  vorigen  Jahrhundert  erfahren, 
dessen  evangelische  Kirche,  wenn  schon  in  der  Gene- 
sung; michti^  fortschreitend,  noch  immer  blutet  an  den 
vom  Unglauben  ihm  geschlagenen  Wunden.  Dasselbe 
hat  darauf  Dänemark  erfahren  und  erfährt  es  noch. 


tiÄA 


Dieselbe  bittere  Erfahrung  machen  jetxt  die  CTangeli- 
schen  Kirchen  Schwedens,  der  Schweiz  und  Hol- 
lands, wo  die  Neologie  sich  nan  niederlassen  lo 
wollen  scheint,  nachdem  sie  sich  in  Deutschland  nidiC 
mehr  heimisch  fiihlt,  wo  sie  gegenwartig  immer  mekr 
entlarvt  und  in  ihrer  Giftmischerei  erkanni  wird. 

Dass  namentlich  in  Holland  die  mächtige  Glau- 
bensfeindin noch  wenig  in  ihrer  wahren  Gestalt  er- 
kannt, nnd  ihre  Mähe,  ja  ihr  Eingedmngensein  miUai 
in  die  Kirdie  noch  wenig  geglaubt  wird,  das  beieiigen 
die  neuesten  Lobreden  rieler  holländischen  Theologeo, 
welche  den  jetzigen  Zustand  der  Theologie  -als  cinei 
Znstand  der  blühendsten  Rechtgläubigkeit  mit  den  an* 
gemessensten  Lobsprüchen  bis  zum  Hinunel   erheben*). 


*)  S.  H.  B  CUM  AN  (Professor  der  Theologie  so  Ut- 
recht) Oratio  (qcademicä)  de  Belgw,  DitcipUnae  theo- 
iogieae  nottra  inprimü  aetate,  sede  puleherrima  et 
maxime  opportuna,  gehalten  Mai  1823,    Utrecht  bei 

TAN  PaDDENBURO. 

J.  J.  Dermout  Synodale  Leerrede 9  gehalten  Jol« 
1823>  Haag  bei  de  V isser. 

B.  R.  DE  Geer  Oratio  (aeademiea)  de  TJieoUgiäf 
noutra  aelate  in  Beigio  feiiciter  exeulia,  gehalten 
Juni  1826,  Groningen  bei  OomcENS. 

W.  Broks  Over  de  Vereeniging  der  Proiettt&Kte» 
in  de  Nederlanden ,  1822  S.  298,  u.  A. 

1d  allen  diesen  Lobreden  wird  das  gegenwflxtige 
Vorbandensein  der  theologischen  Lehrfreiheit  als 
das  sichere  Kennzeichen  des  goldenen  Zeitalten  dsr 
Theologie  angeführt.  —  Mit  welchem  Rechte!  Dar^ 
über  haben  wir  oben  geredet 


545 


»     IWI 


hoth  ui  die  Ge^eriwart  jeofe^  Ve>kapt>t«ii  F«Iiidrif 
di!ii  Holländern,  Gott  sei  Dank!  nicht  ganz  verborgen 
gebliielben.  Seit  dem  J.1823  aind  i^ehrere  ent^cbied^H 
gläubige  Männer  zum  ernsten  AngriCT  ihr  entgegenge« 
tireten,  nnd  haben  ihr  vor  Ihrön  MitbSrgem  die  Mask^ 
abzureissen  gesucht,  dicht  sehen^nd  den  Hohn  und 
Spott  ihrer  Aühängef. 

Der  Vdrg^nger  iä  diesem  K^'mflfe  wstr  j.  DA 
Costa  (vgU  I»  Bd.  S.  129.  12A)  darch  die  Herans- 
gabe seinem  Bezuforen  iegeh  dtft  Gebet  der  JSeuU^  (Be-^ 
«ehwerden  gegen  den  Zeitgeist)  im  J;  1828*  In  iti 
Abschnitten,  überschrieben:  Godedienei ,  Zedefyhhddy 
Verdraagzacanheid  en  Menechefykheid  ^  Schoone  Kun^ 
steny  fmenecTiappen^  OotutUutiey  Geboorte,  PubliehB 
€>pinie^  Onderufyä^  yiyJuid  en  VerUthtirlg  i  schildert 
er  die  Gebrechen  nnsers  sich  sö  aufgeklärt  diiokendeii 
und  sich  selbst  so  hoch  erhebenden  Zeitalter^  j  irie  e9 
in  Unglauben^  Unsittlichkeit  und  Selbstsacht  ^o  tief 
▼ersanken  sei,  eine  so  falsche  and  terderblicbe  Tole- 
taiiz  gegen  religiöse  and  (»oliti^che  Freiheitsschwärme^ 
rei  ausübe^  dorch  sfeine  ftine  Geäasssticht  und  Yer- 
gniignfigswoth"  allen  höheren  Ernst  dea  Lebens  ver-2 
nichte,  durch  eine  den  Ehrgeiz  tnd  die  Yielwisserei 
befördernde  Uiite^ri(:htsmethode  eihe  .dem  Volks-  nnd 
Staats -Wohl  so  nachtheilige  Ehrsacht  und  Sächthei^ 
des  Wissens  v^brelte>  durch  Seiiie  Constitutionswatk 
und  Abgötterei  gegen  die  öfTentlichcf  Meinung  alleri 
Gehorsam  gegen  Obrigkeit  tfnd  Gesetz  so  Kehr  unter- 
grabe) dass^  es  keineswegs  Grand  habe,  die  verflösse-  - 
nen  Jahrhandertt  ab  in  Barbarei  und  Finstemiss  tI^'^ 
IL  M 


546 


sankene  Zeiten  zu  veracliten,  und  sieb  stolx  aufsein 
Licht  über  sie  su  erheben«  Vielmehr  drohe  dies  Irr- 
licht des  religiösen  Unglaubens  und  der  politischen 
Fr^iheitswuth  allen  Staaten  den  Untergang»  wenn  man 
nicht  sum  Glauben«  an  Christum  und  xum  Gehorsam 
gegen  die  von  Gott  verordnete  Obrigkeit  zurückkehre. 
Am  Schluss  bemerkt  er  zum  Trost  für  die  Glänbigen, 
dass  sich  doch  schon  manche  Spuren  eines  die  Nacht 
durchbrechenden  Morgenroths  in  der  WledererweckoDg 
eines  neuen  Glaubenslebens  in  England  and  andern 
Ländern,  in  den  Bekehrungen  vieler  »^den  und  Hei- 
den n.  s.  w.  zeigten. 

Diese  Schildeiiing  entwirft  er  mit  starken ,  meist 
sehr  treffenden  Zügen,  wobei  er  denn  leider  in  sei- 
nem Eifer  Einiges  übertreibt,  zu  der  Rückkehr  zam 
Glauben  die  Rückkehr  zur  Prädestinationslehre  fiir  un- 
umgänglich nöthig  erklärt,  die  Abschaffung  der  Neger- 
Sklaverei  für  ein  philanthropinisches,  nuansnihrbares 
Hirngespinst  ausgibt,  da  auf  den  Negern  als  Abkömm- 
lingen Harns  noch  der  Fluch  Noahs  laste,  und  jbr 
Geist  und  Körper  tief  u^.'er  den  Weissen  stehe,  end- 
lich zu  viel,  nach  alter  holländischer  Weise,  das  Po- 
litische in  das  Religiöse  hinelnfliesst. 

Durch  dies  Büchlein  traf  DA  CostA  gerade  Jen 
(aalea  Fleck  des  Zeitalters,  seine  ungeheuere  Selbst- 
sucht und  dessen  Hochnlnth  auJ  seine  Verdienste« 
Eine  Fluth  von  Gegenschriften,  worunter  viele  schmä* 
hend  und  lästernd,  meist  ohne  Namdn,  zeigte,  welch* 
eine  empfindliche  Seite  berührt  worden.  Der  grcMtste 
Theil  def  Gebildeten^  auch  der  Prediger,  erkBite  sich 


547 

Entschieden  gegen  ihn;  ein  grosser  Theil  des  Volks 
aber  trat  auf  seine  Seite,  nnd  verehrte  ihn  als  <]en 
Vertheidiger  des  alten  Glaubens.  Noch  in  demselben 
Jahre  erlebte  das  BUchlän  viele  Auflagen.  -^  Im  Jahr 
1824  gab  er  j^die  SäddücSer**  heraus,  worin  er  1) 
den  Uoglaaben  der  jüdischen  Sadducäer,  2)  den  sad- 
dacäischen  Unglauben  der  geg^niitärtigen  Geologie,  und 
ä)  den  saddncäischeh  Unglauben  der  Remonstranten 
des  17ten  Jahrhunderts  aufzudecken  suchte.  Mehrere 
ähnliche  Schriften  Hess  er  bald  darauf  folgen,  s.  B; 
Geistlicher  Waffenrüf,  Gott  init  uns  o.  6.  w. 
Durch  diese  im  Feuer  der  ersten  Liebe  tind  ihit 
kräftiger  B^^redsainkeit  geschriebenen  Schrifteil  gelang 
es  ihmj  die  schlummernde  Kirche  au&  ihrem  Schlaf 
und  dem  Traum  eines  goldenen  Zeitalters  aufzuwecken^ 
die  Äugen  aller  Christen  auf  den  Zusfaüd  der  KJrchä 
zu  richten  j  in  Vielen  ein  neues  Leben  des  Glaubens 
anxuregen^  und  viele  Schwankende  zu  starkeii.  h'äii^ 
er  nur  mehr  deli  Standpunkt  der  heiligen  Schrift j  als 
der  Dordrechtscheii  Sjüödc  festgehalten^  das  politische 
Element  mehr  bei  Seite  gelassen,  und  sicli  weniger 
einseitige,  härte  Urtheile^  namenuich  4uth  über  einigd 
Häupter  der  alteii  Beinönstrahteti^  als  Spuren  eines 
iiöch  nicht  ganz  demüthigen  Herzens  erlaubt!  £r 
würde  danü  in  ungleich  grösserem  Grade  trohlthätig 
gewirkt  häbcä^  wahrend  jetzt  die  Gegner  durch  Auf- 
deckung seiner  gezeigten  BlÖsfien  tind  Extreme  nicht 
Venige  Schwache  zuriickschrecken,  und  das  viele  Wäh- 
re seiner  Schriften  in  Schatten  stellen  könnten  ^  S^'as 
^id  denn  auch  eifrig  thaten. 


548 


Indess   hatte  diese  Aufregung  der  Kirche  immer 
sehr'wohlthätige,  sich  noch  mehr  und  mehr  entwickeln- 
de Folgen.    Nicht  wenige  Vettheidiger  stellten   sich  za 
seiner  Seite,   welche  das  Ueberhandnehmen  des  fetnen 
Unglaubens   in  der  Kirche  durch  Schriften    bestätigten, 
so  die  frans^sisch-reformirten  Prediger  BAehler  und 
James  eu  Zwo  11   und  Breda    durch    Herausgabe 
Ton   Predigten  mit    Bemerkungen   über    den    Zustand 
der  Kirche^),  der  mit  Da  Costa  com  Christenthnm 
übergetretene  Dr.  Med.   Capadose,   welcher   einen 
gleich   entschiedenen   Glauben,    wie  Jener,     und    ylei 
Geist  9    aber    noch    mehr    Einseitigkeit    und    Hä'rte  in 
seinen   Schriften   offenbarte,   so   besonders    in   seinem 
BSchlein  über  die  Kuh p ecken  impf nng,     worin  er 
diese,  als  ein  Gott -Vorgreifen  bestritt,   und   in  seiner 
bcreiU   (S.  22)  angefiihrten  Schrift:    über    die   Zu- 
rücknahme der  Wahl   des    etc^    Brass    sum 
Aeltesten  etc.,  welcher   er  Bemerkungen   iiber  den 
Zustand  der  vaterländischen  Kirche  beigefiigt,  so  Baron 


♦)  Unter  diesen  Predigten  zcfichnet  nlch  die  ron  Ja- 
mes über  Rom,  3,  9  ^  24  aus,  mit  dem  Thema: 
Hei  diepy  voMagen  (völlige)  en  algemeen  bederf  va» 
het  menseheipk  geftaehi^  en  het  eenig  middei,  warn- 
door  de  zoridaar  6jf  God  kan  g^echtvaardigd  worden^ 
nit  het  ff^änich,  AmsteTdafti  bei  DEN  Ouden  182fl^ 
tfnd  «eine  Verlheidigung  derselben  gegen  zwei  un- 
gläubige Recensionen  in  der  röm.  katbolischen  SEeit- 
Schrift:  de  UUramontain,  und  in  der  protestantischen 
Zeitschrift:  Vaterlanduhe  LetteroefenimgeH ^  wo  die 
protestantische  Neologie  und  derPapismus,  wie  oft^ 
gegen  den  Glauben  die  Hände  susammenschlugen. 


549 

ZUTLEJ9   VAN    NiEVELD,     der    berühmte    DicLter 

BiLDEBDYK,  VAK  DER  BlESEN  U.  A. 

Yornüglich  viel  Adfsehen  erregte  der  Aufruf  de« 
englisch  -  bischöfliehen  Predigers  ThelWALl  su  Aiq- 
sterdam  an  die  Miederländer  in  Folge  der  Ueber«- 
schwenimungen  im  Jahr  1825  unter  dem  Titel:  Ke^rt 
V  top  hem,  du  Staat!  eenß  chriatelyke  opwekking  aan 
de  Nedsrlanders  hy  g^genheid  paa  de  tegenwooTf 
dige  Qi^^Hicoomingen.  Anisterdam  bei  DEN  Hengst, 
18^5,  worin  er  mU  Bezug  auf  Jes.  9,  12.  13  diese 
UeberschwemmuDg  für  ein  Strafgericht  Gottes  erklärt 
wegen  des  jettigen  Ueberhandnehmens  der  Unsittlich- 
keit,  des  Unglaubens;  einer  Predigtweise,  welche  die 
allgemein^  Sündhaftigkleit,  die  Wiedergeburt  uqd  die 
Wirkpngen  des  heiligen  Geistes  ganz  in  den  Ilintei'- 
grund  stelle,  so  dass  selbst  die  eifrig  viele  kircfaenbe- 
sacl^e^den  Christen  klagen  könnten  mit  den  Worten 
Ap.  Gesch.  18,  2s  »jWir  haben  auch  nie  gehö- 
„ret,  ob  ein  heiliger  Geist  sei^',  und  einer 
verkehrten  Friedfertigkeit  vieler  Hirten,  welche,  um 
nur  dem  Vor\|irorf,  den  Frieden  der  Kirche  zu  stören, 
auszuweichen,  auch  mit  den  in  ihren  3chaa(stall  ein- 
dringenden Wölfen  Friede  und  Bruderbund  schlössen. 

pa  die  Wahrheit  dieser  Anklagen  ni^ht  widerlegt 
werden  konnte,  und  selbst  angesebeqe,  der  liberalen 
Parthci  zugetbane  Prediger,'  wie  ein  Broes  viele 
Wahrheit  darin  zu  erkennen,  öffentlich  erklärten,  wenn 
auch    einige   Uebertreibnng   darin  sei*),   so  schlössen 

*)  ,^Ih   de   aankiagi    onzer   eeuw    van    DA    Costa    hlyft 
Waarhtid  genoeg   overig^'   s.    de  EngcheAe  Kerk  II, 


S5Q 


«ich  immer  Mehrere,  hier  und  da  aach  ans  den  höhe- 
ren  Ständen   an   d!e  Vertheldlger    des     Glaubens  aO} 

l'lil.  S.  358,  obgleich  er  noch  wenige  Jahre  vorheri 
1822  in  seiner  Schrift:  Over  de  Vereenigimg  ete.  8. 
208  (8.  oben)  das  allgemeine  Herrschen  des  Glau- 
bens in  der  reformirten  Kirche  Hollands  sehr  staik 
gerühmt  hatte.  ^- 

Wenn  demnach  ein  mitten   in  diesem   Kirche  le- 
bender erfahrener  Theologe  schon   naph  3  Jahren 
sein  Urtheil  über  die  Uerrachaft  des   Glaubens  ia 
derselben  so  sehr  modificiren  musste,  so  ivird  man 
es  auch  wohl  bei  mir  Ja  entschuldigen,    dass  ich 
nach  dem  Verlauf  von  fast  6  Jahren  seit   der  Her- 
ausgabe  meiner    liturgischen   Mittheilungen 
aus  Holland  und  England,  Essen  bei Bakoeker 
1825,   ein  darlfi  S.  96  enthaltenes  Urtheil  über  die 
in   der   holländischen  Kirche    herrschende  Recht- 
gläubigkeit und  gesunde  Schriftauslegrung 
jetzt  etwas  modifipiren  muss«    in  Fplge   der    seit 
sechsthalb 9  oder  Tielmehr    seit   achthalb  Jahren 
(seit  dem  J.  1823»  wo  ich  nach  Holland  kam)  statt- 
gehabten deutlicheren  Entwickeiung   des    in  jener 
Kirche   vorwaltenden  Geistes ,   und    in    Folge   des 
seitdem   von  meiner  Seite   genauen   Stadiums  der 
holläiidisphen  theologischen  Literatur,  dessen  Haupt- 
resultate oben  mitgetheilt  sind.—  Die  Steile  in  den 
liturgischen  Mittheilungen  heisst  also:   ^,Mag  denn 
„auch  nach  dem   Verfasser   der  Kritik    etc.  8.  24 
4,Bentii99i  von  der  holländischen  Kirche  glauben, 
yydass  die  freie  Textwahl  in  ihr  Schaden   gebracht 
9,habe,    es  widerlegt  ihn  1)  die  Erfahrung  der  hol- 
„ländischen  Kirche,  auch  in  der  neuesten  Zeit;  es 
„widerlegt  ihn   2)   das  übereinstimmende  Z^ugniss 
„der  holluudischen  Prediger  und  Gemeinden  von  den 
„segensreichen  Folgen  dieser  Freiheit;  es  widerlegt 
„ihn    3)  das  blühende  Leben   dieser   Kirche     a)  in 
'    „evangelischer    Rechtgläubigkeit,    6)    in  gesunden 


551 

und  erweclfen  sowohl  in  sich,  als  in  Andern  das  Feuer 
eines  lebendigen  Glaubens  an  den  Herrn. 

;,TOn  Engherzigkeit  freier  Schriftauslegung;  e)  in 
«,ihrer  von  Mottoprcdigen  entfernten,  jetzt  so  hoch 
^»ausgebildeten y  hoinilienartigen  Predigtwelse;  es 
»^widerlegt  ihn  4)  die  gerade  hieraus  entspringen- 
9,de  grosse  Bibellust  und  Bibelkenntniss  und  Kirch- 
„liclikeit  des  Volks.'' 

Das  unter  No.  J.  2.  3,  e  und  4  von  der  hollSndi- 
scheii  Kirche  ausgesprpchene    LfOb    kann  ich  hier 
voUkpinmen  bestätigen,  und  habe  es  durch  die  oben 
darüber  beigebrachten  Belege  bereits  bestätigt.  Nur 
das  unter  ^,  a  und  b  ausgesproche9e  Lob  kann  ich 
jetzt  nicht  in  seiner  Unbedingtheit  und  AUgemein- 
heit  bestätigen,  ^veil  in  der  genannten  Blüthe  etc. 
sich  seitdem  der  darin  verborgene  'Wurm  des  Un- 
glaubens,  der  sie  zu  zerfressen  droht,  deutlicher 
geoffenbart  hat,  Vielehen  ich  denn  auch  oben  ge- 
nauer nachgewiesen  hs^be.  —  Zu  meinem  Entschuldi- 
gung  darf  ich  femer  "wohl  bemerken,   dass   van 
DER  Palm's  Bibelübersetzung  und  B^f  voor  de 
Jeugd^   aus  welchen  man  besonders  den  neologisi- 
renden  Geist  der  neuesten  Schriftauslegung  erkennt, 
im  Jahr  1823  erst  im  Erscheinen  begriffen  waren, 
eben  so  Ypet's  und  Dermout's  Kirchengeschich- 
te, dass  die  meisten  der  hier  V^urtheilten  Schriften 
von  Wys,   Broks,   Priks,    vadi  II^ngei^  u.  a« 
erst  nachher  erschienen  sind,  eben  so  die  dogmati- 
sche Schrift  von  Brower,  — -  dass  endlich  eben 
in  jenem  Jahr  1823  zuerst  Da  Cqsta's  berühmte 
Schrift  gegen   den  Zeitgeist  erschien,   welche   den 
ersten  Impuls   zu  der  seitdem  entstandenen  theolo- 
gischen Aufregung  in  Holland  gab,  worin  so  Vieler 
Herzen  offenbar  wuinien. 

Uebrigens  bleibt  Benthem's  Meinung  von  dem 
Schaden  der  freien  Textwahl  nach  wie  vor  durch- 
aus falsch,  indem  diese  eben  so  wenig  die  Abnah- 


jl 


5sa 

Uoterdesg  tr»!  im  Jabr  1827  eine  anonjine  Jdm 
qan  alle  nyrm  kerporißdü  Qehofßgenoten.  Amsterdan 
bei  DEM  Oi'DEN  ins  Licht  Diese  Adresse,  in  daen 
rultigeo  und  gemässigten  Tone  abgefasst,  die  übertru- 
benen  Ansdriicke  von  J)a  Costa,  Capadose«. 
A«  selbst  misbilligend^  klagte  indess  nicht  ipinder  über 
das  Verlassen  der  Dordrechtschen  Kircbeplehre  too 
einem  grossen  Tlieile  ^tt  Prediger  und  Laien ,  und 
zugleich  über  die  reformirte  Generalsynode,  welche 
diese  Abweichang  durch  manche  ihrer  Verordnungen 
befördere.  Namentlich  habe  sie  die  Bande  des  Glan? 
bens  auflösen  helfen  du^cb  d^s  Zugestebeo  einer  unr 
bestimmten  Freiheit  an  die  Prediger,  die  Ijtargischeo 
Formulare  belni  Gebrauch  beliebig  abzuäfidern^,  fer« 

nie  der  Rechtglfiubigkeit  in  Holland  befSrdorl  hat, 
als  das  Predigen  über  die  Perlkopen  die  RechtglSu- 
bigki^i^  in  den  deutschen  Ländern,  wo  es  eingeführt 
war,  bewahrt  hat    Vielmehr  bestand  notorisch  ge- 
rade in  den  Gegenden  Mittel-   und   Norddeutsch* 
landsy  wo  der  Rationalismiis  sich  am  ung^ebindertsten 
und  schnellsten  ausbreitete,    der  P^rikopenzwang. 
Q  Hierüber   bat   d|e  Synode  in  ihren  Verordnungen 
über  den  Gottesdienst  untcrpi  \i.  Jui.  J817  erklftrt: 
uFepier  \/it  e«  mit  Bezug  auf  unsere  liturgischen 
^Formulare  bei  der  Syr^ode  wohl  in  Eruä^ung  ge- 
ukonimens  ob  das  Aufstellen  neuer}   oder  etwa  das 
„Veründerif  der  alten  zur  Beförderung  ^inef  erbau- 
yjicheren  Feier  der  Taufe  und  des  Abendmahls  die- 
„nen  könnte.    Jedpch  ist  sie  derselben  Meinung  gn- 
„wesen,  dass  diese  Maasijregel  i^npassend  und  nicht 
9>an  4er  Zeit  s^in  möchte.    Es  sind  doch    die  litur- 
„gischen  Formulare   cum  Gebrauch  von  Predifrera 
»»aufgestellt,    welche   noch  nicht  gehörig   ii|  ^^n 


5» 

ner  durch  das  Aufsteilen  der  zweideutigen,  und  somit 
nicht  ehrlichen  V^rpflichtnngsfonnel  auf  die  symbolischen 
Bücher  (S*  30.  31).  Der  grosse  Verfall  in  Kirchlich- 
keit  und  Sittlichkieit  rühre  eben  von  'dieser  Lauheit  In 
Aufrechthaltung  des  Glaubens  her,  und  von  dem  Man«^ 
gel  eines  ernstlichen  Predigens  unserer  Sündhaftigkeit 
der  Busse,  der  Wiedergeburt  und  der  andern  Wir- 
lungen des  heiligen  Geistes,  von  dem  Mangel  des 
Hausbesuchs  und  ernster  Seelsorge,  endlich  von  der 
gegenwärtigen  Beschaffenheit  der  Universitäten  9  wp  die 


,,Theilen .  des  heiligen  Predigtamtes  geübt  ti-^ren^ 
^yund  >velche  daher  nöthig  hatten,  durch  gewiss^ 
„Vorschriften  an  eine  passende  und  gleichmSssi- 
„ge  Leitung  gewöhnt  zu  werden.  Dieses  Bedürf- 
„niss  besteht  nicht  mehr;  daher  denn  auch  ver<r 
„flchiedene  liturgische  Formulare  bereits  aiisser 
i^Gebrauch  gekommen  9ind,  und  in  andere  ver- 
y^chiedene  Abkürziingenj  Zusätze  und  Verftnderun* 
„gen  gebraucht  zu  werden  pflegen,  unbeschadet 
^jihres  Geistes.  -^  Die  Synode  hat  daher  geurtheilt« 
pdass  das  Festsetzen  neuer  Formulare,  oder  von 
,, Veränderungen  in  den  alten,  die  Prediger  beschrän- 
„ken,  und  den  Geint  an  neue  Banden  legen  inöge.'< 
8.  VAN  DER  TuuKS  Ha^dboei  l.  S.  159.  160*  -» 
Diese  Erklärung  der  Synode  hat  die  vorher  schon 
bestehende  \l'illkühr  vieler  Prediger  in  beliebiger 
Veränderung  der  Formulare  allerdings  sehr  beor- 
dert, so  dass  diese  meistens  sehr  abgekürzt  und  oft 
mit  den  verschiedenartigsten  Abänderungen ,  nicht 
unbeschadet  ihres  Geeistes,  gebraupht  werden.  — 

Diese  Formulare  sind  aus  der  pfälzisch-re- 
forniiiten  Liturgie  entlehnt,  und  ins  HplUindi- 
^che  übersetzt  wqrdcn.  .1«  Ypby  <&  Peamout  Kir- 
chengesclüchte  1.  S.  525  IT. 


J 


555 

:  ben  könne,  die  Ruhe-  der  Kirche  zu  stören.  Der  Kö- 
i  nig  erwiederte  darauf  mit  Bezeigang  seines  Missfallens, 
r  dass  er  auf  desselben  ErklKrang  und  Versprechen  hin 
;  die  3ache  auf  sich  beruhen  lassen  wolle. 

Alle  diese  Aufregungen  haben  indess  dazu  mitge- 
wirkt, ein  neues,  frisches  Leben  des  Glaubens  In  der 
schlummernden  Kjrcbe  zu  wecken,  nnd  es  ist  von  der 
Gnade  ies  grossen  P{scho(s  und  Erzhirten  der  Seelen 
zu  hoffen,  dass  dasselbe  als  ein  heiliges  Feuer  immer 
weiter  um  sich  greifen  und  den  kalten,  erstarrenden 
Unglauben  austreiben  werde.  Ja  gewiss  wird  dies  ge- 
schehen, wenn  namentlich  die  gegenwärtigen  Streiter 
für  den  (glauben  als  ein  junger,  trefQicher,  aber  noch 
g'abrender  W^{q  ausgegohren  haben  nnd  milde  gewor- 
den sind,  —  wie  Da  Costa  denn  wirklich ■  schon 
^iel  milder  geworden  sein  soll,  und  dies  auch  aus  sei- 
nem oben  angeführten  gesalbten  Antwortschreiben  an 
JaE  Sage  ten  Broek  hervorzugeben  scheint,  — 
wenn  sie  iUe  Pr'adestinationslehre  weniger  als  nnent- 
))ebrljches  Schiboleth  für  jeden  Gläubigen  aufstellen, 
wenn  sie  nach  dem  Wort  des  Herms  Mein  Reich 
ist  nicht  vqq  dieser  Welt,  und  nach  seinem 
Beispiel  das  Politische  nicht  ins  Kirchliche  und  Chiist- 
liche  hineinmengen,  wenn  die  Mehrzahl  der  holländi- 
schen Theologen  es  wird  über  sich  gewinnen  können, 
|]en  (leissigen  Gebrauch,  welchen  sie  von  den  un- 
gläubigen deutschen  Schrißen  bisher  gemacht 
haben,  auch*  auf  die  neuere  gläubige  theologische 
Lilcratur  Deutschlands  überzutragen,  einen  Unterschied 
zwischen  dem  falschen  and   dem  wahren,   vom  ächten 


556 

I 

Christenthome  unzertrennlichen  Mysticisoias  xa  macliei^ 
und  dem  heiligea  Geiste  demnach  wieder  seine  Stelle 
In  dem  Heils -Weg  und  Werk  einzuräumen  *),  wena 
In  die  Volks-  und  gelehrten  Schulen  das  chrisüidie 
Element  wieder  mehr  eintreten  wird,  wenn  die  )ongefl 
Theologen,  mehr  praktisch  zum  Seelsorgcramt  werdei 
herangebildet**),  und  selbst  eine  treue  Seelsorge  aof 
der  Universität  geuiessen   werden,   und    wenn  so  der 

'^)  AVie  wenig  es  dem  Theologen   Ehre   macht,  dn 
heiligen  Geiste  seine  'Wirkungen  abzustreiten,  uid 
welch'  ein  betrübendes  Zeichea  es   für  seine  Theo- 
logie ist  9  erklärt  der  altCi  treffliche  reforniirte  Klr 
chenlehrer  Piriire  Dumoulin  (geb.    1568)  sehr 
trpffend.    Nachdem  er  Gal.  2,  20  »Der    Sohn  GoC- 
9>tefl  hat  mich  geliebet,  und  sich  selbst  für  micl 
»gegeben'^  angeführt,  sagt  er:    »»Dieses  für  nick  { 
,>ist  die  Sprache  des  Glaubens.    Das  ist  das  imen 
y,Zeugniss^    das   der  Geist  der  Ivindschaft   unaem 
„Geiste  gibt,  wenn  er  zeuget,  dass  ivir  Gottes  Kii- 
,,der  sind,    lieber  dies  geheime  Zeugnis«  dci 
„Geistes   Gottes   spotten   unsere    Gegutfi 
„weil  si^'s    nicht  kenuep,    indem    sie    vub 
„dem   Gefühl,     das    Gott    seineu    Kinderu 
„gibt,  urthellcn  nach  dem  Maassstab  ihrer 
„Fühllosigkeit.'«     8.  La  tainie   d^ei ritte  y    iiree  in 
ecriis  des  piug  eeiebre»  docieuru  de   Veglüe  reffornut» 
Seufchaiel  p.  8. 
**)  Broes  in  de  EngeUehe  Kerh  II.  403,    deutet  darauf 
hin,   dass  es  nützlich  sein  würde,    einige  theo  lo- 
gische Seminare  zu  errichten,    wo   die  Jniigea 
reforniirten  Theologen  mit  ricl  geringeren  Kostn« 
aych  mit  weniger  Gefahr  von  allerhan^  Befleckui- 
gen,    und  auf  eine   in    mehreren   Hinsichten  nock 
zweckinässigere    Weise   als  auf   den   Unirersitlm 
zum  Predigt-  und  Seelsprgeramt  angeleitet  wüidn. 


I 


557 


ene  Anwuchs  der  jangen  Prediger  mit  den  noch  im-* 
ler  In  nicht  geringer  Zahl  yorhaadenen  älteren  leben* 
ig -gläubigen  Predigern,  als  einen  de  VRiESy  VAN 

Elf  IlAMy    OORT,    AdRIANI,  FoRSTMAN,  YAN 

ER    SCHEER,     £gELING,     MANGER,    MERENS, 

VOLTERREEK,     ViNKE,     VAN     DER     MEULEN« 

AN  Manen,  Begemann,  Kortenhoef  Smit, 
:aakereen,  Secretan,  I^Ierle  d'Aubigne, 
lETMAAR^  LS  RoT*)  und  Vielen  Andern  das  Reich 
rottes  mit  vereinter  und  verjüngter  Kraft  in  ihren  6e- 
leinden  zu  fördern  suchen. 

Und  wer  darf  endlich  nicht  hofTen,  dasa  die  ge- 
enwärtjge  plötxlich  über  Holland  hereingebrochene 
eit  des  Kriegs  und  der  damit  verbundenen  Sorgen 
ad  Nöthen  die  Henen  hungernder  nach  dem  Worte 
rottes,  und  die  Augen  heller  zn  seiner  Erkenntniss 
lachen  wird,  -«-  denn  die  Anfechtung  lehret 
nfs  Wort  merken,  —  und  dass  das  auch  unter 
er  stndirenden  Jugend  auflodernde  kriegerische  Feuer^ 


*)  Die  fünf  ersten  sind  Prediger  zu  Rotterdam^  die 
lihrigeri  zu  Dordreeht^  Leiden,  Harlem,  Ut- 
reclit>  Amsterdam^  Haag,  Brüssel,  Woer- 
den  und  Oude  Tonge  in  Südholland.  Der  letztere 
hat  mehrere  geistreiche,  von  einem  lebendigen 
Glauhcn  und  tiefer  Schrifterkcnntnist  zeugende  Ab- 
handlungen geschrieben,  z«  B.  Tweg  verkandelingen, 
&ver  den  waaren  aard  rem  hei  ouderwjfi  df.9  bybch 
ah  ren  niei  beipiegelend ,  maar  touter  praliHkaal  on- 
derwySf  naar  onäe  vaibaarkeid  ingerigt ;  en  over  de 
tModzaleipl'heid  vait  de  verlichting  en  het  tmdertPtju 
de»  h*  geestes,  tot  regt  en  onfeilbaar  verstand  van 
den  waren  zin  der  hphelichripen,    Dordrcckt  1819. 


% 


558 


' 


\ 


das  sie  aus  der  fleischlicheii  Ruhe  und  Gemäclilichkeit 
des  gewöhnlicheo  Lebens  herausgetrieben  ^  and  ihrer 
Seele  eined  höhern  Schwung  der  Begeistemng  gege- 
ben hat.  Viele  derselben,  wie  es  ja  in  Deutschland 
im  letzten  Kriege  dieselben  herrlichen  Folgen  gehabt, 
über  die  flache,  fleischliche,  rationailistische  Ansicht  von 
dem  Christenthume  erheben,  nnd  für  die  tiefere  giäa- 
bige  Erkenntniss  desselben  empfängtichei^  machen  wird? 
Wenn  die  Gefahr  and  der  Streit  ihr  Herz  beten  ge- 
lehrt hat  zu  dem  Geist  der  Weisheit  nnd  der  Süirke, 
und  dieser  Geist  ihrem  Geiste  2edgniss  gegeben  bat 
von  seinem  süssen  Licht  und  Trost,  o  dann  werden 
keines  Exegeten  Künste  ihnen  diesen  Geist  der  Ga^ 
den  mehr  wegexegesiren  können,  der  sie  gesalbet  und 
versiegelt  nnd  in  ihre  Herzen  gegeben  ist^  als  das 
Pfand  ihrer  Kindschaft. 

Möge  der  Herr  denn  bald  dies  Wasser  giessefl 
anf  die  Durstigen,  und  diese  Ströme  auf  die  DürreO) 
damit  sie  werden,  wie  ein  gewässerter  Garten,  und 
blähen  in  der  Herrlichkeit  des  Herrn,  und  ihr  ganzei 
Land  wieder  werde  eine^ Stätte  seiner  Wohnung! 


559 


Jansenisten. 


xLhe  wir  Utrecht  verlassen »  wird  es  nicht  nninteres- 
sant  sein,  zavor  noch  einen  Blick  auf  die  besondere 
römisch-katholische  Kirch  enparthei  za  wer- 
f(pD,  welche  sich  die  Kirche  von  Utrecht  nennt, 
bloss  in  Holland  noch  als  Kirch enparth ei  besteht,  und 
unter  dem  Namen:  Jansenisten  am  bekanntesten  ist. 

Ihre  Existenz  liefert  zugleich  einen  augenscheinli- 
chen Beweis,  wie  ungegriindet  das  Rühmen  der  katho- 
lischen Kirche  von  einer  bei  ihr  ununterbrochenen  Ein- 
heit und  Einigkeit  in  der  Glaubens-  und  Sittenlehre  ist 

Der  wilde  Streit,  welcher  vom  Anfang  Aes  17ten 
Jahrhunderts  über  den  strengeren  Augustinischen  Lehr- 
begriflf  zwischen  den  Augustinern  und  Domini- 
kanern auf  der  einen,  und  den  eine  laxere,  pelagia- 
nische  Moral  begünstigend ed  Jesuiten  und  Fran- 
ziskanern auf  der  andern  Seite  geführt,  die  katholi- 
sche Kirche^   besonders  in  Frankreich   und  Bra- 


sM 


reicü  entscliiedeo,   und  inre  uegner,    aie 
Jansenisten,   äusserllch  in  Frankreich 
Diese  hatten  ihren  Namen  daher  erhalten  ^ 
Bulle  des  Papstes  Alexanders  VIL,   w 
Betrieb  der  Jesuiten  im  3.  1666  ^unf  io 
des  Bischofs  Jansenius  von  Tpem,    w 
GUSTINUS  betitelt:  über  die Nothwendigkc 
liehen   Gnade  nach    dem    Ängustinischea 
hindelte,    angeblich    enthaltede  ketzerische 
verdammt  hatte»  anzunehmen  sich  weigerten 
Rechtgläubigkeit  des   Jansenius   ^^erthd 
dem  protestantischeü  Miederland  blieben  üi 
serlich    fortbestehen.    Der    ihnen    geneigte 
CoDDE  von  Utrecht  wtfrde  zwar  aaf 
Jesuiten  1704  vom  Papst  abgesetzt;   alleid 
kapitel  zu  Dtrecht  und  Harlenf  fibten 
liehe  Gerichtsbarkeit  auch  ferner   durth    G 
aus,   wenn  schoü  der  Papst  sie  nicht  anerk 
das  Domkapitel   tu   Harlem   sich   im  J« 
schüchtern  Hess,  so  blieb  doch  d^  zu  Utr« 
haft,   appellirte  mit  einem  Theil  der  Geisl 
Bissthums  Harlem  im  J.1719  an  eine  allg« 


561 

fluchteien,  exilirten  jansemstlscheii  Bischof  Varlet 
SU  Amsterdam  weihed  liessen.  Als  dieser  1742  starb, 
stellte  der  damalige  Erzbiscfaof  ton  Utrecht,  M£ IN- 
DA ABTS,  das  erloschene  Bisslhum  zu  Härlem,  und 
1758  das  ztt  Deventer  wieder  her,  damit  es  bei 
künftigen  Weihungen  nicht  an  Bischöfen  fehlen  möge^ 
nnd  hielt  1763  eine  Provinzialsjnode. 

Nach  den  Beschlüssen  derselben  will  die  Kirche 
von  Utrecht,  die  römisch-katholische  Kle-^ 
risei,  welchen  Namen  sie  sich  gleichfalls  beilegt,  — - 
auch  nennen  sie  sich  die  AltrÖmischeoi,  halten 
aber  den  Namen  Jansenisten, fui^  einen  Schimpf- 
namen ,  —  sich  keineswegs  von  der  römisch  -  katholi- 
schen Kirche  lossagen,  noch  von  dem  Gehorsam  ge- 
gen den  Papst^  als  den  sichtbaren  Stellvertreter  Christi 
und  Mittelpunkt  der  Einheit.  Nur  verwirft  sie  die  Un- 
fehlbarkeit desselben  und  der  Kirche  in  Thätsachen 
und  andern  Punkten,  welche  nicht  die  Glaubens-  und 
Sittenlehre  betreffen,  verwirft  Alb  Balle  Umgenüus 
fortwährend^  und  appellirt  davon  an  ein  allgemeines 
Concil,  hält  den  Augustinischen  Lefarbegriff,  und  des- 
sen strengere  Moral  fest,  so  wie  das  Recht  der  Dom- 
kapitel, ihre  Bischöfe  selbst  zu  wählen,  und  betrachtet 
den  innern  Gotteisdienst  als  das  vortäglichste  Merkmal 
der  Frömmigkeit. 

Die  Päpste  excomnrani<lirten  fortwährend  die  ge«^ 
wählten  Bischöfe,  den  Kleras  und  da^  Volk.  Die  im 
J.  1823  mit  dem  päpstlichen  Nunzius  NazALLI  im 
Haag  eingeleiteten  Unterbandlungen  blieben  ohne  Er- 
folg i   weil  dieser  die  Unterzeichnung  der  Balle  Umge' 

II.  86 


562 


niiuM  and  unbediogte  Unrerwerfmig  verlangte.    Die  im 
Jahr  11125  zum  BIscbof  too  Deventer   und  nm 
Erzbiscbof  von   UtrecbC  unter  Grenehmigong  des 
Königs    erwäblten   Vet   and   TAN    Samten    worden 
daher   vom   Papst  Lsg   XII.  ebenfalls    cxconBOBaniciit. 
Hiergegen  haben   diese   Bisthöfe  gemeinschaftlicb   mü 
ßoNy  Bischof  von  Ha r lern,  im  Febr.  1826  eine  fei- 
erfiche  Erklärung  an  alle  ErsbischÖfe,  Bischöfe,  Geist- 
lichen nnd  Laien  der  katholischen  Cbristenheil  im  All- 
gemeinen ^  und   der  niederländischen  insbesondere  er- 
lassen, worin  sie  die  Gerechtigkeit  ihrer  Sache  verlfcei- 
digen,  die  anaufhoVlichen  Ungerechtigkeiten  der  römi- 
schen Carie  gegen  sich  darlegen,    die  Fehlbarkeil  des 
Papstes  aas  den  Bekenntnissen  der  Papste  aelbst,  x.  B. 
Hadrians  \L    freimiithig    beweisen,     um    brüderlicht 
Vermittelang  bei  dem  römischen  Stahle  bitten,  wo  nor 
zil  oft  Christas  verdammt,   nnd  Barrabas  freige- 
lassen werde,  ihre  Anhänglichkeit  an  denselben  erklä- 
ren, nnd  ati  die  nächste  ökamenische  Kirchenversamm- 
lang  appellirlin  ^). 


*)  Diese  Erklärung,  im  Original  lateinisch  nnd  franzo^ 
8isch>  ist  auch  bloss  franzosichr  gedruckt  erschie- 
nen zu  Paris,  unter  dem  Titel:  Deeimraiißm  dn 
Evequet  de  HoHäMde  adreis/e  a  teute  t'egliie  eaihoK- 
gtie  et  acte  d'appel  etc»  a  Pari»  ehe%  PoLtCtEk  ei 
MovTÄttDiKR  1837«  Der  DteUttatwm  ist  in  dieseoi 
Büchlein  eine  kurze  Geschichte  der  Kirche  von.  Ut- 
recht vorgesetzt,  so  wie  die  Erwahlnngaacta  der 
beiden  obengenannten  BischSfe,  ihre  Briefe  an  den 
Papst  nnd  dessen  Excomnahicationsbülle  gegen  dea 
Bischof  Ton  Derenter. 


563 

In  ihrer  Klrchenlehre  behaupten  sie  durchaus 
^taicht  von  der  übrigen  römisch  r  katholischen  Kirche 
verschieden  zn  sein.  Auch  enthalt  der  Katechis- 
mus, welchen  ihre  Jugend  auswendig  lernt^  die  ge- 
wöhnlichen rö'misch  -  katholischen  Lehren*).  Der  grös- 
sere Katechismus,  iibor  welchen  katechisirt  wird,  ist 
der  Katechismus  von  Gobinet,  in  3  Theiteti* 

Ueberdies  wird  ^ber  die  Jan^enistische  Jugend 
über  die  Differenspunkte  n^it  der  SbrigeH  katho- 
lischen Kirche  durch  einen  kleinen  Katechismus  belehrt^ 
welcher  auf  Befehl  des  ErzBischofs  und  der  beiden  Bi« 
schöfe  herausgegeben  ist^« 

Diese  Differenzpunkie  werden  darin  auf  3  redu« 
drt  Der  erste  bestehe  darin,  dass  die  Kirche  von 
Utrecht  nicht  das  Verdammnngsformular  Ale- 
:k ANDERS  VIL  gegen  jANSEKivs^unterschreiben  wolle^ 
weil  die  darin  verdammten  5  ketzerischen  Sätze  gar 
nicht  in  dem  verdammten  Buche  des  JAnseniü^ 
standen.  Ob  dieser  die  5  Sätze  gelehrt  habe,  öder 
nicht,  sei  eine  Thatsache.  In  Hinsicht  auf  fhatsa* 
eben  sei  aber  weder  der  Papst  noch  die  katholische 
Kirche  unfehlbar.    Die  Kirche  sei  bloss  unfehlbar  in 


M*«Ui^di>iiMkM«^HH^Sta 


*)  Sein  Titel  ist:  KateeAtHniüf  df  ehrktetyke  teere,  eersi 
gedrukt  door  bevei  der  ffoogtpoardige  Heeren  BUchop* 
pen  van  ASGSBS  ROCHELLS  <&  Lüg  Off,  Vit  het 
frmnfch^    Rotterdam  bei  J.  ScmElling  1787. 

^*)  Er  heisst:  MOeine  Kai^ehtmui,  of  kort  Bägr^  4er 
GescMlien  ander  de  Kathotykin  in  Heiland^  op,  Bevef 
der  Hoogwaardige  Heeren  Aartebüehop  van  Utrecht, 
Biickop  vom  Hartem  en  ßüehop  van  Devenier^    Am« 

sierdam  bei  Potcibtjbr  d:  tan  Baauen  1S20» 

88* 


..  i 


564 


W 


99 


Sachen  f  welche  den  Glauben  und  die  Sittea  Iretreffen. 

(S.  3  —  11). 

Der  zweite  Differenzpunkt   betrefle    die    Balle 

Unigenäus,  welche  von  ihnen  nicht  angenommen  wer- 
de,  weil  sie  solche  katholische  Wahrheiten  vernrtheile, 
welche  auf  die  heilige  Schrift  und    die  Lehre  der  Kir- 
che gegriindet  seien,  z.  B«   ,|der  Glaabe    ist   die  erste 
^^Gnade  und   die  Quelle  aller  andern^*,    ferner:  ^^der 
„Sonntag  mnss  von  den  Christen  geheiligt  werden  doreb 
das  Lesen  gottesrQrchtig«>  Bücher,  und  vor  allem  der 
heiligen  Schrift;  es  ist  schädlich,  einen  Christen  von 
„diesem  Lesen  abzuziehen.^    Diese  Bulle  sei  auch  we- 
der  von    der  versammelten  (^uergaderde)    Kirche, 
d.   h«    von    keiner    allgemeinen    Kirchenversammluog^ 
noch  von    der   verbreiteten    {perspreide)   Kircbe^ 
d.  h.  nicht   allgemein,    freiwillig,    mit  Untersudiiing 
der  Sachen  von  allen  Bischöfen  und  Lehrern  in  Got- 
tes Kirche,   angenommen  werden«    Von    einem   Theil 
der  Katholiken  sei   sie   aus   Jesnitismus    angenommeD 
worden,   von   einem   andern  Theil   aus    übertriebener 
Ehrforaht  vor  dem  Papst,  weil  sie  sidi   auf  eine  ver- 
kehrte Weise   einbildeten,    dass    der  Papat   unfehlbar» 
und  man  ihm   einen   blinden   Gehorsam    schuldig  sei, 
roA  einem  andein  Theil  aus  Unwissenheit  (5*  11— 19). 
Den  dritten  DifTerenzpunkt  bildeten   die  flech- 
te  der  Utrechtschcn  Kirche.     Das   Recht  des 
Kapitds  zu  Utrecbt,    die  Bischöfe   zu  wählen,   wel6hct 
ihm   Kaiser  Ko^liAü   III«   1145   gegeben,    und  die 
Päpste  bestätigt  hätten,  sei  ihm  unrechtmässig  nnd  nn- 
verhört  Vom  Papst  im  J.  17M    genoauaeä  wordca« 


595 

\ 

Die  pSpstlichen  BannflBche  gegen  die  rechtmässig  ge** 
Vähllen  Bischöfe  seien  daher  ungülüft  (S.  20  —  31). 
Man  müsse  dem  Papst  nnr  in  allem  dem  gehorchen, 
was  nicht  gegen  das  Gesets  Gottes,  die  Lehre  der 
Kirche  und  ihre  Regeln  streite.  Die  katholische  Kirche 
sei  unfehlbar  in  allem,  was  die  Lehre  und  die  Sitten 
betreffe.  Aber  der.  Papst  sei  ein  fehlbarer  Mensch, 
wovon  es  Beispiele  genug  gebe.  Wenn  indessen  ein 
Papst  in  seinen  Ansspriichen  irre,  so  dürfe  man  sich 
doch  nicht  von  ihm  losreissen,  sondern  man  müsse 
ihm,  als  dem  Haupt  der  Kirche,  auch  ferner  Ehre  und 
Gehorsam  beweisen  (S,  32).  —  Welch'  ein  Wider- 
spruch Jer  Utrechtschen  Kirche  «wischen  dieser  ihrer 
Lehre  und  der  That!  -—  Gleichwohl  lehrt  sie  ferner 
(S.  33)  I  Sie  müsse  mit  dem  heiligen  Stuhle  vereinigt 
bleiben,  und  sei  auch  mit  demselben  vereinigt,  weil 
sie  denselben  Glauben  habe,  den  Papst  als  Oberhaupt 
anerkenne,  ihm  in  allem  nach  den  Regeln  der  Kirche 
gehorche,  für  ihn  bitte,  seine  Rechte  vertheidige,  und 
in  Kirchengemeinschaft  mit  andern  Bischöfen  und  Kir«- 
chen  stehe,  welche  durch  eine  äussere  Gemeinschaft 
mit  dem  Papst  vereinigt  seien. 

In  Absicht  des  Cnltus  ist  kein  wesentlicher  Un«- 
terschied  zwischen  ihr  und  der  fibrigeii  römisch -katho^ 
tischen  Kirche.  Im  Ganzen  sind  zwar  ihre  Kirchen 
einfacher,  auch  haben  viele  nur  Einen  Altar,  können 
jedoch  mehrere  haben.  Jeden  Sonntag  wird  gepredigt. 
Die  Taufe,  die  Communion  und  das  Bedienen 
der  Kraukep  geschieht  von  einigen  ihrer  Geistli- 
chen in  holländischer,  von  andern  nach  Belieben 


t 


567 

Goada,  2  xa  Rotterdam,  1  so  Delftshafen,  1 
zu  Delft,  I  so  Dordrecht,  l  xd  Leiden,  1  im 
Haag,  deren  Pfarrer  zogleidi  der  Bischof  von  De- 
ven^er  ist,  welcher  keine  besondere  Diöcese  hat,  1 
za  Schiedam  ond  t  zu  Scl|OQ.i|hoveo« 

Zum  Bisstham  Harlem  gehören  2  Gemeinden 
zu  Amsterdam,  1  in  Hartem,  1  zq  Zaandam, 
t  za  Crommenie,  1  .in  Ajilsmeer,  1  am  Haider 
und  1  ZQ  Enkhaizen« 

Ueberdie«  liestehl  oocb  1  Gemeinde  za  Mord- 

« 

Strand  in  Dänemark, 

Die  Zahi  aller  Gemeinden  in  Holland  beträgt 
dempach  27, -mit  nicht  ganz  5000  Seelen. 

Zu  Amerafoort  ist  das  Seminar,  wo  die 
jungen  Geistlichen  gebildet  werden,  £$  bat  9  Profes- 
soren und  20  Zöglinge« 

Dass  die  Janseoisteq  durch  die  Verbreitung  ihrer 
liberaleren,  weniger  papistischen  Grundsätze  auf  mehr 
als  Ein  katholisches  L^nd  ausserhalb  Hollands  wohl- 
thätig  gewirkt  haben,  ist  bekannt.  Das«  sie  auch  auf 
die  versuchten  Reformen  des  Katholicismus  in  O est- 
reich unter  Kaiser  Joseph  II.  und  in  Toskana 
unter  Grossherzog  Leopold  Einfluss  äusserten^  geht 
aufs  neue  aus  dem  Werke  des  in  der  neuesten  Bevo^ 
lutionsgeschichte  Belgiens  so  bekannt  gewordenen 
DE  Potter   über  den  Bischof  Ricci*)   hervor, 


*)  Der  Titel  der  deutschen  Uebersetzung  des  Werks 
ist:  Das  Leben  und  die  Memoiren  desSciPio 
VON  Ricci,  Bischof  von  Pistoja  und  Prato, 
?pn  Herrn  iik  Potter^  nach   den  tSgenhändigen 


568 


Hierans  erhellet»   dass  sowohl   der    gelehrte  jansemsti-' 
sehe  CaDonicus  BELLEGARDE  von    JLyon,    der  1189 

"  tu  Utrecht  starb ,  als  auch  der  mit  ihm  xasammenlün- 
gende  Leibarzt  des  Kaisers  Josephs,  der  Holländer 
VAN  Swietek,  mit  Bischof  Ricci  in  Verbindong 
standen. 

Um  so  mehr  ist  es  zu  bedaaem»  dass  diese  Ki^ 
chenparthei  in  Holland  immer  mehr  zasanamenschmibt» 
—  im  J.  1809  waren  es  noch  83  Gemeinden ,  —  und 
allmählig  von  der  andern  römisch  -  katholischen  Kir- 
chenparthei  verschlangen  werden  wird»  Freilich  tragt 
sie  selbst  die  grö'sste  Schuld  davon  dnrch  ihre  unge- 
heuere Inconsequenzy  mit  welcher  sie  der  katholischen 
Kirche  Unfehlbarkeit  in  der  Lehre  zuspricht ,  in  der 
Geschichte  (in  Thatsachen)  aber  abspricht,  erklär!, 
dieselbe  könne  über  die  Rechtgläobigleit  oder  Irrgläo- 
bigkeit  von  Lehren  unfehlbar  bestimmen,   jedoch  nicht 

«  darüber  bestimmen,  ob  solche  Lehren  in  einem  gewis- 
sen Buche  enthalten  seien ,  oder  nicht;  mit  welcher 
Inconsequenz  sie  erklärt:  ^^wenn  ein  Papst  sich  auch 
„in  seinen  Aussprüchen  ir^e,  so  müsse  man  ihn  doch 
,,als  das  Haupt  der  Kirche  stets  ehren  und  ihm  geborr 
9,chen;  wie  grosse  Ungerechtigkeiten,  \7elche  schlechte 
^yBehandlung  man  auch  vom  ersten  Stellvertreter  Chri- 
ijsti  erfahre  9  so  sej  es  doch  nienials  erlaubt,  sein  Anr 


Manuscripten  des  Prälaten  und  anderer  berühmten 
Männer  des  vorigen  Jahrhunderts  bearbeitet,  und 
mit  rechtsgültigen  Urkunden  aus  den  Archiven  des 
Herrn  Leopold  von  Ricci  zu  Florenz  versehen. 
Aus  deni  Französischen.   Stuttgart  1826.  4  Theile. 


509 

„sehen  zu  verkennen,  oder  sich  vom  Mittelpunkt  der 
,,EinheiC  zu  entfernen'*^,  —  jedoch  In  der  That  ihm 
den  Gehorsam  verweigert,  sein  Ansehen  verkenn^  und 
sidi  von  dem  gerühmten  Centmm  der  Einheit  losge- 
rissen hat;  mit  welcher  Inconsequenz  sie  an  ein  allge- 
meines Gondl  appellirt,  obgleich  der  Papst  solche  Ap- 
pellationen verboten  hat,  und  obgleich  man  vorausse- 
hen kann,  dass  ein  soldies  Condl,  wenn  es  wirklich 
zu  Stande  käme,  da  es  doch  vom  Papst  zusammenge- 
rufen und  geleitet  wBrde,  auch  des  Papstes  Willen 
aussprechen  würde,  •?-  wie  denn  überhaupt  trotz  aller 
theoretischen  Unterscheidung  doch  der  Papst  und 
katholische  Kirche  faktisch  Eins  sind. 

I 

Unselige  Ualbheit,  womit  diese  Kirche  von  Ut- 
recht zwar  den  Muth  bat,  wegen  einiger  Streitpunkte 
der  Disciplin  und  der  Sittenlehre  ein  Schisma  von  der 
römisch-katholischen  Kirche  zu  ertragen,  aber  doch 
immer  mit  ihr  noch  dieselbe  Finsterniss  in  allen  flaupt- 
glaubenslebren  theilt,  und  hif*r,  wo  es  den  Weg  der 
Seligkeit  gilt,  deren  Mensch ensatzungen  über  die  ßchrift 
und  gegen  die  Schrift  blinden  Glauben  schenkt,  wel-, 
eben  sie  ihr  in  viel  unwichtigem  Punkten  weigert! 

O  wie  mnss  bei  der  Betrachtung  dieser  in  der 
Dämmerung  verbleiben  wollenden,  und  darum  in  die 
finstere  Nacht  wieder  zurücksinkenden  Kirche  uns 
Evangelische  doppeltes  Dankgefübl  gegen  unsere 
Refpripatoren    durchströmen,     dass    sie   bei    aller 


*)  S.    Kieine  Kateckitmus    S.   32  >    und   Deelaration    det 
Eveguei  de  HoUande  8.  49. 


370 


Ebrfarcht  vor  AuGUSTOi  snd  andern  Kircbenväleni 
docb  nicht  bei  ibaea  stehen  blieben,  sondern  lUeia 
das  Wort  Gottei  ek  eioiig  unfehlbaren  Wegweisier  io 
allen  Rdigionfsaohen  wieder  erwählten,  alle  demselben 
widerstreitenden  MenschenMtsnngen  entschieden  ver- 
warfen, ond  vor  allem  den  llittelpunkt  der  Glaabens- 
lehre,  die  Rechtfertigung  des  Sanders  allein  /dorck 
den  Glauben  an  Chriatom,  wieder  in  seinjcr  ganieo 
apostolischen  Klarheit  auf  den  Leuchter  stellten!  Da- 
durch, und  dadurch  allein  ist  nnsere  evangelische  Kir- 
che aus  der  Nacht  und  Dämmerung  siegreich  zum  bel- 
len Tageslichte  gedrungen,  dadurch  wird  sie  von  der 
Sonne  der  Gerechtigkeit  bestrahlet,  dadurch  wächst  aod 
blühet  sie  in  seinem  Licht,  und  uns  gehet  Heil  uod 
Schttts  auf  unter  Seinen  Flügeln. 


571 


Hl  ■    ■»— WM 


tmmmr^»» 


\ 


Kollektiren  in  Schi e dam  und  O.elft 
Merkfvärdigkeiten  zu  Delft  Die  Kir- 
chengesellschaft:   Christo  Sacram. 


Am  20sten  Februar  Teiste  ich  von  Utrecht  mit  dem 
Postwagen  nach  Rotterdam,  und  von  da  nach  dem 
benachbarten  Städtchen  Schiedam,  um  daseibat  zu 
kollektiren. 

Die  Reise  über  G  o  u  d  a  führte  mich  durch  ein 
ähnliches  Wasser •  Land  wie  bei  Gorkum.  Auf  bei- 
den  Seiten  des  Wegs  war  nichts  als  Wasser,  und 
mühsam  über  dasselbe  sich  erhebende  Eilande  und 
Polder,  mit  Schilf,  Ried,  Hanfäckern,  Viehweiden  und 
Torfstech ereien.  Viele  hundert  Wassermühlen  arbei« 
teu  hier  Tag  und  Nacht,  um  das  Wasser  aus  den  et- 
was höher  liegenden  Läudereien  in  die  Miederungen 
oder  in  Kanäle  zu  schaffen.  Um  Gond|a  gibt  es  sehr 
viele   Ziegel-  und  Backstein -Brennereien,    weil  $ich 


572 

hier  eine  besonders  dasa  geeig^nete  weisse  und  gelbe 
Erde  findet.  Aach  sind  die  hier  gebrannten  irdenen 
Pfeifen  unter  den  holländischen  die  berühmtesten.  Sie 
berübmten  Glasmalereien  an  den  Fenstern  der  Sult- 
kirche  konnte  ich  nur  von  ferne  sehen,  da  wir  ohne 
Aufhält  durch  die  Stadt  fuhren. 

In  Schiedam  fand  ich  durch  die  frenndlicbe 
Mitwirkung  der  reformirten  Prediger  VAN  Pellekom, 
Fangmann,  DiBBitz,  Menil  und  Cats,  be- 
sonders des  letzteren,  eine  im  AUgeipeiiien  günstige 
Aufnahme 9  obgleich  die  daipals«  gerade  stattfindende 
Stockung  in  dem  Haupterwerbzweig  d(»r  ^ts^dt^  der 
Braun  tweinbrennerei,  auch  auf  die  Kollekte  nicht 
ohne  Einfluss  war» 

Jährlich  werden  hier  von  den  170  Brennereien 
über  50,000  Oxhofte  voll  jg[ebrannt  Das  Branntwem- 
Spülicht  wird  durch  Pumpen,  welche  auf  die  Strassen 
herausgehen.  In  die  Machen,  welche  in  den  «wischen 
den  Strassen  laufenden  Kanälen  liegen,  gepumpt,  und 
dann  zum  Viehfutter  weithin  verkauft 

Nachdem  ich  3  Tage  hier  kollektirt  und  viel  JLie« 
be  erfahren  hatte ,  besuchte  Ich  nocb  am  27tett  Febr. 
das  benachbarte  Delft,  um  vor  meiner  Abreise 
nach  England,  deren  Zeit  jetzt  gekommen  war,  we- 
nigstens noch  einige  der  mildesten  (jeher  dieser  Stadt 
lim  eine  Beisteuer  für  meine  Gemeinde  ansprechen  so 
können.  )[)nrch  die  Mitwirkung  mehrerer  Prediger, 
namentlich  des  einflussreichen  Metelerlamp  und 
des  beredt(»n  Francke,  welche  ich  einige  Tage  vet- 
ber  mit  der  Sache  bekannt  gemacht  hatte,   gelang  es 


573 

mir, '  an   diesem  leUten  Tage  meines  KoUektirens  m 
Holland  noch  über  200  ü.  zu  sammeln« 

\  Hier  sah  ich  in  Aet  üeaen  Kirche,  welche  die 
t*amiIieDgruft  des  Hauses  Oranien  enthalt,  das  herr- 
liche ,  marmorne  Grab  -  Denkmal  des  grossen  W 1 1  - 
HELM  I.  VON  ORAKiEN,  des  Gründers  der  nieder- 
ländischen Freiheit,  weither  im  J.  1584  darch  deA 
Meuchelmord  eines  jungen  Katholiken,  BALTHASAR 
Gerhard,  der  von  4  Jesuiten  in  Trier,  und 
einem  Franciskaner  za  Touriiaj  durch  die  veN 
heissene  Märtjrerkroiie  iil  seinem  £ntschluss  bestärkt 
worden,  in  dieser  Stadt  getö'dtet  würde.  £^  liegt  im 
Chor  der  Kirche  auf  einem  hohen  marmornen  Sarko-^ 
phage,  in  voller  Rüstung  mit  Degen  und  S.cepter. 
Darüber  ist  ein  Thronhimmel,  auch  von  Marmor,  wel- 
cher auf  4  Säulen  ruht,  und  init  vielen  kleineren  spi- 
tzen Säulen  und  Thurmchen  verziert  ist«  An  der  ei- 
nen der  4  Säulen  steht  die  Freiheit  als  Jungfraa 
mit  Schwert  und  Freiheitshut,  an  der  zweiten  die  Ge- 
rechtigkeit mit  der  Wage,  an  der  dritten  die  Vor- 
sicht mit  einem  Dornenzweig  in  der  Hand,  an  der 
viertem  die  fteligion  mit  der  Bibel  in  der  einen 
lland,  eine  kleine  Kirche  in  der  andern,  und  den 
Fuss  auf  einem  £ckstein,  auf  dessen  Vorderseite  steht: 
Christus. 

Da  das  Denkmal  frei  steht,  so  macht  es  einen 
grossen  Eindruck.  Dieser  würde  wohl  noch  grösseif 
sein,  wenn  nicht  der  Künstler  im  Hintergrund  des 
Denkmals  den  Helden  auch  lebend  in  voller  Biistimg 


574 

— - — 

dasitaCDcl,  afbgebildet  häitte,  wodordi  der  EUdmd  g^ 
theilt,  und  somit  geschwHdit  wird. 

An  der  eioea  Wand  der  Kirche  ist  das  Denkmal 
von  Hugo  GaoTius  in  Marmor,  das  Ihm  seine 
Vaterstadt  errichtet  hat,  ziemlich  einfach,  jedoch  Bat 
einer  langen,  schwoktigen  Inschrift  von  Petbus 
BuRMANNUS  jnnior«  Nicht  weit  davon  Ist  der  Grab- 
stein, der  den  Eingang  xa  seiner  Gmft  bezeichnet 

In  der  andern  Hauptkirche,  der  alten,  sind  die 
Grab -Denkmäler  der  beiden  beriihmteii  holländisdieii 
Admirale,  TromP  und  PiT  Hein  (Ater  HeinriA). 

Früher  war  in  Delft,  als  einer  damals  sehr  star^ 
ken  Festung,  ein  grosses  Magaxin  nnd  Arsenal  ftir  die 
ostindische  Compagnie.  Gegenwirtig  ist  noch  ein  Ma- 
gazin for  die  Artillerie  da,  nnd  eine  Ingenieor-  onj 
Artillerieschale.  Auch  wohnen  viele  rttche  Rentner  liieri 
da  es  eine  sehr  stille,  fast  öde  scheinende  Stadt  Ist 

Im  J.  1827  lernte  ich  die  in  Delft  ihren  Sitz  ha« 
bende  Kirchengesellschaft: 

Christo  Sacrunt 

kennen,  wohnte  auch  einem  ihrer  Sonntagsgottesdienste 
bei«  Es  ist  daher  hier  der  Ort,  Näheres  über  ihce 
Entstehung  nnd  Beschaffenheit  mitzntheilen. 

Im  Anfang  des  J.  1787  verfügten  sich  mehrere 
reformirte  Christen  in  dieser  Stadt,  WQmnter  einige 
Kirchenrathsglieder  der  dasigen  französisch  •reformirten 
Gemeinde,  im  Stillen  so  einer  besonderen  reUgUteen 
Gesellschaft,  welche  sie  Chnato  Sacrum  nannten ,  ni 
hielten  eigene  goUesdienstlidtc  Znsammenk&nfle.    IM 


575 

I 

^  Hanptstifter,  weidie  a«cb  es  Predigeni  der  Gesellschaft 

crw'ihlt  worden,  waren  ein  wohlhabender,  geistvoller 

ifl  Fabrikant,  JAgob  Hbinrich  Onder  de  Wtn- 

a  gaa-rt-Ganzius,    nnd   ein   Zeichenlehrer   ISAAK 

g  YAN  HAASTERT. 

I 

^  Durch  die  Tielen  bösen  Gerüchte^  welche  Sber  die 

j  Zwecke  der  Gesdischaft  bald   in   Umlauf  kamen,   als 
'    wolle  si^  den  Deisrnns  und  Atheismus  befördern,   und 
'   welche  bestätigt  stn  werden  schienen,    als   im  J.  1799 
^  xa  Delft  ein  uogtSilbiges  deisdsches   Schrifichen  „über 
^    „die   Bedeutung   des  Worts  Religion,    eine   Rede, 
-    ^gehalten  in  einer  Gresellschaft  Leute  ^   welche   sich  in 
I   „keiner  besonderen  Religion  bekennen  ^%  erschien,  wel- 
ches man)   obgleich  irrig,   von  jener  Gesellschaft  her* 
'    ausgegeben  glaubte,  wurde  dieselbe  genöthigt,  im  Jahr 
1801   öflentlich  hervorzutreten.    Sie  gab   eine  Schrift 
heraus:  Hei  gmocischap  Christo  Sacrutn  UnnenDelfi^ 
worin  sie  ihre   Zwecke   darlegte,   erhielt  darauf  vom 
Staat    völlige    Religionsfreiheit,     gleich    allen    andern 
christlichen  PartheieH,   und   hielt  von   jetst  an  ihren 
Gottesdienst  öffentlich  in  einem  dazu  besonders  einge- 
richteten  Kirchengebäude»    Im  Jahr  1802  gab  sie  ihre 
vollständigen  Grundgesetze  heraus,  unter  dem  Ti- 
tel:   Gronden  en  PPetten  pan  het  genootschap  ChriHo 
Sacrumf  opgeriohi  binnen  Delft.    Aus  diesen  Schriften, 
so  wie  ans   der  mtache  Punkte  noch  deutlicher  aus- 
einander setzenden  kirchlichen  Rede,   welche  Onoer 
DE   WtngaART-Canzius    bei    der   am   5.   März 
1822  gehallenen  25iährigen  Jubelfeier  der  Geseilschaft 


577 


^" 


15 


Jnüt  nnzuretchend  gewesen,  dafür  Genogthnimg  zn  ge- 
ben, der  Erlöser  Jesus  Christas  Einmal  dazwischen 
getreten  sei ,  um  diese  verdienten  Strafen  auf  sich  xa 
nehmen,  eine  That,  welche  er  allein  vermodit  habet 
„als  Gott  und  Mensch  seiend;  dass  dl^enigen,  welche' 
„solchergestalt  an  ihn  und  seine  Genugthnung  glaubend, 
9,bnssfertlg  seine  VermitteluDg  anflehen  und  annehmen, 
„wirklich  erlöst  werden;  während  durch  die  Erhöhung 
„dieses  Mittlers,  der  heilige  Geist  in  ihnen  den  Glan- 
„ben  und  die  Belehrung  wirkt,  so  dass  Sunder,  allein 
„durch  die  Ergreifung  dieser  Yermlttelung  und  die 
„Wirkung  des  heiligen  Geistes,  um  der  Verdienste 
,9Jesu  Christi  willen  von  ihrem  Elende  erlöst,  und  zur 
„Heiligkeit  und  Herrlichkeit  erhoben  werden. ^^  (HaujTt- 
stück  I.  der  Grundgesetze,  Art.  6).  —  „Wer  übrigen« 
„nur  die  Sittenlehre  des  Evaagelii,  aber  nicht  die  er-* 
„wähnten  Grund-  und  Glaubenswahrheiten  annehme, 
„den  könne  die  Gesellschaft  nicht  als  Mitglied  erken- 
„nen."  (Art.  7). 

'  Zur  Beförderung  der  gemeinschaftlichen  Erbauung 
und  zur  Befriedigung  der  Ansprüche  aller  Confessio- 
nen,  besonders  der  katholischen,  hielten  die  iSLtIfter 
zugleich  eine  veränderte,  ausgeschmücktere  Form  dea 
äusserlichen  Gottesdienstes,  so  dass  er  das  sinnliche 
Gefühl  mehr  anspreche,  für  nöthig,  und  nahmen  hier-" 
bei  den  englisch-bischöflichen  Cultus  zvm  Mu- 
ster« In  ihrer  Kirche  errichteten  sie  an  einem  Ende 
derselben  ein  erhöhtes  Chor,  zu  welchem  eine  breite 
Treppe  auf  vielen  Stufen  fuhrt  Oben  steht  in  der 
Mitte  ein  Altar.  Zur  Linken  steht  einige  Stufen  tiefer^ 
IL  37 


i 


578 

I 

die  Kanxely  und  anmittelbar  darunter  das  Pult  des  Vor- 
lesers und  Vorsängers.  Auf  der  untersten  Stofe  ste- 
hen an  beidien  Enden  ^[rosse,  bronzene  Leuchter,  wel- 
che aber  bloss  bei  den  Abendgottesdleasten  angelan- 
det werden.  Auf  dem  Schalldecirely  der  über  dem 
Chore  schwebt,  steht  als  Sinnbild  fast  senkrecht  e!a 
hüliernes  Kreuz,  mit  Oelzweigen  umwanden,  in  deren 
Mitte  die  Worte  stehen:  Ich  bin  der  Weg,  die 
Wahrheit,  und  das  Leben.  Niemand  kommt 
zum  Vater^  denn  durch  mich.    Jesus  ChriatufT 

Am  Fuss  des  Kreuzes  liegt  der  Anker  der  Hoff- 
nung, daneben  das  offene  Evangelium,  und  znr  Seite 
die  2  Tafeb  der  10  Crebote.  Darunter  liegt  der  auf- 
gedeckte Schleier  der  Propheten,  eine  Schlang,  wel- 
cher der  Kopf  zertreten  ist,  und  ein  Todtenkopf,  zum 
Zeichen  des  überwundenen  Todes.  Ganz  unten  steht: 
Christo  Sacrum, 

Bei  dem  Crottesdienste  tragt  der  Prediger  einen 
Chorrock  nebst  Kragen,  und  der  Vorleser  einen  Man- 
tel und  Kragen. 

Die  Gottesdienste  werden  unterschieden  in  soge- 
nannte Verdienste  und  Leerdienste.  Die- Ehr  dien- 
st e,  wo  der  Cultus  vorherrschend  ist,  sollen  gewöhn- 
Vith  bloss  in  Gebeten,  Lob-  und  Danksagungen  nnd 
Gesängen,  von  Instrumentalntusik  begleitet,  bestehen, 
ohne  einen  Redevortrag.  Zu  solchen  Gottesdiensten 
gehören  z.  B.  die  Betstunden.  Bei  den  ansser- 
gewohnlichen  Ehrdiensten,  welche  bei  der  Feier 
der  Taufe,  des  Abendmahls,  bei  Einfuhrung  der  Pre^ 
diger  etc.   slatt  fmden,   soll   ein  Redevortrag  gehalten 


579 


«Ma«a 


werden,  aoch  wo  möglich  Chorgesang  oder  Instromen- 
talmnsik  atatt  6nden.  (VL  Hptst  Art.  1  —  4). 

Die  Lehrdienste  sind  die  gewöhnlichen  Sonn- 
tagsgoltesdienste,  wo  eine  Predigt  gehalten,  katechisirt 
wird  u«  s«  w.  Die  Form  der  gewöhnlichen  Lehrdien- 
ate  ist  folgende: 

Zuerst  singt  die  Gemeinde,  dann  liest  der  Vorle- 
aer  einei^  Abschnitt  vor,  danii  wird  wieder  gesungen, 
,  —  ein  Theil  der  Gesänge,  die  Lobgesänge,  wer^ 
den  immer  stehend  gesungen,  —  dann  hält  der  «Pre- 
diger am  Altare  das  Gebet,  wobei,  wie  bei  allen  Ge- 
beten, die  Gemeinde  kniet.  Darauf  ertbeilt  der  Pre-f 
diger  auch  am  Altare  den  apostolischen  Segen, 
welcher  stehend  empfangen  wird«  Nun  wird  wieder 
V gesangen,  darauf  von  der  Kanzel  der  ^Redevortrag  ge- 
halten, welchen  der  Prediger  bisweilen  durch  Gesang 
unterbrechen  iässt.  Nach  der  Rede  wieder  Gesang, 
alsdann  ein  Gebet  am  Altare,  darauf  der  Schlussge- 
sang und  der  mosaische  Segen«  Bei  besonderen 
Gelegenheiten  wird  nach  der  Rede  noch  luerst  ein 
Lobgebet  ilofzegging)  am  Altare  gesprochen,  und 
stehend  gebetet,  darauf  Gesang,  und  dann  erst  das 
gewöhnliche  Gebet 

Man  sieht  hieraus,  dass  häufiger  gesungen,  und 
gebetet  wird,  als  bei  dem  Gottesdienste  der  übrigen 
protestantischen  Confessionen. 

Für  die  christlichen  Feste,  iiir  die  Feier  der  Sa- 
kramente, und  für  den  letzten  Jahrestag,  welcher  durch 
einen  Abendgottesdienst  gefeiert  wird,  sind  besondere 
Gesänge   gedruckt,   unter  dem   Titel:   Chrtatelfhe  Gb» 

37* 


580 


%angen  voor  den  apenbaren   Godadienat    hy   bepaaUi 
gelegenheden.   Christo  Sacrum.    An  deo  gewöknliclien 
Sonntagen  wird  das  refomurte  Gesangbach  gebraockt, 
Die  heilige  Taufe  wird   nur   zu    gewis&en,  be- 
stimmten Zeiten  des  Jahrs  verrichtet,  um    nicht  dnrd 
allzuhäufige  Wiedeibohing  den  Eiadruck  der  Feierlich- 
keit zo  schwächen«    Auch  wird  es  den  Aellero,  gani 
so  wie  bei  den  Remonstranten,    frei  gelassen,  ok 
sie  ihre  Kinder  gleich  nach  der  Geburt,    oder  erst  cr- 
wad^sen  wollen  taufen  lassen,  (liptst  L  Art.  10). 

Das  heilige  Abendmahl  wird  3mal  jährlich  ge- 
feiert, am  Charfreitag,  im  Monat  August  und  Decem- 
ber,  jedoch  immer  des  Abends.  Eine  feierliche  Vor- 
bereitung findet  nicht  statt.  In  dem  zuletzt  vorher- 
gehenden Gottesdienste  wird  die  Gemeinde  erouiholi 
sich  darauf  vorzubereiten.  Bei  der  Feier  des  helligeo 
Mahls  werden  Fragen  an  die  Gommunikanten  getban, 
welche  mit  Kopfbeugen  antworten,  und  kniend  von 
dem  Prediger  nach  gesprochenem  Gebet  die  Absolu- 
tion erhalten« 

Die  kirchliche  Verfassung  der  Gesellschaft 
besteht  darin,  dass  eine  Direktion,  aus  den  2  Pre- 
digern und  5  andern  Mitgliedern  zusammengesetzt,  von 
welchen  letzteren  jährlich  einige  durch  neue  ersetzt 
werden,  alle  kirchlichen  Angelegenheiten  leitet.  So« 
bald  noch  2  Gemeinden  an  andern  Orten  sich  gebil- 
det haben  würden,  sollte  eine  Generalverstmm* 
lung  berufen  werden,  um  gemeinschaftlich  die  Kir- 
ch cnsacben  eu  berathen.  Die  Gemeinde  sn  Delft 
soüte  jeduch  in  solchem  Fall  immer  als  die  Alatter« 


581 

gemeinde  angesehen ,  auch  «die  Versammlung  stets 
an  diesem  Orte  gehalten  werden* 

Dieser  Fall  ist  aber  nicht  eingetreten,  nnd  wird 
allem  Anschein  nach  nie  eintreten«  Denn  es  hat  sich 
nirgends  eine  Shnliche  neue  Gemeindie  gebildet ,  und 
selbst  die  alte  ist  gegenwärtig  am  Verlöschen.  B^i  ih* 
rem  orsten  Auftreten  erhielt  sie  yiele  Glieder  von  den 
verschiedenen  protestantischen  Partheien ,  auch  selbst 
dnige  Katholiken.  Als  aber  der  Rei<  der  Neuheit  vor- 
über  war,  und  On&eb  de  Wtngaart-Gakzius, 
ein  gewandter  Redner,  von  Delft  wegzog,  sa  schmolz 
das  HSuflein  immer  mehr  zusammen*  Im  J.  1822  ha- 
ben sie  zwar  das  25)ähpige  Jubelfest  ihres  Bestehens 
feierlich  begangen,  aber  es  damals  selbst  öfTenlKch 
nicht  verhehlt,  dass  die  Gesellschaft  schwerlich  hoffen 
könne,  noch  das  50jährige 'Jubelftst  zu  erleben«  Bei 
dem  sonntäglichen  Morgengottesdienste,  welchem  ich 
im  J.  1827  beiwohnte,  fand  ich  nur  6  —  7  Menschen 
versammelt,  und  hörte,  dass  selten  mehr,  oft  nqcfa 
weniger  Zuhörer  seien.  -—  Mit  dem  Ableben  des  schon 
hochbejahrten  Predigers  VAN  H  AASTE  BT  wird  die 
Gemeinde  wohl  auch  sterben. 

Zu  trauern  hat  die  Kirche  Christi  nicht  iiber  ihre» 
Tod.  Denn,  wie  wohlgemeint  auch  die  Absicht  der 
Gesellschaft  gewesen  srin  mag,  die  Vereinigung  der 
getrennten  Ghristenpartheien  zu  befördern,  und  wie 
wenig  auch  ihr  Streben,  die  äussere  gottesdTenstlicbe 
Feier  anziehender  zu  machen,  ganz  ohne  Nutzen  fiir 
die  übrigen  protestantischen  Confessionen  Hollands  ge- 
wesen sein  mag,  so  war  doch  der  Geist,  der  sie  von 


582 


der  EAtstehaog  ao  besecHe,  eio  Geist  feinen  Unglao- 
bens*  Dieser  zeigt  sich  darin  ^  dass  z«  B«  in  dei 
Grandgesetzen  bestimmt  ist,  der  Predigt  brauche  niclit 
immer,  ja  nicht  einmal  gewöhnlich  ein  Bibelteit 
xnm  Grande  so  liegen  (VII.  Hptst  Art«^  13);  ferner 
könne  die  kirchliche  Vorlesnng  nach  dem  Bdie 
ben  des  Predigers  entweder  ans  der  heiligen  Schrift, 
oder  auch  aas  einem  andern  gaten  Bache  geoomma 
werden  (XIL  HptsL  Art«  10),  welches  beides  ofTenbar 
eine  Geringschäünng  des  Wortes  Gottes  anzeigt.  So- 
dann wird  den  Predigern  anbefohleni  häufig  Nator- 
betrachtnngen  zum  Gegenstand  ihrer  Vorträge  su 
machen  (VII.  Hptst.  Art.  12).  Aach  zeigt  es  von  kei- 
ner tiefen  Einsicht  in  die  Nator  des  Glaubens  nnd  der 
gemeinschaftlichen  chrbtlichen  Erbanung,  welche  in  der 
Glaub enseinigkeit  ihre  Wnrxel  hat,  dass  man 
wähnte,  aach  mit  Beibdiallong  der  girössten  Glanbens- 
verschiedenheit,  die  &  B/ zwischen  den  Katholiken  und 
Evangelischen  obwaltet,  könne  eine  innige  Geistes- 
and Kirchengemeinsehaft  statt  finden»  Man  meinte 
xwar,  die  hieraas  entstehende  Disharmonie  dorcfa  häa- 
figere  Anwendung  des  Gesanges  und  der  Musik,  durch 
grössere  Aensserlicbkeit  und  Mannichfaltigkeit  in  der 
Form  des  Gottesdienstes,  beschwichtigen  su  können. 
Aber  gerade  dies  unevangeUsche  Meinen  bewosi  die 
Wahrheit  des  Gesagten. 

Eben  durch  dies  Vorhandensein  der  verschieden- 
sten Glaubensansicbten  bei  den  Gemciadsgliedem  nicht 
bloss  in  unwichtigen,  sondern  auch  in  den  wesentlich- 
sten Punkten,  sah  man  sich,  wenn  man  aach  nicht  tob 


58a 

selbst  daxa  gcfl^  hätte  ^  g«BdUugt,  in  den  kirchlichen 
Vorträgen,  um  Niemandes  Glauben  zu  verletzen,  sich 
meist  auf  Naturbetrachtungea  und  moralische 
Abhandlungen  zu  beschränken«  Auch  ich  hörte  im 
J*.  1827  nichts,  als.  eine  dürre,  seelenlose  moralische 
Abhandlung  vorlesen,  und  das  bis  zum  Ermüden  häu- 
fige Singen  konnte  das.  kaltgelassene  Herz  nicht  erwär- 
men.. — ^  Damit  ich  aber  ganz  ausser  Zweifel  gesetzt 
würde  ^  welcher  Geist  die  Gesellschaft  beseele,  sagte 
mir  der  Prediger  VAN.  Haastert  selbst,  nach  dem 
Gotte&dlienste :  Ihnen  gelte  der  Tod  Christi  nur  als 
Bestätigung,  seiner  Lehre.  Auch.  On der  de  Wyn- 
GAART-C ANZius  verräth  in  seiner  Juhelrede, 
wo  et  S.  41  bei  Erwähnung  des.  Wirkens  der  Mis- 
sionts-GeseUschaft  meint,  es  sei  wolil  besser, 
Kopf  und  Herz  der  heidnischen  Völker  erst  mit  Men- 
schenkienntnbs  vorzubereiten,,  ehe  man  sie  im  Christen- 
thum  unterweise,  so  wie  durch,  die  Grundgesetze, 
deren  Hauptverfasser  er  ist,  dass  er  eine  ähnliche  An- 
sicht vom  Christenthum  habe« 


585. 

etwaigen  Befrag  der  CoUeLte  daselbst  zu  verschlingen« 
Fürs  dritte  stand  meine  Gemeinde  mit  England  m 
gar  keiner  Shntichen  Verbindung,  worin  sie  mit  Hol- 
land gestanden«  Auch  hatte  ich  selbst  keinen  einzigen 
persönlichen  Bekannten  in  jenem  Lande.  Ja,  der  edle 
Amtsbruder,  an  den  ich  am  meisten  empfohlen  war, 
Dr.  Steinkopff  za  London,  hatte  mir  unterm 
^30«  Jan«  1823  von  Brüssel,  wo  er  sich  damals  auf 
einer  Continentalreise  in  Bibelangelegenheiten  befand, 
auf  meine  Bitte^  um  seinen  Batb  sehr  wenig  Hoffnung 
zum  Gelingen  einer  solchen  englischen  Collektenreise 
gegeben,  mich  ernstlich  an  Luc«  14,  28  —  80  erlo- 
nert,  Jedoch  für  den  Fall,  dass  ich  nach  der  reiflichsten 
Ueberlegnng  in  der  Gegenwart  Gottes  mich  bewogen 
fühlte,  in  meinem  Entschhiss  zu  beharren,  mir  zugleich 
einen  Empfehlungsbrief  an  den  Hülfssecretär  der  Bi- 
belgesellschaft in  London p  RSknebbrg,  nach  Am- 
sterdam zugesandt« 

Da  indessen  der  gnädige  Herr  mir  seitdem  so 
wunderbar  in  Holland,  einem  fnr  mich  gleichfalls 
fremdem  Lande,  beigestanden,  wie  hätte  ich  da  klein- 
gläubig zweifein  dürfen,  dass  er  mich  auch  nach  Eng- 
land hinnberbegleiten  werde,  da  es  ja  seine  Gemein- 
de war,  für  die  ich  reiste,  und  die  Sache  also  nicht 
mein,  sondern  des  Herrn  war? 

Dabei  hatte  ich  nicht  versäumt,  so  weil  an  mir 
lag,  durch  menschliche  Mittel  den  Weg  in  bahnen, 
indem  ich  mir  über  hundert  Empfehlungsbriefe  für 
Engtand,  womnter.an  viele  der  bedeutendsten  Kaof- 
leute,   an  viele  Geistlichen  und  Staatsmänner  zu  Lon- 


587 


l.    Anhang. 

Berichtigung,     die     Arbeitsanstalt     zn 

Branweiler  betreffend, 

ab  Zusatz  za  8.  163. 

JLA8  freut  mich,  aus  amtlicher  Quelle  nachftrageo 
zu  können,  dass  ein  jeder  Häusling  zu  Brau wei  1er 
im  J.  1826  im  Durchschnitt  nur  55  Thlr.  16Sgr.  3Pf., 
und  nicht,  wie  S.  163  irrthümlich  angegeben  worden, 
66/4  'I'hir«  kostete,  wobei  noch  zu  berücksichtigen  ist, 
dass  über  170  Kinder,  und,  diese  einbegriffen,  an 
220  Häuslinge  sich  darunter  befinden,  welche  als  In- 
valid wenig  oder  nichts  verdienen  können* 


IL    A  n  h  a  n  g, 

die  Beaafsichtignng  der  Stndirenden  anf 
den  prenssischen  Universitäten 

betreffend, 

als  Zusatz  zu  S.  107. 

Die  Schilderung  der  Anfsichtslosigkeit  der  preos- 
sischen  Stadirenden  in  der  Anmerkung  S.  187  imd 
188  wird  Mancher,  der  mit  den  Bestimmungen  bekannt 
ist,  welche  über  die  Beaufsichtigung  der  Studirenden 
in  den  Statuten  mehrerer  preussischen  UniversiUiten 
enthalten  sind,  für  übertrieben  erklären,  und  einer  Un- 
kenntniss  dieser  Statuten  zuschreiben.  Diese  Unkennt- 
niss  findet  indess  nicht  Statt.  Ich  weiss  sehr  wohl, 
dass  in  den  gedruckten  Gesetzen  mehrerer  preussischen 


588 


UniTersitäten,   2.  B.  zu  Bonn,  Berlin,  Breslau, 


8^'  L 

^besnchten,  dnrch  den  Decan  zu  verneh- 
^men.**  Allein  eben  so  wobl  weiss  icb,  3ass  diese 
Bestimmung  nirgends  nur  im  Geringsten  in  Ausübung 
gebracbt  wird.  Ihrer  Ausführbarkeit  steht  dabei  im 
Wege,  dass  sie  nicht  in  die  Statuten  aller  preussischen 
Universitäten,  z«  B«  nicht  in  die  der  Universität  Halle 
aufgenommen  isL  Denn  wenn  Eine  Universität  allein 
diese  freibeitsbeschränkende  Bestimmung  in  Ausübung 
bringen  wollte,  so  würde  sie  dadurch  ihrer  Frequenz 
sdiaden. 

Eine  andere  in  mehreren  preussischen  Uoiversitats- 
Statuten  enthaltene  Bestimmung  ist  die:  „dass  ein  Stn- 
„dirender,  der  binnen  einem  halben  Jahre  gar  kein 
^Collegium  gehört  hat,  von  der  Untversttat  ausge- 
9,scblossen  wird.^  In  Folge  dessen  werden  denn  auch 
bisweilen  solche  gegen  diese  Bestimmung  fehlenden 
Studirenden  vom  I)ecan  citirt  Da  indess  Keine  siche- 
re, noch  alle  Studirenden  in  dieser  Hinsicht  umfassen- 
de ControUe  stattfindet,  so  werden,  besonders  in  gros- 
jsen  Universitätsstädten,  hei  weitem  nicht  alle  Uebertre- 
ter  obigen  Gesetzes  entdeckt,  und  die  Ungebundenheit 
bleibt 

Femer  wird  die  Planlosigkeit  und  RegellesigkeTl 
im  Studiren,  namentlich  der  Theologie,  sehr  dadurch 
befördert,  dass  in  manchen  preussischen  Provinzen, 
S.B.  in  den  Rheinprovinzen  und  Brandenbarg, 
keine  Bestimmung  gewisser  Vorlesungen,  welche  der 
Theologe  während  seines  lliennä  gehört  habod  müsse, 
besteht,  sondern  Ihm  darin  durchaus  freie  Willkiihr 
gelassen  ist, 

Keineswc^  v^enne  ich  bei  meinen  Klagen  über 
iBe  Ungebunoenheit  der  Studirenden  die  grosse  Wis- 
scnschaftlichkeit  und  Sittlichkeit,  welche  viele  Slndiren- 
de  aaf  den  meisten  anserer  preossisehen  UniversiüLten 


580 

in  jetziger.  Zeit  ausgezeichnet.  Diese  erfrenliche  That- 
sache  hebt  jedoch  durchaus  nicht  die  Nothwendigkrit 
einiger  Beschränkung  der  akademischen  Freiheit  auf«. 
Denn  wenn  Jene,  die  sich  selbst  ein  Gesetz  sind,  la 
dieser  Hinsicht  keines  Gesetzes  bedürfen,  so  hat  dock 
immer  ein  grosser,  und  wohl  der  grössere  Theii  des. 
Stndirenden  eine  Leitung  und  Zügelung  durch  Gesetze 
nöthig. 


III.    A  n  h  a  n  g. 

Ministerielle  Verordnung  über  den  Bi- 
belgebraüch  in  den  Elementarschulen, 
und  Verbot  des  Gebrauchs  der  Bi- 
belanszüge in  denselben* 

Als  Zusatz  zu  S.  345. 

,yK8  ist  in  neueren  Zeiten  die  Meinung  aufgekommen, 
„als  ob  die  Jugend  und  der  gemeine  Mann  der  Bekannt- 
yyschaft  mit  der  ganzen  heiligen  Schrift  nicht  bedürfe,  ja 
„als  ob  es  bedenklich  sei,  und  gar  nachtheilig  'wirken 
„könne,  wenn  man  ihnen  dieselbe  in  die  Hände  gebe« 
„Diese  Ansicht  hat  auch  anf  viele  protestantische  Schulen 
„unsers  Vaterlandes  den  Einfluss  gehabt,  dass  in  mehre- 
„ren  derselben  die  Bibel  gar  nichts  oder  in  mehr  oder 
„minder  unvollkommenen  Auszügen  gebracht  'worden  ist, 
„und  vielleicht  wird  es  in  einigen  Schulen  noch  jetzt  so 
„gehalten.** 

„Zwar  ist  jene,  zuerst  von  Frankreich  ausgegangene, 
„nachher  unter  den  Deutschen  hauptsächlich  von  BAHaOT 
„und  seinen  Verehrern  Ausgebreitete  Meinung,  auch  von. 
„namhaften  Pädagogen  angenommen,  vertiieidigt  und  un- 
„tcr  die  Sehnllehrer  gebracht  worden.  Das  unterzeichne« 
„te  Ministerium  kann  aber  derselben  nicht  beistimmen 
„indem  es  durchaus  nicht  die  Schwierigkeiten  und  Gefahr 


590 


„ren  für  die  Jugend  und  den  gemeinen  ManD»   die  jene 
9,befUrchten«  aus  dem  heiligen  Buche  herrorg^ehea  sieht, 
y^dessen  freien  Gebrauch   unsere   Vorfahren  sich  und  un- 
jysem  Nachkommen  mit  ihrem  Blute  erstritten  haben»  und 
ndurch  dessen  Geist  und  Kraft  sie  selbst ,  weit   entfernt, 
,,Schaden  daran  zu  nehmen,  vielmehr  mit  Geist  und  Kraft 
„erfüllt,  und  reichen  Segens  für  ihr  inneres,  und  dadurch 
„auch  für  ihr  äusseres  Leben  theilh^ftig  geworden  sind.^ 
„Dagegen  ist  man  wahre  Gefahr  von  der  Entfernung 
„der  Bibel  überhaupt,  als  auch  von  dem   Gebrauch  der 
„Bibelauszüge  in  den  Volksschulen  zu  fürchten,  durch  die 
„BrfahruDg  berechtigt.      Unbekanntschaft    mit   der    Bibel 
„führt  Gleichgültigkeit  gegen  dieselbe  herbei,   und  diese 
g,ist  mit  Schuld   an  dem  Versiegen  ächtchristlicher  Reli- 
„giosität,  welche  aus  dieser  Quelle  floss,  und  die  wir  in 
„den   letzten    Jahrzehnten    so  sehr  verschwinden    sahen. 
„Der  Gebrauch  der  Bibelauszüge  in  den  Volksschulen  for- 
„dert  aber  diese  Unbekanntschaft  eben  so  sehr,   als  die 
„Bntfemüng  der  Bibel  überhaupt  aus  denselben»    £r  be- 
„günstigt  den  so  nahe  liegenden  Wahn,  als  ob  man  in  dem 
„in  den  Auszügen  Enthaltenen  das  Wesentliche  habe»  und 
„das  Uebrige   ausser  jenem  rermeinten  Kerne  von  gerin- 
„gem  Werthe   sei.    Er  erschwert  das  tiefe   Eingehen  in 
„den  Geist,   der   durch   die   ganze  heilige   Schrift  weht, 
„und  in  die  Grundansichten,   welche  durch  dieselbe   hin- 
yvdurch  herrschen,   worauf  es  für  den  Glauben,  wie  für 
„die  Gemüthsbildnng   des   Christen   mehr   ankommt,   als 
„auf  das  Verstehen  einzelner  abgerissener  Stellen.    Indem 
„er  die  ganze  Bibel  der  Jugend  schon  aus  den  Ufioden 
„und  Augen  rückt,  wirkt  er  der  Vertraulichkeit,  dem  täg- 
„lichen  inneren  Umgänge  mit  derselben  entgegen,  der,  che- 
„dem  in  den  Familien  statt  fand,   und  wodurch  sie  der 
„Quell  so  grossen  Segens  für  Einzehie,  wie  für  das  Gan- 
„se  war,  und  wieder  werden  kann.    Wer  endlich  bedenkt, 
„wie  sehr  es  in  der  Hand  derer,    welche  Bibelauszuge 
„▼erfertigen,  liegt,  dem  Volke  darin  zu  geben,  was   sie 
,,wollen,  der  wird  nicht  ohne  die  grösste  Besorgniss,   es 
„möchte  der  ächte  und  Yollstandige  Grand  der  christli- 


m 


**^ 


^,ch«n  Heilswahrheiten  dem  Volke  allmfihlig  gainz  abhan- 
,>den  kommen,  wahrgenommen  haben ,  wie  dieselben  in 
„vielen  Schulen  an  die  Stelle  der  Bibel  selbst  getreten 
„sind.«' 

„Das  Ministerium  ist  weit  entfernt,  TOrauszusetzen« 
tydass  alle  deutschen  Pädagogen,  welche  die  Bibelauszuge 
lyden  Volksschulen  empfohlen,  oder  selbst  dergleichen  au- 
sgefertigt haben 9  auf  alle  jene  Resultate,  die  sich  viel- 
„mehr  von  selbst  ergeben,  ausgegangen  sind*  Es  ist  hin- 
lyg^cgcn  mit  ihnen  darin  selbst  einig,  idass  die  Bibel  nicht 
„zu  Buchstabir-  und  Leseübungen  gemissbraucht  werden 
„müsse,  so  wie  darin,  dass  die  Jugend  auch  beim  Reli- 
„gionsunterricht  nicht  gleich  die  ganze  Bibel  von  Anfang 
„bis  zu  Ende  lesen  solle.  Es  hält  nur  dafür,  es  sei  um 
„dessent willen  noch  nicht  tiothwendig,  der  Jugend  anstatt 
„der  ganzen  Bibel  nach  individuellen  Ansichten  angelegte 
„Auszüge  in  die  Hände  zu  geben  >  es  müsse  statt  dessen 
„den  Lehrern  zuerst  in  den  Seminanen,  und  nachher  fort- 
„gesetzt  durch  die  Geistliehen  zu  einer  zweckmässigen 
„Behandlung  der  heiligen  Schrift  beim  Religionsunterricht 
„Anleitung  und  Uebung  ertheilt  werden.  Und  wenn  zur 
„leichtem  Erreichung  dieses  Zwecks  wohlgeordnete  Sum- 
„marien  aus  der  Bibel  und  andern  Hülfsbüchem  mit  from- 
„mer,  von  dem  göttlichen  unschätzbaren  M'erthe  der  hei- 
„ligen  Schrift  durchdrungene  Gesinnung  verfasst  werden, 
„so  glaubt  es,  dass  diese  an  ihrer  Stelle  sein  werden,  und 
„verkennt  ihre  Nutzbarkeit  nicht.'' 

„Inzwischen  kehret  die  religiöse  Sinnesart  des  Zeital- 
„ters  zu  den  gesunderen,  kräftigeren  und  reineren  Ansicb« 
„ten  des  Christenthums  allmählig  wieder  zurück.  Die  all- 
„gemeine,  sich  ausbreitende  Anerkennung  der  unveijähr- 
,^baren  Rechte  der  heiligen  Schrift  offenbart  sich  in  un- 
„zweideutigen  Zeichen.  Man  lernt  es  immer  mehr  einse- 
„hen,  dass  sie  den  unwandelbaren  Grund  enthalte,  der 
„alle  christliche  Confessionen  vereinigt,  und  dass,  wenn 
„von  einer  äusseren  mechanischen  Zusammenziehung  der- 
„selben  nichts  sich  hoffen  lässt,  der  einzige  ertaubte  und 
„richtige  Weg,  auf  eine  innere  Annäherung  mit  ihnen  hin- 


5oa 

pxu wirken,  in  der  wachsamen,  Ton  der  Anfmerksainkeit, 
„alles  ihr  Hinderliche  zu  beseitigen,  begleiteten  Sorge  be- 
istehe, dass  jener  gemeinsame  Grund,  auf  dem  sie  alle 
„ruhen,  ihnen  nicht  yerdunkcU,  sondern  vielmehr  immer 
„inniger  bekannt  werde,  und  sein  Licht,  seine  Wahrheit, 
„sein  Leben,  und  damit  denn  auch  seine  Liebe  sie  alle 
„durchdringe." 

„Uoi  diese  auch  in  dem  preussischen  Staate  wieder 
„erwachte  Neigung  zu  dem  fast  schon  aufgehobenen  Wah- 
„ren,  —  von  weicher  diejenigen  Pädagogen,  die  jene  oben 
„eni ahnte  Meinung  hegten,  hoffentlich  auch  ergriffen, 
„und  durch  sie  zu  grosseren  uud  würdigeren  Ansichten 
^erhoben  sefn  werden,  —  zu  fordern,  setzt  das  unterzeich- 
„nete  Ministerium  hierdurch  fest,  und  rerordnet,  dass 
„überall  in  den  protestantischen  Schulen  die  ganze  toU- 
„ständige  Bibel  beim  Religionsunterrichte  gebraucht  wer- 
„den  soll,  dergestalt,  dass  den  Schülern  und  Schülerinnen, 
„welche  schon  mit  einiger  Gelftufigkeit  lesen  können,  das 
„N.  T.,  denen  aber,  welche  dem  Confirmationsunterricijee 
„nahe,  oder  Theilnehmer  desselben,  oder  bereits  über  ihn 
„hinaus  sind,  die  rollständige  heilige  Schrift  A.  und  N.  T. 
,^in  die  Hände  gegeben  werden  solL  In  den  Schulen,  wo 
„gegenwärtig  die  Bibel  gar  nicht  gebraucht  wird,  da  ist 
„sie  auf  die  eben  angegebene  Weise  wieder  einzusetzen, 
„und  wo  sie  durch  Bibelauszüge  verdrängt  war,  da  tritt 
„sie  auf  die  nämliche  Art  an  deren  Stelle.  In  allen  Volks- 
„schullehrerseminaricn  soll  zu  einer  zweckmässigen  Be- 
„handlung  der  Bibel  beim  Unterricht,  dabei  auch  zu  ferti- 
„gern  Aufschlagen,  welches  zu  anfangs  äusserer,  dann  auch 
„innerer  Bekanntschaft  mit  derselben  so  forderlich,  aber 
„ebenfalls  grossen  Theils  ausser  Uebung  gekonunen  ist, 
„Anleitung  gegeben,  und  diese  nachher  von  den  geistli- 
„chen  Vorstehern  der  Schulen  fortgesetzt  werden.  Die 
„geistliche  und  Schul- Deputation  wird  beauftragt,  hier- 
„nach  die  nöthigen  Vorschriften  an  die  Superintendentea 
„und  SchuUnspectoren  und  Vorsteher  der  Seminarien  zu 
„erlassen,  zugleich  auch  die  Superintendenten  und  Schul- 
„iaspectorctt  anzuweisen,  genau  zu  untersuchen,  wie  et 


j 


■ 

.  mit  dieser  Angelegenheit  in  den  ihret  Aufsicht  unterge- 
..benen  Schulen  steht»  den  irgend  dazu  vermögenden  Ael- 
.  tern  die  Anschaffung  des  N.T.  oder  der  ganzen  Bibel 
,«für  ihre  Kinder  zur  Pflicht  zu  machen,  die  Zahl  der  we- 
y.gcn  Unrermögens  ihrer  Aeltem  der  Beihülfe  hierin  be- 
„dürftigen  Schulkinder  auszumitteln ,  und  über  das  alles 
„baldigst  an  die  geistliche  und  Schul -Deputation  zu  be- 
vfichten,  welche  dann  wieder  anher  Bericht  zu  erstatten 
^hat.  . —  Wegeil  einer  Beihülfe  zu  Beschaffung  der  Bibeln 
Mund  Testamente  für  Kinder  unvermögender  geltem  wird 

»die  Deputation,  sich  auf  geziemende  Weise  zunächst  an 

.,die    hiesige    Hauptbibelgesellschaft    zu    wenden    haben« 

' ,, Dieselbe  wird   heute    ersucht   werden >    dieses   Anliegen 

;, überall  nach  Kräften  zu  unterstützen^  und  bezweifelt  das 

«Ministerium  den  besten  Erfolg  nicht ,  da  dieser  Weg  zu- 

»gleich  der  sicherste  zu  sein  scheint  >  auf  welchem  der 
., löbliche,  allgemeine  Zweck,  der  Gesellschaft  zu.  erreichen 

»steht" 

Berlin  den  IS.  November  1814. 

Ministerium  des  Innern, 
von  Schuckmann. 

An  die  geistliche  und  Schnl-Depntation 
der  KönigL  Regierung  zu  Potsdam,  Stet- 
tin, Königsberg  a.  d.  R«,  Marienwerder, 
Königsberg  in  Preussen,  Gambinnen, 
Breslau,  Liegnitz. 

Obige  Verordnung  ist  zugleich  mit  einer  andern 
ministeriellen  Verfügung  vom  16.  Febr.  1812, 
worin  die  im  J.  1810  Leipzig  bei  HiNRiCHS  erschie- 
nene neue  Bearbeitung  der  Hübnersch-Bibli-» 
sehen  Historie  von  M«  Adler,  wegen  ihres  schiech- 
ten, der  Jugend  sehr  verderblichen  Geistes  in  die  Scha- 
len cinzaßihren  verboten,  and  Wachsamkeit  empfohlen 
wird,  dass  nicht  willkührlich  von  den  Lehrern  oder 
Aufsehern  Lehr-  oder  Lesebiicher  in  die  Volksschalen 
eingeführt  werden,  von  der  König!.  Regierung  zu 
Düsseldorf  unterm  27.  Mai  1825  unscrn  Schulpfic- 
gern  zur  Nachachtung  mitgelheilt  worden. 

II.  38 


593 

Sehr  zu  wünschen  ist,  dass  das  letztere  Verbot, 
dass  nicht  willkührlich  von  den  Lehrera  oder  Aafse- 
hera  Lehr «-  oder  Lesebücher  in  den  Volksscbolen  ein- 
geführt werden,  strenger  gehandhabt,  nnd  überhaupf, 
wie  ich  schon  S.  327  bemerkt,  grössere  Einheit  in  Ab- 
sicht der  Lehr-  und  Lesebücher  in  den  Schulen  Eines 
Regiemngsbesirks  veranlasst  werde» 


IV.    Anhang, 

die  Mildthätigkeit  Hollands  gegen   aus- 
ländische nothleidende  Kirchen 

betreffend. 

Wie  mildthätig  die  reformirte  Kirche  Hol- 
lands« von  Alters  her  gegen  nothleidende  evangelische 
Gemeinden  des  Auslandes  gewesen,  und  wie  na- 
mentlich viele  deutsche  Gremeinden  an  den  Grenzen 
Hollands  and  am  Niederrhein  diese  Liebe  genos- 
sen haben,  ist  bekannt.  Weniger  bekannt  ist,  dass 
noch  jetzt,  ausser  den  ausserordentlichen  unbestimmten 
Liebesgaben,  welche  manche  ausländische  Gemeinden 
oder  Prediger  empfangen,  jährlich  eine  Summe  von 
895  fl.  von  der  reformirten  Synode  an  die  Walden- 
ser,  für* welche  ein  besonderer  Fonds  vorhanden,  an 
die  Litthauer,  und  an  die  beiden  Gemeinden  Esch- 
weiler und  R  Ott  gen  bei  Aachen  bezahlt  wird. 

Für  einheimische  nothleidende  Kirchen  nnd 
Personen  wird  nach  der  Synodal  Verordnung  vom  13^ 
JuK  1818  (s.  VAN  DER  Tuuk's  Handhoeh  I.  S.  494) 
auch  fernerhin,  wie  früher,  bei  den  Kirchenvisitationen 
eine  freiwillige  Liebesgabe  von  den  Gemeinden 
erbeten. 


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